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Der alte Thor Cleveland hat ein Königreich zu vergeben. Die Thronanwärter sind seine drei Vormänner, und der Preis, den sie ihm zahlen sollen, ist Mesa King, der Wildhengst.
Ben McClellan weiß, dass er und seine Konkurrenten vor der schwierigsten Aufgabe ihres Lebens stehen. Und als er sieht, wie die beiden Mitbewerber um Clevelands Thron versuchen, den Hengst mit brutaler Härte zu zerbrechen, und trotzdem scheitern, weiß er auch, welch ein Fuchs sein Boss ist. Denn Thor Cleveland hat sich wirklich etwas einfallen lassen, um herauszufinden, wer unter seinen Männern ein würdiger Nachfolger für ihn ist...
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Seitenzahl: 238
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Mesa King
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5366-2
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Mesa King
Es ist schon lange her – fast neunzig Jahre. Doch wenn man heute ins Mesa-Land kommt, so kann man dort immer noch die Geschichte vom Mesa King zu hören bekommen. Sogar bis nach Flagstaff drang jene Geschichte, die heute Legende ist.
Ich selbst hörte die Geschichte in drei verschiedenen Versionen von drei alten Männern. Jeder dieser Männer hatte sie von seinem Vater oder gar Großvater gehört. Und jeder erzählte sie in verschiedenen Einzelheiten abweichend. Da ich nun aber drei Versionen dieser Legende zu hören bekam, will ich versuchen, alles zu rekonstruieren und so zu schildern, wie es meiner Meinung nach gewesen sein könnte.
Vielleicht kann ich nicht ganz unparteiisch sein, denn Ben McClellan, so, wie ihn die Legende schildert, hat meine Zuneigung. Und er war wohl auch ein Mann, den man gern zum Freunde gehabt hätte.
G. F. Unger
1
Als der Sonnenuntergang den Himmel mit einem flammenden Rot überzieht und im Osten aus den Hügeln schon die blauen Schatten der nahenden Nacht kriechen, da kommt Ben McClellan in die Stadt und in das Land zurück, aus denen er einmal davongejagt worden war. Er kommt langsam und auf einem mausgrauen Wallach, einem narbigen Tier, das sich selbst jetzt noch nach einem langen Tagesritt katzenhaft leicht über die Straße bewegt und sehr viel weniger Staub aufwirbelt als all die anderen Pferde der Rinderleute, die in diese Stadt geritten kommen.
Und mit Rinderleuten sind auch die Viehdiebe des Landes gemeint, denn sie haben ja auch mit Rindern zu tun und leben davon.
Die Stadt heißt Mesa City, und sie ist für die Menschen auf hundert Meilen in der Runde die wichtigste Stadt der Welt, nämlich der Versorgungspunkt, ohne den hier im Lande niemand auskommen kann.
Mesa City ist Kreuzungspunkt der Post- und Frachtlinien, und es gibt hier Stores, Saloons, Hotels, einen Arzt, allerlei andere Geschäfte und kleine Handwerksbetriebe und – auch einen Sheriff.
Ben McClellan erkennt diesen Sheriff sofort wieder, denn er sieht ihn dort an der Ecke des Hotels stehen und auf seine alte Nickeluhr sehen.
Sheriff Mac Scoggins hat sich in den vergangenen zehn Jahren nicht verändert. Er wirkte damals schon so grau und verwittert und rau wie diese Stadt.
Und so ist es auch jetzt noch. Die Stadt hat sich nicht viel verändert und der Sheriff auch nicht. Es ist, als wäre Ben nur zwei oder drei Jahre fort gewesen.
Doch es waren zehn Jahre. Er ist jetzt ein fertiger Mann von sechsundzwanzig Jahren.
Damals war er sechzehn – ein dünner, rotköpfiger, wilder und leichtsinniger Junge.
Er fragt sich, ob der Sheriff ihn wiedererkennen wird. Und so reitet er langsam an der Ecke vorbei und stößt sogar den staubigen Hut aus der Stirn, damit der Sheriff sein Gesicht richtig betrachten kann.
Dies tut Mac Scoggins mit zurückhaltender Wachsamkeit, doch mustert er jeden fremden Reiter auf diese aufmerksame und wachsame Art, die ein Bestandteil seines schweigsamen Wesens ist.
