G. F. Unger Sonder-Edition 156 - G. F. Unger - E-Book

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G. F. Unger

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Beschreibung

G. F. Unger
Der Weg aus der Falle

Jim Uvalde will den Saloon verlassen, aber er kommt nur drei Schritte weit. Denn der Vormann sagt lässig: "Bleib hier, Jim Uvalde! Du hast doch schon längst bemerkt, dass du in der Falle sitzt. Es geht dir hier nicht anders als deinen Brüdern, die ebenfalls zum Sterben verdammt sind."
Jim Uvalde bewegt sich nicht, aber seine Fingerspitzen berühren schon das glatte Holz des Revolvergriffs. Und er weiß, dass ihm keine andere Wahl bleibt als diesen Wölfen die Zähne zu zeigen ...

Lesen Sie in der G.F. UNGER SONDER-EDITION erstmals die Leih- und Taschenbücher des großen Western-Autors in einer 80-seitigen, ungekürzten Romanheft-Fassung!

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Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Weg aus der Falle

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto/Norma

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7622-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Weg aus der Falle

Jim Uvalde will den Saloon verlassen, aber er kommt nur drei Schritte weit. Denn der Vormann sagt lässig: »Bleib hier, Jim Uvalde! Du hast doch schon längst bemerkt, dass du in der Falle sitzt. Es geht dir hier nicht anders als deinen Brüdern, die ebenfalls zum Sterben verdammt sind.«

Jim Uvalde bewegt sich nicht, aber seine Fingerspitzen berühren schon das glatte Holz des Revolverkolbens. Und er weiß, dass ihm keine andere Wahl bleibt, als diesen Wölfen die Zähne zu zeigen …

Jim Uvalde hat es sich in dem hölzernen Badefass gerade so richtig bequem gemacht und ist dabei, in einer sechs Wochen alten Zeitung die längst schon überholten Neuigkeiten der Welt zu lesen, als er draußen die Stimmen zweier Männer hört.

»Er will nicht gestört werden«, warnt der Barbier, in dessen Badestube Jim Uvalde das große Vergnügen hat. »Und wenn er nicht gestört werden will, respektieren das nur Narren nicht – nur blöde Hammel!«

Jim Uvalde kennt die Stimme des Barbiers ganz genau.

Die andere Stimme aber kennt er nicht. Und diese Männerstimme sagt: »Der wird mir noch dankbar sein für die Störung. Der wird Ihnen den Kopf abbeißen, wenn Sie mich noch länger aufhalten. Lassen Sie mich jetzt rein zu ihm! Mann, ich bringe ihm Nachricht von seiner Familie. Verstanden?«

Jim Uvalde greift über den Rand des Badefasses hinweg und nimmt den Revolver, der dort in seiner Reichweite auf einem Hocker liegt neben Badeseife, einem Handtuch und duftendem Fliederwasser.

»Lass ihn rein, Quade!« Dies ruft er halblaut.

Einige Sekunden ist es still draußen. Dann öffnet sich die Tür.

Und dann kommt Jerry Campifer herein.

Jim Uvalde erkennt ihn sofort wieder, obwohl auch Jerry Campifer inzwischen ein Mann geworden ist. Jerrys Igelgesicht besteht fast nur aus Sommersprossen und zwei unwahrscheinlich blauen Augen. Aber in seinem kleinen Körper steckt eine vitale Energie. Dies sieht man sofort. Auf seinen krummen Beinen kommt er hereingewatschelt, schließt die Tür hinter sich und lehnt sich mit seinem Rücken dagegen.

Ein paar Atemzüge lang verharrt er so und betrachtet kritisch den Kopf des Mannes, der da aus dem Seifenschaum des Bades ragt.

»Hast du keine Angst, dass du im Wasser zusammenschrumpfst?«, fragt Jerry Campifer schließlich.

Aber Jim Uvalde grinst nur wortlos, betrachtet ihn jedoch scharf und legt langsam wieder den Revolver auf den Schemel.

»Das ist auch ein Leben … Mit ’nem Colt in die Badewanne gehen«, murmelt Jerry Campifer und kommt krummbeinig und sporenklirrend näher.

