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Sannegan kam im Morgengrauen. Er kam mit zwei Dutzend seiner Männer, dieser Hundesohn! Sie umstellten das Haus, und Sannegan rief: "Wir räuchern euch aus wie die Ratten! Also komm raus, Jim Quen, wenn du deine Freundin retten willst!"
Ich wusste, dass meine letzte Stunde geschlagen hatte, und dachte voller Ingrimm an meine Brüder, die mir Hilfe versprochen hatten. Gleich brach hier die Hölle auf, und von ihnen war weit und breit nichts zu sehen. Gewiss, wir Quens waren eine lausige Sippe von Herumtreibern, Raufbolden und Glücksrittern, aber bisher hatte ich es noch nie erlebt, dass einer von uns sein Wort gebrochen hätte...
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G. F. Unger wird zu Recht als der beliebteste und erfolgreichste deutschsprachige Western-Autor gefeiert. Mit einer Rekordauflage von über 250 Millionen Exemplaren gehört er zur internationalen Spitzenklasse der Spannungsliteratur. Seine Epoche ist das späte 19. Jahrhundert, seine Schauplätze sind die unermesslichen Weiten des amerikanischen Westens, deren Grenzen von unerschrockenen Frauen und Männern immer weiter nach Westen verschoben werden, bis sie schließlich die Küste des Pazifiks erreichen.
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Erscheint alle vierzehn Tage neu.
Jede Folge ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen Romanen der Reihe gelesen werden.
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Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Die Quen-Sippe
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7286-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Quen-Sippe
Sannegan kam im Morgengrauen. Er kam mit zwei Dutzend seiner Männer, dieser Hundesohn! Sie umstellten das Haus, und Sannegan rief: »Wir räuchern euch aus wie die Ratten. Also komm raus, Jim Quen, wenn du deine Freundin retten willst!«
Ich wusste, dass meine letzte Stunde geschlagen hatte, und dachte voller Ingrimm an meine Brüder, die mir Hilfe versprochen hatten. Gleich brach hier die Hölle auf, und von ihnen war weit und breit nichts zu sehen. Gewiss, wir Quens waren eine lausige Sippe von Herumtreibern, Raufbolden und Glücksrittern, aber bisher hatte ich es noch nicht erlebt, dass einer von uns sein Wort gebrochen hätte …
Mein Bruder Abe war aus El Paso gekommen. Obwohl er von allen Quens den weitesten Weg hatte und gewiss einige Male die Pferde wechseln musste, war er keine Stunde zu spät eingetroffen.
Das gab es bei uns Quens nicht, wenn unsere Mam uns rief.
Sie hatte uns an ihr Sterbebett gerufen. Das war jedem von uns klar. Diesmal war es ernst.
Außer meinem Bruder Abe waren noch meine Brüder Pendel, Virgil und meine Vettern Alvares und Johnny da. Und drüben in der Ecke saß Onkel Tate. Er war der Bruder unseres Vaters. Einen Vater hatten wir nicht mehr – lange nicht. Aber hätte er noch gelebt, wir wären gewiss nicht anders geworden. Im Gegenteil. Auch unser Alter gehörte zu jener Sorte, die sich durch Kühnheit behauptete, die keinem Streit und keinem Wagnis aus dem Wege ging – und die deshalb nicht sehr alt werden konnte.
Mein Name? Ich heiße Ben, einfach Ben. Meine größeren Brüder hatten schon alle ihre »Kriegsnamen« und waren mehr oder weniger berühmt-berüchtigt.
Abe zum Beispiel hatte noch vor wenigen Monaten drüben in Mexiko für Juarez gegen die Franzosen gekämpft.
Pendel war der Führer von Guerillas gewesen, die bis vor einem Jahr den Yankees das Leben schwer machten.
Virgil war von New Orleans herübergekommen. Er hatte sogar eine Extra-Express-Post für sich fahren lassen. Er war elegant gekleidet – wie ein englischer Lord. Aber wir hatten schon gehört, dass er ein Spieler geworden war, der auf den noblen Saloonschiffen den Mississippi hinauf- und hinunterfuhr und auf sein Glück vertraute.
