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Wir waren vier, und keiner von uns würde der verdammten Armee eine Träne nachweinen. Zwölf Jahre Dienstzeit waren genug. Gestern hatten wir uns die Entlassungspapiere geholt, und heute genossen wir den ersten Tag der Freiheit. Aber diesem ersten Tag sollte kein zweiter folgen. Denn ein Reiter tauchte an unserem Campfeuer auf. Es war der Hornist aus Captain Bannerhans Abteilung. Halbtot und aus vielen Wunden blutend machte er seine Meldung. Bannerhans Abteilung war bis auf wenige Mann von den Apachen aufgerieben worden, und die Überlebenden, darunter einige Frauen und Kinder, brauchten Hilfe. Was sollten wir tun? Auf stur schalten und weiter unseres Weges reiten? Verdammt, wir konnten unsere Kameraden und die Frauen und Kinder doch nicht einfach im Stich lassen!
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Seitenzahl: 178
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Verdammte Treue
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4635-0
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Verdammte Treue
1
An meiner Uniform waren die Dienstabzeichen eines Master Sergeant. In Fort Tortilla Springs, das kaum mehr als ein befestigtes Camp mitten im Apachenland war, hatte ich Patrouillen geführt. Das war sonst ein Job für Offiziere. Doch es gab nicht mehr genug von ihnen in Fort Tortilla Springs.
Als ich an diesem Morgen meine Uniform und die ganze Ausrüstung beim Magazin-Sergeanten abgab und dieser Stück für Stück abhakte auf der langen Liste, die ich einst beim Empfang unterschrieben hatte, da verspürte ich eine Mischung von Gefühlen. Die verdammte Armee, die ganze gottverdammte US-Kavallerie, hing mir zum Hals heraus.
In meinen Gedanken machte ich sozusagen einen großen Haufen auf sie.
Und ich war froh, dass meine Dienstzeit beendet war und ich endlich wegkonnte. Nun brauchte ich nicht mehr die Befehle von grünen und arroganten Offizieren auszuführen und unwillige Soldaten in Trab zu halten und zu zuverlässigen Instrumenten eines militärischen Dienstes zu machen.
Tatty Spencer, der Magazin-Sergeant, schaute auf, er war fertig und grinste mich an.
»Alles da«, sagte er. »Das ist mir seit vielen Jahren zum ersten Mal passiert, dass einer von euch Deserteuren alle Siebensachen abgeben kann und nichts davon verschludert …«
Weiter kam er nicht, denn ich griff über den Ausgabetisch und packte ihm mit beiden Händen in das schöne blaue Reithemd der Armee und zog ihn halb herüber zu mir.
»Tatty«, sagte ich, »hast du mich einen Deserteur genannt?«
»Lass mich los, lass mich los, du verdammter Zivilist«, kreischte er, und sein Corporal lief aus der Kleiderkammer herbei.
Aber ich ließ ihn nicht los, sondern schüttelte ihn.
Und dem Corporal rief ich zu: »Hau ab, Bohunkey, hau ab. Sonst bekommt du auch noch was von mir.«
Und er machte tatsächlich kehrt und verschwand, denn er kannte mich zu gut.
Tatty aber knirschte: »Ich hab es ja nicht so gemeint, Master-Sersch! Es war ja nur ein Spaß, dich Deserteur zu nennen. Aber versetz dich doch mal in die Lage von uns armen Schweinen, die wir bei der Armee bleiben müssen. Wir werden hier immer weniger, und jeder wünscht sich, dass er endlich auch von hier wegkommen könnte. Da wird man doch neidisch auf euch. Wie könnt ihr es überhaupt übers Herz bringen, uns hier allein sitzen zu lassen? Das ist doch keine Treue – oder? Deine Männer kommen vielleicht schon von der nächsten Patrouille nicht mehr zurück, weil sie von irgendeiner Pfeife in einen Apachenhinterhalt geführt werden. Hast du dir das mal richtig klargemacht, Master-Sersch?«
»Ihr könnt mich alle mal«, sagte ich und ließ ihn los.
Als ich aus dem Magazin trat und über den Paradeplatz blickte, kamen die Sergeanten Vance Vansitter und Ringo Hermandes mit ihrem Zeug über den Platz. Auch sie trugen schon Zivil, und sie grinsten glücklich.
