1,99 €
Als Chet Kinkaid, den sie River-Wolf nennen, zum Ufer hinüberspäht, sieht er die Reiter. Es sind wilde, drohend aussehende Gestalten, die genau auf die Anlegestelle des Dampfbootes zujagen, das er erst vor wenigen Stunden verlassen hat. Chet denkt an das blutige Schicksal, das den Menschen der "Sunbee" bevorsteht. Und er denkt an die junge Schiffseignerin, deren Bild er nicht aus seiner Erinnerung verbannen kann. Entschlossen rudert er zum Ufer zurück. Und während er zu Fuß die Verfolgung der Banditen aufnimmt, wächst in ihm die Angst, auch diesmal zu spät zu kommen. So wie damals, als eine Horde menschlicher Bestien das Holzfällerlager überfiel und seine Frau tötete, die ihm in die Wildnis der Flusswälder gefolgt war...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 190
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
River Cat und River-Wolf
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4311-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
River Cat und River-Wolf
1
Von Fort Buford zur Yellowstone-Mündung sind es genau zwei Meilen. Die kleine Sunbee – ein Dampfboot mit einem Heckschaufelrad – hält bei Fort Buford nur an, um Postsäcke, Kisten und Ballen Fracht und einige Passagiere auszuladen. Dann geht sie wieder in den Strom, um die Fahrt fortzusetzen.
Chet Kincaid, der bei Kansas City mit seinem großen Kanu an Bord kam, macht dieses fertig, sodass man es bald schon mithilfe des Ladebaumes und der Dampfwinde über Bord heben und ins Wasser setzen kann.
In Chet Kincaids Kanu ist alles, was ein Trapper und Pelzjäger einen langen Winter hindurch benötigt, um seiner Jagd nachgehen zu können. Ein paar einsame Monate liegen vor ihm in einem gefährlichen Land am Yellowstone.
Aber das ist ihm recht, denn er ist ein Mann, der sich selbst genug sein kann und der die Menschen verachten lernte, ihnen zumindest mit Misstrauen begegnet. Denn sie belügen und betrügen sich, heucheln Christlichkeit, in Wirklichkeit aber ist ihnen nichts zu heilig und nicht zu gemein, dass sie es nicht tun könnten.
Ja, er hat genug von seinen Artgenossen auf dieser Erde.
Deshalb suchte er auch hier an Bord keine Gesellschaft, blieb für sich und ließ auch durch seine ganze Ausstrahlung spüren, dass er keinen Wert auf Bekanntschaften legte.
Nun aber wird er das Schiff bald verlassen.
Sein Blick geht vom Vorderschiff hinauf, zum Ruderhaus.
Dort sieht er die Frau stehen, die er all die vielen Tage und Nächte beobachtete und mit der er die ganze Zeit nur wenige Worte wechselte und Blicke tauschte.
Dennoch spürten sie beide, dass sie immer, wieder einander beobachteten und sich in Gedanken miteinander beschäftigten.
Chet Kincaid ist ein großer, hagerer Bursche mit gelben Haaren und grauen Augen. Trotz seiner gelben Haare hat er etwas Indianerhaftes, und man traut ihm vom ersten Blick an zu, dass er zu jenen Männern gehört, die in jeder Situation für sich sorgen können.
Die Frau aber – Ann Derringer ist ihr Name – kam aus dem Ruderhaus, wo ihr Steuermann das Ruder führt. Sie tritt neben dem Ruderhaus an die Reling und blickt auf Chet Kincaid nieder.
Und weil er zu ihr emporsieht, treffen sich ihre Blicke diesmal für längere Zeit. Ja, diesmal sehen sie sich länger an als sonst.
Er kann durch die Querstäbe der Reling ihren schlanken Körper betrachten.
Sie trägt eine Hose und darüber eine Hemdbluse. Ihr Körper verrät ständig eine katzenhafte Geschmeidigkeit.
Chet Kincaid weiß, dass man Ann Derringer hier auf dem Big Muddy nur River Cat nennt. Er kennt einige Geschichten über sie.