Unser Vetter Alvares Quen war ein schon fast legendärer Armee-Scout. Er hatte erst vor drei Monaten den gefährlichen Häuptling Bronco gefangen, einfach so mitten aus einem Kriegslager heraus. Alvares Quen hatte dadurch einen Apachenkrieg beendet; denn dieser Bronco war für seine Anhänger eine Art roter Messias gewesen, an dessen Wunderkraft sie glaubten. Als er verschwunden war, verzagten sie.
Dann war da noch unser Vetter Johnny Quen. Er galt zu dieser Zeit als einer der schnellsten Revolvermänner.
Das also waren wir jungen männlichen Quens: Abe, Pendel Virgil, Alvares, Johnny und dann ich, Ben.
Wenn man einen von uns kannte, konnte man auch alle anderen als Quens erkennen. Selbst unsere Vettern sahen so aus wie wir.
Wir waren groß, hager, dunkel und dabei blauäugig. Wir hatten alle die gleichen, dunkelblauen Augen.
Nur Onkel Tate nicht. Onkel Tate, der ein Bruder unseres Vaters war, glich diesem überhaupt nicht. Wir Jungen aber glichen unserem Vater, der Alvares und Johnnys Onkel war. Und sie waren alle gekommen, weil Mam nach ihnen verlangt hatte.
Vor einigen Wochen hatte sie plötzlich angefangen, Briefe zu schreiben. Jeden Tag einen; denn die Schreiberei war Schwerarbeit für sie. Dabei war sie nicht dumm. Sie hatte nur länger als zwanzig Jahre keinen Brief geschrieben.
Ihre Briefe waren offenbar alle in die Hände gekommen, für die sie bestimmt waren – und das war schon ein außergewöhnliches Glück, wenn man bedenkt, dass manche Adressen sehr unbestimmt waren.
Aber Mam hatte ja auch auf die Rückseite jedes Briefumschlages geschrieben: Empfänger zahlt dem Überbringer 25 Dollar.
Ja, unsere Mam wusste sich immer zu helfen.
Fünfundzwanzig Dollar waren der Monatslohn eines Cowboys, und so kurz nach dem Krieg konnte ein Mann mächtig froh sein, einen solchen Job zu haben. Tausende von Jungens waren ohne Heim, ohne Job und Auskommen.
Nun, die Quens waren also alle gekommen.
Mam hatte ihnen Tag und Zeit genau angegeben.
Nur ich, Ben Quen, ich war daheim; denn ich war der jüngste Quen. Ich war daheimgeblieben, nachdem ich aus dem Krieg gekommen war. Mam war alt geworden und brauchte jemanden. Sie konnte die kleine Ranch-Farm nicht mehr allein bewirtschaften.
Mam saß im Bett. Nell Catrer, die Frau unseres Nachbarn, hatte sie gewaschen, frisiert und ihr das gute Bettjäckchen angezogen.
Sie wirkte gar nicht so krank, aber vielleicht war ihre Erregung daran schuld. Sie war noch einmal angefüllt mit ihrer alten Energie, mit der sie es fertigbrachte, uns ohne die Hilfe ihres Mannes großzuziehen.
Die ganze Zeit hatte sie mit aller Kraft gewünscht, alle Quens noch einmal zu sehen.
Und sie hatte es geschafft.
Der Reihe nach blickte sie uns an.
Ich erinnerte mich daran, dass ich sie als kleiner Junge einmal ein Pferd hatte beschlagen sehen. Damals waren meine größeren Brüder wieder einmal fortgeritten und ließen sich wochenlang nicht blicken.
Oh, wir alle erinnerten uns wohl in diesen Minuten des schweigenden Beisammenseins an viele Dinge, die zumeist für uns beschämend waren.
Plötzlich begann sie zu sprechen. Sie sagte mit ruhiger Stimme: »Ich sterbe heute. Und ich danke dem Herrn im Himmel, dass er es möglich machte, euch bei mir zu haben – alle Quens. Ich habe euch etwas zu sagen. Fast ein ganzes Jahr habe ich darüber nachdenken können. Ich weiß nur nicht recht, wie ich es euch sagen soll. – Doch ich muss mich beeilen. Meine Kraft reicht nicht mehr lange.«
Nach diesen Worten musste sie sich wieder etwas ausruhen. Abermals sah sie jeden von uns mit ihren grauen Augen nachdenklich an. Früher waren ihre Augen einmal grün. Sie standen weit auseinander. Als Kinder konnten wir Mam auf einem Daguerreotypie-Bild, das sie zur Hochzeit machen ließ, mit unserem Vater bewundern. Damals war sie eine schöne Frau.
