G. F. Unger 2302 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 2302 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

»Nicht abfahren! Noch nicht! Die Kutsche bleibt noch stehen!«
Pete Ringold wendet sich erstaunt um, und öffnet schon den Mund, um dem Rufer zu sagen, dass nichts auf dieser Welt die planmäßige Abfahrt der Postkutsche verhindern könne, es sei denn, ein Blitz würde die Kutsche zerschlagen. Doch er sagt es nicht.
Nein, er blickt nur dem Mann entgegen, der nun durch den Staub der Fahrbahn geschritten kommt.
Denn es ist kein gewöhnlicher Mann!
Pete Ringold kennt ihn wie jeder Mensch ihn kennt, der länger als nur wenige Stunden in Dodge City weilte.
Es ist niemand anderer als Mr. Wyatt Barry Stapp Earp, der Erste Deputy von Dodge City ...

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Seitenzahl: 161

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Die Tombstone- Legende

Vorschau

Impressum

Die Tombstone-Legende

»Nicht abfahren! Noch nicht! Die Kutsche bleibt hier noch eine Weile stehen!«

Pete Ringold wendet sich erstaunt um, und öffnet schon den Mund, um dem Rufer zu sagen, dass nichts auf dieser Welt die planmäßige Abfahrt der Postkutsche verhindern könne, es sei denn, ein Blitz würde die Kutsche zerschlagen. Doch er sagt es nicht.

Nein, er blickt nur dem Mann entgegen, der nun durch den Staub der Fahrbahn geschritten kommt.

Denn es ist kein gewöhnlicher Mann!

Pete Ringold kennt ihn wie jeder Mensch ihn kennt, der länger als nur wenige Stunden in Dodge City weilte.

Es ist niemand anderer als Mr. Wyatt Barry Stapp Earp, der Erste Deputy von Dodge City ...

Earp wirkt sehr groß und robust, und die Enden eines sichelförmigen Bartes hängen neben den Winkeln seines kantigen Kinns nieder. Er hat ein ziemlich langes und tiefbraunes Gesicht, doch der Hut wirkt zu klein auf seinem Kopf. Und er hat sehr große, abstehende Ohren, lang und fleischig. Seine Augen sind grau, und sein Haar ist dunkel.

Er trägt einen Prince-Albert-Rock und raucht an einer kalten Zigarre.

Man sieht nicht, dass er eine Waffe trägt, doch Pete Ringold weiß wie alle anderen Menschen in Dodge City, dass er wie ein Zauberkünstler eine Waffe hervorzaubern kann, so als würde er sie aus der Luft greifen.

Der Postagent kommt vom Gehsteig her hinten neben der Postkutsche zum Vorschein und ruft: »Mister Earp, warum halten Sie die Kutsche auf und verhindern eine pünktliche Abfahrt?«

Aber der Deputy Marshal beachtet ihn gar nicht. Er behält die beiden Fenster und den Schlag der Kutsche im Auge, strafft sich sichtlich entschlossen und ruft hart: »Tate Swift, Sie fahren nicht mit! Sie steigen aus und bleiben hier! Kommen Sie heraus! Sie wurden des Falschspiels angezeigt! Sie werden mit dem vermutlich durch Falschspiel erlangten Gewinn nicht die Stadt verlassen. Sie bleiben hier, bis ich ...«

Weiter kommt er nicht. Denn irgendwo weiter unterhalb der Front Street tönt das trockene Krachen eines Büffelgewehres. Es ist gewiss ein Sharpsgewehr. Und es ist auch gewiss, dass der Schütze mit diesem Gewehr dem Deputy Marshal den Kopf von den Schultern schießen wollte.

Dass er dieses Vorhaben nicht schafft, liegt an einem dieser Zufälle, die so oft kleinen und großen Dingen eine bestimmte Richtung geben. Ja, es ist sicherlich rein zufällig, dass Wyatt Earp im selben Moment eine Kopfbewegung macht, in dem der heimtückische Schütze auf seinen Kopf zielend abdrückt.

Es muss ein guter und sicherer Gewehrschütze sein, sonst hätte er nicht auf Wyatt Earps Kopf, sondern auf den viel größeren Körper gezielt.

