G. F. Unger Sonder-Edition 159 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 159 E-Book

G. F. Unger

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

G. F. Unger
Stunde des Stolzes

Nicht immer kann ein Mann allem Verdruss aus dem Wege gehen. Er kann nicht immer einen Bogen um alle Schwierigkeiten schlagen. Und er kann auch nicht immer Kompromisse schließen.
Irgendwann erkennt ein Mann, dass er sich entscheiden muss, ganz klar und eindeutig. Und wenn es dabei ums Leben geht, dann hängt diese endgültige Entscheidung vom Stolz des Mannes ab.
Kirby Wagoner war solch ein Mann, der sich entscheiden musste. Er entschied sich in einer einsamen Stunde, der Stunde des Stolzes. Denn Kirby Wagoners Stolz ließ es nicht zu, dass er sich damals anders entschied.
Es begann 1872 in Kansas, und Kirby Wagoner war Marshal der Treibherdenstadt "Two Dance"...

Lesen Sie in der G.F. UNGER SONDER-EDITION erstmals die Leih- und Taschenbücher des großen Western-Autors in einer 80-seitigen, ungekürzten Romanheft-Fassung!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 229

Veröffentlichungsjahr: 2019

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Stunde des Stolzes

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto/Norma

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7758-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Stunde des Stolzes

Nicht immer kann ein Mann allem Verdruss aus dem Wege gehen. Er kann nicht immer einen Bogen um alle Schwierigkeiten schlagen. Und er kann auch nicht immer Kompromisse schließen. Irgendwann erkennt ein Mann, dass er sich entscheiden muss, ganz klar und eindeutig. Und wenn es dabei ums Leben geht, dann hängt diese endgültige Entscheidung vom Stolz des Mannes ab.

Kirby Wagoner war solch ein Mann, der sich entscheiden musste. Er entschied sich in einer einsamen Stunde. Es war eine Stunde des Stolzes. Denn Kirby Wagoners Stolz ließ es nicht zu, dass er sich damals anders entschied.

Es begann 1872 in Kansas.

Kirby Wagoner war Marshal der Treibherdenstadt »Two Dance«.

Andy Scott und Morg Callaghan sitzen schon eine Weile traurig und verbittert auf der obersten Stufe der Saloon-Veranda, und so sehr sie auch ihre Blicke in die Runde schweifen lassen, es ist nichts zu sehen, was ihnen Hoffnungen machen könnte.

Nach einer Weile sagt Andy Scott hoffnungsvoll: »Der Barmann hatte gestern Zahnschmerzen und bewilligte uns sicherlich deshalb keinen Kredit mehr. Wenn wir es jedoch heute noch einmal versuchen würden …«

Er verstummt seufzend.

Sein riesiger Freund Morg brummt zweifelnd, erhebt sich dann jedoch langsam. Andy aber springt wie ein behänder Terrier auf die Beine, und als er neben seinem Freund steht, muss er seinen Kopf weit in den Nacken legen, um ihn ansehen zu können.

Morg blickt bitter auf ihn nieder. »Versuchern können wir es ja mal«, brummt er, wendet sich ab und stößt die Schwingtür des Two Dance Palace auf.

Da zurzeit keine Treibherden vor der Stadt auf die Verladung warten, ist die Stadt wie ausgestorben. Mike Brown, dem sonst ein halbes Dutzend Gehilfen hinter der Theke helfen, steht heute allein hinter dem fünfundzwanzig Yards langen Schanktisch und blättert in einem Katalog für Damenbekleidung. Als die beiden Männer eintreten, hebt er den Kopf und blickt sie grimmig an. Mike Brown ist ein starker und mit gewaltigen Muskeln bepackter Ex-Preiskämpfer.

»Oh, ihr beiden Strolche«, sagt er dann, »kommt ihr eure Schulden bezahlen? Ihr wisst genau, dass Mister Sheridan mir den Kopf abreißen wird, wenn er euer Schuldkonto sieht.«

Andy und Morg haben indes den Schanktisch erreicht, und sie tun ganz so, als hätte Mike Brown überhaupt nicht gesprochen.

»Ist der Zahn heraus?«, fragt Andy freundlich.

Mike Brown zuckt sofort zusammen und steht einige Sekunden wie versteinert da. Plötzlich geht ein deutliches Zittern durch seinen mächtigen Körper.

