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Wir waren weiß Gott ein mieser Haufen. Wir ahnten schon, dass es für einige von uns keine Grabreden und Abschiedsgebete geben würde. Aber wir ritten weiter, denn John Highmaster hatte uns pro Tag fünfzig Dollar versprochen. Und diese Dollars ließen uns vergessen, dass wir Highmaster mehr hassten als die Männer, die wir verfolgten ...
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Seitenzahl: 211
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Das letzte Aufgebot
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9234-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Das letzte Aufgebot
Wir waren weiß Gott ein mieser Haufen. Wir ahnten schon, dass es für einige von uns keine Grabreden und Abschiedsgebete geben würde. Aber wir ritten weiter, denn John Highmaster hatte uns pro Tag fünfzig Dollar versprochen. Und diese Dollars ließen uns vergessen, dass wir Highmaster mehr hassten als die Männer, die wir verfolgten …
Das Nest hieß Raton, aber es hatte nichts mit dem Raton Pass zu tun, über den man von Colorado her nach Fort Union in New Mexico gelangen konnte. Unsere Stadt Raton lag viel weiter südlich, kein Tagesritt mehr von der Grenze entfernt.
Eigentlich hätte Raton nicht Raton, sondern Highmaster heißen müssen. Denn John Highmaster war hier ganz und gar dominierend. John Highmasters Schatten lag über dem ganzen Lande. Ihm gehörte alles – auch die Seelen der meisten Menschen.
Damals, als die Dons mit ihren gepanzerten Soldaten aus dem Aztekenlande kamen, da entstand Raton. Seitdem war es einige Male von allen Menschen verlassen und aufgegeben worden. Aber immer wieder erwachte es zu neuem Leben.
Diesmal war John Highmaster der Mann, der hier die großen Schritte machte, und er war in den vergangenen zehn Jahren ganz hübsch vorangekommen. Er hatte sich sein Königreich geschaffen. Die Hauptstadt war Raton.
Und mich hatte er zum Sheriff gemacht.
Eines Tages hatte er mich kommen lassen, mir einen Blechstern zugeworfen und dabei gesagt: »Steck dir das Ding an, Mike Shannon. Du bist jetzt Sheriff im Raton-Bezirk. Du vertrittst jetzt das Gesetz. Und damit es keine Zweifel gibt, Mike, das Gesetz bin ich. Weißt du, ich habe es jetzt geschafft. Ich bin der Boss hier im Lande. Mein Einfluss reicht nicht nur bis nach Santa Fé, sondern bis nach Washington. Der Bundesregierung ist es recht, dass hier so nahe an der Grenze ein starker Mann sitzt. Aber ich kann deshalb nicht mehr so ganz nach meinem eigenen Gutdünken selbst die Dinge regeln. Dies muss jetzt von einem Sheriff getan werden. Denn der Sheriff vertritt immer das Gesetz. Und damit ist alles gesetzlich. Hast du mich verstanden, Mike Shannon?«
Ich musste grinsen. So einfach also war John Highmasters Philosophie. Er hatte eine unnachahmliche Art, die Dinge zu vereinfachen.
Aber er hätte es noch einfacher sagen können, nämlich so: »Pass auf, Mike Shannon, ich bin jetzt nicht nur in Santa Fé, sondern auch in Washington bekannt. Ich darf keine krummen Dinger mehr machen. Dann verblassen die schwarzen Flecken auf meiner Weste langsam. Ich brauche einen Burschen, der für mich die schmutzige Arbeit verrichtet. Deshalb mache ich dich zum Sheriff.«
Aber ganz so drastisch wollte er es wohl doch nicht sagen. Doch ich wusste, dass es so gemeint war.
Ich nahm den Stern und steckte ihn mir an. Denn dieser Job erschien mir besser als mein bisheriger. Ich war bei ihm Vormann gewesen. Nun war ich Sheriff, und ich wusste, dass er mein Gehalt verdoppeln würde.
