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Auf Chip Fishers Stirn stehen Schweißtropfen. Die Gerichtsverhandlung drüben im Stadthaus muss bald zu Ende sein. Es wird gegen Wild Jack Fisher und dessen Bande verhandelt, die vor einigen Wochen, allesamt verwundet, von einem starken Sheriffaufgebot festgenommen wurden. Man hat gewartet, bis sie wieder einigermaßen gesund sind. Man gab ihnen sogar die Chance, sich gute Anwälte zu besorgen und sich von ihnen verteidigen zu lassen. Doch sie verzichteten darauf. Und nun wird sicherlich gleich der Spruch über sie gefällt werden. Über Wild Jack Fisher, über Alamo Fisher, über Sego Haynes und über Hondo Lee. Chip Fisher blickt auf sein Pferd, und er spürt die immer mächtiger werdende Versuchung, in den Sattel zu springen und fortzureiten. Jetzt schon, bevor der Schmied, der sein Arbeitgeber und väterlicher Freund ist, ihm sagt, wie das Urteil ausgefallen ist. Chip Fisher verspürt Furcht, und sein Gesicht glänzt nun vor Schweiß. Er ist noch ein junger Mann. Morgen wird er zweiundzwanzig Jahre alt. Und heute werden sie seinen Vater zum Tode verurteilen ...
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Seitenzahl: 165
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Bitteres Erbe
Vorschau
Impressum
Bitteres Erbe
Auf Chip Fishers Stirn stehen Schweißtropfen.
Die Gerichtsverhandlung drüben im Stadthaus muss bald zu Ende sein.
Es wird gegen Wild Jack Fisher und dessen Bande verhandelt, die vor einigen Wochen, allesamt verwundet, von einem starken Sheriffaufgebot festgenommen wurden. Man hat gewartet, bis sie wieder einigermaßen gesund sind. Man gab ihnen sogar die Chance, sich gute Anwälte zu besorgen und sich von ihnen verteidigen zu lassen. Doch sie verzichteten darauf.
Und nun wird sicherlich gleich der Spruch über sie gefällt werden. Über Wild Jack Fisher, über Alamo Fisher, über Sego Haynes und über Hondo Lee.
Chip Fisher blickt auf sein Pferd, und er spürt die immer mächtiger werdende Versuchung, in den Sattel zu springen und fortzureiten. Jetzt schon, bevor der Schmied, der sein Arbeitgeber und väterlicher Freund ist, ihm sagt, wie das Urteil ausgefallen ist. Chip Fisher verspürt Furcht, und sein Gesicht glänzt nun vor Schweiß. Er ist noch ein junger Mann. Morgen wird er zweiundzwanzig Jahre alt.
Und heute werden sie seinen Vater zum Tode verurteilen ...
Vielleicht werden sein Bruder Alamo und Hondo Lee noch einmal mit dem Leben davonkommen, doch man wird sie gewiss zu vielen Jahren Zwangsarbeit verurteilen, und diese Strafe wird für sie schlimmer sein als der Tod.
Chip Fisher erhebt sich. Er kann nicht mehr geduldig warten. Er geht nun im Hof unruhig hin und her. Er ist etwas über mittelgroß, gut proportioniert und bewegt sich sehr leicht.
Man sieht ihm die hundertachtzig Pfund Gewicht nicht an, aber man ahnt seinen starken Körper, obwohl man durch die hagere Hohlwangigkeit seines Gesichts zuerst getäuscht wird.
Er hat lange und kräftige Arme. Seine Ärmel sind bis zu den Ellbogen aufgekrempelt, und so sieht man gut seine breiten Handgelenke und die ziemlich langen und schmalen Hände, die sehr viel Kraft und die Fähigkeit zum blitzschnellen und unwahrscheinlich kräftigen Zupacken verraten.
Er bleibt bei seinem Pferd stehen und lauscht in Richtung der Stadt. Die Unruhe ist nun wie ein wildes Feuer in ihm. Einmal denkt er kurz daran, selbst zum Stadthaus zu gehen und dem Ende der Gerichtsverhandlung beizuwohnen.
Doch er verwirft den Gedanken schnell.
