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Sally Mallone läuft dem ewig betrunkenen Vater davon, aber sie kommt vom Regen in die Traufe. Im Hotel einer miesen kleinen Stadt macht sie die Drecksarbeit, und die Männer halten sie für Freiwild. Doch dann begegnet sie Ty Whitehead, dem Spieler. Sie wird seine Gefährtin, er kauft ihr Schmuck und Kleider und trägt sie auf Händen. Sally ist glücklich. Sie hofft, dass Ty bald genug Geld gewonnen hat, um ihr ein Heim zu schaffen - eine kleine Ranch in den Hügeln. Versprochen hat er es ihr. Zuversichtlich blickt sie in die Zukunft. Woher soll ein blutjunges Ding wie Sally Mallone auch wissen, dass auf das Wort eines Spielers kein Verlass ist?
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Seitenzahl: 183
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Last Chance Saloon
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5953-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Last Chance Saloon
1
Als Sally dem Fremden den Frühstückskaffee bringt, wird sie sich bewusst, dass sie in ihrem ganzen Leben noch keinen Mann sah, der ihr so gut gefiel wie dieser. Aber so viele Männer seines Alters hat sie eigentlich auch noch gar nicht gesehen.
Es ist ja noch nicht lange her, dass sie aus den Hügeln kam. Und dort sah sie jahraus, jahrein nur ihren zumeist betrunkenen Vater und die sieben wilden Brüder, die ebenfalls öfter betrunken als nüchtern waren.
Denn die Mallones lebten von der Schnapsbrennerei, wie andere Familien vom Ackerbau oder von der Viehzucht.
Nun, sie lief dann fort, kam irgendwann in diese kleine, miese Stadt und bekam einen Job in diesem Hotel. Gleich in der ersten Woche verlor sie ihre Unschuld.
Einer der Gäste kam in sein Zimmer, als sie dort das Bett machte. Und sie hatte keine Chance. So geschah es also, und als es vorbei war, da begriff sie, dass sie ihren Job verlieren würde, wenn sie jetzt Theater machte oder gar zum Marshal lief.
Denn der Mann war hier im Land ein angesehener Bursche.
Und sie war nur eine Streunerin, die von irgendwoher gekommen war.
Nein es hatte keinen Sinn, Lärm zu machen. Der Mann würde behaupten, sie hätte sich ihm angeboten.
So war das gewesen vor etwa zwei Wochen.
Sie ist noch keine achtzehn Jahre alt.
Dennoch weiß sie eines: Sie muss weg von hier. Denn wenn sie bleibt, wird ihr das alles in dieser miesen Stadt und in diesem schäbigen Hotel immer wieder passieren.
Da könnte sie ebenso gut gleich eines der Mädchen in Molly Dunns Etablissement werden.
All dies ist ihr wieder bewusst, als sie jenem Mann den Frühstückskaffee bringt. Er ist ein hellblonder und blauäugiger Bursche in einem eleganten Reiseanzug. Sein gefaltetes Hemd ist blütenweiß. Und er hat geschmeidige Hände. Am linken Kleinfinger trägt er einen funkelnden Brillantring.
Als er sie ansieht, lächelt sie.
Sie bemerkt das Staunen in seinen Augen. Wahrscheinlich hat er sie vorher gar nicht so richtig angesehen. Sie ist ja auch sehr ärmlich gekleidet, eben wie ein Siedlermädchen, das die meiste Zeit des Jahres barfuß gehen muss.
Ihr Lächeln hat ihre Schönheit erkennen lassen. Und weil er ein Mann ist, der sich auf schöne Mädchen versteht, stellt er sie sich mit gewaschenen Haaren und reizvoller Kleidung vor, vielleicht auch duftend nach einem Parfüm oder Blumenseife.
O ja, er ist ein Mann, der einen ungeschliffenen Edelstein auch im Dreck erkennen kann.
Und er ist ein höflicher Mann, keiner von diesen groben, primitiven Burschen.