Der Mietstall befindet sich gleich neben dem Hotel, zu dem auch der Wagenhof der Ostwest-Overland-Post gehört. Als Ben McClellan in die Einfahrt einbiegt, denkt er irgendwie amüsiert und belustigt: Er hat mich nicht erkannt, dieser alte Wüstenlöwe. Er hat mich nicht erkannt, obwohl mein Haar immer noch so feuerrot und meine Augen immer noch so grau wie Pulverrauch sind. Und dabei hat er einmal gesagt, dass er mich wiedererkennen würde, wenn ich jemals wieder in dieses Land käme.
Er steigt dann ab und wechselt mit dem Stallmann einige Worte, die sich nur auf sein Pferd und dessen Unterbringung beziehen.
Als er dann wenig später mit seinem Bündel aus dem Stall kommt, da erkennt er, dass er sich in dem grauen und bärtigen Sheriff getäuscht hat.
Denn Mac Scoggins steht vor dem Tor und sieht ihn fest an.
»Ben, mein wilder Junge«, sagt er sanft, »ich sagte dir doch damals vor zehn Jahren, dass du nicht wieder in dieses Land kommen sollst. Hast du das vergessen?«
Die Sanftheit, mit der er spricht, ist trügerisch. Dies erkennt man in seinen Augen, denn diese blicken hart und kühl, ja sogar eiskalt und unversöhnlich.
Er war immer ein harter Mann, dieser Mac Scoggins, und die vergangenen Jahre haben ihn sicherlich nicht weicher gemacht, eher noch einsamer und härter. Und seine Verachtung gegen die Menschen und die Welt, die zuvor verborgen in ihm lauerte, ist jetzt offensichtlich.
»Ich habe nichts vergessen, gar nichts«, erwidert Ben McClellan ruhig. »Doch das, was war, liegt lange zurück. Ich ritt damals zum Gouverneur und wurde begnadigt. Ich erhielt die Chance zur Bewährung. Nun, ich habe mich bewährt. Doch das ist schon lange her. Sheriff, die Dummheit meiner Jugend ist vergeben und verjährt. Ich habe mich als rechtschaffenes Mitglied der menschlichen Gemeinschaft erwiesen. Und somit habe ich das Recht, in unserem Lande hinzugehen, wohin ich will, zu bleiben, wo ich will, und weiterzureiten, wann ich will. Ja, ich bin zurückgekommen. Ich bin hier in dieses Land gekommen, um …«
»Hol dein Pferd, und reite wieder fort«, unterbricht ihn der Sheriff knapp, und in seinen Augen wird das kühle und harte Leuchten deutlicher. »Ich wies dich damals aus dem Lande«, sagt er. »Ich hätte dich damals auch einsperren können, ja sogar müssen! Doch ich richte mich nicht immer ganz genau nach dem Buchstaben des Gesetzes. Und weil das so ist, kümmert mich es nicht, ob du inzwischen ein nützliches und ehrenwertes Mitglied der menschlichen Gemeinschaft wurdest oder nicht. Ich wies dich damals aus dem Lande und sagte dir, dass du nicht wiederkommen sollst. Und das gilt noch immer.«
Er macht eine kurze Pause. Doch dann sagt er unabänderlich: »Also, verschwinde! Vorwärts!«
»Nein«, erwidert Ben McClellan ruhig und gelassen. Der Sheriff nickt. »Nun gut, dann komm mit! Du bist festgenommen!«
»Mit welcher Begründung, Sheriff?«
»Wegen Widerstandes gegen die Anordnungen des Sheriffs! Der Territoriumsrichter kommt in etwa zweieinhalb Monaten hier durch, um die übliche Arbeit in ein oder zwei Tagen zu erledigen. Dein Fall wird zu dieser Routinearbeit gehören. Er wird dich sicherlich freilassen und mir einen Verweis erteilen. Aber er wird einsehen, dass sich ein Sheriff in diesem Lande auf seine Art behaupten muss. Wo kämen wir hin, wenn alle Burschen, die ich schon mal zum Teufel jagte, zurückkommen könnten? Dann hätten wir bald eine ganze Bande von Strolchen und Banditen im Lande. Also, ich will deinen Revolver, Ben McClellan!«
Er streckt bei diesen Worten die Linke aus und hat seine Rechte griffbereit hinter dem Revolverkolben hängen.
