G. F. Unger Sonder-Edition 127 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 127 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Faye Garradine ist die Queen von Last Chance City. Abend für Abend reißt sie mit ihren schwermütigen Liedern die Besucher der Crystal Hall zu wilden Begeisterungsstürmen hin. Alle halten sie für die begehrenswerteste und glücklichste Frau der Welt. Keiner ihrer zahlreichen Bewunderer ahnt, dass sich Faye Garradine in einer verzweifelten Situation befindet. Denn Leroy Starretter, der Herrscher des Goldlandes, hat sie zu seinem willenlosen Werkzeug gemacht. Und die stolze Frau unterwarf sich ihm bedingungslos, um das Leben des Mannes zu retten, den sie liebt...

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EPUB

Seitenzahl: 194

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Saloon-Katze

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto/Norma

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5880-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Saloon-Katze

1

Es ist eine stürmische Nacht auf dem Big Muddy, und als er an die Reling der Belle Mary tritt, sieht er drüben auf der Ostseite die Lichter einer kleinen Stadt. Die Belle Mary dampft mit einer Geschwindigkeit von etwa fünf Meilen die Stunde gegen die Strömung und den Wind daran vorbei.

Johnny Ringloke fragt sich, was dies für eine Stadt sein mag – aber dann erinnert er sich wieder an seine eigenen Sorgen. Was geht ihn diese kleine Stadt dort am Ostufer an? Sicher, auch sie wird ihre Probleme haben, Sorgen. Wer hat die nicht auf dieser Welt? Doch jeder Mensch ist sein eigener Hüter. Und genau darauf muss Johnny Ringloke sich jetzt konzentrieren. Er weiß es zu gut.

Vor einer Weile machten sie drinnen im Spielsaloon der Kabinen-Klasse eine Pause beim Poker. Er stopfte sich all die gewonnenen Chips in die Taschen und ging hinaus, um sich etwas »auszulüften«, Sauerstoff zu bekommen, einen klaren Kopf.

Es sind viele Chips, die er in den Taschen hat – Hundertdollar-Chips.

Eigentlich könnte er jubeln, mehr als zufrieden sein. Aber er macht sich so seine Sorgen, ob sie ihm die gewonnenen Chips hier auf diesem Schiff in Bargeld umwechseln werden. Ja, er macht sich berechtigte Sorgen.

Indes er so an der Reling steht, den Fluss rauschen hört längs der Schiffswand, da treten von zwei Seiten zwei Männer an ihn heran, lehnen sich rechts und links von ihm über die Reling wie er, nehmen mit ihren Oberarmen und Schultern fast Tuchfühlung zu ihm.

Im schwachen Schein der Deckslampen betrachtet er sie.

Oh, ja, er wird sich schnell über ihre Eigenschaft klar. Es sind »Bordpolizisten«, sozusagen die Rauswerfer dieses schwimmenden Saloons.

Einen hält er für einen ehemaligen Preiskämpfer, den anderen für einen Revolvermann. Sie sind ein gewiss gut aufeinander eingespieltes Partnergespann.

Und der Revolvermann, der an seiner linken Seite steht, der Luvseite, sagt mit dem Wind zu ihm: »Wir haben noch nicht herausgefunden, mit welchen Tricks du dein großes Glück machst, Bruder. Dabei kennen unsere Spieler alle Tricks – oder fast alle. So glauben sie. Doch du legst sie alle rein. Wenn du so weitermachst, wirst du noch das ganze Schiff gewinnen – mit allem, was drinnen ist. Ja glaubst du denn, wir von der Belle Mary lassen uns von einem solchen Burschen die Wolle scheren wie ein paar dämliche Hammel? Sag, Bruder, glaubst du das wirklich?«

Johnny Ringloke seufzt.

»Oooooh«, macht er, »ich glaube das natürlich nicht. Und ich kann euch ja auch eigentlich ganz gut verstehen. Aber …«

Er verstummt, denn er wird sich darüber klar, dass jedes Wort, was er nach diesem »Aber« sagen wollte, sinnlos sein würde.

