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Es soll nur eine kurze Rast auf ihrer Fahrt ins Goldland werden, als die drei Wageninsassen - drei Männer und eine Frau - die Postkutsche verlassen und den Rio Paso Saloon betreten. Doch das Schicksal hat es anders bestimmt. Das merken die vier, als sie den Saloon-Besitzer mit einem Messer im Leib hinter dem Tresen finden und der Sterbende sie zu seinen Erben einsetzt. Und als sie dann feststellen, dass der Saloon über einer Goldader errichtet wurde, gibt es für sie kein Schwanken mehr. Und aus vier Fremden, die bisher kaum ein Wort miteinander wechselten, wird eine verschworene Gemeinschaft. Allerdings nur, bis es ans Teilen geht. Denn jeder von ihnen will alles, und die drei Männer wollen nicht nur das Gold, sondern auch die Frau.
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Seitenzahl: 190
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Saloon der Erbarmungslosen
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5369-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
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Saloon der Erbarmungslosen
1
Als die Kutsche die Furt des Pecos erreicht, hält der Fahrer im seichten Wasser an, um dem Gespann eine Erfrischung zu gönnen.
Dann ruft er von seinem hohen Sitz herunter: »Hoiii, Leute, dies hier ist der Pecos! Und dort drüben liegt Rio Paso. Früher einmal eine schöne Stadt der alten Spanier. Jetzt gibt’s da drüben nur noch den Rio Paso Saloon. Und ihr werdet euch wundern, Leute, denn der Saloon befindet sich in der Kirche der einstigen Mission, welche die alten Spanier damals von ihren indianischen Sklaven errichten ließen, um darin die Heiden zu bekehren, hahaha!« Der Fahrer lacht wild, so als könnte er sich gar nicht mehr einkriegen.
Wenig später treibt er das Sechsergespann wieder an und fährt durch die flache Furt hinüber.
Der kleine und sehr alte Ort besteht aus der alten Mission, um die zwei oder drei Dutzend Adobehäuser errichtet wurden. Aber nun ist alles verfallen. Es regt sich kein Leben unter der brennenden Mittagssonne. Man könnte diesen Ort für eine Geisterstadt halten.
Und dennoch führt der Wagenweg von New Mexico zu den Sacramento Mountains, die zu den südlichen Rockies gehören und in denen man Gold findet, hier entlang.
Die Kutsche hält wenig später vor der Kirche, einem aus Bruchsteinen gemauerten Bauwerk. Über dem Haupteingang ist ein Schild befestigt, auf dem zu lesen ist:
Rio Paso Saloon
Der schönste Saloon
zwischen Pecos und
dem Rio Grande
Der Fahrer ruft nun: »Aussteigen, Leute. Ihr könnt drinnen eine Erfrischung bekommen, auch einen Happen zu essen. Ich lasse das Gespann auswechseln und komme in einer halben Stunde wieder her!«
Drei Männer und eine Frau klettern aus der alten Abbot-&-Downing-Kutsche und dehnen ihre steifen Glieder.
Die Kutsche fährt wieder an und hüllt die vier ausgestiegenen Passagiere in eine Staubwolke ein. Sie ergreifen gewissermaßen die Flucht in den Saloon.
Drinnen sehen sie sich staunend um.
»Ich kann es kaum glauben«, murmelt einer der Männer.
»Ein Saloon in einer Kirche«, spricht ein anderer.
Doch der dritte sagt kühl: »Warum nicht? Es war ja wohl keine Kirche mehr. Sie wurde offenbar von den Padres aufgegeben. Und so war es wohl das einzige feste und gut erhaltene Gebäude in dieser alten Stadt. Ich finde diesen Saloon recht originell. Da kommt Freude auf, wenn man in einem ehemaligen Gotteshaus zum Sünder werden kann. Ich denke mir, dass einem dann die Sünden mit Wohlwollen vergeben werden. Wo ist der Wirt?«
Sie sehen sich im Halbdunkel um. Es wirkt für sie noch intensiver als ohnehin, weil sie ja aus dem gleißenden Sonnenlicht hereinkamen.
