G. F. Unger Sonder-Edition 172 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 172 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Die letzte Stadt
Von G.F. Unger

Seit einigen Jahren lebt Lincoln Donovan, einst der "harte Donovan" genannt, auf seiner einsamen Pferderanch im Comanche Canyon. Nach vielen blutigen Kämpfen, rauchigen Fährten und gefahrvollen Wegen ist er hier zur Ruhe gekommen. Auch als sein ehemaliger Boss, Colonel Jack Grant, US-Marshal von Wyoming, ihn um Hilfe bittet, lässt Line Donovan sich nicht erweichen, noch einmal den Stern zu nehmen und einer wilden Goldgräberstadt das Gesetz zu bringen. Erst als er erfährt, dass sein bester Freund in Opal City unter den Kugeln eines gedungenen Meuchelmörders den Tod fand, geht er noch einmal auf den rauen Trail. Aber das hat Line Donovan sich geschworen: Opal City wird die letzte Stadt sein, die er bändigt, so oder so ...

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Seitenzahl: 221

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Die letzte Stadt

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto/Norma

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-8500-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die letzte Stadt

Seit einigen Jahren lebt Lincoln Donovan, einst der »harte Donovan« genannt, auf seiner einsamen Pferderanch im Comanche Canyon. Nach vielen blutigen Kämpfen, rauchigen Fährten und gefahrvollen Wegen ist er hier zur Ruhe gekommen. Auch als sein ehemaliger Boss, Colonel Jack Grant, US-Marshal von Wyoming, ihn um Hilfe bittet, lässt Linc Donovan sich nicht erweichen, noch einmal den Stern zu nehmen und einer wilden Goldgräberstadt das Gesetz zu bringen. Erst als er erfährt, dass sein bester Freund in Opal City unter den Kugeln eines gedungenen Meuchelmörders den Tod fand, geht er noch einmal auf den rauen Trail. Aber das hat Linc Donovan sich geschworen: Opal City wird die letzte Stadt sein, die er bändigt, so oder so …

Von der Veranda seiner Ranch blickt Lincoln Donovan den Comanche Canyon hinunter. Es ist ein mächtiger Canyon, durch den sich ein Creek und eine kleine Straße winden. Diese Straße war früher ein Büffel- und Indianerpfad. Jetzt führt sie zu Lincoln Donovans Ranch.

Der große Mann auf der Veranda sieht die mächtigen Schultern, Rücken und Kuppen der Berge ringsum, er sieht seine Pferderudel unten im geschützten Canyon grasen, und er genießt die stille Stunde vor dem Sonnenuntergang.

Ja, das Land ist schön. Es ist ein Land für einen Mann wie Lincoln Donovan, den man den »harten« Donovan nannte und der der Held vieler Legenden wurde.

Dies hier ist seine Pferderanch. Und zu seinen Füßen liegt sein Land. Er ist hier König. Nach vielen Kämpfen, langen Fährten und rauen Wegen ist er hier zur Ruhe gekommen.

Lincoln Donovan beobachtet schon eine ganze Weile den Reiter unten im Canyon. Pferd und Mann sind noch winzig klein. Sie kriechen scheinbar im Schneckentempo aus den dunklen Schatten des Canyons hervor und arbeiten sich unendlich langsam höher. Dann kommen sie in den Sektor, der noch im letzten Schein der Sonne liegt. Und jetzt sieht Lincoln Donovan auch die Staubwolke, die der Reiter hinter sich lässt.

Er erkennt den Reiter nun.

Und weil er ihn erkennt, wird sein dunkles Gesicht noch härter und bewegungsloser. Es ist ein kühnes, fest gefügtes Gesicht, mit dunklen Linien und einigen Zeichen und Spuren, die als Erinnerung von harten Kämpfen zurückblieben.

Da ist die Narbe über dem linken Wangenknochen. Da ist das verstümmelte rechte Ohr. Die Nase wurde einmal geknickt und sitzt jetzt etwas schief. Über der rechten Schläfe zieht sich eine weiße Haarsträhne durch das blauschwarze Haar.

Lincoln Donovans Augen sind grau, sie sind so grau wie der Rauch eines Feuers – oder wie der Morgennebel über einem Fluss. Und sie sind scharf, kühl und fest.

