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»Tändeln Sie immer so lange herum?«, fragt Ben Jennison ruhig. Er weiß, dass der Fremde ein gekaufter Schießer ist, ein Killer, den Tyrone McCloud geschickt hat. Er ist gewarnt worden. Die Hand des Mannes ruhte schon die ganze Zeit hinter dem abgegriffenen Kolben des Revolvers im tief geschnallten Holster. Und seine Füße suchten festen Halt auf dem Boden. Er steht leicht breitbeinig da und betrachtet ihn abschätzend. Das alles sind Zeichen, die ein Mann wie Ben Jennison zu deuten weiß. Ein Killer sucht festen Stand. »Ja«, sagt der Fremde, »ich sehe mir immer erst den Mann richtig an, bevor ich es mit ihm versuche. Das gehört nun mal zu meinem Stil.« Er endet fast höflich und lächelt, als wollte er sich entschuldigen. Und dann zieht er ohne jede Warnung ...
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Seitenzahl: 150
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Die Rechnung war zu hoch
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Impressum
Die Rechnung war zu hoch
»Tändeln Sie immer so lange herum?«, fragt Ben Jennison ruhig.
Er weiß, dass der Fremde ein gekaufter Schießer ist, ein Killer, den Tyrone McCloud geschickt hat. Er ist gewarnt worden.
Die Hand des Mannes ruhte schon die ganze Zeit hinter dem abgegriffenen Kolben des Revolvers im tief geschnallten Holster. Und seine Füße suchten festen Halt auf dem Boden. Er steht leicht breitbeinig da und betrachtet ihn abschätzend.
Das alles sind Zeichen, die ein Mann wie Ben Jennison zu deuten weiß. Ein Killer sucht festen Stand.
»Ja«, sagt der Fremde, »ich sehe mir immer erst den Mann richtig an, bevor ich es mit ihm versuche. Das gehört nun mal zu meinem Stil.« Er endet fast höflich und lächelt, als wollte er sich entschuldigen.
Und dann zieht er ohne jede Warnung ...
Er ist schnell, unheimlich schnell – aber nicht hastig. Sein Ziehen ist zu vergleichen mit dem Zuschnappen eines Wolfsfanges, so sicher und schnell, so entschlossen und absolut, dass es durch nichts mehr aufzuhalten ist.
Ja, er ist ein schneller, sehr schneller Revolverschwinger, der es nicht nötig hat, seine Opfer aus dem Hinterhalt abzuschießen. Er kann ihnen das zubilligen, was er eine Chance nennt.
Heute hat er Pech.
Ben Jennison schlägt ihn um jenen winzigen Sekundenbruchteil, auf den es bei einem Revolverkampf so sehr ankommt. Sein Mündungsfeuer blitzt einen Moment früher auf, und die Kugel trifft um diesen Moment früher.
Vielleicht drückte der fremde Killer deshalb etwas zu früh ab. Er hatte den Lauf noch nicht richtig hoch.
Die Kugel fährt zwischen Ben Jennisons Beinen hindurch, fetzt nur etwas die Hose, eine Handbreit innen über dem Knie. Die Kugel schlägt in die untere Corralstange. Aber das ist ja schon nicht mehr wichtig.
Der fremde Revolverschwinger schießt noch zweimal.
Und bei jedem Schuss zeigt der Revolverlauf noch ein wenig mehr nach unten. Eine Kugel fährt vor Jennisons Fußspitzen in den Boden – die andere zwischen die beiden Männer.
Dann kann der Mann den Colt nicht mehr halten.
Er lässt die Waffe fallen, dreht sich zur Seite, als wollte er sich zu seinem Pferd umwenden – und dann fällt er, weil seine Beine ihn plötzlich nicht mehr tragen.
Jennison sieht über ihn hinweg zum Haus.
Dort kommt Georgia heraus – und sie hat die Schrotflinte bei sich, die neben der Tür stets griffbereit an der Wand lehnt.
Beißer aber kam schon vorher heraus und steht nun über dem Fremden, ist bereit zuzubeißen, sollte sich dieser noch einmal rühren.
Doch der Fremde rührt sich nicht mehr.
Georgia kommt herangelaufen.
»Geh weg!«, sagt Jennison zu Beißer. »Geh weg, Beißer! Schon gut, mein Junge. Der kann mir nichts mehr tun. Geh weg!«
Beißer gehorcht.
Ben Jennison sieht seine Frau an.
Ihre Lippen bewegen sich, doch sie bringt keinen Ton heraus.