In seinen Augen ist ein lauerndes Funkeln. Er ist ein Revolversheriff, also ein Gesetzesmann, der sich auf seine Revolverschnelligkeit verlässt. Er ist ein Revolvermann, der einen Stern trägt und damit all seine furchtbaren Fähigkeiten dem Gesetz zur Verfügung stellt.
Ben McClellan blickt ihn an. »Was haben Sie gegen mich, Mac Scoggins? Sagen Sie es! Was haben Sie gegen mich?«
Mac Scoggins’ dunkles, hageres und hartes Gesicht ist völlig ausdruckslos und starr, als er sagt: »Gegen dich persönlich nichts. Es geht nur ums Prinzip. Ich verbot dir zurückzukommen. Und du bist hier und willst bleiben. – Deinen Revolver, Junge!«
»Das ist Freiheitsberaubung, Sheriff! Sie regieren hier wie ein Halbgott und legen alle Gesetze auf eigene Art aus. Sie sind ein sturer, unversöhnlicher und selbstherrlicher Narr. Und …«
»Wegen Beleidigung bestrafe ich dich mit zwanzig Dollar Buße, mein Junge«, sagt Mac Scoggins kühl.
Ben McClellan verstummt. Er zieht seinen Revolver und reicht ihn dem Sheriff.
Und dann geht er wortlos vor ihm her. Sie schlagen die Richtung zum Stadthaus ein, in dem sich auch das Office des Sheriffs und das Gefängnis befinden.
Es ist inzwischen dunkel geworden. Einige Zuschauer, die diese Szene aus einiger Entfernung beobachteten, sind nur als Silhouetten und dunkle Gestalten zu erkennen. Denn sie alle halten sich den Lichtbahnen fern, die aus dem Hotel, aus Geschäften und Häusern fallen.
Ben McClellan geht vor dem Sheriff auf dem Brettergehsteig daher. Sie durchqueren nun die Lichtbahnen, und diese gelben Lichtstreifen, die doch eigentlich so wärmend und freundlich wirken und sogar den grauen Staub der Fahrbahn wie Goldpuder erscheinen lassen, wirken mit einem Male unfreundlich auf Ben McClellan.
Aber diese Stadt und ihre Bürger können ja nichts dafür, dass ihr Sheriff so unversöhnlich und stur ist, denkt er.
Sie kommen nun an einem Geschäft vorbei, in dem es »Wäsche und Kleidung für Damen« gibt, wie auf einem Schild über dem Schaufenster zu lesen ist.
Eine junge Frau will im selben Moment aus diesem Laden treten. Sie hält eine Kurbel in der Hand, um damit die Rollläden vor dem Schaufenster herunterdrehen zu können. Sie bleibt einen halben Schritt vor dem Eingang stehen, um die beiden Männer an sich vorbei zu lassen.
Dabei blickt sie die Männer ruhig an. Doch da sie das Licht hinter sich hat, ist ihr Gesicht im Schatten. Wahrscheinlich aber würde Ben McClellan sie auch nicht bei bester Beleuchtung erkannt haben; denn in zehn langen Jahren kann aus einem kleinen und dünnbeinigen Mädchen eine voll erblühte Frau werden, die vom eigenen Bruder nicht erkannt werden würde, wenn dieser zehn Jahre lang fort war.
Aber bei einem Jungen, der ein Mann wurde, ist dies wohl anders. Jedenfalls ist Ben McClellan erst zwei Schritte an dieser jungen Frau vorbei, als ihn ihre fragende Stimme einholt. Er hört die Worte: »Ben McClellan?«
Er hält inne, wendet sich halb um und blickt zurück. Er betrachtet sie, und sein Verstand müht sich um eine Erinnerung. Er eilt in seinen Gedanken zurück in jene Zeit, da er ein Knabe war und dieses Mädchen vielleicht gekannt hatte.
Plötzlich glaubt er es zu wissen. Er fragt: »Cat Britt? Catherine Britt?«
»Richtig, Rotkopf, richtig! Ich freue mich, dass du noch meinen Namen weißt. Und ich erkannte dich sofort. Bist du heimgekommen? Hat man dich heimgerufen, wo es doch Thor Cleveland so schlecht geht? Ich freue mich sehr, dass er dich nicht vergessen hat, Ben. Ich hatte es immer gehofft.«
Sie kam die zwei Schritte bis zu Ben, steht nun dicht vor ihm und blickt zu ihm empor. In ihrer Stimme schwingt eine warme und herzliche Freude. Sie ist etwas mehr als mittelgroß, schlank, dunkelhaarig und großäugig.