Ich war kein Heiliger. Ich hatte den Krieg hinter mir, war lange genug in der miesen Zeit danach als Satteltramp herumgeritten. Ich hatte Silber aus Mexico geschmuggelt, Rinder und Pferde gestohlen und ein paar andere Dinge getan, um mich über Wasser zu halten. Dann war ich Cowboy bei Highmaster geworden und bald zu einem seiner Vormänner aufgestiegen. Jetzt war ich Sheriff. Und es gefiel mir.
Als der Stern an meiner Hemdtasche blinkte, nickte ich und sagte: »Yes, Sir! Es ist in Ordnung. Nur eines müssen Sie wissen. Wenn Sie eine Sache von mir verlangen, die ich mit meiner persönlichen Ehre nicht unter einen Hut bringen kann, dann werfe ich Ihnen den Stern vor die Füße.«
»Ich weiß«, sagte er. »Du gehörst zu jenen Texanern, die gut zu Pferden und Hunden sind, jede Frau beschützen möchten und jedem Gegner eine faire Chance geben müssen – ich weiß, Mike Shannon. Weißt du, ich habe mir eine Menge zusammengeraubt. Aber jetzt will ich es mit Hilfe des Gesetzes erhalten. Das ist doch der natürliche Weg, nicht wahr?«
Ich grinste, und ich wusste, dass man von ihm eine Menge lernen konnte. Er war ein erfahrener Geier und mit seinen fünfzig Jahren gut zwanzig Jahre älter als ich. Er konnte altersmäßig mein Vater sein.
Irgendwie dachte man auch bei seinem Anblick an einen Geier. Er war groß und hager, an den Hüften dicker als oben seine Schultern breit – und sein fast haarloser Kopf saß auf einem dürren, faltigen Hals. Seine Nase war wahrhaftig wie ein Geierschnabel.
Doch seine wasserhellen Augen waren hart, kalt und klug. Er strömte einen zwingenden Willen aus. Und mit seinem Revolver konnte er umgehen wie einer der ganz großen Revolvermänner. Auch im Sattel war er erstklassig.
Als ich ging und in den schattigen Innenhof trat, in dem ein Springbrunnen plätscherte und es eine Menge Grün und allerlei schöne Gewächse gab, traf ich auf Virginia Highmaster.
Sie war John Highmasters schönste und größte Eroberung, sein prächtigster Besitz. Seit etwa einem halben Jahr gehörte sie ihm, aber es schien so, als wäre sie schon immer die Herrin dieser schönen Hazienda gewesen, auf der Highmaster residierte wie ein King auf einem Schloss.
Virginia Highmaster war jünger als ich.
Aber sie gehörte Highmaster.
Ich zog meinen Hut. Und sie lächelte und sagte: »Ich habe Ihnen dort etwas Limonade bereitstellen lassen, Sheriff. Ich freue mich, dass Sie jetzt unser Sheriff sind.«
Sie führte mich zu einem Tisch im Garten. Ich trank höflich ein paar Schlucke Limonade. Und dabei sah ich Virginia an.
Sie hatte mir von Anfang an gefallen. Sie war jung und schön, dunkelhaarig, blauäugig und hatte ein paar Sommersprossen auf der Nase.
Ich fragte mich wieder einmal mehr, wie solch ein Geier diesen schönen Paradiesvogel bekommen konnte. Es konnte nur an seinem Geld liegen.
Sie erwiderte meinen Blick auf eine Art, die mir irgendwie sagte, dass es ihr recht war, von mir so angesehen zu werden. Es ging etwas von ihr aus, was mich irritierte. War sie vielleicht keine feine und tugendsame Lady? Es gab in ihren Augen und um ihre Mundwinkel einige Spuren von Härte. Sie hatte wahrscheinlich nur gut verstanden, sich einzurichten in dieser Welt, und es war ihr gewiss nichts mehr fremd.