Er hat mit Vater und Bruder längst gebrochen. Er weiß auch, dass das Urteil ganz gleich, wie es ausfallen mag – gerecht sein wird. Die Fisher-Bande hat sehr viel mehr auf dem Gewissen, als man ihr nachweisen konnte.
Chip Fisher könnte dem Vater und dem Bruder nicht helfen.
Nein, er möchte nicht dabei sein, wie sie nun bezahlen, weil eines Tages immer bezahlt werden muss – für alles! Weil alles seinen Preis hat und weil niemand davonkommen kann, ganz gleich, um was es geht.
Dies hat Chip schon in sehr jungen Jahren begriffen, und vielleicht verdankt er dies dem Einfluss seiner Mutter.
Plötzlich zuckt er heftig zusammen. Von der Stadt her brodelt ein wilder Lärm auf. Ja, nun wurde wohl das Urteil verkündet. Nun strömen die Menschen aus dem Gerichtshaus ins Freie. Nun verkünden sie allen Leuten, die drinnen keinen Platz mehr fanden, wie es war. Sie bilden Gruppen und größere Versammlungen auf der Straße. Und die Saloons füllen sich. Man wird trinken und diskutieren.
Chip wandert wieder im Hof umher. Einige Reiter reiten draußen auf der Straße vorbei, jagen hinaus auf die Prärie und irgendwelchen Zielen zu, um Nachricht zu bringen über den Ausgang der Gerichtsverhandlung.
Der Schmied Owen Milland nähert sich schnell. Sein Gesicht ist von der Hitze, die im Gerichtssaal war, noch gerötet. Er kommt in den Hof, tritt zum Brunnen, schöpft sich Wasser heraus und trinkt aus der hölzernen Kelle.
Dann wendet er sich Chip zu, der näher getreten ist und nun geduldig wartet – äußerlich geduldig, innerlich jedoch zittert er, und er spürt all die Bitterkeit und den Schmerz und die Resignation eines Mannes, der weiß, dass er die Dinge nicht ändern kann.
Der Schmied betrachtet ihn ernst. »Es war ja zu erwarten, Chip, nicht wahr?«, konstatiert er milde. »Es war ja zu erwarten, Junge, dass sie für Wild Jack Fisher keine Gnade kennen würden. Und er wollte auch keine Gnade. Er hat es ruhig und gefasst hingenommen. Sie richten ihn morgen bei Sonnenaufgang.«
Er macht eine Pause, wischt sich über das Gesicht und nimmt seinen Blick nicht von Chip.
»Dein Bruder Alamo kam mit fünfzehn Jahren Zwangsarbeit davon. Und Sego Haynes und Hondo Lee bekamen je zwanzig Jahre. Das ist es, Junge! Sie wurden verurteilt, und damit sollte alles vorbei sein.« Wieder macht er eine Pause. Dann deutet er auf das Pferd und murmelt: »Ich hätte dich gern hier bei mir behalten, Chip. Du weißt, ich habe keine Familie, keine Verwandten. Ich hätte dir eines Tages die Schmiede übergeben. Aber es geht nicht. Sie hängen morgen deinen Vater. Und du bist sein Sohn. Du siehst ihm ähnlich, wie ein Sohn dem Vater nur ähnlich sehen kann. In zwanzig Jahren wirst du sein vollkommenes Ebenbild sein. Du wirst die Leute in diesem County immer daran erinnern, wie sie deinen Vater fürchteten, wie ...«
Er bricht ab.
»Du weißt schon«, murmelt er. »Du wirst hier nicht leben können. Sie wissen zwar alle, dass du anders bist, als Jack und Alamo Fisher es waren. Sie wissen alle, dass deine Mutter dich erzog und dass du dann zu mir in die Lehre kamst und ich dein Vormund wurde, als deine Mutter starb. Sie wissen, dass du anders bist. Und doch wird immer etwas zwischen ihnen und dir stehen.«
»Schon gut, Mister Milland«, sagt Chip. »Das alles war mir vorher schon klar. Ich weiß, dass ich weit reiten muss, sehr weit. Und ich wollte nur hören ...«
Er bricht ab, und seine Handbewegung ist etwas hilflos.
»Ja, viele dieser Menschen werden sich in Zukunft vor mir fürchten, besonders jene Bürger, die der Jury angehörten. Nun gut, ich reite. Vielen Dank für alles, Mister Milland. Sie waren gut zu mir. Ich verdanke Ihnen viel. Meinen Lohn habe ich ja schon. Also ...«
Er reicht ihm etwas zögernd die Hand.