Denn er sagt, wobei er ihr Lächeln erwidert: »Danke, Miss. Oh, ich weiß leider nicht Ihren Namen. Aber ich denke, es wird ein hübscher Name sein, ein Name, der Ihnen angemessen ist.«
»Sally«, hört sie sich leise erwidern. »Ich heiße Sally.«
»O ja«, sagt er und lächelt, »das ist ein hübscher, lustig klingender Name, ein Name wie ein melodisches Lachen. Es tut mir leid, dass ich jetzt gleich mit der Postkutsche weiter muss. Denn ich glaube, es hätte uns beiden Spaß gemacht, wenn wir uns näher und besser kennengelernt hätten.«
Sie nickt, leckt sich über die wundervoll geschwungenen Lippen und muss dann etwas würgend schlucken.
Sie möchte zu ihm sagen: »Bitte nehmen Sie mich mit. Ich muss hier fort. Aber ich habe kein Reisegeld. Denn ich bekomme erst in zwei Wochen meinen Lohn, und das werden auch nur fünf Dollar sein. Bitte nehmen Sie mich mit.«
Ja, das möchte sie sagen. Und sie möchte sogar noch hinzufügen: »Ich will dafür bezahlen, weil ich weiß, dass es auf dieser Erde unter uns Menschen nichts umsonst gibt und man alles irgendwie bezahlen muss.«
Aber sie kommt nicht dazu.
Denn von draußen tönt durch die offene Tür eine harte Stimme in den Speiseraum des Hotels: »Hoy, Whitehead! Komm heraus, Whitehead! Hier sind die Hackets! Komm durch die Vordertür! Hinten warten vier von unseren Reitern auf dich. Komm also, damit wir dich nach Three Forks zurückbringen, wo du nach Recht und Gesetz gehenkt werden wirst. Komm raus, Whitehead!«
Das Lächeln des Mannes verschwindet.
Er blickt auf die offene Tür. Dann sieht er zu Sally empor, die immer noch an seinem Tisch und neben dem Stuhl verharrt.
»Whitehead, das ist mein Name, Sally«, sagte er. »Würden Sie mir einen Gefallen tun?«
»Jeden«, erwidert sie impulsiv. »Fast jeden«, verbessert sie sich dann.
Nun lächelt er wieder, aber sie erkennt – und spürt es auch –, dass sein Lächeln jetzt anders ist. Es ist ein scharfes, blinkendes Lächeln, mehr ein Zähnezeigen.
»Dann treten Sie vor die Tür auf den Gehsteig und sagen Sie den Hackets, dass ich kommen würde, sobald ich das Frühstück beendet hätte. Und dabei merken Sie sich genau die Position der Hackets. Ich will wissen, wo sie stehen. Es müssten drei sein. Wollen Sie das für mich tun, Sally?«
Sie sieht ihn einige Atemzüge lang an.
»Warum will man Sie in Three Forks hängen, Whitehead?« Sie fragte es ernst.
Er lächelte nun wieder anders, nämlich verständnisvoll und nachsichtig.
»Die Frage kann ich verstehen«, murmelte er. »Ich bin ein Spieler, Sally, ein berufsmäßiger Spieler, ein Bursche von der Sorte, die man auch Kartenhaie nennt. Ich habe in Three Forks mit einem Hacket Karten gespielt. Er verlor in einer langen Nacht den Erlös für eine kleine Rinderherde an mich, die er an den Indianeragenten verkauft hatte. Als er pleite war, beschuldigte er mich des Falschspiels und zog seinen Colt. Wenn ich nicht schneller gewesen wäre als er, würde er mich getötet haben. Nun sind sein Vater und seine Brüder hier. In Three Forks hätte ich keine Chance.«
Als er den letzten Satz spricht, erinnert sie sich daran, dass auch sie hier in dieser miesen Stadt keine Chance gehabt hätte, würde sie vor zwei Wochen zum Marshal gegangen sein, um den Mann anzuzeigen, der ihr gegen ihren Willen die Unschuld raubte.
