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Es war der schwärzeste Tag meines Lebens. Am Morgen überfiel mich eine Apachenbande und raubte mich aus bis auf meinen leergeschossenen Colt und mein ungesatteltes Pferd. Dann geriet ich einem Rudel Hartgesottener in die Quere, die mich zwangen, ihnen mein Pferd zu überlassen.
Als sie weiterritten, rief mir ihr Anführer höhnisch zu: "In Jericho kannst du dir deinen Gaul wiederholen! Doch ich rate dir dringend davon ab, denn dort hättest du erst recht keine Chance gegen uns!"
In stummer Wut blickte ich ihnen nach, und mein Entschluss stand fest: Ich würde seiner Einladung folgen, denn ich war ein Bursche, der noch jedem alles mit Zinsen zurückgezahlt hatte...
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Seitenzahl: 176
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Keine Chance in Jericho
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4310-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Keine Chance in Jericho
1
Als ich die Wasserstelle erreichte, da wusste ich genau, dass noch zwei Apachen hinter mir her waren, um ihre drei Vettern zu rächen, die es nicht geschafft hatten, mich zu erledigen. Denn als sie auf meine Fährte stießen, waren sie fünf gewesen. Sie hatten mein Pferd und meine Waffen gewollt, wahrscheinlich auch meinen Proviant. Als sie mich in meinem Camp überfielen, hatte ich die Gefahr im allerletzten Moment erkannt. Ich schoss mir den Weg frei und warf mich auf mein ungesatteltes Pferd. Ja, ich entkam. Aber zwei von ihnen folgten mir.
Ob ich die drei anderen getötet hatte, wusste ich nicht. Doch zumindest konnten sie mir nicht mehr folgen.
Mir ging es ziemlich schlecht. Auf meinem sattellosen Pferd und ohne Stiefel war ich schon drei Tage und drei Nächte unterwegs. Bald würde die vierte Nacht beginnen.
Und ich wusste, sie waren irgendwo in meiner Nähe und wollten immer noch mein Leben. Mein einziger Freund war mein Colt. Aber auch mit diesem Ding hatte es einen Haken, denn er war nicht mehr voll geladen.
Die Wasserstelle erkannte ich an dem frischeren Grün zwischen den roten Felsen. Ich war fast verdurstet, und auch mein gutes Pferd fiel gewiss bald um. Dennoch verhielten wir und witterten hinüber.
Mein grauer und narbiger Wallach war ein Kriegspferd, das von Comanchen geschult und abgerichtet wurde. Aber das war schon einige Jahre her.
Was mich warnte, war die Tatsache, dass aus dem frischen Grün zwischen den roten Felsen keine Vögel aufflogen bei unserer Annäherung. Sie mussten also schon vorher fortgeflogen sein.
Ja, es war wahrscheinlich, dass die beiden Apachen vor mir dort drüben angekommen waren und nun auf mich warteten.
Denn ich musste zum Wasser.
Es gab sicherlich nirgendwo eine zweite Wasserstelle in für mich erreichbarer Nähe. Wenn ich und mein Pferd dort drüben kein Wasser bekommen konnten, würden wir morgen im Laufe des Tages umkommen.
Denn dieses Land hier war gnadenlos. Kalten Nächten folgten hitzeflimmernde Tage unter sengender Sonne. Und sonst gab es nur Staub.
Es war ein unübersichtliches Land mit tausend verborgenen Winkeln, das nur aus von der Erosion zerfressenem Urgestein zu bestehen schien.
Und dennoch gab es Kakteen mit bunten Blüten, um die Kolibris wie funkelnde Edelsteine schwirrten.
Und es gab noch viele, viele andere Gegensätze in diesem Land.
Ich wollte mich gerade dazu entschließen, abzusitzen und mich neben meinem Pferd zu Fuß der Wasserstelle zu nähern, immerzu bereit, in Deckung zu gehen oder sonst wie reflexhaft zu reagieren – als die beiden Apachen angriffen.
Das war verrückt, einfach dumm und ganz und gar unverständlich.
Sie hätten in guter Deckung auf mich warten können. Denn ich musste zum Wasser. Aber sie kamen nun auf ihren hageren Pferden zwischen den Felsen und dem Grün hervor und griffen mich an.
