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Narbige Wölfe sind erfahren und gefährlich. In jedem Fall sind sie gefährlicher als jene, die nie zuvor mit einem Fangeisen Bekanntschaft gemacht haben.
Ich, Lot Kilrain, war solch ein narbiger Wolf. Ich hatte meine Erfahrungen auf bittere Art machen müssen. Ich war Glen Finleys Höllenhunden in die Hände gefallen. Sie hatten mich fertiggemacht und für tot gehalten.
Ich grinste, als ich zu dem großen Dampfboot hinüberblickte. Jetzt war die Stunde der Abrechnung gekommen. Ich überlegte, wie ich am besten an Bord gelangen konnte, um Glen Finley zur Hölle zu schicken.
Um genau zu sein: Ich, Lot Kilrain, war entschlossen, einen alten Freund und Partner in den Fluss zu werfen, um ihn zu töten ...
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Seitenzahl: 200
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Narbiger Wolf
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9236-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Narbiger Wolf
Narbige Wölfe sind erfahren und gefährlich. In jedem Fall sind sie gefährlicher als jene, die nie zuvor mit einem Fangeisen Bekanntschaft gemacht haben.
Ich, Lot Kilrain, war solch ein narbiger Wolf. Ich hatte meine Erfahrungen auf bittere Art machen müssen: Ich war Glen Finleys Höllenhunden in die Hände gefallen. Sie hatten mich fertiggemacht und für tot gehalten.
Ich grinste, als ich zu dem großen Dampfboot hinüber blickte. Jetzt war die Stunde der Abrechnung gekommen. Ich überlegte, wie ich am besten an Bord gelangen konnte, um Glen Finley zur Hölle zu schicken.
Um genau zu sein: Ich war entschlossen, einen alten Freund und Partner in den Fluss zu werfen, um ihn zu töten …
An einem späten Nachmittag kam ich damals nach Saint Louis. Es war kein besonders stolzer Einzug, denn ich hockte in einem kleinen Boot, welches mich den Big Muddy abwärts getragen hatte – so an die zweihundert Meilen. Das Boot hatte ich gestohlen.
Doch es war ein altersschwaches und morsches Ding. Als ich es am Ufer auflaufen ließ, weil ich am Ziel war, brach es auseinander. Ich machte mir sogar noch die Füße nass. Aber das war nicht so schlimm. Es war Sommer, und ich trug Sandalen wie ein mexikanischer Schafhirte.
Das Zeug, welches ich auf dem Leib trug, hatte ich mir irgendwo aus einer Fischerhütte gestohlen.
Was war ich doch damals in einer dicken Pechsuppe! Ich kam mir wie eine Fliege vor, die in dieser Pechsuppe immerzu herumkrabbeln musste, bis sie am Ende ihrer Kraft war. Und dabei war ich bestimmt keine Fliege.
Ich war das, was man schlicht und bezeichnend damals einen »narbigen Wolf« nannte – denn narbige Wölfe sind erfahrener und deshalb gefährlicher als solche, die noch niemals in einer Falle saßen und auch sonst nichts erlebt haben, was ihnen Narben einbrachte.
Ich dehnte und reckte mich am Ufer ein wenig. Mein Hunger war grausam. Und mein Körper war sehr viel hagerer als sonst. Mir fehlten noch fast zwanzig Pfund zu meinem Normalgewicht von etwa hundertfünfundachtzig Pfund.
Und mein Name?
Nun, es gab damals ein paar Leute, die fluchten bei meinem Namen oder sprachen ihn wie einen Fluch aus.
Aber ich hatte auch ein paar Freunde auf dieser lausigen Erde. Kinder, Frauen, Pferde und Hunde mochten mich jedoch immer. Instinktiv!
Lot Kilrain. Das war der Name – und er ist es jetzt immer noch, da ich diese Geschichte zu erzählen beginne.
Ich dehnte und reckte also meinen mager gewordenen Körper am Strand der Missouri-Mündung. Dann wandte ich dem Big Muddy – wie ja der Missouri von uns allen genannt wurde – den Rücken und trottete bald schon am Mississippi-Ufer der Stadt zu.
