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G. F. Unger
Seine Spuren verwehen
Allein kämpft Sinclair Everett die mächtige Southern Star Company nieder, und als die kleine Kilrain Ranch wieder ohne seine Hilfe zurechtkommt, verschwindet er wie ein Schatten - ein Revolvermann, der seinem bitteren Ruhm entkommen will, ein Reiter, dessen Spuren verwehen ...
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Seitenzahl: 215
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Seine Spuren verwehen …
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7993-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Seine Spuren verwehen …
Es gab damals dann und wann einen von jener Sorte, dessen Spuren eines Tages wieder verwehten, der untertauchte und seinem bitteren Ruhm entkommen konnte. Ich meine nicht die Buffalo Bills, Wild Bills, Mastertons, Earps und wie sie alle hießen, die aus ihrem bitteren Ruhm ein Geschäft machten oder für andere Leute ein Geschäft wurden. So hatte Buffalo Bill zum Beispiel einen Zirkus, in dem unter anderem Wild Bill Hickok auftrat. Nein, ich meine die, deren Spuren verwehten. Wahrscheinlich sind sie als die glücklicheren Männer anzusehen.
Sinclair Everett war einer von ihnen.
Obwohl Sinclair die letzte Stunde zu Fuß lief und das Pferd an den langen Zügeln hinter sich herzog, hält das Tier plötzlich an.
Es kann nicht mehr.
Auf drei Hufen verharrt es. Der vierte Huf ist schon seit Tagen ohne Eisen, und er ist gespalten, gespalten wie der Fingernagel eines Menschen. Nur sind Fingernagel und Pferdehuf zwei sehr verschiedene Dinge.
Deshalb wurde das Pferd für Sinclair völlig wertlos.
Keuchend betrachtet er das Pferd. Er ist ein harter Mann, der schon als kleiner Junge die Erfahrung machen musste, dass das Leben keine Gnade kennt. Das gilt hier im Arizona-Territorium noch mehr als anderswo. Denn hier im Apachenland sind alle Lebewesen nur Jäger und Gejagte. Und am grausamsten ist wahrscheinlich die Natur.
Es ist ein Land mit tausend leuchtenden Farben und gleißenden Sonnenaufgängen, mit blutrotem Abendhimmel und strahlenden Sternen. Es ist ein wunderschönes, erhabenes Land. Dennoch ist es grausam zu allen Lebewesen und macht sie selbst ebenfalls so grausam.
Als Sinclair das Pferd betrachtet, verspürt er Mitleid, und Mitleid ist hier so selten wie eine blühende Rose am Nordpol. Es vergeht auch schnell wieder. Denn allein das Gesetz des Überlebens zählt.
Er lässt die Zügelenden zu Boden fallen, tritt an das Tier heran, nimmt die noch halbgefüllte Wasserflasche vom Sattelhorn und hängt sie sich um. In der Rechten hält er das Gewehr.
Den Waffengürtel mit dem Colt hängt er um seinen Hals, damit er ihn beim Laufen nicht stört.
Nun überlegt er einige Sekunden.
Er hat Grund dazu, einen genau fünfzehn Kilo schweren Grund.
Hinter dem Sattel in der Deckenrolle sind fünfzehn Kilo Gold eingepackt.
Das ist schon was, nicht wahr?
Fünfzehn Kilo Gold von der Aurora-Mine, das dort länger als vier Jahre versteckt war – seit jenem Tag, da während des Bürgerkrieges die Schutztruppen das Arizona-Territorium verließen und die Apachen alle Siedlungen und Minen überfielen, sämtliche Straßen und Wege im Land sperrten und selbst so große Städte wie Tucson von der Außenwelt abgeschnitten waren und Inseln in einer von Haien verseuchten See glichen.
Und das ist auch jetzt noch nicht viel anders.
Vier Jahre konnte man nicht an das Goldversteck der Aurora-Mine heran. Sinclair Everett machte dann den Versuch, das Gold zu holen.
Seit vier Tagen sind die Apachen hinter ihm her. Einige konnte er töten, deshalb sind die anderen besonders scharf auf seinen Skalp. Jetzt muss er sich entscheiden.
