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Und alle jagten Kellahan
Ben Kellahan zieht unheimlich schnell. Aber seine Gegner halten ihre schussbereiten Revolver schon in den Händen. Er wird zweimal getroffen. Schwankend feuert er zurück und erwischt den kleineren der beiden Revolverschwinger. Er sieht, wie der Mann zusammenbricht. Dann zuckt das Mündungsfeuer des zweiten Killers auf ihn zu. Wieder spürt er den Einschlag einer Kugel. Es wird dunkel vor seinen Augen. In seinem Körper ist ein dumpfer Schmerz, und bevor er die Besinnung verliert, denkt er mühsam: Das also ist das Sterben ...
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Seitenzahl: 198
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Und alle jagten Kellahan
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8877-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Und alle jagten Kellahan
Ben Kellahan zieht unheimlich schnell. Aber seine Gegner halten ihre schussbereiten Revolver schon in den Händen. Er wird zweimal getroffen. Schwankend feuert er zurück und erwischt den kleineren der beiden Revolverschwinger. Er sieht, wie der Mann zusammenbricht.
Dann zuckt das Mündungsfeuer des zweiten Killers auf ihn zu. Wieder spürt er den Einschlag einer Kugel. Es wird dunkel vor seinen Augen. In seinem Körper ist ein dumpfer Schmerz, und bevor er die Besinnung verliert, denkt er mühsam: Das also ist das Sterben …
Es sind vier gute Pferde, die Ben Kellahan in Toril verkauft, aber er erhält dennoch nur hundert Dollar vom Agenten der Postlinie dafür – und auch nur deshalb, weil die Apachen wieder einmal eine der wenigen Postkutschen überfallen haben und dringend Ersatzpferde gebraucht werden.
Doch hundert Dollar sind in dieser miesen Zeit so kurz nach dem Krieg fast so groß wie hundert Wagenräder.
Toril, so heißt der kleine Ort dicht bei der Sonora-Grenze, und Toril bedeutet soviel wie »Stier-Zwinger« oder »Stier-Corral«.
Als Ben Kellahan mit dem Geld in der Tasche aus der Hofeinfahrt des Wagenhofes der Post- und Frachtlinie tritt, trifft er auf zwei hartgesichtige Burschen.
Man sieht ihnen noch an, dass sie mal Cowboys waren wie er – doch das ist gewiss schon eine lange Zeit her.
Jetzt gehören sie zu einer anderen Sorte, und diese Sorte ist übel.
Einer sagt zu ihm: »Zwanzig Dollar, mein Bester. Gib sie her.«
Er streckt nicht die Hand verlangend aus – nein, er wartet wachsam. Er und sein Partner haben ein hartes Funkeln in ihren Augen. Ben Kellahan lässt sich Zeit.
Er hat die Rechte in der Hosentasche, und er hält dort die fünf Zwanzigdollarstücke fest – fünf Goldstücke, die der Postagent seufzend aus einem Tresor geholt hat.
»Ich bin euch nichts schuldig«, sagt Ben Kellahan endlich.
Er ist ein großer, sehniger und hagerer Bursche, und auf eine dunkle Art wirkt er still und zurückhaltend, aber doch wie ein fertiger Mann, der längst seine Lektionen lernen musste.
Sie grinsen zu seinen Worten, aber es ist nicht die geringste Spur von Freundlichkeit in ihrem Grinsen – eher schon eine unverhüllte Drohung.
»Du bist fremd hier, Hombre«, sagt der Sprecher. »Deshalb will ich es dir genau erklären. Dies ist ein schlechtes Land mit bösen Menschen. Und selbst in dieser Stadt ist man nicht sicher vor ihnen, besonders wenn man so allein und fremd ist und hundert Dollar in der Tasche trägt. Dann kann einem eine Menge passieren. Siehst du, Bruder, das alles wäre schlimm, wenn wir nicht unsere gemeinnützige Vereinigung gegründet hätten, die all denen Schutz gibt, die eines solchen auch bedürfen. Du bist solch ein Fall. Aber das kostet natürlich einen winzigen Betrag. Denn wir haben Unkosten. Wenn man bedenkt, was dir alles passieren kann, wenn du dich nicht von uns beschützen lässt, dann sind zwanzig Dollar geradezu lächerlich. Hast du jetzt alles genau begriffen, Pferdejäger?«
Er fragt es mit scheinheiliger Geduld.
