G. F. Unger 2321 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 2321 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Daniel Longbow reitet schon sehr viele Tage nach Norden, und die Reste seiner Campfeuer bilden eine ziemlich regelmäßige Kette vom südlichen Kansas bis nach Nebraska. Auch an diesem Tag ist er auf seinem mächtigen Rappen stetig geritten, und es ist ein heißer und staubiger Tag. Als Daniel Longbow nicht weit vom Weg die kleine Farm oder Ranch erkennt, die kaum mehr als eine Siedlerstätte ist, reitet er hinüber. Beim Brunnen hält er an, blickt auf das Haus und ruft laut: »Hallo!« Seine Stimme klingt etwas heiser und rau, doch daran sind die Trockenheit und Hitze des Tages und der Staub schuld. Als sich die Tür des Hauses nicht öffnet und sich auch beim Stall, beim Schuppen und dem kleinen Schlafhaus niemand zeigt, sitzt Daniel Longbow ab. Er füllt für seinen Rappen Wasser in den Tränketrog und trinkt dann selbst aus der hölzernen Schöpfkelle, die mit einer dünnen Kette am Brunnenrand befestigt ist. Dabei betrachten seine rauchgrauen Augen prüfend das Haus, und sein ruhiger Blick schweift über den Hof und über alle Dinge in der Umgebung ...


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Seitenzahl: 152

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Wer den Stern nimmt

Vorschau

Impressum

Wer den Stern nimmt

Daniel Longbow reitet schon sehr viele Tage nach Norden, und die Reste seiner Campfeuer bilden eine ziemlich regelmäßige Kette vom südlichen Kansas bis nach Nebraska.

Auch an diesem Tag ist er auf seinem mächtigen Rappen stetig geritten, und es ist ein heißer und staubiger Tag. Als Daniel Longbow nicht weit vom Weg die kleine Farm oder Ranch erkennt, die kaum mehr als eine Siedlerstätte ist, reitet er hinüber.

Beim Brunnen hält er an, blickt auf das Haus und ruft laut: »Hallo!« Seine Stimme klingt etwas heiser und rau, doch daran sind die Trockenheit und Hitze des Tages und der Staub schuld.

Als sich die Tür des Hauses nicht öffnet und sich auch beim Stall, beim Schuppen und dem kleinen Schlafhaus niemand zeigt, sitzt Daniel Longbow ab. Er füllt für seinen Rappen Wasser in den Tränketrog und trinkt dann selbst aus der hölzernen Schöpfkelle, die mit einer dünnen Kette am Brunnenrand befestigt ist. Dabei betrachten seine rauchgrauen Augen prüfend das Haus, und sein ruhiger Blick schweift über den Hof und über alle Dinge in der Umgebung ...

Daniel Longbow ist ein großer Mann, hager vom ständigen Reiten, sehr schmal in den Hüften, doch breit in den Schultern. Er hat eine kurze Nase, die irgendwann einmal gebrochen wurde und nicht die alte Form zurückbekam. Das dunkle Gesicht ist etwas hohlwangig, und über dem linken Wangenknochen ist eine helle Narbe.

Daniel Longbows Haar ist an den Schläfen grau, sonst aber dunkel, dicht und etwas gekräuselt. Er trägt es ziemlich kurz, und da sein Hut an der Windschnur auf seinem Rücken hängt, erkennt man genau, dass sein Kopf gut geschnitten ist.

Seine Kleidung ist abgenutzt und mit Staub bedeckt. Sein schwarzes Pferd ist riesig und narbig. Es ist kein Rinderpferd, dazu ist es zu groß. Es ist vielleicht ein Kriegspferd, also ein Tier aus dem Krieg, das die Trompetensignale der Kavallerie genau kennt.

Doch der Sattel ist ein Cowboysattel mit zwei Gurten, wie man ihn nicht im Flachland, sondern in den Bergen und auf einer rauen Weide benutzt.

Als Daniel Longbow die Schöpfkelle auf den Brunnenrand legt, knarrt die Tür des Hauses. Er blickt hinüber und erkennt einen Jungen, der langsam über die Schwelle tritt.