Dies ist ein Mann.

Der Reiter dort unten nimmt jetzt das letzte Stück des Aufstiegs in Angriff. Er reitet schnell und schont sein Pferd nicht. Er reitet auf einem riesigen Rappen.

Und je näher er dem Ranchhaus kommt, umso mehr erkennt man, dass es sich um einen nur mittelgroßen, sehnigen, lederhäutigen und spitzbärtigen Mann handelt.

Es ist Colonel Jack Grant, der US-Marshal von Wyoming. Er kommt nun im Schritt auf den Hof geritten und wirft einen schnellen Blick zum Schlafhaus hinüber, vor dem die drei Reiter dieser Ranch auf den Ruf zum Abendbrot warten. Er reitet bis vor die Veranda des Ranchhauses und hält an.

Seine Falkenaugen betrachten den Rancher. Da er noch im Sattel sitzt, befinden sie sich ungefähr in gleicher Höhe. Und sie betrachten sich schweigend und prüfend. Sie haben sich mehr als ein Jahr nicht gesehen, aber es gab eine Zeit, da kämpften sie Seite an Seite in wilden Städten und verschafften dem Gesetz Geltung.

Colonel Jack Grant bewegt sich nur wenig im Sattel.

»Nun«, sagt er sanft, »du hast dir eine schöne Ranch aufgebaut, mein Junge. Und dies hier ist ein schönes Land – etwas wild und rau zwar, aber ein Land für Männer und Pferde. Es ist ein guter Ort, um auszuruhen, nicht wahr?«

Lincoln Donovan erhebt sich. Jetzt sieht man, dass er in den Stiefeln einsneunzig misst und sicherlich für jeden Zentimeter seiner Länge auch ein Pfund Gewicht auf die Waage bringt.

Er sagt: »Ich ahne etwas, Jack, und deshalb weiß ich nicht, ob ich über deinen Besuch erfreut sein kann. Aber steig ab, Colonel!«

Er hebt die Hand. Von drüben kommt einer seiner Cowboys herüber und übernimmt das Pferd des Besuchers. Der Colonel kommt auf die Veranda herauf. Als er vor Lincoln Donovan anhält, sieht man, dass er einen vollen Kopf kleiner ist als dieser.

Er setzt sich auf die Bank und holt den Tabaksbeutel und eine alte Pfeife hervor.

»Setz dich neben mich, Linc«, brummt er, »ich habe mit dir zu reden.«

Lincoln setzt sich neben ihn und lehnt seine Schulterblätter an die Hauswand. »Jack«, sagt er, »die Zeit ist vorbei. Ich kämpfe nicht mehr in wilden Städten. Das ist vorbei.«

Colonel Grant pafft eine Weile schweigend. Dann murmelt er sanft: »In den Wind-River-Bergen gibt es eine wilde Stadt. Sie ist wie ein Giftpilz aus dem Boden geschossen, und es gibt dort noch kein Gesetz. Die Stadt nennt sich ›Opal‹, und sie ist der Ort allen Übels auf hundert Meilen in der Runde.«

»Was kümmert mich das«, erwidert Lincoln ebenso sanft. »Ich lebe hier.«

Colonel Grant sieht ihn von der Seite an. »Linc, ich brauche dich.«

»Bist du selbst in Not?«

»Nein, aber ich will einen großen Krieg verhindern.«

»Du hast genügend tüchtige Jungens zur Hand. Schick sie hin, und sie werden die Arbeit verrichten. Meine Zeit ist vorbei. Ich bin dreißig geworden, und ich habe Glück gehabt. Ich möchte dieses Glück nicht nochmals auf die Probe stellen.«

Wieder schweigen sie eine Weile und beobachten die sinkende Sonne. Sie verschwindet purpurfarben im Westen und färbt den Himmel rot. Sie verabschiedet sich mit ihrer ganzen mächtigen, glutvollen Schönheit und lässt die Schatten in den vielen Schluchten und Canyons undurchdringlich werden.

Der Wind strömt von unten herauf und bringt den Duft von warmer Erde, von Gras, Wald und Wasser mit herauf. Überall ist es still. Nur in der Ferne kreisen zwei mächtige Adler im roten Licht der Sonne.

Colonel Grant klopft seine Pfeife aus.

