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Mae Shannons Söhne
Es wurde schlagartig still, als wir in den vornehmen Unterhaltungsraum des Hotels eindrangen. Unser raues Aussehen passte nicht hierher. Und wahrscheinlich hielt man uns zunächst für Banditen. Doch dann sagte einer der Männer: "Das sind Mae Shannons Söhne."
Er sagte es scharf, hart - dabei irgendwie spöttisch. Wie ein Mann, der stets überlegen ist. Ich erkannte ihn. Es war John Morgan, der damals unseren Vater erschossen und uns aus dem Land gejagt hatte ...
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Mae Shannons Söhne
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8320-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Mae Shannons Söhne
Es wurde schlagartig still, als wir in den vornehmen Unterhaltungsraum des Hotels eindrangen. Unser raues Aussehen passte nicht hierher. Und wahrscheinlich hielt man uns zunächst für Banditen. Doch dann sagte einer der Männer: »Das sind Mae Shannons Söhne.«
Er sagte es scharf, hart – dabei irgendwie spöttisch. Wie ein Mann, der stets überlegen ist. Ich erkannte ihn. Es war John Morgan, der damals unseren Vater erschossen und uns aus dem Land gejagt hatte.
Es war an einem Abend, als meine Mam mir die Satteltaschen und ein Bündel packte, wie man es haben musste, wenn man lange und weit reiten will und unterwegs im Freien übernachten muss.
Sie hatte nichts vergessen.
Und dann legte sie mir noch siebenunddreißig Dollar hin. Ich wusste, dass es alles war, was sie im Moment an Bargeld besaß.
Sie brauchte mir nicht zu sagen, was das alles zu bedeuten hatte.
Denn in den Jahren zuvor hatte ich erlebt, wie sie meine drei älteren Brüder auf die gleiche Art fortschickte.
Nun war ich an der Reihe, und ich war erst siebzehn.
Ich sagte: »Mam, ich will nicht weg. Ich will bleiben. Du kannst das alles bald nicht mehr schaffen. Eine Mam hat ein Recht darauf, dass ihre Söhne …«
»Du musst reiten, Cash, mein Junge«, unterbrach sie mich ruhig. »Du musst reiten, weil du schon fast ein Mann wurdest. Und John Morgan hat mir einst geschworen, dass er keinen Mann der Shannons im Lande dulden wird. Deshalb schickte ich deine Brüder fort – und deshalb wirst du morgen vor Sonnenaufgang reiten. Du musst, denn ich will dich nicht tot am Boden liegen sehen wie deinen Vater. Du musst reiten, um irgendwo ein Mann werden zu können. Hier ließe dir John Morgan keine Zeit mehr dazu.«
Ich sah sie an und schluckte.
Und ich konnte ihr nichts entgegnen. Sie war fast zwei Köpfe kleiner als ich, und sie kam mir schon so alt und verbraucht vor. Aber die Jahre, die sie brauchte, um uns vier Söhne großzuziehen, hatten doppelt gezählt für sie.
Ich wusste auch, dass ich nicht bleiben konnte. John Morgans Männer würden mich vielleicht nicht töten. Doch sie würden mich zerbrechen. Sie würden dafür sorgen, dass mir der Mut fehlen würde, unseren Vater rächen zu wollen. Ja, ich musste, fort von hier, wie auch meine Brüder Bill, Jesse und Bac von hier fortgeritten waren.
Das war so.
Dies alles geschah im Sommer 1857, also noch vor dem großen Krieg.
Und dann vergingen zehn Jahre – lange Jahre, die ich fernblieb von daheim und meiner Mam.
Es war am 23. August 1867, als ich auf der Veranda des Saloons zu Mesa Verde auf Jed Chattanooga wartete.
Ich wusste, er würde kommen.
Der ganze Ort wusste es.
Und deshalb hatten sie mich angeworben und sich selbst in ihren Häusern verkrochen. Alle Geschäfte waren geschlossen. Das armselige Nest war wie ausgestorben.
Doch sie hatten fünfhundert Dollar zusammengekratzt. Dafür konnten sie mich anwerben.
