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Sue Starretter und Virginia McLorne jagen mit einer Kutsche und einem Sterbenden darin nach Kansas City. Sie sind die einzigen Überlebenden eines Postkutschenüberfalls, und das blutige Geschehen machte sie zu Freundinnen. Es ist eine Freundschaft, die ein Leben lang dauern wird, ihre eigentliche Feuerprobe aber erst noch bestehen muss.
Doch das wissen die beiden Frauen noch nicht. Wie sollten sie auch ahnen, dass der Sterbende sie zu seinen Erbinnen und zu Besitzerinnen zweier stolzer Missouri-Dampfer - der River Cat und der River Lady - machen wird ...
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
River Cat und River Lady
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9233-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
River Cat und River Lady
Sue Starretter und Virginia McLorne jagen mit einer Kutsche und einem Sterbenden darin nach Kansas City. Sie sind die einzigen Überlebenden eines Postkutschenüberfalls, und das blutige Geschehen machte sie zu Freundinnen. Es ist eine Freundschaft, die ein Leben lang dauern wird, ihre eigentliche Feuerprobe aber erst noch bestehen muss.
Doch das wissen die beiden Frauen noch nicht. Wie sollten sie auch ahnen, dass der Sterbende sie zu seinen Erbinnen und zu Besitzerinnen zweier stolzer Missouridampfer, der River Cat und der River Lady machen wird …
Als die Kutsche auf dem Weg von Independence nach Kansas City aus dem Hohlweg heraus ins Freie gelangt, da krachen die Schüsse. Es ist ein gnadenloser Überfall, wie ihn nur Exguerillas aus Quantrills Bande, die jetzt überall als Mörder gejagt werden und deshalb nichts mehr zu verlieren haben, durchführen können.
Denn diese gejagten Quantrill-Banditen haben während des Krieges fortwährend für den Süden getötet, gebrandschatzt, geraubt, zerstört und vernichtet, so dass sie längst abgestumpft sind und bei ihren Bluttaten nicht mehr das Geringste empfinden.
Sie sind die bösen Geister eines erbarmungslosen Krieges, die man einst rief und nun nicht mehr loswerden kann – es sei denn, man hat sie endlich alle wie tollwütige Wölfe erledigt.
Die vorderen Pferde des Sechsergespanns bekommen die ersten Kugeln. Und da sie sofort zu einem Hindernis werden, kippt die Kutsche um.
Drinnen in der Kutsche herrscht ein heilloses Durcheinander.
Die sieben Passagiere – fünf Männer und zwei Frauen – bilden einen Knäuel, der sich zu lösen versucht. Denn die Exguerillas schießen nun in den umgekippten Kutschenkasten, dessen Wände nicht stark genug sind, um die Kugeln aufzuhalten.
Dennoch gelingt es vier der brüllenden Männer, mehr oder weniger verwundet, aus der auf der rechten Seite liegenden Kutsche herauszuklettern und den Kampf aufzunehmen. Der Fahrer und dessen bewaffneter Begleitmann wurden schon gleich am Anfang vom Bock geschossen.
Es sind also nur die vier Passagiere, die zu kämpfen beginnen.
Zum Glück ist es schon fast Nacht. Längst verschwand das letzte Rot am Himmel im Westen, und die Schatten der Nacht kamen sehr schnell von Osten her und überholten die Kutsche.
Es ist sicherlich reiner Zufall, dass die vier aus der Kutsche herausgekommenen Männer zu der besonders wehrhaften Sorte gehören. Vielleicht hatten sie selbst während des Krieges das Kämpfen und Töten lernen müssen – vielleicht sind es aber auch Revolvermänner aus dem nun so verarmten Süden, die nach Norden wollen, wo im fernen Montana Gold gefunden wird und sich Tausende auf den Weg dorthin machen.
Denn Kansas City ist das große Ausfalltor nach Westen und Norden, und der Flusshafen – Westport genannt – wird jetzt nach dem Krieg sehr schnell große Bedeutung gewinnen.
Nun, die vier Männer kämpfen außerhalb der Kutsche ihren letzten großen Kampf. Ihre Revolver krachen immer wieder, weil sie blitzschnell die Mündungsfeuer der Banditen erwidern – und dies offenbar mit gutem Erfolg. Denn die Mündungsfeuer der Banditen werden immer weniger.
Aber auch die vier Kämpfer aus der Postkutsche, die ja selbst schon mehr oder weniger verwundet wurden, bevor sie im Freien den Kampf aufnahmen, schießen bald nicht mehr.
