1,99 €
Jim Uvalde hat es sich in dem hölzernen Badefass gerade so richtig bequem gemacht, als er draußen die Stimmen zweier Männer vernimmt.
»Er will nicht gestört werden«, hört Jim den Barbier sagen.
Die andere Stimme aber kennt er nicht. Und diese Männerstimme sagt: »Lassen Sie mich auf der Stelle rein zu ihm! Mann, ich bringe ihm Nachricht von seiner Familie, verstanden?«
Jim Uvalde greift über den Rand des Badefasses hinweg und nimmt den Revolver, der dort in seiner Reichweite liegt.
»Lass ihn rein, Quade!«, ruft er halblaut.
Einige Sekunden ist es draußen still. Die Tür öffnet sich. Und dann kommt Jerry Campifer herein.
Jim Uvalde erkennt ihn sofort wieder.
Er grinst wortlos und legt den Revolver langsam wieder auf den Schemel. »Das ist auch ein Leben, mit 'nem Colt in die Badewanne zu gehen«, murmelt Jerry Campifer und kommt krummbeinig und sporenklirrend näher. »Deine Familie schickt mich. Sie haben deinen Vater begraben. Er ist tot. Und nun wollen sie raus aus der Riesenfalle. Sie wollen ausbrechen. Mit zehntausend Schafen. Sie brauchen deine Hilfe. Denn sonst werden sie es schwer haben gegen Richard Slaterlee und dessen Mannschaft. Du sollst heimkommen, lassen sie dir sagen. Sie rechnen mit deiner Hilfe. Deshalb haben sie mich geschickt.«
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Der Weg aus der Falle
Vorschau
Impressum
Der Weg aus der Falle
Jim Uvalde hat es sich in dem hölzernen Badefass gerade so richtig bequem gemacht, als er draußen die Stimmen zweier Männer vernimmt.
»Er will nicht gestört werden«, hört Jim den Barbier sagen.
Die andere Stimme aber kennt er nicht. Und diese Männerstimme sagt: »Lassen Sie mich auf der Stelle rein zu ihm! Mann, ich bringe ihm Nachricht von seiner Familie, verstanden?«
Jim Uvalde greift über den Rand des Badefasses hinweg und nimmt den Revolver, der dort in seiner Reichweite liegt.
»Lass ihn rein, Quade!«, ruft er halblaut.
Einige Sekunden ist es draußen still. Die Tür öffnet sich. Und dann kommt Jerry Campifer herein.
Jim Uvalde erkennt ihn sofort wieder.
Er grinst wortlos und legt den Revolver langsam wieder auf den Schemel. »Das ist auch ein Leben, mit 'nem Colt in die Badewanne zu gehen«, murmelt Jerry Campifer und kommt krummbeinig und sporenklirrend näher. »Deine Familie schickt mich. Sie haben deinen Vater begraben. Er ist tot. Und nun wollen sie raus aus der Riesenfalle. Sie wollen ausbrechen. Mit zehntausend Schafen. Sie brauchen deine Hilfe. Denn sonst werden sie es schwer haben gegen Richard Slaterlee und dessen Mannschaft. Du sollst heimkommen, lassen sie dir sagen. Sie rechnen mit deiner Hilfe. Deshalb haben sie mich geschickt.«
Man sieht diesem Jerry Campifer an, dass er nun alles gesagt hat.
Jim Uvalde fragt deshalb: »Wie war das mit meinem Vater? Ich meine, wie starb er?«
»Einfach so«, sagt Jerry Campifer. »Er saß ja in letzter Zeit Tag und Nacht in seinem Sessel. Er ließ sich gar nicht mehr ins Bett heben. Sie fanden ihn an einem Morgen ohne Leben. Zuerst glaubten sie, er schliefe noch. Sie freuten sich sogar darüber, dass er so lange schlief. Denn er konnte ja kaum schlafen. Er dachte immerzu nur nach. Nun, er war also eines Morgens tot.«
Jim Uvalde sitzt eine Weile still, scheint ins Leere zu starren.