»Keiner meiner Jungens ist gut genug für Opal. Ich hatte Jim Ward zuletzt dort. Jetzt ist er tot. Jim Ward war dein Freund, Linc. Sie haben ihn mit Schrot erledigt.«

»Wer?«

Colonel Grant beantwortet Lincolns Frage mit einem Seufzer.

Dann hebt er die eckigen Schultern, und die hundert Fältchen in seinem lederhäutigen Gesicht vertiefen sich.

»Die ganze Auswahl ist in Opal«, sagt er bitter. »Alle großen und schlimmen Burschen sind dort. Es gibt viele Möglichkeiten. Ich sehe noch nicht richtig klar. Da ich dich nicht mehr zur Verfügung, hatte, war Jim Ward mein bester Mann. Und ich selbst bin zu alt geworden. Ich kann nicht mehr gegen das höllische Rudel ankämpfen. Ich bin ein alter Hund, der keine Zähne mehr hat.«

»Wer ist in Opal?«, fragte Lincoln wieder.

Der US-Marshal nimmt sich Zeit. Dann aber zählt er auf: »Russ Rockstone und Peak Denver sind dort. Und dann auch Hack Stage und Flush Sands.«

Er schweigt wieder eine Weile und beobachtet Lincoln von der Seite her.

»Es wird viel Blut fließen, und es wird viele Tote geben«, sagt er bitter, »denn sie kämpfen um die Macht. Russ Rockstone und Peak Denver beherrschen die Stadt und beschützen die Viehdiebe und Maverickjäger. Hack Stage und Flush Sands stehen auf der anderen Seite. Und wer zwischen diese beiden Gruppen gerät, der wird einfach wie ein Käfer zerquetscht. Linc, wir müssen das Gesetz nach Opal bringen, damit alle friedlichen und guten Menschen, die zwischen beiden feindlichen Gruppen leben müssen, nicht zertreten werden. Du kennst doch den Stil und das Schema dieser rauen Burschen, Linc: ›Bist du nicht für mich, so bist du mein Feind‹. So ist das doch, nicht wahr? Du kennst sie alle, Linc. Und ich brauche dich. Vielleicht ist Opal die letzte wilde Stadt ohne Gesetz hier in Wyoming. Sie muss gebändigt werden.«

Er verstummt trocken. Seine Stimme hat zuletzt jenen harten Klang, den Lincoln Donovan so gut kennt.

Er zögert mit der Antwort, und dann murmelt er unwillig: »Warum soll gerade ich sie bändigen?«

Er spricht diese Worte mechanisch. Seine Gedanken sind schon mit anderen Dingen beschäftigt.

Er denkt an Jim Ward, und die Erinnerung an viele Dinge wird mächtig in ihm. Ja, Jim Ward!

Jim und er waren Freunde und Sattelpartner. Jack Grant war ihr Lehrmeister. Damals! Sie waren Satteltramps, die nach dem Krieg nirgendwo eine Heimat finden konnten, als Jack Grant sie zu sich nahm. Und er gab ihnen Ziele und Aufgaben. Sie wurden seine besten Hilfsmarshals. Er zeigte ihnen, wie man zu kämpfen hat, wenn man einen Stern trägt. Und ihre Treue zu ihm und dem Gesetz machte sie unbestechlich und verantwortungsbewusst.

Lincoln Donovan denkt immer intensiver an Jim Ward. Die Bilder vieler Geschehnisse erscheinen vor seinen Augen, die ins Leere blicken.

Da war Dodge City. Und Abilene! Und Hays City! Und andere Städte, Minenlager und Eisenbahnkopfstationen. Da waren Fehden zwischen Siedlern und Rinderleuten.

Und überall griffen Jim Ward und Lincoln Donovan ein.

Eines Tages aber hatte Lincoln Donovan genug. Er wollte keinen Colt mehr tragen, nicht mehr auf Männer schießen – und nicht mehr töten. Er nahm seinen Abschied und baute diese Ranch auf.

Jim Ward aber blieb Hilfsmarshal der Vereinigten Staaten.

Und jetzt ist er tot.

Lincoln sieht ihn im Geiste vor sich stehen und auf seine wilde Art grinsen. Ja, er sieht den kantigen, rothaarigen, sommersprossigen Jim noch einmal im Geiste vor sich.