Jawohl, Leute, ich war ein Revolvermann geworden, den man sich mieten konnte als zweibeinigen Tiger.
Ich dachte über diesen Ort hier nach. Sie besaßen hier keinen Marshal. Auch einen Deputy-Sheriff gab es nicht. Der Ort war zu klein, um sich solch einen Mann halten zu können. Denn das kostete zumindest fünfzig Dollar im Monat, und dafür gab es noch nicht mal einen guten Mann.
Aber da war eines Tages Jed Chattanoogas kleiner Bruder Jesse in den Ort gekommen. Sie kannten ihn hier gut genug, denn er kam dann und wann und kaufte ein, ohne zu bezahlen. Er ließ anschreiben. Aber wer ihn zum Bezahlen mahnte, den betrachtete er als seinen Feind.
Er war ein Wurm, dieser Jesse. Doch er hatte einen Bruder, vor dem sich alle hier fürchteten.
Nun, Jesse war hier erschossen worden.
Und deshalb würde sein großer Bruder kommen.
Ich wartete vier Tage und vier Nächte, aber ich verlor dennoch nicht die Nerven. Ich schlief sogar zwischendurch recht gut.
Denn wenn Jed Chattanooga kam, so würde ich es ganz gewiss blitzschnell erfahren. Dieser kleine Ort schien nur so tot, leer und ausgestorben. In Wirklichkeit konnte hier keine Maus mehr unbemerkt huschen.
Am fünften Tage dann endlich kam nicht Jed Chattanooga, sondern mein Bruder Jesse. Ich hatte ihn vor drei Jahren einmal in Nogales gesehen. Er war dort mit einer gestohlenen Pferdeherde über die Grenze gekommen, die er an einen Aufkäufer der Konföderierten-Armee verkaufte, der nicht nach der Herkunft der Tiere fragte, sondern froh war, für Nachschub sorgen zu können.
Jesse sah mich auf der Saloon-Veranda sitzen. Er band sein Pferd an und kam herauf. Ich hatte ein noch halbvolles Glas Bier neben mir auf der Fensterbank stehen. Er nahm es, trank es leer und hatte erst dann einigermaßen den Staub aus der Kehle in den Magen heruntergespült.
Sein Pferd war staubig, müde und hatte heute gewiss schon mehr als vierzig Meilen hinter sich.
»Jed Chattanooga kommt nicht«, sagte er dann. »Ich traf ihn zwanzig Meilen von hier bei der Pueblo-Station der Postlinie. Und ich wusste schon Bescheid darüber, dass sie dich hier angeworben hatten für den Fall, dass er kommen würde, seinen kleinen Bruder zu rächen. Er wird nicht kommen.«
Als er es gesagt hatte, standen wir auf und gingen hinein.
Der Wirt drinnen atmete auf, als ich zu ihm sagte: »Das ist mein Bruder Jesse. Er hat mir soeben gesagt, dass Jed Chattanooga nicht kommen wird.«
»Heute nicht?« So fragte der Wirt.
»Nie mehr«, sagte Jesse. »Als ich ihm sagte, dass ich unterwegs zu unserem Kleinen wäre, da glaubte er, mich gleich erledigen zu müssen, damit er hier nicht mit zwei Mann Ärger anfangen muss. Aber er schaffte es nicht mit mir, der gute Jed. Dabei kannte er mich und wusste genau, wie schnell er sein musste. Ich will ein Bier.«
Er stieß die letzten Worte heiser hervor. Und es war klar, dass er das Bier nicht haben wollte, um auf einen Triumph zu trinken, sondern weil er völlig ausgedörrt war von einem langen staubigen Ritt durch dieses heiße Land.
Ich ließ mir einen Tequila geben, denn einen scharfen Schluck konnte ich nun gebrauchen.
Mein Bruder hatte mir einen Kampf abgenommen.
Ich spürte Erleichterung. Ich konnte meinem Bruder gewiss auch keinen Vorwurf machen, dass er mir meine Kämpfe abnahm. Der Grund, den er mir erklärte, war einleuchtend genug. Er hatte nicht für mich gekämpft, weil ich immer noch »der Kleine« war.
