G. F. Unger Sonder-Edition 184 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 184 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Zwei Menschen stehen vor einem Grab am Fuße des Sundown Pass. Oben über dem Pass kreisen die Geier. Sie wittern den Tod. Denn Revolver-Slade zieht in den Kampf. Er ist finster entschlossen, den Tod seines Bruders zu rächen und den Banditen im Zozo-Land die Zähne zu zeigen ...

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Wenn die Todesvögel kreisen

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto/Norma

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-9235-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Wenn die Todesvögel kreisen

Es ist etwa zwei Stunden nach Mitternacht, als Clint Slade die knarrende Treppe des El-Toro-Hotels nach oben geht. Dies fällt ihm ziemlich schwer, denn von dem Zeug, mit dem er sich abfüllte in den letzten Stunden, wäre wahrscheinlich ein Maultier gestorben. Clint Slade aber wurde lustig, und deshalb singt er auch das Lied vom Pices-Whisky:

»Doc Bonescale in einer Stadt

zwölf tote Männer gefunden hat!

Er gab ihnen Pices-Whisky zu trinken,

da standen sie auf und zogen die Hüte!

Denn Pices-Whisky ist von bester Güte!«

Clint Slade hätte gewiss noch mehr Verse gesungen, doch nun sieht er oben auf dem Treppenabsatz einen Mann in rotem Armeeunterzeug stehen – so richtig klotzig und schwergewichtig und angefüllt mit einem grimmigen Zorn.

Dieser Mann dort oben auf dem Treppenabsatz strömt grimmige Wut aus wie ein glühender Kanonenofen Hitze.

Und er sagt nun grollend: »Jetzt ist es aber genug, du missratener Kolibri. Dies ist die dritte Nacht, in der dein Wolfsgeheul mich weckt. Heute gebe ich dir was auf dein großes Maul, dass du bis aus der Stadt hinaus Purzelbäume schlägst. Komm herauf, du Brüllaffe!«

Und er zeigt ihm im Scheine der schwachen Treppenbeleuchtung die mächtigen Fäuste.

Clint Slade steht schwankend da; er hält sich am Geländer fest und blinzelt zu ihm empor.

»Hombre«, sagt er dann, »komm mit hinunter. Ich gebe dir einen aus. Dann kannst du mir beim Singen helfen und …«

»Komm rauf«, unterbricht ihn der bullige Bursche. »Ich weiß schon, dass du eine Nummer bist, deren Maul man extra totschlagen muss. Aber das besorge ich! Das werde ich tun! Komm herauf!«

Aber Clint Slade tut ihm nicht den Gefallen. Er beginnt vielmehr ein anderes Lied. Und diesmal klingt es:

»Als die Mexikaner vor Alamo lagen,

kannte kein Texaner Furcht!

Nur Jim Bowies Papagei

legte schnell ein grünes Ei!«

Da verliert der mit rotem Baumwollunterzeug gekleidete Bulle seine Beherrschung, und er begeht den Fehler, sich vom Treppenabsatz hinunter zu Clint Slade auf die Treppe zu wagen.

Und so betrunken dieser Clint Slade auch sein mag, so entgeht er doch der mächtigen Faust, die mitten in sein Gesicht rammen soll. Er vermeidet auch den Zugriff der anderen Hand. Er wirft sich gegen die Knie des Gegners, und dieser fällt über ihn hinweg die Treppe abwärts.

Singend geht Clint Slade die paar Stufen zum Absatz der Treppe hinauf und fasst hier Position.

»Jetzt komm, du Rothaut«, sagt er. »Ich lass dich nur herauf und in dein Zimmer gehen, wenn du ebenfalls ein Lied singst. So wie ich! Jeder Mann, der etwas auf sich hält, geht in dieser lausigen Stadt singend zu Bett! Los, Hombre!«

Und er beginnt nochmals ein Lied. Diesmal heult er noch trauriger und misstöniger:

»Unsere Brüder starben

auf dem Wege nach Laramie!

Es waren die besten Brüder,

wir vergessen sie nie!

Bill ertrank in einem Fass voll Rum,

Dave kam bei einer Stampede um,

Jimmy schossen die Indianer tot!

Und auch ich, oh, my good Ma’am,

auch ich bin verloren …«

Er kommt nicht weiter. Denn der rotgewandete Bulle stürmt nun die Treppe hinauf wie ein angreifendes Nashorn.