Ja, es ist ein richtiger Saloon. Das ganze Kirchenschiff wurde mit der typischen Einrichtung eines noblen Saloons ausgestattet. Es gibt eine lange Bar, Tische und Stühle, Spucknäpfe, Billardtische und Spieltische für Faro, Blackjack und Roulette.
Auch eine Tanzfläche ist vorhanden. In einer Nische steht ein Klavier. Dies alles mag von einem Wagenzug hergeschafft worden sein.
Einer der drei männlichen Fahrgäste ruft nun lauter: »He, Bedienung! Wo ist der Wirt?!«
Aus einem Nebenraum kommt eine undeutliche Antwort. Wahrscheinlich war es früher mal die Sakristei.
Dann hören sie es etwas deutlicher. Eine heisere Stimme ruft offenbar mit letzter Kraft: »Hier. Kommt hierher. Ich brauche Hilfe. Kommt her!«
Sie folgen dem Klang der Stimme.
Die einstige Sakristei ist recht wohnlich, ja fast nobel eingerichtet. Auf einem Ledersofa liegt ein massiger Mann. Er ist halbnackt und hält sich ein blutiges Handtuch auf eine Bauchwunde, so als könnte er auf diese Weise das Auslaufen seines so kostbaren Lebenssaftes verhindern.
Als sie eintreten, starrt er sie mit großen Augen an und fragt heiser: »Ist einer von euch ein Doc – vielleicht gar ein richtiger Chirurg?«
Sie schütteln nacheinander die Köpfe, treten näher und umgeben ihn. Einige Atemzüge lang schweigen sie. Dann fragt einer der Männer: »Freund, es hat Sie wohl ziemlich böse erwischt, nicht wahr?«
»Das kann man wohl sagen«, stöhnt der Mann auf dem Sofa. »Ich glaube, ich kratze ab. Nur wenn zufällig ein richtiger Doc mit der Kutsche gekommen wäre, am besten ein Feldarzt der Armee, der während des Krieges Erfahrungen sammeln konnte, hätte ich vielleicht eine kleine Chance gehabt. Ja, ich kratze ab. Diese Ramona hat mir das Messer in den Magen gestoßen, als ich sie daran hindern wollte, mit meinem Geld zu ihrer Verwandtschaft drüben in Mexiko abzuhauen. Ich hatte sie für zweihundert Dollar von ihren Leuten gekauft – aber nun ist sie mit mehr als zweitausend Dollar wieder auf und davon. Die hat einen feinen Schnitt gemacht hier, nicht wahr? Nur drei Tage war sie hier und kann nun zweitausend Dollar zu ihrer Sippe heimbringen. Ich aber bin der Dumme. Ich laufe aus, verdammt, ich laufe aus.«
Er verstummt stöhnend und voll Bitterkeit.
Die Frau beugt sich nun über ihn und nimmt ihm die Hand mit dem Handtuch von der Bauch- und Magengegend. Nun können sie es alle sehen.
»Da ist wirklich nichts mehr zu machen, mein Freund«, spricht die Frau mit ihrer dunklen und sehr melodisch klingenden Stimme. »Sonst würden wir Ihnen gerne helfen. Das können Sie mir glauben.«
Der sterbende Saloonwirt nickt schwach.
Dann spricht er noch mühsam die Worte: »Ich habe keine Erben. Und so vererbe ich euch, die ihr in meiner Sterbestunde bei mir seid, meinen ganzen Besitz. Dieser Saloon wird bald eine Goldgrube sein. Denn hier an der Furt müssen alle durch, die ins Goldland ziehen – alle, die Guten und die Bösen, die Reinen und die Sündigen. Ich schenke euch meinen Saloon, wenn ihr mich dafür christlich unter die Erde bringt.«
Als seine Stimme verstummt, hat er alles gesagt. Sie sehen nun, dass er tot ist.
Etwas verwirrt betrachten sie einander. Gewiss, sie saßen schon viele Stunden in der gleichen Kutsche, die an der Mexikogrenze die Fahrgäste aus Mexiko übernahm, doch sie schenkten einander nur die übliche Beachtung. Sie kamen jeder für sich von irgendwoher, und keiner legte offensichtlich einen Wert auf Unterhaltung. Die reizvolle Frau verhielt sich reserviert und erwiderte jeden bewundernden Blick mit kühler Abweisung.