Und er wird sich in diesen Sekunden darüber klar, dass Jim, wenn er an Lincs Stelle wäre, alles aufgeben und sich auf ein Pferd setzen würde, um den oder die Mörder zu suchen.

Das würde Jim tun.

Lincoln Donovan denkt auch an das ungeschriebene Gesetz aller US-Marshals. Es ist ein Gesetz, auf das sie nicht vereidigt wurden – das aber dennoch besteht.

Noch niemals blieb der Mord an einem US-Marshal ungesühnt!

Immer wurden die Mörder überführt und dem Gesetz übergeben.

So ist das.

Colonel Jack Grant bewegt sich neben dem brütenden Mann.

»Linc«, murmelte er, »ich will nicht, dass du ausreitest, um Jim zu rächen. Ich will, dass du das Gesetz nach Opal bringst. Das ist deine Aufgabe. Dabei wirst du natürlich auf Jims Mörder stoßen. Aber nicht Rache, sondern der Auftrag des Gesetzes soll dich leiten. Hast du mich verstanden?«

Linc gibt noch keine Antwort. Sein Blick schweift in die Runde. Es ist schon dunkel geworden. Im Schlafhaus brennt eine Lampe. Auch aus dem Küchenhaus fällt Licht. Die Schatten der Cowboys bewegen sich manchmal drüben auf der Bank.

Dann tritt der Chinese aus der Küchentür heraus und ruft mit seiner Fistelstimme: »Essen feltig! Alle Leitel essen kommen! Viel gut Essen heute!«

Die Schatten der Cowboys bewegen sich. Sporen klirren. Die Männer erscheinen nacheinander im Lichtstreifen und verschwinden im Speiseraum.

Linc beugt sich vor, legt seine Unterarme auf die Knie und knetet seine Hände.

»Jack«, sagt er heiser, »wenn ich nach Opal gehe, dann werde ich wieder töten müssen. Ich werde auf Russ Rockstone, Peak Denver, Hack Stage und Flush Sands stoßen – und sicherlich auch noch auf andere Burschen, die mich genau kennen, die mich hassen, weil ich sie damals aus anderen Städten gejagt habe – und die mich töten wollen. Ich werde wieder töten müssen, um am Leben bleiben zu können. Das ist schwer. Auch mit einem Stern an der Weste ist es schwer, an die Rechtlichkeit der eigenen Taten zu glauben. Das eigene Gewissen setzt einem zu. Man fragt sich lange Nächte lang ständig, ob man richtig gehandelt hat – oder ob man nur ein blutiger Killer ist. Man fragt sich, ob man das Recht dazu hat, Menschen wie Raubwild zu jagen. Jack, ich habe meine beiden Colts in eine Schublade gelegt. Und ich habe Angst, sie wieder hervorzuholen. Denn dann geht es wieder los. Die Nervenbelastung. Das ständige Bereitsein! Die Einsamkeit! Und es gibt immer wieder jene Momente, da man vor der Entscheidung steht. Jack, ich glaubte, dass ich dies alles nicht mehr tun müsste. Wenn ich jetzt nein sage, was wirst du dann tun? Wen wirst du dann nach Opal schicken?«

Die Dunkelheit ist nun so vollkommen, dass sich die beiden Männer nicht mehr ansehen können. Sie fühlen nur ihre Nähe, hören sich und sehen ihre undeutlichen Gestalten gegenseitig auf der Bank.

Jack Grants Stimme klingt sanft: »Als du den Stern ablegtest, Linc, war Jim Ward mein bester Mann«, murmelt er. »Ich schickte ihn nach Opal, und er schaffte es nicht, sich dort behaupten zu können. Meine anderen Jungens sind nicht so gut. Sie sind nicht gut genug für diese raue Bande dort. Außerdem habe ich keinen Mann mehr zur Verfügung. Alle sind irgendwo eingesetzt. Ich bin knapp an Leuten, denn du weißt ja, dass ich nicht jeden nehme. Linc, wenn du nicht reitest, dann muss ich selbst nach Opal. Ich kann es nicht verantworten, einen meiner Jungens hinzuschicken, denn sie sind diesen Tigern in Opal ganz einfach nicht gewachsen. Ich würde sie in den Tod schicken. Nun, ich bin ein alter Hase. Vielleicht schaffe ich es noch einmal.«

Lincoln Donovan atmet langsam aus.