Ja, an diesen großen Augen erkennt Ben sie wieder. Es sind blaue Augen. Schwarze Haare und blaue Augen, das hatte ihm schon als Junge gefallen.
»Ich – ich weiß nichts von Thor Cleveland«, murmelt er. »Ich hatte nie mehr Verbindung zu ihm, und ich wurde auch nicht heimgerufen. Ich kam einfach zurück. Was ist mit Thor Cleveland?«
»Gehen Sie weiter, McClellan!«, sagt der Sheriff nun barsch. »Los, gehen Sie weiter. Cat, es tut mir leid, wenn ich das Gespräch unterbrechen muss, doch ich habe ihn verhaftet. Wenn Sie ihn sprechen wollen, dann besuchen sie ihn im Stadtgefängnis. Ich werde Ihnen eine Sprecherlaubnis bewilligen. Vorwärts, McClellan!« Ben blickt auf das Mädchen nieder und erkennt die Verwunderung, die Bestürzung und die Überraschung in ihrem Blick und auf ihrem Gesicht.
»Was hat er verbrochen, Sheriff?« So fragt sie schnell.
»Er kam zurück, obwohl ich es ihm verboten habe. Und er widersetzt sich meinen Anordnungen. Also muss ich ihn einsperren. Vorwärts, McClellan!«
Ben wendet sich von dem Mädchen ab und geht weiter.
Und nun gab es nicht nur Zuschauer aus einiger Entfernung, sondern auch Zuhörer. Denn nebenan befindet sich Mamie Hoovers Speisehaus, und einige Bürger und Gäste der Stadt standen noch draußen und warteten auf den Gong, der immer dann ertönt, wenn aufgetragen wird.
Diese Leute wurden still und lauschten, als die Stimme des Sheriffs barsch und rau ertönte.
Nun bilden sie eine Gasse, durch die der Sheriff mit dem Gefangenen gehen muss.
Ben McClellan blickt in fast ein Dutzend Gesichter. Zwei oder drei davon erkennt er wieder. Die anderen sind ihm fremd. Es sind Durchreisende oder Rancher aus dem Mesa-Land, oder Farmer und Siedler, die dann und wann in die Stadt kommen.
Er sagt nichts mehr. Er geht mit seinem Bündel vor dem Sheriff her, bis sie in dessen Office sind. Hier muss er seine Taschen leeren und auch sein Bündel abgeben.
Der alte Town Marshal Sam Hoover erinnerte schon vor zehn Jahren an einen alten Seehund. Er war immer mehr ein Stadtschreiber als ein Stadtmarshal. Denn diese Stadt braucht keinen Marshal. Hier im Lande gibt es ja Sheriff Mac Scoggins, und dieser hält so gründlich Ordnung, dass die Stadt gar keinen Town Marshal braucht, eher einen Nachtwächter und Schreiber.
Sam Hoover betrachtet Ben McClellan bitter und schüttelt den grauen Kopf. »Mein Junge«, sagt er, »warum bist du zurückgekommen? Hier in diesem Lande fließen weder Milch noch Honig, und es gibt hier keine Freunde für dich. Und selbst wenn Thor Cleveland nun sterben und von uns gehen sollte, für dich ist doch nichts drin, gar nichts. Denn du warst die größte Enttäuschung seines Lebens. Und …«
»Halt nur den Mund, Sam«, sagt der Sheriff. Und dann machen sie sich beide daran, Ben McClellans Besitz Stück für Stück zu registrieren.
Es ist nicht viel, nicht mehr, als ein Reiter so bei sich führt. Doch in der Brieftasche ist etwas, was den Sheriff und den alten Town Marshal in höchstes Erstaunen versetzt.
Es handelt sich um einen Scheck, um eine Bankgutschrift für Benjamin Franklin McClellan. Der Scheck ist ausgestellt von der Kansas-Bank und kann bei jeder anderen Bank zur Gutschrift auf ein Konto gegeben werden.
Und die Höhe der Summe, die da angegeben ist, beträgt genau siebentausenddreihundertfünfzig Dollar.
Der Sheriff betrachtet Ben McClellan hart und fragt: »Was ist das, hast du wieder eine Postkutsche überfallen, mein Junge? Oder wie kommst du an so viel Geld?«
»Es ist ehrlich verdient und sauer zusammengespart«, erwidert Ben McClellan, und man sieht ihm an, dass er sich mit aller Energie beherrscht und sich müht, ruhig zu bleiben. Man kann ihm jedoch ansehen, dass es ihm nicht mehr lange gelingen wird, sich zu beherrschen.