Aber Ben Kellahan hat schon längst begriffen.
Dies hier sind Townwölfe, die in Toril an jedem Geschäft beteiligt sind, weil sie diese Stadt und vielleicht auch das ganze Land im weiten Umkreis beherrschen.
Hier muss jeder Mensch eine Art »Umsatzsteuer« an sie entrichten.
Hundert Dollar sind fünf Monatslöhne eines guten Cowboys.
Ben Kellahan hatte die vier Pferde unter einem drei Dutzend Köpfe zählenden Wildpferd-Rudel ausgesucht, zugeritten und auch an das Ziehen eines Wagens gewöhnt. Das alles war eine viele Wochen lang dauernde harte Arbeit.
Und ein Fünftel des Erlöses soll er nun aufgeben?
Er schüttelt den Kopf.
»Haut ab«, sagt er. »Ich brauche keinen Schutz von euch. Schleicht euch! Platz da!«
Er tritt auf sie zu, steigt ihnen fast auf die Füße. Er ist darauf vorbereitet, dass sie ihn anfallen. Sie sind fast so groß und so schwer wie er, gewiss auch erfahren in vielen Kämpfen, und wären sie das nicht, so hätte man sie nicht mit der Aufgabe des »Steuereintreibens« betraut.
Doch sie weichen auseinander, lassen ihn zwischen sich durch. Sie fallen ihn nicht an. Wortlos lassen sie ihn gehen.
Er sieht sich nicht nach ihnen um, ist aber bereit, sich blitzschnell zu ducken und herumzuwirbeln mit der Schnelligkeit eines Wildkaters.
Als er schräg über die Straße – sie ist nicht mehr als eine staubige und von Radfurchen geprägte Fahrbahn – geht, sieht er weiter in die kleine Grenzstadt hinein. Es wirkt alles so friedlich, freundlich und gut.
Überall wird gearbeitet. Aus der Schmiede klingen Hammerschläge. Eine Säge ist weiter entfernt zu hören. Vor dem Store wird ein großer Frachtwagen entladen.
Kinder spielen mit einem Hund. Ein Hahn kräht irgendwo. Oben aus dem Hotelfenster werden Kissen oder Decken ausgeschüttelt.
Alles wirkt so friedlich und freundlich.
Ben Kellahan spürt Hunger. Er hatte sich eigentlich beim Barbier die Haare stutzen lassen wollen. Er hätte auch ein neues Hemd und eine neue Hose gebraucht. Und natürlich wollte er im Hotel-Restaurant essen.
In den vergangenen Tagen hatte er sich immer stärker auf all diese bescheidenen Dinge gefreut.
Jetzt aber sagt sein Verstand ihm, dass es besser für ihn ist, ohne jeden weiteren Aufenthalt zu verschwinden, will er überhaupt ohne Verdruss davonkommen können.
Nicht mal in den Store will er noch gehen, um Tabak und Proviant für die nächsten zwei oder drei Tage zu kaufen.
Sein Ziel ist geradewegs der Mietstall neben der Schmiede.
Dort hat er sein Pferd untergebracht.
Er geht hinein und ruft nach dem Stallmann.
Am anderen Ende des Stalles klappt eine kleine Tür. Aber es ist nicht der Stallmann, der hereingekommen ist – nein, es muss jemand hinausgegangen sein.
Ben Kellahan ruft nochmals, sieht auch im Schlafverschlag des Stallmannes nach, in dem sich zugleich auch das Stall-Büro befindet. Doch auch hier ist kein Stallmann.
Da will Ben Kellahan schon mal sein Pferd satteln und aus der Box nach draußen bringen.
Es ist die dritte Box rechts vom Stallgang.
Als er sie erreicht, hört er sein Pferd noch einmal leise röcheln. Es klingt fast wie bei einem sterbenden Menschen.
Die Pferde in den anderen Boxen sind seltsam erregt und nervös. Sie bewegen sich unruhig, wiehern schrill, schnauben.
Dann riecht auch Ben Kellahan das Blut. Sein Pferd liegt im Stroh der Box.
Und als er es sich ansieht, ist ihm alles klar.
Jemand hat dem Tier vor einer knappen Minute die Kehle durchgeschnitten.
Dieser Pferdemörder ist hinten durch die kleine Tür hinaus, als Ben Kellahan hier vorne nach dem Stallmann rief.