Sie ist plötzlich ganz und gar auf Whiteheads Seite.
Und so nickt sie. »Ich mache das«, sagt sie leise und geht zur Tür. Langsam tritt sie hinaus auf den Plankengehsteig in die Morgensonne.
Und da sieht sie die drei Hackets.
Sofort wird sie wieder an ihren Vater und ihre Brüder erinnert. Denn auch diese sahen stets so wild und verwegen aus, so rücksichtslos und unduldsam.
Ja, diese Sorte kennt sie.
»He, Süße«, sagt einer der Hackets, »sitzt er da drinnen? Hat er es gehört?«
»Er hat mich rausgeschickt«, erwidert sie, »um Ihnen zu sagen, dass er nach dem Frühstück kommen wird. Sie möchten sich ein wenig gedulden. Es dauert nicht mehr lange, dann steht er Ihnen zur Verfügung.«
Sally bemüht sich, klar und präzise zu sprechen, so wie sie es als Kind von ihrer Mutter lernte, die einst Lehrerin war, bevor sie die Dummheit beging, Jim Mallone in die Hügel zu folgen und dort in einer Hütte zu leben und jedes Jahr ein Kind zu gebären. Sie bemühte sich, wie eine Lady zu reden, nicht wie ein Siedler- oder Farmermädchen.
Sie wartet auch gar nicht auf eine Erwiderung der Hackets, sondern kehrt in den Speiseraum des Hotels zurück, dessen Eingang sich etwa zehn Schritte neben dem Hoteleingang befindet, sodass man das Restaurant auch als Passant betreten kann, ohne Hotelgast zu sein.
Whitehead sitzt noch am Tisch und genießt die frischen Bisquits.
»Nun, Sally?« Er fragt es kauend.
Sie tritt wieder zu ihm. Dann sagt sie: »Der Alte steht genau vor dem Eingang mitten auf der Fahrbahn. Die beiden anderen stehen rechts und links auf dem Plankengehsteig. Sie haben Revolver und Schrotflinten. Ein Stück weiter links – fast schon dort, wo sich der Store befindet – sind sieben Sattelpferde angebunden.«
»Gut«, nicht Whitehead. »Wollen Sie mir noch einen Gefallen tun, Sally?«
Sie sieht auf ihn nieder.
»Ich will, Whitehead«, erwiderte sie.
»Mein Vorname ist Tyrel«, lächelte er. »Meine Freunde nennen mich einfach nur Ty. Und wir sind jetzt gute Freunde, Sally.«
»All right, Ty«, erwidert sie. Es ist ein etwas spröder Klang in ihrer Stimme.
Denn sie denkt dabei: Was nützt mir seine Freundschaft, wenn sie ihn mitnehmen nach Three Forks – oder wenn er gleich mit ihnen kämpft und von ihnen getötet wird? Oh, was nützt mir da noch seine Freundschaft?
Er leert die Kaffeetasse.
Dann deutet er zum Durchgang, der hinüber in die Hotelhalle führt, von der man auf den Gehsteig treten kann wie hier aus dem Speiseraum auch.
»Dort in der Halle steht eine große Tonvase«, spricht er. »Sally, du könntest sie durch die offene Tür auf den Plankengehsteig werfen, sodass sie zerbricht. Das könnte mir helfen.«
Sie schluckt etwas mühsam und nickt dann.
»Wann?« So fragt sie schlicht.
»Sobald ich angefangen habe, mit den Hackets Worte zu wechseln. Möglichst früh also, kaum dass wenige Worte geredet wurden. Und du sollst das Ding nur herauswerfen, nicht selbst herauskommen, verstehst du?«
»Genau«, sagt sie und betrachtet ihn fest.