Aber der Bursche an seiner Seite, der mit dem Wind zu ihm spricht, neigt sein Ohr dicht zu ihm.

»Sag es, sag es«, fordert er. »Sprich dich aus. Wir sind immer für ein Gespräch zu haben. Aber was also?«

»Ich habe ganz einfach eine Glücksträhne, wie man sie vielleicht nur einmal an einem bestimmten Tag oder in einer bestimmten Nacht im ganzen Leben hat«, sagt er. »Ich wende keine Tricks an, weil ich weiß, dass ich mit erstklassigen Profis spiele. Gewiss, ich bin kein schlechter Pokerspieler. Ich konnte mich bisher überall so behaupten, dass unter dem Strich immer etwas für mich übrig blieb. Doch solch eine Glücksträhne hatte ich noch nie. Du kannst es mir glauben, Bruder. Gegen mein Glück waren auch die Tricks eurer Spieler machtlos. Ja, wenn es so weitergeht, dann gewinne ich noch das ganze Schiff mit allem, was drauf ist. Und dann gehört auch ihr mir, nicht wahr?«

In seine Stimme kommt zuletzt ein Klang, der seine Worte klar als scherzhaft gemeint erkennen lässt, als Worte, die man nicht ernst nehmen sollte.

Doch der Revolvermann neben ihm schüttelt heftig den Kopf.

»Pass auf«, sagte er, »wir kommen dir entgegen. Du springst einfach über Bord. Dann tun wir so, als hätte es dich nie gegeben. Die Chips in deinen Taschen schenken wir dir – als Andenken sozusagen. Es ist ein nobles Angebot, denn du wirst nur ein wenig nass und bleibst sonst gesund. Und schwimmen wirst du doch wohl können oder?«

»Und wenn nicht?« Johnny Ringloke fragt es mit einem glucksenden Klang in der Kehle, der fast wie ein Lachen klingt.

»Dann wirst du es gewiss lernen im Strom.« Der Revolvermann lacht. »Wenn du die Luft anhältst, schwimmst du wie eine aufgeblasene Schweinsblase, hahaha!«

Johnny Ringloke hat seine Hände auf der Reling liegen, also schon etwa in Magenhöhe. Sein herumgezogener Haken kommt also fast ohne einen Ansatz, und er stößt in den aufgerissenen Mund des Revolvermannes, erstickt dessen Lachen, treibt ihm einige Zähne in die Kehle.

Denn diese Sache hier ist keine Auseinandersetzung zwischen Gentlemen.

Hier geht es um Leben oder Tod.

Johnny Ringloke weiß, dass er über Bord muss. Auf diesem Amüsierschiff kann er sich gewiss keine Minute mehr halten. Die harten Burschen hier nehmen nicht hin, dass ihnen ein hergelaufener Spieler – mag er Kartentricks anwenden oder eine Glücksträhne haben – die Kasse leert.

Er wird also über Bord müssen.

Doch zuerst muss er den Hartgesottenen der Belle Mary klarmachen, dass es nicht so einfach ist, ihm die Haut abzuziehen und ihn über Bord zu werfen.

Er gibt es dem Revolvermann also mit einem einzigen herumgezogenen Haken, hinter dem er bei der Drehung aus der Hüfte alle Kraft und Hebelwirkung setzt, wobei er fest auf den Planken steht. Der Mann hält sich nur noch an der Reling aufrecht.

Johnny Ringloke ist ein Mann von etwa hundertachtzig Pfund.

Er bückt sich, wirbelt gebückt herum und rammt dem Ex-Preisboxer, der bereits ins Leere schlägt, weil er nach Johnnys Kopf zielt, den angewinkelten Ellenbogen auf die Rippen, gleitet zur Seite und tritt zu. Er kämpft mit einer kalten Erbarmungslosigkeit, die aus der bitteren Gewissheit strömt, dass er gleich in den Fluss springen muss.

Der Ex-Preiskämpfer winselt und krümmt sich vor Schmerz. Denn der Tritt traf ihn an die empfindlichste Stelle. Für einen Moment macht er nicht mehr mit.