Er verharrt einen Moment, und der heiße, wilde und nach Gewalttat verlangende Zorn steigt in ihm hoch.
Er weiß jetzt genau, in welche Stadt er geraten ist und wie sehr er jetzt in der Klemme sitzt. Diese harten Burschen hier stutzen zahlungsunwillige Leute nicht einfach nur zurecht – nein, sie statuieren dann gewiss jeweils ein Exempel und machen allen anderen Menschen klar, wie dumm es doch ist, sich ihnen widersetzen zu wollen.
Ben Kellahans Pferd war mehr als nur zwanzig Dollar wert.
Es war ein erstklassiges Tier, welches er für hundert Dollar nicht hergegeben hätte. Dieses Tier war abgerichtet als Rinderpferd und für den Wildpferdfang. Mit diesem Tier konnte ein Reiter gute Lassoarbeit leisten.
Jetzt bekam es einfach die Kehle durchgeschnitten.
Ben Kellahan bekommt seinen heißen Zorn schnell unter Kontrolle. Sein Verstand ist nicht der eines Hitzkopfes.
Ich muss weg hier – nichts wie weg, denkt er. Und wenn ich, ohne weitere Haare zu lassen, von hier fortkommen kann, dann muss ich dies noch als Glück ansehen.
Als er mit seinen Gedanken so weit ist, nimmt er seinen Sattel, die Deckenrolle und die Satteltaschen von der Stange. Hier hatte er alles aufbewahrt, wie es jeder Reiter im Mietstall tut, der noch kein Quartier fand.
Er legt alles auf die Futterkiste und setzt sich auf die Ecke.
Als der Stallmann hereinkommt, sieht er ihm ruhig entgegen. Dieser Stallmann ist ein schiefbeiniger und leicht hinkender Ex-Cowboy, der gewiss froh ist, hier einen Job gefunden zu haben. Er trägt nur ein Unterhemd zur Hose und Armee-Hosenträger darüber. Nun schiebt er seine Daumen in Brusthöhe darunter und lässt die Hosenträger schnappen.
»Ich brauche ein neues Pferd«, sagt Ben Kellahan zu ihm. »Ich will ein Pferd kaufen. Meinem hat jemand die Kehle durchgeschnitten. Aber Sie wissen gewiss nicht, wer das gemacht haben könnte?«
»Ich kenne nicht Ihre Feinde«, sagt der Stallmann. »Doch Sie haben gewiss welche. Und ein Pferd kann ich Ihnen nicht verkaufen. Es geht nicht. Für das Fortschaffen des toten Gaules nehme ich einen Dollar. Einen weiteren Dollar sind Sie mir für das Futter und die Unterkunft schuldig, die der Gaul bis jetzt genossen hat. Also zwei Dollar, Fremder!«
Er hält ihm die Hand hin, und er ist ein schon alter und verbrauchter Bursche, der nur Befehle ausführt und sich mit niemandem anlegen möchte.
Ben Kellahan gibt ihm die beiden Dollar – er hatte ja noch etwas Kleingeld in der Tasche außer den Goldstücken – und nimmt seine Siebensachen.
Er geht hinüber rum Wagenhof der Post- und Frachtlinie.
Dort in der Hofeinfahrt stehen immer noch die beiden hartgesottenen Townwölfe.
Schweigend lassen sie Kellahan passieren – und auch er schenkt ihnen nur einen schrägen Blick.
Der Post- und Frachtagent ist noch bei den Corrals und bespricht sich gerade mit einem seiner Helfer, wie sie die vier neuen Pferde an das Ziehen im Sechsergespann einer Überlandpost gewöhnen können.
Als Kellahan zu ihm tritt und sagt, dass er eins der vier Pferde gerne zurückkaufen würde, da schüttelt der Mann sofort den Kopf.
In seinem wissenden Blick ist eine schlecht verborgene Spur von Mitleid.
»Sie bekommen hier in Toril nirgendwo ein Pferd – es sei denn, Sie stehlen es. Und dann würde man Sie bald aufhängen. Nein, Sie müssen zu Fuß weg. Das ist nun mal so.«
Ben Kellahan steht mit all seinem Gepäck einen Moment still da.
Dann wirft er es ab.