Ich begriff an diesem Nachmittag, dass sie Wert darauf legte, sich mit mir besser bekannt zu machen und gut zu stellen. Sie wollte mich spüren lassen, dass sie eine Frau war, wie ich keine andere auf hundert oder tausend Meilen in der Runde würde finden können.
Ich verabschiedete mich höflich, denn ich musste annehmen, dass wir nicht unbeobachtet waren.
Aber als ich dann von Highmasters Hauptquartier nach Raton ritt, da war Virginia in meinen Gedanken – und wohl auch schon in meinen Sinnen. Es war etwas von ihr ausgegangen und übergesprungen. Es hatte mich berührt. Ich hatte sie nun wohl noch lange in meinen Gedanken.
Nach einer halben Meile hielt ich an und blickte zurück.
Da lag die alte Hazienda – alt, weil sie schon von den Spaniern gebaut worden war und spanischen Hidalgos als Sitz gedient hatte. Sie war nur immer wieder erneuert worden im gleichen Stile, ausgebessert und vervollkommnet.
Ja, sie war wie das Schloss eines Königs.
Und er hatte mich zu seinem Sheriff gemacht.
Was würde nun kommen?
Oh, ich hatte mir noch nie große Gedanken über das gemacht, was vielleicht mal kommen würde. Ich nahm alles, wie es kam.
☆
Und es kam schnell!
Ich hatte die nächsten drei Tage dazu benutzt, mir in Raton ein Haus auszusuchen, als Büro einzurichten und vom Schmied in einem der hinteren Räume drei Gitterkäfige einbauen zu lassen.
Ich stellte Paco Juarez als Gehilfen ein, denn ich brauchte jemanden, der die dann und wann zu erwartenden Gefangenen betreuen und auch manchmal ausfegen würde. Paco war nur zur Hälfte mexikanischer Abstammung, und er konnte blitzschnell fünf Wurfmesser auf sechs Schritte in eine Spielkarte werfen. Auf zwölf Schritte traf er damit immer noch einen sich bewegenden Mann. Paco konnte auch Pferde und Rinder stehlen – und auf der Gitarre war er eine große Nummer.
Paco war zufrieden mit seinem neuen Job, denn er glaubte, dass er nun das Herumlungern gut bezahlt bekommen würde. Dreißig Dollar waren auch eine Menge Geld. Ein Spitzencowboy musste dafür schwer arbeiten. Die meisten Cowboys bekamen nur zwanzig Dollar.
Aber ich wollte ja erzählen, was dann plötzlich so schnell kam.
Es war zuerst mal ein hartbeinig aussehender Hombre, der von irgendwoher nach Raton kam und sich alles genau ansah. Dann machte er es sich im Saloon bequem und ging manchmal hinüber in das Hotel-Restaurant, um dort zu speisen.
Nach Raton kamen viele Reiter und Fahrzeuge. Die Stadt war nun mal auf fünfzig Meilen in der Runde der Nabel dieser Welt und für die Leute wichtiger als Washington. Also kamen immer wieder Fremde.
Aber dieser eine Hombre fiel mir von Anfang an auf. Ich spürte auch, dass er mich nicht aus den Augen ließ, sobald ich auf die Straße trat oder durch die Stadt ging. Dieser Hombre saß drinnen im Saloon am Fenster oder auf der Veranda und wartete wie ein Wolf vor dem Kaninchenloch.
Auf was wartete er?
Oh, es gab immer wieder Burschen, die hier aus Faulheit herumlungerten, solange sie Geld besaßen. Aber dieser Bursche lungerte nicht herum. Er wartete.
Am zweiten Tage setzte ich mich neben ihn auf die Saloonveranda und drehte mir erst eine Zigarette.