»Wir haben viel von dir gehört in all den Jahren«, spricht er weiter. »Hast du eigentlich nie daran gedacht, heimzukommen? Deine Mam – deine Brüder, sie alle hielten bei deinem Vater aus. Aber du …«

»Was willst du, Jerry?« Jim Uvalde fragt es sanft und nachsichtig. Und dabei bekommt er nun einen gewissen Duft in die Nase. Dieser Geruch ist streng und scharf und erweist sich für eine feine Nase stärker als der Duft des Fliederwassers und der schönen Badeseife.

Es ist der scharfe Geruch von Schafen.

Jim Uvalde erinnert sich wieder daran, dass dies auch einer der Gründe war, warum er damals seine Familie verließ und fortritt.

Ja, die Schafe. Er mochte sie nie, und ihr plärrendes »Bääääh« ist ihm zutiefst zuwider. Ihre Hilflosigkeit macht ihre Besitzer und Hirten zugleich auch zu ihren Sklaven. Und er wollte nie ein Mann sein, der zu Fuß durch den Staub wandern muss neben einer plärrenden Herde. – Solch ein hundert- oder gar tausendstimmiges Bääääh machte ihn verrückt.

»Na los, Jerry«, fordert er nun ungeduldig. »Du bist doch nicht gekommen, um mich im Badefass zu sehen!«

»Nein«, sagt Jerry Campifer. »Deine Familie schickt mich. Sie haben deinen Vater begraben. Er ist tot. Und nun wollen sie raus aus der Riesenfalle. Sie wollen ausbrechen. Mit zehntausend Schafen. Sie brauchen deine Hilfe. Denn sonst werden sie es schwer haben gegen Richard Slaterlee und dessen Mannschaft. Du sollst heimkommen, lassen sie dir sagen. Sie rechnen auf deine Hilfe. – Deshalb haben sie mich geschickt.«

Man sieht diesem Jerry Campifer an, dass er nun alles gesagt hat.

Jetzt starrt er fast gierig auf Jim Uvalde, den ältesten Sohn von Jack und Ann Uvalde im White Mountain County.

Was wird er nach dieser Nachricht tun, dieser Jim Uvalde?

Jerry Campifer fragt sich, ob er richtig darauf gewettet hat, dass Jim Uvalde heimkommen wird.

Jim Uvalde ist ein dunkelhaariger Mann mit grauen Augen. Als er sich nun im Badefass erhebt und sich einzuseifen beginnt, kann man sehen, wie gut er proportioniert ist. Er ist gewiss noch drei Fingerbreit über sechs Fuß und wiegt etwa neunzig Kilo.

Ja, er scheint körperlich ganz und gar der Mann zu sein, dem man all die Geschichten wahrhaftig zutrauen kann, die man sich über ihn erzählt – wilde und verwegene Geschichten, auch gewalttätige.

Aus dem mageren Jungen, der damals fortlief, wurde ein beachtlicher Mann.

Jerry Campifer verspürt so etwas wie Neid.

Aber er kann nicht länger auf seine Gefühle lauschen und seinen Gedanken nachgehen. Jim Uvalde fragt nun: »Wie war das mit meinem Vater? – Ich meine, wie starb er?«

»Einfach so«, sagt Jerry Campifer. »Er saß ja in letzter Zeit Tag und Nacht in seinem Sessel. Er ließ sich gar nicht mehr ins Bett heben. – Sie fanden ihn an einem Morgen ohne Leben. Zuerst glaubten sie, er schliefe noch. Sie freuten sich sogar darüber, dass er noch so lange schlief. Denn er konnte ja kaum schlafen. Er dachte nur immerzu nach. – Nun, er war also an einem Morgen tot.«

Jim Uvalde hat sich nun eingeseift. Er hockt sich nieder in das Badefass, taucht unter und kommt prustend wieder hoch.

Dann sitzt er eine Weile still, scheint ins Leere zu starren.

Aber Jerry Campifer weiß, dass Jim Uvalde nun die Bilder seiner Jugend wieder vor Augen hat, dass er noch einmal alles sieht, was gewesen war.

Da waren zwei Männer.

Einer kam mit Rindern und ein anderer mit Schafen in die White-Mountain-Täler gezogen. Beide hatten junge Familien, und beide wollten sie groß werden, der eine mit Rindern, der andere mit Schafen.