Dann sagte er bitter: »Nun gut, Jack, du hast gewonnen. Ich gehe nach Opal. Aber ich schwöre dir jetzt schon, dass es die letzte Stadt sein wird, die ich bändige und der ich das Gesetz bringe. Komme nie mehr wieder zu mir, Jack. Es ist meine letzte Stadt!«

»Yeah«, sagt Jack Grant rau und erhebt sich. Er greift in die Tasche und holt ein kleines Päckchen heraus. Er drückt es Linc in die Hand und murmelt: »Hier! Das ist die Plakette – und die neue Bestallung. Du bist wieder Captain Lincoln Donovan. Dein Eid gilt wieder. Wenn du es nicht schaffen kannst, dann wird der Gouverneur in Opal den Ausnahmezustand verhängen und ein Kommando der Armee in die Stadt stationieren. Viel Glück, Linc.«

Der erhebt sich langsam.

»All right, Jack! Danke! Geh nur zum Abendbrot. Ich komme später.«

Er geht um den alten Kämpen herum und in sein Ranchhaus hinein. Er schließt die Tür und tastet sich zum Tisch. Dort zündet er eine Lampe an und geht damit in sein Schlafzimmer.

Er tritt zum Spiegel und hält die Lampe dicht neben sein Gesicht. Er sieht sich im Spiegel an. Er seufzt und wendet sich ab. Langsam stellt er die Lampe ab und geht zu einer Kommode. Aus dem untersten Schubfach holt er einen Kreuzgurt mit zwei Colts heraus.

Es sind zwei alte, schwere Waffen. Ihre einfachen Walnussholzkolben sind abgegriffen.

Er legt sich den Gürtel um. Die Halfter hängen tief unter den Hüften. Er tritt wieder vor den Spiegel, öffnet das kleine Päckchen und holt die Plakette eines US-Marshals hervor. Er steckt sie sich an die gelbe Lederweste und sieht sich wieder im Spiegel an.

»Zum Teufel«, sagt er. »So oder so wird es meine letzte Stadt sein.«

Lincoln Donovan benutzt die Überlandpost, und die ständig rollenden Postkutschen, die unterwegs immer wieder ihre Gespanne wechseln, bringen ihn in den nächsten achtundvierzig Stunden genau dreihundertsechzig Meilen weit nach Nordwesten.

Am Abend hält die Postkutsche vor der letzten Pferdewechselstation. »Zwanzig Meilen noch bis Opal!«, ruft der Fahrer und schwingt sich vom Bock. »Zehn Minuten Aufenthalt für einen Drink und ein frisches Gespann!«

Die Fahrgäste klettern steif aus der Kutsche. Die Fahrt durch das Sweet Water River Valley war heiß. Der Berufsspieler in seiner dunklen Tracht, der Whiskyreisende, das Saloonmädchen und die Farmersfrauen – alle klettern sie aus der Kutsche und verschwinden in der Station, die zugleich auch Handelsstore, Hotel, Schänke und Restaurant ist.

Lincoln Donovan folgt ihnen langsam.

Bevor er ins Haus tritt, sieht er sich um. Im Schein zweier Laternen tauschen die Männer das müde Gespann gegen frische Tiere aus.

Sonst ist nirgendwo in den tiefen Schatten der Stallgebäude, Schuppen, Scheunen und des Warenmagazins etwas zu erkennen.

Lincolns wachsame Bereitschaft lässt jedoch nicht nach. Er weiß, dass er sich nun schon im Machtbereich jener Männer befindet, die in der Stadt Opal das Heft in Händen halten.

Drinnen in der Wirtschaft stehen die Reisenden um ein kaltes Büffet herum, kauen belegte Brote und trinken Kaffee oder Whisky. Ein hässliches, mageres und verbittert wirkendes Mädchen bedient sie schweigsam.

Linc stellt sich ruhig ans Tischende und wartet. Als das Mädchen ihn ansieht, greift er höflich an die Hutkrempe und fragt: »Ma’am, könnte ich vielleicht ein richtiges Abendbrot bekommen, vielleicht ein Steak oder sonst etwas Handfestes?«

Die blauen Augen des Mädchens betrachten ihn erstaunt.