»Dann geh, Sally«, murmelt er. Jetzt lächelt er nicht mehr. Sein Gesicht ist ganz ausdruckslos. Es ist das Pokergesicht eines Spielers. Nur in seinen Augen erkennt sie das Funkeln eines Wolfs. Ja, sie sah schon einmal in die Augen eines in die Enge getriebenen Wolfs.
Daran erinnert sie sich jetzt. Und sie weiß, dass er kämpfen wird wie ein in die Enge getriebener Wolf.
Sie wendet sich wortlos ab und geht hinüber.
Der Hotelbesitzer – das weiß sie sicher – liegt mit seiner fetten Frau noch im Bett. Denn sie waren bis nach Mitternacht auf. Sie wird bei Ty Whitehead noch für das Frühstück einen halben Dollar kassieren müssen. Das Zimmer hat er gestern schon bezahlt. Das ist in diesem Hotel so üblich.
Sie ist also allein in der kleinen Vorhalle, verharrt auf dem abgenutzten, schon durchlöcherten Teppich.
Nach zwei Atemzügen nimmt sie die große Tonvase auf. Aber dann stellt sie diese wieder hin und entscheidet sich für die beiden Messingspucknäpfe. Sie ist der Meinung, dass diese Messingdinger sehr viel mehr scheppern und Krach machen als die Tonvase. Die Hackets werden einen Sekundenbruchteil abgelenkt sein.
Indes sie die Spucknäpfe nimmt und dicht an den offenen Aus- und Eingang tritt, auf den Wortwechsel wartet, der für sie das Zeichen sein soll, da denkt sie: Wie kann er das schaffen? Ich hätte vorher für das Frühstück kassieren sollen.
Dann hört sie die Stimmen.
Und sie tut genau das, was Whitehead ihr aufgetragen hat. Sie wirft die Dinger mit aller Kraft durch den offenen Ausgang auf die Gehsteigplanken.
Es scheppert gewaltig, etwa so als würde ein Beckenschläger seine topfdeckelähnlichen Instrumente zusammenschlagen.
Und dann krachen auch schon die Schüsse. Zuerst hört sie das schnelle Krachen eines Colts – einmal, zweimal, dreimal. Und dazu brüllen Männerstimmen. Dann krachen Schrotflinten.
Das alles geschieht binnen ein oder zwei Sekunden.
Oh, wie lang können Sekunden sein, wenn Gewalttat ausbricht und Männer sich gegenseitig umzubringen versuchen!
Dann ist es still für einen Moment.
Aber bald schon hört man Männer stöhnen, Männer, die getroffen wurden und vielleicht ihre letzten Atemzüge tun.
Sally tritt auf den Plankengehsteig.
Und da sieht sie es.
Der Alte liegt mitten auf der Fahrbahn am Boden, so wie er in den Staub fiel. Vor ihr – mit dem Rücken zu ihr – kniet einer seiner Söhne auf den Planken, hält sich die Hände und Unterarme gegen den Leib.
Und auf der anderen Seite des Eingangs zum Speiserestaurant hält sich der andere Sohn am Stützbalken des vorgebauten Obergeschosses fest. Nun rutscht er daran zu Boden und legt sich auf die Seite.
Ty Whitehead aber lehnt neben dem Ausgang an der Hauswand, noch den rauchenden Colt in der Faust. Mit der freien Hand hält er sich die Seite.
Sally geht langsam zu ihm. Aber er blickt an ihr vorbei die Straße hinunter. Dort kommt nun die Postkutsche herangerollt.
Aber es kamen auch überall Menschen aus den Häusern und dem Store. Der Storehalter, der zugleich auch für das symbolische Gehalt von einem Dollar Town Marshal ist, kommt herangelaufen und ruft: »Was war das? Verdammt, was war das?«
Als er bei Sally und Whitehead ist, sagt dieser: »Halten Sie sich nur heraus, Mann. Dies ist nichts, um was sich diese Stadt kümmern sollte. Verstanden?«
Er sieht dann Sally an.