Johnny Ringloke springt wieder vor. Er umfasst den Revolvermann in Höhe der Oberschenkel, hebt ihn hoch und wirft ihn über Bord. Der Mann ist noch so benommen, dass er kaum Gegenwehr zustande bringt. Und es geht unwahrscheinlich schnell. Johnny Ringloke ist so schnell wie ein Wildkater.

Als er sich dem Ex-Preiskämpfer zuwendet, der am Boden hockt und sich den Unterleib hält, schnellt dieser hoch. Denn so schlecht es ihm auch geht, er hat die Gefahr erkannt. Er möchte nicht über Bord geworfen werden wie sein Partner.

Und er heult: »Lass das! Ich kann nicht schwimmen!«

»Aber du wirst es lernen«, faucht Johnny Ringloke zurück. »Dein Partner hat es gesagt! Luft anhalten! Dann schwimmst du wie eine aufgepustete Schweinsblase!«

Der Schläger wirft sich gegen ihn, doch er stößt ins Leere. Johnny Ringloke mag dreißig Pfund weniger wiegen als er. Doch er ist so schnell als würde er hundert Pfund leichter sein.

Er trifft den andern mit einem linken Schwinger unter dem Kinn und gibt ihm mit dem Knie einen so genannten »Pferdekuss« gegen den Oberschenkel, der den aufbrüllenden Mann »einbeinig« macht.

Aber er hält sich nun mit beiden Armen an der Reling fest, so fest, dass Ringloke ihn nicht über Bord bekommt.

Es bleibt ihm auch keine Zeit mehr, dies länger zu versuchen.

Denn die beiden Kerle – von denen einer ja schon über Bord ist – bekommen nun Hilfe. Aus beiden Richtungen kommen Helfer herangestürmt.

Johnny Ringloke flucht wild und grimmig.

Er hechtet über Bord – und er fällt etwa sechs Yard tief, bis er in den Fluss eintaucht. Und bevor sich die Wellen schützend über ihm schließen, bekommt er noch etwas mit auf den Weg.

Es ist ein blitzendes Wurfmesser, welches einer der zu spät gekommenen Männer der Besatzung wirft. Es folgt ihm, holt ihn ein und steckt in seinem Rücken.

Dann schließen sich die Flusswellen über ihm. Er spürt den Schmerz noch gar nicht, sondern bemüht sich, unter Wasser mit kräftigen Stößen vom Schiff wegzukommen, um nicht in den gewaltigen Sog und Strudel des mächtigen Heckschaufelrades zu geraten.

Erst als er endlich wieder auftaucht, spürt er das Messer im Rücken. Er greift mit der rechten Hand über seine linke Schulter hinweg und bekommt es zu fassen. Es sitzt ziemlich hoch in der Schulter, auch etwas schräg. Er zieht es mit einem Ruck heraus, und die Wellen des Flusses, aufgewühlt noch vom Schaufelrad, begraben ihn immer wieder unter sich.

Er bekommt nur selten Luft und schluckt einige Male tüchtig Wasser.

Als er dann endlich schwimmt, spürt er den Schmerz der Messerwunde.

Und er weiß auch, dass sein Blut sich nun mit dem Wasser des Flusses vereinigt.

Die Strömung trägt ihn schnell abwärts.

Er erinnert sich an die kleine Stadt, deren Lichter er vorhin in der Nacht am Ostufer des Missouris sah.

Und wenn er nicht will, dass der Strom ihn vorbeiträgt, muss er jetzt schräg dagegen anschwimmen.

Er fragt sich, ob er drüben auf den Revolvermann stoßen wird, den er über Bord warf. Er wird ihn nicht zuletzt an seinem zerschlagenen Mund und den frischen Zahnlücken erkennen können.

Die Wellen des Flusses bei diesem Wind sind hoch, höher als ein halbes Yard. Und das Wasser ist kalt, erbärmlich kalt. Dort oben im Norden – in Montana –, ist schon fast Winter, zumindest später Herbst. Die Indianer nennen diese Zeit »Monat der fallenden Blätter«.