Wahrscheinlich hat hier noch nie ein Mensch so höflich zu ihr gesprochen. Sie ist genau das, was man als ein »hässliches Entlein« bezeichnet, und ihr Leben hier auf dieser einsamen Station ist bestimmt hart und bitter.

»Die Kutsche fährt in fünf Minuten wieder ab, Mister«, sagte sie zögernd. »In dieser kurzen Zeit kann ich nicht…«

»Oh, ich bleibe hier, wenn ich hier ein Pferd kaufen kann«, unterbricht Linc sie sanft.

»Das wird gehen«, murmelt sie und starrt ihn seltsam an.

Die heisere Stimme des Whiskyreisenden reißt sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Der Mann sagt: »Los, Kleine! Noch einen Whisky! Er ist zwar schlecht, aber ich muss mir den verdammten Staub aus der Kehle spülen. Mach schon, Mädel!«

Sie schenkt ihm ein Glas voll und bedient dann noch die anderen Reisenden. Linc geht hinaus zur Kutsche und holt seinen Sattel vom Dach herunter. Der Kutscher und ein anderer Mann treten zu ihm.

»Nanu?«, fragt der Kutscher.

»Ich bleibe hier«, sagt Linc und sieht den anderen Mann an.

Es ist der Stationsagent – ein starker, massiger Mann mit einem runden Schädel und einem Vollbart. Seine kleinen Augen funkeln seltsam im Schein der Laterne.

Er nickt, sieht Linc fest an und sagt: »Sicher. Dies ist ein Unterkunftshaus. Und da Sie einen Sattel bei sich haben, werden Sie wohl auch ein Pferd kaufen wollen. Auch das können Sie hier bekommen.«

Er geht ins Haus hinein. Der Fahrer klettert auf den Bock, knallt mit der Peitsche und ruft: »Es geht weiter! Es geht weiter! Kommt heraus, bevor ich abfahre!«

Die Fahrgäste kommen eilig heraus, klettern in die Kutsche.

Der Schlag knallt zu. Der Stallhelfer lässt die beiden Führungstiere los, und die Kutsche fährt in die Nacht hinein.

Linc steht mit seinem Sattel immer noch neben der Tür und wartet. Der Stallhelfer tritt zu ihm und sieht ihn an. Linc sieht einen großen, knochigen und hässlichen Mann, der sich schon eine ganze Woche nicht rasiert hat. Dieser Mann bleibt vor ihm stehen und sieht ihn schweigend von oben bis unten an. Dann geht er wortlos an ihm vorbei und um das Haus herum auf die Ställe zu.

Linc folgt ihm mit dem Sattel.

Im Stall brennt eine Laterne. In den Boxen stehen Pferde.

Der Stallmann deutet auf die linke Seite.

»Suchen Sie sich einen Gaul aus. Jeder dieser Böcke kostet fünfzig Dollar.«

Linc tritt in die erste Box und legt dem Tier den Sattel auf.

Es ist ein brauner Wallach. Linc weiß, dass die anderen Pferde nicht besser und auch nicht schlechter sind. Er will nur unbemerkt in die Stadt kommen und ist deshalb nicht sehr wählerisch. Indes er das Tier sattelt, freundet er sich mit ihm an. Der Stallmann beobachtet ihn schweigsam und bewegungslos. Von diesem knochigen Burschen geht ständig der Strom oder die Welle mürrischer Unfreundlichkeit aus. Als Linc einmal schnell den Kopf wendet und über die Schulter sieht, erkennt er, dass der Kerl höhnisch grinst und ein seltsames Glitzern in seinen Augen hat.

»Was ist, mein Freund?«, fragt er trocken.

»Sie haben sich das beste Pferd herausgesucht«, sagt der Mann, wendet sich ab und geht hinaus.

Linc ist bald mit dem Pferd fertig. Er führt das Tier hinaus und bis zur Haltestange vor dem Stationshaus. Bevor er eintritt, lauscht und wittert er nochmals in die Runde.

In der Ferne hört man noch das Rollen der Kutsche. Sie arbeitet sich zu dem Pass hinauf, hinter dem die Stadt Opal liegen soll.

