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Chet Wannagans Abend beginnt, wie all die anderen Abende in Silver Hit, wenn er nicht gerade auf seinem gefleckten Pferd durch die Hügel streift, um ein paar Mavericks zu jagen. Er isst in Lily Carpenters Speisehaus und lächelt blitzend, als Lily zu ihm an den Tisch kommt und sich bei ihm niederlässt. »Du wirst jede Nacht schöner, Lily«, sagt er. »Wenn ich ein seriöser Mann wäre, würde ich mein Glück bei dir versuchen. Warum, zum Teufel, hast du noch nicht den richtigen Hombre gefunden?« Sie betrachtet ihn unter langen Wimpern hervor nachdenklich, und sie ist eine dunkelhaarige und blauäugige Frau. Sie ist auf eine etwas wilde Art schön. Sie betrachtet Chet Wannagan eine ganze Weile. Dann schüttelt sie den Kopf, so als wollte sie ihm damit zu verstehen geben, dass sie diesmal zu dem sonst zwischen ihnen üblichen Wortgeplänkel keine Lust hat. Sie wird nun sichtlich ernst. »Pass auf, Chet Wannagan«, sagt sie herb, »und mach deine Ohren weit auf. Die Rancher haben eine Zusammenkunft. Sie fassten Beschlüsse. Ab sofort wird nicht nur jeder Maverickjäger wie ein Viehdieb behandelt und an den nächsten Ast gehängt. Ab sofort gehen die Rancher auch gegen jeden freien Reiter vor. Dazu gehörst du, Chet Wannagan. Sie werden dich aus dem Land jagen, sobald du außerhalb der Stadt spazieren reiten solltest - dich und all die anderen Jungs. Hast du das richtig verstanden?«
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Seitenzahl: 150
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Wannagan muss kämpfen
Vorschau
Impressum
Wannagan muss kämpfen
Chet Wannagans Abend beginnt, wie all die anderen Abende in Silver Hit, wenn er nicht gerade auf seinem gefleckten Pferd durch die Hügel streift, um ein paar Mavericks zu jagen.
Er isst in Lily Carpenters Speisehaus und lächelt blitzend, als Lily zu ihm an den Tisch kommt und sich bei ihm niederlässt.
»Du wirst jede Nacht schöner, Lily«, sagt er. »Wenn ich ein seriöser Mann wäre, würde ich mein Glück bei dir versuchen. Warum, zum Teufel, hast du noch nicht den richtigen Hombre gefunden?«
Sie betrachtet ihn unter langen Wimpern hervor nachdenklich, und sie ist eine dunkelhaarige und blauäugige Frau. Sie ist auf eine etwas wilde Art schön.
Sie betrachtet Chet Wannagan eine ganze Weile.
Dann schüttelt sie den Kopf, so als wollte sie ihm damit zu verstehen geben, dass sie diesmal zu dem sonst zwischen ihnen üblichen Wortgeplänkel keine Lust hat. Sie wird nun sichtlich ernst.
»Pass auf, Chet Wannagan«, sagt sie herb, »und mach deine Ohren weit auf. Die Rancher haben eine Zusammenkunft. Sie fassten Beschlüsse. Ab sofort wird nicht nur jeder Maverickjäger wie ein Viehdieb behandelt und an den nächsten Ast gehängt. Ab sofort gehen die Rancher auch gegen jeden freien Reiter vor. Dazu gehörst du, Chet Wannagan. Sie werden dich aus dem Land jagen, sobald du außerhalb der Stadt spazieren reiten solltest – dich und all die anderen Jungs. Hast du das richtig verstanden?«
Sie fragt es mit einem bitteren Ernst, und es mutet fast so an, als wollte sie keinem erwachsenen Mann, sondern einem unreifen, wilden Jungen den Ernst der Situation klarmachen.
Aber Chet Wannagan lächelt blitzend.
Er sagt: »Ach, Blauauge, es wird alles nicht so heiß gegessen. Es wird da schon ein paar Unterschiede geben, denke ich. Besonders was mich betrifft. Mach dir nur keine Sorgen um mich.«
Sie betrachtet ihn fast mitleidig.