Ihr rotes Haar leuchtet wie poliertes Kupfer oder Rotgold in der Spätnachmittagssonne. Und ihre grünen Augen stehen etwas schräg in ihrem rassigen und etwas eigenwilligen Gesicht. Diese Augen besonders geben ihr etwas Katzenhaftes.
Ihre dunkle und kehlige Stimme fragt nun zu ihm nieder: »Wo sollen wir Sie mit dem Kanu absetzen? In der Yellowstonemündung? Oder drei Meilen stromauf? Dort ist ein Holzplatz. Und das Holz dort ist billiger als hier beim Fort. Wir fahren hin.«
Indes sie die Worte zu ihm niederspricht, kommt sie von oben den Niedergang herunter und verhält nach einigen Schritten vor ihm.
Sie muss zu ihm aufblicken. Er ist mehr als einen Kopf größer als sie.
Eine Weile betrachten sie sich aus nächster Nähe.
Noch niemals in den vergangenen Tagen und Nächten auf dem Strom haben sie sich so intensiv aus nächster Nähe angesehen.
Er sagt langsam: »Ich fahre natürlich lieber so weit es geht auf diesem Schiff den Strom hinauf und bin für jede Meile dankbar.«
Sie lächelt und nickt.
»Von Ihnen«, murmelte sie langsam, »habe ich schon einiges gehört, Chet Kincaid. Man nennt Sie da und dort ›River-Wolf‹, nicht wahr? Sie waren früher der Anführer von Holzfällern und Flößern, die oben im Norden die Wälder abholzten und auf Riesenflößen den Strom herunterkamen kurz nach der Schneeschmelze und dem Eisgang. Man erzählt sich, dass ihr wie die zottigen Winterriesen ausgesehen hättet, die nach Süden kamen, um den Frühling aufzuhalten. Aber das ist euch wohl nie geglückt.«
»Nein«, erwidert er, »dies ist uns nie geglückt.«
Sie schweigt einige Atemzüge lang und sieht dabei immer noch intensiv zu ihm empor und in seine grauen Augen.
»Und dann gibt es da noch die Geschichte …«, beginnt sie aufs Neue.
Aber sie bricht ab, weil sie in seinen Augen den zornigen Unwillen erkennen kann.
»Schon gut«, sagt sie milde, »schon gut, Chet Kincaid. Aber sagen Sie mir bitte eines. Hat diese Sache damals Sie so verändert, dass Sie nun nur noch wie ein einsamer Wolf allein …«
»Ja«, erwidert er knapp. »Ist Ihre Neugierde nun befriedigt?«
Seine Frage kommt verächtlich. Und sie will ihm zornig etwas erwidern. Aber dann legt sie ihm die Hand leicht auf den Arm.
»Nicht Neugierde«, erwidert sie. »Nein, nicht Neugierde. So würde ich es nicht nennen. Eher Interesse. Chet Kincaid, ich habe die ganze Zeit über Sie nachgedacht. Was ich von Ihnen weiß, beschäftigt mich sehr, seit ich Sie kenne. Keine Neugierde, nein, Teilnahme. Was muss das für eine Frau gewesen sein, die mit Ihnen und der rauen Mannschaft in die Wälder des Brandy River ging und …«
»Sie sind Ihr sehr ähnlich, Ann Derringer«, unterbricht er sie. Dann wendet er sich ab und macht sich wieder an seinem Kanu zu schaffen. Aber sie weiß, dass er sich nicht länger mehr mit ihr über seine Vergangenheit unterhalten will.
Und so wendet auch sie sich ab und steigt wieder zu ihrem Steuermann zum Ruderhaus hinauf.
Die Sunbee hat nun die Yellowstonemündung erreicht und biegt in sie ein, um den drei Meilen stromaufwärts gelegenen Holzplatz zu erreichen, dessen Holz billiger sein soll als bei Fort Buford.
Drei Meilen sind für die Sunbee stromauf weniger als eine halbe Stunde.