»Ich habe fast acht Jahre gebraucht, um diese Summe zu sparen«, sagt er. »Und ich bin damit hier in dieses Land zurückgekommen, um eine Ranch aufzubauen. Sie können mir das nicht verbieten, Sheriff. Sie können das auch nicht verhindern, und für jeden Tag, den ich hier im Gefängnis zubringen muss, werde ich eine Schadensersatzklage gegen Sie führen und Schadensersatz geltend machen.«
Der Sheriff nickt.
Doch er wirkt wie mit seinen Gedanken abwesend und verblüfft und nachdenklich.
»Du bist hergekommen, um dir eine Ranch aufzubauen, gerade hier? Hier in diesem Lande, warum hier?«
Ben McClellan blickt ihn ruhig an. »Das geht Sie nichts an, Sheriff, gar nichts!«
Mac Scoggins nickt. »Nun gut«, sagt er, »du kannst dir eine von den vier Zellen aussuchen. Sie sind alle leer. Du hast die Wahl. Morgen wirst du hinten im Hof Holz hacken. Wir haben hier lange keinen Gefangenen gehabt.«
Er sieht, wie der alte Marshal den Gefangenen in den Zellenraum bringt.
Dann aber starrt er ins Leere und denkt darüber nach, was Ben McClellan nach zehnjähriger Abwesenheit dazu bewogen haben kann, mit seinen Ersparnissen zurück in dieses Land zu kommen und eine Ranch gründen zu wollen.
Und so lange er auch darüber nachdenkt, er kommt nur zu dem einen Schluss: »Ben will es Thor Cleveland zeigen, dass er es auch ohne ihn zu etwas bringen kann.« So spricht er leise.
2
Zwei Stunden später erreicht die Nachricht von Ben McClellans Rückkehr auch die Cleveland-Ranch. Und obwohl der alte Thor Cleveland nur noch ein Schatten von dem ist, was er früher war, bekommt er sofort einen Bericht. Denn er ist immer noch der Boss der Ranch.
Er hört sich an, was sein Vertrauensmann aus der Stadt ihm berichtet. Dann denkt er eine Minute lang nach und lässt seinen Vormann Morg McRae und seinen zweiten Vormann Jim Callaghan kommen, die beide auf der Ranch weilen.
Er sagt zu ihnen: »Ich will Ben McClellan sehen. Reitet los und holt ihn her. Ich will ihn sehen und mit ihm sprechen.«
Die beiden großen Männer nicken. Sie fragen nicht, was sie machen sollen, wenn der Sheriff den Gefangenen nicht herausgeben will. Nein, solche Fragen stellen sie nicht. Denn wenn sie Männer wären, die bei solchen Problemen erst Fragen stellen müssten, dann wären sie nicht die Vorleute der großen Cleveland-Ranch.
Morg McRae ist groß, sehnig, zäh und hart. Er ist weißblond, blauäugig, wortkarg und unerschütterlich. Er ist wenig mehr als dreißig Jahre alt und bietet ganz den Anblick eines eisernen und sehr männlichen Mannes. Er ist stattlich, und es gibt nicht wenige Mädchen und Frauen im Lande und in der Stadt, die ein Auge auf ihn geworfen haben.
Jim Callaghan ist etwas jünger, und er ist schwarzhaarig, dunkel wie ein Indianer und pantherhaft geschmeidig. Er ist so prächtig wie ein Raubtier, das man unwillkürlich bewundern muss – aber auch zugleich respektiert und sogar fürchtet.
Diese beiden Männer sind die härtesten, besten und geeignetsten, die Thor Cleveland sich im Verlauf von Jahren unter all den vielen Burschen aussuchte. In beiden stecken vielerlei Möglichkeiten, und vielleicht hat jeder von ihnen das Zeug, eines Tages solch ein großer Mann und Boss zu sein wie Thor Cleveland, der einst mit drei Kühen und einem Stier in dieses Land kam und nun eine riesengroße Ranch mit etwa dreißigtausend Rindern besitzt.
Diese beiden Männer reiten also los, und sie wissen, dass ihr Auftrag wieder einmal eine Art Probe ist, die Thor Cleveland sie ablegen lässt.