Nachdem sie verschnauft hatte, kam sie zur Sache. Sie sagte: »Wir Quens sind doch eine lausige Bande von Raufbolden, Glücksrittern, Revolverhelden, Pferdedieben und Banditen. – Stimmt das? Oder möchte mir jemand widersprechen?«
Niemand von uns sagte etwas. Wir alle dachten über unsere Vergangenheit nach, und sogar ich, der jüngste Quen, hatte einige dunkle Punkte in meinem Leben. Ich war im Krieg gewesen und …
Nun, auch ich wagte nicht zu widersprechen.
Nur Onkel Tate sagte mild: »Mary, man könnte mit einigem gutem Willen auch sagen, dass wir Quens eine stolze Sippe sind, die gerne dem Teufel ins Maul spuckt, dass wir es einfach im Blut haben und immer unterwegs sein müssen, um hinter den nächsten Hügel zu sehen. Was immer wir auch getan haben mögen, wir achteten stets die alten Frauen und vergriffen uns nie an Schwachen. Wir halfen den Hilflosen. Mary, was ist falsch an uns?«
»Alles«, schnappte sie, »einfach alles! Und dein lächerlicher Stolz, Tate, soll dich nur darüber hinwegtrösten, dass du ein Versager bist, der sein Leben nutzlos verschwendet – einfach vertan hat, so wie diese Jungens es vertun werden. Ihr Vater, der dein Bruder war, versuchte es. Er nahm sich eine Frau und setzte Kinder in die Welt. Doch er war zu schwach. Er schaffte es nicht. Seine Unstetigkeit war stärker als das Pflichtgefühl gegenüber seiner Familie. Er blieb der wilde Junge, auf den schon irgendwo eine Kugel wartete. Ihr alle habt bisher Glück gehabt. Vielleicht haben das meine Gebete bewirkt. Aber bald bin ich tot, und dann betet niemand mehr für euch. – Ich will, dass es anders wird!«
Den letzten Satz stieß sie energisch aus. Und sie sah uns zwingend an.
»Für mich ist es zu spät, Mam. Ich bin dreißig Jahre alt und kann mich nicht mehr ändern«, sagte Abe.
»Und ich brauche nichts anderes als ein Pferd, einen Sattel und einen Colt. Das genügt mir. Dann bekommt man überall seinen Spaß«, stieß Pendel hervor.
Virgil aber sagte: »Auch ich fühle mich wohl. Schöne Kleidung, ein Leben unter den Noblen und Reichen – und überall schöne Frauen am Wege. Ich fühle mich wohl auf den Luxus-Schiffen des Mississippi. Ich besitze siebzehn Anzüge und achtunddreißig Seidenhemden. In meiner Luxus-Kabine ist eine Badewanne. Vor einem Monat hätte ich eine richtige Gräfin aus Germany heiraten können.«
Vetter Alvares begann zu lachen. Er machte dann den Mund auf, um seine Ansichten zu äußern. Nach ihm wären gewiss noch Johnny oder Onkel Tate an die Reihe gekommen.
Doch Mam sagte hart: »Hört auf, ihr Narren! – Warum denkt ihr alle immer noch wie dumme Jungens? Warum könnt ihr nicht wie Männer denken, die den Unterschied begriffen haben?«
Wir staunten sie an.
»Welchen Unterschied?«, fragte Abe schließlich.
Mam saß jetzt einige Atemzüge lang mit geschlossenen Augen da. Man sah ihr an, dass sie Kraft sammelte; denn es kam ihr jetzt wohl sehr darauf an, uns zu überzeugen.
»Wenn ihr eines Tages tot seid, wie euer Vater«, sagte sie dann, »wird nichts von euch auf dieser Welt zurückbleiben – nichts! Ihr werdet zu Staub, zu Erde. Eure Namen wird man vergessen. Es wird von euch nichts geben außer einigen wilden Erinnerungen. Und nichts wird sein, auf das ihr stolz sein könntet. – Nichts! – Deshalb will ich, dass ihr mir an meinem Sterbebett einen Wunsch erfüllt. Versprecht es mir! Schwört es eurer Mam! – Los! Ich will, dass ihr mir schwört, meinen letzten Wunsch zu erfüllen. – Abe, du bist mein ältester Sohn. Fang an!«
Abe zögerte. Er witterte, dass Mam gewissermaßen ein unsichtbares Lasso schwang, um ihn einzufangen. Aber ihre Augen waren fest, feierlich, zwingend und so merkwürdig weise und wissend. Wir glaubten damals, dass Mam über viele Jahre hinweg in die Zukunft blicken konnte.