Und bald schon wird Chet Kincaid mit seinem vollbeladenen Kanu vom Hebebaum ins Wasser gelassen. Er setzt sich ins Heck des Kanus und beginnt zu paddeln, hält sich dicht am Ufer, wo hinter den Landzungen und Vorsprüngen die Strömung dreht.
Nur im Schritttempo kann ein Mann mit einem Kanu den Strom hinaufkommen. Wochen wird er zu seinem Jagdrevier unterwegs sein.
Mit Chet Kincaid geht eine Veränderung vor, sobald er allein seine Reise zu den Jagdgebieten fortsetzt. Er wirkt lauernder, vorsichtiger, witternder, und er scheint seinen Instinkt auszusenden wie ein Wolf, der genau weiß, dass überall Jäger und Fallen auf ihn lauern. Auch ein Wolf »lauscht« ständig auf seinen Instinkt, achtet auf die feinen Empfindungen, die dann für ihn wie Signale sind, wie Rufe, Zeichen.
Es ist fast Abend geworden, als Chet Kincaid am Ufer unter den überhängenden Zweigen von Bäumen und Büschen anhält. Er erhebt sich im Kanu und späht über den Rand des Ufers landeinwärts. Der Wald ist hier sehr dicht. Denn für Fort Buford hat man im Umkreis von zehn oder zwanzig Meilen die stärksten Bäume gefällt und in den Fluss gerollt, weil sie sich dort am leichtesten transportieren lassen.
Es sind also mehr Büsche und kleine Bäume als großer Baumwald hier.
Im letzten Licht des schwindenden Tages sieht Chet Kincaid etwas. Es ist zuerst nur eine Bewegung, so etwa, wie wenn jemand hinter einem Busch vorbeigeht und man diese Bewegung durch die Zweige im letzten Moment noch mit Blicken erhascht.
Aber wenige Sekunden später sieht er es noch einmal, diesmal deutlicher und dann ganz klar erkennbar.
Indianer!
Eine ganze Horde Indianer reitet im Abstand von etwa einer Steinwurfweite am Ufer in Richtung Holzplatz. Chet Kincaid strengt seine Augen an in der Dämmerung, und da wird er sich darüber klar, was es mit dieser Horde für eine Bewandtnis hat.
Es sind nicht einfach nur Indianer, also eine Jagd- oder Kriegsschar.
Nein, es sind auch einige andere Reiter unter ihnen, die nur halb wie Indianer gekleidet sind.
Und er denkt: Eine Horde von Ausgestoßenen beider Rassen: Renegaten, Deserteure, Geächtete und Indianer, die im beständigen Hass gegen die Weißen leben. Ja, solch eine Horde will zum Holzplatz. Ob sie in einem verborgenen Camp lauerten und auf ein Dampfboot warteten, dieses jetzt gemeldet bekamen und …
Er denkt nicht weiter, denn es ist alles für ihn klar.
Und so verharrt er eine Weile in seinem Kanu, lauscht und wartet.
Was soll er tun?
Als er darüber nachdenkt, da begreift er im selben Moment auch schon, dass er gar nichts tun kann, einfach gar nichts. Denn er würde zu spät kommen, selbst wenn er das Kanu drehte und wie ein Verrückter den Strom abwärts paddelte.
Der Strom macht hier eine Biegung. Auf dem Landweg haben es die Reiter ein Stück näher. Und sie reiten trabend auch schneller, als ein Mann in einem großen und vollbeladenen Kanu paddeln könnte.
Wenn die Bande es auf das Dampfboot am Holzplatz abgesehen hat, dann kann er – Chet Kincaid – nichts daran ändern.
Was soll er tun?
Es gibt nur zwei Möglichkeiten, nämlich einfach seinen Weg fortsetzen, sich um nichts kümmern, so tun als ginge ihn das alles nichts an – oder umkehren und herauszufinden versuchen, was geschehen ist.
Er zögert dennoch eine Weile.
Denn er ist davon überzeugt, dass er nur noch Tote finden wird, scheußlich verstümmelte Tote. Und darum sollte sich die Besatzung von Fort Buford kümmern.
Aber dann denkt er an diese Ann Derringer, die man auch River Cat nennt.
