G. F. Unger Sonder-Edition 110 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 110 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Als ich sie zum ersten Mal in meinem Leben sah, da steckte sie mächtig in der Klemme. Denn sie saß mit drei Hartgesottenen in einer Pokerrunde im Big River Saloon, und im "Pott" lag ein Haufen Geld, nein, keine Chips, die man einlösen musste, sondern bares Geld, Yankeedollars. Und die waren zumindest so begehrt wie schöne Frauen, wenn nicht noch mehr. Denn jetzt nach dem Krieg war das Südstaatengeld nichts mehr wert.

Ich hatte die Frau von der Bar aus immerzu beobachtet. Doch das taten fast alle Männer im Saloon, die hier die ganze Nacht auf die Weiterfahrt der River Bee hinunter nach New Orleans warteten.

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Inhalt

Cover

Impressum

Queens-Reiter

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto/Norma

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4636-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Queens-Reiter

Als ich sie zum ersten Mal in meinem Leben sah, da steckte sie mächtig in der Klemme. Denn sie saß mit drei Hartgesottenen in einer Pokerrunde im Big River Saloon, und im »Pott« lag ein Haufen Geld, nein, keine Chips, die man einlösen musste, sondern bares Geld, Yankeedollars. Und die waren zumindest so begehrt wie schöne Frauen, wenn nicht noch mehr. Denn jetzt nach dem Krieg war das Südstaatengeld nichts mehr wert.

Ich hatte die Frau von der Bar aus immerzu beobachtet. Doch das taten fast alle Männer im Saloon, die hier die ganze Nacht auf die Weiterfahrt der River Bee hinunter nach New Orleans warteten.

Ja, sie war nicht einfach nur eine Schönheit. Sie war mehr. Denn sie strömte etwas aus, was nicht so einfach zu beschreiben ist.

Dieses Gesicht im Lampenschein war von einer eindringlichen Schönheit, von der Sorte, die das Leben formt. Und zugleich war es das wachsame, herbe und herrliche Gesicht einer jungen Frau, der Liebe und Enttäuschungen nicht fremd blieben und der dennoch der Stolz nicht abhandenkam.

Sie hatte schwarze Augen, welche ziemlich weit auseinander standen. Ihr Mund war voll und vermochte gewiss viele Gefühle auszudrücken. Doch jetzt hatte sie ihn unter Kontrolle. Und so wirkte er beherrscht, fast hart.

Am bewundernswertesten aber war ihr Haar. Es leuchtete wie Rotgold, poliertes Rotgold.

Ich musste sie von der Bar her immer wieder ansehen wie ein schönes Bild.

Einige Male, wenn einer der anderen Spieler die Karten mischte und ihr Blick in die Runde schweifte, da trafen sich unsere Blicke für einen Moment.

Nun wusste ich es endlich genau. Sie war eine selbstbewusste Frau, die einem Mann gerade in die Augen sehen konnte, die seinem Blick nicht auswich und ihn dennoch auf Distanz hielt.

O Himmel, sie war was, nämlich etwas, was mir in meinem Leben noch niemals begegnet war. Und zugleich wurde mir klar, dass sich nicht viele Männer an sie heranwagen würden.

Wir alle bekamen immer wieder mit, wie das Spiel verlief.

Sie spielte mit hartgesottenen Burschen. Einer war Eigner und Kapitän eines Dampfbootes. Ein anderer Mann gehörte zur Lotsen-Bruderschaft, war also ebenfalls ein River-Kapitän. Und der dritte Mann war ein gut getarnter Berufsspieler, ein Kartenhai also. Er gab sich seriös, als wäre er ein reicher Reeder.

Aber ich kannte die Sorte.

Das Spiel geriet nun in seine entscheidende Phase.

Der Kapitän und der Lotse passten, boten nicht mehr mit.

Und die Schöne konnte nicht mehr im Spiel bleiben, weil ihr die schönen, nagelneuen Yankeedollars ausgegangen waren.

Der Kartenhai aber erhöhte um fünf Zwanzigdollarstücke und fragte sanft: »Können Sie im Spiel bleiben, Lady?«

Sie konnte nicht. Wir alle begriffen es in diesem Moment. Aber sie sah nochmals in ihrer Handtasche nach. Doch das tat sie wahrscheinlich nur, um etwas Zeit zu gewinnen und nach einem Ausweg zu suchen.

Doch es gab keinen Ausweg für sie.