Wir tranken.
Und dann fragte mein Bruder: »Wie war das hier in diesem Ort mit Jed Chattanoogas Kleinem gewesen. Man soll ihn von allen Seiten zusammengeschossen haben?«
Der Wirt hinter der Bar zuckte zusammen. Sein Blick war unruhig.
Dann sagte er: »Jesse wollte mit der kleinen Betty Cane was anfangen. Sie ist doch erst dreizehn. Er packte sie vor dem Store und wollte sie am Arm mit sich ziehen. Als ihr Vater aus dem Store kam und Jesse zur Seite stieß, dabei das Mädel von ihm wegriss, da zog Jesse und schoss sofort. Er machte die Kleine zu einer Halbwaise. Aber dann sahen wir hier alle rot. Als er zu seinem Pferd ging, begannen einige Gewehre aus den Fenstern zu schießen.«
Er verstummte heiser.
Mein Bruder Jesse, der zufällig genauso hieß wie Jed Chattanoogas Bruder, verzog sein Gesicht.
»Und dann hattet ihr Angst vor seinem großen Bruder«, sagte er. »Ihr glaubtet, dass er euch hier klein machen könnte, weil er doch einen solch berüchtigten Ruf besaß. Ihr hättet ihn kommen lassen sollen, um ihn hier klein zu machen wie den kleinen Jesse. Na gut, gehen wir!« Ich sah den Wirt an.
»Die fünfhundert Dollar behalte ich«, sagte ich. »Denn es macht ja wohl keinen Unterschied, ob ich oder mein Bruder euch Jed Chattanooga vom Halse hielten? Oder?«
Er schluckte und schüttelte den Kopf.
»Nein, es macht nichts aus«, murmelte er. »Wir sind froh, dass Jed Chattanooga nicht mehr selbst oder mit einer Bande kommen kann. Das Leben hier bei uns kann endlich wieder seinen normalen Gang gehen.«
Wir gingen hinaus. Draußen nahm mein Bruder sein müdes Pferd.
»Ich werde es im Mietstall gegen ein frisches Tier umtauschen«, sagte er. »Denn wir müssen reiten, Cash.«
Ich sah ihn an.
Und ich wusste nun, dass er nicht zufällig zu mir gekommen war.
»Wohin?« So fragte ich nur.
»Heim, nichts als heim«, erwiderte er ernst. »Unsere Mam ist gestorben. Es gibt keinen Grund mehr, von daheim wegzubleiben. Oder doch?«
Ich stand starr neben ihm und seinem müden Pferd.
Dass Mam tot war, traf mich schlimm. Zugleich auch verspürte ich das Gefühl von Schuld in vielerlei Hinsicht.
Ich hatte stets wenig von mir hören lassen und nur selten etwas Geld geschickt. Manchmal hatte ich monatelang nicht an sie gedacht – oder aber nur sehr flüchtig. Ich war meine Zickzackfährte geritten und oft genug in Schwierigkeiten gewesen. Nur manchmal, wenn es mir schlecht ging – wenn ich Hunger spürte, Verwundungen schmerzten – und wenn ich einsam war, da dachte ich an unsere kleine Mam, die uns fortgeschickt hatte, damit wir Männer wurden und die Morgans uns nicht vorher zerbrechen konnten.
»Sie soll im Bett gestorben sein«, sagte mein Bruder Jesse. »Einfach nicht mehr aufgewacht. Pedro brachte mir die Nachricht nach Nogales. Ich horchte herum, wo ich euch vielleicht finden konnte. Da erhielt ich die Nachricht, dass du hier herumsitzen würdest, um für dieses Nest mit Jed Chattanooga zu kämpfen, wenn dieser kommen sollte, seinen kleinen Bruder zu rächen. Einer der Postfahrer erzählte es im Saloon von Nogales. Nun, ich weiß auch, wo wir Bac finden. Also los, Kleiner.«
Er wollte sich mit seinem müden Pferd in Bewegung setzen.
Doch ich hielt ihn an der Schulter zurück.