Aber er stößt ins Leere. Clint Slade schlägt ihm die ineinander zu einer mächtigen Faust verschränkten Fäuste ins Genick. Und dann lässt er den für einen Moment bewusstlosen Mann die Treppe hinuntersausen.

Als der Mann gegen die Wand kracht, wird er wieder lebendig. Er taumelt hoch, schnauft, überlegt, »sammelt« sich gewissermaßen und macht sich dann ganz langsam an den Aufstieg.

Clint Slade steht singend oben.

Und es stört ihn nicht, dass nun das ganze Hotel wach wurde und überall die Zimmertüren geöffnet werden und eine Menge Flüche, Verwünschungen und Drohungen durch das Haus klingen.

Er lacht nur und singt weiter. Er wartet auf den roten zweibeinigen Bullen.

Dieser kommt nun langsam. Und er bekommt sogar Clint Slades Fuß zu fassen. Doch dann hält er plötzlich nur noch den Stiefel in den Händen und verliert das Gleichgewicht. Er stürzt rückwärts, als Clint Slade ihm den vom Stiefel befreiten Fuß auf die Nase setzt.

Wieder kracht es unten mächtig.

Dann kommt der Bulle wieder. Mitten auf der Treppe hält er inne.

»Du musst singen«, sagt Clint Slade von oben nieder. »Ich lasse dich nur singend in dein Zimmer. Kennst du das Lied von Charly Shippoway? Das könntest du singen und …«

»Ich bringe dich um«, knirscht der Mann im roten Unterzeug. »Ich bin Mike Callaghan. Und ich schwöre, dass ich dich umbringe. Was du mit mir machst, hat noch keiner gemacht. Ich komme!«

Es wiederholt sich nun alles so ähnlich wie zuvor – und es wiederholt sich noch mehrmals. Und stets braucht Mike Callaghan etwas länger, bis er oben bei Clint Slade angelangt ist und sein Glück versuchen kann.

Er schafft es nicht. Es ist nicht möglich. Dieser Clint Slade ist so geschmeidig und schnell wie ein Wildkater. Und er ist dies trotz seiner Trunkenheit.

Es fanden sich inzwischen einige leichtbekleidete Zuschauer ein, die unten in der Diele oder oben am Treppengeländer stehen. Sie sehen sich die Sache mit zunehmender Spannung an, schließen Wetten ab und rufen manchmal sogar gute Ratschläge.

Das Hotel ist wach.

Mike Callaghan bleibt zuletzt ziemlich lange am Fuß der Treppe sitzen. Er grollt, knirscht mit den Zähnen, schnauft und stöhnt abwechselnd.

Endlich erhebt er sich ächzend. Er quält sich bis zur Treppenmitte empor, hält inne und sagt ein wenig kläglich: »Ich habe genug. Du hast gewonnen, Hombre. Jetzt machen wir Schluss, nicht wahr? Ich muss mich ein wenig hinlegen. Meine Rippen und …«

»Du musst singen«, sagt Clint Slade freundlich. »Oder du kommst nicht an mir vorbei.«

»Dann übernachte ich lieber auf der Treppe, du verdammter Hundesohn! Zur Hölle mit dir! Du kannst mich zwar immer wieder die Treppe achtkantig runterwerfen. Doch meinen Stolz lasse ich mir nicht brechen. Ich singe nicht, du …«

Er hält inne. Fragt dann bitter: »Ja, was bist du überhaupt für einer? Cowboy? Aaaah, ich sehe, wie tief du die Kanone trägst. Du bist ein Gunslinger, ein verdammter Revolverschwinger. Hätte ich mich nur nicht mit dir eingelassen.«

Er verstummt sehr verbittert, und er ist ein Mann, den ein halbes Dutzend unfreiwilliger Treppenstürze zerbrachen. Zu diesen Stürzen kam noch, dass Clint Slades Fäuste ihn immer wieder präzise trafen mit Schlägen, wie sonst nur ein Preisboxer sie austeilen kann.

Er setzt sich ächzend auf eine Treppenstufe und dreht Clint Slade den breiten Rücken zu. Er ist ein gewichtiger Mann, der bisher jeden Gegner schlagen konnte, sehr selbstbewusst war und sich unter anderen Männern sofort als der Leitbulle fühlte.