Sie erreichen kurz nach Mitternacht die Stadt Mesa City und kommen genau zur rechten Zeit vor das Hotel. Denn der Sheriff will darin verschwinden, um sich zur Ruhe zu begeben. Er bewohnt schon länger als zehn Jahre das gleiche Zimmer im Hotel, und er wohnt gewissermaßen in seinem eigenen Hause. Denn das Hotel gehört ihm zur Hälfte. Die andere Hälfte gehört Mamie Hoover, die das Restaurant betreibt und die sehr energische und jüngere Schwester des Town Marshals ist. Der Sheriff wendet sich den beiden Reitern zu. Er weiß es zu würdigen und begreift die Bedeutung ganz genau, dass Thor Cleveland seine beiden besten Männer hergeschickt hat.
Aber er hat sich vor Thor Cleveland noch nie gefürchtet. Er hat ihn stets nur respektiert und war selbst respektiert worden. Jetzt fragt er sich ganz kurz, ob dies so bleiben wird. Aber wenn er sich auch eine Sekunde lang gewisse Sorgen machte und sich in seinem Innern schon darauf einstellte, hart, kalt und unnachgiebig zu sein, so erkennt er doch wenig später, dass Thor Clevelands Abgesandte keine Narren sind.
Denn Morg McRae sagt höflich: »Mac, wir kommen mit einer Bitte zu Ihnen. Sie wissen ja Bescheid, wie es damals war. Sie waren ja selbst daran beteiligt. Und Sie wissen auch, dass Thor Cleveland wahrscheinlich den nächsten Winter nicht überleben wird. Er möchte den Jungen sehen. Er will wohl herausfinden, was aus ihm wurde. Nun, wir möchten Sie bitten, Ben McClellan für einen Besuch bei uns zu beurlauben. Geht das wohl?«
Er stellt die Frage sehr sanft.
Und der Sheriff weiß genau, dass man ihm jetzt eine Brücke gebaut hat. Er wurde höflich gebeten. Man appelliert an sein Verständnis für einen sterbenden Riesen, und dieser sterbende Riese ist Thor Cleveland. Und obwohl er den Frühling nicht mehr erleben wird – was er selbst und das ganze Land genau wissen –, ist er immer noch der mächtigste Mann im Lande.
Der Sheriff weiß, dass diese beiden Männer sehr hart werden, wenn er ihre Bitte nicht erfüllt. Oh, er hat keine Furcht. Doch er ist alt. Er könnte fast schon ihr Vater sein. Und er weiß, dass jeder dieser beiden Männer ihn schlagen könnte, ganz gleich auf welche Art.
Er nickt. »Nehmt ihn nur mit«, sagt er. »Die Wünsche des alten Thor Cleveland erfülle ich gern. Ich persönlich habe nichts gegen Ben McClellan. Doch ich kann all die Burschen nicht ungestraft zurückkommen lassen, die ich mal aus dem Lande jagte.«
Er deutet in Richtung zum Gefängnis. »Holt ihn euch! Sam Hoover wird ihn euch geben.«
Damit wendet er ihnen den breiten und knochigen Rücken zu und geht ins Hotel.
Morg McRae und Jim Callaghan aber reiten weiter, um Ben zu holen.
Und es ist dann ebenfalls nur wenig mehr als zwei Stunden später und in der dritten Morgenstunde, als sie mit Ben McClellan die Hauptranch erreichen. Sie sprachen unterwegs kaum ein Wort.
Vom großen Ranchhaus her kommt ihnen John Yuma entgegen. Er spricht die englische Sprache etwas kehliger, als es ein weißer Mann vermag. Und das ist kein Wunder, denn er ist ein Indianer. Er wurde getauft und besuchte dann mehrere Schulen. Er studierte sogar und wurde Arzt. Und dann kehrte er zu seinem Gönner und Wohltäter zurück, um ihm bis zum Tode zu dienen.
Er sagt zu den drei Reitern: »Mister Cleveland ist eingeschlafen. Es ist der erste Schlaf seit drei Tagen und Nächten. Ich kann nicht dulden, dass man ihn weckt. Der Schlaf tut ihm gut.«
Nach diesen Worten geht er wieder zurück.