Ich kam an ein Feuer, um welches einige Strandläufer hockten und Fische brieten. Sie gaben mir einen – und ich aß ihn im Weitergehen. Die Sonne sank bereits weit im Westen hinter den Osage Hills. Ich erreichte endlich die Uferstraße und schwang mich hinten auf einen Wagen, der, aus dem Farmland Kartoffeln nach Saint Louis brachte.
Ich hatte nach dem Fisch noch Hunger und aß ein paar dieser Kartoffeln roh wie Äpfel.
Es wurde dunkel. Die Dämmerung kam von Osten herangekrochen. Und da sah ich endlich die Ohio Bee.
Ich konnte ihren Namen nicht mehr lesen, dazu war es schon zu dunkel. Doch ich erkannte das Dampfboot sofort wieder. Es gab nur ein Dampfboot dieser Bauart. Die Ohio Bee war niedrig. Sie besaß nur noch ein zweites Deck über dem Hauptdeck, dafür aber trotz ihrer Kleinheit zwei Schornsteine. Denn sie hatte zwei Maschinen. Ein paar Kabinen und das Ruderhaus waren erleuchtet. An der Gangway stand ein Posten.
Etwas flussabwärts waren zwei Lastkähne verankert. Sie lagen nicht Bord an Bord, sondern hatten zwischen sich einen Abstand von etwa sechs Yard. Da sie selbst je sechs Yard breit waren, machte das zusammen schon achtzehn aus. Die Plattform, für die sie den schwimmenden Unterbau bildeten, war etwa zwanzig mal zwanzig Yard im Quadrat.
Das war keine Tanzfläche. Nein! Dort würde ein Preiskampf stattfinden. Das Kampfgeviert war mit weißer Farbe aufgemalt. Denn man kannte damals noch keine Boxringe. Rings um dieses Geviert würde die Prominenz sitzen. Nur die weniger wichtigen Zuschauer blieben am höher gelegenen Ufer.
Denn Preiskämpfe waren damals verboten – jedenfalls in oder bei den großen Städten. Aber gerade dort bekam man besonders viele Zuschauer und wurden große Wettbeträge riskiert.
Irgendein gerissener Anwalt fand jedoch heraus, dass dieses Verbot nur an Land gelten konnte. Auf dem Strom gab es irgendwelche Ausnahmen. Da waren die Behörden und die Stadtpolizei von Saint Louis machtlos. In anderen Städten längs der Ströme war es ähnlich.
Und deshalb dieses große Schwimmfloß als Kampfplattform.
Ich starrte auf das Schiff, und ich staunte über mein Glück. Denn ich hatte damit gerechnet, dass ich Glen Finley und seine Ohio Bee vielleicht sehr lange suchen musste.
Aber sie war hier oberhalb von Saint Louis, gerade so weit von der Stadt und ihrem Hafen entfernt, um all den Zuschauern einen kurzen Weg zu Pferd oder Wagen und armen Leuten sogar zu Fuß zumuten zu können.
Nun, ich grinste. Dann überlegte ich, wie ich am besten an Bord gelangen konnte, um Glen Finley in die Hölle zu schicken.
Um genau zu sein: Ich, Lot Kilrain, hatte die Absicht, einen alten Freund und Partner in den Fluss zu werfen, um ihn zu töten.
Das liest sich gewiss schlimm. Aber ich war Glen Finley nichts anderes schuldig. Denn vor einem Vierteljahr etwa hatte er mich in den Fluss werfen lassen, und er und seine harten Jungens hatten mich damals für tot gehalten.
So war das.
Ich hockte mich unter einen Busch und beobachtete das Schiff. Ich sah dann und wann jemanden gehen oder kommen. Einmal sah ich sogar Glen Finley aus seiner Kapitäns- und Eignerkabine treten und sich über die Reling lehnen. Er rauchte eine dicke Zigarre und warf den Stummel ins Wasser. Und es gab keinen Irrtum. Dieser große, prächtig gebaute Bursche, dem die Haare schon etwas dünn wurden, war mein lieber alter Freund Glen Finley.