Ich warf mich aus dem Sattel, rollte von meinem Pferd weg und kniete dann. Sie schossen im Anreiten mit ihren Gewehren auf mich.
Und ich schoss mit meinem Colt zurück. Einen traf ich, denn ich sah ihn im Sattel schwanken. Dann traf ich den zweiten. Er fiel vom Pferd. Das Pferd des anderen lief mit seinem Reiter weiter.
Ich erhob mich schnaufend.
Das war es also. Ich hatte gewonnen. Der Weg zum Wasser war für mich frei. Der einzige noch überlebende Apache war verwundet und hatte die Flucht ergriffen.
Ich hätte eigentlich Grund zum Jubeln gehabt.
Aber das tat ich nicht. Denn endlich begann ich nachzudenken.
Dass die Apachen mich nicht in sicherer Deckung erwartet, sondern plötzlich angegriffen hatten, war geradezu blödsinnig von ihrem Standpunkt aus.
Sie mussten einen bestimmten Grund für diese Ungeduld und Eile gehabt haben.
Denn allgemein waren sie geduldig und konnten warten.
Ich konnte an diesem sterbenden Tag nicht mehr so gut nachdenken, denn ich war erschöpft, fast verdurstet und ziemlich am Ende.
Doch endlich begriff ich es.
Es kamen Reiter, wahrscheinlich welche von meiner eigenen Hautfarbe.
Deshalb konnten die Apachen nicht länger warten. Sie mussten die Flucht ergreifen. Dabei versuchten sie noch einmal ihr Glück mit einem allerletzten Angriff.
Anders konnte es nicht sein.
Und so konnte ich eigentlich froh sein und mich endgültig als gerettet fühlen. Dass mein Colt nun leer war, spielte gewiss keine Rolle mehr.
Ich trat zu meinem Pferd und klopfte ihm gegen den Hals.
Dann ging ich zu den Felsen und dem Grün hinüber.
Das Tier folgte mir wie ein Hund.
Es gab dort zwischen den Felsen eine Quelle, die eine natürliche Wanne füllte, die so groß und tief war, dass man darin hätte schwimmen können.
Ich trank und goss mir mithilfe des Hutes immer wieder Wasser über den Kopf. Dann sah ich den Reitern entgegen, die von der anderen Seite zwischen den Felsen sichtbar wurden.
Sie kamen mit schussbereiten Waffen, waren vorsichtig, aber entschlossen. Sie hatten natürlich die Schüsse gehört und wahrscheinlich auch den flüchtenden und verwundeten Apachen gesehen.
Es waren vier Reiter auf drei Pferden. Einer der Männer musste unterwegs sein Pferd verloren haben, denn er ritt bei einem anderen Mann mit. Und einer der Reiter hatte seinen Sattel bei sich auf dem Pferd.
Nun, es konnte schon mal vorkommen, dass man in diesem Land sein Pferd verlor. Da gab es viele Möglichkeiten.
Ich stand nun am Rand des Wassers und sah den Ankömmlingen entgegen.
Es waren Hartgesottene, dies erkannte ich sofort.
Ich erfasste es instinktiv, etwa so, wie man beim Anblick eines Wolfsrudels sofort erkennt, dass man es nicht mit einer Hundemeute zu tun hat.
Ja, es waren Hartgesottene. Sie strömten etwas aus, was schwer zu beschreiben war. Es war nicht nur verwegene Kühnheit, sondern zugleich auch eine Strömung von Gnadenlosigkeit, die nur den eigenen Vorteil kannte.
Auch sie betrachteten mich.
Meinen Colt hatte ich im Holster stecken. Er würde mir ohnehin nichts mehr genützt haben, da er ja leer war. Es hätte auch keinen Sinn gehabt, mit ihm zu bluffen. Diese vier Männer hätten ausprobiert, ob ich schießen würde oder nicht.
Aber eigentlich gab es ja keinen Grund für Verdruss mit ihnen.
Oder doch?
Selbst wenn sie Banditen waren – bei mir gab es nichts zu erbeuten.
Oder doch?
Zum zweiten Mal fragte ich mich das.
Denn mir wurde klar, dass einer dieser Reiter kein Pferd mehr besaß.
Ich aber hatte eins, wenn auch ohne Sattel.
Doch sie hatten ja einen überzähligen Sattel bei sich.