Owen Milland nimmt sie und drückt sie fest.
»Viel Glück, Chip«, sagt er. »Und schreib mir. Ich möchte wissen, wo ich dich finden kann. Eines Tages wirst du mein Erbe sein. Und wenn du Geld nötig hast, um damit etwas aufzubauen, eine Schmiede, eine Ranch, ein Geschäft oder eine Frachtlinie, so schreibe mir. Ich werde dir dann einen Teil deines Erbes schicken. Ich bin nicht arm. Ich habe mein ganzes Leben lang gut verdient und war sparsam.«
»Danke«, sagt Chip, wendet sich ab und geht zu seinem Pferd. Er ist nun von Owen Milland sehr beeindruckt. Denn der sonst so harte und wortkarge Mann hat ihn nicht oft fühlen lassen, dass er ihn gernhat.
Als Chip in den Sattel steigt, tritt Milland noch einmal näher.
»Verwisch deine Spur, Chip«, sagt er. »Und schreibe mir nicht unter deinem Namen. Es wird genug Burschen geben, die hinter dir her sind, weil sie glauben, dass dein Vater dir eine Kiste voll Gold, Wertsachen und Geld hinterlassen hat, die Ausbeute seines wilden Banditenlebens.«
»Sicher«, sagt Chip. Dann reitet er davon.
✰
Es ist später Nachmittag. Die Sonne steht schon sehr tief im Westen und wirft flammendes Rot gen Himmel, als Chip in den Schatten eines Canyons reitet.
Er kommt jedoch nicht weit. Schon bei der ersten Felsengruppe trifft er auf zwei Männer, die er kennt.
Es sind Vance Nickum und Dick Gallatin. Sie stehen vor ihren Pferden und versperren Chip den Weg. Sie sind älter als Chip. Dick Gallatin ist sogar schon über dreißig Jahre, und er ist ein bulliger, harter und sehr starker Mann, ein Muskelmann, der stets mürrisch und gereizt wirkt. Vance Nickum ist einer von diesen schlanken, dunklen und geschmeidigen Burschen. Die beiden besitzen in den Concho-Hügeln eine sehr kümmerliche Ranch. Sie gelten als Raufbolde, und so mancher Rancher wartet nur darauf, dass er ihnen einen Viehdiebstahl nachweisen kann.
Chip hält an und betrachtet sie.
Ihr Lächeln ist von jener Freundlichkeit, der man sofort ansieht, dass sie unwahr und scheinheilig ist.
»Steig nur ab, Chip«, sagt Vance Nickum. »Dort drüben ist eine Quelle im Felsen. Wir wollten gerade hier ein Camp aufschlagen, als wir dich kommen hörten.«
Chip betrachtet sie, und er spürt keine gute Ahnung in sich. Er sah diese Männer kurz nach der Gerichtsverhandlung aus dem Ort reiten, als er noch auf dem Hof der Schmiede wartete. Er wird sich darüber klar, dass sie hier auf ihn gewartet haben.
Es war ja in der Stadt bekannt, dass er fortreiten wollte. Sie konnten sich mühelos ausrechnen, dass er nach Norden reiten und diese Abkürzung wählen würde.
Doch als sie aus der Stadt ritten, waren sie zu dritt.
Als Chip sich daran erinnert, wendet er leicht den Kopf. Und da sieht er den dritten Mann.
Es ist der blonde Hal Donbill, der nicht älter ist als Chip. Hal Donbill hätte es gar nicht nötig, mit solchen Burschen wie Nickum und Gallatin zu reiten, denn Hal Donbills Vater ist einer der größten Rancher im Land. Doch er hält seinen jüngsten Sohn etwas kurz, und da er jetzt auch noch in die Politik eingestiegen ist und überall seine Wahlreden halten muss, ist Hal Donbill völlig ohne väterliche Aufsicht. Er ist ein Bursche, der zwei Colts im Kreuzgurt trägt und sich ganz das Gehabe eines gefährlichen und schnellen Revolvermannes gibt.
Auch jetzt wieder spielt er diese Rolle. Er steht breitbeinig da, ganz in schwarzer Weidekleidung. Und seine Hände hängen griffbereit hinter den hellen Beingriffen seiner Revolver.