Er aber sagt: »Elroy hatte mich heute Vormittag schon vor einem Killer gewarnt, den McCloud angeworben haben sollte. Das war er.«
Er kniet nieder und untersucht den Mann.
Aber der ist tot. Die Kugel traf sein Herz. Und dennoch schoss er noch zweimal.
»Verdammter Killer«, sagt Georgia schrill. Und es sieht einen Moment so aus, als wollte sie dem Toten in die Seite treten – etwa so wie einem erlegten Wolf, der einige Lämmer aus einer Schafherde holte.
»McCloud«, sagt sie. »Tyrone McCloud. Ihr habt schon einmal miteinander gekämpft – damals während des Krieges. Ja, er hasst dich noch aus jener Zeit. Und er weiß, dass er dich erst umbringen muss, will er den anderen Furcht einjagen. Ich danke Elroy, dass er dich warnte.«
Sie blickt wieder auf den Toten – und als ob sie sich jetzt erst bewusst würde, dass ein Toter da liegt, weicht sie zwei Schritte zurück. Ihre Unterlippe zittert plötzlich. Sie hält sie mit den Zähnen fest.
Dann sieht sie über den toten Killer hinweg auf Jennison, ihren Mann.
Sie betrachtet ihn ernst.
Und eigentlich jetzt erst wird ihr klar, wie hart und gefährlich er als Kämpfer ist. Bisher sah sie ihn nicht so. Sie kannte nur seine Kriegsauszeichnungen und hörte von Elroy Hicks einige Dinge. Auch wusste sie, dass er der Herdenboss von texanischen Treibmannschaften war. Einmal soll er mehr als sechstausend Rinder nach Kansas getrieben haben.
Ja, das weiß sie alles, und sie weiß auch, dass solch ein Herdenboss auf dem Chisholm Trail vergleichbar ist mit einem Walfängerkapitän, der mit seinem Schiff um Kap Hoorn segeln muss, um dann den Wal mit Harpunen und von kleinen Booten aus zu jagen. Ja, das weiß Georgia alles.
Und dennoch kommt Ben ihr heute anders vor. So wie jetzt, so sah sie ihn noch nie.
Sie denkt unwillkürlich an einen Ritter in schwarzer Rüstung, der aus einer belagerten Stadt oder Burg reitet, um vor den Toren mit dem Anführer der Feinde zu kämpfen.
Ja, dies alles fällt ihr ein. Sie hat es irgendwann einmal gelesen.
Und plötzlich kommt ihr Ben Jennison, ihr Mann, wie solch ein schwarzer Ritter vor, der für die anderen kämpfen soll.
Zugleich auch spürt sie Furcht, und sie bemüht sich verzweifelt, diese Furcht unter Kontrolle zu bekommen.
»Ben, wenn ich dich bitten sollte, dass wir von hier weggehen ...«, beginnt sie zögernd, so, als brächte sie die Worte nur schwer über ihre Lippen.
Aber sie sieht ihn den Kopf schütteln.
Über den toten Killer hinweg sehen sie sich an.
»Nein«, sagt er, »ich gehe hier nicht weg. Wir haben hier drei volle Jahre Arbeit investiert – und unsere gesamten Ersparnisse. Nein, Georgia, dies hier ist unser Platz. Hier bleiben wir.«
Sie sieht ihn staunend an, so, als sähe sie ihn jetzt erst richtig.
Und dann wird sie sich bewusst, dass sie eine Schrotflinte in den Händen hält, dass sie also geglaubt hat, ihm mit einer Waffe zu Hilfe kommen zu müssen.
Sie erschrickt, denn ihr wird klar, dass sie getötet hätte, sollte es notwendig gewesen sein.
»Bring ihn fort, Ben«, sagt sie heftig. »Bring diesen verdammten Killer, der hier eingebrochen ist wie die Verkörperung des Bösen, von hier fort. Es war so schön, hier mit dir zu leben und aufzubauen. Es war so wunderschön ...«
Sie bricht ab und wischt sich übers Gesicht.
Dann verharrt sie und sieht zu, wie Ben Jennison den Toten über dessen Pferd legt und aufsitzt.
»Ja, ich bringe ihn fort«, sagt Jennison. »Und es wird eine Weile dauern, bis ich wieder zurück bin, Liebes.«
»Wohin bringst du ihn – in die Stadt?« So fragt sie herb.
»Nein«, sagt er. »Zu McCloud!«
✰
Elroy Hicks kommt etwas spät zum Mittagessen, und deshalb betritt er die Küche von Lou Madisons Speisehaus von der Hofseite her.