Nun gibt er auf – und vielleicht, wäre er allein und gäbe es keine Zuschauer hier, würde er wegen seiner Niederlage weinen.

Clint Slade steht still auf dem Treppenabsatz und sieht auf ihn nieder. Er wirkt plötzlich sehr ernüchtert – und verändert.

»Ja, hättest du dich nur nicht mit mir eingelassen«, bestätigt er Mike Callaghans Worte. »Denn wer sich mit mir einlässt …« Er vollendet den Satz nicht – jedenfalls nicht mit verständlichen Worten. Es kommt nur noch ein Murmeln über seine Lippen – ein bitteres Murmeln.

Dann wendet er sich ab und steigt das zweite Treppenstück hinauf.

Die Zuschauer, die aus ihren Zimmern kamen und von oben über die Geländerbrüstung niederblicken konnten, eilen zu ihren Zimmern, verschwinden darin. Es sieht fast so aus, als ergriffen sie die Flucht.

Clint Slade murmelt einen bitteren Fluch, indes er seine Zimmertür öffnet und eintritt. Er schiebt hinter sich den Riegel vor und tastet zum Waschtisch in der Ecke. Er steckt seinen Kopf in die Wasserschüssel, prustet darin und schnauft bitter.

Und dann – als er sich über das nasse Gesicht wischt – sagt er bitter: »Was bin ich doch für ein Idiot!«

»Das bist du wirklich«, sagt eine dunkle Frauenstimme von der Fensterecke her. »O Clint, was ist aus dir geworden?«

Er steht still da – ganz still und fast ohne Atem.

Dann fragt er ziemlich rau: »Was geht dich das an, Susan? Was willst du hier im Zimmer eines betrunkenen Revolverschwingers?«

Sie gibt ihm keine Antwort – noch nicht. Aber als sie sich nun vom Stuhl erhebt, der drüben in der Fensterecke stand, da erkennt er gegen das helle Fenster-Rechteck ihre mittelgroße, schlanke und geschmeidige Gestalt. Er erinnert sich wieder an eine Menge Dinge, die er schon seit Jahren mit Whisky zu vergessen versucht. Es ist alles wieder da.

Sie bewegt sich nun durch das Zimmer, geht an ihm vorbei und hält erst bei der Tür inne.

»Willst du gehen? Warum bist du dann erst gekommen?«

»Ich bin hier«, sagt sie, »weil ich Hilfe brauche und dich darum bitten wollte. Doch ich begreife jetzt, dass du dir selbst nicht helfen kannst. Aber eines will ich dir noch sagen, Schwager. Sie haben deinen Bruder getötet. Mark ist tot.«

Nach diesen Worten schiebt sie den Riegel an der Tür zurück. Doch bevor sie öffnen und auf den Gang treten kann, ist er bei ihr. Er fasst ihren Arm und stößt sie ein wenig grob von der Tür hinweg ins Zimmer hinein. Dann schiebt er den Riegel wieder zu und lehnt sich gegen die Tür.

Seine Stimme klingt um eine Spur kehliger und gedehnter, als er ruhig sagt: »Erzähl’s mir, Susan. Dazu bist du doch hergekommen. Mach dir nichts daraus, dass ich ein ›Borrachin‹ wurde, ein Saufbold, der nur dann nüchtern ist, wenn man wieder mal seinen Revolver gemietet hat. Vergiss es! Und erzähle!«

Er fordert es zuletzt ziemlich rau, und er befindet sich in einer sehr miesen Verfassung. Vorhin war er noch betrunken, und er kämpfte auf der Treppe aus wildem Vergnügen einen sinnlosen und nutzlosen Kampf, wonach er nüchterner erkennen musste, wie sehr er sich verschwendet. Jetzt wurde er noch nüchterner.

Während Susan zum Tisch geht und dort die Zündhölzer findet, mit denen sie die Lampe anzündet, wird er sich darüber klar, dass sein Bruder tot ist und Susan demnach eine Witwe sein muss.

Das Lampenlicht zwingt ihn einen Moment dazu, seine Augen zu schließen.

Und als er sie endlich öffnet, begegnet er Susans Blick. Sie steht ruhig und gerade da, hält ihren Kopf erhoben und sieht ihn an.