Und in der näheren Umgebung ist nichts – gar nichts.

Lincoln Donovan atmet langsam aus. Seine wachsame Bereitschaft lässt nun etwas nach. Er tritt vom Pferd weg und öffnet die Tür. Der Raum ist leer, aber durch die offene Tür hört er das Mädchen in der Küche hantieren. Er hört sein Steak in der Pfanne braten, und er verspürt Hunger und Müdigkeit in den Gliedern. Aber er darf nicht hier übernachten. Die Postkutsche wird noch vor Mitternacht in Opal sein. Und da Linc Russ Rockstone und Peak Denver genau kennt, rechnet er auch damit, dass der Postkutscher von ihnen für gewisse Tipps Geld bekommt. Und da Jim Ward tot ist, erwartet man in Opal sicherlich einen neuen US-Marshal. Es ist anzunehmen, dass der Postfahrer in der Stadt von jenem hart aussehenden Fremden erzählt, der hier ausstieg. Und wenn Russ Rockstone sich dann eine Beschreibung des Fremden geben lässt, so wird er etwas tun.

Linc muss also sofort nach dem Abendbrot losreiten und in die Stadt kommen, bevor Russ Rockstone nach ihm suchen lässt. Mit der Kutsche konnte er nicht fahren, weil deren Ankunft bestimmt von Russ Rockstones Leuten überwacht wird. Er will nicht vom ersten Augenblick an in dieser Stadt überwacht werden. Er will einige Stunden unerkannt bleiben.

Deshalb stieg er hier aus und beschaffte sich ein Pferd.

Er überlegt mit gesenktem Kopf und starrt auf seine langen und geschmeidigen Finger, die auf der Tischkante ruhen. Aus der Küche klirrt Geschirr. Das Mädchen schürt auch den Ofen.

Wahrscheinlich sind die Geräusche daran schuld, dass Lincoln Donovan etwas anderes überhört.

Denn plötzlich reißt ihn ein Alarmsignal, das wie ein Schmerz durch seinen Körper zuckt, aus seiner brütenden Nachdenklichkeit. Er hebt den Kopf.

Und da sieht er den grinsenden Mann hinter dem Schanktisch. Nur der Oberkörper und der Doppellauf einer Schrotflinte sind zu sehen. Und der Mann sagt grinsend: »Willkommen, Linc Donovan! Russ Rockstone ist schlau. Er hat sich ausgerechnet, dass du nicht bis Opal fahren würdest. Wir warten schon drei lange Tage hier auf dich. Und wir wussten, dass du kommen würdest, weil Jim Ward dein Freund war.«

Das sagt der grinsende Bursche.

Linc kennt ihn. Das ist Peak Denvers jüngerer Bruder Chip. Damals in Abilene war Chip Denver noch eine kleine Giftkröte von knapp achtzehn Jahren. Heute ist er zweiundzwanzig und inzwischen zu einem Wolf herangewachsen. Dann und wann hat Linc in den letzten zwei Jahren etwas von Chip Denver gehört.

Und jetzt sieht er ihn wieder.

Er erhebt sich langsam.

Chip Denvers Stimme wird sofort schrill.

»Keine Bewegung, Donovan! Du siehst, dass ich eine Schrotflinte habe!«

»Yeah«, murmelt Linc. Er steht nun aufrecht und sieht den Burschen an.

Chip Denver ist klein und drahtig. Er hat schwarze, dreieckig wirkende Augen. Sein blauschwarzer Haarwuchs bildet über der niedrigen Stirn eine seltsame Spitze, die fast bis zur Nasenwurzel reicht. Er hat ein dreieckiges Gesicht mit einem spitzen Kinn.

Linc starrt diesen Burschen zwingend an.

»Junge«, sagt er ruhig, »ist das die Schrotflinte, mit der du Jim Ward getötet hast?«

Der Bursche gibt keine Antwort, aber er beginnt zu grinsen, voll Schadenfreude und Furcht zugleich. Er schluckt mühsam.

Und das ist für Lincoln Donovan auch ohne Worte eine deutliche Antwort.