Soll er das Gold aufgeben?
Oder soll er es mitnehmen?
Fünfzehn Kilo Gold!
Aber Sinclair ist kein Narr.
Er weiß genau, dass ihm die fünfzehn Kilo Gold bald so schwer wie drei Zentner vorkommen werden. Er könnte sich ebenso gut auch eine eiserne Sträflingskugel ans Bein ketten lassen und damit den Apachen zu entkommen versuchen.
Sein Gewehr und die noch halb volle Wasserflasche sind für ihn jetzt sehr viel wertvoller als alles Gold der Welt – sie sind eine schwache Chance zum Überleben.
Das Pferd ist verloren. Es kann mit dem zersprungenen Huf nicht weiter und würde in der flimmernden Hitze der Apachenwüste verdursten. Schon bald würden die Wölfe kommen und es bei lebendigem Leib in Stücke reißen. Die Wölfe sind in diesem Land schlimmer als anderswo.
Ja, wenn man das Tier zu einem guten Schmied bringen und es danach einige Wochen auf weichem Boden bei guter Weide halten könnte …
Doch hier hat es keine Chance.
Obwohl oder weil Sinclair soeben noch ein Gefühl des Mitleids spürte, holt er sein Messer aus dem Stiefelschaft und sticht damit blitzschnell und kräftig zu. Er trifft auch den richtigen Punkt. Das Tier fällt um wie vom Blitz getroffen.
Und mehr kann er für das Pferd nicht tun.
Einen Moment steigen Bitterkeit und Hass gegen dieses Land in ihm auf.
Doch was kann es dafür, dass er fünfzehn Kilo Gold holen wollte?
Er wendet sich ab und fällt schon nach wenigen Schritten in eine Art Wolfstrott. Wer ihn so laufen sieht, könnte ihn aus der Ferne für einen großen, hageren Apachen halten, der die Kleidung eines Weißen trägt: Denn er läuft genau wie ein Sonora-Apache – und die halten hundert Meilen in diesem Trott durch.
Wer Sinclair Everett so laufen sieht, der beginnt zu ahnen, dass dieser Mann eine Art weißer Apache sein muss. Denn nur unter Apachen hätte er lernen können, so zu laufen. Von frühester Jugend an muss er das gelernt haben.
Es ist ein heißer Tag mit flimmernden Hitzeschleiern, einer erbarmungslosen Sonne und einer leblosen Stille.
Von den Apachen ist nichts zu sehen oder zu bemerken.
Das Land ist unübersichtlich mit seinen Arroyos, Hügeln, Senken und Canyons. Überall sind rote Felsen – in Jahrtausenden zernagt.
Über bunten Chollablüten tanzen Schmetterlinge. Die Stacheln der Chollas blitzen wie Silbersterne, und die scharlachroten Blütenbecher der Pitaya-Kakteen leuchten.
Mit dem Gewehrlauf zerschlägt Sinclair einer Klapperschlange das Genick, während er über sie hinwegspringt, weil er keine Umwege mehr machen will.
Mesquite wächst rechts und links und leuchtet fantastisch bunt. Aber überall können die Apachen lauern. Er muss damit rechnen, dass sie ihn schon überholt haben und ihm den Weg verlegen.
Er muss bei jedem Atemzug darauf gefasst sein, dass sie ihn anspringen wie lautlose Berglöwen, denn sie können sich sein Ziel mühelos ausrechnen.
Es ist die Tinaja im El Lobo Canyon, eine flache Wasserstelle, gerade für ein halbes Dutzend Pferde und Reiter ausreichend.
Wer dieses Wasserloch zuerst erreicht, der …
Sinclair Everett nimmt den schnellen Schatten nur noch flüchtig im Augenwinkel wahr. Vielleicht ist es schon mehr sein Instinkt.
Er wendet sich blitzschnell, und weil er das Gewehr in der Rechten über dem Kolbenhals gepackt hält, ist sein Arm um fast den ganzen Gewehrlauf länger als der messerbewehrte Apachenarm.