Noch indes sie tranken, sich erfrischten und auch ihren Pferden die Tränke ermöglichten, wurde ich mir darüber klar, dass es Verdruss geben würde, wenn sie Banditen waren.
Aber ich konnte nichts anderes tun als warten.
Nach einer Weile kamen sie auf meine Seite. Einer sagte: »Nun, Verdruss gehabt mit den Apachen?«
Ich nickte nur und betrachtete den Mann, der kein Pferd mehr hatte und hinter einem der Reiter mit auf dessen Pferd saß. Auch er sah mich an, indes er sich näherte. Er trug noch seine Sporen. Sie klingelten leise.
Er war blond und blauäugig. Aber seine Augen standen schräg, und er hatte einen dünnlippigen, harten Mund, über dem ein sichelförmiger Bart hing, der jedoch nicht blond, sondern rot war.
Er grinste plötzlich und sagte aus dem Mundwinkel zu den anderen Männern: »Ich sehe ihm an, dass er schon etwas wittert. Könnt ihr es ihm auch ansehen?«
Sie nickten, indes sie mich aufmerksam betrachteten und prüften.
Einer sagte: »Vance, der gehört zu unserer Sorte, denke ich.«
Es klang irgendwie vermittelnd und warnend zugleich.
Doch jener Vance schüttelte unwillig den Kopf und sah mich fest an.
»Wer bist du? Woher kommst du? Und wohin willst du?« So fragte er knapp.
Ich grinste ihn an und erwiderte: »Amigo, das geht dich einen Dreck an.«
Aber auch er grinste und nickte dann.
»Ja, das stimmt wohl«, sagte er. »Na schön, machen wir es kurz. Ich habe mein Pferd verloren. Und unser Weg ist noch weit. Ich möchte nicht länger mehr hinter meinem Partner hocken und dessen Pferd überlasten. Deshalb werde ich mir dein Tier nehmen, verstanden? Was dagegen?«
Ich nickte.
»Sicher«, erwiderte ich, »eine Menge sogar. Aber ich hätte wohl kaum eine Chance. Aber gibst du wenigstens zu, dass dies Pferdediebstahl ist und du ein Pferdedieb bist?«
Er grinste. Sie alle grinsten. Dann sagte er: »Oha, wenn’s nur das ist … Wir sind schlimmere Burschen als nur Pferdediebe. Du bist also einverstanden, dass ich dein Pferd nehme?«
»Natürlich nicht«, erwiderte ich. »Aber ich kann wohl im Moment wenig dagegen tun und …«
»Hoiii, du hast doch einen Colt! Und soeben hast du noch gegen Apachen gekämpft. Du könntest eine Menge dagegen tun, dass ich dein Pferd nehme. Denn die Sache betrifft nur dich und mich. Und wenn du mich von den Beinen schießen kannst, dann brauchte ich dein Pferd nicht mehr, nicht wahr, hahahaha.«
Sein Lachen klang heiser. Und in seinen schrägen Augen funkelte es.
Er war ein Bursche, der keinem Kampf aus dem Weg ging und sich immer wieder beweisen musste, dass er der Größte war.
»Mein Colt ist leer«, sagte ich. »Die Apachen jagten mich schon vor drei Tagen aus meinem Camp. Ihr seht doch, dass ich keinen Sattel, kein Gepäck und nicht mal Stiefel an den Füßen habe. Mein Colt ist leer. Vorhin verschoss ich die letzte Kugel.«
Nach diesen Worten wartete ich.
Sie staunten.
Aber dann begannen sie zu grinsen.
»Dein Pech, Hombre«, sprach jener Vance dann. »Aber das ist fast immer so. Wenn man erst mal in eine Pechsträhne gerät, dann hält das eine Weile an. Aber diesmal ist es kein Pech mehr, dass du einen leeren Colt hast. Es ist dein Glück. Wahrhaftig. Denn ich bin Vance Vansitter. Mich besiegt keiner im Duell mit dem Colt. Und weil das so ist, steht mir dein Pferd zu. Verstanden?«
Wieder schüttelte ich den Kopf.
»Du hältst dich also für einen Auserwählten, nur weil du schneller als andere Männer ziehen und schießen kannst?« So fragte ich ihn.
Er nickte und grinste dabei.