»Danke, Sally«, sagt er auf sie nieder. »Danke, kleine Sally.«
Aber sie schüttelt den Kopf.
»Nimm mich mit, Ty«, verlangt sie. »Du bist mir etwas schuldig. Nimm mich ein Stück auf deinem Weg mit, ja?«
Die Postkutsche kommt nun heran, und wie immer hält sie beim Hotel, nachdem sie im Wagenhof soeben das Gespann wechselte.
»Nimm mich mit aus diesem armseligen Nest, in dem einige Dreckskerle wohnen«, sagt Sally wieder, und aus ihren grünen Augen steigt eine flehende Bitte zu ihm empor.
Er ist angeschossen, hat Schmerzen und ganz gewiss einige Sorgen.
Doch er nickt.
»Sicher, Sally«, sagt er, »dich nehme ich mit. Denn ich glaube, du bist ein noch ungeschliffener und ungefasster Edelstein. Oha, ich werde dich noch zum Funkeln und Strahlen bringen. Da, nimm meine Reisetasche. Und dann hinein in die Kutsche.«
Sie sieht seine Reisetasche, die er schon mit hinausgenommen hat, erst jetzt und nimmt sie ihm ab.
Er öffnet ihr trotz seiner Verwundung den Schlag der anhaltenden Kutsche.
Der Fahrer fragt zum Storehalter nieder: »Dürfen sie mit, O’Connor?«
»Ja, nimm sie mit. Die Stadt will mit dieser Fehde nichts zu tun haben. Fort mit ihnen!«
2
In der neunsitzigen Abbot-&-Downing-Kutsche sind noch drei Plätze frei. Es ist die ganze hintere Bank. Also haben sie Platz.
Als sie sitzen, sagt Ty Whitehead: »Sieh in meiner Reisetasche nach, Sally. Da muss ein sauberes Handtuch sein. Gib es mir.«
Sie findet das Handtuch schnell, reicht es ihm. Er hat indes sein Hemd aufgeknöpft. Nun sieht sie die Wunde. Es ist eine blutige Furche über einer Rippe. Das ganze Hemd ist schon blutig. Er drückt nun das Handtuch auf die Wunde und hält es dort fest aufgepresst.
Einer der Fahrgäste sagt: »Mister, Sie hatten wohl Ärger in dem Nest?«
»Ach«, erwidert Whitehead, »der Ärger vergeht. Doch die Freude bleibt. Denn ich hatte auch Freude in dieser Town – und habe sie immer noch.«
Dabei sieht er Sally an. Sie begreift seine Worte sofort.
Und sie nimmt sich vor, ihm wirklich nur Freude zu machen.
Wahrscheinlich begreift sie noch nicht richtig, was mit ihr geschehen ist. Aber irgendwie ist dieser Ty Whitehead für sie eine Art Ritter, der sie wie im Märchen aus der Gewalt des Drachen befreite wie eine Prinzessin, oder eine Art Königssohn, der sie erwählte und aus dem missachteten Aschenputtel eine strahlende Schönheit machen wird.
Sie begreift jetzt schon, dass dieser Ty Whitehead ihr die große und weite Welt zeigen wird, dass sie viele Abenteuer erleben werden und dass es wunderschön sein wird, an seiner Seite alle Wege zu wandern.
Ja, das glaubt sie.
Denn sie hält ihn für einen ganz besonderen Mann – und das nicht nur deshalb, weil er furchtlos gegen die drei Hackets kämpfte und sie besiegte, oh, nein, nicht nur deshalb.
Sally lief ihrer Sippe weg, weil sie in die weite Welt wollte.
Und nun befindet sie sich an der Seite eines Spielers und Abenteurers.
Oh, was alles wird sie nun erleben können!
Sie ist begierig darauf.
***
Zwei Tage später erreichen sie Saint Louis und steigen in einem kleinen Hotel bei den Anlegebrücken ab. Tys Wunde hat sich etwas entzündet.