Es war die Absicht des Apachenkriegers, den Gejagten beim Töten zu berühren, ihn anzuspringen wie ein Wolf.
Denn das Töten auf diese Art – vor allem bei einem Gegner wie Sinclair – bringt einem Apachenkrieger besondere Ehre.
Doch ein Apachenarm mit Messer ist nicht so lang wie der Arm eines Weißen mit Gewehrlauf.
Loco – so heißt der Rote – bekommt die Mündung wie ein Lanzenende in den Magen. Sein Sprung wird dadurch abgebremst, und er kann nicht anders, er muss sich krümmen. Seine Beine sind plötzlich kraftlos.
Sinclair schießt nicht. Nach dem blitzschnellen Stoß mit dem Lauf dreht er die Waffe herum, wie er es einst bei der Armee gelernt hat. Der Apache bekommt den Kolbenstoß gegen den linken Kinnwinkel. Er überschlägt sich und landet in einem Stachelbusch. Doch er spürt die Stacheln nicht mehr – er spürt nie wieder etwas auf dieser Erde.
So ist das hier in diesem Land.
Töten oder getötet werden!
Sinclair blickt sich nicht einmal nach dem Roten um. Er läuft weiter und achtet darauf, dass ihn nicht ein zweiter Angreifer überrumpeln kann.
Doch er hat Glück gehabt. Der Krieger war allein.
Einen Moment denkt Sinclair daran, sich nach dem Pferd des Roten umzusehen. Doch er gibt den Gedanken schon in der nächsten Sekunde wieder auf. Das Pferd steht vielleicht eine Viertelmeile entfernt in einem Arroyo oder in einem anderen Versteck. Er verlöre zu viel Zeit mit der Suche. Überdies dürfte das Tier restlos erschöpft sein. Der Krieger hat es gewiss bis zum Zusammenbruch angetrieben, um vor dem Weißen in dessen Fluchtweg zu gelangen.
Sinclair trottet weiter und taucht bald schon in einen Arroyo ein, der ihn zum El Lobo Canyon bringen muss.
Und dann?
Eine Stunde später, als die Sonne nur noch eine Handbreit über den gelben Hügeln im Westen hängt, gelangt er in den Schatten der roten Felswand des Canyons, der sich nach Norden zu leicht abwärts senkt und manchmal fast eine Viertelmeile breit wird.
Das Bachbett in der Mitte des Canyons ist trocken wie alles andere. Es führt nur wenige Wochen im Jahr Wasser und bringt es nach Norden zum Gila River.
Jetzt, zur heißesten und trockensten Zeit des Jahres, gibt es nur die kleine Tinaja am Fuß des Toros, eines Felsens, der die Form eines Stieres hat.
Sinclair ist am Ende seiner zähen, beharrlichen Ausdauer, denn er ist seit vier Tagen auf der Flucht und musste sich mehrmals zum Kampf stellen.
Ein anderer weißer Mann wäre nach den Strapazen längst tot.
Als er die Wasserstelle erreicht hat, erkennt er mit einem Blick, dass hier noch niemand vor ihm getrunken hat. Selbst die Apachen hätten den rötlichen Schaum, der auf der Oberfläche des Tümpels schwimmt, zur Seite geschoben. Dieser Schaum stammt von dem roten Staub der Felsen des Canyons. Trinkt man ihn mit, hat man den feinen Sand zwischen den Zähnen und in der Kehle. Das Zeug brennt fast wie Pfeffer.
Sinclair rührt das Wasser und den Schaum nicht an, obwohl er am ganzen Körper mit einer schweißnassen Staubschicht bedeckt ist. Jeder andere Weiße hätte sich mit dem ganzen Oberkörper ins Wasser geworfen, um die juckende Staub- und Schmierschicht loszuwerden, zu trinken und sich abzukühlen.
Sinclair wendet sich zur Seite und erklimmt den schwarzen Felsen, aus dessen Spalte die dünne Quelle entspringt, die gerade so stark ist, dass das Wasser nicht verdunstet.