Was wird mit ihr geschehen?
Werden sie Ann Derringer »nur« töten oder wird mit ihr geschehen, was …
Nun weigert er sich, weiterzudenken.
Denn plötzlich sieht er das Bild seiner Frau vor Augen, sieht er Jennifer wieder vor sich, die ihm damals in die Wälder folgte, wo er mit einer rauen Mannschaft Riesenbäume schlug. Er steht immer noch in seinem Kanu. Doch jetzt zittert er am ganzen Körper. Und dann entschließt er sich plötzlich.
Er versteckt das Kanu noch besser unter den Büschen, bindet es sorgfältig fest und nimmt sein Gewehr. Er legt auch den Revolvergurt um, der ihm beim Paddeln hinderlich war.
Dann schwingt er sich an Land und beginnt zu traben. Er trägt Mokassins wie ein Indianer, und er bewegt sich wunderbar leicht, fast wie ein gleitender Schatten, so lautlos.
Aber er kann die Reiter nicht mehr einholen, das ist klar.
Er wird nur noch zu sehen bekommen, was sie angerichtet haben.
Es ist kein weiter Weg, und noch bevor er in die Nähe des Holzplatzes kommt, hört er die Schüsse im Uferwald. Der Wald und das dichte Buschwerk dämpfen den Schall.
Auf der Prärie oder in den Bergen wären die Schüsse meilenweit zu hören gewesen. Aber hier ist es anders.
Er weiß zu gut, dass er zu spät kommen wird.
Und so beeilt er sich nicht mehr besonders, sondern achtet nur noch darauf, möglichst unbemerkt und geräuschlos zu bleiben. Denn er weiß, dass sich solch eine wilde und erbarmungslose Horde nach allen Seiten absichert.
Nach einer Weile hört er keine Schüsse mehr.
Dann aber ertönt das Krachen einer Explosion. Er kann sich denken, dass der Dampfkessel der Sunbee explodiert ist. Bald kann er Rauch wittern. Denn der leichte Wind kommt von der Mündung, also vom Missouri her, zieht von Osten nach Westen.
Ja, es ist alles klar für ihn.
Der Holzplatz brennt, das Schiff brennt – und natürlich auch die Hütte der Holzplatzarbeiter.
Er bewegt sich noch langsamer und vorsichtiger, bleibt stets in Deckung und verharrt immer wieder.
Wie richtig das ist, erweist sich wenig später.
Die Bande kommt zurückgeritten. Sie hat schnell zugeschlagen und geraubt, was sie in der Eile an Bord finden konnte. Das war nicht wenig. Denn die Reiter und deren Packtiere sind schwer beladen. Sie haben sich Proviant, Werkzeuge, Waffen, Decken und Kleidung besorgt. An Bord war als Ladung ja eine Menge vorhanden. Es sollte hinauf ins Goldland von Montana.
Chet Kincaid kann die vorüberreitende Bande gut betrachten. Es sind etwa zwei Dutzend Kerle. Die Hälfte der Bande besteht aus Indianern.
Und dann sieht er Ann Derringer.
Ja, sie haben sie bei sich.
Chet Kincaid stöhnt leise. Denn wieder denkt er an seine Frau damals. Und er weiß zu gut, was Ann Derringer bevorsteht, wenn die Bande erst weit genug geritten zu sein glaubt und sich vor einer sie verfolgenden Patrouille aus Fort Buford sicher fühlt.
Wie groß wird Ann Derringers Lebenskraft sein? Dies fragt er sich. Denn davon wird eine Menge abhängen.
Er kann Ann Derringer ziemlich gut betrachten. Denn die Bande reitet mit ihrer Gefangenen und all der Beute keinen Steinwurf weit von ihm entfernt vorbei.
Sie muss wie eine Wildkatze gekämpft haben. Denn sie wirkt zerzaust, und ihre Kleidung ist zerrissen. Auch scheint sie in den Fluss gesprungen zu sein. Denn die zerfetzte Kleidung ist noch nicht wieder trocken.