Da waren zwei Männer.
Einer kam mit Rindern und ein anderer mit Schafen in die White-Mountain-Täler gezogen. Beide hatten junge Familien. und beide wollten sie groß werden. Der eine mit Rindern, der andere mit Schafen.
Eines Tages kämpften sie um die Weide.
Jack Uvalde verlor. Obwohl auch er den Gegner ziemlich schlimm verwundete.
Seine Frau Ann zog sich mit ein paar Dutzend geretteten Schafen, ihren vier Söhnen und dem gelähmten Mann in ein Hochtal zurück. Es war ein großes Tal, nur mit einem einzigen Zugangspass, zu dem ein Canyon hinaufführte.
Und der Sieger des Kampfes, Richard Slaterlee, wurde bald wieder gesund und besetzte die Weide. Er hielt die Uvaldes mit ihren Schafen gewissermaßen im Tal gefangen.
Jim Uvaldes Blick kommt wie aus weiter Ferne zurück.
»Die verdammten Schafe«, sagt er. »Und du stinkst auch nach ihnen, Jerry. Was erwartet denn meine Familie von mir?«
»Hilfe«, murmelt Jerry Campifer. »Sie wollen mit zehntausend Schafen raus aus der großen Falle. Und sie wollen in aller Ruhe aus dem Land ziehen – irgendwo hin nach Norden, wo es noch reichlich freie Weide gibt. Sie werden etwa zehn Tage brauchen. Zehn Tage Zeit, die Richard Slaterlee stillhalten muss, mehr nicht! Denn sonst gibt es einen großen Krieg mit Blutvergießen und vielen Toten. Lass dir etwas einfallen, Jim! Du bist ja der große Kämpfer. Du warst Sheriff, Marshal, Scout. Du bist der große Kopfgeldjäger und Revolverkämpfer gewesen. Dich holte man überall zu Hilfe – für Geld. Nun will deine Familie deine Hilfe.«
✰
Als Jim Uvalde später die Spielhallen des Fair Play Queen betritt, hält er sich nicht an den Spieltischen auf, sondern steuert geradewegs auf die Tür zu Nelly Slaughters Privaträumen los.
Er ist der einzige Mann, der ohne anzuklopfen eintreten darf.
Nelly Slaughter – sie ist die Fair-Play-Queen – sitzt hinter ihrem Schreibtisch und macht Eintragungen in ihr Verbrauchsmittelbuch. Sie sagt, ohne aufzublicken: »Wir haben in der vergangenen Woche zu viele Gläser verbraucht. Da muss jemand ...«
Nun erst blickt sie auf und erkennt etwas an ihm, was sie sofort beunruhigt.
»Was ist?« So fragt sie. Denn sie ist nicht nur eine schöne und reizvolle, sondern auch eine erfahrene und kluge Frau. Ihre feinen Nasenflügel vibrieren, als wenn sie Witterung bekämen von beunruhigenden Dingen.
Ja, er mag sie sehr. Als sie ihn damals als Beschützer unter Vertrag nahm, der zugleich ihre Barmänner, Kartenausteiler und Croupiers, Hauspolizisten, Rauswerfer und Gäste unter Kontrolle hielt, da kamen sie sich schnell menschlich nahe.
Nun kennt sie ihn schon fast so gut wie eine Ehefrau ihren Mann.
Deshalb wittert sie beunruhigende Dinge.
»Ich muss auf der Stelle fort«, sagt er. »Such dir einen anderen Mann, Nelly. Auf mich kannst du nicht länger zählen.«
Er sagt die letzten Worte hart, fast abweisend. Sie will sofort stolz und abweisend reagieren. Doch dann begreift sie, dass ihm der Abschied schwerfällt und er deshalb so schroff ist.
Sie lehnt sich zurück in ihrem kostbaren Sessel, schüttelt die langen roten Haare nach hinten.