»Ihr grinst wie Honigkuchenpferde«, sagte ich, als sie bei mir ankamen und einen Moment verhielten. »Warum eigentlich?«
»Die dicke Rosita in El Paso wartet auf mich«, sagte Ringo Hermandes. »Und sie hat ein hübsches Hotel. Ich werde einen dicken Bauch bekommen, aber das macht mir nicht so viel aus, wie es Rosita ausmachen wird, wenn sie erst einen dicken Bauch bekommen wird.«
Er ging hinein.
Vance Vansitter sah mich immer noch grinsend an.
»Ich werde mit einigen Jungens nach Mexiko reiten«, sagte er, »dort eine Herde Rinder oder Pferde stehlen und vom Erlös einige Wochen wie ein Pascha leben. Ich werde alles nachholen, was ich bei der verdammten Armee nicht tun konnte. Warum also soll ich nicht grinsen?«
Auch er ging hinein.
Ich verhielt noch ein wenig und drehte mir eine Zigarette.
Mein Blick schweifte über den Paradeplatz zu den Quartieren, den Ställen, den Corrals, der Kommandantur und den vielen Nebengebäuden.
Ich sah auf die Flagge am Fahnenmast. Sie hing schlapp herunter.
Nie wieder wollte ich hinter solch einer Fahne reiten.
Vielleicht würde ich nach Norden reiten, weit, weit weg aus dem Apachenland. Oben im Norden – in Montana –, da sollte Gold gefunden werden. Zehntausend Abenteurer sollten dort schon nach Gold schürfen.
Das war vielleicht was für mich.
Und jeder andere Indianerstamm war mir recht, wenn er nur nicht zum Volk, der Apachen gehörte.
Auf dem Paradeplatz herrschte reger Betrieb. Soldaten wurden hier gedrillt. Bei der E-Kompanie fand eine Pferdemusterung statt.
Ein paar Soldaten mussten strafweise mit schwerem Gepäck exerzieren.
Bei der Schmiede tanzte ein wild gewordenes Maultier herum.
Ich wollte zur Kantine hinüber, um dort noch einige Schulden zu bezahlen.
Denn wir Entlassenen bekamen alle einen so genannten »Laufzettel«, der von allen maßgebenden Leuten abgezeichnet werden musste. Und wenn auch nur eine einzige Unterschrift fehlte, kam man nicht als Zivilist aus dem Fort.
Also musste ich auch meine Schulden bezahlen. Sonst bekam ich vom Kantinenpächter nicht das O.K.
Aber ich war noch nicht weit gegangen, als die Ordonanz von der Kommandantur herbeigelaufen kam und sich zuerst aus alter Gewohnheit vorschriftsmäßig aufbauen und dann militärisch etwas melden wollte.
Aber dann wurde sich der Soldat bewusst, dass ich ja schon Zivilist war.
Und so hielt er lässig an und sagte grinsend: »He, O’Connor, der Major will Sie und die beiden anderen noch mal sprechen. Sie sollen noch mal zu ihm kommen, verstanden?«
»Pass auf, du Stinkstiefel«, sagte ich und grinste zurück. »Wenn du nicht Mister O’Connor zu mir sagst, bin ich taub. Dann höre ich gar nicht, was du mir zu melden hast. Und überdies gebe ich dir noch was hinter die Ohren, damit du in Zukunft nicht vergisst, wie man einen Zivilisten anzureden hat. Na?«
Nun grinste er nicht mehr. Denn er kannte mich und sah auch in meinen Augen, dass ich nicht bluffte.
Und so sagte er heiser und würgend, so als müsste er beim Sprechen zugleich auch noch eine Kröte schlucken: »Yes, Sir. Mister O’Connor, der Major möchte Sie noch einmal sprechen. Vielleicht sind Sie so freundlich und lassen ihn nicht lange warten. Ist es richtig so, Mister O’Connor?«
»Brav, mein Junge«, sagte ich, »sehr brav. Ich bin stolz darauf, dir Manieren beigebracht zu haben.«
Ich ging an ihm vorbei und tätschelte seine Wange.
Als ich weiterging, überlegte ich, ob ich den Major warten lassen sollte.
Zwischen ihm und mir bestand ein sehr merkwürdiges Verhältnis.
Oft genug hatte ich ihn gehasst. Denn immer wieder schickte er Soldaten in den Tod.
Aber er musste es tun. Er stand unter Befehl wie wir.
Und er war wahrscheinlich der einsamste Mensch im ganzen Fort. Denn er musste von uns allen immer wieder alles fordern, was wir nur geben konnten. Gnadenlos und ohne Erbarmen musste er das tun in diesem verdammten Land.