Lou sitzt am Küchentisch und trinkt Kaffee. Sie wirkt ziemlich erledigt, denn es war keine leichte Arbeit, mehr als drei Dutzend Gäste zu bedienen und zwischendurch auch noch ihrem chinesischen Koch ein wenig zu helfen.
Diese Kaffeepause ist für sie immer eine kleine Erholung, bevor sie sich daranmacht, den Speiseraum zu säubern und die Tische abzuschrubben.
Als Elroy Hicks eintritt, beginnen ihre Augen zu funkeln.
Als er sich zu ihr an den Tisch setzt und sie angrinst, nickt sie.
»Richtig«, sagt sie, »dich kenne ich, Mister. Dich habe ich schon mal gesehen, mein Herzchen, jawohl! Bist du nicht der schlaue Hombre, der überall seinen Hut hinhängen kann?«
Er grinst immer noch. Aber er sagt: »Wenn du Wert darauf legst, dann gehe ich in den Gastraum und zahle für das Essen.«
Er wendet sich zur Seite. Dort steht der Chinese noch am Herd.
»Hast du noch von dem Hammelbraten, Charly?« So fragt er. »Und zum Nachtisch einen schönen Kuchen, den ich in den Kaffee tunken kann, ja?«
Der Chinakoch sieht auf Lou Madison.
Diese nickt.
Dann sieht sie wieder Elroy an und murmelt: »Ich will dir etwas sagen, mein Guter. Frits Fritsimmons interessiert sich für mich. Ich könnte ihn haben und brauchte nicht mehr hier zu schwitzen und die ganze Woche nach Braten zu stinken. Verstehst du, Hombre? Es ginge mir also besser. Nur du darfst dann nicht mehr zu mir geschlichen kommen. Das würde meinem Ruf schaden – und Frits würde böse sein und mich vielleicht nicht mehr haben wollen. Hast du verstanden?«
Er nickt und leert ihre Kaffeetasse.
»Aaah, das tut gut«, sagt er. »Ich werde dich heute nach Mitternacht besuchen. Lass das Fenster offen. Und niemand wird wissen, dass ich bei dir war, wenn ich am anderen Morgen verschwinde, bevor die Leute aufwachen. Ich bin ein erstklassiger Spezialist. Lou, ich habe die ganze Zeit, da ich weg war, immerzu an dich gedacht. Mir macht es nichts aus, wenn du nach Braten riechst. Für mich bist du die beste Honeybee auf dieser Erde.«
Sie will wütend werden, und sie ist ein Mädchen, das schon längst Frau sein müsste. Früher trat sie in den Saloons auf, sang auf der Bühne und tanzte auch ein wenig. Auch als Spielerin versuchte sie es.
Aber nichts gelang ihr so richtig.
Erst hier in ihrem Speisehaus hat sie Erfolg. Denn sie verdient hier an reinem Gewinn zumindest doppelt so viel wie ein Cowboy.
Sie will also wütend werden und ihm mit drastischen Worten eine Antwort geben, so wie es ihre Art ist. Denn sie versuchte noch niemals im Leben, eine feine Dame zu spielen. Aber dann lächelt sie.
»Du verdammter Strolch«, murmelt sie. »Ich frage mich, warum ich dich nicht mit dem Teigroller aus der Küche jage. Kannst du mir das sagen, Elroy?«
»Weil ich dich mag«, sagt er. »Und hätte ich eine Million, würde ich sie mit dir teilen. Oh, Lou, ich will dir etwas sagen. Der größte Gefallen, den ich dir erweise, ist der, dass ich dich nicht heirate. Sieh mal, wenn ich ab und zu mal hier vorbeikomme, bist du nachher immer glücklich. Aber als dein Mann würde ich dich unglücklich machen. Ja, ich bin ein verdammter Strolch.«
Er bekommt nun das Essen und beginnt, es ohne Zögern zu vertilgen.
Lou Madison betrachtet ihn mit einer Spur von Bedauern.
Dann sagt sie fest: »Du kommst heute Nacht nicht. Das Fenster wird zu sein. Ich werde mich für Frits Fritsimmons entscheiden. Dies ist das letzte kostenlose Essen von mir. Charly wird das Speisehaus von mir pachten. Ich werde in Fritsimmons' schönem Haus leben. Verstanden?«
Er nickt und sagt kauend: »Der ist oft unterwegs zu all seinen Minen in der Umgebung. Du wirst so manche Nacht allein sein. Und er ist ja auch eigentlich zu alt für dich. Ich wette, dass du auch in Fritsimmons' Haus ein Fenster auflassen wirst, so wie diese Nacht hier in diesem Haus.«
»Nein«, sagt sie und erhebt sich mit einem Ruck. »Du bist ein blöder Hammel, Elroy. Denn du kannst nicht erkennen, wenn es einer Frau ernst ist. Ja, du bist ein blöder Hammel. Und jetzt muss ich an die Arbeit.«
Sie lässt ihn wahrhaftig sitzen – und dies ist ihm noch niemals passiert.