Um seine Spuren braucht er sich nicht mehr zu kümmern. Denn nun fällt die Dunkelheit übers Land. Im Canyon sind plötzlich die Schatten der Nacht. Ein leichter Wind kommt von Norden her, wispert an den roten Sandsteinwänden und lässt da und dort etwas abbröckeln und niederrieseln.
Dieser Wind, der die Hitze des Tages aus dem Canyon drängt, weht Staub über Sinclairs Fährte. Die Apachen werden sie selbst im Mondlicht nicht erkennen können.
Und die Oberfläche des Tümpels ist unberührt.
Das allein wird zählen.
Sinclair verschmilzt in der Dunkelheit mit dem Torofelsen und legt seine beiden Schusswaffen bereit. Dann wird er bewegungslos, entspannt sich, wartet.
Er konnte keinen besseren Platz finden, um sich der Meute zu stellen.
Auf hundert Meilen in der Runde gäbe es keinen günstigeren Ort für ihn.
Die Apachen müssen genauso zum Wasser wie er, und wenn sie glauben, vor ihm die Tinaja erreicht zu haben …
Sinclair wartet fast eine Stunde, und diese Erholungspause tut ihm gut. Trotz der drohenden Gefahr wäre er fast eingeschlafen, so erschöpft und ausgebrannt ist er.
Doch dann – als er wieder die Augen öffnet – sieht er den ersten Apachen.
Er kniet beim Wasser und betrachtet den rötlichen Schaum. Er kann einigermaßen sehen, denn der Mond steigt schon etwas über die Canyonwand und lässt bleiches Licht durch den Dunst der sterbenden Tageshitze sickern. In wenig mehr als einer Stunde wird die Nacht hell und strahlend sein. Jetzt reicht die Helligkeit gerade aus, um zwei scharfe Apachenaugen erkennen zu lassen, dass während der letzten zwei Stunden kein Mensch aus der Tinaja trank.
Der Apache umrundet den Tümpel und gerät noch mehr ins Mondlicht. Er behält seine lauernde Körperhaltung bei und gleicht einem schleichenden Wolf, der gedankenschnell reagieren kann.
Ob er die Gefahr wittert?
Sinclair bemüht sich, nicht an diesen Krieger zu denken. Er liegt gut verborgen in einer Spalte, geschützt von dornigen Büschen, die auf dem Felsen wachsen.
Der Apache stößt plötzlich den Ruf eines Nachtfalken aus, den er noch zweimal wiederholt.
Nun kommen seine Gefährten.
Aus dem Schatten der Canyonwand tauchen sie auf, und wahrhaftig, ihre Pferde sind am Ende. Die Tiere konnten nicht länger ohne Wasser bleiben.
Selbst die Apachen können von ihren zähen Pferden nicht mehr verlangen als ein Mann wie Sinclair von seinem Grulla. In Sinclair ist ein grimmiger, kalter Triumph, weil auch die Apachen am Ende sind. Sie konnten ihn nicht hetzen, bis er keine Kraft mehr hatte. Er war ihnen an Zähigkeit und Ausdauer gewachsen.
Und nun? Er zählt sie. Es sind neun Krieger mit neun Pferden. Er glaubt, dass es alle sind, die seiner Fährte folgten.
Alle!
Aber welch eine Übermacht!
Neun gegen ihn! Und dazu noch Apachen! Es gibt in diesem Land keinen schlimmeren Gegner als den Apachen. Neun dieser Rothäute können mit zwanzig Soldaten zurechtkommen.
Sinclair Everett ist allein.
Und eines ist ihm klar: Jede Sekunde, die er jetzt wartet und zögert, verkleinert seine Chance. Noch sind die Apachen erschöpft und ausgebrannt von einer langen, zermürbenden Jagd. Ihre Instinkte wurden stumpfer, und auch ihre Reaktion ist nicht so blitzschnell wie sonst.
Ein weißer Mann hat jetzt die besten Chancen.
Wenn sie erst getrunken und ihre Pferde versorgt haben, werden sie wachsamer sein. Ihre Instinkte sind dann wacher, und wenn sie sich dann noch einmal genauer umsehen, werden sie vielleicht doch herausfinden, dass er vor ihnen hier war und in der Nähe verborgen ist.