»Du könntest ein großer Bursche in unserem Land sein«, sagte sie dann. »Der größte Bursche vielleicht von allen. Doch es ist dir egal. Du verschwendest dich. Du bist ein Narr. Du hast kein Ziel. Und jede Nacht in dieser Stadt betrinkst du dich.«
»Richtig«, bestätigt er nickend. »Auch heute wieder, sobald ich beim Spiel genug gewonnen habe, dass es reicht für einen richtigen Rausch. Aber was geht dich mein Leben an?«
Sie erhebt sich stumm, zögert noch einen Moment.
»Ja, ich bin ein krummer Hund«, murmelt er. »Ich tauge nichts und renne immer wieder mit dem Kopf gegen die Wand. Du bist ein prächtiges Mädchen, Lily. Aber es hat keinen Zweck, mich ändern zu wollen.«
Da geht sie wortlos in die Küche zurück, wo zwei Chinaköche arbeiten.
Chet Wannagan aber schlingt nun sein Essen hinunter. Nun hat er es eilig hinauszukommen.
Wie jeden Abend geht er in die Spielhalle, findet dort auch eine Pokerrunde und legt seine goldene Uhr auf den Tisch.
»Ich spiele bis Mitternacht«, sagt er. »Wer leiht mir auf diese Uhr zwanzig Dollar?«
Einer der anderen Spieler – ein Minen-Vorarbeiter – nimmt die Uhr, betrachtet sie und nickt.
»Gemacht«, sagt er. »Wenn sie bis Mitternacht nicht eingelöst ist, gehört sie mir. Aber keine Minute später darf sie eingelöst werden.«
Er schiebt das Geld hinüber zu Chet Wannagan.
Und dann beginnt das Spiel.
Als es Mitternacht ist, löst Chet Wannagan die Uhr ein und behält noch siebenundfünfzig Dollar übrig. Davon gibt er eine Runde aus, zahlt im Saloon nebenan zehn Dollar Schulden und trifft dort den Mietstallbesitzer, dem er fünf Dollar schuldig ist, die er sofort zahlt. Er kauft sich eine Zigarre und macht sich mit dem Rest des Geldes auf den Weg zu China-Marys Etablissement. Eine rote Laterne, die dort über dem Eingang hängt, weist ihm in der dunklen Nacht den Weg.
Die Mädchen begrüßen ihn bald schon mit Freudenschreien. Dies tun sie gewiss nicht nur wegen der vierzig Dollar in seiner Tasche. Gewiss, vierzig Dollar sind zwei volle Cowboy-Monatslöhne – aber sie mögen Chet Wannagan.
Die Nacht wird für Chet Wannagan recht amüsant – bis – nun, bis etwa drei Uhr morgens.
Dann kommt nämlich Stapp Shaccer, der Weideboss der Shamroy Ranch, mit drei seiner Reiter in das Etablissement, um vor dem Heimritt noch eine Freude zu genießen.
Es ist ein unglückliches Zusammentreffen, denn die Shamroy-Reiter sind betrunken genug, um zu verlangen, dass Rinder- und Pferdediebe zu verschwinden hätten.
Dabei sehen sie Chet Wannagan an.
Und der macht sich frei von zwei Mädchen. Auch er ist betrunken genug, um die Shamroy-Reiter Stinker zu nennen. Und weil er sich freigemacht hat und aufgestanden ist, will er sich nicht mit ein paar Worten begnügen. Er kann sich zwar kaum noch auf den Beinen halten, doch er greift die vier Shamroy-Reiter an und trifft den Vormann Stapp Shaccer gleich mit dem ersten Schwinger auf die Nase. Und dann geht es richtig los.
Denn Chet Wannagan ist ein Mann aus hundertachtzig Pfund Knochen, Sehnen und Muskeln, so schnell wie ein Wildkater und erfahren in Saloonkämpfen.
Es wird schlimm.