Er zieht das Spencer-Gewehr aus dem Sattelschuh, nimmt die Wasserflasche und füllt sie am Brunnen. Schließlich holt er sich noch seine beiden Satteltaschen und wirft sie sich über die Schultern, so dass nun eine der Satteltaschen vor ihm und eine hinter ihm hängt.
Wortlos verlässt er die Corrals, den Sattel, seine Deckenrolle und auch die Satteldecke dabei zurücklassend.
Als er die Hofausfahrt erreicht, stehen die beiden hartgesottenen Hombres immer noch dort und rauchen.
»Na, mein Bester«, sagt der Sprecher von vorhin, »jetzt ist dir wohl klargeworden, dass man hier Freunde braucht? Aber jetzt ist es zu spät. Selbst wenn du uns jetzt auf den Knien bitten würdest, wollten wir nicht mehr. Der nächste Ort ist siebzehn Meilen von hier weg. Vielleicht bekommst du dort einen Gaul. Das wird ein langer Weg, nicht wahr?«
Ben Kellahan steht da, und er kämpft tief in seinem Kern mit sich.
Er möchte gerne diese beiden Hombres klein machen. Aber er weiß, dass dies seine Probleme nicht lösen würde.
Wer immer in diesem Lande auch durch seine harten Burschen »Steuern« oder auch »Schutzbeträge« kassieren lässt – er hat mehr als nur diese beiden Hartgesottenen zur Verfügung.
Ben Kellahans Vernunft sagt ihm, dass er sich mit einem ganzen System einlassen würde, mit einem Big Boss, für den er ein kleiner Pinscher ist.
Nein, er fühlt sich wirklich nicht groß genug, um ein Big-Boss-Killer zu sein.
Denn das allein hätte einen Sinn.
Sich an diesen zwei Hartgesottenen auszulassen, dies wäre dumm.
Deshalb sagt er nichts mehr.
Er wendet sich ab und marschiert aus der Stadt hinaus nach Norden.
Und er kann nur hoffen, dass sie ihn ziehen lassen und nicht noch ein Exempel an ihm statuieren wollen.
Denn immerhin hat er ja noch hundert Dollar. Dies ist in diesem Lande ein kleines Vermögen. Er dreht sich nicht mehr um.
Doch er denkt mit Bitterkeit und Verachtung an die Stadt Toril zurück.
Einmal regt sich in ihm trotz der wilden Wut eine Neugierde. Wer mag der Big Boss sein? Es muss einen geben.
Aber wahrscheinlich ist es besser, dies nie zu erfahren und nichts als fortzulaufen.
Er empfindet es als Schmach. Sein Stolz ist tief im Kern verletzt.
Noch nie war er so davongeschlichen.
Aber noch nie war er so davon überzeugt, dass ein Gegenkämpfen keinen Sinn hätte und seine Chancen nicht größer wären als die eines Schneeballes in der Hölle.
Er will nicht wieder einmal kämpfen müssen. Das hat er oft genug schon getan auf seiner Zickzackfährte. Und wenn dann Blut geflossen war, da hatte er den Kampf stets bedauert und den Grund dumm und nichtig gefunden.
Ein Mann sollte wegen zwanzig Dollar oder einem Pferd keinen Kampf anfangen, bei dem er nur verlieren kann und es dennoch Tote und Blutvergießen geben würde.
Nein, er will nicht mehr kämpfen und töten – nicht mehr aus solchen Gründen.
Und so marschiert er mit seinen wenigen Habseligkeiten aus der kleinen Stadt Toril, die einst einmal von den Spaniern bei einem Stier-Corral gegründet worden war – jedenfalls lässt der Name darauf schließen.
Für einen Mann, der im Sattel lebt, ist Ben Kellahan gut zu Fuß. Er geht mit langen, ruhigen Schritten. Als es fast schon Abend ist, holt ein Wagen ihn ein. Er tritt an den Rand der von Radfurchen geprägten Straße. Da er inzwischen etwa fünf Meilen lief, hat er nichts dagegen, von einem freundlichen Menschen mitgenommen zu werden.
Der Wagen hält auch wirklich. Es ist ein einfacher leichter Wagen mit einem kleinen Ladekasten hinter dem Vordersitz. Solche Wagen benutzen die Rancher und auch Farmer, wenn sie nicht allzu viel zu transportieren haben oder aus einer Stadt ein paar notwendige Dinge holen.