Er sieht, dass sie noch schöner ist als vor Jahren. Die Jahre als Frau haben sie reifer gemacht. Er sieht sie jetzt so, wie er sie in Erinnerung hatte.

»Wann und wie und wo starb mein Bruder?«, fragt er heiser.

»Sie schossen ihn vorgestern am Sundown-Pass vom ersten Wagen unseres Frachtzuges«, erwidert sie schlicht. »Das ist dreißig Meilen westlich von El Toro. Wir hatten zuvor Kilkenny Mason getroffen, der aus El Toro kam und drei Tage und drei Nächte mit dir gepokert hatte. Von ihm wussten wir, wo du zu finden warst. Doch Mark fuhr an El Toro vorbei. Einen Tag später war er tot.«

»Und warum?«

»Weil Simson Mannen ihm verboten hatte, einen Wagenzug mit Vorräten und Waren ins Zozo-Land zu bringen«, erwidert sie.

Clint Slade denkt nach. Er tritt noch einmal in die Ecke zum Waschtisch und steckt seinen Kopf abermals in die Wasserschüssel.

Diesmal trocknet er sich mit einem Handtuch ab. Und als er danach in den Lichtkreis der Lampe tritt, wirkt er vollständig nüchtern.

Es ist kaum zu glauben, dass er vorhin noch auf der Treppe dumme Lieder sang, betrunken war und sich mit einem anderen Mann prügelte.

Jeder, der ihn so erlebte, musste ihn für einen haltlosen Säufer halten.

Aber jetzt wirkt er anders.

»Simson Mannen«, dehnt er den Namen, »ist noch immer der große Mann im Zozo-Lande?«

Sie sieht ihn an und nickt wortlos.

»Und du bist gekommen«, spricht er weiter, »um mich um Hilfe zu bitten? Was für Hilfe? Revolverhilfe? Hast du einen Gunslinger Job für mich, Revolverschwinger-Arbeit? Ja?«

Sie gibt ihm keine Antwort auf seine fast brutal gestellten Fragen. Sie sieht ihn nur an. Aber als auch er schweigt, spricht sie: »Ich wollte Hilfe von dir, weil er dein Bruder war. Aber inzwischen fand ich heraus, dass du nicht nur ein Revolverheld wurdest – und nicht nur ein Spieler. Du bist auch ein Säufer geworden, ganz und gar ein Mann, der sich verschwendet und ohne Sinn und Zweck auf dieser Welt lebt. Ich erwarte mir keine Hilfe von dir. Nicht mehr! Kann ich jetzt gehen? Wir können deinen Bruder nicht mitnehmen ins Zozo-Land. Der Weg ist zu weit. Wir beerdigen ihn bei der Post- und Frachtstation am Fuße des Sundown-Passes.«

Sie geht an ihm vorbei zur Tür.

Doch er sagt bitter: »So, du meinst, dass ich ohne Sinn und Zweck auf dieser Welt bin? Du glaubst, ich würde mich sinnlos verschwenden? Aber es gibt immer wieder Menschen, die mich wie du um Hilfe bitten, um Revolverhilfe. Ich bekomme überall immer wieder Revolverarbeit. Man bittet mich immer wieder um Hilfe – so wie du. Dass es sich diesmal um meinen eigenen Bruder und um meine Schwägerin handelt, ist nur Zufall. Mein Schicksal wurde es, anderen Leuten mit meinem Revolver zu helfen. Und das bedeutet auch, dass ich töten oder zumindest Blut vergießen muss. Verstehst du? Kannst du dir vielleicht vorstellen, dass ich gar kein Säufer bin, sondern nur vergessen möchte? Und kannst du, dir auch vielleicht vorstellen, dass es mir gleich ist, ob sie meinen Bruder umgebracht haben? Denn wenn es mir nicht gleichgültig wäre, müsste ich hinreiten und seine Mörder töten. Ich müsste wieder töten, immer wieder töten. Und wenn ich mich danach betrinken müsste, um für ein paar Stunden vergessen zu können und um mal nicht für eine Weile die Gesichter der Toten zu sehen, da hältst du mich für einen Säufer, für einen Trunkenbold. Hey, Susan, wie wenig Mühe machst du dir!«

Sie sieht ihn eine Weile an.