Johnny Ringloke denkt daran, indes er schwimmt und so schnell wie möglich das Ufer zu erreichen versucht, dass er zwar die Taschen voller Chips hat, aber kein Geld. Denn sein Geld hatte er in Chips umgetauscht, um genügend Spielkapital zu haben.

Er hätte niemals geglaubt, dass ein so nobles Saloon- und Amüsierschiff, welches von Saint Louis aus bis nach Pierre in South Dakota fährt, nichts anderes als eine schwimmende Räuberhöhle ist, vergleichbar mit einem Tingeltangel in einer wilden Goldgräberstadt ohne Gesetz, in der man ungeschoren die Hammel scheren kann.

Auf der Belle Mary wurde man verwöhnt, bedient, erhielt man Freundlichkeit und echte Gastfreundschaft, solange man zahlte und Geld an Bord ausgab. Das galt auch im Spiel-Saloon. Man bekam das Beste vom Besten. Nur zahlen musste man.

Doch wenn man – wie Johnny Ringloke – beim Poker unglaubliches Glück hatte und gewaltige Summen gewann, dann ging es einem an den Kragen. Diese harten Burschen an Bord der Belle Mary ließen keinen einzigen Dollar von Bord, den sie schon mal kassiert und eingenommen hatten.

Und deshalb musste Johnny Ringloke von Bord. Verdammt noch mal!

Fluchend bekommt er endlich Grund unter seine Füße und arbeitet sich an das Ufer, gelangt auf trockenen Boden.

Und so kalt es im Fluss auch war, jetzt wird es ihm noch kälter. Denn der eisige Wind aus dem Norden bläst in seine nasse Kleidung.

Immer noch fluchend will er all seine Chips aus den Taschen holen, um sie fortzuwerfen. Denn sie sind ja jetzt so wertlos geworden wie Kinder-Spielgeld.

Nur der Zahlmeister auf der Belle Mary kann sie einlösen, also gegen gültiges Geld eintauschen.

Aber mitten in der Bewegung hält er inne.

Er bietet in der stürmischen Nacht am Ufer des Big Muddy einen seltsamen Anblick, wie er so mit einer Handvoll Chips mitten in der Wegwerfbewegung verhält, verharrt, zu einer Statue wird.

Und einen Moment vergisst er den Schmerz der Messerwunde, die Kälte des Windes und die nasse Kleidung.

Nein, er wird diese Chips nicht wegwerfen. Er wird irgendwo und irgendwann auf die Belle Mary gehen und dort kassieren, was ihm zusteht. Er hat sich noch niemals betrügen oder etwas wegnehmen lassen, mochte es sich um eine Frau, ein Pferd oder sonst was gehandelt haben.

Die Belle Mary hat ihm übel mitgespielt.

Er erinnert sich an ihren Kapitän und an den Eigner, welcher mit am Spieltisch saß und das meiste Geld an ihn verlor.

Er sagt die Namen der beiden Männer heiser in die Nacht: »Vance Ketshum! George Nelson! Passt auf, Jungens, wir sind noch nicht fertig miteinander! Ich komme! Oha, ich komme irgendwie wieder auf diesen verdammten Banditenkahn! Dann kassiere ich für alles, nicht nur den Spielgewinn – nein, für alles, auch für den Messerwurf! Ich komme.«

Nachdem er dies in den Wind rief, setzt er sich in Bewegung.

Denn die Lichter der kleinen Stadt am Fluss sind dicht vor ihm.

Aber dann ist plötzlich auch noch die Gestalt eines Mannes vor ihm. Sie hebt sich deutlich gegen die Lichter ab, welche hinter ihm sind.

Der Mann sagt: »Du konntest also doch schwimmen und bist nicht ertrunken. Dennoch wirst du gleich tot sein – mausetot. Oha, du Hurensohn, du hättest mich nicht über Bord werfen sollen. Was werde ich für Mühe haben, auf die Belle Mary zurückzukommen!«

Nach diesen Worten kracht der erste Schuss. Johnny Ringloke blickt in das Mündungsfeuer und hat keine Zeit, sich darüber zu wundern, dass der Colt des Mannes noch schießt, obwohl er doch ziemlich lange im Wasser war.