»Ouuuh!«, stöhnt er. Und dann starrt er Andy Scott an wie eine große Bulldogge einen kleinen Dackel. »Du verdammtes Eichhörnchen«, grollt er böse, »warum hast du mich an meinen Zahn erinnert? Ich hatte ihn vergessen, und er hatte sich gewissermaßen zur Ruhe gelegt und sich überhaupt nicht mehr gemuckt. Und just im selben Moment, da du mich nach meinem Zahn fragtest, war er wieder wach. Ouuuuh, ich hätte Lust, dir die Fledermausohren abzureißen, du Knilch!«

Er legt sich die Hand gegen die Wange und starrt Andy Scott dabei unentwegt böse an.

»Komm, Morg«, sagt Andy bitter, »dieser Barbulle wird nie begreifen, dass er seine Zahnschmerzen immer nur dann bekommt, wenn er uns einen Whisky abschlägt.«

Er grinst Mike Brown schadenfroh an und sagt mit falscher Freundlichkeit: »Der Zahn soll dich jucken, bis dein steinernes Herz so weich wie Pudding wird.«

Mit diesen Worten wendet sich Andy ab. Morg will ihm folgen. Doch Mike Brown knurrt: »Halt, Jungs!«

Sie wenden sich ihm wieder zu. »Wir können es mal ausprobieren«, sagt Mike Brown gepresst. »Ich spendiere euch einen Whisky auf meine Kosten. Wenn der Zahn sich dann wieder zur Ruhe legt, ist alles gut. Wenn er jedoch nicht aufhört mit dem Schmerz, dann …«, er bricht ab und überlegt erst einmal drei Sekunden, » … dann bekomme ich eure Hosen«, sagt er rau.

Andy und Morg blicken sich an und überlegen. Sie sehen ziemlich verwildert und heruntergekommen aus. Das ist kein Wunder, denn sie haben die letzten sechs Monate in der Wildnis verbracht und Wildpferde gejagt. Sie haben ein prächtiges Rudel gefangen, es eingebrochen und einigermaßen zugeritten. Vor drei Tagen haben sie dieses Pferde-Rudel nach Two Dance gebracht und für einen guten Preis verkauft.

Und gestern hatte Andy Scott beim Poker vier Asse und eine Zehn in der Hand. Auf dieses Blatt setzten sie dann alles, was sie besaßen, ihr ganzes Geld, ihre Pferde, ihre Sättel, ihre Waffen und sogar Andys versilberte Sporen.

Lee Skinner, der Spieler, setzte tausend Dollars dagegen und legte dann einen Royal Flush auf den Tisch. Das war natürlich ein Wunder, und diesem Wunder waren Andys vier Asse und der Zehner nicht gewachsen.

Und so kam es, dass zwei Männer, die sechs Monate in der Einsamkeit waren und harte Arbeit als Wildpferdjäger und Zureiter geleistet hatten, sich nichts mehr von all den schönen Dingen gönnen konnten, von denen sie die ganze Zeit in ihrem einsamen Camp geträumt hatten.

Jetzt jedoch wollen sie wenigstens noch einen doppelten Whisky herausschinden. Sie nicken sich zu und dann dem Barmann ihr Einverständnis.

»Nun gut, Mike«, brummt Morg Callaghan.

Mike Brown holt sofort die Flasche und schenkt drei Gläser voll. Er hat große Gläser genommen und spart nicht mit dem Whisky.

Und dann trinken sie alle drei. Zuvor jedoch murmelt Andy einige unverständliche und wie eine Beschwörung klingende Worte.

Als die Gläser leer sind, schütteln sie sich wie auf Kommando unter dem scharfen Schock des hochprozentigen Feuerwassers. Mike Brown steht dann still und erwartungsvoll da. Sein linkes Augenlid zuckt im selben Rhythmus, wie der Zahnschmerz hämmert.

So vergeht eine volle Minute. Dann nickt Mike Brown grimmig und sagt trocken: »Mein Zahnschmerz hat nichts damit zu tun, dass ich euch seit gestern auf Kredit keinen Whisky mehr gebe. Jetzt habt ihr Whisky bekommen, und der verdammte Schmerz ist immer noch da. Also gebt eure Hosen her, wie ihr es versprochen habt!«

Andy und Morg weichen zwei Schritte zurück. »Da-da-das kannst du d-doch n-nicht m-mit vollem Ernst gemeint ha-haben, M-mike?«, stottert Andy.

»Doch!«, sagt Mike Brown hart und bringt seine Schrotflinte, deren Doppellauf abgesägt ist, unter dem Schanktisch hervor.

»Eure Hosen bekomme ich!« Er verlangt es unversöhnlich, und man kann in seinen Augen eine wilde Freude erkennen.