»Du tust mir leid«, murmelt sie. »Und ich weiß, dass alles so kam, weil ich …«

Sie verstummt und geht zur Tür. Sie öffnet diese und tritt hinaus.

Er versucht nicht, sie noch mal aufzuhalten.

Aber er geht zum Fenster und öffnet es. Er beugt sich weit genug hinaus, um sehen zu können, wie sie die Stadt verlässt. Ein kurzes Stück vom Hotel entfernt steht ein Sattelpferd an einer der Haltestangen. Susan Slade kommt unter dem Gehsteigdach zum Vorschein, tritt zu diesem Pferd und schwingt sich geschmeidig in den Sattel. Sie trägt einen rehledernen Hosenrock, der ihr gestattet, im Herrensitz zu reiten.

Die dritte Morgenstunde ist schon zur Hälfte herum. Die kleine Stadt El Toro wurde ruhig. Der Hufschlag des Pferdes hallt auf der Straße. Dumpf klingt es.

Clint Slade denkt: Nun reitet sie allein durch die sterbende Nacht dreißig Meilen weit nach Westen zum Sundown-Pass – enttäuscht und allein. Und sie weiß wahrscheinlich nicht, wie sehr sie mich damals enttäuschte, als sie meinen Bruder nahm und nicht mich. Ich möchte heute noch wissen, was sie an meinem Bruder so begeistert hat. Warum wurde sie Marks Frau? Und warum bekam Mark Streit mit Simson Mannen? Hey, wenn es stimmt, dass Simson Mannen Marks Tod verursacht oder veranlasst hat – dann – dann werde ich Simson Mannen töten müssen. Denn wenn ich mich mit Mark auch nur mäßig brüderlich verstand, so war er aber dennoch mein Bruder. Aaaaah, ich werde reiten müssen.

Als er sich ins Zimmer wendet, wird er sich bewusst, dass er nur einen seiner Stiefel trägt. Der andere muss noch draußen auf der Treppe liegen.

Fluchend geht er hinaus, um ihn sich zu holen.

Dann kehrt er in sein Zimmer zurück, um seine Siebensachen zu packen.

Eine halbe Stunde nach Susan reitet auch er aus El Toro und schlägt die Richtung nach Westen ein.

Sein scheckiger Comanche-Wallach stand schon länger als drei Tage im Mietstall und ist deshalb ausgeruht. Er stürmt in die Nacht hinein.

Und Clint Slade beginnt all den Alkohol auszuschwitzen, der trotz äußerlicher Nüchternheit in ihm ist und nun aus all seinen Poren tritt wie das Gift einer bösen Krankheit.

Bei Sonnenaufgang hat er Susan eingeholt. Schweigend reiten sie nebeneinander, und erst nach einigen Meilen, als die Post- und Wagenstraße durch einen flachen Creek führt und sie anhalten, um ihre Pferde etwas Wasser kosten zu lassen, da fragt Clint Slade plötzlich: »Warum hast du damals Mark genommen und nicht mich? Sage mir das endlich einmal, Susan. Denn ich dachte all die vergangenen Jahre darüber nach. Ich fand es nicht heraus. Sage mir es jetzt.«

Sie blickt ins Leere, und sie scheint tief in sich hineinzulauschen. Ihr Mund presst sich zuerst fest zusammen, so, als wäre sie entschlossen, seine Frage unbeantwortet zu lassen.

Doch dann löst sich die entschlossene Härte ihrer Lippen. Ihr Mund wird endlich wieder voll und lebendig. Sie sagt seltsam weich: »Du warst ein wilder Bursche, rau und verwegen. Du gehörtest von Anfang an zu der Sorte, die sich durch Kühnheit behauptet. Dein Bruder war stets das Gegenteil. Mark war still, zuverlässig, bedächtig. Mark war nur zwei Jahre älter als du – doch er war dir an innerlicher Reife zehn Jahre voraus. Mark liebte mich anders als du. Du hättest von mir gefordert und mir nur allein deine wilde Liebe gegeben. Mark forderte wenig; er gab mir viel. Für Mark war ich eine Art Königin. Ich war sein kostbarster Besitz. Für dich wäre ich nur eine Gefährtin gewesen, und ich hätte so wild und so verrückt sein müssen wie du. Ich hätte nur an heute und nie an morgen denken dürfen. Sind das einleuchtende Gründe, warum ich Marks Frau wurde? Oder glaubst du nicht, dass ein Mädchen sich nicht nach Sicherheit und Geborgenheit sehnt? Meinst du, ich hätte an deiner Seite wie eine Wölfin neben einem Wolf leben können?«

Die letzte Frage stellt sie hart und mit einer Spur von Zorn.