Es wird still draußen. Und es erhebt sich die Frage: Sind sie alle tot oder zumindest kampfunfähig? Oder lauern sie jetzt auf das, was die Angreifer tun werden? Wagt keiner mehr, sein Mündungsfeuer aufleuchten zu lassen?
Drinnen in der auf der Seite liegenden Kutsche, da wurden die beiden Frauen von den Männern gewissermaßen begraben – oder besser gesagt: zugedeckt.
Das war ein Glück. Denn wahrscheinlich wurden sie allein deshalb von Kugeln nicht getroffen, dafür jedoch von den Körpern niedergewuchtet, gequetscht und gestaucht. Sie spüren Schmerzen, und zumindest werden sie viele Blutergüsse pflegen müssen, sollten sie hier davonkommen.
Auf ihnen liegt noch ein stöhnender Mann, dessen Kraft nicht mehr ausreicht, sie von seinem Gewicht zu entlasten.
Aber sie schieben ihn nun von sich und richten sich auf. Ihr Atem beruhigt sich. Auch stoßen sie keine Schmerzenslaute mehr aus.
Länger als zwei Dutzend Atemzüge verharren sie und lauschen.
Dann flüstert eine: »Hey, Schwester, es ist so still dort draußen. Hörst du etwas?«
»Nein«, erwidert die andere. »Ich höre nur den Mann hier in der Kutsche stöhnen. Wollen wir hinausklettern?«
»Sicher, das müssen wir sogar. Denn hier drinnen sind wir gefangen wie zwei Gänse in einem Käfig. Also raus hier. Komm, ich hebe dich etwas hoch. Du musst den Kutschschlag nach außen aufstoßen. Hey, ich bin sehr froh, dass du deine Nerven behalten hast. Komm, tun wir was!«
Sie beginnen nun zu handeln und klettern nacheinander mit einigem Geschick aus der Kutsche, deren Schlag wieder zugefallen ist, nachdem die vier Männer hinausgeklettert waren, um draußen zu kämpfen.
Draußen kauern sie sich dicht am Boden zwischen den Rädern nieder.
Drinnen in der Kutsche stöhnt der schwerverwundete Mann. Aber auch hier draußen sind sie nicht alle tot. Die beiden Frauen vernehmen aus verschiedenen Richtungen Stöhnen und Wimmern.
Eine Stimme sagt heiser: »Oh, werde ich Gnade finden im Himmel?«
»Du nicht, ich nicht – und wir alle nicht«, stöhnt eine andere Stimme gepresst. »Denn wir kommen in die Hölle, Jock, todsicher in die Hölle.«
Wieder ist es eine Weile still.
Dann tönt eine andere Stimme. Sie beginnt Namen zu rufen, zumeist Vornamen. Es wird klar, dass die Stimme wahrscheinlich dem Anführer gehört, der nun feststellen will, wie viele von seinen Banditen es erwischt hat.
Zwei Stimmen geben Antwort. Dann sagt die erste Stimme: »Also gut, die haben uns fast alle gemacht. O Hölle, da waren ein paar zweibeinige Tiger in der Kutsche! Aber wer konnte das wissen? Sehen wir nach, ob es sich gelohnt hat, dass wir so sehr Haare lassen mussten. Sehen wir nach! Kommt, Jungens!«
Die beiden Frauen beginnen nun von der Kutsche wegzukriechen.
Doch dann halten sie inne. Eine flüstert scharf: »Ich habe die Schrotflinte des Begleitmanns. Sie lag mir im Wege.«
»Und ich habe den Colt eines Mannes, der hier am Boden liegt.« Dies flüstert die andere und stellt die Frage: »Kämpfen wir?«
»Sicher, Schwester, sicher. Wir geben es ihnen. Bleib dicht am Boden. Da können wir die Gestalten gegen den etwas helleren Himmel erkennen.«
Sie warten nun schweigend.
Aber sie müssen nicht lange warten. Denn bald schon sehen sie die Kerle schattenhaft näher kommen.
Die vermutete Beute lockt sie an wie ein totes Schaf die Wölfe. Die Exguerillas sind auf Beute angewiesen. Ihnen fehlt es gewiss an allem, nicht nur an Geld.
Als sie nahe genug sind, kracht die Schrotflinte zweimal – und dann feuert der Revolver ebenfalls noch zweimal.