Die Kugel stößt ihn halb um die eigene Achse.

Doch der zweite Schuss löst sich nicht. Der Hammer schlägt nur schnappend zu, mehr ist nicht. Vielleicht hätte ihn der zweite Schuss getötet.

Aber er erinnert sich an das Messer, welches er aus seinem Körper zog. Er hatte es sich im Fluss hinter den Gürtel geschoben. Nun zieht er es heraus und wirft es mit einer Armbewegung von unten herauf nach vorn, den ganzen Arm dabei als Hebel benutzend fast wie eine langstielige Schaufel.

Der Revolvermann bekommt das Messer in den Magen.

Und als sich endlich wieder ein Schuss aus seinem Colt löst, schießt er die Kugel vor sich in den Boden. Er fällt auf die Knie, lässt den Revolver los und legt seine Hände um den Messergriff.

»Du verdammter Narr«, sagt Johnny Ringloke zu ihm. »Warum legst du dich immer wieder mit mir an?«

Er holt sich den Colt, der dem Manne entfallen ist. Dann blickt er auf den Knienden, der auf seinen Fersen sitzt, nieder und fragt: »Soll ich dir das Messer herausziehen? Es ist übrigens das Messer eines deiner Kumpane von der Belle Mary. Soll ich es herausziehen?«

»Nein«, murmelt der Mann und hustet mühsam. »Oh, nein, ich lasse es lieber drinnen. Denn sonst …«

Er legt sich plötzlich auf die Seite und atmet zitternd aus.

Johnny Ringloke kniet stöhnend bei ihm nieder. Blut läuft ihm nun auch aus der Kugelwunde. Und wenn er nicht bald jemanden findet, der ihm die Wunden versorgt, dann wird es ihm sehr bald schon schlecht gehen.

Aber er untersucht den Mann dennoch und stellt seinen Tod fest. In den Taschen findet er nur drei Dollarstücke – nur drei. Doch dies ist verständlich. Der Bursche braucht an Bord kein Geld. Der hatte alles frei.

Mühsam kommt Johnny Ringloke wieder auf die Beine und wandert auf die Lichter zu. Es muss nun schon eine Weile nach Mitternacht sein. Als er die ersten Häuser erreicht, sieht er keine Menschenseele. Da und dort verlöschen Lichter. Die Leute der Stadt gehen zur Ruhe.

Nur weiter zur Stadtmitte hin, da fallen einige Lichtbahnen über die Uferstraße.

Das Haus dort muss ein Saloon sein – oder ein Hotel, wahrscheinlich beides.

Er geht weiter und weiter und nähert sich diesen Lichtbahnen.

2

Es geht ihm schlecht. Er braucht Hilfe. Denn er blutet aus zwei Wunden und ist durchnässt und unterkühlt. Er hat mehrmals um sein Leben gekämpft und hat eine Menge von seiner Substanz verbraucht.

Und dennoch hat er sich immer noch unter Kontrolle, stolpert noch nicht hilflos wie ein Betrunkener.

Der Saloon, aus dem die Lichtbahnen fallen, ist kein besonders nobler und imposanter Bau. Er ist eher eine schon recht heruntergekommene Bruchbude. Dies erkennt er in der ziemlich hellen Nacht und den Lichtbahnen.

Als er bis auf ein Dutzend Schritte an den Eingang herangekommen ist, öffnet sich dieser. Zwei Männer – Arm in Arm – taumeln heraus. Sie lachen ziemlich betrunken und albern. Und einer ruft: »Oh, ihr süßen Honey-Bees, ihr seid das achte Weltwunder! Ihr kommt gleich hinter den großen Sieben Weltwundern! Aaaah, was seid ihr köstlich! Wenn wir wieder Geld haben, kommen wir in euer Paradies zurück!«

»Ja, kommt nur, Jungens, kommt nur! Wenn ihr genug Geld mitbringt, seid ihr wieder unsere lieben Gäste, die wir verwöhnen, hinten und vorne. Aber für heute ist Schluss!«

Eine dunkle, feste und etwas sarkastisch klingende Frauenstimme sagt es.