Die beiden Vorleute blicken ihm schweigend nach. Und erst dann, als sie mit Ben McClellan zu den Corrals reiten, da sagt Jim Callaghan: »Diese verteufelte Rothaut. Schon wilde Rothäute gefallen mir nicht, weil ich immer daran denken muss, dass sie meine Eltern erschlagen haben. Doch eine gebildete Rothaut erweckt in mir den Wunsch, sie zu zerbrechen und wieder zu einer wilden Rothaut zu machen.«
»Er ist gebildeter als du und kann dir genau sagen, warum du nicht umfällst, obwohl sich die Erde dreht, und vieles andere mehr.«
Morg spricht diese Worte spöttisch, und man merkt ihm an, dass er den gebildeten Indianer ebenfalls nicht leiden kann.
Sie stellen dann ihre Pferde in den Corral, nehmen Ben McClellan in ihre Mitte und gehen zu ihrem Quartier. Als Vormänner der großen Ranch steht ihnen hier auf der Hauptranch ein dreiräumiges Blockhaus zur Verfügung. Doch sie verbringen die wenigste Zeit hier. Sie sind fast stets irgendwo unterwegs, denn die Weidegebiete der Ranch dehnen sich so weit aus, dass man schon einige Tagesritte machen muss, will man alles unter Kontrolle halten und jede Weidehütte und Grenzhütte besuchen.
Sie setzen sich drinnen an den Tisch. Und Morg sagt: »Es lohnt sich nicht mehr, sich hinzulegen und zu schlafen, nicht wahr?«
»Für mich schon«, erwidert Ben McClellan kurz und geht zu dem Sofa, das hinter dem Tisch steht. Er legt sich drauf, zieht seinen Hut über das Gesicht und scheint sofort einzuschlafen.
Die beiden anderen Männer betrachten ihn. Seine langen Beine hängen weit über die Armlehne des Sofas hinaus, und er macht ganz den Eindruck eines harten und selbstsicheren Mannes, der für sich sorgen kann.
Die beiden Vorleute setzen sich an den Tisch. Morg bringt eine Flasche Whisky und drei Gläser herbei. Und dann sagt er hart: »Aufgewacht, Ben McClellan! Wir trinken auf deine Rückkehr! Und du wirst mittrinken, denn vielleicht bist du sogar die Hauptperson. Hast du mich verstanden, mein Junge?«
Ben McClellan richtet sich langsam wieder auf. Er betrachtet die Männer mit einem ruhigen Blick, und er weiß, dass sie sich irgendwie stillschweigend verständigt haben. Sie handeln jetzt nach einem Plan. Vielleicht kam Morg erst auf die Idee, als er die Flasche holte. Und vielleicht warf er Jim nur einen einzigen Blick zu, der schon genügte.
Wie es auch sein mag, sie haben eine Idee und verfolgen einen Plan. Dies wittert Ben McClellan nun.
»Nun gut«, sagt er. »Ich werde einen Schluck mit euch trinken. Doch ich trinke sonst nie. Es wird bei diesem einen Schluck bleiben.«
Jim Callaghan lächelt blitzend, als er dies hört. Und Morg McRae schnalzt nur mit der Zunge und schenkt ein.
Sie nehmen die Gläser, blicken sich an und trinken. Ben McClellan steht ihnen gegenüber, und er blickt sie beide an, ruhig und nachdenklich. Man sieht ihm an, dass er ein harter Mann ist, doch man kann ihm nicht ansehen, wie hart und wie furchtlos er sein kann.
Denn es gab schon einige Male in seinem Leben Augenblicke, da vergaß er alle Gefühle und Gedanken an die Schonung und Sicherheit des eigenen Lebens und war bereit, es bis zum Ende auszutragen! Er ist ein Mann, der geduldig und beharrlich ist. Doch irgendwann, da weicht er nicht mehr zurück, sondern trägt es aus.
Und indes er die beiden Vorleute der Cleveland-Ranch so betrachtet, da denkt er daran, dass er einmal dazu bestimmt war, erster Vormann und Thor Clevelands Nachfolger zu werden. Er würde jetzt Boss dieser beiden Männer sein, wenn …
Er schüttelt leicht den Kopf und setzt das Glas ab.
Sie setzen sich nun an den Tisch, denn sie tranken stehend. Und die beiden Männer prüfen und studieren ihn immer noch sorgfältig.