Der Mann auf dem Wagen wirkt schon ein wenig verwittert, doch zugleich auch hart und knorrig. Er hält an und betrachtet Ben Kellahan in der Dämmerung.
»Was hätten Sie denn zahlen sollen?« So fragt der Mann plötzlich.
»Zwanzig Dollar«, erwidert Kellahan.
»Und was war Ihr Pferd wert, welches der Stallmann tot aus dem Stall schleifte und zum Abdecker brachte?«
»Hundert Dollar etwa«, sagt Kellahan mit fast tonloser Stimme.
Der Mann auf dem Wagen nickt. »Steigen Sie ein«, sagt er. »Ich nehme Sie ein Stück mit. Meine Ranch ist zehn Meilen weiter dicht am Fuße der Hügel dort vor uns im Norden.«
Ben Kellahan steigt wortlos ein, und als sie eine Weile gefahren sind, fragt er: »Mister, Sie wissen sehr gut Bescheid. Die ganze Stadt wusste wohl bestens Bescheid über das, was man mit mir machte?«
»Sicher«, sagt der Mann und schnalzt den beiden Pferden zu. »Lauft, ihr dicken Tanten«, sagt er dann und sieht Ben Kellahan schließlich in der zunehmenden Dämmerung prüfend an.
»In Toril bleibt nichts verborgen«, sagt er. »Und dass Sie nicht zahlten, war dumm. Wenn Sie jedoch gekämpft hätten, wäre es noch dümmer gewesen. In diesem Lande zahlt man und schweigt. Denn sonst …«
Er verstummt wieder und schlägt die Zügel so aus dem Handgelenk, dass sie auf die Hinterteile der Pferde schnappen.
»Was ist sonst?« So fragt Kellahan.
»Ach, wer nicht zahlt, dem stößt ein Unglück zu – oder seiner Familie – oder seinem Besitz. Na, Sie sind eigentlich noch glimpflich davongekommen, junger Mann.«
Sie schweigen nun beide für eine lange Meile.
»Wer steckt dahinter?« So fragt Kellahan schließlich. »Ich meine, wer lässt auf diese Art ›Steuern‹ eintreiben oder macht sich auf diese Art zum Partner bei jedem Geschäft? – Wer ist der Big Boss?«
»Das kann keiner beweisen. Vermuten oder gar wissen tun es viele Leute. Doch es ist gefährlich, darüber zu reden. Mein Name ist Mullbow, David Mullbow. Ich bin es bestimmt nicht.«
»Ich bin Kellahan, Ben Kellahan«, sagt dieser. »Kann ich von Ihnen ein Pferd mit einem Sattel kaufen?«
Mullbow gibt nicht sogleich eine Antwort. Dann aber nickt er. »Ja, das können Sie. Sogar was zu essen bekommen Sie. Und in der Scheune können Sie übernachten. Aber morgen bei Sonnenaufgang sind Sie verschwunden.«
»In Ordnung«, murmelte Kellahan. »In diesem Lande hält mich ohnehin nichts, wie Sie sich gut denken können. Aber interessieren würde mich schon, wer hier der Big Boss ist, der kassieren lässt und so hart zuschlägt. Wer?«
Aber David Mullbow gibt ihm keine Antwort. Er beschäftigt sich intensiv mit seinem Gespann, redet zu diesem, schnalzt mit der Zunge und ist offensichtlich nicht geneigt, Antwort zu geben.
☆
Als sie vor das Haus fahren, ist die am Anfang recht dunkle Nacht längst schon erhellt vom bleichen Licht des Mondes und der Sterne.
Es ist so hell, dass man gute Sicht hat. Alle Dinge werfen wie bei Sonnenschein ihre Schatten.
Im Haus brennt eine Lampe. Ihr gelbes Licht wirkt sehr viel wärmer und freundlicher als das kalte Licht der Gestirne.
Und dann tritt eine Frau aus der Tür – nein, es ist sicherlich nicht David Mullbows Frau, eher seine Tochter. Sie kann noch nicht älter als zwanzig Jahre sein.
»Stelle einen Teller mehr auf den Tisch, Su«, sagt David Mullbow. »Ich habe Ben Kellahan mitgebracht. Er reitet bei Sonnenaufgang wieder fort. Ben, dies ist meine Tochter Suzanne. Su, wo ist denn Pedro?«
»Hinüber ins Dorf zu seiner Teresa.«
»Dann müssen wir selbst abspannen und ausladen«, brummt Mullbow.