Dann fragte ich: »Woher kennen wir uns, mein Guter?«
»Ach«, sagte er, »ich habe ein Dutzendgesicht. Mich kann man leicht mit anderen Männern verwechseln. Vor einigen Wochen passierte es mir sogar, dass ein Mädel mich für den davongelaufenen Bräutigam hielt. Wir kennen uns nicht, Sheriff. Aber ich begreife, dass Sie gerne wissen möchten, was ich hier tue und wie ich heiße. Nun, ich bin Jim Miller, komme von Colorado und habe mich sofort in diese alte Stadt verliebt. Vielleicht bleibe ich noch eine Weile, vielleicht auch nicht. Sonst noch etwas, Sheriff?«
Ich schüttelte den Kopf, und ich wusste, dass der Bursche mich auslachte. Dieser Hombre hier war ein narbiger Wolf, was Schlauheit und Erfahrungen betraf.
Ich erhob mich und ging.
Und am Abend sah ich ihn mit dem Pferd aus dem Mietstall kommen und nach Osten zu in die Schatten der Nacht reiten.
Was hatte er wohl hier gewollt?
Ich dachte beim Abendbrot darüber nach – und nachher machte ich meine erste Runde. Es gab da und dort einen Streit zu schlichten. Aber ich hatte keine großen Schwierigkeiten. Die meisten Leute kannten mich. Und ich galt als ein harter Bursche, dem der Colt von selbst in die Hand sprang. Ich war John Highmasters Vormann der Brenn-Mannschaft gewesen, und Highmaster stand immer noch hinter mir.
Also hatte ich nirgendwo Schwierigkeiten.
Aber als ich dann gegen Mitternacht die zweite Runde machte, da bekam ich es aus einer dunklen Gasse.
Der Mann rief mich leise an.
Als ich zu ihm Front machte und ihn in der dunklen Gassenmündung nur undeutlich erkannte, da warnte mich mein Instinkt rechtzeitig. Ich handelte plötzlich nicht mehr mit meinem Verstand, sondern nur noch instinktiv und reflexhaft.
Ich duckte mich und zog den Colt.
Aber da bekam ich es auch schon.
Mir war es, als ginge mein Kopf in Scherben wie ein Wasserkrug.
☆
Als ich erwachte, hörte ich trotz meines schmerzenden Schädels eine heisere Stimme sagen: »Ich wette, dass dies kein glücklicher Streifschuss war, sondern die Kugel seinen Eisenschädel nicht durchschlagen konnte. Seinen Bumskopf kann man als Ramme benutzen.«
Ich erkannte die Stimme. Sie gehörte Paco Juarez, meinem Gehilfen. Er sprach beide Sprachen perfekt und noch ein paar Indianersprachen dazu. Ich freute mich, dass er so viel von meinem Kopfe hielt. Ich selbst hielt nicht mehr viel davon, denn es konnte meiner Meinung nach nur noch die Hälfte davon vorhanden sein.
Als der Doc dann mit dem Verband fertig war, lichteten sich die Nebel vor meinen Augen. Ich sah in ein paar Gesichter.
Dann fragte ich mühsam: »Habe ich noch geschossen? Erwischte ich den schwarzen Hund?«
»Nein«, sagte man mir. »Aber darüber solltest du dir keine Sorgen machen. Möchtest du hier auf dem guten Billardtisch liegen bleiben oder möchtest du in dein schönes Bettchen kriechen, Mister Sheriff?«
Ich brauchte für den Spott nicht zu sorgen. Es waren ein paar Burschen dabei, die mich kannten und deshalb etwas Schadenfreude verspürten, dass jemand mich klein gemacht hatte.
Aber die Frage machte mir klar, dass sie mich wirklich in den Saloon getragen und hier auf den Billardtisch gelegt hatten, sodass der Doc mich im Schein der Karbidlampe versorgen konnte:
Sie sahen nun zu, wie ich ohne Hilfe vom Tisch herunter und auf die Beine kam.
Um mich drehte sich alles. Mir wurde schwarz vor Augen. Als ich wieder sehen konnte, erkannte ich ein Grinsen in einigen Gesichtern.