Dennoch sitzt sie nicht zusammengesunken oder zerbrochen wirkend auf dem Pferd, sondern stolz und beherrscht. Sie hat sich offenbar noch völlig unter Kontrolle.
Aber er kann ihr nicht helfen. Er hätte gegen zwei Dutzend Gegner keine Chance. Und er besitzt ja nicht einmal ein Pferd, um die Verfolgung aufnehmen zu können.
Nachdem die Bande verschwunden ist, wartet er noch eine Weile.
Aber es kommt niemand mehr als Nachhut.
Er hätte einen einzelnen Nachhutreiter wahrscheinlich angegriffen und vom Pferd zu holen versucht. Denn es wäre die einzige Möglichkeit gewesen, ein Pferd zu bekommen.
Es ist schon Nacht, als er den Holzplatz erreicht.
Das Dampfboot, die Holzstapel und die Hütten brennen immer noch, färben den Himmel rot. Sie beleuchten aber auch die grauenhafte Szene, die Toten.
Aber es sind nicht viele Tote hier an Land.
Wahrscheinlich sprangen viele der Angegriffenen in den Fluss – oder ihre Leichen wurden von der Bande in den Fluss geworfen. Auch auf dem brennenden Schiff blieben gewiss welche zurück. Die Kesselexplosion warf ebenfalls Menschen über Bord.
Chet Kincaid zieht sich in den Schatten von Büschen zurück, um zu warten. Der Feuerschein muss auch an der Mündung und vielleicht sogar von Fort Buford aus am Himmel gesehen worden sein. Wahrscheinlich werden bald Soldaten kommen.
Und so lange will er noch warten.
Er denkt an Ann Derringer.
Nein, er wird ihr nicht helfen können. Er konnte damals auch seiner Frau nicht helfen.
2
Es ist schon nach Mitternacht, als er das Tuckern der Barkasse hört, und im immer noch leuchtenden Feuerschein der brennenden Holzstapel sieht er das kleine Dampfboot kommen. Es zieht einen flachen Prahm hinter sich her, auf dem dicht gedrängt Reiter mit ihren Pferden stehen. Auch in der Barkasse stehen dicht gedrängt Soldaten, wahrscheinlich Infanteristen.
Als sie anlegen, tritt Chet Kincaid aus dem Schatten der Büsche.
Und sofort tönt eine sich überschlagende Stimme: »Hoiii, da ist ja einer!«
Fast im selben Moment kracht ein Schuss. Die Kugel pfeift dicht an Chet Kincaids Wange vorbei.
Aber zu einem zweiten Schuss kommt es nicht, denn ein Sergeant schlägt den aufgeregten Schützen mit einem Schwinger von den Beinen.
Chet Kincaid aber fragt mit bitterer Verachtung: »Was ist das für ein Narr?«
Der Sergeant wendet sich ihm zu: »Ach, der gehört zum Holzplatz hier und war nur bei uns im Fort, um im Store einzukaufen. Der wurde verrückt, weil er nicht hier war und helfen konnte. Dabei sollte er froh sein und zweimal im Jahr Geburtstag feiern ab heute.«
Die Stimme des Sergeanten klingt grimmig und dennoch voll bitterer Resignation.
Er steht nun vor Chet Kincaid, will ihn etwas fragen, aber da lässt sich die noch recht jugendliche Stimme eines Offiziers vernehmen.
»Sergeant, lassen Sie nach allen Seiten sichern, indes ich mir hier einen Überblick verschaffe! Vorwärts, Sergeant!«
Dieser wendet sich dem Offizier zu, und wahrscheinlich könnte er dessen Vater sein.
Er salutiert mit allem Respekt und sagt ruhig: »Sir, hier ist ein Mann, dessen Bericht uns am schnellsten einen Überblick geben würde und …«
»Quatsch! Wir verlassen uns nicht auf Berichte von Zivilisten. Los, Sergeant!«
Der Lieutenant näherte sich indes und verhält nun vor Chet Kincaid, wippt auf den Fußsohlen und betrachtet ihn. Er muss zu ihm aufsehen, denn er ist ein kaum mittelgroßes, schmächtiges Bürschlein von gerade einmal zwanzig Jahren.