»Sag nicht mehr Kleiner zu mir«, murmelte ich. »Diese Zeiten sind längst schon vorbei. Und trage nie wieder meine Kämpfe aus, Jesse!«
Er sah mich aus schmalen Augen an, und er war ein indianerhaft wirkender Bursche mit ein paar Narben im Gesicht und einem geschmeidigen Körper. Er war der älteste von uns Shannon-Jungens. Damals hatte er als erster von daheim fortgehen müssen.
Ich konnte wahrscheinlich nur ahnen, wie es im Herzen unserer Mam ausgesehen haben mochte, als sie uns damals in Abständen von kaum mehr als einem Jahr nacheinander fortschickte, kaum dass wir siebzehn waren und bevor wir für die Morgans als Männer galten.
»In Ordnung, Cash«, hörte ich Jesse sagen. »Ich werde dich nicht mehr Kleiner nennen.«
Ich nickte nur.
Und dann gingen wir, um uns beritten zu machen.
Ich war fertig hier. Mein Bruder hatte die Arbeit für mich erledigt. Ich konnte die fünfhundert Dollar behalten.
Und vielleicht konnten wir sie gebrauchen. Ich ahnte es irgendwie.
Wir sprachen wenig – auch dann nicht, als wir schon ritten und unterwegs nach Westen waren.
Ich dachte immerzu an unsere Mam. Viele Dinge aus meiner Kindheit fielen mir ein. Ich erinnerte mich daran, wie Mam mich versorgte, wenn ich krank war – und wie sie mit mir betete und mir das Lesen, Schreiben und Rechnen beibrachte. Sie war immer sehr geduldig gewesen, und niemals war ihr etwas Zuviel.
Jetzt war sie tot.
Im Bett war sie für immer eingeschlafen.
Wenigstens einen gnädigen Tod hatte sie bekommen auf dieser Erde, nachdem sie zuerst den Mann und nacheinander ihre vier Söhne verlor.
Ja, verdammt noch mal, sie hatte uns gewissermaßen verloren, nur weil dies besser für uns war.
Ich erinnerte mich auch wieder an John Morgan, der damals gekommen war, um unseren Vater zu töten.
Sie hatten miteinander gekämpft.
Unser Vater verlor.
Und seit diesem Tage konnte unsere kleine Mam nicht mehr weinen.
Ich riss mich aus meinen Gedanken, verdrängte all die Erinnerungen und sah auf meinen ältesten Bruder Jesse.
Dieser ritt auf einem frischen Pferd, so als hätte er nicht schon ein Pferd müdegeritten und mit einem Manne wie dem berüchtigten Jed Chattanooga um Leben und Tod gekämpft.
Jesse war vielleicht der zäheste Mann von uns.
Ich versuchte mir meine beiden anderen Brüder vorzustellen. Aber es gelang mir nur unvollkommen. Bill hatte ich schon sechs Jahre und Bac schon vier nicht mehr gesehen.
☆
Wir brauchten zwei Tage bis Mersilla. Jesse umritt den Ort halb, so dass wir uns von hinten dem Gasthaus näherten, an das sich die größte Bodega anschloss.
Es gab hier eine schattige Veranda, deren Dachstützbalken von Wein umrankt wurden, in dem dicke Trauben hingen.
In einer Hängematte lag ein großer Mann. Seine Stiefel standen unter ihm. Ein Colt lag auf seinem Bauch. Und neben ihm stand eine hübsche und auf appetitliche Art dralle Mexikanerin, die ihm gerade ein gefülltes Glas reichte.
Und weil der Mann in der Hängematte seinen Kopf heben musste, um trinken zu können, sah er uns heranreiten.
Er trank, indes er uns beobachtete.
Es war unser Bruder Bac. Er war so dunkel und grauäugig wie Jesse, doch noch etwas schrägäugiger. Und er trug einen Sichelbart, während Jesse stets glatt wie ein Indianer war.