Eines Tages kämpften sie um die Weide, um ihre Grenzen und für das Größerwerden in der Zukunft.

Jack Uvalde verlor, obwohl auch er den Gegner ziemlich schlimm verwundete. Er war deshalb der Verlierer, weil die Kugel irgendeinen Nerv am Rückgrat verletzte und ihn somit für immer lähmte.

Seine Frau Ann zog sich mit ein paar Dutzend geretteten Schafen, ihren vier Söhnen und dem gelähmten Mann in ein Hochtal zurück. Es war ein großes Tal mit nur einem einzigen Zugangspaß, zu dem ein Canyon hochführte.

Und der Sieger des Kampfes, Richard Slaterlee, wurde bald wieder gesund und besetzte die Weide. Er hielt die Uvaldes mit ihren Schafen gewissermaßen in ihrem Tale gefangen.

Ja, das war die Vergangenheit, die Jim Uvalde sehen muss. Jerry Campifer sieht es ihm an. Er kann es leicht erkennen. Und er lässt ihn gewähren, stört ihn nicht.

Dann kommt Jim Uvaldes Blick wie aus weiter Ferne wieder zurück, richtet sich auf Jerry Campifer.

»Und was jetzt? – Ich meine, um was geht es jetzt, da Pa tot ist? Zum Begräbnis käme ich doch viel zu spät, nicht wahr?«

»Das war schon vor fünf Wochen«, erwidert Jerry Campifer. »Ich brauchte lange, um dich zu finden, obwohl wir zuletzt immer wussten, in welcher Gegend wir dich suchen müssten.«

»Warum wusstet ihr das immer?«

»Sie wollten dich schon zu deines Vaters Lebzeiten um Hilfe bitten. Denn sie müssen raus aus den Hochtälern. Die Schafe vermehrten sich in den Jahren wie die Mäuse. Die Herde ist zehntausend Tiere stark. Und es werden immer mehr. Wir haben das Hochtal, alle Nebentäler, die Canyons und Schluchten mit Schafen besetzt. Sie haben kaum noch Weide und klettern schon fast wie Gämsen. Deine Mutter und deine Brüder wollen raus. Aber es gibt nur einen Weg, nämlich den über Richard Slaterlees Rinderweide. Verstehst du nun alles?«

Jim Uvalde nickt.

»Diese verdammten Schafe«, sagt er. »Wie kann ein Mann nur Schafe züchten? – Und auch du stinkst nach ihnen, Jerry.«

»Sicher«, sagt dieser. »Ich lebe ja auch schon viele Jahre mit ihnen. Ich esse Schafskäse, trinke Schafsmilch und …«

Er verstummt jedoch nun und winkt nur lässig ab, so als wollte er sagen, dass es ja wohl sinnlos sei, sich darüber zu unterhalten. Dann sieht er zu, wie Jim Uvalde aus der Wanne steigt und sich abzutrocknen beginnt. Er sieht auch die Narben an Jim Uvaldes Körper und erinnert sich an die Geschichten von Revolverkämpfen.

»Was erwartet denn meine Familie von mir?«, fragt Jim Uvalde.

»Hilfe«, murmelt Jerry Campifer. »Sie wollen mit zehntausend Schafen raus aus der großen Falle. Und sie wollen in aller Ruhe aus dem Lande ziehen – irgendwohin nach Norden, wo es noch reichlich freie Weide gibt. Sie werden etwa zehn Tage brauchen. Zehn Tage Zeit, die Richard Slaterlee stillhalten muss. Mehr nicht! Denn sonst gibt es einen großen Krieg mit Blutvergießen und vielen Toten. Lass dir was einfallen, Jim! Du bist ja der ganz große Kämpfer. Du warst Sheriff, Marshal Scout. Du bist der große Kopfgeldjäger und Revolverkämpfer gewesen. Dich holte man überall zu Hilfe – für Geld. – Nun will deine Familie deine Hilfe. – Was soll ich ausrichten daheim?«

Der kleine, krummbeinige Jerry Campifer bebt und vibriert nun vor Energie und Ungeduld. Nun sieht man ihm an, dass er gewiss furchtlos und auch streitsüchtig ist wie ein Terrier.