Plötzlich zuckt er wieder zusammen, bekommt staunende Augen und öffnet den Mund. Sein ganzes Gesicht – es ist ein sehr hässliches Gesicht mit all den vielen Narben von den Preiskämpfen – drückt nun ungläubiges Staunen aus.

Er steckt sogar einen Finger in den Mund und drückt gegen einen Zahn.

»Die Schmerzen sind wirklich wieder weg«, ächzt er dann staunend. »Andy, wie hast du das gemacht?«

»In unserer Familie gab es in jeder Generation einen großen Heiler und Beschwörer«, würgt Andy hervor. Und dann verlässt er eilig den Saloon.

Auch sein Freund Morg staunt noch. Aber dann bekommt er wohl eine große Angst davor, dass Mike Browns Zahn plötzlich wieder zu schmerzen beginnen könnte. Er stößt einen gepressten Laut aus und folgt eilig seinem Freund. Erst an der nächsten Ecke holt er ihn ein, hält ihn an der Schulter fest und fragt: »Was war das, Andy? Kannst du mit einem Zauberspruch wirklich …«

»Es war b-bestimmt nu-nur ein Zu-zufall«, stottert Andy. »Mike Browns Zahn muss völlig verrückt sein.«

Der riesenhafte Morg Callaghan schüttelt den Kopf. »Nein, es ist ein sehr vernünftiger Zahn«, widerspricht er. »Wir verdanken ihm unsere Hosen. Dieser Zahn ist in Ordnung. Ich wünsche ihm ein langes Leben. Aber was machen wir nun, Kleiner?«

»Gehen wir zu Lou Chandler ins Restaurant und fragen wir sie, ob sie uns ein gutes Mittagessen gibt«, schlägt Andy vor.

Dagegen hat Morg nichts einzuwenden. Sie gehen weiter, und als sie das Post Office erreichen, da taucht die Überlandpost aus Texas zwischen den ersten Häusern des südlichen Stadteingangs auf. Sechsspännig kommt die schwankende Postkutsche hereingerasselt und wirbelt eine Staubwolke auf.

Andy und Morg gesellen sich zu der Gruppe von Neugierigen, die sich stets bei der Ankunft einer Postkutsche vor der Station versammelt. Doch indes die Kutsche mit kreischenden Bremsen vor der Station hält und der Wind den aufgewirbelten Staub vertreibt, laufen nun von allen Seiten Menschen herbei. Fast jedes Haus in der Stadt hat einen Abgesandten geschickt, denn all die Tingeltangels, Amüsierläden, Saloons, Spielhallen, Speiseküchen, Geschäfte jeder Art und die Hotels warten schon seit Wochen auf neue Treibherden.

Und die ganze Zeit war die Stadt wie ausgestorben und in einen tiefen Schlaf verfallen. Die wenigen Cowboys und durchreisenden Fremden waren für diese noch junge Treibherdenstadt und ihre Vergnügungsbetriebe nichts anderes als ein Tropfen auf einen heißen Stein.

Als der Fahrer die Zügelenden um die Bremse wickelt, herrscht erwartungsvolle Stille, obwohl nun mehr als fünfzig Menschen versammelt sind. Indes der Begleitmann vom hohen Bock klettert, beißt der Fahrer ein neues Stück von seiner Kautabakstange ab und sagt dann laut und gönnerhaft: »Ihr braucht nicht mehr lange zu warten, Leute! Sie kommen! Sie kommen und liefern sich ein heißes Rennen! Der ganze Texasweg ist voller Treibherden. Der Red River hatte drei Wochen Hochwasser, und selbst Reiter kamen nur unter Lebensgefahr durch die Furt. Auch die Postlinie war zwei Wochen unterbrochen. Doch jetzt kommen die Herden. In zwei oder drei Tagen habt ihr zwanzigtausend Rinder hier. Und in einer Woche ist Two Dance von hunderttausend Rindern umgeben, die auf die Verladung warten. Zweihundert wilde Burschen werden sich in eurer Stadt austoben und binnen einer Woche mehr als zwanzigtausend Dollar ausgeben. Ihr werdet gute Geschäfte machen. Eure Stadt wird wieder mal eine Hölle sein – und die Schießeisen werden knallen und ihr werdet gewiss auch wieder eure Toten haben. Diese verdammte Stadt wird wieder ein brüllendes Tier sein, und tausend Sünden werden begangen.«

Nach diesen zuletzt sehr verächtlich klingenden Worten spuckt der Postfahrer vom hohen Bock herunter und dicht vor die Füße einiger Menschen.