»Mam, ich schwöre, dass ich dir deinen letzten Wunsch erfüllen will, so gut ich es kann«, sagte Abe plötzlich.
Sie nickte und sah Pendel an.
Auch dieser schwor.
Dann tat es Virgil, und nach ihm kam ich an die Reihe.
Alvares sagte dann: »Tante, wir sind nicht deine Söhne.«
»Aber ihr heißt Quen. Ihr seid Quens! Und was ich von euch will, ist nicht für mich. Ich will es für alle Quens! Die Quen-Sippe soll groß und geachtet sein. – Schwört es mir, Jungens!«
Da schworen auch Alvares und Johnny.
Nur Onkel Tate schüttelte den Kopf. »Ich lasse mich nicht von dir reinlegen, altes Mädchen«, brummte er.
Mam lächelte weise. »Dein Schwur würde auch nichts gelten, Tate«, sagte sie. »Denn dir traue ich zu, dass du ihn brechen würdest. Du hast nie etwas getaugt, Tate, und wirst nie etwas taugen. Nur diese Jungens hier sind vielleicht noch zu retten.«
Tate war nicht beleidigt.
»Und wie sind sie – wenn sie überhaupt verloren sind, was ich sehr bezweifle – zu retten?«
»Indem ich ihnen eine Aufgabe stelle«, erwiderte Mam und zeigte auf mich. »Er ist der Jüngste und der Sauberste von euch. Er ist auch am wenigsten seinem Vater und diesem Onkel da nachgeraten. Seit er aus dem Krieg kam und bei mir blieb, habe ich ihn beobachtet. – Er könnte es vielleicht schaffen, wenn ihr ihm ehrlich und mit ganzer Kraft helft.«
»Wobei?«, fragte Abe ungeduldig und scharf.
»Texas ist nicht gut für euch«, erwiderte Mam langsam und schwer. »Hier am Brazos und in der Brasada kommt ihr nie hoch. Ihr braucht weites Land – ein Königreich! Im Norden gibt es das. – Also zieht aus und helft Ben, eine Ranch zu gründen – groß und weit! Helft ihm, dass aus einer wilden Sippe von Glücksrittern und Herumtreibern, Revolverhelden und Banditen genau das Gegenteil wird. – Habt ihr mich genau verstanden? Ihr habt es mir geschworen. Vergesst dies nie! Ich werde aus dem Himmel auf euch niederspucken, wenn ihr diesen Schwur brecht. – Ich will, dass die Quens endlich eine gemeinsame Aufgabe haben, dass sie zusammenhalten, sich gemeinsam bewähren, dass sie begreifen, was eine Familie ist. – Sie sollen erkennen, wie notwendig es ist, dass man seinen Nachkommen etwas hinterlässt, ein stolzes Erbe, etwas, das sie überlebt und das sich die Nachkommen stets neu verdienen müssen, um es behalten und weiter führen zu können. – Ich kann es nicht mit besseren Worten sagen. Aber ich hoffe, ihr habt mich verstanden, Jungens. Jetzt lasst mich allein. Ich bin müde und will schlafen – schlafen …«
Wir standen da und hatten noch so viel zu sagen.
Aber es war nicht möglich.
Mam schlief ein und hatte unser Wort.
Nur in der Stunde ihres Todes konnte sie es bekommen.
Gewiss hatte sie auf diese Stunde gewartet, um uns zu vereinen und für eine Sache zu gewinnen, von der sie nichts mehr hatte.
Wie musste es sie all die Jahre geschmerzt haben, dass ihre Söhne und Neffen ein so nutzloses Leben führten. Und was musste sie überlegt haben, wie das zu ändern war.
Hatte es genügt, uns am Sterbebett einen Schwur abzunehmen?
☆
Sie wachte nicht mehr auf.