Ben Kellahan sitzt noch bewegungslos neben ihm und blickt auf das Mädchen.
Im Lampenschein wirkt sie besonders schön auf ihn. Aber vielleicht ist das nur so, weil er ja schon viele Wochen mit keiner Frau zusammenkam.
Er hilft Mullbow beim Ausladen und Ausspannen. Dabei wird er sich bewusst, dass die Farm recht klein ist und wahrscheinlich nur diesen einen Helfer nötig hat, der in einem nahen Dorf bei einer Teresa sein soll.
Kellahan ist etwas enttäuscht. Denn er hätte diesem David Mullbow einen größeren und beachtlicheren Besitz zugetraut. Dieser Mullbow schien ihm nicht der Typ eines kleinen Farmers zu sein.
Sie waschen sich an einem Wassertrog.
Dann sagt Mullbow: »Im Corral, den Schecken, den können Sie morgen haben. Ich gebe ihn für zwanzig Dollar her. Und für weitere zehn Dollar können Sie sich den besten Sattel aussuchen, den Sie auf der Stange im Schuppen finden. Ich bekomme also dreißig Dollar.« Nach diesen Worten geht er auf das Haus zu.
Kellahan folgt ihm, und er ist neugierig auf das Mädchen. Er freut sich darauf, sie beim Lampenlicht in der Stube ansehen zu können.
Und vielleicht ist sie nicht nur äußerlich schön, sondern kann auch noch gut kochen. Sein Hunger ist schlimm.
Sie empfängt die Männer mit einem vorsichtig wirkenden Lächeln und hat einen forschenden Ausdruck in ihren Augen.
Noch steht sie am Herd, aber sie hantiert sehr geschickt. Und als sie dann mit einem Tablett voller Pfannen und Schüsseln zum Tisch kommt, da bewundert Kellahan die Leichtigkeit und Harmonie ihrer Bewegungen.
Ja, sie ist ein prächtiges Mädchen, schon fast eine Frau mit rabenschwarzen Haaren, blauen Augen und ein paar Sommersprossen auf der kurzen Nase.
Ihr Mund ist ausdrucksvoll und vital – vielleicht auch irgendwie etwas hungrig wirkend. Es ist alles richtig an ihr.
Und solch ein Mädel lebt hier in der Einsamkeit auf einer kleinen Farm, die kaum mehr als eine Siedlerstätte ist, denkt Kellahan.
»Wenn es so schmeckt, wie es riecht und aussieht, dann sind Sie die beste Köchin der Welt«, sagt Kellahan, und er kann erkennen, dass ihr dieses Kompliment Freude macht.
Sie essen dann alle drei kräftig. Auch das Mädchen ziert sich nicht, sondern isst mit gesundem Appetit. Ihre Unterhaltung ist untereinander nur beiläufig und dreht sich um unwichtige Dinge.
Dann aber tönt von draußen Hufschlag herein. Reiter kommen.
Ben Kellahans Blick richtet sich zur Tür. Dort daneben sind die Haken für Hüte, Jacken und auch Waffengurte an der Wand. Und neben seinem Hut hängt dort auch der Gurt mit seinem Revolver.
Irgendwie sagt ihm sein Instinkt, dass es gut wäre, sich den Colt zu holen. Auch das Gewehr lehnt dort.
David Mullbow bemerkt Kellahans Blick und deutet den Ausdruck in seinen Augen richtig. Er sagt schnell: »Es hätte wenig Sinn, Kellahan, denn es hatte schon in der Stadt wenig Sinn. Ich kenne nur zwei Sorten von Besuchern: »Nachbarn und Freunde – oder jene Burschen, mit denen Sie schon zu tun hatten. Und gegen beide Sorten kämpft man aus verschiedenen Gründen nicht. Oder?«
Ben Kellahan nickt leicht.
Aber dann erhebt er sich, gleitet zur Tür, nimmt dort den Gurt von der Wand und wendet sich Vater und Tochter zu. »Es gibt doch eine Hintertür. Ich möchte dort hinaus.«
David Mullbow schüttelt unwillig den Kopf.
Doch das Mädchen sagt: »Dort!« Und sie deutet in die dunkle Ecke, des L-förmigen Raumes, der Küche und Wohnraum zugleich ist.