Jim Uvalde nickt langsam.

»Ich werde kommen«, sagt er. »Du kannst heimreiten und ihnen sagen, dass sie ihre Chance zum Ausbruch aus der großen Falle bekommen werden. – Ich verschaffe ihnen zehn Tage Zeit.«

Jerry Campifer starrt ihn noch einmal misstrauisch an.

Dann nickt er und geht zur Tür.

Dort wendet er sich noch einmal. »Pass auf hier«, sagt er. »Jemand aus dem White-Mountain-Land kann mir gefolgt sein. Die wissen auch, dass deine Familie vielleicht den großen Tiger zu Hilfe ruft. Die haben vielleicht genauso nach dir gesucht wie ich. – Also.«

Damit geht er.

Und Jim Uvalde starrt dann auf die geschlossene Tür, so als hätte er einen Traum gehabt.

Doch es war kein Traum.

Diesmal muss er ohne Revolverlohn für etwas kämpfen. Seine Familie braucht Hilfe.

Und es wird ein böser Kampf werden. – Denn er kennt Richard Slaterlee gut genug. Er weiß zu gut, dass dieser Mann hassen kann bis in die Hölle und zurück und eine Niederlage niemals wird vergessen können.

Er wird sich einen Todfeind machen für das ganze Leben.

Aber wahrscheinlich ist er seiner Familie etwas schuldig.

Er lief damals einfach fort wie ein Deserteur.

Jetzt kann er einiges wiedergutmachen.

Als er später dann die Spielhallen der »Fair Play Queen« betritt, hält er sich nicht unterwegs an den Spieltischen auf, sondern steuert geradewegs auf die Tür zu Nelly Slaughters Privaträumen los.

Er ist der einzige Mann, der ohne anzuklopfen eintreten darf. Nelly Slaughter – sie ist die Fair Play Queen – sitzt hinter ihrem Schreibtisch und macht Eintragungen in ihr Verbrauchsmittelbuch. Sie sagt ohne aufzublicken: »Wir haben in der vergangenen Woche zu viele Gläser verbraucht. Da muss jemand …«

Nun erst blickt sie auf und erkennt etwas an ihm, was sie sofort beunruhigt.

»Was ist?« So fragt sie, denn sie ist nicht nur eine schöne und reizvolle, sondern auch eine erfahrene und kluge Frau. Ihre feinen Nasenflügel vibrieren, wie wenn sie Witterung bekäme von beunruhigenden Dingen.

Er betrachtet sie eine Weile ernst.

Ja, er mag sie sehr. Als sie ihn damals als Beschützer unter Vertrag nahm, der zugleich auch ihre Barmänner, Kartenausteiler und Croupiers, Hauspolizisten, Rauswerfer und Gäste unter Kontrolle hielt, da kamen sie sich schnell menschlich nahe.

Nun kennt sie ihn schon fast so gut wie eine Ehefrau ihren Mann.

Deshalb wittert sie beunruhigende Dinge.

»Ich muss fort«, sagt er. »Auf der Stelle muss ich reiten. Such dir einen anderen Mann, Nelly. Auf mich kannst du nicht länger mehr zählen.«

Er sagt die letzten Worte hart, fast abweisend. Sie will sofort stolz und wütend reagieren. Doch dann begreift sie, dass ihm der Abschied schwergefallen und er deshalb so schroff ist.

Sie lehnt sich zurück zu ihrem kostbaren Sessel, schüttelt die langen roten Haare nach hinten.

»Erkläre es mir richtig«, sagt sie. »Damit ich es verstehen kann und mich nicht wie ins Gesicht geschlagen fühlen muss. Warum willst du weg von mir?«

»Ich will nicht – ich muss«, sagt er. »Meine Familie sitzt in der Klemme. Sie hat ein Recht auf meine Hilfe. – Und ich werde mir dabei einen mächtigen Mann zum Todfeind machen.«

Er setzt sich während seiner Worte rittlings auf einen Stuhl, verschränkt die Arme auf der Lehne und erklärt ihr die Situation mit wenigen Worten.

Als er fertig ist, sieht sie ihn fest an.