Und Clint Slade sagt nichts – gar nichts.

In seinem indianerhaften, dunklen und auf eine verwegene Art sogar fast hübschen Gesicht bewegt sich nichts mehr. Alles, was er auch denken und fühlen mag, bleibt tief in ihm verborgen.

Aber bevor sie aus dem Creek reiten, sagt er plötzlich herb: »Du hast dich in mir getäuscht, Susan. Auch für mich wärst du eine Königin gewesen, und ich hätte dir Mond und Sterne vom Himmel geholt. Ich hätte eine Menge mehr geschafft als Mark.«

Sie erwidert nichts, sondern treibt ihr Pferd an.

Sie beerdigen Mark Slade noch vor der Mittagshitze.

Die Trauergemeinde ist nur klein. Außer Susan und Clint sind nur der Stationsagent und dessen Frau und die vier anderen Fahrer vom Frachtwagenzug als stumme Teilnehmer dabei.

Mule Turpin, der älteste Fahrer – äußerlich wie ein stupider, gelbhaariger Klotz wirkend –, spricht mit wohlklingender Stimme das Vaterunser. Susan weint nicht. Sie wirkt jedoch sehr starr. Und sie blickt über das Grab hinweg zum Sundown-Pass hinauf. Sie kann die vielen Windungen der staubigen Wagenstraße verfolgen.

Die Wagen stehen am Beginn der Passstraße, also schon eine gute Viertelmeile von der Station entfernt. Auf dem kleinen Friedhof waren schon sieben Gräber. Dieses frische Grab ist das achte.

Denn hier am Sundown-Pass gab es immer wieder Überfälle von Apachen oder weißen Banditen.

Der Stationsmann und dessen Frau drücken stumm Susans Hand. Dann gehen sie zur Station hinüber. Bald wird eine Postkutsche kommen und ihr Sechsergespann wechseln.

Clint Slade geht zu seinem Pferd.

Da ruft Susan ihm nach: »Wohin gehst du, Clint?«

Er sitzt erst auf.

»Ihr wollt doch mit den Wagen über den Pass weiter ins Zozo-Land«, sagt er vom Sattel aus zu ihr und den Fahrern nieder. »Nun, dann muss ich wohl erst mal dafür sorgen, dass niemand mehr von oben auf den Fahrer des ersten Wagens schießen kann. Stehen die Wagen noch so wie im Moment, da der Mord geschah, oder musstet ihr zurück oder zur Seite setzen?«

»Nur wenig«, erwidert Mule Turpin, und die drei anderen Fahrer nicken. »Wir haben nur Platz für die fahrplanmäßigen Postkutschen gemacht«, sagt er. »Sie durften ungehindert passieren. Dieser Mord galt also allein Mark Slade. Es fuhren und ritten auch sonst jeden Tag Leute über den Pass, und es geschah ihnen nichts. Es galt allein Mark Slade, dem Boss der Slade-Donovan-Frachtlinie, die hinter dem Pass abzweigt.«

»Na also«, grinst Clint Slade und reitet davon.

Sie blicken ihm schweigend nach. Susan hat die Hände vor ihrem Halsansatz liegen.

Ihre Finger zittern leicht.

Einer der Männer – es ist Ernie Ringold – sagt heiser: »Wenn er Marks Mörder dort oben erwischt, dann wird es noch einen Toten geben. Ich habe eine Menge über Clint Slade gehört. Für den ist es ein normaler Job, solche Probleme zu lösen. Mit dem Colt! Für den ist das ein Gunslinger Job!«

Die anderen Männer nicken dazu. Denn sie alle haben von Clint Slade schon gehört. Wer kennt den Revolverhelden Clint Slade nicht auf tausend Meilen in der Runde?

Clint Slade reitet langsam, und er weiß, dass man ihn von irgendwo aus all den Hängen und Felsen abschießen könnte wie seinen Bruder Mark.