Jede Sekunde, die er verstreichen lässt, macht diese roten Wölfe gefährlicher und mindert seine Chancen.
Mit jeder Sekunde wird auch die Nacht klarer und heller.
Doch es ist keine einfache Sache, gegen neun Apachen den Kampf zu eröffnen. Sinclair ist kein Narr, der ohne jede Furcht ist. Er hat einen Moment den Wunsch, sich in eine Maus verwandeln und in einem kleinen Loch verkriechen zu können.
Doch das ist nur ein kurzer Gedanke.
Dann wieder ist die feste Überzeugung in ihm, dass nur er allein sich helfen kann.
Als er zu schießen beginnt, ist nichts mehr aufzuhalten oder rückgängig zu machen. Er gleicht einem Schwimmer, der sich von einem hohen Felsen in einen reißenden Fluss stürzt – er muss kämpfen oder wird untergehen.
Obwohl er mit seinem Gewehr schießt, fallen seine Schüsse in unheimlich rascher Folge, denn er schießt von der Hüfte aus, hält den Kolben fest gegen die Seite gedrückt und lädt immer wieder blitzschnell durch.
Beim ersten Schuss spritzt die Kriegsbande auseinander wie eine Wolfsmeute, zwischen der eine Sprengladung explodiert. Es ist unheimlich, wie schnell die erschöpften Apachen selbst jetzt noch reagieren.
Doch für einige der Krieger gibt es keine Deckung. Sie sind zu weit von den auf der anderen Seite des Wasserloches stehenden Pferden entfernt. Es gibt erst nach einem Dutzend Sprüngen irgendwelche Deckungen für sie. Diese Apachen erwischt Sinclair. Er schießt, ohne zu zielen, dennoch trifft er dreimal.
Weitere Kugeln jagt er in die dicht gedrängte Pferdegruppe, zwischen die ein paar Apachen geglitten sind. Er trifft einige Tiere und sprengt die Gruppe, sodass die Roten dazwischen nicht mehr so gut gedeckt sind.
Dann muss er sein Gewehr fallen lassen.
Denn drei der Apachen greifen ihn an. Das gehört nicht selten zu ihrer Kampfweise. Wahrscheinlich sind es die drei erfahrensten Krieger des Rudels. Sie wandten sich nicht zur Flucht, versuchten nicht, eine Deckung zu erreichen.
Sie greifen an, und wenn ein Apache angreift, ist er unwahrscheinlich schnell und kommt nicht schnurgerade auf sein Ziel los. Diese Wüstenapachen haben von Anfang an in diesem Lande, in das sie in grauer Vorzeit aus dem heutigen Alaska kamen, lernen müssen, deckungslos einen Feind anzugreifen.
Sie sind in rascher Bewegung kaum zu treffen.
Doch es gibt Ausnahmen, wenn sie einen Revolvermann als Gegner haben.
Und Sinclair Everett gehört zu dieser Gilde. Sinclair ist kein zweitklassiger Revolverschwinger. Nein, er gehört zu den wenigen Revolverkämpfern, die fast ohne Konkurrenz sind.
So einen Mann frontal anzugreifen, ist auch für blitzschnelle, nur schattenhaft sichtbare Apachen fast Selbstmord.
Er schießt mit dem Colt noch schneller und sicherer als mit dem Gewehr. Bevor er den letzten der drei Angreifer trifft, schleudert dieser noch sein schweres Wurfmesser. Obwohl er es im vollen Zickzacklauf von unten nach oben wirft und das Ziel, das Sinclair ihm bietet, wirklich nicht groß ist, bekommt der Weiße das Messer bis zum Heft in die linke Schulter. Dann erst stürzt der Rote – drei Sprünge vom Fuß des Felsens entfernt – und überschlägt sich.
Pferde jagen davon, mit ihnen drei der neun Apachen. Ein paar der Tiere bleiben schnaubend in der Nähe. Sie sind erschreckt und ängstlich. Doch sie sind an Kugeln und Kampf gewöhnt. Die Witterung des Wassers hindert sie am Fortlaufen.