Der Junge trägt eine Schüssel mit Wasser. Er tritt damit zur Seite und gießt den Inhalt hinter den Brennholzstapel. Dann kommt er zum Brunnen und blickt den Mann fest an.

Es ist ein etwa zwölfjähriger Junge, groß, hager und sommersprossig. Sein Haar ist noch heller als reifender Weizen. Dieser Junge hat fast den festen und ernsten Blick eines Erwachsenen.

»Reiten Sie nach Wickmunke?«, fragt er heiser, als wäre seine Kehle ausgetrocknet.

Daniel Longbow betrachtet ihn und nickt langsam.

»Wenn die Stadt an dieser Straße im Norden liegt, dann werde ich dort durchreiten«, antwortet er gedehnt.

Und nun erkennt er in den Augen des Jungen einen Ausdruck von Hoffnung und Erleichterung.

Der Junge stellt die Schüssel auf den Brunnenrand, lässt den Eimer hinunter, holt ihn herauf, gießt Wasser in die Schüssel und spült diese sauber.

Daniel Longbow sieht, dass vorher blutiges Wasser in der Schüssel war. Denn das Wasser, das der Junge eben hineingegossen hat, um die Schüssel zu säubern, färbt sich nochmals rötlich.

»Was ist das?«, fragt Daniel Longbow ruhig.

Der Junge betrachtet ihn, und es ist ein scharfes, sorgfältiges Abschätzen, wie man es bei einem Jungen dieses Alters sonst nicht findet.

Entweder ist der Junge älter, als er aussieht, oder er befindet sich in Not, und diese Not hat ihn reifen lassen.

»Wenn Sie in die Stadt reiten«, sagt er zu Longbow, »können Sie vielleicht den Doc überreden, dass er zu uns kommt. Ich bin Tom May. Meine Mutter wurde vor einigen Tagen verletzt. Die Wunde hat sich entzündet. Wir brauchen dringend den Doc, und ...«

Ihm versagt die Stimme, und nun zeigt sich auch, dass er wirklich nur ein Junge ist.

In seinen Augen sind Tränen. Er senkt den Kopf, seine mageren Schultern zucken und zittern.

Mit einer hastigen Bewegung gießt er nochmals Wasser in die Schüssel und wendet sich damit zum Haus.

»Der Doc soll kommen, wenn er kein Schuft ist wie all die anderen Männer in diesem Land, die sich für gut und ehrenwert halten und in Wirklichkeit nichts anderes sind als ...«

Er verstummt und verschwindet im Haus.

Daniel Longbow zögert einen Moment, und in seinem Gesicht verändert sich etwas. Dieses ohnehin schon ruhige Gesicht wird völlig ausdruckslos, und vor seine grauen Augen scheinen sich Vorhänge zu senken.

Er starrt auf die geschlossene Tür des Hauses.

Die Mutter des Jungen wurde vor einigen Tagen verletzt, denkt er.

Als er nach ein paar Schritten dem Haus näher ist, erkennt er an der Tür, Hauswand und Fensterläden Beschädigungen, wie sie von Kugeln verursacht werden. Er weiß, wie eine Hausfront aussieht, wenn Blei aus Gewehren und Revolvern dagegen prasselte.

Sein Instinkt warnt ihn, und auch sein Verstand sagt ihm, dass er dort drinnen auf eine unangenehme Sache stoßen wird. Der Junge bat ihn auch nicht, ins Haus zu kommen oder zu helfen, er bat ihn nur, in der Stadt den Arzt zu verständigen.

In diesem Zusammenhang sprach Tom May bittere Worte. Das alles genügt Daniel Longbows Instinkt als Warnung.

Er seufzt leise.

Dieses Seufzen gilt seinem Entschluss, dennoch ins Haus zu gehen.

Er setzt sich in Bewegung, öffnet die Tür und tritt langsam ein.

Es ist ein kleines Haus, das nur drei Räume hat. Man kommt gleich in eine große Wohnküche.

Eine der beiden Türen ist offen, und Daniel Longbow hört die Stimme des Jungen aus dem anderen Zimmer.