»Erkläre es mir richtig«, sagt sie. »Damit ich es verstehen kann und mich nicht wie ins Gesicht geschlagen fühlen muss. Warum willst du weg von mir?«
»Ich will nicht – ich muss«, sagt er. »Meine Familie sitzt in der Klemme. Sie hat ein Recht auf meine Hilfe. Und ich werde mir dabei einen mächtigen Mann zum Todfeind machen.«
Er setzt sich während seiner Worte rittlings auf einen Stuhl, verschränkt die Arme auf der Lehne und erklärt ihr die Situation mit wenigen Worten.
Als er fertig ist, sieht sie ihn fest an.
»Und du meinst, ich sollte nicht auf deine Rückkehr warten?«
»So ist es«, sagt er und sieht ebenfalls in ihre Augen hinein, die so grün sind wie ihr Kleid.
»Aber ich werde warten«, murmelt sie. »Ziemlich lange werde ich warten, Jim Uvalde. Du bist der erste Mann in meinem Leben, auf den es sich zu warten lohnt.«
Er erhebt sich. Und auch sie steht auf und kommt um ihren Schreibtisch herum zu ihm. Aber sie wirft sich nicht in seine Arme. Sie sieht ihn nur aus nächster Nähe an. Für eine Frau ist sie nur mittelgroß. Sie muss zu ihm aufsehen.
Er spürt alles, was von ihr ausgeht. Es ist ein starker Strom, und es hat ihn schon immer von Anfang an stark berührt.
»Dann küss mich zum Abschied und geh«, murmelt sie.
Er tut es. Sie küssen sich lange, sehr lange.
Und dann geht er, ohne sich noch einmal an der Tür umzusehen.
Sie kehrt hinter ihren Schreibtisch zurück und lässt sich im Sessel nieder, als wären ihr die Beine schwach geworden und als brauchte sie einen Sitz.
Einen Moment sitzt sie so mit geschlossenen Augen da.
Dann greift sie hinter sich an die Wand und zieht an einer Glockenschnur. Einer ihrer Barmänner kommt herein.
»Jemand soll hinaus zu Kilkenny reiten und ihn holen.«
»Das ist nicht nötig, Ma'am«, merkt der Barmann grinsend an. »Kilkenny hat hier vorhin ein Bier getrunken. Jetzt macht er drüben im Store Einkäufe. Ich lasse ihn sofort herüberholen. In fünf Minuten ist er bei Ihnen, Ma'am.«
Die fünf Minuten kommen ihr wie fünf Stunden vor, obwohl sie scheinbar beherrscht hinter dem Schreibtisch sitzt und nachdenkt.
Als Kilkenny dann eintritt, wird ihr Blick kritisch.
Kilkenny ist ein kleiner Mann, und sein langes Haar ist graugelb. Bei seinem Anblick muss man unwillkürlich an einen alten Falken denken. Und er wirkt hart, kühl und erfahren. Aber seine Zeit als Scout und Revolverkämpfer ist fast schon vorbei. Er hat sich schon vor Jahren auf eine kleine Pferderanch zurückgezogen.
»Ich brauche deine Hilfe, Kilkenny«, sagt sie.
»Die hast du immer, Nelly«, erwidert er mit seiner leisen, präzisen Stimme. Sie sehen sich an, und es ist ein schweigendes Verständnis zwischen ihnen.
»Es geht um Jim Uvalde«, spricht sie nach einer Weile. »Er zieht in einen Kampf, um seiner Familie beizustehen. Irgendwo im White-Mountain-Land. Er wird sich einen mächtigen Mann zum Todfeind machen. Ich möchte, dass er es überleben wird. Denn dann wird er zu mir zurückkommen. Versteht du, Kilkenny?«
Der kleine Revolvermann und Indianerkämpfer nickt.
Und wenn Jim Uvalde in höchste Not geraten sollte, so wird er Hilfe bekommen von Kilkenny.
✰
Es gibt nicht viele Wege ins White-Mountain-Land. Jim Uvalde kommt auf dem Weg von Süden her, und am vierten Tag muss sein Pferd immerzu bergauf.