Jemand sagte: »Ein Sheriff hat wenig Freunde, besonders wenn er Mike Shannon heißt und schon vorher immer wieder jemandem auf die Zehen trampelte. Oder hast du keine Feinde auf dieser Erde, Mike?«
Ich sah den Mann an. Ich war früher mal mit ihm in einem Rudel geritten, welches drüben in Mexiko Pferde stahl. Jetzt hatte er eine kleine Einmann-Ranch an der Grenze von John Highmasters Reich in einem kleinen, fast wasserlosen Canyon. Er hieß Sinclair Rae, und er war einer von diesen typischen Rebellen, die sich niemals unterordnen und sich aus Trotz Salz statt Zucker in den Kaffee tun, nur um es anders zu machen als die große Hammelherde.
Er grinste mich an, und wenn er so grinste, sah er einem Apachen noch ähnlicher. Ich gab ihm keine Antwort. Ich ging zur Tür. Das war nicht so einfach. Es ging mir wie einem Betrunkenen, der sich mühte, auf einem weißen Strich zu gehen, wobei er genau wusste, dass man ihn scharf beobachtete.
Als ich durch die Tür ging, hörte ich noch eine Stimme sagen: »Dem seine Birne summt immer noch wie ein Wespennest.«
Ich verspürte Ärger und Zorn. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich einfach so aus dem Saloon ins Freie getreten war. Draußen war Nacht. Es gab nur wenige helle Lichtbahnen, und ich stand in einer solchen. Wenn dort drüben in dem dunklen Schatten ein Feind lauerte, konnte er mich leicht noch einmal mit einer Kugel erwischen, diesmal vielleicht besser.
Ich ging zur Seite, so schnell ich konnte. Aber das war nicht schnell. Ich glich immer noch einem Betrunkenen.
Aber irgendwie kam ich ins Office. Mein Gehilfe Paco Juarez war nicht da. Wahrscheinlich war er bei irgendeiner Conchita, Dolores oder Ramona.
Ich legte mich in meiner Schlafkammer auf das Bett und hielt meinen schmerzenden Kopf mit beiden Händen.
Endlich konnte ich mich entspannen, und ich hatte von den Comanchen und Apachen gelernt, einen bösen Schmerz stoisch zu ertragen, bis er gar nichts mehr ausmachte.
Vielleicht lag ich zwei oder drei Stunden so da zwischen Wachsein und Schlaf.
Aber dann ging die Sache weiter.
Denn nun kam John Highmaster.
Es war schon in den grauen Morgenstunden, als er die Tür vom Office aufstieß und knirschend rief: »Shannon! Mike Shannon, verdammt noch mal!«
☆
Ich erhob mich fluchend. Denn ich wusste sofort, dass er nicht hergekommen war, um mich wegen meiner Streifwunde zu bedauern. Es musste etwas passiert sein, und nun bekam die Sache endlich einen Sinn.
Das alles ahnte ich schon, als ich aus meiner Schlafkammer ins Office taumelte und dort ein Zündholz an die Lampe hielt.
Paco Juarez, mein Gehilfe, lag in der Ecke auf dem Feldbett und schnarchte seinen Rausch aus. Ich hatte ihn nicht gehört – also hatte ich fest geschlafen zuletzt. Paco war so erledigt, dass er nicht mehr die Stimme unseres Herrn und Meisters vernahm.
Als die Lampe brannte, kam John Highmaster herein.
Er sah schlimm aus. Jemand hatte ihm wahrscheinlich mit einem Revolverlauf das Nasenbein gebrochen. Seine Nase, die bisher an einen Geierschnabel denken ließ, sah jetzt völlig anders aus.
Aber sonst war er noch heil. Er trug seine Weidekleidung aus dunklem Leder und den Kreuzgurt mit zwei Colts.