Er macht ein paar lange, geschmeidige Schritte. Dabei fällt auf, dass er keine Sporen an seinen hochhackigen Cowboystiefeln trägt, wie es sonst bei den meisten Reitern in diesem Land üblich ist.

Langsam tritt er in das offene Türrechteck.

Er sieht in das Schlafzimmer. Über dem Doppelbett hängt ein Kreuz. In dem rechten Bett liegt eine Frau.

Sie blickt ihn an, und der Junge fährt scharf herum.

Als Daniel Longbow näher tritt, kann er erkennen, dass die Frau starke Schmerzen und sicherlich Fieber hat.

Daniel Longbow blickt in zwei grüne Augen, die vor Not und Schmerz dunkel sind. Er bemerkt die feinen Schweißperlen auf ihrem Gesicht, und das dunkelrote Haar ist ebenfalls nass.

Als er nach dem Puls fühlt und ihr seine Hand auf die Stirn legt, erschrickt er. Ihr Puls rast. Sie hat hohes Fieber.

Jetzt begreift er, warum sie ihn nur anblickt und nichts sagt. Sie ist gar nicht richtig bei Besinnung.

Er hört sie flüstern: »Tom! Tom, bist du wieder bei uns? Tom, sie ließen dich also wieder laufen! Tom, wir haben niemals geglaubt, dass du ...«

Plötzlich verstummt sie und dreht ihren Kopf zur Seite.

»Wo ist die Wunde?«, fragt Daniel Longbow.

»Am Bein«, flüstert der Junge tonlos. »Einer von den Schuften hat sie ins Bein geschossen.«

Daniel Longbow hebt die Bettdecke.

Und dann sieht er es.

Er erschrickt sehr.

Die am Anfang sicherlich nicht besonders tiefe Streifwunde seitlich an der Wade ist schlimm entzündet. Das Bein ist stark angeschwollen.

Daniel Longbow kann es nur bis zum Knie sehen, doch er ist sich sicher, dass die Schwellung bis zu den Leistendrüsen geht.

Auf der Wunde liegt ein nasser Lappen. Als Daniel ihn fortnimmt, sieht er die böse eiternde Verletzung richtig.

»Erzähl es mir, Junge«, sagt er etwas rau.

»Vor fünf Tagen holten sie meinen Vater«, sagt Tom. »Und weil meine Eltern gegen die Bande kämpften, bekam Mutter die Streifwunde.«

»Warum holten sie deinen Vater?«

Auf diese Frage gibt Tom keine Antwort. Er senkt den Kopf.

Daniel betrachtet noch einmal die Wunde. Er befürchtet, dass man dieser Frau vielleicht das Bein abnehmen muss.

»Wie weit ist es bis zum Doc?«

»Die Stadt ist neun Meilen von hier entfernt, Sir«, sagt der Junge. »Der Doc wohnt im fünften Haus auf der linken Seite. Gleich neben der Eisenwarenhandlung.«

»Warum wurde er nicht von dir oder von eurem Nachbarn benachrichtigt? Warum habt ihr so lange gewartet?«

»Meine Mutter wollte nicht«, flüstert der Junge. »Und Nachbarn haben wir nicht, nicht solche Nachbarn, die uns helfen würden. Es ist auch nicht sicher, dass der Doc kommt. Denn ...«

Er verstummt wieder.

Daniel Longbow aber sagt ruhig: »Doch, das ist sicher! Du kannst dich darauf verlassen, dass der Doc noch vor Abend hier ist und seine Pflicht tut.«

Er geht zur Tür. Von dort wirft er noch einmal einen Blick auf die fiebernde, bewusstlose Frau. Er hört ihr stöhnendes Wimmern.

»Was tat dein Vater, Tom?«, fragt er ruhig.

»Mein Vater soll ein Bandit und Viehdieb gewesen sein, Sir«, sagt der Junge spröde.

»Gewesen sein?«

»Ja, denn jetzt ist er tot. Die Bande hat ihn mitgenommen und ermordet«, sagt Tom schluchzend. Dann fällt er beim Bett auf die Knie, legt seinen Kopf auf den Bettrand und beginnt, bitterlich zu weinen.