✰
Diesmal erwacht er nicht in einem billigen Zimmer oder im Stroh des Mietstalles. Es dauerte eine ganze Weile, bis er begreift, dass er sich in einer Zelle befindet.
Von der Pritsche aus kann er durch die Gitterstäbe und die offene Tür des Zellenraumes ins Office sehen.
Sheriff Al Cane sitzt dort am Schreibtisch.
»He, Cane!« Chet Wannagans Stimme klingt misstönig.
Der alte grauhaarige Sheriff kommt nach einer Weile. Er reicht ihm eine Blechtasse voll Kaffee durch die Gitterstäbe.
Chet Wannagan nimmt sie, trinkt und sagt dann: »Kaffee kochen kannst du bestimmt nicht, Al Cane. Ich wette, du hast aus Versehen deine Fußlappen mit im selben Kessel gekocht.«
»Mir schmeckt mein Kaffee«, brummt Al Cane.
Sie blicken sich durch die Gitterstäbe grimmig an.
»Warum sitze ich in der Zelle?«
»Weil du kein Geld mehr hattest, um den angerichteten Schaden zu bezahlen. Lily Carpenter hätte dich ausgelöst. Doch ich dachte mir, dass dir das nicht besonders lieb wäre. Oder?«
»Du hast richtig gedacht«, brummt Chet Wannagan. »Was muss ich zahlen?«
»Rund zweihundert Dollar.«
»He!«
»Der große Spiegel ging zum Teufel. Dann das Bild mit der nackten Frau auf dem Stier. Und dann hast du dich an den Kristallleuchter gehängt, um den Jungs die Füße in den Bauch treten zu können. Dass dich der herunterfallende Leuchter nicht erschlagen hat, ist ein Wunder. Und die Zeugen sagen auch, dass du den Kampf begonnen hast. Stapp Shaccer musste zum Doc, der ihm das Nasenbein wieder richtete und mit einem breiten Pflaster schiente. Chet, es wird ein böses Ende mit dir nehmen, denke ich.«
»Das denke ich auch. Aber wenn ich hier in der Zelle sitze, kann ich die zweihundert Dollar nicht verdienen. Lass mich raus. Auf Ehrenwort, Al Cane. Aber lass mich raus.«
Der alte Sheriff lehnt in der Tür, die vom Office in den Zellenraum führt. Von den drei Gitterzellen ist nur diese eine belegt. Al Cane ist kaum mehr als mittelgroß, doch er wirkt noch sehr drahtig und zäh. Er ist immer noch ein beachtlicher Mann und lässt bei seinem Anblick an einen alten Jagdfalken denken.
»Wenn ich dich rauslasse«, sagt er, »gehst du gewiss wieder auf Maverickjagd. Denn nur mit einer kleinen Herde Mavericks kannst du so schnell Geld beschaffen. Aber wenn ...«
»Ich habe eine Ranch und ein immer noch eingetragenes Brandzeichen«, unterbricht ihn Chet Wannagan. »Ich kann Mavericks jagen wie jeder Rancher. Ich bin kein Streuner auf dieser Weide. Oder?«
»Wenn sie dich mit Mavericks erwischen, hängen sie dich wegen Viehdiebstahls auf«, murmelt der Sheriff. »Auf dich und einige andere Jungs haben sie es jetzt abgesehen. Ich kann nicht überall sein und euch beschützen. Ich weiß nicht mal, ob ich es tun würde, könnte ich es.«
»Warum nicht?« Chet Wannagans Frage kommt verächtlich.
Da tritt der alte Sheriff ganz dicht an die Gitterstäbe heran und sagt langsam: »Diese Stadt ist meine letzte. Ich bekomme nirgendwo mehr einen Job als Sheriff. Aber ich könnte hier noch ein paar Jahre Sheriff sein, wenn ich mit den Ranchern keinen Streit habe. Ich kann hier jeden Monat zwanzig Dollar sparen. Zwanzig Dollar! Später werde ich von zwanzig Dollar im Monat leben müssen. Verstehst du, mein Junge? Je länger ich hier sparen kann, umso mehr Monate kommen zusammen. Warum soll ich mich also mit der Ranchervereinigung anlegen, wenn sie einen Rinderdieb hängen?«
Er tritt wieder zurück.