Die Kugel reißt dem Deputy Marshal die kalt gerauchte Zigarre aus dem Mund und nimmt auch einige von seinen Schnurrbarthaaren mit.

Als das Gewehr kracht, zeigt sich auch Tate Swift im Fenster der Kutsche. Er zeigt nicht sehr viel von sich, nur seinen Colt, ein Stück Arm, ein Stück Schulter und ein Stück Kopf, alles zusammen nur so viel, wie ein Mann zeigen muss, wenn er aus einem Fenster schießen will.

Als er abzudrücken versucht, bekommt er es von dem Marshal. Wyatt Earp hat nämlich plötzlich einen Revolver in der Hand und trifft ihn einen Sekundenbruchteil später.

Dann wirbelt er herum, um sich vor dem Gewehrschützen in Sicherheit zu bringen, der inzwischen Zeit genug fand, eine neue Messingpatrone in sein Sharpsgewehr zu legen.

Doch aus Chalk Bessons Long Branch Saloon trat inzwischen ein großer, hagerer und nach der neuesten Mode gekleideter Mann, dem die so feine Kleidung viel zu weit ist, so, als hätte er durch eine Krankheit sehr viel an Gewicht verloren.

Dieser Mann beginnt plötzlich mit zwei Revolvern zu schießen, die er unter dem Prince-Albert-Rock aus den Schulterholstern zaubert. Indes er schießt, bewegt er sich vorwärts, und er schießt auf das Fenster eines Eckzimmers des Lonestar Trail Saloons.

Dort blitzt das Gewehr nochmals auf, doch dann fällt es auf die Straße nieder, und der getroffene Gewehrschütze legt sich mit dem Oberkörper weit über die Fensterbank. Es sieht fast so aus, als würde er seinem Gewehr folgen.

Und dann ist es still.

Auf der Front Street bewegt sich kein Mensch. Alles starrt noch. Nur der spitze und schrille Schrei einer Frau klingt durch die Stille.

Dann kommt der lange, dürre Mann, dem die Kleidung zu weit wurde, langsam heran. Pete Ringold kennt ihn. Jeder Mensch kennt ihn hier. Es ist Doktor John H. Holliday, der wohl zurzeit berüchtigtste Spieler und Revolverheld, der keine Freunde hat und der schon mehr als ein halbes Dutzend Städte fluchtartig verlassen musste, um dem Strick zu entgehen.

Er kommt ganz langsam und leicht schwankend herbei. Als er dicht vor dem Marshal steht, hält er ihm die Revolver mit den Griffen hin.

»Da sind sie«, sagt er. »Wenn Sie wollen, können Sie mich verhaften, Marshal. Denn ich habe Ihr Verbot übertreten, nicht wahr? Ich habe hier in der Stadt meine Waffen gebraucht und einen Mann erschossen.«

Er lächelt schief, und unter seinem blonden Schnurrbart erblickt man zwei rote, etwas aufgeworfene Lippen. Seine blaugrauen Augen glänzen fiebrig.

Plötzlich beugt er sich vor, bedeckt seine untere Gesichtshälfte und besonders den Mund mit dem Unterarm und beginnt böse zu husten. Es ist ein schlimmer Hustenanfall, der ihn durchschüttelt wie eine unsichtbare Riesenfaust.

Pete Ringold und die anderen stummen Zuschauer sehen es, und sie haben in diesem Moment für eine Sekunde lang Mitleid mit diesem kranken Menschen. Denn sie alle wissen, dass Doc Holliday, wie man ihn nennt, sehr schlimm lungenkrank ist und wahrscheinlich nur noch kurze Zeit zu leben hat.

Doch dann denken die Menschen, die soeben noch Mitleid verspürten, daran, dass dieser Mann dort ein übler Revolverheld ist, der viele Menschenleben auf dem Gewissen hat.

Und dann haben sie kein Mitleid mehr, ebenso wenig, wie sie es mit einem kranken Wolf hätten, der mit Blut befleckt ist und den sie fürchten müssen.

Sie beobachten nur interessiert, was Wyatt Earp jetzt tun wird.