Als wir unsere Pferde vor der Veranda verhielten, hatte er das Glas geleert. Er reichte es der hübschen Frau und sagte: »Bringe einen ganzen Krug und noch zwei Gläser, Juanita. Denn das sind meine Brüder Jesse und Cash.«
Sie sah uns lächelnd an. Wir zogen vor ihr unsere Hüte, denn eine Frau, die für unseren Bruder Bacchus so gut sorgte, die verdiente es, dass wir höflich waren. Doch das wären wir ohnehin gewesen, denn das hatte uns unsere Mam beigebracht.
Aber wir stiegen nicht aus den Sätteln.
Jesse sagte: »Wir können vor Anbruch der Nacht noch mehr als zehn Meilen reiten, Bac – wenn du nur bald im Sattel sitzen würdest.«
»Heh«, machte Bac nur und bewegte sich nicht.
Juanita aber sagte: »Er wird nicht wegreiten. Er gehört zu mir und bleibt bei mir. Er hat seinen festen Platz gefunden. Wenn Ihr nicht absteigen und unsere Gäste sein wollt, dann reitet ohne ihn!«
In ihre Stimme kam zum Schluss eine spürbare Härte. Sie war also nicht nur auf dralle und appetitliche Art hübsch und fraulich, sondern auch recht energisch. Sie war eine Patrona. Nun glaubte ich, dass ihr das alles hier gehörte.
Wir starrten Bac an und achteten gar nicht so sehr auf sie.
Und Bac fragte: »Gibt es einen wichtigen Grund, mich in den Sattel zu bringen?«
»Mam ist tot«, sagte Jesse. »Sie starb im Bett.«
Bac lag still in der Hängematte. Er hielt jetzt seine Augen geschlossen. Jesse und ich, wir wussten genau, was jetzt in ihm war. Denn wir hatten es ja vor ihm schon erlebt.
Auch Bac erinnerte sich jetzt an alles. Die Kindheit und jener Tag, da er fortreiten musste, waren wieder vor seinen Augen.
Plötzlich erhob er sich aus der Hängematte und fuhr geschickt in die davor wartenden Stiefel.
Er sah jene Juanita an und sagte: »Das musst du verstehen, mein Augenstern. Unsere Mam ist tot – und da gibt es jetzt eine Menge zu regeln.«
Sie sah ihn an, und sie hatte am Anfang Hoffnung in den Augen. Doch weil sie ihn schon so gut kannte, wie eine Frau ihren Mann nur kennen konnte, erlosch die Hoffnung in ihren Augen.
»Ich werde eine Weile auf dich warten«, sagte sie. »Doch nicht zu lange. Nicht solange wie eine Witwe nach dem Tode ihres Mannes.«
»Das ist richtig«, sagte er.
Wir hörten nicht länger mehr zu, was das Paar sich noch zu sagen hatte. Wir wandten unsere Pferde und ritten langsam voraus.
Wir waren keine zwei Meilen weiter, als er uns eingeholt hatte und sein Pferd neben uns zurücknahm.
»Ich werde Schwielen am Hintern haben, bevor wir fünfzig Meilen weiter sind«, sagte er. »Ich hab nur immer in der Hängematte oder im Bett gelegen und bin nur dann und wann mal aufgestanden, um mich an einen Tisch zu setzen. Dieses Leben konnte ja den härtesten Mann kaputtmachen.«
Er sprach nicht über unsere Mam.
Und daran erkannten wir, wie nahe ihm ihr Tod ging. Wir waren nun bis auf unseren Bruder Bill vollzählig.
Nachdem wir eine Weile geritten waren, fragte ich Bac, ob er was von Bill wüsste. Doch Bac schüttelte den Kopf.
»Ich hörte nur«, sagte er nach einer Weile, »dass er am Mississippi als Preisboxer kämpfte. Ich sah mal ein Plakat, welches solch einen Kampf ankündigte in New Orleans. Ein Whiskyreisender hatte mit solch einem Plakat seinen Koffer ausgelegt, in dem er die Schnapsproben transportierte. Er hatte auch den Kampf gesehen. Bill hatte verloren. Er sei nicht so gut gewesen wie sein Gegner, den sie den Stier vom Mississippi nannten. Aber das alles war schon vor fast einem Jahr. Vielleicht ist Bill jetzt in Montana oder sonst wo. Wer kann wissen, wohin ein Preisboxer verschlagen wird?«
Wir schwiegen und ritten unseren Weg. Aber jeder von uns dachte gewiss darüber nach, wie wenig aus uns doch geworden war – wie wenig, worauf unsere Mam hätte stolz sein können.