Aber wenn ich mit einer Patrouille unterwegs war, um seine Befehle auszuführen, da ging es mir wie ihm.
Auch ich musste dann von meinen Soldaten alles verlangen, was sie geben konnten. Und wenn ich eine Vorhut aussandte, dann wusste ich manchmal, dass ich sie in den Tod schickte.
Aber ich musste es tun, damit die ganze Patrouille nicht in den Hinterhalt geriet.
Und so hatte ich die Armee und die verdammte Flagge manchmal gehasst, obwohl ich ihnen treu diente.
Deshalb verstand ich den Major so gut.
Und so ging ich nicht zuerst zur Kantine, sondern zu ihm.
Er stand am Fenster, und als ich eintrat, wandte er sich mir zu.
Während des Bürgerkriegs war er schon Colonel gewesen. Aber wie alle Offiziere hatte man auch ihn in der reorganisierten Armee um zwei Ränge zurückgestuft.
Er nickte mir zu.
Dann deutete er auf den Schreibtisch, wo die geöffnete Post lag, die vor einer Stunde mit der Nachschubkolonne kam.
»Wenn Sie sich neu verpflichten«, sagte er, »treten Sie Ihren Dienst als Leutnant an. Die Ermächtigung kam vorhin. Ich kann Sie auf Grund Ihrer Verdienste und Führung als Offizier einstellen. Und verdammt, O’Connor, ich brauche Sie!«
Er trat dicht vor mich hin, und weil er fast einen Kopf kleiner war als ich, musste er zu mir aufsehen. Er war grauhaarig, doch noch drahtig wie ein Terrier.
»Nun?« Seine Frage kam knapp und fordernd, ganz und gar so, als wollte er mich mit diesem einen Wort wieder in die Pflicht nehmen.
»Nein«, erwiderte ich. »Ich bin fertig mit der Armee. Für immer. Und vor allen Dingen verschwinde ich aus diesem verdammten Land. Ich kann es nicht mehr sehen. Und nie wieder in meinem ganzen Leben möchte ich etwas mit Apachen zu tun haben. Das ist mein letztes Wort, Sir.«
Er kannte mich zu gut. Deshalb versuchte er nichts mehr.
Aber er wandte sich zu einem Tischchen in der Ecke und goss dort zwei Gläser mit Brandy voll.
Damit trat er wieder zu mir und reichte mir ein Glas.
Wir leerten die Gläser wortlos.
Dann sagte er: »O’Connor, in einem täuschen Sie sich. Sie werden innerlich niemals fertig werden mit der Armee und der Flagge – niemals. Sie mussten zu viel reiten und kämpfen unter dieser Flagge. Sie sahen zu viele Männer neben sich sterben. Und Sie mussten einige Ihrer besten Freunde in den Tod schicken, weil es keine andere Wahl gab. Viel Glück, O’Connor.«
Er gab mir nicht die Hand, aber in seinen Augen erkannte ich, dass er mich nicht gerne gehen ließ. Und das lag nicht nur daran, weil er einen Patrouillenführer brauchte.
Ich ging.
Und als ich draußen war, wollte ich noch einen zweiten Drink haben.
Der Brandy, den er mir zum Abschied spendiert hatte, war nicht genug.
Und so ging ich zur Kantine hinüber.
Als ich eintrat, wartete dort am langen Schanktisch Leroy Carmack, und er hatte sich vom Kantinenpächter, der hinter dem Schanktisch stand, schon zwei Gläser füllen lassen, um mich empfangen zu können.
Leroy Carmack war ein sandfarbener Bursche. Seine Haare, seine Hautfarbe, seine Kleidung – und auch sein Pferd –, alles war sandfarben. Nur seine grünen Augen nicht.
Er ließ mich stets an einen Wüstenwolf denken.
Und er war der beste Armeescout in diesem verdammten Apachenland.
Ich nahm das zweite Glas. Dann sahen wir uns an und tranken wortlos. Aber es war diesmal kein Abschiedsdrink, denn er sagte schnaufend, indes er sich noch innerlich unter der Wirkung des scharfen Feuerwassers schüttelte: »Ich reite mit dir, Jace O’Connor. Und ich habe auch schon ein Pferd für dich. Wir können sofort aufbrechen.«
Ich nickte, und seine Worte überraschten mich nicht.
Denn wir ritten schon zu lange miteinander. Er war auf Patrouille stets mein Scout gewesen. Ohne jemals ein Wort darüber zu verlieren, waren wir Freunde geworden.