Zwei Tage später beerdigten wir sie. Ein paar Nachbarn waren zum Begräbnis gekommen. Schon bald waren wir allein in dem kleinen Haus am Brazos River.
Die ganze Zeit hatten wir nicht über Mams Verlangen und unseren Schwur gesprochen. Wir hatten ständig darüber nachgedacht – aber kein Wort darüber verloren.
Als wir spät in der Nacht auf der dunklen Veranda beisammenhockten, war es Onkel Tate, der plötzlich fragte: »Nun, Jungens, wie soll’s denn weitergehen? Ich muss gestehen, dass ich mächtig neugierig bin.«
Nach seinen Worten schwiegen wir wieder lange.
Plötzlich begriff ich, dass es an mir allein lag, etwas zu sagen, und dass sie die ganze Zeit darauf warteten.
Ich räusperte mich.
Dann sprach ich: »Natürlich entbinde ich euch von eurem Schwur. Ich verzichte auf eure Hilfe beim Aufbau einer Ranch. Das schaffe ich ganz allein. Ich bin vielleicht der einzige Quen, dem der Aufbau einer großen Ranch Freude bereiten würde. Also kehrt ruhig in euer altes Leben zurück. Mam wollte mir eure Hilfe sichern. Doch ich verzichte darauf. Damit ist wohl alles klar, nicht wahr?«
Sie antworteten nicht sogleich. Sie mussten meine Worte erst überdenken.
Nur Onkel Tate lachte und sagte: »Er ist wirklich ein echter Quen, der sich nicht helfen lässt. – Na, schön, ich reite morgen zurück nach Hills Boro. Ich werde dort wahrscheinlich eine reiche Witwe heiraten, die ihren Besitz allein nicht mehr richtig übersehen und verwalten kann. Ihr Saloon ist der größte und nobelste auf hundert Meilen in der Runde. Und im Keller lagern zwei Fässer alten Portweins, die wir gewiss nicht an die Gäste verkaufen, sondern selbst austrinken werden, hahaha!«
Er erhob sich, dieser alte Jagdfalke, der sich nach einem gemütlichen Nest umsah und glaubte, es gefunden zu haben.
Bevor er ins Haus ging, sagte Abe: »So geht das nicht! Damit bist du nicht gemeint, Onkel Tate. Ich meine die Jungens. Du hast keinen Schwur geleistet, Onkel, aber wir!«
»Als ob ich nicht auch ohne Schwur zu Ben halten würde«, empörte sich Onkel Tate. »Der Junge braucht nur zu sagen, dass er von mir Hilfe haben will. Aber er hat das Gegenteil gesagt. Habt ihr das vielleicht anders verstanden als ich?«
Sie knurrten grimmig.
»Zum Teufel!«, sagte ich. »Wenn ich Hilfe von euch brauche, dann werde ich euch das wissen lassen. Und damit ist die Sache erledigt! Verstanden? Ich will nichts mehr davon hören!«
Damit erhob ich mich und ging in die Nacht hinaus. Ich hielt mich eine Weile beim Corral und bei den Pferden auf. Bis auf Virgil waren die Quens auf herrlichen Tieren gekommen.
Ich dachte noch einmal über alles nach und kam abermals zu der Erkenntnis, dass Mam mir Hilfe geben wollte. Sie hatte mich sicherlich noch für ein Nesthäkchen gehalten, das Schutz und Hilfe braucht.
Da hatte sie sich getäuscht.
Ich traute mir zu, irgendwo im Norden – wo das Land noch frei war – ein weites Gebiet in Besitz zu nehmen und eine große Ranch zu gründen. Ich würde unsere Ranch-Farm hier verkaufen. Der Erlös sollte mein Anfangskapital sein. Ja, so wollte ich es beginnen.
Um ungestört nachdenken zu können und weil es in unserem Haus viel zu eng war, ging ich zum halboffenen Pferdeschuppen und legte mich dort ins Stroh.
Ich konnte unter dem Dach hervor zum Himmel blicken und die Sterne sehen. Ob einer dieser Sterne mein Glücksstern war?
Ich wusste es nicht.
Ich wusste überhaupt nicht, ob ich Glück haben würde. Irgendwann – nachdem ich viele Pläne gemacht hatte – schlief ich ein.