Als er jedoch vom Bock klettert, sagt ein Mann laut: »Diesmal wird es nicht so schlimm werden, Jorge! Wir haben jetzt einen hartgesottenen Marshal. Der Schmied hat das Amt aufgegeben, und wir haben uns einen hauptamtlichen Marshal angeworben, der schon für Ruhe und Ordnung sorgen und selbst die wildesten Jungs einigermaßen friedlich halten wird. Diesmal wird es nicht so schlimm.«

Der Fahrer steht nun neben der Kutsche, nimmt den Postsack unter dem Bock hervor und übergibt ihn dem Postmeister. Dann fragt er trocken: »So? Einen Marshal habt ihr? Was ist das für ein Mann?«

»Es ist Kirby Wagoner«, sagt eine Stimme aus dem Kreis der Bürger.

Jorge Lee, so heißt der Postfahrer, zuckt unmerklich zusammen. Dann ruft er seinen aus der Kutsche kletternden Fahrgästen zu: »In zwanzig Minuten fahre ich weiter! Und ich warte keine einzige Sekunde!«

Nach diesen Worten nickt er dem Postagenten zu und drängt sich durch die Menschenmenge.

Auch Andy Scott und Morg gehen weiter.

»Jetzt werden wir im Verladebahnhof todsicher Arbeit bekommen«, sagt Morg zufrieden. »Und wenn wir lange genug als Herdenknechte geschuftet haben, können wir uns eines Tages wieder Pferde, Waffen und Ausrüstung kaufen. Und nie wieder werde ich mein Geld und meinen ganzen Besitz auf dich setzen, Kleiner! Selbst wenn du einen Royal Flush in der Hand hast, werde ich nicht einmal einen Cent riskieren.«

Nachdem er dies bitter gegrollt hat, erreichen sie das Marshal’s Office, zu dem auch das Stadtgefängnis gehört. Der Postkutscher Jorge Lee ist soeben vor ihnen im Office verschwunden. Andy und Morg gehen an der Tür vorbei. Doch dicht neben dem offenen Fenster bleiben sie stehen. Sie sind nun einmal zwei ziemlich gerissene und mit allen Wassern gewaschene Burschen, die immer und überall ihre Augen und Ohren offen halten und denen in dieser Stadt oder irgendwo auf der Weide, in den Hügeln oder drüben in den Million Cliffs so leicht nichts entgeht. Andy und Morg wissen viel über dieses Land und alle Menschen, die darin leben.

Sie hören durch das Fenster deutlich Jorge Lees Stimme sagen: »Hallo, Kirby, du bist jetzt also hier Marshal?«

»Hallo, Jorge«, erwidert eine ruhige Stimme. »Yeah, ich bin jetzt hier in Two Dance Marshal. Jeder Schuster bleibt bei seinen Leisten. Fein, dass du jetzt auf dieser Linie fährst, Jorge. Da sehen wir uns ja dann und wann. Kommen Treibherden den Texasweg herauf?«

»Mehr als genug, Kirby, mehr als genug. In einer Woche hast du zwei- oder dreihundert wilde Jungs zu bändigen.«

»Die Stadt bezahlt mich nobel, Jorge. Und an dieses Handwerk habe ich mich gewöhnt.«

»Und deine Frau, Kirby?«

»Die auch.« Nun klingt die ruhige Stimme des Marshals merklich härter. Dann ist es eine Weile still im Office. Andy und Morg lauschen jedoch mit angehaltenem Atem. Und sie kommen auf ihre Kosten. Denn Jorge Lee sagt nach dieser Pause: »Kirby, du weißt, dass ich dein Freund bin. Und deshalb gehöre ich zu den wenigen Leuten, die genau Bescheid wissen, warum du damals dein Amt als Sheriff in Texas aufgegeben hast. Doch du bist nicht weit genug nach Norden gegangen. Und du hättest diesen Posten hier nicht annehmen dürfen. Ich bin gekommen, um dir eine schlechte Nachricht zu bringen, Kirby.«

Nach diesen Worten ist es wieder still. Dann fragt die Stimme des Marshals ruhig: »Was für eine Nachricht?«

»In einigen Tagen sind die Jacksons hier. Sie kommen mit einer großen Herde – Duff, Brack und Ollie Jackson. Und ihr Onkel Emmet Fisher ist auch dabei. Sie kommen mit viertausend Rindern und mehr als zwei Dutzend hartbeinigen Treibern. Wenn sie dich hier treffen, werden sie ganz bestimmt auf dich losgehen. Tut mir leid, dass ich dir diese schlechte Nachricht bringen musste, Kirby.«