Daniel Longbow regt sich einige Sekunden lang nicht. Er blickt auf die bewusstlose Frau und auf den weinenden Jungen. Sein Gesicht ist ausdruckslos, und in seinen Augen zeigt sich nichts, gar nichts. Sein Gesicht ist eine starre Maske.

Dann wendet er sich ab und geht hinaus zu seinem Pferd.

Er schwingt sich in den Sattel wie ein Comanche und ruft knapp und nicht sehr laut:

»Los, Mister Black!«

Der mächtige Rappe gehorcht diesem Kommando unverzüglich und springt nach wenigen Schritten an. Er galoppiert bald darauf auf dem Weg nach Norden.

Als Daniel Longbow die kleine Stadt Wickmunke erreicht, ist es später Nachmittag. Wickmunke ist übrigens ein Wort der Dakota-Indianer und bedeutet so viel wie »Falle«.

Daniel Longbow muss einige Sekunden lang über dieses Wort nachdenken.

Inzwischen reitet er in die kleine Rinderstadt ein, wird von einigen Müßiggängern beobachtet und findet schnell das Doktorhaus neben der Eisenwarenhandlung.

Es ist ein vernachlässigtes Haus mit einem verfallenen Zaun davor, und die Tür hängt nur noch schief an einer Angel.

Als Daniel Longbow absitzen will, kommt ein alter Mann vorbei, der in jeder Hand einen Korb voll Kirschen trägt. Dieser Mann sagt: »Der Doc sitzt wie immer im Wickmunke Saloon, um diese Zeit ist er schon ziemlich betrunken.«

Daniel Longbow nickt dankend. Er reitet weiter.

Am Mietstall hält er an und lenkt sein Pferd hinein. Der Stallmann kommt heraus und fragt: »Wollen Sie das Pferd einstellen?«

»Was für ein Beförderungsmittel hat der Doc?«, fragt Longbow.

»Den Wagen dort«, antwortet der Mann und zeigt auf ein paar leichte Zweiräder, die unter einem halb offenen Schuppen stehen.

»Spannen Sie an«, sagt Longbow ruhig.

Der Stallmann blickt zu ihm auf.

»Wohin wollen Sie das Schnapsfass holen, Fremder?«

Longbow erwidert nichts. Er zieht sein Pferd herum, reitet wieder auf die Straße und sucht den Wickmunke Saloon.

Er findet ihn an der Ecke eines kleinen Platzes. Eine Reihe von Sattelpferden ist davor angebunden. Die meisten Pferde tragen das gleiche Brandzeichen: einen Steigbügel.

Longbow begreift, dass die ganze Ranchmannschaft im Saloon ist. Er hat von einer Steigbügel-Ranch schon vor Tagen gehört, als er noch mehr als hundert Meilen von dieser Weide und dieser Stadt entfernt war.

Ja, er hörte da und dort, wenn er bei Poststationen, Weidelagern, kleinen Siedlungen und in den Rinderstädten am Wege einkehrte, schon von Donald Holbrook und der Steigbügel-Ranch.

Er sitzt ab und geht in den Saloon.

An der langen Bar haben sich viele Männer aufgereiht. Auch an den Tischen sitzen einige. Andere Burschen stehen am Billardtisch.

Alle blicken auf einen grauhaarigen, rotgesichtigen Mann, der in der Mitte des freien Raumes vor dem Schanktisch steht und mit theatralischen Bewegungen und tönender Schauspielerstimme irgendetwas deklamiert, was seine Zuhörer gewiss nicht verstehen, obwohl sie staunend lauschen.

Daniel Longbow hört ein paar Sekunden lang zu. Dann erinnert er sich daran, dass er die Worte, die da vorgetragen werden, schon einmal auf einer Bühne gehört hat. Der Text ist aus »Hamlet«.