Einer der sechs Roten, die getroffen am Boden liegen, schnellt plötzlich auf, springt zu einem der Pferde und wirft sich auf dessen Rücken.
Als er das Tier herumreißt, trifft ihn Sinclair.
Dann wird es still.
Sinclair seufzt, schnappt nach Luft und wischt sich mit dem Unterarm über das schweißnasse Gesicht. Er lädt seine Waffen auf und blickt dann auf seine Schulter, aus der neben dem Schultergelenk der Messergriff ragt.
Zum Glück hat das Wurfmesser keine so breite Klinge wie ein Bowiemesser. Die Klinge wurde oft geschliffen und ist nicht breiter als die eines Stiletts.
Als er das Messer herauszieht, stöhnt er vor Schmerz. Er reißt sich das Halstuch ab und presst es auf die Wunde, um die Blutung zu stillen.
Dann macht er sich auf den Weg.
Als er an der Wasserstelle kniet, um dort zu trinken und sich den Kopf zu waschen, kommen zwei der Apachenpferde. Sie bleiben dicht neben ihm stehen und stillen ihren Durst.
Sinclair hält sich nicht lange auf. Er füllt seine Wasserflasche und schwingt sich auf den Rücken eines dieser Tiere. Es trägt einen Kavalleriesattel, dessen Steigbügel er etwas länger schnallen musste.
So reitet er weiter.
Er verlor das Gold.
Er musste wieder einige Apachen töten. Hätte er ihnen die Skalpe genommen, so bekäme er in Tucson für diese Apachenskalpe Prämien wie für Wolfsfelle. Denn die Stadt Tucson gehört zu den Städten, in denen die Skalpjäger ihre Beute abliefern. Doch auch drüben in Mexiko werden für Apachenskalpe Prämien gezahlt. Doch Sinclair ist kein Skalpjäger. Er will nur den eigenen Skalp behalten – nichts anderes.
Er ließ fünfzehn Kilo Gold, sein Pferd und einige Tote zurück.
Nun sind nur noch drei Apachen vor ihm.
Wenn er Pech hat, alarmieren diese drei am kommenden Tag durch Rauchzeichen eine andere Bande weiter im Norden.
Er weiß längst, dass es keine gute Idee war, das Gold aus dem Versteck der Aurora-Mine zu holen. Es hätte dort besser noch bleiben sollen.
☆
Santa Cruz war einst eine spanische Mission, wurde dann später von den Mexikanern ausgebaut und schließlich, als das Land amerikanisches Territorium wurde, zum Mittelpunkt eines aufstrebenden Viehzucht- und Farmgebietes, in dem es auch einige Minen gab.
Der Frachtverkehr von Santa Fe durch das Gila River Valley nach Yuma ging vor dem Krieg über Santa Cruz.
Doch während des Bürgerkrieges wurde alles wieder anders.
Als die Schutztruppen abzogen, schlugen die Apachen die meisten Rancher und Farmer tot oder vertrieben sie. Sie legten jeden Verkehr im Land lahm. So sank Santa Cruz in Bedeutungslosigkeit zurück.
Es gibt viele Orte mit diesem Namen.
Damals, als die Spanier und später die Mexikaner Missionen und Siedlungen errichteten, wurden viele dieser Neugründungen Santa Cruz, Heiliges Kreuz, genannt. Denn immerhin gehörte eine Menge Gottvertrauen dazu, hier Missionen und Siedlungen zu gründen. Oft genug war in jener Zeit wirklich nur das Kreuz der einzige Schutz dieser Idealisten.
Als Sinclair Everett auf seinem Apachenpferd in den kleinen Ort einreitet, wirkt er ganz gewiss nicht wie ein Mann, der sich über die Bedeutung des Ortsnamens irgendwelche Gedanken macht.
Er bleibt im Sattel, bis er vor die Tür des größten Adobehauses gelangt ist, in dem sich der einzige Gasthof des Ortes befindet. Hier will er absitzen. Doch das schafft er nicht mehr. Als er halb vom Pferd ist, wird ihm endgültig schwarz vor Augen.