Viele Meilen hockten sie in dem Kasten der Kutsche beisammen, ließen sich durchschütteln, schluckten den Staub und versuchten dennoch etwas zu schlafen. Irgendwie wirkte jeder von ihnen so, als wollte er möglichst schnell etwas vergessen – eine Niederlage zum Beispiel – und irgendwo und irgendwie zu einem neuen Anfang kommen.
Nun aber sehen sie sich etwas verwirrt an. Und plötzlich ist jeder von ihnen daran interessiert, möglichst viel über die anderen zu erfahren – oder zumindest erkennen zu können.
Die rothaarige Frau spricht spröde: »Einen Saloon – o du lieber Himmel, was ist das für ein Erbe? Ich besaß schon mehr als einmal einen Saloon. Und dieser hier ist in einer alten Missionskirche. Ein Saloon in einer Kirche, o Himmel, was für ein Geschenk!«
Sie verstummt mit einem Klang von sarkastischem Spott.
Ihr Blick richtet sich nacheinander auf die drei Männer.
»Oder möchte einer von Ihnen das Erbe gar nicht antreten?« So fragt sie, und nun ist ein lauernder Klang in ihrer dunklen, melodischen Stimme. Sie setzt zwei Atemzüge später noch hinzu: »Dies ist ein lausiges Drecknest am Wagenweg, der hier durch die Pecos-Furt ins Goldland führt. Hier leben gewiss nur noch ein Dutzend Menschen mexikanischer Abstammung. Was ist das schon für ein Erbe?«
Die drei Männer blicken einander an. Dann setzen sie sich wie auf ein stillschweigendes Kommando in Bewegung und verlassen die ehemalige Sakristei.
Die schöne Frau folgt ihnen, und langsam wandern sie dann umher und begutachten die gesamte Einrichtung.
Einer der Männer – er ist elegant gekleidet wie einer der Berufsspieler – sagt mit einem Zungenschnalzen: »Das alles ist erstklassig, nobel. Ich wette, es stammt von einem dieser Luxus-Dampfboote, die den Mississippi zwischen New Orleans und Saint Louis befahren und nichts anderes als schwimmende Amüsier- und Spielsaloons sind, auf denen man alle Sünden begehen kann, zu denen Menschen fähig sind. Das alles muss mit sehr viel Mühe von Bord geschafft, auf einen Wagenzug geladen und dann hierhergebracht worden sein – vielleicht von einem Dampfboot, welches zu einem Wrack wurde. Der Saloonwirt starb zu schnell. Er hätte uns gewiss noch eine Menge sagen müssen – zum Beispiel, warum er sich ausgerechnet hier festsetzte und in dieser alten Kirche einen Saloon eröffnete. Aber das ganze Zeug hier – schon allein die Roulette- und auch die Billardtische sind Tausende von Dollars wert. Sehen wir uns weiter um. Denn es wäre wichtig, zu wissen, wie groß die Vorräte sind. Es muss ja wohl hier Kellergewölbe geben. Suchen wir sie, und sehen wir nach.«
Als er verstummt, hören sie draußen die Postkutsche vorfahren. Der Begleitmann kommt herein und ruft: »Es geht weiter, Leute! Haben Sie vom Wirt einen Imbiss bekommen? Wo ist dieser Joshua Caine überhaupt! He, Joshua!«
»Er ist tot«, erwidert einer der drei männlichen Fahrgäste. »Er konnte uns noch sagen, dass eine gewisse Ramona ihm ein Messer in den Magen stach, um mit seinem Geld abzuhauen. Und dann hat er uns zu seinen Erben gemacht, wenn wir ihm ein christliches Begräbnis bereiten. Das werden wir tun. Die Kutsche kann ohne uns weiter.«
Der Begleitmann verharrt staunend. Dann geht er zum Eingang und ruft dem Fahrer zu: »He, George, komm mal her. Joshua Caine ist tot. Und unsere Fahrgäste hat er zu seinen Erben gemacht.«
»Das ist mir scheißegal«, tönt es zurück. »Ich will weiter. Und Joshua Caine war wohl immer schon ein wenig eigenartig. Komm auf den Bock, Barney. Es geht weiter, mit oder ohne Fahrgäste!«
Der Begleitmann wendet sich den drei Männern und der Frau zu. »Sie haben es gehört, nicht wahr? Wir fahren weiter. Wollen Sie wirklich nicht mit, sondern hier in diesem lausigen Nest in diesem verrückten Saloon bleiben?«
Sie alle nicken stumm.