Nachdem er Luft geschnappt hatte, verschwand er wieder.
So sehr ich auch überlegte, einfallen wollte mir nichts. Nur eines war völlig klar, nämlich, dass es nicht einfach sein würde. Er hatte eine harte Mannschaft an Bord. Damit hatte er mich schon mal schaffen können. Jetzt besaß ich nicht mal eine Waffe, hatte den Bauch voll hungriger Wölfe und war körperlich noch längst nicht wieder der alte Lot Kilrain.
Vielleicht sollte ich erst mal nach Saint Louis hinein, um dort einen alten Freund zu suchen, der Freund genug war, um mir mit zwei- oder dreihundert Dollar auszuhelfen. Dann konnte ich mir eine Kanone kaufen und zwei oder drei Wochen warten, gut essen und mich fit machen. Meine Chancen gegen Glen Finley würden dann bedeutend besser sein.
Aber ich wollte nicht länger warten. Seit vielen Wochen wünschte ich mir nichts anderes mehr, als Finley von dieser Erde zu jagen. Eigentlich hatte mich dieser heiße Wunsch allein am Leben erhalten. Und jetzt war Glen Finley nur einen guten Steinwurf weit von mir entfernt dort drüben auf diesem schnellen und starken Dampfboot.
Bevor ich zu einem Entschluss kommen konnte, hörte ich einen leichten Wagen kommen und bei der Landebrücke halten. Ich konnte in der heller gewordenen Nacht den Wagen gut erkennen. Auch den Mann, der mit dem Einspänner gekommen war, erkannte ich sofort. Solch eine unförmige Gestalt hatte nur Bill Spade. Und gerade ihm war ich eine Menge schuldig. Für diesen Bill Spade war ich gewiss die größte Enttäuschung seines Lebens.
Er ging an Bord, und ich wusste, was er dort bei Glen Finley machte. Ich wusste auch, dass er bald wieder zurückfahren würde. Und so machte ich mich auf den Weg. Ich lief ein Stück in Richtung zur Stadt und wartete dann bei einem Busch. Der Posten beim Schiff hatte mich nicht sehen können.
Ich brauchte nicht lange zu warten. Denn was der dicke Box-Manager Bill Spade mit Glen Finley zu erledigen hatte, dauerte nur wenige Minuten. Und da sie gewiss keine Freunde geworden waren, hatten sie sich sonst nichts zu sagen.
Ich stellte mich mitten auf die staubige Uferstraße und wartete, bis Bill Spade den Einspänner um mich herumlenken wollte. Dann sagte ich: »Nun, Bill Spade, du glaubst doch wohl nicht an Gespenster, nicht wahr? Deshalb wirst du jetzt auch nicht erschrecken.«
Er hielt das Pferd an. Im Mond- und Sternenschein betrachtete er mich, während ich langsam meinen alten Strohhut abnahm. Er konnte auch die neue Narbe an meiner Schläfe erkennen, die sich bis über den Wangenknochen zog.
Dann schnappte er einige Male nach Luft, bekam sich jedoch schnell unter Kontrolle und sagte mit grimmig gewollter Gleichgültigkeit: »Ach ja, wir kennen uns wohl? Du bist doch diese traurige Niete, diese einmalige Null, die ich damals um Beistand bat und die mir tausend Dollar abnahm, um sich dann als der große Versager zu erweisen. Bist du das, Lot Kilrain? Bist du die Null, von der man glaubte, sie wäre ein Revolverkämpfer?«
»Mach dir nur Luft, Bill«, sagte ich. »Ich kann das gut verstehen.«
»Wie schön«, sagte er. »Ich wünschte mir schon immer eine verständnisvolle Seele für meine Probleme. Dich hat mir wahrhaftig der Himmel gesandt. Meine sehnsüchtigen Gebete gingen in Erfüllung. Schleich dich nur, du Bluffer.«
Aber ich grinste und setzte mich neben ihn in den Wagen.