Und sie hören ihn laut und knapp sagen: »Da Sie mein Leben retten mussten, Doc, handelten Sie in Notwehr. Sie sind deshalb unschuldig. Sie standen im Dienste des Gesetzes. Sie haben das Schießverbot nicht übertreten.«

Doc Holliday hat sich inzwischen von seinem Hustenanfall erholt. Er lächelt wieder unter seinem blonden Bart, und seine aufgeworfenen Lippen sind wie zwei dicke, rote Raupen.

Dann lässt er die beiden Revolver wie mithilfe eines Zauberkunststückes verschwinden, zieht seinen Prince-Albert-Rock zurecht, wendet sich um und geht in den Long Branch Saloon zurück, aus dem er gekommen ist.

Wyatt Earp aber nickt Pete Ringold zu und sagt: »Die Kutsche kann abfahren, wenn das Gepäck des Fahrgastes und dieser selbst ausgeladen sind.«

Er geht nach diesen Worten hinter die Kutsche, öffnet dort das Gepäckfach und nimmt den Koffer heraus. Er geht damit davon. Und nun erst laufen die Menschen herbei und umgeben die wartende Kutsche in einem dichten Kreis.

Der Postagent, aber auch Pete Ringold und sein Begleitmann fluchen. Sie heben den Toten heraus, und einer der beiden Handelsreisenden ruft empört: »Zustände sind das! Zustände ...«

»Wenn ich mich nicht irre, reisen Sie als Vertreter einer Waffen- und Munitionsfabrik«, sagt Mrs. Elsa Hopkins. »Warum regen Sie sich darüber auf, wenn einige Mannsbilder von den Mordinstrumenten Gebrauch machen, die Sie ihnen verkaufen? Um diesen Tate Swift ist es nicht schade – auch nicht um seinen Freund, den er dort im Eckzimmer des Lonestar Saloons postiert hatte. Sie wollten Wyatt Earp umbringen, nicht wahr? Doch sie schafften es nicht, weil Doc Holliday eine solch gute Gelegenheit, wieder einmal schießen zu können, nicht ungenutzt lassen konnte. Der Mann muss ganz einfach schießen. Jetzt konnte er es sogar ungestraft tun. Ich möchte fast darauf wetten, dass ihm jetzt die Idee gekommen ist, wie er es immer wieder tun kann.«

Sie verstummt mit einem Klang von bitterer Ironie, denn sie ist eine erfahrene Goldgräberin des Westens. Ihre Geschäfte sind weit verbreitet. Ihr Hutsalon hier in Dodge City ist nur ein Bluff.

Die Kutsche fährt nun an. Pete Ringolds Stimme treibt das Gespann an: »Braah! Heyaah! Braah! Hoiiyaa! Lauft, ihr Tanten, lauft nur gleichmäßig! Oder ich gebe es euch! Hoiiyaa!«

Die Kutsche saust aus der wilden Treibherdenstadt, vorbei an den Corrals und den vielen Herdencamps. Um Dodge City lagern zurzeit mehr als ein Dutzend Herden und warten auf die Verladung. Es hat Schwierigkeiten auf der Strecke der Kansas-Bahn gegeben. Die Leerzüge treffen in zu großen Abständen ein. Hunderttausend Rinder fressen rings um die Treibherdenstadt die letzten Grashalme ab, und ihre Herdenbosse zahlen hohe Preise für Weide und Wasser.

Wyatt Earp sorgt dafür, dass gezahlt wird. Und die Herden, die schon in den Verladecorrals auf die Verladung warten, zahlen besonders hoch für Wasser und Futter. Da die Züge um Tage verspätet eintreffen und die Rinder nicht ungetränkt und ungefüttert auf die tagelange Reise gehen dürfen – denn darauf achten die Viehaufkäufer der Fleischfabriken –‍, wird hier viel Geld verdient.

Pete Ringold hat nicht viel Freude an dieser Fahrt. Er ist ungewollt zu sehr mit dem Geschehen beschäftigt, das die Abfahrt verzögerte. Er muss zu sehr an diesen Wyatt Earp denken, an diesen kalten und unversöhnlich wirkenden Mann, dem ein anderer Mann fast den Kopf von den Schultern geschossen hätte.