Die beiden Betrunkenen torkeln an Johnny Ringloke vorbei. Dann halten sie an und wenden sich nach ihm. »Bruder«, sagt einer schwerfällig, »wenn du dort hinein zu Faye und den Gold-Sisters möchtest, dann kommst du zu spät. Die sind müde und wollen ins Bettchen. Allein! Hahaha! Ganz allein, jede für sich, hahahaha!«

Und lachend ziehen sie weiter.

Johnny Ringloke aber achtet nicht auf sie.

Denn er hörte soeben einen Namen: Faye!

Dieser Name ist für ihn wie ein Ruf, ein Signal – und zugleich auch Hoffnung.

Denn dieser Name ist nicht häufig, schon gar nicht in der Tingeltangel-Branche. Ja, seine Hoffnung wird jäh riesengroß.

Er drückt die Schwingtüren beide nach innen.

Und dann steht er vor einer Frau, die vor ihm einen schnellen Schritt zurückweicht. Wahrscheinlich wollte sie noch einmal heraustreten, um die Haupttür zu schließen, welche sich vor den Schwingtürflügeln befindet und nach außen an die Hauswand geschwenkt wurde, dort an einem Haken befestigt ist.

Nun hält sie inne und sagt ziemlich barsch: »Nein, mein Bester, heute nicht mehr. Es ist zwei Stunden nach Mitternacht, und wegen einem Gast halten wir nicht länger auf. Kommen Sie morgen wieder, mein Freund!«

Sie macht eine wegscheuchende Bewegung, und es sieht fast so aus als wollte sie ihm die flachen Hände gegen die Brust stoßen, um ihn rückwärts aus dem Saloon zu drängen.

Aber er sagt heiser: »Hey, Faye, erkennst du mich nicht?«

Sie hält inne und betrachtet ihn genauer. Die Beleuchtung im Saloon ist nicht mehr so gut wie vor einer Minute noch. Man löschte schon einige Lampen. Vielleicht hat sie deshalb Johnny Ringloke nicht sofort erkannt – aber er sieht gewiss auch sehr viel anders jetzt aus, als sie ihn in ihrer Erinnerung hat.

Dennoch erkennt sie ihn jetzt.

»Johnny – Johnny Ringloke!« Sie ruft es staunend, ungläubig.

Doch er ist nun mit seiner Kraft am Ende.

Er fällt erst auf die Knie, legt sich dann seufzend auf die Seite.

Und dann ist er »weg«.

***

Als er erwacht, ist es schon wieder Tag, und die Sonne muss schon ziemlich hoch am Himmel stehen. Es ist also recht hell im Zimmer. Deshalb kommt er nicht erst auf die Idee, alles nur zu träumen.

Nein, er wird sich sofort bewusst, dass er die Augen offen hat. Es ist Tag, und er träumt bestimmt nicht.

Was er sieht, könnte man nämlich leicht für die Bilder eines Traumes halten, eines Fiebertraumes vielleicht sogar.

Rings um sein Bett sitzen, hocken oder stehen Mädchen.

Und eine ist schöner als die andere oder zumindest ebenso schön, nur anders.

Sie lachen leise, stoßen beifällige oder gar jubelnde Laute aus, nicken zufrieden, und eine Stimme sagt: »Seht ihr, er hat grüne Augen.« – »Habt ihr schon mal bei einem Manne solche grünen Augen gesehen? Und habe ich euch nicht gesagt, dass er noch vor Mittag aufwachen wird?« – »Das ist Johnny Ringloke, einer der allerletzten Gentlemen, was Frauen betrifft. Das habe ich unten in El Paso erlebt. Da hat er mir aus dem Dreck geholfen, in den unsereiner immer wieder hineingerät in dieser miesen Welt. Hey, Johnny, wie geht’s denn?«

Die letzten Worte gelten ihm, und sein Verstand ist nun auch wieder soweit beieinander, dass er alles begreift.