»Chip, steig vom Pferd, wir wollen mit dir reden«, sagt er gewollt lässig und kühl. Er öffnet dabei kaum den Mund, sondern nur etwas einen Mundwinkel.
Chip hat ihn schon immer für einen Bluffer gehalten. Aber auch ein Bluffer kann gefährlich sein, wenn die Sache so steht wie hier.
»Ja, steig nur ab«, sagt auch Dick Gallatin. »Wir geben zu, dass wir hier auf dich gewartet haben. Doch wir sind vielleicht einigen anderen Burschen nur zuvorgekommen, die sicherlich bald deiner Fährte folgen werden. Chip, wir wollen deine Freunde sein, richtige Freunde und Partner, die alles Glück und alles Leid mit dir teilen möchten. Steig nur ab, mein Junge! Wir werden uns beim Abendbrot über unsere Partnerschaft unterhalten. Wir haben dir einige gute Vorschläge zu unterbreiten.«
Chip Fisher zögert, und in ihm wächst zu seiner Bitterkeit und Traurigkeit nun ein grimmiger Zorn. Er blickt einen Moment auf den Gewehrkolben, der vor seinem Knie aus dem Sattelfutteral ragt. In seinen Händen ist ein Impuls, der ihn dazu zwingen will, nach der Waffe zu greifen, um sich durch einen Kampf diesem Zwang zu entziehen, den diese drei Burschen ihm auferlegen wollen.
Hinter ihm sagt Hal Donbill in seiner so offensichtlich gewollt lässigen Sprechweise: »Wenn du nach dem Gewehr greifen solltest, dann schieße ich dir den Kopf ab.«
Wieder blickt ihn Chip über die Schulter hinweg an, und er kann erkennen, wie Hal Donbill diese Situation genießt und sich ganz als ein besonders harter, kaltschnäuziger und gefährlicher Bursche fühlt.
Du lieber Himmel, denkt Chip. Jetzt bin ich zwei Strolchen und einem verteufelten Narren in die Hände gefallen. Die Sache wird kein gutes Ende nehmen. Jetzt bekomme ich wieder einmal zu spüren, dass mein Vater und mein Bruder Banditen sind, die eine solche Menge geraubt und gestohlen haben, dass noch nicht einmal ein Dummkopf daran glauben kann, es wäre alles fort und nicht irgendwo als gesammelter Schatz vorhanden.
Chip seufzt. Dann sitzt er ab. Er tritt zur Seite und lehnt sich an einen Felsen und sieht zu, wie die Männer das Camp bereiten, ein Feuer anmachen und den Wasserkessel über die Glut hängen.
Erst dann sagt Vance Nickum zu ihm: »Warum sattelst du dein Pferd nicht ab? Wir bleiben hier bis Tagesanbruch. Also los, mach es dir bequem. Du wirst hier, wenn du nur willst, ganz unter Freunden sein.«
Als er verstummt, drehen sich Dick Gallatin und Hal Donbill um und starren Chip an. Chip aber blickt auf das Gewehr, welches immer noch im Sattelfutteral steckt.
Er nickt, tritt vor und löst den Sattelgurt. Er nimmt Sattel und Bündel mit einem Ruck herunter. Sein Handgelenk berührt das glatte Holz des Gewehrkolbens. Doch ein rascher Blick sagt ihm, dass es sein Tod wäre, wenn er die Waffe in die Hand nähme. Hal Donbill hält nämlich seinen rechten Revolver schussbereit in der Hand.
»Ich glaube, ich nehme dir doch lieber das Gewehr weg«, sagt Hal und kommt näher. Chip lässt es bewegungslos geschehen, dass Hal ihm das Gewehr aus dem Sattelfutteral zieht.
Dann bringt er Sattel, Decken und Bündel in der Nähe des Feuers zu einem Felsen und legt alles nieder. Er hockt sich auf den Sattel und wartet.
Und er muss eine ganze Weile warten.
Denn das Trio bereitet erst das Abendbrot. Auch er bekommt einen Becher mit Kaffee, einige Pfannkuchen und eine Scheibe gebratenen Speck.