Dann sind die Waffen der Frauen leergeschossen. Doch sie müssen auch nicht mehr schießen. Sie trafen gut genug. Es ist vorbei.
Sie warten eine Weile.
Doch es rührt sich nichts mehr.
»O Vater im Himmel«, sagt dann eine der Frauen. Und die andere fragt: »Du glaubst an Gott, Schwester?«
»Du nicht?«
»Ich weiß nicht so recht.«
»Warum nicht?«
»Weil die Welt so schlecht ist und ein Gott im Himmel dies längst schon geändert haben müsste.«
Vielleicht hätten sie noch weitere Worte gewechselt, doch aus der Kutsche tönt nun die stöhnende Stimme des Mannes: »He, ihr zwei Süßen, helft mir heraus! Ich will nicht in diesem Kasten verrecken. Vielleicht kann ich noch einmal Mond und Sterne sehen. Helft mir, ihr schönen Honeybees!«
Sie atmen überrascht die Luft ein und schweigen dann einige Atemzüge.
Dann sagt eine von ihnen: »Das ist doch der alte Falke mit dem Ziegenbart, der unser Großvater sein könnte. Der hat vielleicht Nerven. Liegt im Sterben und nennt uns ›Süße‹ und ›Honeybees‹. Was ist das für ein Ironman?«
»Aber wir sollten ihn herausholen, um ihm seine letzte Bitte zu erfüllen, Schwester.«
»Ja, das sollten wir wohl. Also, versuchen wir’s mal. Zum Glück ist er kein Klotz von einem Mann. Ja, holen wir ihn raus.«
Sie schaffen es irgendwie. Eine klettert in die Kutsche hinein und hebt den Mann hoch. Der Verwundete ist kein großer Mann, sondern einer von der kaum mittelgroßen, drahtigen Sorte. Dennoch wiegt er um die hundertdreißig Pfund. Aber die Frau schafft es, ihn aufzustellen und aufrecht zu halten, obwohl sie zumindest zehn oder fünfzehn Pfund weniger wiegt.
Oben liegt die andere und beugt sich durch den offenen Kutschenschlag ins Innere hinein. Sie kann dem Mann unter die Arme fassen.
Und sie fragt: »Werden wir das schaffen, Schwester?«
»Und wie wir das schaffen! Hast du noch nicht begriffen, dass wir ein gutes Gespann sind, so als hätten wir uns gesucht und gefunden? Und wie wir das schaffen – und wie, darauf kannst du wetten! Also los, ich hebe ihn jetzt an. Du ziehst nach Kräften!«
Sie schaffen es schließlich, den stöhnenden Mann herauszubekommen. Er hilft ihnen auch ein wenig.
Aber dann – als sie ihn neben der Kutsche und zwischen den Toten auf den Boden legen –, da hat er das Bewusstsein verloren.
»Ist er tot? Haben wir uns umsonst mit ihm abgemüht?« So fragt die eine zornig.
Aber die andere kniet noch bei ihm und untersucht ihn im Mond- und Sternenlicht, das inzwischen noch heller wurde, weil die Gestirne nun an einem zunehmend klarer werdenden Himmel zu strahlen beginnen.
Es ist eine wunderschöne Nacht in Missouri, dicht an der Kansas-Grenze und nur wenige Meilen vom Missouri River entfernt, der ja nach dem Mississippi die größte Lebensader des Landes ist.
»Er ist nur bewusstlos«, sagt die Kniende. »Sein Herz schlägt noch. Doch seine Wunde ist zu schlimm. Er hat eine Kugel im Bauch. Wie lange kann ein Mensch mit einer blutenden Bauchwunde leben, Schwester.«
»Das kommt darauf an, denke ich, was alles im Bauch verletzt oder zerfetzt wurde von dieser verdammten Kugel, Schwester. He, wie heißt du eigentlich?«
»Virginia, Virginia McLorne. Und du?«
»Sue, Sue Starretter. He, Virginia, du siehst wie eine richtige Lady aus. Bist du eine? Als du in die Kutsche kamst, da dachte ich, dass du eine dieser hochnäsigen Puten wärest, die zum so genannten Südstaatenadel gehören und sich für was Besonderes halten. Aber du bist in Ordnung. Mit dir könnte man Pferde stehlen. Bist du eine richtige feine Lady aus dem Süden?«
»Ich wurde mal so erzogen«, erwidert Virginia McLorne. »Aber inzwischen war der Krieg – und da ist sehr viel geschehen mit uns Menschen, nicht wahr?«
»Richtig, Virginia. Ich werde dich Gina nennen. Passt dir das?«
»Sie haben mich daheim Gini genannt. Aber Gina ist wohl besser. Was machen wir mit ihm, Sue?«
»Zuerst das Loch im Bauch zustopfen. Vielleicht behält er dann das Blut in sich. Man muss es versuchen. Und dann – o verdammt noch mal! – werden wir die verdammte Kutsche wieder aufrichten mit Hilfe der Pferde und zweier Lassos. Es stehen ja genug Pferde umher. Tote brauchen keine Pferde mehr. Aber wir. Zuerst müssen wir die toten Tiere des Gespanns abschirren. Und dann …«
☆
Sie schaffen es wahrhaftig.