Wenn sie nichts mehr einzusetzen hatte, dann war sie von diesem Kartenhai aus dem Spiel geblufft worden.

Ihr Blick ging nun in die Runde und blieb dann auf mir haften.

Wir sahen uns nur wenige Sekunden in die Augen. Doch sie wusste plötzlich, dass ich ihr helfen würde. Und so erkannte ich in ihren schwarzen Augen im Lampenschein das Versprechen. Ja, sie würde mir mehr als nur mit Worten dankbar sein.

Denn es ging ja für sie um alles oder nichts.

Wenn sie mittellos war, konnte sie nur ihre Schönheit verkaufen. Jetzt hatte sie noch die Wahl, nämlich mich.

Hatte sie erst alles verloren, konnte sie nicht mehr wählerisch sein.

So einfach ist das im Leben einer Abenteuerin, einer Glücksjägerin, die wie eine Raubkatze nach Beute jagt.

Nun, ich entschloss mich also.

In meiner Tasche befanden sich ganze einhundertsiebenundfünfzig Dollar.

Würden sie reichen, um den Kartenhai aus dem Spiel zu bieten? Das war die Frage. Denn wenn er noch was in der Tasche hatte …

Ich dachte nicht länger darüber nach, sondern stieß mich von der Bar ab. Es waren nur sechs oder sieben Schritte bis zum Pokertisch.

Dann hörte ich mich sagen: »Mary, wie viel brauchst du, um im Spiel zu bleiben?«

Ich kannte natürlich nicht ihren Namen. Doch Mary hießen viele Frauen. Warum also sollte sie nicht Mary heißen?

Sie lächelte ernst zu mir empor. »Vorerst brauche ich nur hundert Dollar, Bill«, erwiderte sie. »Und dann werden wir sehen, was der Gentleman noch auf der Pfanne hat.«

Sie hatte mich Bill genannt, so wie ich sie Mary. Und es war von der ersten Sekunde an ein stillschweigendes Einverständnis zwischen uns.

Ich trat neben sie und legte die hundert Dollar zum anderen Geld. Dann trat ich einen halben Schritt zurück, verhielt etwas seitlich von ihr und wartete ab.

Der Blick des Spielers war voller Feindschaft und Drohung. Ja, er war binnen einer Sekunde mein Todfeind geworden. Ich hatte ihm die fette Beute weggeschnappt.

Denn er hatte geblufft.

Die besseren Karten hatte die Schöne. Ich wusste es, bevor aufgedeckt wurde.

Der Kartenhai hatte nun ausdruckslose Fischaugen. Er hielt alles tief in sich verborgen. Dennoch spürte ich seine Feindschaft.

Er hatte ebenfalls seine letzten Dollars ins Spiel gebracht. Vielleicht hatte er noch einen Notgroschen in der Tasche, aber diese paar Dollars riskierte er nicht mehr. Denn er glaubte, dass er gegen mich nicht ankommen konnte.

Ja, er würde nun sozusagen gegen mich weiterspielen müssen.

Und so deckte er auf. In ihm war nur noch eine schwache Hoffnung, dass sein Blatt vielleicht doch gut genug sein würde.

Doch er hatte nur drei Damen.

Mary aber deckte vier Könige auf. Und ein Dreier hat gegen einen Vierer nun mal keine Chance.

Der Spieler erhob sich wortlos, starrte mich nur noch einmal ausdruckslos an und ging hinaus.

Die beiden Flusskapitäne grinsten. Sie nickten zuerst Mary und dann mir zu. Einer sagte: »Eine schöne Frau hat immer Glück.«

Der andere – er war der Lotse – sprach etwas neidvoll: »Die River Bee geht erst in sechs Stunden wieder in den Strom.«

Dann gingen sie.

Die Spannung löste sich im Saloon. Überall kam die Unterhaltung wieder in Gang.

Die Schöne sammelte das Geld ein und tat es in ihre Handtasche.

Meine hundert Dollar ließ sie liegen.

Dann sah sie mich mit ihren schwarzen Augen an uns lächelte: »Ich heiße nicht Mary, sondern Rachel – Rachel Winger. Warum hast du mir beigestanden wie ein guter alter Freund?«

»Mein Name ist Justin Hays«, erwiderte ich, »nicht Bill. Und ich half dir aus der Klemme, weil es wohl vom Schicksal so gewollt ist. Oder nicht?«

Sie sah mir wieder in die Augen. Ich hatte Platz genommen, saß ihr gegenüber.