Er fällt und prallt hart auf.
Seine Ankunft wurde kaum beachtet. Denn es ist um die Mittagszeit und heiß wie in der Hölle. Der Ort scheint ausgestorben zu sein.
Doch aus der Tür treten nun nacheinander drei Männer. Es sind Amerikaner.
Sie blicken auf den Bewusstlosen, und ihr zweiter Blick gilt dem Apachenpferd und dem Kavalleriesattel.
»Er hat es nicht geschafft«, brummt einer der Männer. »Dieser Hundesohn ist ohne das Gold zurückgekommen, und ich frage mich …«
Er verstummt, kratzt sich in seinem gelbroten Haar und sagt plötzlich: »Bringt ihn herein! Wir müssen ihm erst mal aus seiner Not helfen. Sonst erfahren wir niemals, warum er ohne das Gold, auf einem Apachenpferd und an der Schulter verwundet, zurückgekommen ist.«
Es dauert drei Tage, bis sich Sinclair Everetts Fieber legt und er einen klaren Kopf bekommt. Er fühlt sich schwach und elend. Die Wunde in der Schulter hatte sich entzündet. Nun scheint es besser geworden zu sein, denn der leichte Schmerz ist kein Pochen wie bei einer Blutvergiftung.
Eine schweigsame Mexikanerin bringt ihm auf einem Tablett eine gute Fleischsuppe, bettet ihn höher und fragt ihn, ob er kräftig genug sei, um selbst essen zu können. Es ist nicht viel Freundlichkeit in ihrer Stimme.
Er spürt, dass er hier kein willkommener Gast ist. Das ist kein Wunder, denn in den Taschen seiner vollkommen ruinierten Kleidung fand man kein Geld. Er ist ein hilfloser Kranker, der nicht zahlen kann.
Dann denkt er an Barbra Stedloe, die hier in Santa Cruz auf ihn warten wollte – auf ihn und das Gold. So war es ausgemacht.
Er sagt der Mexikanerin, dass er allein essen könne, und sie nimmt das wörtlich. Er ist bald allein im kargen Zimmer und löffelt die Fleischsuppe, trinkt dazu dann und wann einen Schluck Wasser und bricht sich etwas von dem Maisbrot ab.
Sein Stoppelbart war vorher schon stark.
Als er nun über die hageren Wangen tastet, begreift er, dass der Bart schon mehr als eine ganze Woche alt ist.
Sein Hunger wächst beim Essen.
Er ist nicht lange allein. Die drei Männer, die zu ihm ins Zimmer kommen, kennt er nicht. Er sah sie noch nie. Doch er weiß sofort, zu welcher Sorte sie gehören. Das sind harte Burschen. Einer sieht aus, als könnte er Kieselsteine zwischen seinen Zähnen zu feinem Pulver zermalmen.
Dieser Mann stellt sich zu Sinclairs Füßen auf, hakt die Daumen in die Ärmellöcher seiner Weste und grinst breit. Sein Gesicht ist breiter als lang. Er hat kleine Augen, gelbrote Haare, Sommersprossen und die gesündesten und kräftigsten Zähne, die Sinclair jemals sah. Dieser Mann strotzt nur so vor geballter Kraft, Zuversicht und Selbstbewusstsein.
»Schmeckt es?«, fragt er kehlig.
Sinclair kaut langsam, schluckt und nickt, während er sie nochmals der Reihe nach betrachtet. Die Begleiter des breitgesichtigen Burschen sind von anderer Sorte. Einer ist groß, geschmeidig und dunkel wie ein schwarzer Panter, ein Mann mit zwei Revolvern, deren helle Beingriffe sich deutlich von der dunklen Kleidung abheben.
Sinclair kennt diese Sorte von Revolverhelden. Weil sie eitel sind, sind sie gefährlich. Denn ihr Revolverruhm lässt sie sich als eine Art Halbgötter fühlen. Sie möchten dieses Gefühl nicht mehr missen, und sie tun alles, um es zu erhalten. Da sie manchmal an sich zweifeln, müssen sie sich immer wieder beweisen, wie großartig sie sind.