»He, wer sind Sie? Was tun Sie hier?« So fragt er barsch.
In Chet Kincaids Stimme ist eine trügerische Sanftheit; als er alles berichtet, was zu berichten ist.
Als er fertig ist, wendet er sich ab und geht davon. Doch schon nach dem dritten Schritt holt ihn die arrogante Stimme des Lieutenants wieder ein mit den Worten: »He, wo wollen Sie denn hin, Mann? Sie können doch nicht einfach weglaufen, bevor ich Sie gehen lasse! Hier geblieben!«
Kincaid hält inne. Und er wendet sich schließlich und geht tatsächlich die drei Schritte zurück. Aber dann tritt er ganz dicht an den Lieutenant heran und sagt ganz ruhig: »Pass auf, mein Junge. Du hast es vielleicht noch nicht bemerkt, aber ich bin keiner von deinen Pferdesoldaten. Du musst in diesem Land noch eine Menge lernen. Sonst wirst du hier nicht besonders alt. Also kreisch nicht dauernd herum. Du hast einen alten und sicherlich erfahrenen Sergeanten mitbekommen. Hör auf ihn. Denn der ist euer Papi und eure Mom. Und wenn ich jetzt wieder gehe, dann halt dein Maul, mein Junge.«
Er wendet sich wieder und geht davon.
Und der junge Lieutenant schnappt zuerst nach Luft, aber dann saugt er tief welche ein, um erneut loszubrüllen.
In diesem Moment aber sagt der Sergeant, der neben ihn trat, ganz ruhig: »Sir, sein Name ist Chet Kincaid. Und während des Krieges war er Major. Der meint es nur gut mit Ihnen, Sir.«
»Wawawawas, Major war der …« So ächzt der junge Lieutenant.
Sein alter Sergeant nickt ernst: »Und ein verdammt guter. Er hat mich nicht erkannt, denn ich gehörte nicht zu seinem Kommando. Aber ich habe ihn gesehen, als wir die Rebellen durch das Shenandoah-Tal trieben. Das war im September vierundsechzig. General Sheridan hat ihn ausdrücklich im Truppenbefehl lobend erwähnt. Vorsicht, Sir. Der kennt vielleicht sogar den Colonel im Fort.«
Da sagt der Lieutenant nichts mehr.
Und irgendwo in einem Winkel seines Hirns beginnt es zu dämmern, dass er wahrscheinlich in diesem Land wirklich noch eine Menge lernen muss.
In den nächsten Tagen und Nächten arbeitet sich Chet Kincaid mit seinem Kanu den Fluss hinauf. Es ist eine schwere Arbeit. Dennoch schafft er täglich stets so an die zwanzig Meilen. Und er braucht keine Pferde zu versorgen, keine Packlasten und Sättel auf- und abladen. Er hat alles gut verstaut in seinem Kanu. Und dort, wo sein Jagdrevier ist, könnte er ohnehin keine Pferde gebrauchen.
Im nächsten Frühjahr wird ihn das Kanu mit seiner Beute den Strom abwärts tragen bis zum Missouri.
Er ist nun mal ein Mann vom Fluss.
Und nicht grundlos nennt man ihn da und dort River-Wolf.
Aber immer wieder muss er an diese Ann Derringer denken.
Ob die Armeepatrouille die Bande wohl einholen und zum Kampf stellen konnte? Ob Ann Derringer dabei befreit wurde? Und wenn nicht, wenn sie immer noch bei der Bande ist, wem wird sie dort gehören? Wer mag der Anführer dieser Ausgestoßenen sein? Denn nur ein Anführer wird sie für sich allein bekommen.
Einige Male verspürt er ein tiefes Bedauern darüber, dass er sich den Soldaten nicht als Scout anschloss, ihnen half. Dann würde er jetzt schon wissen, was mit Ann Derringer geschah.