Da geht der Mann hinaus und klettert draußen zum Fahrer hinauf, nachdem er das Gepäck der Fahrgäste auslud.
Die Kutsche hinterlässt eine Staubwolke und einiges Gepäck vor dem Eingang.
Und der Spieler spricht nach einer Weile: »Also, dies wäre geklärt. Nun sollten wir in den Kellergewölben nachsehen.«
Wenig später können sie nur noch staunen beim Anblick der vielen Whiskey- und Weinfässer und der gefüllten großen Krüge.
Die Kellergewölbe sind gut erhalten.
Im Laternenschein sehen sie sich alles an und wechseln kaum Worte. Erst als sie wieder nach oben gehen, sagt einer der Männer: »Wir sollten diesem Joshua Caine wirklich ein christliches Begräbnis zukommen lassen. Denn er hinterließ uns ein stattliches Erbe, und ich glaube, wir alle können es gebrauchen. Oder will jemand das Erbe nicht annehmen?«
Als er die Frage stellt, da ist so etwas wie ein Klang von Hoffnung in seiner tiefen kehligen Stimme. Der Mann sieht wie einer dieser Preiskämpfer aus, die in manchen Ortschaften längs des Mississippi immer wieder gegeneinander antreten und sich – umgeben von einer johlenden Menge – gegenseitig mit den bloßen Fäusten so lange bearbeiten, bis einer von ihnen nicht mehr kämpfen kann.
Denn es gibt zu dieser Zeit noch keine Boxkämpfe mit Handschuhen. Die so genannten Queensberry-Regeln kennt man noch nicht. Sie werden erst im Jahre 1892 eingeführt beim Kampf von James J. Corbett gegen John L. Sullivan. Diese Preiskämpfer zerschlagen sich noch mit bloßen Fäusten auf oftmals schreckliche Weise.
Und so sieht auch das Gesicht dieses Mannes aus. Auch seine Ohren sind zerquetscht worden, sind so genannte Blumenkohlohren.
Und dennoch wirkt dieser Mann nicht stupide oder gar dumm. In seinen tiefliegenden, mattgrauen Augen ist Intelligenz zu erkennen.
Er wartet geduldig auf Antwort. Denn zuletzt stellte er ja eine glasklare Frage.
Die beiden anderen Männer und die schöne Frau sehen einander an.
Dann schütteln sie ihre Köpfe.
Die Frau sagt: »Ich glaube, dass wir vom Schicksal zusammengeführt wurden. Eigentlich wollten wir ja wohl alle zum Rio Grande Valley und dann mit der anderen Postlinie weiter nach Santa Fe. Und wenn ich nach meinem Gefühl gehe, dann denke ich, dass wir alle irgendwo mit knapper Not aus einer Niederlage herausgekommen sind. Hier könnten wir ein paar Dollars machen – oder? Sehen wir uns den Ort an. Es muss doch außer der Post- und Frachtstation auch noch ein paar Leute hier geben. Sehen wir nach.«
Die drei Männer betrachten die Frau ernst.
O ja, sie alle kennen sich aus, und deshalb wissen sie, dass sie eine Glücksjägerin vor sich haben, die von ihrer Sorte ist, nur eben – und das ist der einzige Unterschied – weiblichen Geschlechts.
Sie halten diese schöne Frau für eine Art zweibeinige Tigerkatze.