Und als sie dann keuchend ein wenig verschnaufen, da sagt Sue Starretter: »Wir sind wahrhaftig ein gutes Gespann, Gina. Lebt der Opa mit dem Ziegenbart noch?«
Da meldet sich der Alte stöhnend und schnaufend mit den Worten: »Noch, ihr Süßen, noch. Aber wenn ihr mich nicht verdammt schnell nach Kansas City zu einem guten Doc bringt, der auch noch ein guter Chirurg sein muss – am besten also zu einem alten Feldarzt, der während des Krieges genug lernen konnte, dann bin ich morgen Früh gewiss tot. Beeilt euch also, ihr prächtigen Honeys.«
»Das tun wir auch, sobald wir nachgesehen haben, ob es nicht noch andere Verwundete gibt. Ja, dann fahren wir. Denn wir haben zwei Pferde angespannt. Wir bringen diese Kutsche gewiss nach Kansas City, Opa.«
»Nennt mich nicht immerzu Opa. Das passt mir gar nicht. Ich heiße Emmet Farlow. Und wenn ich gesund wäre …«
Er bricht ab, denn er muss schmerzvoll husten.
Sue und Virginia aber beginnen im Mond- und Sternenlicht nach den Männern zu sehen, die sich gegenseitig umbrachten oder von den beiden Frauen ganz zuletzt noch in Notwehr getötet wurden.
Aber sie finden keinen einzigen Lebenden mehr, den sie hätten in die Kutsche laden können, um ihn zu einem Doc nach Kansas City zu schaffen.
Sie finden nur Tote.
Und als sie sich wieder bei der Kutsche einfinden, da klingen ihre Stimmen fast tonlos, so als schnürte ihnen etwas die Kehle zu.
Ja, sie sind erschüttert, und wahrscheinlich wurden sie sich erst während der letzten Minuten der ganzen Schrecklichkeit des Geschehens bewusst.
Denn es war ein gnadenloser, brutaler Überfall von Exguerillas.
Wahrscheinlich gehörten sie einmal zu Quantrills Bande, die sich nach dem Krieg in viele kleinere Banden teilte und überall ihre Untaten fortsetzte.
Gewiss, nun sind sie alle tot. Aber es hat auch den beiden Männern der Postkutsche und bis auf einen allen männlichen Fahrgästen das Leben gekostet.
Was für ein grauenvolles Massaker!
Aber hatten Quantrills Reiter nicht während des Krieges ganze Ortschaften vernichtet und eine Unzahl von Gräueltaten verübt? Überall raubten, brandschatzten und töteten sie.1)
Was hier geschah, ist nur eine Fortsetzung der Kriegsverbrechen dieser Exguerillas.
Die beiden Frauen heben den stöhnenden Emmet Farlow in die Kutsche, klettern dann hinauf auf den hohen Bock, und Virginia McLorne nimmt die Zügel. Sie bekommt die nervösen Pferde sofort sicher unter Kontrolle. Sue sagt nach einer Weile neben ihr: »Ich dachte immer, die feinen Ladys aus dem feudalen Süden könnten nicht zupacken. Ich dachte, sie hätten nur immer Klavier gespielt, gestickt und gehäkelt und Gedichte gelesen. Dass du mit zwei solchen verdammten Mistböcken umgehen könntest, hätte ich nie für möglich gehalten.«
»Könntest du es, Sue?«
»Sicher.« Sue lacht, und es ist ein bitteres Lachen. »Ich wuchs mit sechs Schwestern auf einer armseligen Farm auf. Weil unsere Eltern keine Söhne bekamen, mussten wir Mädchen wie Jungen arbeiten. Ich habe sogar Schweine schlachten müssen. Und ich war schon vierzehn, als ich zum ersten Male ein Kleid anzog. Soll ich weiterfahren?«
Virginia übergibt ihr wortlos die Zügel.