Eine Weile starrte er mich an. Denn er sah an meinem Kopfverband, dass es mir nicht besser ging als ihm.
»Was war los, Mike?«
»Ach, jemand schoss aus einer dunklen Gassenmündung auf mich«, sagte ich. »Und bis vor einer Minute glaubte ich an eine alte Feindschaft, die mich eingeholt hatte, Sir.«
»Und jetzt?« Er schnappte diese Frage nur so heraus.
»Jetzt, wo ich Sie sehe«, sagte ich, »komme ich auf die Idee, dass man mich, den Sheriff, ausschalten wollte.«
»Richtig!« Er schnappte es. Und dann sagte er es mir endlich: »Sie haben mich auf der Ranch überfallen. Sie haben mir hunderttausend Dollar und die Frau geraubt. Ich konnte gar nichts machen. Als ich aufwachte im Bett, schlug mir jemand den Revolverlauf quer über die Nase.«
Als er es gesagt hatte, setzte ich mich erst einmal und drehte mir eine Zigarette. Denn was ich soeben gehört hatte, war ungeheuerlich, unwahrscheinlich, einfach unglaublich.
Sie hatten Big John Highmaster im Bett überfallen, seinen großen Geldschrank ausgeräumt und ihm überdies auch noch die junge Frau geraubt.
Und das alles, obwohl er hier der König war, der uneingeschränkte Mächtige, dem es möglich war, binnen weniger Stunden hundert Reiter in die Sättel zu bringen.
O Mann o Mann, was war das? Wer war da so verrückt gewesen, sich mit Highmaster anzulegen?
Aber da steckte gewiss mehr dahinter als nur ein verwegener Raub. Dies begriff ich schon nach wenigen Atemzügen.
John Highmaster sagte indes: »Kann ich mit dir rechnen, Shannon? Oder bist du zu schlimm am Kopfe getroffen? Kannst du reiten?«
Ich nickte, und dabei wurden meine Kopfschmerzen auch schon wieder schlimmer. Aber ich sagte dennoch: »Da wir einer Fährte folgen müssen, werden wir nur langsam reiten können. Das halte ich aus.«
Er knurrte zufrieden. Denn er wusste, dass ich durchhalten würde. Er sagte: »Ich gehe zum Doc und lasse mir meine Nase richten. Ich kann mit dieser geknickten Nase nicht reiten. Du musst ein Aufgebot zusammentrommeln, Shannon. Ich konnte nur zwei Reiter mitbringen von der Ranch. Es gab drei Tote und zwei Verwundete bei dem Überfall auf meiner Seite. Die Bande kannte keine Gnade. Sie jagten auch alle Pferde und Maultiere davon. Durch Zufall fanden wir noch drei Tiere. Hast du gehört, Shannon, wir brauchen ein Aufgebot. Also los, Sheriff! Jetzt gibt es Arbeit!«
Er ging hinaus, um seine Nase richten zu lassen.
Ich ging zu Paco Juarez in die Ecke und trat ihn kräftig in den Hosenboden. Das konnte ich gut, denn er lag angekleidet auf der Seite und schnarchte immer noch.
Er reagierte kaum auf meinen Tritt. Er knurrte nur: »Sei doch nicht so grob zu mir, Rosita.«
Ich nahm den Wassereimer aus der Ecke und goss ihn über Paco aus. Er kam hoch und jaulte: »Der Fluss steigt! Der Fluss steigt!«
Und dann war er wach.
Ich sagte zu ihm: »Komm hoch, du Tequilakiller! Komm hoch, oder ich werfe dich draußen in den Tränketrog. Es gibt Arbeit! Schaffe unsere Pferde herbei. Wir brauchen auch für ein paar Tage Proviant. Vielleicht wird es eine lange Fährte. Sie haben John Highmaster bestohlen und ihm auch noch die Frau entführt. Er kann so schnell gar nicht genug Reiter von der Mannschaft zusammentrommeln. Also los, Muchacho!«
Er grinste plötzlich. »Das ist doch ein Witz«, sagte er. »Es gibt auf dieser Erde keinen Narren, der mit Highmaster so etwas macht.«
»Doch«, sagte ich, und ich sah, dass auch in der Waschschüssel Wasser war. Ich gab Paco die zweite Dusche. Und nun sprang er auf.