Sie hat rote Haare und grüne Augen, ist makellos gewachsen und bewegt sich wie eine ausgebildete Tänzerin. Es gibt ein paar feine Linien um ihren ausdrucksvollen Mund, die ihnen sagen, dass ihr nichts mehr fremd ist auf dieser Erde.
Plötzlich nicken sie ihr zu. Einer von ihnen – es ist jener, welcher bisher geschwiegen hat – spricht ruhig und mit dem schleppenden Klang in der Stimme, wie ihn nur ein Texaner besitzt: »Ja, gehen wir. Sehen wir uns alles an.«
Der Mann hat etwas von einem Indianer an sich, dennoch aber leuchtend blaue Augen, obwohl er sonst so dunkel ist. Er trägt zwei Revolver im Kreuzgurt, und sie haben ihn längst als einen Revolvermann eingeschätzt. Sie setzen sich in Bewegung – drei Männer von der harten Sorte und eine schöne Frau, die ihnen gewiss in nichts nachsteht, wenn es ums Beutemachen geht.
Sie sind vielleicht mit einem kleinen Wolfsrudel zu vergleichen, welches in ein fremdes Revier kommt, Beute machen will und zuerst das fremde Revier erkunden muss, um sich einigermaßen sicher zu fühlen.
Doch sie kommen nicht weit – entfernen sich nur ein paar Schritte von der alten Kirche, die jetzt ein Saloon ist.
Denn aus der Gasse rechts von ihnen tauchen einige Reiter auf.
Es münden noch andere Gassen auf den Platz, und auch die einzige Hauptstraße des Ortes führt über ihn hinweg.
Es sind fünf Reiter, Mexikaner mit großen Hüten und vor der Brust gekreuzten Patronengürteln. Sie reiten herrliche Pferde und wirken nicht wie abgerissene Bandoleros – also Straßenräuber –, sondern eher wie stolze Hidalgos.
Die fünf Reiter halten vor der Gruppe an. Ihr Anführer fragt: »He, ihr Gringos, ihr seid soeben da herausgekommen. Lebt der Wirt noch?«
»Nein, er ist tot«, spricht der Revolvermann in seinem schleppenden Texanerdialekt. »Er ist mausetot. Aber er sagte uns noch, dass eine gewisse Ramona ihm das Messer in den Magen gestoßen hätte.«
Die fünf Reiter sitzen nun ruhig auf den Pferden. Auch die Tiere verharren fast bewegungslos.
Der Sprecher dieser fünf Reiter aber fragt wieder: »Und was sagte er noch?«
»Dass wir seine Erben sind, wenn wir ihn christlich beerdigen«, erwidert der Texaner ruhig. »Und wer sind Sie, Señor?«
Die fünf Reiter beginnen zu grinsen, dann zu lachen. Unter ihren Schnurrbärten lassen sie ihre Zahnreihen blinken.
Einer ruft lachend: »Er kennt uns nicht, ay, er kennt uns nicht! Und vielleicht haben sie noch nie etwas von El Toro und dessen Reitern gehört, ayayayayi!«
Die Mexikaner sprechen die englische Sprache fast so gut wie Angloamerikaner, wenn auch mit spanischem Akzent.
Ihr Anführer macht eine Handbewegung, so als wollte er jemanden wegscheuchen oder grob entlassen. Und er spricht hart: »Haut ab hier, Gringos, haut ab! Wenn es hier etwas zu erben gibt, dann sind wir die Erben. Denn Ramona, die ihn in Notwehr so schwer verwunden musste, dass er schließlich starb, ist unsere Schwester. Er hatte sie zu sich geholt und ihr die Ehe versprochen. Also ist sie seine Erbin. Dass sie miteinander Streit hatten, dies kommt fast in jeder Ehe vor. Und sie war schon seine Frau geworden, denn er hatte sie schon in sein Bett genommen. Die Hochzeit war nur noch eine Formsache. Also geht, Gringos. Wir vertreten hier Ramonas Rechte.« Seine Worte wurden immer herrischer und befehlender.
Und ganz plötzlich weht nun der Atem von Gewalt.
Die kleine und wie tot oder ausgestorben anmutende Stadt wirkt mit ihrer Stille fast wie ein alter, verlassener Friedhof, so als wären all diese kleinen Adobehäuser und -hütten nichts anderes als eine besondere Art von Grabsteinen.