Der dritte Bursche ist mittelgroß, gedrungen, braunlockig und hat auf der linken Wange drei kleine Narben. Er wirkt auf den ersten Blick sehr ruhig und gar nicht gefährlich. Aber seine braunen Augen sind hart. Sein Gesicht ist unbeweglich.
»Seid ihr die Vorsitzenden einer wohltätigen Gesellschaft?« Sinclair fragt es heiser. Seine Stimme ist noch nicht wieder richtig normal. Es ist ja auch lange Zeit her, dass er sich sprechen hörte. Denn er gehört nicht zu jener Sorte, die Selbstgespräche führt, wenn sie allein reitet. »Oder warum kommt ihr sonst herein? Um zu fragen, ob mir mein Süppchen mundet?«
Sie grinsen, und in ihrem Grinsen ist keine Freundlichkeit.
Der bullige Nussknacker am Fußende von Sinclairs Bett wippt leicht auf den Fußsohlen.
Er holt ein Zündholz aus der Westentasche und steckt es zwischen die harten Lippen.
»So ist es richtig«, sagt er. »Nur nicht den Humor verlieren, mag kommen, was da wolle. Wir haben schon eine Menge über dich gehört, Sinclair Everett. Deshalb setzten wir alle Chips auf dich, obwohl wir dich persönlich noch gar nicht kannten. Dein Ruf genügte uns.«
»Ich fühle mich geehrt«, erwidert Sinclair, löffelt immer noch seine Suppe und spürt schon jetzt irgendwie, dass dieser Besuch für ihn nicht erfreulich sein wird.
Aber was soll er machen, so schwach und nur in einem Hemd, mit einer ruinierten linken Schulter und waffenlos in einem Bett?
»Vielleicht solltet ihr endlich zur Sache kommen, Hombres«, murmelt er kauend.
Der rotblonde Bulle nickt, grinst wieder breit und deutet mit dem Daumen gegen seine massige Brust.
»Ich bin Duff Mallone. Man sagt, dass ich hart aber fair bin. Schon gehört von mir, Black Sinclair?«
Der nickt. »Ich erinnere mich. Du bist der Bursche, der schon seit Monaten die Rechte der Minen erwirbt – für ein Butterbrot, für einen Apfel und ein Ei, wie man im Volksmund so treffend sagt. Solange die Apachen die Straßen und Wege sperren und es der Armee nicht gelingt, die Apachengefahr zu beenden, sind die Minen so gut wie wertlos. Denn die meisten ihrer Besitzer haben Schulden und mussten damals Hals über Kopf flüchten. Oder ihre Erben wissen mit den Minen nichts anzufangen, sind sich oft ihres Wertes gar nicht bewusst. Du bist der Mann, Mallone, der für irgendwelche Auftraggeber alles aufkauft. Deine Hintermänner oder du selbst, ihr wartet auf den Tag, an dem die Armee alle Apachen getötet oder in Reservate gesperrt hat. Das kann einige Jahre dauern, doch es ist euch gleich. Ihr könnt warten. Sicher ist jedenfalls, dass die Apachen eines Tages erledigt sind. So ist es doch, nicht wahr?«
Duff Mallone grinst und nickt.
»Ich erwarb auch die Schürfrechte der Aurora-Mine«, erklärt er. »Jede Unze Gold aus der Aurora-Mine gehört mir. Und du warst dort, um fünfzehntausend Gramm zu holen. Wo sind diese fünfzehn Kilo? Antwort!«
Sinclair legt den Löffel in die fast leere Suppenschüssel zurück. Er weiß, dass es jetzt ernst wird.
Die drei Männer umgeben schweigend sein Bett, und es geht eine unduldsame Härte von ihnen aus.
»Ich ließ das Gold bei meinem toten Pferd zurück«, erklärt Sinclair. »Eine halb volle Wasserflasche und das Gewehr waren wichtiger für mich. Ich konnte das Gold nicht mitschleppen, denn …«