»Wenn du mir dein Wort gibst, dass du dein Geld nicht durch Rinder- und Pferdediebstahl in diesem Land beschaffen willst, lass ich dich auf Ehrenwort frei. Also?«
Chet Wannagan will etwas erwidern. Doch dann sieht er über die Schulter des Sheriffs hinweg, wie sich die Tür von der Straße her öffnet und jemand ins Office eintritt.
Es ist ein magerer, rotblonder Junge. Die Kleidung ist ihm zu knapp. Er mag zwischen dreizehn und fünfzehn Jahren sein.
»Da ist Besuch für dich, Al Cane«, sagt Chet Wannagan.
Und er weiß nicht, dass ihm bald schon sehr übel sein wird.
Er hat das Gefühl, als müsste er den Jungen kennen oder als wäre dieser ihm aus irgendeinem Grunde sympathisch. Dabei ist der Junge gar nicht mal hübsch, sondern nur mager, rotblond, sommersprossig und etwas ungelenk wie ein junges Fohlen.
Er tritt näher und sagt dann laut: »Kann ich den Sheriff sprechen?«
»Das kannst du, mein Junge«, sagt der Sheriff und verlässt den Zellenraum. »Was führt dich zu mir?«
»Ich bin Jube Wannagan. Mein Vater soll hier in einer Zelle sitzen.«
Da zuckt sogar der Sheriff zusammen, als er dies den Jungen mit spröder und nüchterner Stimme sagen hört. Und dabei blickt er in die festen und ruhigen rauchgrauen Augen des Jungen und erkennt darin einen bitteren Ernst.
Chet Wannagan in seiner Zelle aber, der jedes Wort hören konnte, will es zuerst gar nicht glauben. Er meint, sich verhört zu haben. Und dann möchte er annehmen, dass er immer noch betrunken wäre und seine Einbildungskraft ihm etwas vorgaukelt, etwa so, als wenn er einen wilden und unwillkürlichen Traum hätte.
Heiliger Rauch, dieser Junge da soll sein Sohn sein?
Deshalb hatte er von Anfang an das Gefühl, diesen Rotkopf zu kennen. Deshalb kam er ihm so vertraut vor. Aber als er ihn zum letzten Mal sah, war Jube noch keine sechs Jahre alt.
Und das war vor sieben Jahren.
Heiliger Rauch, jetzt ist er hier.
Und er, sein Vater, sitzt in einem Gitterkäfig.
Chet Wannagan spürt, wie eine Hitzewelle ihn durchflutet. Es ist Scham, nichts anderes als tiefste Scham.
Jawohl, er schämt sich vor seinem Sohn.
✰
Indes der Sheriff die Gittertür aufschließt, betrachten sich Vater und Sohn durch die Stäbe hindurch.
Es ist ein ernstes Forschen in beiden Augen.
Dann ist die Zelle offen. Der Sheriff geht wieder schweigend hinaus und schließt die Tür des Zellenraumes fest hinter sich.
»Deine Mutter ...«, beginnt Chet Wannagan.
»Sie starb vor sieben Monaten in New Orleans«, sagt der Junge spröde. »Sie steckten mich in ein Heim. Es dauerte eine Weile, bis ich von dort ausreißen konnte. Zweimal fingen sie mich wieder ein. Aber dann schaffte ich es. Wenn ich nicht bei dir bleiben darf, werden sie mich ...« Er verstummt und beißt sich auf die Lippen.
Chet Wannagan sitzt bewegungslos da.
Er denkt an seine Frau Caroline, die ihn vor sieben Jahren mit dem kleinen Sohn verlassen hatte, um nicht länger auf einer einsamen Ranch in den Antelopehügeln leben zu müssen.
Caroline war nie für die Einsamkeit gewesen, und selbst der Sohn war ihr nicht genug. Caroline musste stets unter Menschen sein in einer größeren Stadt. Nachdem sie es sechs Jahre lang versucht hatte, bei ihm in der Einsamkeit auszuhalten, gab sie auf.