Doch dann hält Dick Gallatin es nicht mehr aus und sagt: »Chip, du kennst mich, nicht wahr? Ich bin Richard Abraham Gallatin, und ich bin der stärkste Mann im Land. Bisher hatte ich ständig Pech in diesem Leben. Doch das ändert sich heute. Denn ich bin jetzt dein Freund und werde zu dir halten. Dafür teilst du das Erbe deines Vaters mit mir. Und weil Vance Nickum und Hal Donbill ebenfalls deine guten Freunde sein wollen, wirst du auch mit ihnen teilen. Wir wissen, dass dein Vater bestimmt einen Weg gefunden haben wird, dir das Versteck des Schatzes zu verraten. Du bist unterwegs, um ihn zu holen und damit zu verschwinden. Gut, das würden wir an deiner Stelle ebenfalls so machen. Doch du brauchst gute Freunde und Hilfe. Hinter dir sind gewiss bald einige Burschen her, die ...«
»Ich bin nicht unterwegs, um einen Schatz zu heben«, unterbricht ihn Chip. »Mein Vater hat mir keinerlei Nachricht zugehen lassen. Ich reite aus dem Land, weil ich die Menschen hier doch immer nur daran erinnern würde, dass mein Vater ein Bandit war, den sie aufgeknüpft haben. Ich weiß nichts von einem versteckten Banditenschatz. Und wenn ich etwas wüsste, so wäre es vollkommen klar, dass mir dieser Schatz nicht gehört und ich ihn den Behörden übergeben müsste, damit alle Geschädigten und Beraubten ihr Eigentum wieder zurückbekommen könnten. So ist das. Und nun lasst mich weiter.«
Er erhebt sich und will dann Sattel und Gepäck wieder aufheben.
Die drei Männer erheben sich nun ebenfalls.
Und Hal Donbill sagt schrill: »Seht ihr? Er ist eigensinnig und unfreundlich. Wir müssen ihm erst richtig beibringen, dass wir harte Burschen sind, deren Freundschaft wertvoll ist!«
Dick Gallatin sagt gar nichts. Er knurrt nur und springt auf Chip los. Chip empfängt ihn mit einem Aufwärtshaken, der den bulligen und schwergewichtigen Mann rückwärts über das Feuer taumeln lässt.
Vance Nickum und Hal Donbill springen Chip von zwei Seiten her an. Er hat mit ihnen einige Mühe, doch er wäre mit ihnen vielleicht zurechtgekommen, denn er ist stark, schnell und besitzt jenen natürlichen Instinkt eines Kämpfers, der stets richtig reagiert, ohne nachdenken zu müssen, was wohl im Moment gerade richtig ist.
Und doch hat er keine Chance. Dick Gallatin kommt den beiden Kumpanen nun wieder zu Hilfe. Und Gallatin hat nicht übertrieben, als er behauptete, der stärkste Mann im Land zu sein. Was Körperkraft betrifft, so ist das gewiss nicht übertrieben.
Er kann einen Schlag anbringen, der Chip mächtig trifft und gegen einen Felsen prallen lässt. Chip wirft sich zur Seite. Doch Vance Nickum und Hal Donbill klammern ihn nun fest. Sie halten ihn. Und Dick Gallatin trifft ihn ein halbes Dutzend Mal schlimm.
Dann spürt Chip für eine Weile nichts mehr.
✰
Als er zur Besinnung kommt, ist seine Not groß, denn Dick Gallatins Fäuste trafen wie Maultierhufe. Sie haben ihn unbarmherzig bearbeitet, um ihm zu beweisen, wie sie es hart mit ihm machen werden, wenn er nicht gefügig ist.
Die Schmerzen in seinem Leib sind so schlimm, dass er stöhnen muss. Wenn er atmet, schmerzen die Rippen.
»Er ist wieder wach«, sagt eine Stimme.
»Gieß ihm noch was ins Gesicht«, sagt die knurrige Stimme Dick Gallatins.
Sofort kommt ein Wasserguss. Chip wird nun richtig wach. Er liegt neben dem Feuer am Boden und sieht die drei Burschen über sich. Sie blicken auf ihn nieder.
Du lieber Himmel, denkt er bitter und spürt dabei die Schmerzen überall, warum bin ich diesen drei Strolchen in die Hände gefallen? Ich werde sie nicht davon überzeugen können, dass ich nichts von einem Banditenschatz weiß und dass es vielleicht gar keinen gibt.