Er sitzt staunend da und vergisst einen Moment das gute Essen.
Als er sich schon erheben will, hört er aus dem Gastraum durch die offene Tür eine Frauenstimme fragen: »Lou, ist Elroy hier? Man sah ihn in die Stadt kommen. Ist er bei dir?«
»Sicher! Geh in die Küche. Dort sitzt er und schlägt sich den Bauch voll. In der Küche sitzt dieser blöde Hammel!«
Elroy Hicks erhebt sich – und er ist nun wütend.
Aber als er Georgia sieht, die in die Küche kommt, grinst er und gibt sich alle Mühe, einen guten Eindruck zu machen. Das kann er gut, denn es fallen fast alle Frauen und Mädchen auf ihn herein.
Georgia aber ist stets kühl zu ihm gewesen – nicht unfreundlich, im Gegenteil. Doch sie konnte ihn stets auf Distanz halten. Bei ihr wagte er niemals Anzüglichkeiten.
Sie sieht ihn fest an.
»Bist du Bens Freund?« Das fragt sie geradezu.
Er nickt.
»Ein verdammter Killer kam und wollte ihn töten«, sagt sie. »Aber Ben war schneller mit dem Colt. Nun bringt er den toten Killer zu McCloud. Hast du verstanden, Elroy?«
»Genau«, antwortet dieser grinsend. »Das sieht ihm ähnlich.«
Er sieht Georgia fest an.
»Ich danke dir, Georgia, dass du zu mir gekommen bist. Denn ich bin nicht nur Bens Freund, sondern ihm auch noch etwas schuldig. Ich danke dir, Gigi!«
Er gebraucht nun einen Kosenamen. Und dann geht er hinaus.
Als Georgia sich umwendet, steht Lou Madison hinter ihr und hat einen nachdenklichen Ausdruck in den Augen, ganz so, als hätte sie nun endlich den richtigen Elroy Hicks gesehen – und der ist so völlig anders, als sie bisher glaubte.
✰
»Hallo, Ben Jennison«, sagt Lily McCloud von der Veranda her. »Wen bringen Sie denn da herbei?«
»Einen Freund Ihres Mannes«, erwidert er. »Ist Ihr Mann nicht daheim?«
»Nein«, erwidert sie. »Der muss überall nachsehen, ob seine Leute alles richtig machen. Und weil die Ranch jeden Tag ein Stück größer wird und auch die Rinder sich jeden Tag und jede Nacht um ein paar Kälber vermehren, wird er bald nur einmal im Jahr auf Besuch kommen. Ein Freund meines Mannes soll das sein?«
Sie deutet auf den Toten.
»Ist der tot oder nur betrunken?«
»Tot«, sagt Ben Jennison. »Er sollte mich erschießen. Und weil er gewissermaßen für Ihren Mann gestorben ist, soll dieser ihn auch beerdigen. Ich hätte ihm dies gerne selbst gesagt. Leider geht das nicht. Richten Sie es ihm aus?«
Sie steht starr da, staunend, überrascht – und dann unverkennbar beeindruckt.
Sie muss mühsam schlucken und leckt sich dann über die vollen, lebendigen Lippen. Dann aber reckt sie das Kinn hoch.
»Ben Jennison«, sagt sie, »was sind Sie für ein Mann! Sind Sie am Ende verrückt, mit diesem Toten herzukommen? Ist Ihnen nicht klar, was Sie da gewagt haben? Ein Glück für Sie, dass Ty nicht daheim ist. Was für ein Glück, Mister! Und nun reiten Sie schnell – sehr schnell! Ich mag tapfere Männer, doch ich möchte nicht zusehen, wenn sie kleingemacht werden. Nein, das möchte ich nicht sehen.«
Nach diesen Worten sieht sie ihn noch einmal an, als hätte sie es mit einem Verrückten zu tun.
Dann will sie sich abwenden, verharrt aber jäh.
Ihr Blick geht über Jennison hinweg.
Jennison wendet sich halb um und blickt über die Schulter.
Und der krumme und schiefe Pferdepfleger sagt heiser und gepresst: »Da kommt ja der Boss!«
Ja, auch Jennison sieht ihn kommen.
Er zieht nun sein Pferd herum, sodass er McCloud entgegensehen kann.