Sie verließ ihn, als er einmal wenige Tage abwesend war, um Pferde zu verkaufen.
Und er war zu stolz und zu enttäuscht, um ihr zu folgen. Er machte keinen Versuch, sie zurückzuholen oder bei ihr in den größeren Städten zu leben.
Aber er baute seine Ranch nicht weiter aus. Er ritt in den bald darauf ausbrechenden Krieg und wurde einer der Guerillakämpfer, die mit wechselndem Glück für den Süden kämpften und zum Schluss des Krieges kaum besser waren als Banditen.
Nach seiner Rückkehr auf die Heimatweide wurde er ein Pferdejäger, Schmuggler, Spieler und Revolverkämpfer – und manchmal war er wochenlang nicht richtig nüchtern.
Als dann die Weiderinder plötzlich wieder etwas wert waren, wurde er Maverickjäger. Das heißt, er fing ungebrandete Rinder und drückte ihnen sein Brandzeichen auf. Und davon lebte er bisher nicht schlecht.
Hatte er einmal keine Lust zur Rinderjagd, dann hatte er zumeist als Spieler mit den Karten Glück. So wie gestern reichte es dann zumeist für einige Stunden Spaß bei Mädchen und Feuerwasser.
Aber jetzt wurde – das spürte er mit jäher Deutlichkeit und Schärfe – alles völlig anders.
Sein Sohn ist wieder da. Jube sitzt bei ihm in der Zelle auf derselben Holzpritsche und sieht ihn stumm von der Seite an.
»Wie starb deine Mutter?«, hört er sich den Sohn fragen.
»Lungenentzündung«, murmelt Jube.
Sie schweigen eine Weile und wissen nicht, was sie sich einander sagen sollen.
Jube blickt auf die groben Dielen der Zelle, auf seine Schuhspitzen – und er wartet offenbar auf des Vaters Entscheidung. Er hat alles gesagt, was er zu sagen hatte. Er ist ein stolzer Junge.
»Und da kommst du zu deinem Vater am Ende einer beschwerlichen Reise«, murmelt Chet Wannagan, »und findest ihn in einer Gefängniszelle. Eingesperrt wegen Stadt- und Hausfriedensbruch und weil er den angerichteten Schaden nicht bezahlen kann. Das ist bitter, mein Junge, nicht wahr?«
Jube nickt. »Mom sagte einmal«, murmelt er dann, »dass es gewiss nicht leicht für dich war, als wir dich damals verließen. Mom sagte, dass solch eine Sache so manchen Mann schon kaputt gemacht hätte – aber sie konnte nicht zurück in die Antelopehügel. Sie wollte keine Wölfe und Coyoten mehr heulen hören – und sie wollte sich auch nicht mehr vor Indianern fürchten müssen, vor diesen Apachen, von denen sie einmal einen mit der Schrotflinte töten musste, als ich noch in der Wiege lag und du sie wieder einmal allein lassen musstest, um dich um die Rinder zu kümmern. Mom sagte, du wärst zu stolz, um uns zu folgen und bei uns zu bleiben. Nun, ich bin gekommen, damit du nicht mehr allein bist. Ich werde mich nicht fürchten wie Mom. Denn ich werde bald ein Mann sein. Es dauert nicht mehr lange.«
Er macht eine kleine Pause.
Dann murmelt er: »Man erzählt sich, dass du mit vier Männern gekämpft und diese fast erschlagen hättest.«
Chet Wannagan sagt nichts dazu, obwohl er in der Stimme seines Sohnes einen Beiklang von Stolz zu hören glaubt. Aber er kann und will Jube jetzt nicht klarzumachen versuchen, dass er sich wie ein hirnloser Narr benahm und es nichts gibt, auf das er in der vergangenen Zeit hätte stolz sein können.
Er steht auf, verlässt die Zelle und öffnet die Tür zum Office.
Der Sheriff sitzt wieder hinter dem Schreibtisch und sieht ihn an. Hinter Wannagan taucht der magere Junge auf.