Gewiss, wir waren hart geworden. Wir konnten kämpfen. Das war alles.
Und es hatte uns nichts eingebracht, gar nichts!
Wir hatten keinen festen Platz gefunden. Wir hatten nichts aufgebaut. Und wir alle waren doch schon – wie man im Volksmund so sagte – »gestandene Männer.«
Ein paar Kämpfe, Zickzackfährten, Abenteuer, Wagnisse, ein paar Frauen – und einige Narben innen und außen, das war wohl alles, was all die Jahre beinhalteten.
Und jetzt ritten wir heim.
Unserer Mam zuliebe waren wir fortgeritten und weggeblieben.
Jetzt war sie tot. Jetzt ritten wir heim.
Wie aber würden wir unseren Bruder Bill finden können?
Auch er würde auf der Stelle heimkommen. Das war klar. Das wussten wir.
Mam würde bei unserer Ankunft schon viele Tage unter der Erde liegen. Hoffentlich hatten sie Mam neben ihrem Mann, unserem Vater, ins Grab gelegt. So waren sie im Tode vereint, nachdem sie es wegen John Morgan im Leben so kurz nur sein konnten.
Oberhaupt dieser John Morgan. Indes wir ritten, dachte jeder von uns ganz gewiss immer wieder an diesen harten Mann, der unsere Familie zerbrach.
Unsere Mam hätte natürlich mit uns das Land verlassen können, damals, als wir noch halbwüchsige Jungens waren.
Aber sie blieb dort, wo ihr Mann und unser Vater in der Erde lag. Sie blieb dort an jenem Platz, den unser Vater für uns ausgesucht hatte, und wo er eine Brücke über den Fluss hatte bauen wollen.
☆
Am Abend des nächsten Tages erreichten wir die Stadt Pascal.
Es war eine kleine Stadt am Wagenwege zwischen El Paso und San Antonio. Die großen Wagenzüge verkehrten hier und versorgten das weite Land westlich des Pecos River längs der Grenze.
Hier bei Pascal rasteten stets viele solcher Züge. Pascal war ein großer Versorgungspunkt auf hundert Meilen in der Runde. Es gab immer viele Besucher in der eigentlich recht kleinen Stadt.
Diesmal schienen noch mehr Leute hier zu sein als sonst.
Und gleich am Eingang stand ein Mann, der uns anhielt und sein Notizbuch zückte. Er sagte: »Ich bin Will Snail und bekannt als ehrenwerter Geschäftsmann. Ich nehme noch Wetten an für den großen Preiskampf. Auf wen möchten die Gentlemen setzen? Ich zahle fünf zu eins aus, wenn Bill Shannon gewinnen sollte. Mehr ist nicht drin! – Also, Männer, wie ist es?«
Wir staunten.
Doch wir staunten schweigend.
Da hatte das Schicksal sich mal wieder einen Scherz erlaubt.
Wir alle hatten uns die vergangenen Tage unseres Reitens den Kopf zerbrochen, wo wir unseren Bruder Bill wohl finden konnten.
Und nun trafen wir ihn hier in einer kleinen Stadt.
Es musste ziemlich bergab mit ihm gegangen sein, dass er nicht mehr am Mississippi boxte, sondern so weit nach Westen kam. Er brachte am großen Strom, wo man ihn wahrscheinlich als Niete kannte, keine Zuschauer mehr und konnte deshalb auch keine richtige Wettchance mehr geben. Niemand setzte noch auf ihn.
Nun war er hier. Vielleicht hatte es ihn in die Nähe seiner Heimat gezogen. Oder vielleicht war es reiner Zufall, dass sein Weg als heruntergekommener Preisboxer ihn nach Pascal führte?