☆
Als ich erwachte, schien schon längst die Sonne. Es war reichlich spät am Morgen. Dass ich verschlafen hatte, war nicht verwunderlich. Ich hatte die ganze letzte Woche wegen Mam und dann wegen meiner Verwandtschaft und der Beerdigung kaum noch Schlaf gefunden. Ich musste ja hier den Hausherrn und Gastgeber spielen und mich um alles kümmern.
Man darf mich also nicht für eine Schlafmütze halten, denn das war ich nie – schon als kleiner Junge nicht.
Ich ging zum Brunnen und wunderte mich, dass alles so still war.
Als ich endlich einen Blick zum Corral warf, wusste ich es ganz sicher.
Ich war allein.
Sie waren fort – alle!
Ich ging zum Haus hinüber und trat an den großen Tisch in unserer Wohnküche.
Da lag ein Brief. Neben diesem Brief lag Geld – viel Geld. Ich nahm das Papier, faltete es auseinander und begann zu lesen: »Little Ben, wir sind dir sehr dankbar, dass du es allein versuchen willst.
Es traf sich gut, dass wir alle einigermaßen bei Kasse waren – ein Zeichen dafür, dass wir nicht schlecht für uns sorgen können in diesen miesen Zeiten.
Deshalb lässt dir jeder von uns tausend Dollar zurück Glaube nicht, dass wir dir dieses Geld schenken. Wir beteiligen uns damit nur an der geplanten Ranch. Wir nehmen dir als deine Teilhaber das Versprechen ab, uns sofort zu benachrichtigen, wenn du in eine Situation geraten solltest, die du allein nicht meistern kannst.
Dann kommen alle Quens und helfen dir, so wie es Mam gewollt hat.«
Das war also der Brief. Ich las noch einmal langsam und bedächtig Wort für Wort.
Dann folgten die Unterschriften.
Und bei jeder Unterschrift stand, wo ich den jeweiligen Mann brieflich erreichen konnte.
Ich steckte den Brief ein und zählte das Geld.
Es waren tatsächlich sechstausend Dollar – oder vielmehr für sechstausend Dollar Geld und Goldstaub.
Ich wusste genau, woher das alles kam.
Die neuen Banknoten waren gewiss von Virgil. Die mexikanischen Pesos kamen bestimmt von Abe. Die goldenen Zwanzigdollarstücke stammten mit Sicherheit von Pendel. Das Gold war von Onkel Tate. Das Geld meiner beiden Vettern bestand aus mehreren Währungen.
Sie waren alle gut bei Kasse gewesen. Vielleicht wollten sie Mam oder sich gegenseitig imponieren. Vielleicht hatten sie geglaubt, etwas für die Sippe tun zu müssen, und sich deshalb reichlich mit Geld versehen, bevor sie hergekommen waren.
Sechstausend Dollar lagen also da. Für unsere Ranch-Farm würde ich gewiss ebenfalls tausend Dollar bekommen.
Was konnte ein junger Bursche wie ich mit siebentausend Dollar in Gang bringen?
Das war die Frage.
Die Antwort lag irgendwo im Norden in der Zukunft. Ich war bereit und fest entschlossen.
☆
Eine Woche später ritt ich los.
Es war im frühen Herbst 1866. Ich war genau vierundzwanzig Jahre alt.
Jesse Chisholm hatte damals noch nicht die erste Rinderherde von Texas nach Kansas zu den Eisenbahnstädten gebracht. Es gab also noch keinen Chisholm Trail – und damit für die Texas-Rinder auch noch keine Absatzmärkte.
Aber ich ritt – so stellte es sich später heraus – ungefähr in die gleiche Richtung, in der Jesse Chisholm im folgenden Jahr seine texanischen Longhorns trieb.
Unsere Ranch-Farm hatte ich für neunhundert Dollar an einen reichen Yankee verkaufen können, der in unserer Gegend schon eine Menge Land zusammengekauft hatte – zumeist auf Versteigerungen, die von den Steuereintreibern der Yankees in Gang gebracht wurden. Denn Texas war arm. Niemand konnte seine Steuern bezahlen. Die Steuereintreiber der Yankees spielten so manchen Besitz in die Hände dunkler Auftraggeber. Der Norden hatte den Krieg gewonnen. Das bekam Texas zu spüren.
Nun, ich war mit neunhundert Dollar besser weggekommen, als ich dachte.