»Und du möchtest mich haben, Justin Hays?« So fragte sie. »Deshalb hast du mir geholfen?«

Ich nickte. »Ja, vom ersten Augenblick an, da ich dich sah, wollte ich dich haben, Rachel Winger. Aber ich will dich nicht, weil du mir dankbar sein möchtest. Du musst mich ebenfalls wollen.«

In ihren Augen war nun ein Funkeln.

»Gut«, sagte sie, »dann gehen wir ins Hotel. Ich kam mit der Postkutsche und will morgen mit der River Bee nach New Orleans hinunter. Wir haben noch einige Stunden Zeit. Finden wir heraus, was morgen sein wird?«

Und so gingen wir hinaus.

Draußen graute bereits der Morgen, als wir erschöpft nebeneinanderlagen und noch unsere Wärme spürten.

In meinem ganzen Leben hatte ich noch niemals eine Frau besessen, die alles gab und alles forderte, sodass wir uns wahrhaftig dem Himmel nahebrachten.

Anders konnte ich die Stunden nicht beschreiben.

Ich fragte: »Nun, hast du es herausgefunden, Rachel?«

Sie schwieg noch einige Atemzüge lang. Dann murmelte sie: »Justin, du hast mich sehr glücklich gemacht. Ich schwebte auf einer Wolke hoch über allen Dingen und gehörte dir ganz und gar. Es war schön, wunderschön, und ich möchte es immer wieder erleben. Doch ich …«

Sie verstummte, zögerte, überlegte noch, lauschte vielleicht tief in sich hinein.

Dann sprach sie flüsternd weiter: »… ich bin eine Katze, eine zweibeinige zwar, aber im Wesen doch eine Katze. Ich will mich nicht binden, sondern weiter durch die Welt ziehen, mich behaupten. Das Leben ist voller Abenteuer. Sie machen das Leben schön. Man muss sich den Dingen stellen. Das gefällt mir. Ich wusste im Saloon von Anfang an, dass du mir beistehen würdest. Du könntest mit mir durch die Welt ziehen als mein Beschützer. Doch ich halte dich für einen Mann, der nicht damit zufrieden sein würde, eine Art Prinzgemahl zu sein. Also werden wir uns trennen. Aber ich möchte mehr von dir wissen. Ich weiß nichts von dir, gar nichts. Wer bist du, woher kommst du? Wohin willst du? Und wo könnte ich dich zumindest brieflich erreichen?«

Als sie schwieg, da verspürte ich ein starkes Bedauern. Ja, sie war wohl eine Katze, und Katzen wollten frei und unabhängig sein, sich nicht ewig binden. Katzen sind Jäger, stets auf der Suche nach Beute. Selbst die zahmen Hauskatzen jagen zumindest Mäuse.

Und so wurde mir klar, dass wir uns bei Sonnenaufgang trennen würden.

Denn sie wollte mit dem Dampfboot River Bee weiter stromabwärts bis nach New Orleans. Als schöne Frau in dieser Hafenstadt mit französischem Flair würde sie gewiss reiche Beute machen.

Sie wartete immer noch auf die Beantwortung ihrer Fragen.

Und so sagte ich leise: »Aaah, ich war vor dem Krieg nur ein Cowboy. Dann ritt ich in den Krieg wie viele Texaner. Ich wurde Offizier, kam in Gefangenschaft und wurde erst sehr spät aus dem Lager entlassen. Ich wollte nicht als Satteltramp heimkehren, und so nahm ich einen Job an, beschützte den Besitzer eines Frachtwagenzuges, der nichts anderes als ein fahrender Generalstore war. Wir versorgten die Büffeljägercamps mit Waren jeder Sorte. Und mein Boss schleppte zuletzt mehr als zehntausend Dollar mit sich herum, als wir seine Ware fast gänzlich verkauft hatten. Ich konnte ihn dann doch nicht beschützen, als Indianer uns in das Hochwasser des Cimarron jagten. Er ertrank, weil die Golddollars in seinem Gürtel unter dem Hemd zu schwer waren.