Aber vielleicht wird man ihn hochreiten lassen, denn er kommt ja auf einem Pferd und sitzt nicht auf dem Fahrersitz eines schwerbeladenen Frachtwagens.

Indes er reitet, sind seine scharfen Augen ständig auf der Suche. Die Sonne steht jetzt auf ihrem höchsten Punkt, und die Hitze flimmert überall auf allen Dingen.

Aber nirgendwo glänzt ein Gewehrlauf oder blinkt etwas. Es rollen auch keine Steine. Nichts deutet darauf hin, dass jemand irgendwo mit einem Gewehr lauert.

Aber darauf verlässt Clint Slade sich nicht. Er verlässt sich da mehr auf seinen feinen Instinkt, und der ist so fein und wachsam wie der eines narbigen Wolfes – denn ein narbiger Wolf sammelte sehr viel mehr Erfahrungen als ein solcher, dem noch nichts das Fell verletzte.

Clint Slade spürt mit zunehmender Deutlichkeit, dass dort oben etwas wartet oder auf der Lauer liegt. Er weiß, dass sein Instinkt ihm da nichts vormacht. Dieses Gefühl ist untrüglich.

Langsam reitet er immer höher, bleibt fortwährend wachsam, lässt seinen Blick unaufhörlich ruhelos wandern und beobachtet auch die Vögel in der Luft.

Aber es geschieht nichts.

Sie lassen mich hochkommen, denkt er. Sie wollen nicht diesseits der Wasserscheide auf mich schießen. Denn sie wissen, dass man mich von der Station und von den Wagen her beobachtet. Sie warten oben, bis ich für die Blicke der zurückgebliebenen Leute unsichtbar werde. Aber dann …

Er denkt nicht weiter.

Denn er hat sich bisher stets geweigert, darüber nachzudenken, was sein wird, wenn man ihn einmal richtig erwischen wird mit heißem Blei. Er hat nie daran gedacht, wenn er in einen Kampf ritt oder einer gefährlichen Fährte folgte.

Das letzte Stück des Passes führt geradeaus nach Westen zur Wasserscheide hinüber und steigt kaum noch an. Der Passeinschnitt ist nicht breit, und die rechts und links aufsteigenden Hänge, die werden noch mehr eingeengt durch Felsgruppen, welche am Fuß der aufsteigenden Hänge stehen wie versteinerte weiße und rote Elefantengruppen. Dazwischen ist das Grün von Bäumen und Büschen.

Mitten auf der Wasserscheide hält Clint Slade an.

Und er braucht nun nicht länger mehr zu warten.

Ein Reiter kommt zwischen den Felsen der nördlichen Seite hervor. Es ist ein geschmeidiger, dunkler Bursche, der halb wie ein Mexikaner gekleidet ist. An ihm ist viel Silber zu erkennen, also silberne Sporen, silberne Beschläge am Gürtel und den beiden Revolverholstern. Einen mit Silber verzierten Sattel reitet er, und sein weißes Hemd unter der schwarzen und reich mit Conchos verzierten Lederweste ist mit Spitzen und Rüschen versehen.

Seine Augen stehen schräg. Seine Wangenknochen sind hoch und spitz. Und sein schmallippiger Mund scheint sich nur mühsam über dem prächtigen Gebiss schließen zu können.

»Hallo, Ringo«, sagt Clint Slade kalt. »Ich habe es immer irgendwie gespürt, dass wir noch einmal miteinander zu tun bekommen würden.«

Ringo Juarez grinst noch eine Weile.

»Was sein muss, muss sein«, sagt er dann. »Bist du vielleicht heraufgekommen, um den fünf Frachtwagen den Weg zu öffnen?«

Clint Slade sieht an ihm vorbei zu einem der Felsen hinauf. Dort oben auf diesem Felsen wachsen Gräser, Büsche und ein paar kleine Bäume. Und er bemerkt eine leichte Bewegung.

Er weiß plötzlich, dass dort oben Ringo Juarez’ Partner mit einem Gewehr auf ihn zielt.

Sonst wäre Ringo Juarez wahrscheinlich auch gar nicht so scheinbar sorglos zum Vorschein gekommen, um hier zu plaudern.

Er sieht Ringo fest an.

»Weißt du eigentlich, wen ihr vor drei Tagen erschossen habt, Ringo?« So fragt er. Aber Ringo grinst. Unentwegt grinst er. Aber das liegt wahrscheinlich an seinen zu kurzen Lippen. Vielleicht grinst er gar nicht und es sieht nur danach aus.