»Fassen wir noch einmal alles zusammen«, sagte ich. »Du bist Box-Manager und Veranstalter von Preiskämpfen. Und auch Glen Finley ist solch eine Nummer. Ihr hattet damals in Independence den großen Kampf zwischen deinem Kämpfer Buck Quade und Finleys Boxer Hardy Russian veranstaltet. Die Wetten standen hoch für Buck Quade. Aber dann verlangte Finley von dir, dass dein Mann verlieren sollte. Er drohte dir, und er hatte einige Revolverhelden, von denen er euch abschießen lassen wollte. Du wusstest, dass dies kein Bluff war. Deshalb kauftest du dir die Hilfe eines Revolvermannes, von dem du glaubtest, dass er mit Finleys Revolverschützen zurechtkommen konnte. Dieser Revolvermann war ich. Und ich nahm tausend Dollar Vorschuss und versprach dafür, dass euch nichts zustoßen würde, sollte dein Boxer Buck Quade den Kampf gewinnen.«
»Das stimmt alles«, knurrte Bill Spade neben mir und spuckte vom Wagen zur Seite nieder. »Und dann warst du plötzlich verschwunden. Finley sagte mir, dass es leicht war, dich auszuschalten. Und da gab ich klein bei. Ich ließ meinen Mann Buck Quade den Kampf verlieren, obwohl er Finleys Mann zu Klumpen geschlagen hätte, würde er das ernsthaft versucht haben. Wir betrogen somit viele Wetter um ihren fast sicheren Gewinn. Und Finley, der auf seine Niete gesetzt hatte, die dann auch durch Schiebung gewann, machte riesige Wettgewinne. Das alles verdanke ich dir, Hombre. Oder irre ich mich da?«
Er fragte es mit grimmiger Verachtung.
Ich nickte. »Ja, ich beging einen Fehler«, sagte ich langsam. »Finley war ein alter Freund und Partner von mir. Wir wuchsen zusammen auf. Dann waren wir zusammen im Krieg. Und als wir uns trennten, schieden wir als Freunde. Weißt du, Bill, wir hatten uns damals in die gleiche Frau verliebt. Da losten wir aus, wer von uns in jener Stadt bleiben konnte und wer dem anderen das Feld überlassen musste. Er gewann. Und so trennten wir uns als Freunde. Als du mich damals um Hilfe batest und ich mich von dir anwerben ließ, da machte ich den Fehler, mich an die alte Freundschaft zu erinnern. Ich ging zu Finley an Bord, um mich gütlich mit ihm zu einigen. Ich sagte ihm, dass ich deinen und Buck Quades Schutz übernommen hatte und es für ihn besser wäre, wenn er diesmal zurückstecken würde. Er war mir eine Kleinigkeit schuldig. Schließlich hatte ich ihm damals das Feld überlassen. Aber für ihn war unsere Freundschaft tot. Er schoss mich in seiner Kabine mit einem Derringer zusammen. Davon ist die Narbe an meiner Schläfe. Und dann warfen mich seine Leute in den Fluss. Sie glaubten, ich wäre eine der vielen Leichen, die immer wieder stromabwärts schwimmen. Deshalb konnte ich euch nicht helfen, Buck und dir, Bill. Aber ich bin jetzt wieder dabei, mir die tausend Dollar von damals zu verdienen. Das wollte ich dir nur sagen. Und wenn du morgen wieder deinen Boxer verlieren lassen sollst, dann …«
»Versprich mir nur nichts«, sagte er. »Ja, es ist ein Revanchekampf zwischen Buck Quade und Finleys Hardy Russian. Aber mein guter Buck hat vor einem Monat unten in New Orleans den großartigen Hammer-Huck Merville geschlagen. Deshalb gilt er jetzt wieder als der wahrscheinliche Gewinner, obwohl ihn Russian im ersten Kampf schlug. Die Wetten stehen zwei zu drei für meinen Buck Quade. Deshalb gab Finley mir soeben den Befehl, Buck Quade nochmals verlieren zu lassen. Das bringt mehr Wettgewinn. Aber Buck wird nicht mitmachen. Der verliert nicht mehr absichtlich. Das hat er sich geschworen. Wahrscheinlich wird er also gewinnen. Und wahrscheinlich wird ihn dann ein Revolverheld abknallen. Denn du traurige Niete …«