Der grauhaarige, rotgesichtige, dickbäuchige Mann beendet seinen Vortrag. Er lässt die Arme fallen, sodass sie wie leblos an seinem Körper niederhängen, starrt die grinsende Zuhörerschaft an und sagt dann bitter und vorwurfsvoll: »Ihr habt das gar nicht verstanden, ihr Narren, nicht wahr? Ebenso gut hätte ich das alles einer Herde von Maultieren vortragen können. Oh, ihr traurigen Wilden, wie gut habt ihr es doch, dass ihr so seid, wie ihr seid, und, nur eine einzige Sprache versteht. Wer spendiert mir noch einen Whisky?«

Seine wässrigen Augen hinter einem Kneifer beginnen, erwartungsvoll zu glänzen. Die Burschen im Saloon hinter der Bar bewegen sich nicht, sondern grinsen ebenfalls.

»Wer spendiert mir einen Whisky, mir, einem verirrten, verlorenen Schöngeist, der euch dann und wann etwas von Dingen erzählt, die so mächtig weit über eurem Horizont liegen, dass ihr sie ohne meine Hilfe nicht einmal wittern könntet? Wer gibt mir einen Whisky?«

Jetzt klingt seine Frage schon zitternd, und es wird Daniel Longbow klar, dass er ein Säufer ist, ein Süchtiger, ein Kranker. Daniel ahnt schon, dass es sich um den Arzt handelt. Denn welcher andere Mann in dieser Stadt könnte eine solche Bildung haben und aus dem »Hamlet« vortragen?

Und richtig. Einer der Cowboys sagt gönnerhaft: »Na gut, einen Whisky für unseren gelehrten Doc! Einen Whisky für ihn, der uns Gedichte aufsagt, die wir nicht verstehen. Wenn ich bedenke, was es doch alles für Worte und Ausdrücke gibt. Es ist schon allerhand, sich dieses verwirrende Zeug zu merken. Und dann auch noch aufzusagen. Oooh!«

Und sein Nachbar brummt: »Ich habe wieder mal festgestellt, dass wir unwissende Heiden sind. Mir ist immer noch ganz wirr im Kopf. Was muss früher das Hirn unseres Doc manchmal geknirscht haben, bis er all dieses Zeug auswendig konnte?«

Inzwischen ist auch der Doc an den Schanktisch getreten, hat sein Glas Freiwhisky erhalten und trinkt.

Einige Männer haben ihre Aufmerksamkeit auf Daniel Longbow gerichtet, den sie sofort als einen Fremden erkennen, der weit geritten ist.

Sie betrachten den Staub auf seiner Kleidung, und da dieser Staub rötlich schimmert, wissen sie, dass er aus dem Süden ins Land kam.

Daniel Longbow tritt neben den Arzt an den Schanktisch. Dabei drängt er einen Cowboy etwas zur Seite.

Der Mann schnauft sofort böse, doch Longbow achtet nicht darauf.

Er legt dem Arzt die Hand auf die Schulter und sagt ruhig: »Ich habe Ihren Wagen anspannen lassen, Doc! Kommen Sie! Holen Sie Ihre Tasche und kommen Sie mit zu den Mays hinaus! Die Frau wurde vor Tagen ins Bein geschossen, und die Wunde ist schlimm entzündet. Wenn Sie sich nicht beeilen, wird das ganze Bein verloren sein. Also los, Doc!«

Er spricht langsam, deutlich und eindringlich, und er verschwendet mehr Worte, als es sonst seine Art ist, denn der Arzt macht einen abwesenden Eindruck. Er ist nach seinem Vortrag aus »Hamlet« erschöpft und wirkt wie ausgebrannt.

Da Longbow jedoch ziemlich viele beschwörende Worte spricht, dringt etwas davon in sein Bewusstsein, und nach einer Weile begreift er es endlich.

Die Zuhörer hatten es sofort begriffen.

Es ist sehr still.

Dann sagt eine harte Stimme grob: »Fremder, was geht Sie das alles an?«

Daniel Longbow wendet sich dem Sprecher zu. Er sieht einen klotzig wirkenden Mann, und er weiß sofort, dass dieser Bursche zumindest der Vormann der hier versammelten Mannschaft ist.