Auch Sue hat mit den Tieren keine Schwierigkeiten. Und so fahren sie weiter durch die helle Nacht in Richtung Kansas City.
Es sind nur noch knapp ein Dutzend Meilen. Dann erblicken sie in der Ferne die Lichter.
Und der mächtige Missouri glänzt im Mond- und Sternenlicht.
Dort, wo der Flusshafen ist, liegen Schiffe an den Landebrücken.
Sue sagt: »Hoffentlich ist dieser Opa Ziegenbart noch nicht abgekratzt. Das täte mir mächtig leid. Denn irgendwie mag ich ihn.«
☆
Es ist kurz vor Tagesanbruch, als sie in das Office des Armeearztes der Kansas-City-Garnison gerufen werden. Außer dem Arzt sind noch ein Captain und ein Zahlmeister anwesend.
Und auf dem Schreibtisch liegen einige Papiere.
»Ich konnte ihn nicht mehr retten«, sagt der Armeearzt. »Es war zu spät. Er hatte nicht mehr genug Blut in sich. Eigentlich war es ein Wunder, dass er so lange durchhalten konnte. Er hat Sie, meine Ladys, als seine Erben eingesetzt. Und wir haben als Zeugen unterschrieben. Die Armee wird diese Dokumente beglaubigen. Denn er war bis zuletzt noch bei klarem Verstand.«
Sue Starretter und Virginia McLorne staunen. Sie blicken sich auch staunend an.
Schließlich fragt Virginia McLorne: »Und was haben wir von ihm geerbt? Seine Uhr vielleicht und ein paar Dollars?«
Da schütteln die drei Männer ihre Köpfe.
»Emmet Farlow war Reeder«, spricht der Captain. »Als der Krieg ausbrach, übernahm die Armee seine beiden Dampfboote. Er zog sich auf eine Farm bei Sedalia zurück und lebte dort bis jetzt. Vor einigen Tagen erhielt er von der Regierung die Nachricht, dass er seine beiden Dampfboote im Flusshafen Westport wieder übernehmen könne. Der Leihvertrag mit der Union sei beendet. Er könnte auch die Restzahlung in Empfang nehmen. Nun aber treten Sie, meine Ladys, an seine Stelle. Er sagte, dass er keine Angehörigen hinterlässt und Ihnen alles zu gleichen Teilen vererbt – auch die Insel.«
»Insel?« Virginia und Sue fragen es zweistimmig.
Da tritt der Captain an eine große Wandkarte, die den Verlauf des Oberen Missouri zeigt bis zu den Great Falls weit oberhalb von Fort Benton.
Der Captain deutet auf einen dicken, fingerlangen Strich im Strom.
»Dies ist die Insel. Sein Vater schon kaufte sie als Händler von den Indianern und errichtete dort ein Handelsfort. Der Kauf wurde damals auch von der Regierung anerkannt. Ladys, Sie besitzen zwei Dampfboote, eine Insel und erhalten überdies auch noch vom Zahlmeister die Restsumme der vertraglich mit der Regierung ausgehandelten Chartergebühr. Die beiden Schiffe sind unbeschädigt und wurden tadellos instand gehalten. Wir hatten Mr. Farlow in diesen Tagen hier erwartet und schon alles vorbereitet, um die Formalitäten schnell abzuwickeln. Er sagte noch mit seinem letzten Atem, dass Sie beide zwei wirklich süße Honeybees seien.«
Die drei Offiziere grinsen nach diesen Worten.
Und Sue Starretter fragt herausfordernd: »Sind wir das etwa nicht, Gentlemen, oder gibt es da irgendwelche Zweifel?«
☆
Die Sonne scheint bereits, als sie aus der Kommandantur treten und die Main Street von Kansas City entlanggehen – zuerst wortlos, dann aber fast zweistimmig ausrufend: »O Himmel, was ist geschehen?«
Dann spricht Sue Starretter dankbar: »Das Glück ist manchmal so hell und warm und gut wie Sonnenschein nach einer kalten Nacht. Gina, mieten wir eine Droschke und fahren wir zu den Landebrücken der Dampfboote. Sehen wir uns unsere Schiffe an. Weißt du noch ihre Namen?«