»Chip«, sagt er bitter, »dein Bruder und Russ Rockstone lassen dich also die schmutzige Arbeit verrichten. Sie wollen eines Tages nicht für den Mord an einem US-Marshal hängen. Du wirst es sein, du Narr.«

Eine kleine Seitentür öffnet sich, und der Stationsagent und sein Gehilfe treten ein – wortlos und voll düsterer Entschlossenheit. Sie sehen Linc an, atmen einige Male tief ein, und dann sagt der Agent mit schwerer Stimme: »Ich dachte mir gleich, dass er es ist. Zum Teufel, Donovan, warum mussten Sie hier die Kutsche verlassen?«

Linc sieht den Mann fast mitleidig an. »Mister«, sagt er, »Russ Rockstone ist wohl sehr mächtig, was?«

Der Stationsagent nickt fast stumpfsinnig.

»Yeah«, sagt er schwerfällig, »Rockstone ist mächtig. Wir alle arbeiten für ihn. Und wir tun alles, was er uns aufträgt.«

Chip Denver stößt jetzt ein heiseres Lachen aus. Aber es klingt nicht wie ein Lachen – es ist der Laut eines Mannes, der sich Mut macht und den Anschein erwecken will, er wäre den kommenden Dingen gewachsen und könnte sie auf überlegene Art beherrschen und unter Kontrolle behalten.

Aber es ist ganz klar: Diesem Killer dort hinter dem Schanktisch, der ihn zur Hälfte deckt, sitzt die Furcht in den Knochen. Chip Denver ist sich sehr genau darüber klar, dass er dem großen, harten Lincoln Donovan gegenübersteht. Und vielleicht hat er auch wirklich das Gefühl, dass er nicht groß genug für diese Sache sein könnte. Trotz der Schrotflinte.

Er sagt plötzlich schrill: »Los, Phil! Hol dir seine Colts! Vorwärts, Phil!«

Der große, knochige Stationsgehilfe bewegt sich langsam.

Er biegt nach rechts aus, schiebt sich an der Wand entlang und kommt so hinter Linc.

Der sieht über die Entfernung hinweg in Chip Denvers Augen. Er erkennt dort das unruhige Flackern, und er weiß, dass Chip Denver abdrücken wird, wenn er sich jetzt auch nur leicht bewegt. Denver würde bestimmt abdrücken, auch dann, wenn der Stationsgehilfe sich mit in der Schusslinie befände.

Der knochige Bursche befindet sich jetzt hinter Linc. Er schiebt sich langsam näher.

Man hört seinen scharfen Atem. Und dann verspürt Linc diesen Atem in seinem Nacken. Zwei Hände ergreifen von hinten die Kolben seiner Colts.

In diesem Augenblick kommt das Mädchen mit einem Tablett, auf dem dampfende Schüsseln und Teller stehen, aus der Küche.

»Das Abendessen ist fertig!«, sagt sie laut und schrill.

»Bist du verrückt, Nell?«, brüllt der Stationsagent und gleitet auf sie zu.

Aber sie weicht mit dem Tablett aus und gelangt hinter den Schanktisch. Sie kommt in Chip Denvers Nähe, und Denver brüllt fast kreischend: »Schaffe sie hinaus! Sie ist närrisch geworden!«

Der Agent hat das Mädchen fast erreicht und streckt nun seine großen Hände nach ihr aus. Aber sie wirbelt herum und will mit dem Tablett hinter Chip Denver vorbei.

»Er ist hier Gast!«, ruft sie schrill. »Er hat ein Abendessen bestellt!«

Wieder entgleitet sie dem Zugriff des Mannes, ist nun bei Chip Denver, der nach ihr tritt – und da passiert es.

Das Mädchen kippt das Tablett um und wirft sich gegen Chip Denver. Der bekommt heißen Kaffee, Suppe, Bratkartoffeln und alles andere von der Seite her ins Gesicht.

Er brüllt auf, und er drückt vor Schmerz, den der heiße Kaffee auf seiner Wange erzeugt, beide Läufe der Schrotflinte ab.

Aber die Mündungen der Waffe zeigen in diesem Moment schräg nach oben. Die Ladungen prasseln gegen die Lampe, zerfetzen sie. Es wird dunkel.

Und Lincoln Donovan hat indes gehandelt. Er nützt die kümmerliche Chance, die ihm das verzweifelte Mädchen gibt.