»So schlecht ist diese Nachricht gar nicht, Jorge. Denn ich habe inzwischen tausend Male bereut, dass ich damals meinen Stern abgab und vor den Jacksons davonlief. Es ist mir recht, wenn sie kommen.«

»Und deine Frau? Und dein Kind?«

»Kate hat mich damals angelogen, Jorge. Sie erwartete kein Kind. Sie hat mich nur geblufft. Sie fühlte sich gar nicht als werdende Mutter, als sie mich darum bat, dass ich meinen Stern ablege und vor einem Rudel Banditen davonlaufe.«

Nach diesen Worten bleibt es wieder eine Weile still. Andy und Morg blicken sich kurz an. Dann gehen sie plötzlich wie auf ein stillschweigendes Übereinkommen weiter.

Und deshalb können sie nicht mehr hören, wie Jorge Lee drinnen im Office zu Kirby Wagoner sagt: »Sie tat es gewiss aus Liebe zu dir, Kirby! Kate ist prächtig. Sie hatte Furcht davor, dich tot am Boden liegen zu sehen. Sie wollte dich nicht verlieren. Wenn es keinen Ausweg mehr gibt, dann greift eine liebende Frau zu den verzweifeltsten Mitteln. Kate ist gut. Sie ist in Ordnung. Ich kenne kein besseres Mädchen als sie. Und ich muss das wissen, denn ihr Vater war mein Boss. Ich habe Kate heranwachsen sehen. Wo ist sie? Ich will ihr sagen, was auf dich zukommt.«

»Geh in die Küche«, sagt Kirby Wagoner ruhig. »Von dort aus gelangst du in den Garten. Sie hängt Wäsche auf.«

Nach diesen Worten wird drinnen ein Stuhl oder ein Sessel über den Boden gerückt. Schritte erklingen. Und dann tritt Kirby Wagoner aus dem Office heraus auf den Plankengehsteig.

Er ist ein großer Mann mit dunkelroten Haaren, grauen Augen und einem ruhigen Gesicht, in dem sich einige dunkle und tiefe Linien befinden. Er blickt in die Richtung, in die Andy und Morg gegangen waren, und er erkennt die beiden Burschen noch, bevor sie um eine Hausecke verschwinden.

Er folgt ihnen. Jetzt kann man erkennen, wie leicht und gleitend er sich bewegt, obwohl er ein großer und schwerer Mann ist, der gewiss zweihundert Pfund wiegt. Er bewegt sich wie ein Mann aus den Wäldern, ganz und gar nicht so steifbeinig und unbeholfen wie ein Reiter. Er hat lange und leicht gekrümmte Beine. In den Hüften ist er sehr schmal. Er trägt schwarze Cordhosen, ein grünes Hemd und eine braune Lederweste. Und an seiner linken Seite hängt ein großer Colt. Marshal Kirby Wagoner ist Linkshänder.

Andy Scott und Morg Callaghan schweigen immer noch, als sie gleich hinter der Ecke Lou Chandlers Speisewirtschaft erreichen und eintreten. Einige Gäste, die schon gegessen haben, erheben sich gerade. Lou Chandlers schwarze Gehilfin räumt das Geschirr zusammen. Und Lou Chandler selbst steht hinter der Anrichte und zerschneidet einen Apfelkuchen in ziemlich große Stücke.

Lou Chandler ist eine Frau, bei deren Anblick ein Mann zumindest in Gedanken mit der Zunge schnalzt und von der er noch eine ganze Weile am Feuer einsamer Camps mit offenen oder geschlossenen Augen träumen kann. Ihr rotes Haar hat sie aufgesteckt und ihre Augen sind grün und ihre vollen Lippen sind kirschrot. Lippen und Augenbrauen haben jenen besonderen Schwung, den Männer gern sehen. Ihre Wangenknochen stehen hoch. Oh, sie bietet einen sehr erfreulichen Anblick. Es ist alles richtig an ihr. Noch vor kurzer Zeit zeigte sie das auf den Bühnen vieler Tingeltangels und sang dazu mit ihrer etwas kehligen Stimme Lieder vom Mississippi.

Als sie dann in diese Stadt kam, begann sie anders. Obwohl sich alle Saloonbesitzer darum bemühten, sie für ihre Häuser zu verpflichten, machte sie eine Speisewirtschaft auf. Und ihre schwarze Zofe, die Lou auf allen rauen Wegen begleitet hatte, erwies sich als die beste Köchin von Two Dance.