Nun bin ich auf dem Heimweg nach Texas. Ich habe mal zu meiner Verwandtschaft geschrieben, sodass sie wussten, wo ich postlagernd erreichbar war und dass ich den Krieg überstanden hatte. Es lag dann in Kansas City ein Brief für mich postlagernd in der Posthalterei. Mein Onkel ist gestorben und hat mir seine kleine Ranch vererbt. Aber sie ist zurzeit nicht viel wert, weil die Rinder nichts wert sind. Die texanischen Longhorns haben sich während des Krieges wie Kaninchen vermehrt, aber es gibt in Texas keine Absatzmärkte. Ich will die Ranch dennoch übernehmen und abwarten. Irgendwann wird man Texasrinder ja wohl verkaufen können. Weißt du, Rachel, ich habe während des Krieges immerzu kämpfen und töten müssen. Jetzt will ich Frieden auf einer kleinen Ranch und alles, was ich in den fünf Jahren während des Krieges und auch in den zwei Jahren danach erlebte, vergessen wie böse Träume. Mein Leben auf der kleinen Ranch in Texas am Brazos wäre nichts für dich, Rachel.«

Als ich verstummte, da seufzte sie und flüsterte tonlos: »Ich hielt dich für einen Revolvermann.«

»Der wurde ich während des Krieges als Soldat. Sie haben mich befördert, weil ich viele Feinde tötete. Aber das war als Soldat meine Pflicht. Und ich konnte andere Männer führen, manchmal geradewegs in den Tod. Rachel, ich habe viel zu vergessen.«

»Gut«, flüsterte sie. »Dann wünsche ich dir viel Glück. Und die kleine Ranch, wo du sein wirst, liegt am Brazos?«

»Bei Brazosville«, murmelte ich.

Dann hörten wir beide das Dampfhorn der River Bee an der Landebrücke, zu der es kaum mehr als hundert Schritte waren.

Es war das erste Tuten.

Sie würde in Abständen von einer Viertelstunde noch zweimal ihre Stimme ertönen lassen, so als wäre sie ein Untier. Dann würde sie die Leinen losmachen und in den Strom gehen.

Rachel rollte sich noch einmal auf mich und ließ mich noch einmal ihren Körper spüren. Wir küssten uns lange.

Dann stieg sie aus dem Bett.

Durchs Fenster fiel das erste graue Licht ein. Ich sah ihren wunderschönen nackten Körper undeutlich.

Sie sprach seltsam ruhig: »Vielleicht besuche ich dich mal, Justin Hays. Vielleicht muss auch ich mal etwas vergessen wie böse Träume. Hoffentlich bist du dann noch auf der kleinen Ranch am Brazos.«

Ich erhob mich ebenfalls. Es gab eigentlich nichts mehr zu sagen. Als dann eine halbe Stunde später das Dampfhorn der River Bee zum dritten Mal losdröhnte, da hatte ich Rachel bis zur Gangway begleitet.

Auch andere Passagiere gingen an Bord. Es waren zumeist Decksplätze, die besetzt wurden. Doch Rachel hatte noch eine Kabine bekommen. Wahrscheinlich hatte sie am Tag zuvor den Zahlmeister der River Bee mit einem Trinkgeld dazu bewogen.

Sie küsste mich nicht zum Abschied, verharrte nur kurz vor mir und sah zu mir hoch. Ich war fast einen Kopf größer als sie, dabei war sie als Frau etwas mehr als mittelgroß.

»Mach’s gut, Cowboy«, sprach sie ernst. »Ich glaube nicht, dass ich dich irgendwann vergessen werde – dich nicht.«

Dann ging sie an Bord, folgte dem Decksmann, der ihr Gepäck an Bord trug.

Ich hatte ganz vergessen, sie zu fragen, woher sie in diesen kleinen Ort hier am Mississippi gekommen war mit einer Postkutsche von Westen her.

Ich sah sie wenig später oben auf dem Kabinendeck an der Reling. Sie winkte mir noch einmal zu und verschwand in einer Kabine, indes die River Bee ablegte.

Es war vorbei, und ich glaubte nicht, dass ich sie noch einmal wiedersehen würde.

Ich konnte ja nicht wissen, dass ich eines Tages für sie wie ein getreuer Ritter für eine Königin reiten, kämpfen und auch töten würde.

Nein, ich konnte es nicht mal ahnen, was für ein Spiel das Schicksal noch mit uns spielen würde.

***

Als ich nach dem Frühstück zum Mietstall ging, wo mein Pferd untergebracht war, da waren viele Gedanken und Gefühle in mir.

Ich verspürte ein starkes Bedauern in mir. Denn vielleicht hätte ich doch mit Rachel nach New Orleans gehen sollen als ihr Beschützer und Liebhaber. Nie wieder in meinem Leben würde ich solch einer Frau begegnen.

Doch dann bekam meine Vernunft die Oberhand.