Denn in seinen dunklen Augen ist keine Freundlichkeit.

»So – haben wir jemanden umgelegt?« Dies fragt er und sieht dann nach rechts und links. »Siehst du mich doppelt, Clint Slade? Hast du dich in El Toro so voll gefüllt, dass es noch anhält?«

»Ihr habt meinen Bruder Mark Slade erschossen«, murmelt Clint. »Mein Bruder Mark fuhr den ersten Wagen. Und das ist dumm für dich, Ringo. Dein Auftraggeber hätte dir sagen müssen, wie sehr du dir bei dieser Sache den Schwanz einklemmen könntest. Aber jetzt hast du ihn dir eingeklemmt!«

»Ich habe Paco auf dem Felsen«, erwidert Juarez. »Du kennst doch meinen Halbbruder Paco. Der könnte auf diese Entfernung einer Maus den Kopf abschießen. So-o-o, das war dein Bruder Mark, dieser Narr auf dem ersten Wagen? Na, das tut mir aber leid. Aber weißt du, Paco und ich, wir bekommen fünfhundert Dollar, wenn wir diesen kleinen Frachtzug nicht über den Pass kommen lassen. Und wer lässt sich schon solch einen Verdienst entgehen, nicht wahr?«

Clint Slade schüttelt zu diesen Worten den Kopf.

»Das ist unklug«, sagt er. »In der Hölle zahlt man nicht mit Dollars. Was nützen dir dort die Dollarstücke?«

Als er es gesagt hat, will Ringo zu lachen beginnen.

Doch er kommt nicht mehr dazu. Denn nun überstürzen sich die Dinge und kommt alles zu einem rasenden Ausbruch.

Clint Slade fühlt sich nicht nur eingekeilt und besiegt deshalb jeden Gedanken an die eigene Sicherheit und Schonung seines Körpers oder gar des Lebens. Es bricht nun eine Wildheit in ihm los, die allein von dem heißen Wunsch geboren wird, den Tod des Bruders zu rächen und dem Frachtzug diesen Pass zu öffnen.

Er explodiert, wie nur ein Mann explodieren kann, der sich allein durch Kühnheit behauptet und an den Ausgang der Dinge keine Fragen stellt.

Er gibt dem Pferd die Sporen, stößt dabei den wilden Schrei eines Pumas aus und zaubert den eigenen Colt heraus.

Sein sich aufbäumendes Pferd fängt mit der Brust die Kugel auf, die über den Pferdekopf hinweg den Reiter treffen sollte.

Indes das Pferd stürzt, er sich aus dem Sattel wirft und Ringo Juarez versucht, sein durch den Pumaschrei erschrecktes Tier unter Kontrolle zu bringen, kracht Clint Slades Revolver.

Es ist fast unwahrscheinlich, dass ein sich von einem getroffenen Pferd werfender Mann noch mit dem Colt auf einen Gegner schießen kann.

Doch Clint Slade kann es.

Und er trifft.

Er rollt nach diesem Schuss weiter über den Boden in einen Dornenbusch hinein, auf der andern Seite wieder hinaus – und dann hinter einen großen Stein.

Dies schafft er alles, obwohl das Büffelgewehr vom hohen Felsen noch einmal auf ihn schießt.

Indes Paco oben auf den Felsen sein Gewehr nachladen muss, flucht Clint Slade über den Dornenbusch, der ihm übel mitspielte.

Aber dann leert er seinen Colt auf die Büsche dort oben, zwischen denen er Paco Juarez vermutet, Ringos Halbbruder, der im Gegensatz zu Ringo auch einen mexikanischen Vater hatte. Clint behält nur eine Kugel im Colt.

Paco begeht den Fehler, nochmals mit dem Büffelgewehr zu schießen. Er braucht dann einige Sekunden, um die große Patrone auszuwerfen und eine neue einzuschieben.

Und Clint Slade benutzt die kurze Zeitspanne, um sich hinter der Deckung zu erheben und zu laufen.

Er schafft es bis zum Felsen, ohne getroffen zu werden. Denn Paco muss zu schräg nach unten schießen und sich zu diesem Zweck zu weit über den Rand des Felsens lehnen.