Sein Begleitmann neben ihm regt sich, holt das Gewehr aus dem Holster und legt es quer über seine Knie. Dann beißt er sich ein Stück Kautabak ab und steckt es in den Mund.

Nachdem er schließlich einmal ausgespuckt hat, was er von nun an jede Meile mit ziemlicher Regelmäßigkeit tun wird, sagt er trocken zu Pete Ringold: »Das kann Wyatt Earp in dieser Stadt das Genick brechen. Er hat jetzt vielleicht einen Fehler gemacht – seinen letzten.«

»Was redest du, Buck?«, fragt Pete Ringold. »Spielst du darauf an, dass Wyatt Earp stiller Teilhaber an einigen Saloons und Geschäften sein soll? Meinst du, er habe Tate Swift nur deshalb nicht mit dem gewonnenen Geld abreisen lassen, weil das Geld in einem Saloon gewonnen wurde, an dem Wyatt Earp beteiligt ist?«

»Warum nicht, Pete?«, fragt der Beifahrer zurück. »Jeder weiß, dass Tate Swift gestern im Long Branch Saloon das ganze Bargeld gewonnen hat, das dort aufzutreiben war. Und heute wollte er damit fort. Die Jungs im Saloon hätten also keine Gelegenheit mehr gehabt, es von Tate Swift zu zurückgewinnen. Und alle Spieler, die dort einen festen Tisch haben, zahlen ein Drittel ihres Gewinns an den Saloon. Pete, nicht nur ich denke, dass man Tate Swift nicht mit dem Geld aus der Stadt lassen wollte. Und so hat man einfach gegen ihn eine Anzeige wegen Falschspiels erstattet. Und dann ist Wyatt Earp gekommen.«

»Was sollte er denn tun?«, fragt Pete Ringold zurück, indes er mit einer Hand das Gespann dirigiert wie ein Puppenspieler an den Fäden seine Puppen. »Er musste Tate Swift erst einmal daran hindern, die Stadt zu verlassen. Swift hätte nicht schießen sollen, und jener andere Mann, der mit dem Gewehr aus dem Fenster schoss, war doch ganz offensichtlich dort postiert worden, um Tate Swift beizustehen.«

»Das mag ja alles sein«, murmelt Buck und spuckt wieder von der Kutsche. »Es mag sein, dass der Marshal nur seine Pflicht getan hat. Doch es gibt eine Menge Gerüchte. Einige Leute haben gestern noch darauf gewettet, dass Tate Swift mit seinem Geld aus der Stadt kommen wird. Und sie haben die Wette verloren.«

»Ach, was habe ich damit zu tun!«, sagt Pete Ringold.

Und damit hat er nicht einmal unrecht. Doch er weiß noch nicht, dass einmal der Tag kommen wird, wo er mit Wyatt Earp sehr viel zu tun bekommt.

Im Cochise County. In Tombstone!

Als Wyatt Earp aus der Kutsche steigt, mit der nicht sehr großen Reisetasche in der Linken, da weiß er ganz genau, in was für eine Stadt er kommt. Es ist eine Stadt voller menschlicher Sünden, voller Lebensgier, voller Leidenschaften, und die mehr als viertausend Menschen hier gehören zu allen Sorten, die es gibt. Sie sind voller Hoffnung und gleichen alle irgendwie Spielern, die sich in ein Spiel einkaufen, all ihre Chips setzen und daran glauben, dieses Spiel gewinnen zu können.

Es ist eine wilde und gewalttätige Stadt, das kann Wyatt Earp wittern wie ein Wolf den Köder einer Stahlfalle.

Es ist eine helle Stadt, voller Licht. Überall brennen die Laternen, und der Reichtum des Silbers hat schon überall seine Zeichen gesetzt.

Wyatt Earp schlendert mit seiner Reisetasche in der Hand die Allen Street nach Westen entlang. Er überquert die Third Street und folgt der Allen Street bis über die Second Street hinaus.

Dann macht er kehrt und wandert zurück. Unterwegs muss er immer wieder Männerrudeln ausweichen, die von einem Lokal zum anderen schwärmen. Es sind zumeist Bergleute aus den Silberminen, doch es sind auch Cowboys da. Die Haltestangen sind voller Sattelpferde, und Fuhrwerke jeder Art sind überall abgestellt.