Aber irgendwo in einem der Häuser, da weint plötzlich ein Kind. Man hört es in der unwirklichen Stille. Nicht mal die fünf Pferde machen Geräusche. Man hört nur das Weinen des Kindes, und es klingt fast wie eine Klage, die im Zusammenhang mit dem jetzt bevorstehenden Unheil steht.
Denn Unheil droht und hängt wie eine schwere dunkle Wolke in der Luft. Man kann diese dunkle Wolke zwar nicht sehen. Denn über Rio Paso brennt die Sonne.
Dennoch spürt man sie, die Unheilswolke.
In die Stille spricht jener El Toro noch mal die Worte: »Also geht, Gringos!«
Da beginnen die drei Männer leise zu lachen. Aber es ist kein freundliches Lachen. Es klingt nicht lustig nein, es ist eine andere Sorte von Lachen. Es klingt böse, fast gemein und ganz bestimmt erbarmungslos. Es ist ein Lachen von Männern, die nicht mehr bereit sind, nach erlittenen Niederlagen noch weitere hinzunehmen, sondern jede Art von Herausforderung anzunehmen – allein schon deshalb, um sich zu beweisen, dass sie auch wieder gewinnen können.
In dieses Lachen tönt dann die Stimme des Texaners: »Schleicht euch. Hier gibt es nichts zu erben! Hier könnt ihr nur heißes Blei bekommen!«
Seine Stimme ist kaum verklungen, als die fünf Reiter böse aufbrüllen. Sie reißen ihre Revolver heraus und treiben zugleich auch ihre Pferde an, geben den Tieren erbarmungslos die Sporen, lassen sie gewissermaßen aus dem Stand anspringen, um alles, was sich ihnen in den Weg stellt, niederzureiten oder niederzuschießen. Es ist ein unmissverständlicher, entschlossener Angriff.
Und im nächsten Sekundenbruchteil werden auch die Revolver krachen. Die Frage ist nur, wessen Revolver schneller zu schießen beginnen.
Dies aber wird schneller klar als jeder Gedanke.
In den Händen des Texaners tauchen die Colts auf wie durch Zauberei und spucken Feuer. Doch auch der so elegant gekleidete Spieler bringt einen Colt aus dem Schulterholster zum Vorschein und schießt fast zu gleicher Zeit.
Der riesenhafte Preiskämpfer aber springt einem der Reiter entgegen und stößt dabei den wilden Schrei eines angreifenden Pumaweibchens aus. Das Pferd geht vorne hoch und überschlägt sich fast nach hinten, wirft den Reiter ab. Und als der Reiter sich im Staube rollt und hochkommen will, da ist der riesige Preiskämpfer bei ihm und macht ihn mit den Fäusten erbarmungslos klein.
Und dann die Frau …
Aus einer Tasche in ihrer Rockfalte bringt sie einen Colt-Derringer zum Vorschein und drückt beide Hähne ab. Ja, sie schießt einen der Reiter vom Pferd.
Und dann ist es auch schon vorbei.
Das Krachen der Waffen verhallt noch in der Ferne. Im Staube stöhnen die Getroffenen. Die Pferde aber verharren schnaubend und wiehern nervös. Nein, diese Tiere rasten nicht davon. Sie wurden einst zu gut geschult. Solche Tiere bleiben auf dem Fleck stehen, wenn ihre Reiter aus den Sätteln fielen. Und auch an Gewehr und Revolverfeuer wurden sie gewöhnt. Es sind edle und gut abgerichtete Tiere, so genannte Kriegspferde. Aber auch Cowboy- oder Rinderpferde müssen diese Lektionen lernen.
Der so elegant gekleidete Spieler spricht nun kühl in die Stille: »Nun werden wir nicht nur diesem Joshua Caine ein christliches Begräbnis bereiten müssen, sondern auch diesen Narren. Warum waren sie so verrückt auf den Saloon in dieser alten Kirche. Wegen der Vorräte, oder warum sonst?«
»Ja, warum?«
Dies fragt auch der Preiskämpfer.