»Das ist Naturgesetz«, erwiderte er. »Sieh dich um unter allen Lebewesen. Die stärksten Exemplare überleben. Na, vielleicht wirst auch du es überleben, wenn du dich hier lange genug ausruhst. Meinen Namen kennst du. Ich bin in Jericho zu finden. Aber komm lieber nicht dahin. Du hättest keine Chancein Jericho. Also bleib weg von der Stadt.«
Nach diesen Worten wandte er sich ab.
Er holte seinen Sattel, den einer der Reiter zu Boden geworfen hatte. Er nahm ihn und trat zu meinem Wallach. Dieser legte die Ohren an und wirkte wie ein tückisches Maultier.
Und wenn ich gepfiffen hätte, würde er ausgekeilt haben. Aber es hätte ihm wenig genützt. Sie hätten ihn bald eingefangen mit ihren Lassos und ihm gezeigt, wie schnell er auf die Nase fallen konnte. Sie hätten ihn kleinbekommen.
Das alles wollte ich ihm ersparen.
Und so ließ ich alles geschehen.
Niemand sprach noch etwas. Sie erfrischten sich und ihre Pferde an der Wasserstelle. Dann ritten sie davon.
Und der letzte Mann drehte sich im Sattel noch einmal um und sagte nachdrücklich: »Du hättest wirklich keine Chance in Jericho. Bleib weg von dort.«
Dann waren sie fort. Und ich stand da ohne Stiefel und mit einem leeren Colt im Holster.
Aus Jericho waren sie also, und das musste eine Banditenstadt sein, in der es kein Gesetz gab.
Überhaupt der Name Jericho. Ich hatte einmal von der uralten befestigten Stadt Jericho gelesen, die im Jordantal unweit vom Toten Meer lag. Sie wurde von Josua zerstört und gelangte unter Herodes dem Großen wieder zu neuer Blüte.
Aber das war ja wohl um die Zeit, da Jesus geboren wurde, wenn ich mich richtig an das erinnern konnte, was ich mal las.
Und nun gab es hier in diesem Land ein Nest, das sich ebenfalls Jericho nannte. Und es war offenbar ein Banditennest.
2
Wahrscheinlich hätte ich Jericho wirklich meiden sollen wie die Hölle selbst. Das wäre klug gewesen von mir.
Doch wahrscheinlich fehlte mir jene Klugheit der Weisen.
Ich war nur ein Bursche, der stets alles mit Zinsen zurückzahlen musste, was man ihm antat. In dieser Hinsicht befand ich mich in guter Gesellschaft. Denn schon der große römische Feldherr Sulla sagte einst: »Kein Mensch tat mir jemals Gutes oder Böses, ohne dass ich es ihm nicht voll zurückgezahlt hätte.«
Gewiss, dieses Denken war nicht christlich, und als Sulla das sagte, gab es Jesus ja auch noch nicht. Doch ich war in Texas aufgewachsen. Und dort dachte und lebte man damals noch nach den Worten Sullas und erzog auch seine Kinder so.
Und deshalb machte ich mich auf den Weg nach Jericho.
Wenn es eine Banditenstadt war, dann musste sie vernichtet werden.
Der Leser meiner Geschichte wird mich jetzt sicherlich für vermessen oder gar größenwahnsinnig halten. Doch ich war ein harter und erfahrener Bursche. Ich wusste aus Erfahrung, dass in solchen Städten stets nur eine Hand voll Böser über eine Mehrzahl Guter herrschte. Und diesen Guten fehlte nur der Anführer. Wenn sie ihn bekamen, bedurfte es nur noch eines allerletzten Anlasses, um sie in den Zorn der Gerechten ausbrechen zu lassen. Und dann fegten sie die Bösen hinweg.
Das war überall so.
Deshalb konnten auch in Jericho meine Chancen gar nicht so schlecht sein, obwohl der Pferdedieb und dessen Partner genau das Gegenteil behauptet hatten.
Und überdies gab es noch einen anderen Grund, das ich nach Jericho wollte: Es war gewiss der nächsterreichbare Ort für mich.
Bevor ich der Fährte folgte, hockte ich mich nieder und schnitt mir die Hosenbeine bis über die Knie ab. Mit diesen abgeschnittenen Hosenbeinen machte ich mir so etwas Ähnliches wie ein Mittelding aus Mokassins und Pantoffeln.