Nein, solch ein Leben wäre nichts für mich gewesen. Ich wollte heim nach Texas und die kleine Ranch meines verstorbenen Onkels übernehmen. Daheim würde ich gewiss auch einige alte Freunde aus meiner Jugendzeit wiederfinden – so sie nicht im Krieg gefallen waren. Wir alle waren ja damals abenteuerlustig in den Krieg geritten, um es den Yanks zu zeigen.

Ich erinnerte mich auch an einige Mädchen, mit denen ich als junger Bursche damals im Heu lag und meine ersten Erfahrungen sammelte.

Und an eine erinnerte ich mich besonders gern. Sie hieß Jane.

Was mochte in den vergangenen sieben Jahren aus ihr geworden sein?

Vielleicht hatte sie Pete Skinner geheiratet und jetzt einige Kinder von ihm. Denn Pete Skinner und ich, wir waren damals beide hinter ihr her gewesen.

Und vielleicht hatte sie auch mit ihm im Heu gelegen. Denn sie war ein sehr lebenslustiges Ding.

Ich dachte plötzlich kurz vor der Einfahrt zum Mietstall wieder an jenen Spieler, dem ich in der vergangenen Nacht so mächtig den Spaß verdorben hatte.

Gewiss machte er sich schon Hoffnungen auf die schöne Frau. Mittellos hätte sie sich vielleicht mit ihm einlassen müssen.

Ich fragte mich, ob er sie bekommen hätte.

Ich bog nun in den Hof des Mietstalls ein.

Und da sah ich ihn. Jawohl, da war er, und er hatte auf mich gewartet. Das war mir sofort klar. Als er den Spieltisch verließ, da ging er als mein Todfeind.

Und er war es immer noch. Ich machte mir da keine Illusionen oder falschen Hoffnungen. Er hatte auf mich gewartet, weil er noch eine Rechnung mit mir offen zu haben glaubte. Und deshalb wollte er es an diesem noch ziemlich grauen Morgen mit mir austragen. Er war also nicht nur ein Spieler, sondern auch ein Revolvermann, der sich eine Menge zutraute, weil er bisher stets schneller war als seine Gegner. Und davon hatte er auf seinen rauen Wegen gewiss eine Menge gehabt.

Er hatte im Vorraum des offenen Stalles auf der Futterkiste gesessen und mich kommen sehen. Nun trat er mir entgegen, versperrte mir also den Weg zu meinem Pferd.

Ich hielt mitten auf dem Hof inne und wartete, bis er acht Schritte vor mir verhielt.

Seine Jacke war offen. Ich wusste, dass er den Revolver in einem Schulterholster trug und verdammt schnell ziehen würde, wenn sich in seinem Holster auch noch eine Sprungfeder befand. Ich traute ihm auch zu, zusätzlich noch einen kleinen Derringer im linken Ärmel zu haben.

Denn acht kurze Schritte ergaben etwa sechs Yards. Auf diese Entfernung erzielte man auch mit einem kurzläufigen Derringer noch Wirkung.

Ich verhielt also und wartete.

Er sagte etwas heiser: »Ich hatte mehr als fünfzehnhundert Dollar im Pott und hätte den gleichen Betrag gewonnen, wenn du dich nicht eingemischt hättest. Du hast sie vor mir gerettet. Dafür durftest du für eine halbe Nacht zu ihr ins Bett. Und auf dieses Vergnügen hatte ich gehofft. Aber mir nimmt niemand was weg, was es auch sein mag – niemand! Ich werde auf deinem Pferd von hier wegreiten. Ich ließ es vom Stallmann schon satteln, auch dein Gepäck festschnallen. In deiner Sattelrolle ist eine Offiziersuniform der Rebellenarmee. Nun gut …«

Er sprach nicht weiter, sondern zauberte seine Waffe aus dem Schulterholster hervor. Ja, er war verdammt schnell, wirklich zauberhaft schnell.

Doch ich war ein Texaner vom Brazos, der schon als Junge mit anderen Jungen um die Wette schoss. Ich traf ihn mitten aufs Brustbein, indes ich in sein Mündungsfeuer sah. Doch meine Kugel stieß ihn schon jenen Sekundenbruchteil früher, auf den es beim Revolverkampf ankommt. Seine Kugel fehlte mich deshalb. Er stand nicht mehr ruhig.

Und so fiel er auf die Knie und stöhnte schmerzhaft.