Das also ist Lou Chandler, eine ehemalige Barsängerin, die nun umgesattelt hat und eine Speisewirtschaft führt. Und das ist keine schlechte Sache. Was Lou Chandler tat, beweist nur ihren kühlen Verstand und ihre Vernunft.

Andy und Morg nehmen ihre Hüte ab. Dann sagt Andy: »Wir bekommen im Verladebahnhof bestimmt Arbeit, wenn die Treibherden kommen. Doch die ersten Herden sollen erst in zwei oder drei Tagen ankommen. Bis dahin sind wir glatt verhungert. Irgendwo haben wir mal gehört, dass die berühmte und von allen Männern bewunderte Red Lou ein gutes Herz haben soll und …«

Lou Chandler unterbricht ihn mit einem kehligen Lachen.

»Schon gut, Cowboy«, sagt sie dann. »Ihr seid doch diese beiden dummen Jungs, denen Lee Skinner beim Poker alles abgewann, was sie besaßen? Eigentlich verdient ihr, dass man euch hungern lässt.«

»Es war ein ehrliches Spiel, Madam«, brummt Morg Callaghan. »Dieser Kartenhai wandte keine schmutzigen Tricks an. Ich habe genau aufgepasst. Oder glauben Sie, dass dieser Kartenjongleur uns reingelegt hat?«

Sie betrachtet den schwarzhaarigen Riesen, und sie wird sich darüber klar, dass dieser Mann eine Menge in Gang bringen kann. Dieser Morg Callaghan ist gewaltig. Und der kleine und krummbeinige Andy Scott weiß sich sicherlich auch unter großen und harten Männern zu behaupten. Dieser kleine Wildpferdjäger versteht sich auf Männer wie ein Pferdehändler auf Pferde. Ihre Gedanken eilen plötzlich hundert Meilen in der Sekunde.

»Ich hätte Arbeit für euch«, sagt sie. »Ich zahle euch den gleichen Lohn wie Kane Stonewell, der Verladeboss. Und für mich braucht ihr nicht verrückte Longhorn-Stiere in die Viehwagen zu laden. Für mich sollt ihr gutes Wildbret für die Küche jagen, aber auch Stiere abhäuten und zerlegen. Ihr sollt Holz herbeischaffen, Bier zapfen und im Restaurant für Ordnung sorgen. Rosy und ich, wir sind allein. Ich brauche zwei tüchtige Männer zur Hilfe und zum Schutz. Und die Verpflegung ist erstklassig.«

Andy und Morg blicken sich an. Dann nicken sie.

»Lady«, sagt Andy dann, »wir arbeiten für Sie, bis Sie uns rausfeuern oder bis wir Geld für Ausrüstung und Pferde beisammenhaben und wieder auf Pferdejagd gehen.«

Sie nickt und reicht ihre Hand über den Anrichtetisch. »Well, Jungs, schlagt ein!« Ihr Händedruck ist fest und kräftig. Ja, sie ist nun einmal eine Frau, die sich auf Männer versteht.

»Setzt euch dort in die Ecke«, sagt sie dann. »Euer Dienst beginnt erst morgen. Mittagessen und Abendbrot gibt es anstelle von Handgeld. Ich werde bei Lee Skinner eure Pferde und Waffen auslösen, bevor er sie verkauft. Dann werdet ihr losreiten und mir einen guten Rehbraten besorgen. Und zweihundert oder dreihundert Pfund Lachse und Forellen könnte ich jede Woche gebrauchen. Ihr bekommt mächtig viel zu tun, Jungs.«

»Und wenn wir verschwinden und nicht wieder zurückkommen?«, fragt Morg sanft. »Dann haben Sie unsere Pferde und …«

»Ihr kommt zurück«, sagt sie kurz. »Ihr gehört nicht zu jener Sorte, die eine hart arbeitende Frau betrügt – ihr nicht!«

Als sie es gesagt hat, öffnet sich die Tür. Kirby Wagoner, der Marshal von Two Dance, tritt langsam ein.

Er nickt leicht und fragt dann: »Lou, haben sie bei dir gebettelt?« Er kommt noch näher und baut sich vor Andy und Morg auf. Er ist nicht ganz so groß wie Morg, aber er wirkt dennoch nicht kleiner oder schwächer. Das ist das Besondere an Kirby Wagoner. Er mag von hundert großen und starken Männern umgeben sein, und doch wird er unter dieser Menge stets als der größte und wichtigste Mann hervorstechen.