Dann machte ich mich auf den Weg.
Zuvor untersuchte ich natürlich den toten Apachen.
Doch der hatte nichts bei sich, was ich hätte gebrauchen können. Seine Apachenstiefel passten mir nicht. Sie waren drei oder vier Nummern zu klein für mich. Sein Gewehr war leergeschossen. Und alles andere sonst befand sich bei seinem Pferd, das mit dem entkommenden Apachen mitlief, als dieser flüchtend davonritt.
Nun, ich folgte also der Fährte der vier Reiter.
Und weil ich die Hufabdrücke meines Wallachs so genau kannte wie die Linien meiner Hand, würde ich diese Fährte auch nicht zwischen hundert anderen Fährten verlieren.
Die Nacht kam jedoch schon bald. Aber noch bevor es zu dunkel wurde, um der Fährte folgen zu können, stieß diese auf einen schmalen Reitpfad und folgte ihm nach Süden.
Und so blieb auch ich auf diesem Pfad.
Denn ich musste die bald einsetzende Kühle der Nacht nutzen, um vorwärtszukommen. Am nächsten Tag – wenn die Hitze wieder über dem Boden flimmerte und es nur Schatten in den schmalen Schluchten und wilden Canyons gab – würde ich mich vor der Sonne verbergen müssen. Denn sonst brachte sie mich um.
In diesem Land war ein normaler Mensch zu Fuß verloren.
Dass man mir mein Pferd nahm, war vergleichbar mit einem Mordversuch. Jawohl, so etwa war die Sache anzusehen. Es war, als hätte man mich in einer von Haifischen verseuchten See von Bord eines Schiffes geworfen.
Ich kam einige Stunden lang recht gut vorwärts, besonders nach Mitternacht, als die Kühle der Nacht intensiver wurde und ich jämmerlich gefroren hätte, wäre ich nicht in Bewegung geblieben.
Natürlich war ich erschöpft und spürte immer heftiger den Wunsch, anzuhalten und mich der Länge nach auf den Boden zu legen. Aber immer dann, wenn ich nicht mehr weiterzukönnen glaubte, holte ich aus meinem innersten Kern noch einmal etwas hervor, was mich auf den Beinen und in Bewegung bleiben ließ.
Erst gegen Morgen – als im Osten die ersten Lichtexplosionen die aufsteigende Sonne ankündigten – fiel ich der Länge nach hin und blieb liegen. Ich war am Ende, konnte nicht mehr, versank in einem ohnmachtsähnlichen Zustand totaler Erschöpfung.
***
Das Erwachen war schlimm, denn die Sonne brannte schon auf mich nieder, und ich verspürte Hunger und Durst. Der Hunger war gewiss noch eine Weile zu ertragen, obwohl ich viel von meiner Substanz verbraucht und mein Körper neue Säfte nötig hatte, um die verbrauchte Substanz erneuern zu können. Schlimmer war der Durst, und ich wusste, dies würde ein böser Tag für mich werden. Ich erhob mich und lief eine Viertelmeile, bis ich zwischen Lavafelsen und Dornenbüschen Schatten fand. Wieder legte ich mich hin und entspannte mich.
Etwas anderes konnte ich nicht tun.
Nicht weit von mir entfernt verlief der Weg mit der frischen Fährte der vier Reiter weiter nach Süden.
Als ich auf dieser Fährte nach Norden blickte, sah ich einen Wolf kommen.
Es war ein sandfarbener Wüstenwolf, einer von der Sorte, die sich oftmals auch von Klapperschlangen ernähren muss.
Ich wusste, der kam auf meiner Fährte. Vielleicht sagte ihm sein Instinkt, dass ich fast schon verloren war und keine Chance mehr hatte. Er würde also nur etwas Geduld haben müssen. Vielleicht würde ich ihm bald schon als Nahrung dienen. Denn er war ja von der Schöpfung dazu bestimmt, alles Schwache, Kranke und Sterbende zu vertilgen.
Etwas weiter als einen Steinwurf von mir entfernt hielt er an und witterte zu mir herüber.
Ich sagte heiser: »Komm her, mein Junge. Dann schneide ich dir die Kehle durch. Komm her, mein Bester. Dann wirst du herausfinden, wer von uns beiden zum Untergang bestimmt ist.«
Seine Ohren spielten. Er hörte meine Stimme in der Stille Wort für Wort.