In der Nacht zum fünften Tag erreicht er die Station im Tonto War Pass, und im gelben Lichtschein der Station hält er an.
Jemand sagt vom Haus herüber: »Wenn Sie Ihr Pferd versorgt haben, Fremder, können Sie Abendessen bekommen – wenn Sie wollen.«
Jim Uvalde versorgt sein Pferd, nimmt ihm den Sattel und das wenige Gepäck ab und wäscht sich dann selbst am Wassertrog.
Sein anfängliches Misstrauen und die Wachsamkeit schwinden.
Sollten ihn hier wirklich keine Männer von Richard Slaterlee erwarten?
Der Mann, welcher bisher zwischen zwei gelben Lichtbahnen im relativen Dunkel auf der Veranda saß, erhebt sich plötzlich.
»Das Essen ist jetzt fertig, Fremder«, sagt er.
Drinnen ist ein langer Tisch gedeckt. Und fünf Männer sitzen schon an diesem Tisch – fünf hartbeinig wirkende Burschen. Sie sehen dem eintretenden Jim Uvalde entgegen.
Einer sagt plötzlich: »Hallo, Jim!«
Und zu den anderen gewandt, spricht er wie beiläufig die Worte: »Das ist Jim Uvalde. Willst du zurück auf die Heimatweide, Jim?«
Nun sind die Warnsignale in Jim Uvalde klar und scharf.
Er kennt den Mann aus jener Zeit, da Richard Slaterlee und Jack Uvalde sich gegenseitig von den Beinen schossen und die Uvaldes dann mit ihren Schafen in die Hochtäler flüchteten.
Dieser Mann gehörte damals schon zu Slaterlees Reitern – und er war wohl der Jüngste von ihnen.
Nun wurde er ein beachtlich wirkender Mann, ein harter Bursche.
Warum sitzt er hier?
Dies ist die Frage, die Jim Uvalde sich stellt.
Und die Antwort ist ganz leicht.
Sitzt er schon in der Falle? Sollte er nicht auf der Stelle umkehren und in der Nacht verschwinden? Das fragt er sich bitter.
Er spürt, wie sie ihn anstarren, und fragt sich: Sind die fünf Mann gegen mich?
Zugleich auch erinnert er sich an den anderen Mann hinter sich, den er für den Stationsmann – also für den Hausherrn hier – hielt.
Er blickt über die Schulter.
Der Mann steht noch außerhalb der Tür draußen.
Doch nun hält er eine Schrotflinte unter dem Arm, ein doppelläufiges Ding. Es muss irgendwo in Reichweite an der Wand gelehnt haben.
Ja, es ist eine Falle.
Aus dem Küchenanbau kommt nun ein weiterer Mann mit einem großen Tablett voll dampfender Schüsseln.
Es ist ein massiger Bursche mit einem gutmütigen, runden Gesicht.
»Es ist fertig, Leute«, sagt dieser Mann zufrieden. »Ich habe euch was gekocht, wie ihr es im Umkreis von hundert Meilen nicht besser bekommen würdet. Ich müsste eigentlich in einem noblen Restaurant kochen. Aber mein Vater hält nichts davon. Ich könnte berühmt werden, wenn sich mein Alter von dieser verdammten Pass-Station trennen würde. Aaah, hier ist der Arsch der Welt!«
Einer der Männer lacht leise. Die anderen schweigen.
Jim Uvalde fällt nun auch der Name des Mannes ein, der ihn erkannt hat. Der Mann heißt Jesse Shesshere.
Shesshere deutet auf die noch freien Plätze am großen Tisch, welcher ausreichen würde für mehr als ein Dutzend Gäste.
»Willkommen daheim, Jim Uvalde«, sagt er. »Willst du nicht Platz nehmen und die Kochkünste von Fat Cat bewundern?«
Jim bewegt sich endlich. Er geht zum anderen Ende des Tisches und setzt sich.
✰
Endlich sind sie alle mit dem Essen fertig – auch mit dem Apfelkuchen-Nachtisch.
Jim Uvalde erhebt sich ruhig und will zur Tür.