»Und du meinst, ich sollte nicht auf deine Rückkehr warten?«

»So ist es«, sagt er und sieht ebenfalls in ihre Augen hinein, die so grün sind wie ihr Kleid.

»Aber ich werde warten«, murmelt sie. »Ziemlich lange werde ich warten, Jim Uvalde. – Du bist der erste Mann in meinem Leben, auf den es sich zu warten lohnt.«

Er erhebt sich.

Und auch sie steht auf und kommt um ihren Schreibtisch herum bis zu ihm.

Aber sie wirft sich nicht in seine Arme.

Sie sieht ihn nur aus nächster Nähe an. Für eine Frau ist sie nur mittelgroß. Sie muss zu ihm aufsehen.

Er spürt alles, was von ihr ausgeht. Es ist ein starker Strom, und es hat ihn schon immer von Anfang an stark berührt.

»Dann küss mich zum Abschied und geh«, murmelt sie.

Er tut es. Sie küssen sich lange, sehr lange.

Und dann geht er, ohne sich noch einmal an der Tür umzusehen.

Sie kehrt hinter ihren Schreibtisch zurück und lässt sich im Sessel nieder, als wären ihr die Beine schwach geworden und brauchte sie einen Sitz.

Einen Moment sitzt sie so mit geschlossenen Augen.

Dann greift sie hinter sich an die Wand und zieht an einer Glockenschnur. Einer ihrer Barmänner kommt herein.

»Jemand soll hinaus zu Kilkenny reiten und ihn holen.«

»Das ist nicht nötig, Ma’am«, grinst der Barmann. »Kilkenny hat hier vorhin ein Bier getrunken. Jetzt macht er drüben im Store Einkäufe. – Ich lasse ihn sofort herüberholen. In fünf Minuten ist er bei Ihnen, Ma’am.«

Die fünf Minuten kommen ihr dann wie fünf Stunden vor, obwohl sie scheinbar beherrscht hinter dem Schreibtisch sitzt und nachdenkt.

Als Kilkenny dann eintritt, wird ihr Blick kritisch.

Kilkenny ist ein kleiner Mann, und sein langes Haar ist graugelb. Bei seinem Anblick muss man unwillkürlich an einen alten Falken denken. Und er wirkt hart, kühl und erfahren.

Aber seine Zeit als Scout und Revolverkämpfer ist schon fast vorbei.

Er hat sich schon vor Jahren auf eine kleine Pferderanch zurückgezogen.

»Ich brauche deine Hilfe, Kilkenny«, sagt sie.

»Die hast du immer, Nelly«, erwidert er mit seiner leisen, präzisen Stimme ruhig.

Sie sehen sich an, und es ist ein schweigendes Verständnis zwischen ihnen.

»Es geht um Jim Uvalde«, spricht sie nach einer Weile. »Er zieht in einen Kampf, um seiner Familie beizustehen – irgendwo in dem White-Mountain-Land. Er wird sich einen mächtigen Mann zum Todfeind machen. Ich möchte, dass er es überleben wird. Denn dann wird er zu mir zurückkommen. Verstehst du, Kilkenny?«

Der kleine Revolvermann und Indianerkämpfer nickt.

»Schick einen guten Mann zu meiner Pferderanch hinaus, Nelly«, sagt er nur. Dann hebt er leicht die Hand und geht wieder.

Nelly sieht dann noch eine Weile auf die Tür, die sich hinter ihm geschlossen hat. Und sie denkt an die geheimen Bindungen, die zwischen ihr und Kilkenny sind.

Ihr ist nun etwas leichter.

Denn wenn Jim Uvalde in höchste Not geraten sollte, so wird er Hilfe bekommen von Kilkenny.

Es gibt nicht viele Wege in das White-Mountain-Land. Jim Uvalde kommt auf dem Wege von Süden her, und am vierten Tage muss sein Pferd immerzu bergauf.

In der Nacht zum fünften Tage erreicht er die Station im Tonto-War-Pass, und im gelben Lichtschein der Station hält er an.