»Lass mich raus«, sagt Chet Wannagan. »Du hast mein Wort, dass ich in zwei Wochen wieder hier bin – mit oder ohne zweihundert Dollar. Und ich werde auch nicht auf Maverickjagd gehen. Das ginge mir nicht schnell genug, verstehst du, Sheriff? Also gib mir meinen Colt und lass mich gehen.«
Der Junge staunt, und er starrt auf den Sheriff, so als könnte er nicht glauben, dass dieser des Vaters Bitte erfüllen wird.
Doch dann sieht er den Sheriff nicken. Al Cane deutet auf das Regal an der gegenüberliegenden Wand. »Dort liegen deine Siebensachen, Chet. Bleibt dein Junge hier in Silver Hit?«
»Bei Lily Carpenter. Er wird zur Schule gehen und ihr etwas helfen. Er bleibt hier in Silver Hit, denn ich bin sein Vater und übernehme für ihn die Verantwortung. Hast du verstanden?«
»Genau«, bestätigt Al Cane nickend.
Und dann sieht er Vater und Sohn hinausgehen. Er sieht durch die offene Tür, wie Chet Wannagan draußen im Sonnenlicht tief einatmet, wie sich Wannagans große und sehnige Gestalt zu straffen scheint.
Der Sheriff denkt: Das ist Chet Wannagans Chance – die große Chance. Jetzt kann er sich nicht mehr sinnlos betrinken und nur von einem Tag zum anderen leben. Jetzt wird er Verantwortung spüren. Sein Junge ist nun bei ihm. Ja, was wird er aus seiner Chance machen? Und woher will er Geld besorgen?
Indes gehen Vater und Sohn die Straße entlang. Jube hält sich einen halben Schritt zurück. Aber dann greift ihn Chet an der Schulter, fasst ihn dann leicht am Genick und behält ihn so neben sich.
»Eines musst du dir merken, Jube«, murmelt er. »Wenn wir zusammenbleiben, sind wir Partner. Ich möchte nicht, dass du hinter mir herschleichst wie ein kleiner Welpe hinter dem Wolf. Also bleib an meiner Seite.«
»Yes, Sir«, sagt Jube.
Chet streift ihn nur mit einem schrägen Blick.
Sie gehen nun nebeneinander bis vor Lily Carpenters Speisehaus.
Die Frühstückszeit ist schon längst vorbei. Sie finden Lily in der großen Gaststube am Ecktisch. Sie erledigt irgendwelchen Schreibkram, stellt Listen auf und erledigt Rechnungen.
»Setzt euch«, sagt sie und betrachtet den Jungen.
Eine ihrer Bedienungen kommt aus der Küche. Lily zeigt ihr zwei Finger.
Dann sitzen sie zu dritt am Tisch und betrachten sich.
»Das ist mein Sohn«, sagt Chet Wannagan. »Seine Mutter starb vor sieben Monaten. Er kommt aus New Orleans zu mir – und das ist ein weiter Weg für einen Jungen. Vielleicht darf er ein oder zwei Wochen hier bei dir bleiben, Lily, ja? Ich möchte, dass er hier zur Schule geht und dir ein wenig hilft. Geht das?«
Sie nickt und betrachtet den Jungen.
Dann sieht sie Chet an und fragt: »Und was machst du?«
»Geld beschaffen«, sagt Chet Wannagan. »Ich muss Schulden bezahlen und brauche auch etwas Betriebskapital. Ich baue meine Ranch wieder auf. Ich muss fort. Aber ich komme wieder.«
Er sieht fest in Jubes rauchgraue Augen hinein.
»Jube, glaubst du, dass ich wiederkomme?«
Der Junge schluckt etwas mühsam. Doch dann nickt er fast heftig.
Die Bedienung bringt nun aus der Küche ein Tablett mit dem Frühstück.
Aber Chet Wannagan erhebt sich schon wieder. Er greift sich die volle Kaffeetasse vom Tablett und mit der anderen Hand eines der Schinkenbrote. Er stürzt den Kaffee hinunter und beißt in das Schinkenbrot.