Als er dies gedacht hat und seine Schmerzen etwas erträglicher geworden sind, wird er von Dick Gallatin auf die Beine gezerrt.
»Nun, Chip«, sagt Gallatin schwer, »jetzt ist dir doch wohl endlich klar, dass wir nicht bluffen, sondern mächtig rau werden können. Also, willst du uns an deinem Schatz teilhaben lassen? Oder willst du, dass wir dich vollkommen zerbrechen?«
Chip Fisher braucht nicht lange nachzudenken, um zu erkennen, was besser für ihn ist. Es ist ja klar, dass sie ihn noch schlimmer verprügeln würden, wenn er sich jetzt weigerte. Und so sagt er gepresst: »Nun gut, ihr habt gewonnen.«
Dick Gallatin lässt ihn los und tritt zurück.
»Ist es weit von hier?«, fragt er.
»Drei Tagesritte«, sagt Chip. »Am Fuße der großen Mesa. Ihr würdet es ohne mich nicht finden. Es gibt keine Skizze. Vor Jahren als Junge war ich mal dort. Es ist eine Höhle. Doch bevor ich euch hinführe, will ich mein Gewehr zurückhaben. Wenn ihr mir meine Waffe nicht zurückgebt, dann ist das für mich ein Zeichen, dass ihr mich töten wollt, wenn ich euch ans Ziel geführt habe.«
Sie starren ihn an, lange und misstrauisch. Doch sie fühlen sich ihm mit der Waffe überlegen. Sie sind alle schnelle und sichere Revolverschützen. Er aber trug nie einen Revolver. Und er kann ihnen mit einem Gewehr ihrer Meinung nach nicht gefährlich werden.
»Nun gut«, sagt Dick Gallatin langsam und widerwillig. Er nickt Hal Donbill zu.
»Gib ihm sein Gewehr zurück, Hal. Er ist kein Dummkopf. Er weiß, dass er uns nicht überrumpeln kann, weil wir zu dritt sind. Chip, geh nie weiter als zwanzig Schritte von uns fort! Und lass dich immer sehen!«
Er wartet, bis Hal Donbill das Gewehr gebracht und vor Chip auf den Boden gelegt hat. Sie beobachten nun, wie Chip das Gewehr nimmt und nachsieht, ob es noch geladen ist. Dies ist der Fall.
»Zufrieden?«, fragt Gallatin. »Du siehst, wir sind Partner und gute Freunde, wenn du anständig bist und nicht vergisst, dass wir eine Gemeinschaft sind. Aber wenn du uns reinzulegen versuchst, dann schneiden wir dir die Haut in Streifen.«
Er blickt gen Himmel.
»Es wird eine Sternennacht«, stellt er fest. »Wir könnten ebenso gut auch noch einige Meilen reiten und morgen während der Mittagshitze schlafen. Also los! Wir satteln und reiten weiter.«
✰
Chip führt die ganze Nacht und den Vormittag. Sie reiten ständig nach Norden auf die mächtige Felswand der Mogollon-Mesa zu. Die klare Arizonaluft lässt die Entfernung kurz erscheinen. Doch als sie am späten Vormittag anhalten, müde und erschöpft nach diesem langen Ritt, da sind es gewiss noch zwei Tage bis zur Mesa.
Chip sorgt für sein Pferd und legt sich dann in den Schatten eines Busches. Es wachsen hier an der Wasserstelle noch viele Büsche. Auch die anderen Männer legen sich lang. Chip hört Dick Gallatin sagen: »Ich bleibe wach und wecke dich in zwei Stunden, Hal.«
Dann wird es still.
Chip nimmt sich vor, in zwei Stunden aufzuwachen. Denn er ist sich darüber klar, dass dieser Dick Gallatin bestimmt nicht einschlafen wird. Dieser Dick Gallatin und sein Partner Vance Nickum sind hartgesottene Nachtfalken und beharrlich. Sie wissen – oder glauben zu wissen -, was für einen goldenen Vogel sie in der Hand haben. Und sie werden bestimmt keinen Fehler machen oder gar auf Wache einschlafen.
Nein, Chips Chance liegt bei Hal Donbill, den er für einen Bluffer hält.