Jemand sagt vom Haus herüber: »Wenn Sie Ihr Pferd versorgt haben, Fremder, können Sie Abendessen bekommen – wenn Sie wollen.«

»Ja, ich will«, erwidert Jim Uvalde und führt sein Pferd zum Wassertrog, der von einer Baumröhrenleitung ständig gespeist wird von einem nahen Wasserfall her.

Es ist still hier oben. Überall von den Felsen her kommt noch die Wärme der Sonne, von der die roten Steine aufgeheizt wurden. Ein leichter und milder Wind streicht von der Ebene herauf.

Jim Uvalde versorgt sein Pferd, nimmt ihm den Sattel und das wenige Gepäck ab und wäscht sich dann selbst am Wassertrog.

Sein anfängliches Misstrauen und die Wachsamkeit schwinden. Denn hier bei der Station ist alles ruhig, scheint alles friedlich und ohne jede Gefahr zu sein.

Und dennoch ist dies hier einer der wenigen Zugänge ins White-Mountain-Land.

Sollten ihn hier wirklich keine Männer von Richard Slaterlee erwarten?

Der Mann, welcher bisher zwischen zwei gelben Lichtbahnen im relativen Dunkel auf der Veranda saß, erhebt sich plötzlich.

»Das Essen ist jetzt fertig, Fremder«, sagt er. Und nach einer kleinen Pause fügt er hinzu: »Oder sind Sie kein Fremder? Kenne ich Sie vielleicht, oder sollte ich Sie kennen?«

»Nein, wir kennen uns nicht«, murmelt Jim Uvalde und betritt die Veranda.

Er sieht den Mann nun aus der Nähe. Es ist ein schon älterer Mann mit grauem Haar. Wahrscheinlich ist es der Stationsmann selbst.

»Es gibt Hammelbraten«, sagt der Mann. »Einer meiner Söhne ist ein erstklassiger Koch. – Wohin wollen Sie dann eigentlich? Jenseits des Passes liegt das White-Mountain-Land.«

In Jim Uvaldes Kern regt sich ein feines Signal. Es ist noch kein Alarmsignal nur ein erstes Zeichen von Misstrauen oder Wachsamkeit.

»Ja, ins White-Mountain-Land will ich auch«, murmelt er und tritt ein. Denn er sah schon, dass der Mann keine Waffe trägt. Drinnen ist ein langer Tisch gedeckt.

Und fünf Männer sitzen dort schon an diesem Tisch – fünf hartbeinig wirkende Burschen. Sie sehen dem eintretenden Jim Uvalde entgegen.

Einer sagt plötzlich: »Hallo, Jim!«

Und zu den anderen gewandt, spricht er wie beiläufig die Worte: »Das ist Jim Uvalde. – Das ist der Jim Uvalde. – Willst du zurück auf die Heimatweide, Jim Uvalde?«

Nun sind die Warnsignale in Jim Uvalde klar und scharf.

Er kennt den Mann aus jener Zeit, da Richard Slaterlee und Jack Uvalde sich gegenseitig von den Beinen schossen und die Uvaldes dann mit ihren Schafen in die Hochtäler flüchteten.

Dieser Mann gehörte damals schon zu Slaterlees Reitern und er war wohl der jüngste von ihnen.

Nun wurde er ein beachtlich wirkender Mann, ein harter Bursche.

Warum sitzt er hier?

Dies ist die Frage, die Jim Uvalde sich stellt.

Und die Antwort ist ganz leicht.

Sitzt er schon in der Falle? Sollte er nicht auf der Stelle umkehren und in der Nacht verschwinden? Dies fragt er sich bitter.

Er spürt, wie sie ihn anstarren, und fragt sich: Sind sie fünf Mann gegen mich?

Zugleich auch erinnert er sich an den anderen Mann hinter sich, den er für den Stationsmann – also für den Hausherrn hier – hielt.

Er blickt über die Schulter.

Der Mann steht noch außerhalb der Tür draußen.

Doch nun hält er eine Schrotflinte unter dem Arm, ein doppelläufiges Ding. Es muss irgendwo in Reichweite an der Wand gelehnt haben.

Ja, es ist eine Falle.

Aus dem Küchenanbau kommt nun ein weiterer Mann mit einem großen Tablett voll dampfender Schüsseln.

Es ist ein massiger Bursche mit einem gutmütigen, runden Gesicht.