Schließlich sagt Morg McRae: »Wir haben einige Dinge von dir gehört, Ben McClellan. Wir kamen ja erst auf diese Ranch, als du schon aus dem Lande geritten warst. Doch wir hörten, dass Thor Cleveland dich irgendwie aufgegriffen und als Pflegesohn angenommen hatte. Er glaubte, irgendwelche Qualitäten in dir erkannt zu haben. Und weil er wusste, dass er nie einen Sohn bekommen würde, wollte er aus dir einen Sohn und Nachfolger machen. So war es doch, nicht wahr?«
Er verstummt scharf und lächelt dann auf eine Art, die seine ganze Härte offenbart. Dann beugt er sich vor und füllt die Gläser neu. Er erwartet wohl auch gar keine Antwort, sondern spricht nun weiter: »Doch du wurdest für Thor Cleveland eine große Enttäuschung. Obwohl du erst sechzehn Jahre alt warst, hast du mit einigen wilden Jungs eine Postkutsche ausgeraubt. Einer dieser Burschen wurde erkannt und gefasst. Und er verriet die anderen Komplizen. Du gehörtest dazu, und weil du noch so jung warst, jagte dich der Sheriff nur aus dem Lande, anstatt dich mit den anderen Banditen einzusperren. Thor Cleveland hatte den Sheriff wohl darum gebeten. Aber er war auch fertig mit dir. Es war für ihn fast so, als hätte er einen Sohn verloren. Nun gut, jetzt bist du zurückgekommen. Warum? Was hast du vor, bist du zurückgekommen, um den alten Thor Cleveland davon zu überzeugen, dass du doch ein prächtiger Bursche geworden bist, der nach seinem Herzen ist und der damals nur einen Dummenjungenstreich machte? Hast du vielleicht gehört, dass Thor Cleveland den kommenden Frühling nicht erleben wird? Bist du deshalb hier, um ihn noch zu überzeugen, dass du dir die Hörner abgestoßen hast und nun ein …«
»Ich möchte nicht länger darüber diskutieren«, sagt Ben sanft. Doch seine Augen funkeln dabei. In diesen rauchgrauen Augen sind nun helle Lichter.
»Warum ich hier bin, geht nur mich und Thor Cleveland etwas an. Und höchstens noch Belle Cleveland und den Sheriff. Und ich bin nicht von selbst hergekommen. Ihr habt mich geholt. Jetzt lasst mich in Frieden. Ich werde mit Thor Cleveland sprechen und dann wieder von der Ranch reiten.«
Er blickt die beiden Männer fest an. Dann macht er den Ansatz zu einer Bewegung, als wollte er sich wieder auf das Sofa legen. Doch Morg McRae sagt knapp und befehlend: »Trink das Glas aus, mein Freund. Los, wir trinken noch eins. Ich habe nicht nur diese eine Flasche. Wir trinken, bis dich Thor Cleveland rufen lässt oder wir unter dem Tisch liegen.«
Als er diese Worte spricht, lässt er damit gewissermaßen die Katze aus dem Sack. Ja, er gibt seine Absichten kund. Und diese Absichten sind so einfach und primitiv.
Ben McClellan soll betrunken vor Thor Cleveland treten.
Das ist es! Ben soll einen denkbar schlechten Eindruck machen.
Ja, sie sind wachsam und vorsichtig, diese beiden Vormänner der Cleveland-Ranch. Sie wollen jeder Möglichkeit von vornherein die Spitze abbiegen. Sie wissen, was Ben McClellan einmal für den Rancher bedeutet hat. Sie wollen nicht, dass es eine Aussöhnung gibt und sie von da ab mit Ben McClellan zu rechnen haben.
Oh, sie haben eine Menge Gründe, dass sie unter sich bleiben! Denn wer wird nach Thor Clevelands Tod die Ranch leiten? Thor Cleveland hat sich eine Riesenranch geschaffen, die nur von besonderen Männern geleitet und erhalten werden kann.
Thor Clevelands Tochter kann es nicht.
Nur sie beide, Morg McRae und Jim Callaghan, die sie doch Thor Clevelands Vertrauen besitzen, können es. Und einer von ihnen wird sicherlich auch eines Tages das Mädchen bekommen.
Oh, sie wissen genau, dass auch sie Konkurrenten sind. Doch sie stellen dies noch zurück. Sie sind sich darin einig, niemanden sonst hereinzulassen.
Und so nickt Jim Callaghan nur zustimmend, als Morg McRae verlangt, dass Ben McClellan trinken soll. Sie sind sich einig.