Sie lassen einen Arzt kommen, der die Wunde endlich richtig versorgt, sodass es Ty Whitehead bald schon sehr viel besser geht.
Sie lassen sich eine Badewanne in ihre noblen und miteinander verbundenen Zimmer bringen. Dann bestellt Whitehead von einem Modegeschäft eine ganze Auswahl der schönsten Sachen zur Anprobe, lässt für Sally auch eine Friseuse kommen. Sally staunt nur und hält das alles nicht für möglich.
Einmal fragt sie: »O Ty, das alles kostet doch eine Unmenge Geld?«
»Oh, ich befinde mich zurzeit in einer Glückssträhne«, erwidert er. »Wir können uns alles leisten. Mach dir nur keine Sorgen wegen der Kosten. Du bist ein noch ungeschliffener Edelstein. Aber ich sagte es ja schon mal: Sally, ich bringe dich zum Funkeln und Strahlen. Du bist ein wunderschönes Mädchen. Das Schicksal hat uns zusammengeführt. Es hat gewiss Großes mit uns vor.«
In dieser Nacht erlebt Sally das, was sie für die große, reine und so wunderbare Liebe hält. Sie hat manchmal davon geträumt und sich gewünscht, dass sie es mal erleben könnte.
Als ihr vor etwas mehr als zwei Wochen jener Kerl im Hotel Gewalt antat, da glaubte sie, dass sie nie wieder etwas mit einem Mann zu tun haben könnte, ja, dass sie die Männer nur noch hassen und verachten müsste.
Doch dann kam Ty Whitehead.
In dieser Nacht wird das Mädchen Sally Mallone in den Armen des Spielers und Abenteurers Ty Whitehead zu einer glücklichen Frau. Ja, sie liebt ihn über alle Maßen und schwört sich, dass sie ihm nicht nur eine wunderbare Geliebte, sondern auch eine wirkliche Gefährtin durch dick und dünn sein wird.
Sie erzählt Ty Whitehead auch, was ihr kürzlich geschah.
Er hält sie fest im Arm dabei, und sie spüren die Wärme ihrer Körper und den Schlag ihrer Herzen.
Nach einer Weile murmelt er: »O Sally, du bist zwar beschmutzt worden, aber vergiss es. Doch wenn wir diesem Kerl mal begegnen sollten, dann zeig ihn mir. Und ich werde ihn töten.«
Er spricht es ganz ruhig. Dennoch spürt sie, dass er es wirklich tun wird. Und so erzittert sie in seinem Arm. Aber sie denkt dabei: Oh, er wird mich immer beschützen. Ich bin sein kostbarster Besitz geworden. Wie sehr hat sich mein Leben geändert. Ich bin ja so glücklich.
***
Sie bleiben eine Woche in Saint Louis, und Ty Whitehead rührt in dieser Woche keine einzige Karte an.
Dafür bringt er am fünften Tag eine Mrs. Rosa Marbeth mit ins Hotel. Mrs. Marbeth sieht ungemein würdig und seriös aus, ganz und gar wie eine gutsituierte Lady, etwa die Frau eines wichtigen und großen Mannes. Und sie spricht bestes Bostoner Englisch.
Whitehead bringt Mrs. Marbeth mit herauf in die Zimmer und stellt ihr Sally vor.
»Das ist sie, Rosa. Wie gefällt sie dir?«
Mrs. Marbeth geht langsam um Sally herum und begutachtet diese eingehend. Dann verlangt sie, dass Sally einige Schritte im Zimmer auf und abgehen, sich setzen und auch wieder aufstehen soll.
Und dann beginnt sie mit ihr ein wenig zu plaudern, ihr Fragen zu stellen und sie mehr und mehr in ein eigentlich belangloses Gespräch zu verwickeln.
Das alles dauert fast zehn Minuten.
Dann wendet sich Mrs. Rosa Marbeth an Whitehead und nickt ihm zu.