Anreißer und Kundenfänger preisen die Vorzüge ihres Lokals an. An einer Ecke arbeitet ein Feuerschlucker. Überall in den Hauslücken sind kleine Bratstände, an denen man stehend einen Imbiss zu sich nehmen kann.

Und aus allen Lokalen dringt Lärm. Die ganze Stadt gleicht einem riesigen Bienenhaus, in dem es summt und braust. Es ist ein Brausen, das sich aus einer Unsumme von Geräuschen zusammensetzt.

Wyatt Earp kennt das. So war Dodge City damals, als er im Jahre 1876 dort sein Amt antrat.

Wyatt Earp liest die Namen der Lokale auf beiden Seiten der Allen Street Namen, die später noch berühmt sein werden.

Da ist die Hudson Bar, gleich daneben Key Wests Zigarrengeschäft. Das Can-Can-Restaurant schließt sich an. Und ein Stück weiter schon der erste Saloon. Hafford's Saloon, hinter dem nach Osten zu die lange Front von Campbell's & Hatch's Spielhallen von vielen Lichtern beleuchtet wird.

Wyatt Earp geht bis zur Sixth Street zurück, durch die er mit der Postkutsche von Norden her die Watervale-Steigung hinauf auf die Goose Flats gekommen ist. Sie haben die Toughnut Street überquert und sind in die Allen Street nach Westen eingebogen.

Wyatt Earp hat die Straßen dieser Stadt nun schon fast alle gesehen, jedenfalls die wichtigsten, die in dieser Geschichte noch eine Rolle spielen werden.

Er sieht auf der Allen Street auch den Crystal Palace, den Oriental Saloon, das Cosmopolitan Hotel und natürlich auch das Vogelkäfig-Theater.

Und überall sieht er Bewegung, Trubel, hektisches Leben. Und überall wird gelärmt, gestritten, getobt und sind alle Leidenschaften losgelassen.

Das ist Tombstone, die Silberstadt! Sie entstand sozusagen über Nacht, als der alte Schieffelin in seiner Lucky-Cuss-Mine Silber fand, so viel Silber, dass eine Tonne Erz mehr als fünfzehntausend Dollar in Rohsilber bringt.

Da kamen sie alle: die Glücksritter, die Banditen, die Geier und Wölfe der menschlichen Rasse, und es kamen die Redlichen, die Hoffnungsvollen, die Guten.

Und nun leben sie zusammen in diesem modernen Sodom.

Wyatt Earp wendet nicht einmal den Kopf, als nicht weit von ihm einige Schüsse krachen und ein schriller Schrei ertönt. Er geht weiter und fragt sich, ob er jetzt gleich seinen Bruder Virgil aufsuchen soll und wo er diesen finden könnte.

Doch noch bevor er sich entschließen kann, nimmt ihm der Zufall die Entscheidung ab. Vielleicht ist es gar kein Zufall, sondern die Fügung des Schicksals.

Er braucht nach seinem jüngeren Bruder Virgil nämlich gar nicht zu suchen. Er vernimmt eine gellende Stimme, die über die Straße ruft: »Hooiii, Silver Star! Hoiii! Kommt, ihr Jungs von der Silver-Star-Mine! Der Marshal will unseren Charly einsperren! Helft mir, Jungs, unseren guten Charly zu befreien! Was machen wir ohne Charly!«

Die gellend brüllende Stimme bekommt aus verschiedenen Richtungen Antwort. Es sind schrille Schreie.

Wyatt Earp hält an, wendet sich um und sieht sich die Sache mit ruhigem Sachverständnis an, denn schließlich ist er ja ein Experte in solchen Dingen. Er hat seinen jüngeren Bruder Virgil auch längere Zeit nicht gesehen und ist neugierig, wie der Junge sich gemacht hat und was er als Marshal von Tombstone zu leisten vermag.

Der Mann, der den gellenden Hilferuf ertönen ließ, der zum Kampf gegen den Marshal aufforderte, steht am Rand des Gehsteigs und wartet auf seine von allen Seiten herbeieilenden Freunde.