»Sie haben von mir soeben eine Anstellung bekommen«, sagt Lou Chandler ruhig. Sie betrachtet Kirby Wagoner ernst, und sie kennt ihn gut. Sie und er sind alte Bekannte. Damals in Texas gab es viele Städte und Camps, in denen sie sich immer wieder begegneten. Denn Lou sang überall in den Saloons der Grenze für unrasierte Männer, für Herdentreiber, Cowboys, Minenleute, Frachtfahrer, Soldaten, Goldsucher und für Banditen und Viehdiebe.

Kirby Wagoner aber trug überall den Stern und war als Revolvermarshal bekannt.

Bis er dann Kate Overbridge heiratete.

Und das war damals für Lou Chandler eine Niederlage und das Ende einer Hoffnung, die in ihrem tiefsten Kern verborgen war.

Sie betrachtet ihn also ernst und fragt dann: »Seit wann machst du Jagd auf Pechvögel, Kirby?«

Kirby betrachtet Andy und Morg scharf. »Ich habe zu spät bemerkt«, murmelt er, »dass jemand vor dem offenen Fenster stand und lauschte. Ich hörte euch erst, als ihr den Weg fortsetztet. Ihr habt gehört, was Jorge Lee mir berichtete, nicht wahr?«

Sie erwidern seinen scharfen Blick ernsthaft. Dann murmelt Morg sanft: »Wir haben was gehört – aber wir haben es vergessen.«

»Das wäre gut für euch«, sagt der Marshal hart. »Erinnert euch nur nicht wieder daran – nicht vor Ablauf einiger Tage. Sonst finde ich einen Grund, um auf euch loszugehen.«

Er nickt Lou zu und will sich abwenden, um wieder aus dem Raum zu gehen. Doch Lou Chandler fragt schnell: »Was ist los, Kirby?«

Er blickt sie über die Schulter seltsam ernst an.

»Wir sind bald wieder alle beisammen«, sagt er. »Virg Sheridan ist hier, und ihm gehören schon die meisten Saloons. Er hat schon die Spieler und Bankhalter organisiert. Er hat schon wieder ein raues Rudel zur Verfügung und arbeitet langsam und sicher darauf hin, sich diese Stadt eines Tages in die Hosentasche stecken zu können. Es ist ihm schon einmal geglückt. Du weißt das, Lou. Ich werde ihn noch heute oder morgen zurechtstutzen müssen. Und es wird mir nicht gelingen, wenn er erst erfährt, dass die Jacksons in einigen Tagen hier eintreffen werden. Jorge Lee hat mir das Kommen der Jacksons gemeldet. Und diese beiden Burschen haben es durch das Fenster gehört. Es liegt mir viel daran, dass Virg Sheridan noch nicht erfährt, was da auf mich zukommt.«

Nach diesen Worten geht er hinaus.

Lou blickt Andy und Morg hart an. »Es wäre wirklich gut für euch«, sagt sie herbe, »wenn ihr den Mund halten würdet.«

»Wir verstehen das nicht ganz«, murmelt Andy. »Und ich bin doch sonst nicht gerade dumm.«

»Ihr braucht es nicht zu verstehen«, erwidert Lou Chandler.

Kirby Wagoner geht vom Restaurant aus auf dem kürzesten Weg in Virg Sheridans Office. Neben dem Eingang dieses Office hängt ein Schild. Und auf diesem Schild steht geschrieben:

VIRGIL B. SHERIDAN – Verwaltung der Sheridan-Betriebe. Präsident der Vereinigung aller Hotel- und Vergnügungsbetriebe. Haus- und Grundstücks-An-und Verkauf. Verwaltung der Sheridan-Frachtlinie. Viehaufkäufer der B.C. Companie, Chicago. Weideland-Verpachtung.

Dies alles steht in kleinen Buchstaben auf dem Schild unter Virgil B. Sheridans großgeschriebenem Namen.

Und es ist ein Beweis dafür, wie schnell Virg Sheridan hier in Two Dance die Dinge in die Hand bekommen hat und welch große Schritte er macht.

Doch er war schon einige Monate vor Kirby Wagoner in dieser Stadt. Two Dance wartete damals noch darauf, dass der Schienenstrang den neuen Verladebahnhof erreichte.

Kirby Wagoner betrachtet das Schild mit einem kurzen Blick.

Dann tritt er ein. Im Vorzimmer erhebt sich ein Schreiber, blickt ihn an und öffnet den Mund zu einer Frage.