Natürlich konnte er die Bedeutung meiner Worte nicht verstehen.
Aber was in meiner Stimme schwang, dies ließ ihn sein Instinkt sofort begreifen. Und so setzte er sich wieder in Bewegung und verschwand nach Osten zu zwischen den Felsen und Kakteen.
Er hatte aufgegeben, mir zu folgen. Er wusste jetzt, dass ich noch länger wehrhaft sein würde, als er seinen Hunger ertragen konnte. Jetzt suchte er eine andere Beute in diesem erbarmungslosen Land.
Ich fragte mich, wie weit es noch bis Jericho war.
Und dann schlief ich noch einmal ein.
Als ich erwachte, war es Nachmittag. Ich entdeckte in meiner Nähe einige Kakteen von einer bestimmten Sorte. Ich ging hin, schnitt sie an und holte das feuchte Mark heraus. Als ich es zu kauen begann, wurde mein Durst ein wenig gelindert. Doch die fehlende Flüssigkeit in meinem Körper konnte die geringe Menge Feuchtigkeit nicht ausgleichen.
Als die Sonne weit im Westen stand und nicht mehr so erbarmungslos brannte, machte ich mich wieder auf den Weg.
Noch vor Anbruch der Nacht kam ich auf der Fährte aus einer Schlucht und an einen alten Wagenweg, den vielleicht schon die Spanier benutzten, als sie damals kamen, um hier überall nach Gold zu suchen und die Indianer zum christlichen Glauben zu bekehren, sie aber zugleich auch als Sklaven für sich nützlich zu machen.
Die Fährte blieb nun auf dem Wagenweg, und ich war sicher, dass der alte von Radfurchen und Hufspuren geprägte Weg nach Jericho führen würde.
***
Es war ein erbärmlicher Weg. Mehrmals musste ich meine »Fußlappen« umbinden, weil ich sie immer wieder durchlief. Der Hosenstoff war nicht besonders haltbar, wenn man ihn als Schuhwerk benutzte.
In meinen Füßen stachen Dornen. Die Beine bis zu den Knien hinauf waren voller Schnitte. Sie bluteten. Der Weg nach Jericho wurde für mich mehr und mehr zu einem mühsamen Kampf ums Überleben.
Und als es dann schon nach Mitternacht war, Mond und Sterne klar am Himmel strahlten und sie dennoch so kalt und erbarmungslos wirkten, da sah ich das Feuer in der Nacht.
Ja, da unten in der Senke brannte ein Feuer.
Wahrscheinlich gab es dort eine Wasserstelle. Denn warum sonst würde dort jemand lagern und ein Feuer in Gang halten, das meilenweit zu sehen war? Denn die Senke war fast wie ein flaches Tal. Drüben im Süden versperrte eine scharf gezackte Hügelkette den Weg. In der hellen und klaren Nacht war die Sicht meilenweit.
Ich hielt an und blickte zu jenem roten Auge hin, welches das Feuer war.
Und dann hörte ich etwas.
Es war ein vielstimmiges, wie zitternd klingendes Bähen.
Schafe!
Dort am Feuer waren Schafe.
Heiliger Rauch, ich war auf eine wandernde Schafherde gestoßen.
Sie rastete dort, und wahrscheinlich gab es dort wirklich Wasser und ein wenig Grün, also Futter.
Ich verließ den alten Wagenweg und ging auf das Feuer zu.
Bald hörte ich das fortwährende Bähen der Tiere lauter und klarer.
Dann tauchte ein Hund vor mir auf.
Es war ein großes, zottiges Tier, das es gewiss auch mit einem Wolf aufnehmen konnte. Der Hund bellte nicht, aber sein leises Knurren sagte mir, dass er mich anspringen würde, wenn ich noch einen einzigen Schritt vorwärts machte.
Und so rief ich mit heiserer Stimme durch die Nacht und das Bähen der Tiere: »Hoiii, Leute, hier ist jemand, der zum Wasser möchte! Hört ihr mich? Holt den Hund von mir weg!«
Einen Moment lang blieb es still. Sogar das vielstimmige Bähen der Tiere schien leiser zu werden.
Dann tönte eine Frauenstimme, deren Timbre dunkel und kehlig war: »Komm her, Beißer! Komm!«