Ich nickte nur zu seinen Worten.
Ja, es würde gut sein, mit ihm zu einem neuen Anfang zu reiten.
Der Kantinenpächter hatte indes in seinem Buch meine Schulden zusammengerechnet.
»Siebzehn Dollar«, sagte er. »Master-Sersch, Sie waren nie einer meiner besten Gäste.«
Ich grinste nur.
Und dann wollten Leroy Carmack und ich eigentlich gehen.
Doch da öffnete sich die Hintertür und Jeff Murphy kam herein.
Murphy war schon dreimal Sergeant gewesen und immer wieder degradiert worden.
Zurzeit hatte er es schon wieder bis zum Corporal gebracht.
Er war ein Bursche von zweihundertzwanzig Pfund, aber die sah man ihm nicht an. Er hatte abfallende Schultern und einen muskulösen Hals. Seine Knochen waren gewaltig stark, und er war mit Muskeln bepackt wie ein Gorilla.
Er kam auf den Außensohlen seiner leicht gekrümmten Beine herein und zeigte mit dem Zeigefinger auf mich.
»He«, sagte er, »ich habe nicht viel Zeit, konnte mich nur wegschleichen vom Dienst, weil ich sagte, ich müsste auf die Latrine. Aber es wird ja auch nicht lange dauern zwischen uns. Ich kann dir jetzt endlich was auf die Schnauze geben. Und du hast es mir versprochen, nicht wahr? Die ganze Zeit hast du gekniffen. Jetzt will ich es wissen. Na los, bist du bereit?«
Er kam mit geballten Fäusten auf mich zu.
Und ich seufzte bitter. Denn mit Murphy hatte ich die ganze Zeit immer wieder Ärger gehabt. So war unsere Feindschaft gewachsen. Immer wieder hatte er mich aufgefordert, es mit ihm hinter den Ställen unter vier Augen auszutragen. Er konnte es nicht ertragen, dass er, der Ex-Sergeant, bei mir keine anderen Rechte hatte als jeder andere Soldat. Und oftmals hatte er Strafdienst verrichten müssen.
Und so hatte er mir gedroht, dass er es mir geben würde, wenn ich kein Soldat mehr wäre. Er hatte sich offenbar vom Stalldienst weggeschlichen, denn er trug das Arbeitszeug des Stalldienstes.
Und wenn man herausbekam, dass er weggegangen war, um sich zu prügeln, würde er vielleicht wieder die Korporalsstreifen verlieren. Denn er trug sie sicherlich erst auf Bewährung.
Aber das alles war ihm gleich.
Er wollte einen Kampf mit mir, weil er zu viel hatte schlucken müssen.
Und so kam er und sprang mich an.
Ich war schnell, sehr schnell, so schnell wie ein Wildkater.
Dennoch streifte sein Schwinger mein Ohr. Ein Volltreffer von der Sorte hätte mir bestimmt den Kopf von den Schultern geschlagen.
Nein, ich hatte keine Lust, mich von diesem Bullen zerschlagen zu lassen und als kranker Mann aus dem Fort zu reiten. Vielleicht hätte ich mich sogar einige Tage ins Lazarett legen müssen, würde ich versucht haben, gegen ihn wie ein Gentleman zu kämpfen.
Denn selbst wenn ich diesen Bullen schlagen konnte, würde das kein Sieg für mich werden. Ich würde zu viel dafür zahlen müssen.
Und so machte ich es kurz.
Indes er ins Leere stieß und erst noch herum wirbeln musste, um wieder auf mich losgehen zu können mit seiner ganzen Wucht, schwingenden Fäusten, gesenktem Kopf und bösem Grollen, da griff ich die fast noch volle Flasche vom Schanktisch und warf sie mit aller Wucht.
Sie traf den runden Schädel von Murphy wie eine Kriegskeule.
Aber er warf sich dennoch vorwärts, versuchte mich zu umfassen, sich an mir festzuhalten. Dabei wollte er mir seinen Kopf in die Magenpartie rammen und mich gegen den Schanktisch stoßen.
Aber ich riss mein Knie hoch.
Und da war es vorbei. Er taumelte zurück, lief drei Schritte rückwärts auf den Absätzen und fiel dann auf den Rücken, krachte auf die Bretter und streckte die Glieder von sich.
Mein Knie schmerzte böse. Hoffentlich hatte ich mir nichts gebrochen.