Kirby Wagoner betrachtet den Schreiber hart, geht an ihm vorbei und öffnet eine Tür, ohne anzuklopfen. Als er sie hinter sich schließt, sagt Virg Sheridan hinter seinem Schreibtisch kalt: »Kirby, wenn Sie noch einmal hereinkommen, ohne vorher anzuklopfen, dann werfe ich Sie eigenhändig wieder hinaus – und nicht nur aus diesem Haus. Ich habe Sie schon einmal aus einer Stadt gejagt, nicht wahr?«

Kirby erwidert vorerst nichts. Er geht zu einem der Ledersessel und setzt sich hinein. Langsam holt er einen schwarzen Zigarillo hervor, setzt ihn in Brand und raucht einige Züge. Dabei betrachtet er Virg Sheridan. Der sitzt groß, breit und schwer hinter einem mächtigen Schreibtisch. Hinter ihm an der Wand hängt eine Karte des Countys, in der überall kleine Fähnchen festgesteckt sind, die jeweils für Virg Sheridan eine bestimmte Bedeutung haben.

Virg Sheridans Gesicht ist unnatürlich blass. Er ist ein Mann, der sich nur selten der Sonne aussetzt. Doch selbst wenn er es täte, so würde die Sonne seine Blässe nie in Röte oder gar Bräune verwandeln können. Er ist ein seltsam bleicher Typ. Und er ist hart, zäh und kalt. Er gehört zu jener Sorte von Bossen, die gern selber mal zuschlägt und gewalttätig wird.

Kirby Wagoner kam einmal hinzu, wie dieser Mann – es war in einer anderen Stadt – einige wilde Burschen aus einem seiner Saloons prügelte, nachdem diese Burschen schon über Barmänner und Rauswerfer siegreich gewesen waren.

Kirby weiß noch eine ganze Menge anderer Dinge über diesen Mann. Doch zu diesem Wissen fehlen ihm Beweise.

Er blickt in Virg Sheridans helle Augen.

»Yeah«, sagt er sanft, »ich bin damals fortgelaufen. Doch jetzt bin ich wieder in einer Stadt, in der auch Sie sind, Virg. Und ich trage hier den Stern.«

Virg Sheridan grinst breit und kalt. Er hat einen hartlippigen und breiten Mund. Seine Unterlippe stößt über die Oberlippe vor. Und wenn er so grinst wie jetzt, dann verspürte schon so mancher stolze Bursche plötzlich Furcht im Herzen.

»Ich war damals auf einer längeren Geschäftsreise«, sagt er. »Sonst hätte ich dafür sorgen können, dass Sie nicht in dieser Stadt den Stern bekommen hätten, Kirby. Aber es macht keinen großen Unterschied aus, ob ich Sie oder einen anderen Marshal nach meinen Wünschen zurechtbiegen muss. Im Gegenteil, Kirby! Wir kennen uns! Wir kennen uns gut. Sie wissen, wie rau ich werden kann. Und ich weiß, dass Sie aufhören und fortlaufen, wenn ein richtiger Mann standhalten und richtig zu kämpfen beginnen würde. Nun gut, Kirby! Was wollen Sie? Ist Ihnen das Gehalt der Stadt zu niedrig? Wollen Sie, dass ich Ihnen noch ein zweites Gehalt zahle? Ein Gehalt, von dem nur wir beide etwas wissen?«

Er blickt Kirby lauernd an.

Und nun grinst der Marshal breit und kalt. In seinen grauen Augen erscheint ein unversöhnlicher Ausdruck.

»Virg«, sagt er sanft, »Sie wissen ganz genau, dass ich damals nicht aus Furcht vor Ihnen oder aus Furcht vor den Jacksons davongelaufen bin. Das wissen Sie genau. Doch es wird nie wieder einen Grund geben, der mich zum Fortlaufen veranlassen könnte.«

Virg Sheridan nickt. »Well und was sonst noch? Sind Sie nur hergekommen, um mir zu sagen, dass Sie nicht mehr fortlaufen wollen, wenn es richtig rau zu werden beginnt?«

Kirby erhebt sich, tritt an den Schreibtisch und wirft den Zigarillo in Sheridans Aschenbecher.

»Ich bin zu Ihnen gekommen, Virg, um Ihnen zu sagen, dass ich hier in der Stadt die gleichen Verordnungen erlassen werde wie damals in jener anderen Stadt. Dieses Recht habe ich mir von den Bürgerschaftsvertretern vertraglich gesichert. Und Sie kennen diese Verordnungen, Sheridan, nicht wahr?«

Virg Sheridan nickt langsam.