Ich trat zu ihm und sprach bitter: »Das hattest du nicht nötig, denn ich wollte keinen Kampf mit dir.«

Er seufzte fast tonlos: »Fahr zur Hölle!«

Dann fiel er nach vorn und streckte sich im Staub.

Es war vorbei. Ich lebte noch. Doch ich hatte wieder einmal getötet – diesmal nicht als Soldat im Krieg und mit dem Segen eines Armeegeistlichen, die ja in fast allen Armeen der Erde den Herrn des Himmels um den Sieg bitten.

Ich hatte getötet, um am Leben zu bleiben.

Doch das konnte meine Bitterkeit nicht lindern.

Der Stallmann kam aus dem Stall. Er war ein kleiner, krummbeiniger Bursche.

Heiser stotterte er: »Dededer hahahat mimir gedroht. Dododoch ich kakakann dem Marshal bebebezeugen, dass er Sie zu diesem Kampf zwang.«

Zuletzt stotterte er nicht mehr.

Ich nickte nur, ging in den Stall, fand dort mein gesatteltes Pferd mit all meinem Gepäck – also den beiden Satteltaschen und der Sattelrolle – und schwang mich in den Sattel.

Dem Stallmann warf ich fünf Dollar zu.

Dann ritt ich aus der Stadt nach Westen.

Verdammt, ich hatte einer schönen Frau geholfen, eine Menge Geld zu gewinnen und durfte für eine halbe Nacht zu ihr ins Bett.

Dann hatte ich kämpfen und töten müssen.

Hatte ich mein Abenteuer mit der schönen Rachel nicht zu teuer bezahlen müssen?

***

Ich blieb die nächsten Tage im Sattel. Der Weg vom Mississippi nach Texas war weit. Wahrscheinlich würde ich unterwegs noch eine Menge erleben. Es waren in diesen Jahren viele Reiter unterwegs, zumeist Kriegsheimkehrer, die spät aus der Gefangenschaft entlassen worden oder irgendwo hängengeblieben waren.

Wir Texaner hatten ja überdies ein besonderes Problem. Weil wir auf eigenen Pferden in den Krieg geritten waren, hatte unser Oberkommandierender, General Lee, bei der Kapitulation ausgehandelt, dass wir auch auf Pferden heimreiten konnten. Denn sonst wären ja die Sieger der Union Pferdediebe gewesen.

Und so wurde es schwierig für die Sieger, uns alle mit Pferden auszurüsten.

Man musste warten.

Und so kam es, dass in diesen beiden Jahren nach Kriegsende viele Reiter nach Süden unterwegs waren.

Es wurde ein langes Reiten, denn ich musste durch ganz Arkansas nach Westen, und auch durch die südöstliche Ecke von Oklahoma. Der Name war indianisch. OK-LA-HO-MA, dies hieß so viel wie »Land des roten Mannes«, aber ich bekam keinen Ärger mit den Roten. Überdies ritt ich in Gesellschaft. Wir hatten uns bei Fort Smith am Arkansas zu einer starken Mannschaft von mehr als zwei Dutzend Reitern vereint, um unbehelligt durch das Choctaw-Gebiet reiten zu können.

Natürlich wurden wir ständig beobachtet. Indianische Trupps begleiteten uns zu beiden Seiten und achteten darauf, dass wir uns auf dem Wagenweg nach Westen hielten. Doch es gab keine Zwischenfälle.

Drei Tage später waren wir in Texas, nachdem wir den Red River durchfurtet hatten.

Bis nach Fort Worth blieben wir beisammen.

Doch dann trennten wir uns.

In dieser Nacht geriet ich in Fort Worth in eine Pokerrunde und gewann an die fünfzig Dollar von einem Mann, der für die Armee Pferde kaufte.

Meine Barschaft betrug nun um die zweihundert Dollar. Das war zu dieser Zeit in Texas eine Menge Geld. Dafür musste ein Cowboy – so er denn einen Job hatte – ein ganzes Jahr bei freier Unterkunft und Verpflegung arbeiten.

Ich kam also nicht als armer Mann ins Brazos-Gebiet zurück, welches ja meine Heimat war. Ich ritt nun nach Nordwesten durch das Brazos Valley, also stromaufwärts, und erreichte schließlich drei Tage später Brazosville.

Und das war meine Stadt gewesen.

War sie es immer noch?

Nun, ich würde es herausfinden. Es war Nacht, und die Lichter von Brazosville wirkten warm und freundlich, nicht so kalt und unirdisch wie die Sterne über mir am Texashimmel.