Aber ich ließ mir nichts anmerken, nickte dem Kantinenwirt zu und wandte mich an Leroy Carmack.
»Sicher«, sagte er, »das war’s wohl. Mehr konnte er nicht verlangen. Gehen wir also. Oder hast du deine Siebensachen im Quartier noch nicht gepackt.«
»Doch«, sagte ich. »In fünf Minuten können wir reiten.«
Und das taten wir auch.
Die Wache am Tor grinste schief. Der wachhabende Sergeant kam heraus und sagte neidvoll: »Du hast es gut, O’Connor. Ich muss noch fast zwei Jahre machen. Verdammt, wollen wir nicht tauschen?«
Aber ich gab ihm keine Antwort. Ich grinste nur schief vom Pferd nieder und sah mich nicht mehr um.
Denn ich wollte die Armee, dieses Land und die Apachen möglichst schnell vergessen.
Wir waren noch keine drei Meilen geritten, als wir galoppierende Pferde hinter uns hörten. Als wir uns umsahen, erkannten wir die Ex-Sergeanten Vance Vansitter und Ringo Hermandes, die ja an diesem Tag ebenfalls entlassen worden waren wie ich und Leroy Carmack. Ja, auch Leroy Carmacks Vertrag mit der Armee war ausgelaufen. Dies schon seit mehr als einer Woche. Er hatte ihn nicht verlängert.
Wir warteten, bis Vansitter und Hermandes heranritten.
Hermandes sagte: »Wir können doch ein Stück zusammenreiten, nicht wahr? Oder habt ihr was gegen uns?«
Leroy und ich, wir grinsten.
»Nein, ihr wart stets in Ordnung«, sagte ich. »Aber ihr erinnert mich zu sehr an die Armee. Das ist es. Nun, ein Stück können wir zusammen reiten. Wohin wollt ihr denn?«
»El Paso«, sagten sie zweistimmig, und Hermandes fügte hinzu: »Ich sagte dir doch schon, dass in El Paso die dicke Rosita mit ihrem schönen Hotel auf mich wartet. Reitet ihr auch bis El Paso mit? Dann lade ich euch ein und …«
»Nein«, sagte ich. »Wir wollen nur bis Mesa Station, um dort eine Kutsche der Hauptpostlinie nach Norden zu bekommen. Bis Mesa Station können wir zusammenreiten.«
Sie grinsten zufrieden.
Denn zu viert war es sicherer in diesem Land.
Wir ritten also weiter und hielten uns in südsüdwestlicher Richtung. Am nächsten Tag gegen Mittag mussten wir die Mesa Station erreichen – wenn, ja, wenn nichts dazwischenkam. Und in diesem Land kam oft etwas dazwischen, wenn man zu einem Ziel unterwegs war.
2
Wir ritten den ganzen Tag, und als es Abend wurde, verließen wir den Pfad und suchten uns zwischen schwarzen Lavafelsen einen Platz für unser Camp.
Wir machten sogar ein Feuer und kochten uns was.
Einer von uns stieg dann auf einen der Felsen, von dem aus er in der zunehmend heller werdenden Nacht eine ziemlich weite Sicht hatte. Mond und Sterne strahlten prächtig. Der Himmel war wie aus blauem Samt mit Edelsteinen darin verstreut.
Aber diese Schönheit war trügerisch.
Dieses Land war grausam hart zu allen Lebewesen, und auch die Lebewesen hier kannten keine Schonung untereinander.
Es war dann schon nach Mitternacht, als Leroy Carmack vom Felsen zu uns Schläfern niederrief: »He, da kommt was von Süden her – ein Reiter, ein einzelner Reiter im Trab. Aaah, jetzt sehe ich ihn. Die Nacht ist verdammt hell. Da bekommt man fast den Mond- und Sternenbrand, hahaha. Da kommt ein Soldat ohne Hut. Und er schwankt im Sattel. He, das ist ja Shorty Brown, der Hornist von Captain Bannerhans Abteilung. Ja, es ist Shorty Brown, verdammt noch mal. Und jetzt kommt sein Pferd zu uns herüber. Wahrhaftig, der Gaul kennt den Geruch von Artgenossen genau. Er hat auch die Quelle gewittert. Der kommt. Und Shorty Brown ist gewiss nicht mehr bei Sinnen. Der schwankt, als wäre er auf dem Pferd festgebunden. Los, geht ihm entgegen. Ich pass auf, ob ihn jemand verfolgt.«
Wir hörten seine Worte, indes wir uns aus den Decken rollten, in die Stiefel fuhren und nach unseren Waffen griffen – uns also bereitmachten für jeden möglichen Verdruss.