Aber konnte er sein Kanu mit all den Vorräten, Werkzeugen und Fallen zurücklassen? Er hat sich ausgerüstet für einen langen Winter, für viele Monate bis zum Frühjahr. Die Jahreszeit ist ohnehin schon weit fortgeschritten. Das Laub an den Bäumen und Büschen färbte sich längst bunt. Und jeder Windstoß macht Äste und Zweige lichter. Wenn ihn der Wetterumschwung überrascht, wird er es höllisch schwer haben, sein Jagdrevier überhaupt zu erreichen.
Er musste sich also darauf verlassen, dass die Soldaten die Horde einholen, zum Kampf stellen und die Gefangene befreien würden.
Und so müht er sich, sie zu vergessen.
Aber es gelingt ihm nicht. Und in den Nächten sieht er ihr Bild vor seinen geschlossenen Augen und auch in seinen Träumen. Ja, in seinen Träumen spricht sie sogar zu ihm, fragt immer, warum er nicht kommt, um sie zu befreien.
Aber er konnte damals auch seine eigene Frau nicht befreien.
Als er sie endlich fand, hatte sie sich das Leben genommen.
Er war zu spät gekommen.
Und Ann Derringer ist nicht einmal seine Frau. Er liebt sie nicht wie Jennifer. Warum also sollte er alles aufgeben, was er geplant hat bis zum nächsten Frühjahr?
Dies also fragt er sich immer wieder trotzig und stellt sich dann die zweite Frage: Nur aus Christenliebe und weil sie eine außergewöhnliche Frau ist, eine mutige Frau, eine Schiffseignerin, die mit ihrem kleinen Dampfboot den Oberen Missouri befährt, obwohl das selbst harten Männern oftmals zu gefährlich ist?
Er beginnt sich auch zu fragen, ob er ihr deshalb nicht zu Hilfe kam, weil auch seiner Frau damals niemand half.
Ob auch sie sich irgendwann das Leben nehmen wird, weil sie keine Hoffnung mehr hat?
Als er sich dies fragt, da verspürt er ein tiefes Bedauern und ein anwachsendes Gefühl von Schuld.
Aber jetzt ist nichts mehr zu ändern.
Er kann nur hoffen, dass die Armeepatrouille bei der Verfolgung der wilden Horde Geächteter beider Rassen Erfolg hat. Aber sie wird wahrscheinlich nur dann Erfolg haben, wenn der junge Lieutenant auf den Sergeanten hört und dieser Sergeant ein wirklich erfahrener Bursche ist.
Sonst hat die Patrouille keine Chance, und ihre Entsendung wird für den Kommandanten von Fort Buford nur eine Art Alibi sein, etwas unternommen zu haben.
Chet Kincaid paddelt also in diesen Tagen und Nächten den Yellowstone hinauf und nähert sich stetig dem kleinen Nebenfluss, der ihn in sein Jagdrevier bringen wird. Er kann nur hoffen, dass der »Biberfluss« bis jetzt noch nicht von anderen Jägern entdeckt wurde.
3
Kehren wir noch einmal zum Überfall am Big Muddy zurück.
Pierce Jefferson holt Ann Derringer höchstpersönlich aus dem Fluss, in den sie sprang, um der Bande zu entkommen.
Sie kämpft wild mit all ihrer Kraft und Geschmeidigkeit. Sie kämpft wahrhaftig wie eine Wildkatze, aber gegen einen Mann wie Shanghai Pierce Jefferson hat sie keine Chance. Selbst zwei oder drei Männer hätten dies nicht. Denn er würde auch einige männliche Gegner »wegputzen« wie ein Wolf ein paar Pinscher.
Er trägt sie lachend an Land, indes überall am Holzplatz die Hölle lost ist. Schüsse krachen, gellende Schreie tönen und Menschen sterben.
Und dann findet auch noch die Explosion statt, die die Sunbee vernichtet.
Die Kesselexplosion wirkt wie eine Bombe. Es kann eigentlich nur ein Pulverfässchen gewesen sein, das jemand mit brennender Lunte in den Kesselraum warf. Das hielt auch der Hochdruckkessel nicht aus. Er explodierte zusammen mit dem Pulverfass in einem einzigen Knall.