Er grinst etwas mühsam zwar, doch er grinst und sagt: »Faye, bin ich schon im Himmel bei den Englein – oder träume ich, im Paradies zu sein? Denn auf der Erde kann es doch unmöglich eine solche Menge Schönheit auf einem Fleck geben?«

»Seht ihr, so ist er«, lacht Faye Garradine. »Der würde einer Frau auch noch aus dem Sarg heraus Komplimente machen. O Johnny, was ist mit dir geschehen? Wer hat das mit dir gemacht? Und so nass warst du, als hättest du im Fluss gelegen. Hat man dich über Bord geworfen?«

Faye Garradines letzte Worte beweisen klar, dass ihr Verstand präzise arbeitet.

Er blickt noch in die Gesichter rings um sein Bett.

Dann betrachtet er Faye Garradine.

Es ist etwa drei Jahre her, als sie sich damals in El Paso begegneten – und ihre Wege sich bald wieder trennten, weil er flüchten musste vor einem ganzen Rudel Revolverschwinger, die ein Mann auf ihn hetzte, den er sich wegen Faye Garradine zum Feinde machte.

»Ja, Blauauge«, grinst er Faye Garradine an, »ich musste wieder einmal die Flucht ergreifen. Diesmal konnte ich nicht in die Wüste reiten, sondern musste in den Fluss springen. Das ist mein Leben, Faye, mein blauäugiger Engel. Doch ein gütiges Schicksal hat mich zu dir geführt. Wo hast du denn all diese Schönen her? Und warum hockt ihr hier in solch einem miesen Saloon in einer kleinen Stadt am Big Muddy?«

Er kann schon wieder fließend und verständlich sprechen, denn eines der Mädchen ließ ihn inzwischen Tee trinken. Ein zweites gab ihm einen Schluck Whisky. Und nun schiebt ihm ein drittes Mädchen ein Stück frischen Biskuit in den Mund.

Er kann aber erkennen, dass seine letzte Frage die Mädchen wütend macht.

»Aaah, das ist eine lange Geschichte«, erwidert Faye. »Erzähle uns zuerst deine. Du hattest alle Taschen voller Spielchips, Pokerchips. Und sie alle haben den Aufdruck von der Belle Mary. War das der Dampfer, der in der Nacht stromauf an River Bend vorbeidampfte?«

Er nickt.

Und dann erzählt er alles mit wenigen Sätzen. Er braucht auch gar nicht viel zu erklären, denn diese Mädchen und Faye Garradine sind erfahrene Girls, Glücksjägerinnen auf rauen Wegen. Sie kennen die Welt, in der sie sich bewegen – und in die auch ein Spieler wie Johnny Ringloke gehört.

Sie kennen auch die Hartgesottenen und deren Praktiken auf den noblen Saloon- und Amüsierschiffen.

Sie wissen Bescheid.

»Und was wirst du tun, Johnny?« Faye fragt es sanft. Und sie fügt noch eine zweite Frage hinzu, nämlich die: »Sollen wir die Chips der Belle Mary wegwerfen?«

Aber sie lächelt bei dieser Frage, so als kennte sie schon seine Antwort.

Und er grinst zurück.

»Du kennst mich doch«, sagt er. »Ich werde diese Chips irgendwann einlösen gegen blanke Dollars – und noch eine Menge mehr. Sagt mal, wollt ihr mich eigentlich verhungern lassen? Gibt es hier nur Tee und Biskuits?«

»Das Mittagessen ist bald fertig, Großer«, sagt eines der Mädchen. »Es kann sich nur noch um Minuten handeln. Ich werde dich höchstpersönlich abfüttern, wenn die Chefin es erlaubt. Oder?«

Sie sieht Faye Garradine an, und diese erwidert nur den Blick. Da sagt das Mädchen ruhig: »Sie erlaubt es nicht. Kommt, Schwestern. Lassen wir sie allein. Faye hat ihn noch nicht vergessen. Gehen wir, bevor sie uns rauswirft, um mit ihm allein zu sein. Kommt schon! Jetzt ist sie wieder ganz und gar eine Katze, und Katzen teilen nicht. Gehen wir! Und eine von uns bringt gleich das Essen.«