Aber er kommt nur drei Schritte weit.
Dann holt ihn Jesse Shessheres lässige Stimme ein. »Wohin denn, Freund Jim?«
Er hält inne, wendet sich jedoch nur halb um, dreht ihnen nur die rechte Seite zu und verdeckt so die Linke, die seine Revolverhand ist.
»Ich habe meinen Tabak draußen bei meinem Gepäck«, sagt er ruhig.
»Bleib lieber, Jim Uvalde«, murmelt Shesshere. »Du hat doch längst gemerkt, dass du in der Falle sitzt. Ich möchte deinen Colt haben. Und dann werden wir dich zu Richard Slaterlee bringen. Du wirst doch wohl nichts versuchen gegen unsere Übermacht? Also komm, gib schon her! Ich weiß, dass du einen großen Kriegsnamen hast. Den hat keiner von uns. Aber wir sind bestimmt nicht drittklassig. Los jetzt!«
In seine Stimme kam nun scharfe Ungeduld.
Nun ist klar: Die Zeit des Herumtändelns und Herumspielens ist vorbei. Jetzt wird es ernst. Sie wollen ihn als Gefangenen zu Richard Slaterlee bringen.
Er bewegt sich nicht. Aber seine Fingerspitzen berühren schon das glatte Holz des Revolverkolbens.
Er sagt: »Zwei oder drei von euch nehme ich mit. Und aus eurem Vorhaben wird ganz bestimmt nichts. Ihr bringt mich nicht als Gefangenen zu Slaterlee, damit er dann meine Familie erpressen kann. Nein, das tue ich meiner Familie nicht an. Also, lasst mich gehen – oder kämpft es mit mir aus!«
In seiner Stimme ist ein ruhiger Klang, der ihnen deutlich sagt, wie wenig er blufft und wie ernst er es meint.
Er macht einen weiteren Schritt seitwärts zur Tür, ist dieser jetzt schon so nahe, dass er mit einem langen Sprung draußen sein könnte.
Da ruft Shesshere laut und scharf: »Jim Uvalde, wenn du jetzt noch einen einzigen Schritt machst, bist du ein toter Mann! Dann geben wir es dir alle!«
Nun endlich ist in Shessheres Stimme alles zu erkennen.
Sie alle verharren lauernd, spüren den Atem drohender Gewalt und halten den eigenen an. Plötzlich wissen sie, dass Jim Uvalde kämpfen wird. Und sie fragen sich, ob es auch unter ihnen Tote geben wird und wen von ihnen es erwischen könnte.
Doch dann kommt alles ganz anders.
Draußen kracht ein Gewehr – irgendwo dort draußen in der Nacht.
Die Kugel fliegt über Jim Uvaldes Schulter hinweg und schlägt in die Hängelampe über dem Tisch.
Jim Uvalde hechtet durch die Tür, dreht draußen auf der Veranda eine Rolle und wirft sich nach rechts. Er tut dies keinen Sekundenbruchteil zu früh und kriecht von der Veranda. Er erreicht sein Pferd beim Wassertrog, reißt den Sattel von der Stange und beginnt das Pferd zu satteln. Er vergisst auch sein Gepäck nicht, auch nicht seine warme Jacke, die er hier draußen ließ.
Und indes er fieberhaft arbeitet und jeder Handgriff unwahrscheinlich schnell gelingt, kracht das Gewehr noch mehrmals in der Nacht.
Der ihm unbekannte Schütze feuert noch weitere sechs Kugeln auf die Station im Tonto War Pass ab, hält die Männer dort drinnen, nagelt sie gewissermaßen fest.
Das Spencer-Gewehr des unbekannten Schützen verstummt, als Jim Uvalde fertig ist mit seinem Pferd. Als er sich in den Sattel schwingt, hört er hinter sich den Hufschlag eines anderen Pferdes, welches über den Pass galoppiert. Er weiß, dass es das Tier des Mannes sein muss, der ihm so unverhofft aus der Klemme half und dem er wahrscheinlich sein Leben zu verdanken hat.