McCloud hat einige Reiter bei sich, auch seinen Vormann Big Cat Jim Hancock. Sie waren einige Tage und Nächte unterwegs. Das sieht man ihnen an.
McCloud winkt seinen Reitern mitzukommen. Er gibt ihnen auch einige Befehle. Denn sie halten an und bilden auf dem Hof eine lose Front.
McCloud reitet weiter, bis die Nase seines Pferdes fast die Nase von Jennisons Tier berührt.
Sein Vormann hält sich zwei Schritte links hinter ihm.
Sie sind beide beachtliche Männer, und man traut ihnen auf den ersten Blick zu, dass sie eine Großranch mit zwanzigtausend oder noch mehr Rindern in Gang halten und in ihrem Gebiet die absolute Macht ausüben.
Tyrone McCloud muss fast fünfzig Jahre alt sein. Er ist ein schon alt gewordener Löwe. Doch er ist noch ein Löwe, der jagen und kämpfen kann. Ja, sein Anblick lässt an einen Löwen denken – an einen König unter seinen Artgenossen.
Es geht auch jene löwenhafte Würde von ihm aus, die keinen Widerspruch duldet. Wenn man ihn sieht, hält man eine riesengroße Ranch recht angemessen für ihn und wäre enttäuscht, würde es nicht so sein.
Sein Vormann Jim Hancock, dem sie schon als Jungen einst den Beinamen »Big Cat« gaben, also Große Katze, ist von anderer Art.
Jim Hancock hat nichts Löwenhaftes an sich, obwohl ja ein Löwe auch eine große Katze ist.
Hancock wirkt nicht löwenhaft, sondern katzenhaft. Sein runder Kopf mit den schräg gestellten Augen, die spitzen Ohren, die kleine Nase und sein Katerbart, schon dies alles ist katzenhaft.
Und wenn man ihn zu Fuß gehen sieht, dann denkt man sofort an eine große Katze auf Jagd, an einen Wildkater, der auch mit einem Wolf um die Beute zu kämpfen bereit ist.
Das sind sie also – die Bosse der McC Ranch, einer Macht im Land, die sich immer noch weiter ausdehnen und vergrößern will.
McCloud starrt Jennison mit seinen unwilligen Löwenaugen an. Er grüßt nicht und erwartet auch keinen Gruß. Er fragt nur: »Was soll das? Ist das ein Toter? Was soll das, Rebellen-Captain?«
Jennison grinst, und er wirkt nun sehr verändert. Aber das liegt nicht nur an seinem Zähnezeigen, denn mehr als ein Zähnezeigen ist dieses Grinsen nicht. Es ist keine Spur von Freundlichkeit darin, eher schon eine bewusste Herausforderung.
»Ihr Mann, Colonel – Ihr Mann«, sagt er und deutet auf den Toten. »Ein verdammter Killer, der mich wegputzen sollte. Aber er war nicht richtig informiert. Er wusste nicht, in was er hineinrennen würde. McCloud, wenn Sie noch mal einen verdammten Killer kommen lassen, um die Dinge auf diese Weise zu beeinflussen, dann komme ich wieder her. Und dann sind Sie ein toter Mann. Ich denke, Sie werden Ihren Angestellten beerdigen. Deshalb brachte ich ihn her.«
Er verstummt fast lässig.
Doch man sieht ihm an, wie sehr er lauert. Seine Linke ist bereit.
Und McCloud weiß genau, was Jennison mit dem Colt alles zustande bringen kann.
Er weiß es zu gut.
Er hört Jim Hancock neben sich sagen: »Boss, den übernehme ich. Reiten Sie ein Stück zur Seite. Dann gebe ich es ihm!«
Aber McCloud sagt nichts. Er überlegt noch, und er lauscht dabei tief in sich hinein auf seinen Instinkt. Dabei fällt ihm ein, was einmal vor Jahren während des Krieges war.
Oh, er weiß, warum Jennison es wagen konnte, herzukommen mit einem toten Killer, und ihm jetzt auch noch zu drohen. Er weiß, dass er und Jim Hancock sehr schnell tot sein würden, gäbe er den Befehl, Jennison anzugreifen.
Er hat das schon einmal versucht – mit sieben Mann hat er damals den Rebellen-Captain gefangen nehmen wollen. Aber er wurde dann selbst von ihm gefangen. Und sechs Mann verlor er dabei.
Nun denkt er wieder daran. All die Jahre dachte er daran. Er nickt Jennison zu. »Ja, ich werde ihn beerdigen. Und nun reite. Ich habe dich gehört. Du hast ihn hergebracht. Nun reite von meiner Ranch.«