Dann kam auch schon das Pferd mit dem Soldaten darauf herbeigetrottet. Es schnaubte und wieherte leise.
Ganz gewiss freute es sich, wieder bei Artgenossen zu sein, deren Stall- oder Corralgeruch es kannte. Wir alle rochen ja irgendwie nach Fort Tortilla Springs. Das treue und gute Tier hatte längst gespürt, dass sein Reiter Hilfe brauchte. Und es war gewöhnt daran, dass sich Soldaten gegenseitig halfen und sie alle zusammen eine gut aufeinander eingespielte Truppe waren.
Es kam aber wahrscheinlich auch, weil es Wasser witterte.
Shorty Brown hatte sich auf dem Pferd festgebunden. Das erkannten wir schnell. Er war verwundet und hatte Blut verloren. Aber Apachen hätten ihn nur tot aufs Pferd gebunden – nicht lebend.
Wir hoben ihn herunter, flößten ihm Wasser und etwas Schnaps ein und tätschelten seine Wangen.
Da erwachte er.
Und sein erster Blick fiel auf mich. Als er mich erkannte, sagte er heiser: »Dem Vater im Himmel sei es gedankt. Ich bin beim richtigen Schmied gelandet. Sergeant, ich habe eine lange Meldung zu machen. Kann ich erst noch einen Schluck Feuerwasser haben?«
»Sicher, Shorty, sicher«, sagte ich; und es passte mir nicht, dass er mich mit Sergeant anredete. Denn das war ich nicht mehr.
Aber warum sollte ich sein Hirn damit belasten, ihm das zu erklären.
Wir alle waren scharf auf seine Geschichte.
Denn Captain Bannerhans Abteilung war vor einer Woche ausgerückt. Sie würde am nächsten Tag überfällig sein. Und wenn ich dann noch im Fort Master Sergeant und Patrouillenführer gewesen wäre, so hätte mich der Major mit einer Doppelpatrouille hinausgeschickt, um nach Captain Bannerhan und dessen Abteilung zu forschen.
Es war schon mehr als eine Patrouille verloren gegangen.
Shorty Brown sah mich an. Leroy Carmack kniete hinter ihm und hielt ihn in sitzender Stellung. Ich kauerte vor Shorty Brown, der Captain Bannerhans Hornist war.
Er sagte: »Juan Locos’ Bande hat die Postkutsche geschnappt. Ein paar Frauen und Kinder ließen sie am Leben und nahmen sie mit. Er verlangt zwei Frachtwagen voll Proviant, Waffen, Munition und Ausrüstung. Oder er will die Geiseln umbringen. Der Captain ritt mit uns nach Spanish Wells. Er requirierte dort zwei Frachtwagen mit Gespannen, lud sie aber nur mit Sand gefüllte Kisten und mit Buschwerk gefüllte Säcke, auch Steine und anderes Zeug, damit die Wagenfährte tief genug war. Dann zogen wir zum Treffpunkt mit den Apachen. Der Platz war gut gewählt. Sie hatten meilenweite Sicht. Auch wir konnten die Geisel sehen – zwei Frauen und drei Kinder. Aber noch bevor wir hinkamen, überfielen sie uns. Sie hatten sich im sandigen Boden eingegraben und mit Buschwerk zugedeckt. Wie die Teufel kamen sie über uns. Der Captain, der Sergeant und der Scout fielen sofort. Wir anderen flüchteten. Es blieben nur ein paar Jungens übrig. Sie haben sich verkrochen. Mich schickten sie los, um Hilfe zu holen. Und der gute Vater im Himmel ließ mich …«
Er sprach nicht weiter.
Denn nun fiel er in eine tiefe Bewusstlosigkeit.
Er hatte eine Menge gegeben. Jetzt konnte er nicht mehr.
Wir aber sahen uns an.
Verdammt, was war das!
Wir waren nicht mehr in der Armee. Das alles ging uns nichts mehr an.
Oder doch?
Einer von uns konnte vielleicht an Shorty Browns Stelle nach Fort Tortilla Springs reiten und dort Meldung machen.
Aber mehr brauchten wir nicht zu tun?
Oder doch?
Diese Frage setzte uns von Anfang an zu.
»Zwei Frauen und drei Kinder …«, sagte Lorey Carmack langsam.