✰
Kurz vor Mitternacht hält Jim an und blickt auf das White Mountain Basin nieder.
Er sieht die Stadt Slaterlee, die nach Richard Slaterlee benannt wurde. Und ein paar Meilen weiter im Nordosten erkennt er die Lichter der großen Ranch.
Von der Tonto-War-Station folgt ihm immer noch niemand.
Jim Uvalde reitet weiter hinunter und bleibt auf dem Wege zur kleinen Stadt Slaterlee.
Zwei Stunden nach Mitternacht reitet er an der Stadt vorbei.
Und eine weitere Stunde später ist er der Slaterlee Ranch sehr nahe. Er verbirgt sein Pferd unter einem mächtigen Nussbaum und verharrt noch ein paar Minuten in dessen Schatten.
Dann macht er sich auf den Weg.
Die letzte Stunde der Nacht ist angebrochen. Hier auf der Ranch ist alles ruhig.
Auf der Rückseite des großen Ranchhauses gibt es eine Veranda. Rechts davon ist ein Fenster im oberen Stockwerk offen. Er kann es gut erkennen.
Und so zögert er nicht. Er versucht es gar nicht erst bei der Verandatür, sondern klettert an einem Weinspalier empor.
Als er sich durch das offene Fenster in das Zimmer schwingt, atmet er kaum anders als zuvor.
Aber wenn er den Atem anhält, dann hört er das Atmen eines anderen Menschen.
Dort drüben in der Ecke muss ein Schläfer im Bett liegen.
Richard Slaterlee vielleicht?
Plötzlich weiß Jim Uvalde, wem das Zimmer gehört.
Er riecht es.
Denn was er da wittern kann, ist der Duft einer Frau. Ja, es kann nur eine Frau sein!
Und da ist auch schon ein Name in seinem Gedächtnis wieder klar vorhanden.
Jennifer! Jennifer Slaterlee!
Slaterlees Tochter! Ist dies ihr Zimmer?
Jim Uvalde steht einige Atemzüge lang da. Dann entschließt er sich, und er weiß, dass es von jetzt an kein Zurück mehr geben kann und wird.
Er tritt an das Bett der Schläferin und legt ihr die Hand auf Mund und Nase. Mit dem anderen Arm drückt er sie fest nieder.
Sie erwacht sofort, will kämpfen, sich wehren. Doch dann erkennt sie, dass der Mann sehr viel stärker ist. Sie entspannt sich wieder.
Er sagt flüsternd: »Das ist klug von dir, Jenny. Ich lasse dich jetzt los. Aber wenn du schreist, wird es schlimm. Verstehst du? Ich möchte kein Blut vergießen. Ich will auch nicht töten. Aber wenn es sein muss ...«
Er verstummt bitter, und sie hört seiner Stimme an, wie ernst es ihm ist.
»Wer sind Sie, Sie Strolch?«, fragt sie, nachdem er sie freigab und sie einige Male tief durchatmete.
»Jim Uvalde«, sagt er ruhig.
Sie setzt sich nun auf im Bett und zieht die Bettdecke hoch bis unter das Kinn.
»Jim Uvalde«, wiederholt sie gedehnt seinen Namen. Und dabei erinnert sie sich gewiss an die Zeit, da sie noch ein kleines Mädchen war und Jim Uvalde bereits ein großer Junge.
»Was willst du hier bei mir, Jim Uvalde?«, fragt sie schlicht.
Er muss ihre Lebenskraft bewundern. Denn die sachliche Frage hat er nicht erwartet.
»Meine Familie will raus aus der Falle«, sagt er. »Dein Vater lässt es nicht zu. Soll es einen Kampf geben? Sollen meine Brüder getötet werden und auch einige von euren Reitern sterben?«
Sie gibt ihm keine Antwort, sitzt nur starr im Bett und hält sich die Decke bis unter das Kinn.
Aber er will auch keine Antwort. Er sagt ihr leise, doch mit entschlossener Stimme, was er zu sagen hat.