Daniel Longbow hörte unterwegs nicht nur von Donald Holbrook und der Steigbügel-Ranch. Er hörte auch ein paar Geschichten von Holbrooks Vormann Duke Morrow.

Nun ist er überzeugt, Duke Morrow vor sich zu haben.

Genau wie dieser Klotz dort wurde Duke geschildert: hart, grob, gewaltig, stark, ständig mürrisch und gereizt, ein Mann, der keinen Widerspruch aufkommen lässt und dessen Denken sich um nichts anderes als um das Ansehen der großen Ranch dreht.

Duke Morrow soll ein Vormann sein, der die große, raue Steigbügel-Crew mit der bloßen Faust bändigt wie ein Dompteur ein Rudel Tiger.

Daniel Longbow blickt den Mann also an, schätzt ihn ab, und dann antwortet er auf die Frage.

Er sagt ganz ruhig: »Das ginge jeden Menschen etwas an, denke ich. Da liegt eine Frau mit einer gefährlichen Blutvergiftung ohne Hilfe in einem einsamen Haus. Nur ein kleiner Junge ist bei ihr, der vor Furcht und Sorge fast verrückt ist. Und niemand kümmert sich um diese Frau ...«

»Na gut«, unterbricht ihn der Vormann. »Es hat hier niemand gewusst, dass Josephine May verwundet wurde und dass sie Hilfe braucht. Wenn sie zu stolz ist, um ...«

Er verstummt, winkt wegwerfend und fährt fort: »Wir müssen ohnehin dort vorbei. Wir bringen den Doc hin! Jeff, fahr den Wagen des Doc vor! He, Doc! Hörst du mich? Wir nehmen dich mit! Geh schon und hol deine Tasche! Hast du gehört, es soll eine Blutvergiftung sein. Also nimm mit, was du brauchst. Vorwärts! Linc, geh mit dem Doc und pass auf, dass er nichts vergisst. Vorwärts!«

Nachdem er diese Anordnungen getroffen hat, wendet er sich wieder an Daniel Longbow.

»Sie sehen also«, sagt er, »dass der Frau geholfen wird! Wir mussten es nur erst wissen. Und nun kommen wir zu Ihnen, Fremder! Woher und wohin? Wie ist Ihr Name? Wie kommt es, dass Sie ausgerechnet bei den Mays einkehrten? Oder stand vielleicht der kleine Tommy May am Weg und bat um Ihre Hilfe? Na los, ich will eine Antwort!«

Er fordert es barsch und ungeduldig, als wäre Daniel Longbow ein Cowboy der Steigbügel-Ranch.

»Ich holte mir aus dem Brunnen der Mays Wasser«, erwidert Daniel Longbow sanft. »Dann kam der Junge und bat mich, den Arzt zu schicken. Das ist alles, Mister!«

Duke Morrow starrt ihn seltsam an.

»Der Name? Wie ist dein Name?«, fragt er noch ungeduldiger.

Daniel Longbow zögert. Er denkt an die Gründe für seinen langen Ritt nach Norden.

Bisher hat er in all den Siedlungen und Städten unterwegs, in denen er nach gewissen Dingen fragte und forschte, nie seinen Namen genannt. Er verspürte Furcht davor, denn er musste stets annehmen, dass man dort, wo der Name vielleicht bekannt war, sofort gewusst hätte, warum er gekommen ist.

Und auch hier könnte es so sein.

Aus einem Impuls heraus sagt Daniel Longbow jedoch, während er in Duke Morrows kleine, helle Augen blickt: »Mein Name ist Longbow, Daniel Longbow aus Kansas.«

In Duke Morrows Augen leuchtet es kalt auf. Dann fragt er hart: »Und was wollen Sie hier in unserem Land?«

»Das geht Sie nichts an«, murmelt Daniel Longbow.

Duke Morrows Augen werden schmal.

Und dann kommt seine gewaltige Rechte. Sie kommt ohne Warnung und ohne ein Ausholen von unten herauf, wo sie neben dem achtlos getragenen Revolver hing. Sie wirkt wie ein Huftritt, und sie trifft Daniel Longbow unter der Gürtelschnalle.