Kellahan gleitet schnell durch den Raum. Und die Tür nach der Hinterseite des Hauses hat sich kaum hinter ihm geschlossen, als vorne vor dem Haus drei Reiter ihre Pferde zügeln, absitzen und hereinkommen.
»Aaaaah, die schöne Su ist noch auf«, sagt der erste der hereinkommenden drei Männer, die sich dann auf die ganze Raumbreite verteilen.
Schon als sie draußen absaßen, ihre Pferde schnauften und stampften, die Sättel knarrten und die Sporen klirrten, da strömten sie etwas aus, was durch die Wand des kleinen Hauses ging – eine Welle oder einen Strom des Unabänderlichen.
Und jetzt, da sie schweigend verharren und der Lampenschein die Härte in ihren Gesichtern nur wenig mildern kann, da strömen sie Wildheit, Härte, Unduldsamkeit und Gefahr aus wie drei Wölfe, die in einen Schafs-Corral kommen.
»Hallo, Clint Clayborne«, sagte David Mullbow höflich, obwohl er der Vater dieses einen Burschen hätte sein können und dieser doch hereingekommen ist ohne jeden Gruß.
Der Bursche ist prächtig gewachsen, rothaarig und blauäugig. Da seine Oberlippe etwas zu kurz ist, scheint er ständig zu lächeln. Aber das täuscht. Man muss in seine Augen sehen, um zu wissen, dass in diesem Hombre keine Freundlichkeit ist.
Dieser Clint Clayborne kommt langsam näher. Er tritt an den Tisch und sieht, dass drei Menschen hier beim Essen waren.
»Das ist wohl euer Pedro, der hinten hinausgelaufen ist«, grinst er. »Oh, diese Affen mögen noch so dumm sein – eines haben sie begriffen, nämlich, dass es gut für sie ist, wenn sie niemals Zeugen werden.«
»Zeugen – wofür?« So fragt David Mullbow und erhebt sich langsam. Er schickt seine Tochter in die Küchenecke des Raumes, und er tut es nur mit einer Handbewegung, der sie aber sofort gehorcht.
»Was wollt ihr?«, fragt er. »Geld kassieren? Ich habe meine Ernte noch nicht …«
»Welche Ernte? Die auf deinen Feldern? Oder in der alten Mine? Willst du uns noch länger für dumm verkaufen, alter Mann? Glaubst du denn immer noch, wir wüssten nicht, dass du schon eine ganze Weile wieder die alte Mine ausbeutest und auf eine neue Goldader gestoßen sein musst? In El Paso hast du mehr als zehntausend Dollar auf der Bank, deren Gegenwert du in Gold hinschaffen konntest. Jetzt haben wir lange genug gewartet, bis du wieder eine Menge Gold beisammenhaben musstest. Und nun her damit! Oder möchtest du uns keine Schutzgebühren mehr zahlen für unsere Freundschaft? Ist es dir nichts wert, dass dich hier keine Banditen oder gar Apachen mehr überfallen können und dass auch keine mexikanischen Bandoleros mehr über die Grenze kommen. Also, heraus mit dem Zeug! Du bist ja ein alter Narr, dass du annehmen konntest, wir bekämen nichts von deinem Geheimnis mit. Du hast deine Farm zu klein gehalten und zu sehr alles vergammeln lassen. Und in den Nächten habt ihr oft genug in der alten Mine gearbeitet. Mullbow, du bist ein Dummkopf!«
Mullbow steht still hinter dem Tisch – ein grauköpfiger, knorrig und beharrlich wirkender Mann, der gewiss so leicht nicht aufgibt.
In seinem zerfurchten Gesicht arbeitet es.
Dann scheint er zu erschlaffen, aufzugeben und sich nicht mehr die geringsten Illusionen zu machen.
»Also gut«, sagt er, »ich zahle euch den üblichen Anteil. Ich gebe euch für zweitausend Dollar Gold.«
»Aber nicht doch, alter Mann«, grinst Clint Clayborne, und auch seine beiden hartgesichtigen Begleiter verziehen ihre Gesichter.
»Da du uns betrügen wolltest, sind wir gekommen, um alles zu holen, was du bisher noch nicht nach EI Paso schaffen konntest. Alles! Heraus damit! Es muss hier im Haus sein. Sollen wir selbst suchen?«