Dabei blickt er auf die Schwingtür eines der kleinen Saloons, die es überall neben den großen Unternehmen gibt. Er blickt auf die Pendeltür mit der Angespanntheit eines Menschen, der auf etwas wartet, was vielleicht wie ein Schwarzer Peter aus dem Kasten springen könnte und ihm mitten ins Gesicht.

Und Wyatt Earp weiß, dass sein Bruder Virgil der Schwarze Peter und der kleine Saloon dort der Kasten ist.

Dann taucht Virgil auch schon auf. Er ist nicht allein, sondern trägt einen leblosen Mann wie einen schlaffen Sack über der linken Schulter. Er will damit zu einem der Sattelpferde treten, die überall angebunden sind. Gewiss will er eines der Tiere zum Transport benutzen, und er hat als Town Marshal laut Stadtgesetz das Recht dazu, sich aller Hilfsmittel zu bedienen.

Er legt den Bewusstlosen quer über den Sattel eines Pferdes, bindet das Tier los und setzt sich damit in Bewegung. Er tut alles mit ruhigen, sicheren und selbstverständlichen Bewegungen, so als hätte er es schon oft genug gemacht und als wäre nichts dabei.

Wyatt Earp schnalzt anerkennend mit den Lippen, als er Virgil so sieht.

Der Kleine hat sich gemacht, denkt er, und es ist nicht wortwörtlich gemeint, denn der »Kleine« ist immerhin auch gut sechs Fuß groß und wiegt um die zweihundert Pfund. Alle Earps, also Wyatt, Virgil und auch Morgan, haben eine ähnliche Statur und sind fast von gleicher Größe.

Der »Kleine« ist also ein schwergewichtiger Mann, der allein und ohne jede Hilfe einen Bewusstlosen über ein Pferd legen kann. Doch er ist nun einmal der jüngste Earp und deshalb der »Kleine«. Wyatt denkt einen Moment daran, dass Virgil jetzt fünfundzwanzig sein muss.

Die Meute hat sich indes gesammelt. Es sind Bergleute von der Silver-Star-Mine, und der Bursche, der so laut gebrüllt hat, führt sie an. Es ist ein kleiner, drahtiger und rauflustiger Ire mit roten Haaren und tausend Sommersprossen.

Nun versperrt er mit seinen Kameraden dem Marshal den Weg und sagt schrill: »Das geht nicht, Marshal! Es ist unser Koch! Wir lassen uns nicht den Koch einsperren! Was ist eine Mannschaft ohne einen guten Koch? Geben Sie uns Charly heraus, Sir! Das ist die einfachste Lösung!«

Virgil Earp hält an. Er hält die Zügel des Pferdes in der Linken. Ruhig, groß und breit steht er da und lauscht auf die Worte. Auch er trägt den buschigen Schnurrbart der Earps, nur ist dieser Bart dunkelblond. Sein Gesicht ist rund, gesund, mit roten Wangen. Er erinnert an einen kraftstrotzenden Bullen, der jetzt angehalten hat, um den Kopf zu senken und gleich loszustürmen, denn er kann der Forderung nicht nachgeben – jetzt nicht mehr! Um des Prestiges willen muss er zu Ende bringen, was er begann. Wenn er diesem Rudel nachgibt, so wird sich das in dieser wilden Stadt herumsprechen. Und dann ist er gleich zu Beginn seiner Laufbahn als Marshal hier erledigt.

Und so sagt er fest und ruhig: »Platz da! Euer Pfannenschwenker hat den Stadtfrieden gebrochen. Er hat Schaden angerichtet und wollte den Saloonbesitzer erschießen. Er ist verhaftet! Für die nächsten drei Wochen braucht ihr einen anderen Koch! Platz da!«

Er setzt sich wieder in Bewegung. Und er zieht nicht einmal die Waffe. Er versucht, kraft seiner Persönlichkeit zu beeindrucken, ganz allein durch seine ruhige Zuversicht.

Wyatt Earp begreift es. Und dennoch ist es falsch, weil sein Name noch nicht groß genug ist. Er ist nicht Wyatt Earp – nur Virgil! Er muss sich erst noch einen Namen machen, bevor er mitten durch die wilde Meute eines Pöbels schreiten kann.

Sie fallen über ihn her.