»Ja, sie ist ein ungeschliffener Edelstein. Aus der mache ich äußerlich eine perfekte Lady. Ob sie es von Charakter sein wird, lässt sich nicht einstudieren. Sie ist ziemlich wild aufgewachsen.«
»Aber meine Mutter war Lehrerin und unterrichtete mich, bis ich zehn Jahre alt war«, sagt Sally etwas trotzig. »Ich könnte Ihnen sogar ausrechnen, wie viel Wasser in Ihren Hut hineingeht.«
Da nickt Mrs. Marbeth freundlich. »Wie schön für dich, Sally, dass du so klug bist und ich dir deshalb so viel werde beibringen können. Wie schön für dich.«
Da sieht Sally Ty mit funkelnden Augen an.
»Was soll das? Bin ich dir so, wie ich bin, nicht gut genug?«
»Du bist prächtig.« Er grinst. »Aber du sollst funkeln und strahlen wie ein wunderschöner Diamant. Du sollst all diese Burschen blenden, die ich ausnehmen will wie gerupfte Puter oder denen ich das Fell über die Ohren ziehen werde. Wir treten als jungvermähltes Paar auf der Hochzeitsreise auf. Ich bin ein reicher Minenbesitzer, der seiner jungen Frau New Orleans zeigen will – oder der mit ihr von New Orleans wieder auf dem Heimweg zu seinen Minen ist. Und Rosa Marbeth ist meine Schwiegermutter, deine Mutter also, die darauf achtet, dass ihrem Engelchen nichts geschieht, die sich immer wieder in unsere Ehe einmischt, sodass ich manchmal wütend werde und mir einen antrinke und auch spiele, dich deshalb allein oder bei der Mutter weinen lasse in der Kabine. Verstehst du?«
Sally nickt. »O ja«, erwidert sie. »Du willst dich tarnen wie ein Wolf, der sich einen Schafspelz umhängt. O ja, ich habe verstanden.«
»Und? Gefällt es dir nicht?«
Er fragt es fast lauernd.
Da nickt sie heftig. »O ja, es gefällt mir. Es ist eine besondere Art von Jagd, die ich gerne kennenlernen möchte. Du möchtest die Satten, Selbstgefälligen, die sich für groß, nobel und erfolgreich halten und von den Kleinen, Dummen und Schwachen leben, ausnehmen. O ja, das wird mir gefallen.«
»Na siehst du«, sagt er. »Und deshalb wird Rosa aus dir eine Lady machen. Du wirst sie großartig spielen. Bei mir – und besonders wenn wir zusammen im Bett liegen – kannst du wieder das wilde Mädchen aus den Hügeln sein, so wie ich ja im Grunde auch ein wilder Comanche aus Texas bin.«
Er wendet sich Rosa Marbeth zu.
»Also gut, meine liebe alte Freundin, gehen wir an die Arbeit.«
»Woher kennst du sie?« Sally fragt es neugierig.
»Aus Frisco«, erwidert er. »Sie war dort mal Geschäftsführerin des nobelsten Bordells der ganzen Westküste. Aber nun wollte sie sich zur Ruhe setzen. Ich habe sie hier zufällig getroffen und konnte sie davon überzeugen, dass ihr die Ruhe zu eintönig werden würde. Du kannst wirklich viel von ihr lernen, Sally.«
»Das glaube ich«, erwidert sie und sieht fest in die Augen der erfahrenen Mrs. Rosa Marbeth. »Ja, das glaube ich«, wiederholt sie. »Und ich bin begierig darauf. Ich habe begriffen, dass ich eine Menge über die Menschen erfahren werde.«
Für Sally, das Mädchen aus den einsamen Antelopehügeln, wo sie unter primitivsten Verhältnissen mit wilden Brüdern und einem Vater lebte, die alle Säufer waren, ist das alles wie ein Wunder, zumal sich herausstellte, dass die Vergewaltigung im Hotel ohne Folgen blieb.