Ich ging, um das Aufgebot zusammenzutrommeln.
Die Stadt schlief. Es waren kaum noch Reiter da. Wie sollte ich jetzt ein Aufgebot zusammenbekommen?
Im Saloon brannte noch Licht. Ich ging hinüber und trat ein: In der Ecke neben dem Barende saß eine Pokerrunde beisammen.
Sinclair Rae war dabei. Er mischte gerade die Karten. Und er grinste mich an und fragte über die Köpfe seiner Mitspieler hinweg: »Nun, Sheriff, brummt das Wespennest nicht mehr? Oder juckt dich was, dass du schon wieder auf den Beinen bist?«
Ich sah die Pokerrunde an. Es waren mit Sinclair Rae fünf Mann, und ich erkannte sofort, dass keiner von ihnen ein Freund von Highmaster war. Das da waren die Rebellen im Lande, jene, die bei ihm noch nicht zu Kreuze krochen und lieber an den Rändern seines Schattens lebten.
Außer Sinclair Rae waren Harvey Stanley, Turk Banner, Sam Loondale und Giff Fannahan da am Pokertisch. Die beiden Reiter, die mit Highmaster kamen, standen an der Bar und tranken Feuerwasser. Sie wussten, dass sie vielleicht nie wieder Feuerwasser trinken würden.
Es waren Wes Piney und Big-Cat Slater.
Nun, ich sah also die Pokerrunde an und sagte: »Ich brauche euch alle als Deputies für ein Aufgebot – alle! Und jetzt gleich auf der Stelle!«
Sie sahen mich an und grinsten.
»Was ist denn los in Highmasters Lande?«, fragte Turk Banner, der einmal eine Mine besaß und auf eine reiche Ader hoffte. Bevor er die Ader fand, war er so verschuldet, dass Highmaster die Mine übernehmen konnte. Highmaster übernahm auch Turk Banners zwei Dutzend Arbeiter. Sie stießen schon eine Woche später auf die Goldader.
Ich sah Turk Banner an und beantwortete dessen Frage schlicht mit drei Sätzen.
»Sie räumten nicht nur Highmasters Tresor aus. Sie stahlen ihm auch die Frau. Und wir müssen sie noch vor der Grenze einholen.«
Nun wussten sie Bescheid.
Das gefiel ihnen. Solchen Kummer hauen sie Highmaster schon längst in stummen Gebeten auf den Hals gewünscht.
Und nun lag es auf der Hand, dass sie sich freuten und den Banditen ein gutes Entkommen wünschten. Aber das waren nur ihre ersten Gedanken. Ich wusste es sofort. Ihre zweiten Gedanken waren schon anders.
Denn sie begriffen, dass Highmaster Hilfe brauchte – von ihnen. Und sie wussten auch, dass Highmaster in seinem Tresor eine Menge Geld besaß. Highmaster war sozusagen die einzige Bank im Lande auf zweihundert Meilen im Umkreis. Highmaster hatte keine Zeit, seine Mannschaft zusammenzutrommeln, die überall auf der weiten Weide verstreut war. Tagesritte von der Hauptranch entfernt in Vorwerken, Weide- und Grenzhütten. Ein Teil seiner Leute war auch mit einer Treibherde nach Kansas unterwegs. Er konnte erst in einigen Stunden eine einigermaßen harte Mannschaft zusammentrommeln. Doch hier war jede Minute wichtig.
Das begriffen sie.
Und plötzlich begannen sie zu lachen – laut und wild, brüllend und voll Hohn.
Sie kamen außer Atem dabei.