Und der Texaner spricht langsam: »Ja, hier ist noch eine ganze Menge ungeklärt und irgendwie geheimnisvoll.«
»Aber das finden wir noch heraus«, sagt die Frau.
Sie sehen sich um und behalten ihre Waffen in der Hand.
Da und dort kamen Menschen aus Häusern und Hütten. Nun zeigt es sich, dass Rio Paso doch keine Geisterstadt ist.
Die Menschen hatten sich nur versteckt, so als hätten sie Unheil erwartet.
Wahrscheinlich waren die fünf Reiter das erwartete Unheil, vor dem die Menschen sich in ihren Häusern und Hütten verkrochen hatten.
Aber nun ist alles anders gekommen.
Der Texaner sagt ruhig: »Also los, schwärmen wir aus, und stellen wir überall Fragen. Sehen wir uns diese Menschen hier genauer an. Und in einer Stunde treffen wir uns in unserem Saloon wieder und erstatten uns gegenseitig Bericht.«
Er wendet sich um und ruft zu einigen Leuten hinüber, die inzwischen eine verharrende Gruppe bilden: »He, Leute, schafft die Toten von der Straße! Und bindet die Pferde an die Haltebalken bei den Wassertrögen! Habt ihr verstanden, ihr Leute von Rio Paso? Wir haben diese Stadt übernommen!«
2
Als sie sich eine Stunde später versammeln, hat die Frau in der Küche ein Essen gekocht. Und so lassen sie sich an einem der vielen Tische nieder.
»Und damit das klar ist«, sagt die schöne Frau zu den drei Männern: »Ich bediene euch nur heute wie eine Köchin oder Wirtin. Ihr müsst noch heute eine Frau besorgen, die hier als Wirtschafterin fungiert. Was alles habt ihr herausgefunden auf eurem Rundgang durch dieses Nest?«
Sie blicken auf das Essen in den Schüsseln und auf den Tellern, schnuppern den Duft und nicken ihr dann anerkennend zu.
»Aber kochen kannst du, Schwester«, spricht der narbengesichtige Preiskämpfer kehlig. »Ich hätte nichts dagegen, wenn das immer so wäre. In diesem Drecknest wohnen fast alles nur Leute mexikanischer Abstammung. Und ich esse nicht so gern scharfgewürzt und mexikanisch. Mein Magen verträgt das nicht besonders. Ich denke, wir sollten die Zeit des Essens dazu nutzen, um uns etwas besser kennenzulernen. Denn wir sind ja jetzt Partner und haben sogar schon gemeinsam gegen ein paar eingebildete Strolche gekämpft. Wir müssen mehr übereinander wissen. Bis jetzt kennen wir nicht mal unsere Namen! Also, füllen wir uns die Teller und beginnen damit, uns gegenseitig vorzustellen.«
»Dann kannst du ja gleich den Anfang machen«, sagt der texanische Zweirevolvermann, dessen Augen so intensiv blau leuchten. »Kann es sein, dass du ein Preiskämpfer bist, der keinen Kampf mehr gewinnen kann, weil seine Mittelhandknochen das nicht mehr mitmachen? Ich sehe, dass sie schon mehrmals brachen und dann immer schlechter zusammenwuchsen und verheilten.«
Sie alle blicken nun auf die Handrücken des Preiskämpfers. Er benutzt Messer und Gabel wie ein Mann, der auch schon in besseren Kreisen verkehrte. Sie können unschwer erkennen, wie verunstaltet seine Hände sind. Schon viele Male wurden sie an eisenharten Gegnern zerschlagen und verheilten immer schlechter.
Er sieht die beiden Männer und die Frau nacheinander fest an.
»Mein Name ist Stonebreaker, Mike Stonebreaker. Man nannte mich vor nicht sehr langer Zeit noch den ›Champ of Mississippi‹, denn ich schlug sie alle.«
»Dann musst du ein reicher Mann geworden sein«, spricht der Spieler. »Und hattest es eines Tages nicht mehr nötig, gegen all diese Bullen zu kämpfen – oder?«