Und als sie verschnaufen mussten, starrten sie auf mich.
Ich sagte: »Es ist mir klar, dass ihr ihn nicht gerade liebt. Aber die Banditen nahmen die Frau mit – eine junge, schöne, reizvolle Frau. Wenn das kein Grund ist, mit mir zu reiten, dann möchte ich einen Haufen auf euch machen. Habt ihr mich verstanden?«
Nun waren sie böse.
»Vielleicht sollten wir ihm das Maul breitschlagen, dass er nur noch nuscheln kann«, sagte Harvey Stanley bitter. Er war ein Bär von einem Mann und besaß einige große Schafherden, welche früher auf dem besten Weideland herumziehen konnten. Aber dann jagte Highmaster ihn mit den Schafen zum Teufel. Seine Hirten mussten nun mit den Herden außerhalb von Highmasters Grenzen bleiben, dort also, wo das Land karger und wasserloser war. Er kam nur selten nach Raton.
Sinclair Rae, der immer noch mechanisch die Karten mischte, hielt damit inne und warf sie schließlich klatschend auf den Tisch.
»Wo ist er denn jetzt, der große Meister?«, fragte er.
»Beim Doc«, erwiderte ich. »Seine Nase hat einen Sattel bekommen – von einem Revolverlauf.«
Und da grinsten sie wieder.
Sie dachten nun nach. Ich hatte das Gefühl, dass es in ihren Gehirnen nur so knisterte. Ich wusste auch plötzlich, dass sie nicht nur an die schöne Virginia Highmaster, sondern gewiss auch an die Beute aus Highmasters Tresor dachten.
Auch ich dachte daran. Wie mochten die Banditen das Ding nur aufbekommen haben? Aber Highmaster und dessen Frau waren ja in ihrer Hand. Was mochte sich auf der Ranch abgespielt haben? Wie viele Banditen waren es?
Viele Fragen waren plötzlich in mir.
Aber dann hörte ich Sinclair Rae sagen: »Amigos, wir sollten mitreiten. Das wäre doch ein wirklich guter Spaß – und eine gute Tat noch dazu. Stellt euch vor, was diese schöne Virginia alles unter diesen Banditen dort drüben in Mexiko ertragen müsste … Und dann wäre es doch gewiss ein besonderes Vergnügen, mit Big John Highmaster zu reiten, nicht wahr?«
Als sie noch darüber nachdachten, kam Highmaster in den Saloon.
Ober seiner gerichteten Nase klebte ein breites Pflaster. In seinen hellen Augen glitzerte es.
»Sheriff«, sagte er, »wo ist das Aufgebot? Gibt es in dieser lausigen Stadt keine Freiwilligen? Dann werde ich dieser Stadt mal zeigen …«
»Schon gut«, sagte ich. »Sie kommen alle mit. Sie lassen Ihre Frau nicht in den Händen von Banditen. Wie viele waren es?«
»Vier«, sagte er. »Nur vier – und vielleicht noch ein paar, die als Sicherungen irgendwo lauerten, und jener, der dich hier ausschalten wollte, Shannon.«
Nun wussten wir es genau.
Und das machte wohl auch den Männern Mut.
Highmaster sah zu ihnen hin. Er wusste, dass sie ihm alle nicht grün waren, wie man so sagte.
Sinclair Rae hatte in seiner Canyon-Ranch kein Wasser. Harvey Stanley durfte sich mit seinen Schafherden nicht mehr auf die gute Weide wagen. Turk Banner verlor seine Mine an ihn.
Sam Loondale hatte die Fracht- und Postlinie besessen mit zwei anderen Partnern. Aber Highmaster hatte seine Partner ausgekauft und Loondale dann ebenfalls zum Verkauf seines Anteils gezwungen.
Giff Fannahan war ein Puma-, Wolf- und Wildpferdjäger, der ebenfalls mit Highmaster Meinungsverschiedenheiten gehabt hatte.