»Schon gut«, sagte ich. »Ich weiß, was ich bin – aber ich kann deine Bitterkeit verstehen. Ich wollte dir nur sagen, dass ich noch lebe. Wie viel Geld hast du damals verloren, als du Buck Quade verlieren lassen musstest?«
»Fast zehntausend Dollar«, knirschte er. »Doch du solltest dich lieber nicht von Finley oder dessen Jungens erwischen lassen. Seine Hombres ziehen dir die Haut ab, salzen dich ein und servieren dich ihrem Boss zum Frühstück. Und jetzt raus aus meinem Wagen.«
Ich gehorchte, denn ich fühlte mich sehr in seiner Schuld. Als ich neben dem Wagen stand, wollte er anfahren. Doch dann fragte er noch: »Wieso bist du nicht im Fluss ertrunken? Ich denke, sie warfen dich verwundet hinein?«
»Da war ein entwurzelter Baum mit vielen Ästen. Er trieb abwärts. Ich hing in dem Astwerk. Wir strandeten schon bei der nächsten Biegung. Ich kroch an Land. Dann fanden mich Fischer. Sie nahmen mir zwar alles, was ich besaß und darunter auch all mein Geld, welches Finleys Männer nicht fanden. Diese Fischer filzten mich besser. Aber sie halfen mir auch, am Leben zu bleiben. Und dieses Leben war mir wichtiger. Ich hätte ihnen ohnehin alles geschenkt aus Dankbarkeit.«
Er nickte langsam.
Dann griff er an die Tasche und hielt mir auf der flachen Hand fünf Zwanzigdollarstücke hin. Es waren Goldstücke. Sie blinkten im Mond- und Sternenlicht.
Zuerst wollte ich sie rasch nehmen, damit ich sie hatte, bevor er es sich vielleicht anders überlegte. Doch dann fiel mir ein, dass ich zwar ein narbiger Wolf war, und auch ein noch nicht völlig gesunder und zurzeit sehr hungriger, doch deshalb noch längst keine Schnecken und Würmer fraß – oder auf mich angewandt, Almosen nahm.
Ich konnte wieder selbst für mich sorgen.
Bill Spade war mir nichts schuldig. Nur Glen Finley war mir etwas schuldig. Ich grinste deshalb und sagte: »Steck die Dinger wieder ein, Bill Spade.«
Und dann ging ich den Weg zurück, bis ich wieder meinen alten Platz gegenüber der Landebrücke eingenommen hatte. Bill Spade war wortlos weitergefahren. Ich dachte über unser Zusammentreffen nach.
Dass ich heute nicht nur Glen Finley und seine Ohio Bee fand, sondern wenig später auch noch auf Bill Spade stieß, konnte kein Zufall sein. Es war Bestimmung.
Und deshalb glaubte ich, dass meine Pechsträhne vielleicht beendet war.
Nun, ich würde es bald wissen.
Gegen Mitternacht wurde es dann auf der Ohio Bee ruhiger.
Ich lief am Ufer ein Stück stromauf. Dort ging ich ins Wasser. Trotz des warmen Sommers, den wir hinter uns hatten, war das Wasser recht frisch. Ich schwamm ein Stück hinaus und ließ mich dann abwärts treiben.
Die Ohio Bee lag mit dem Bug stromauf an der Landebrücke.
Auf der Wasserseite waren zwei kleine Boote festgemacht. Von einem dieser Boote kletterte ich an Bord und glitt sogleich unter die Treppe, welche vom Hauptdeck nach oben führte.
Ein Mann kam von achtern nach vorn, hielt da und dort an, spuckte in den Fluss und ging weiter. Als er bei mir war, lehnte er sich wieder über die Reling. So war es ganz leicht für mich, hinter dem Aufgang hervorzugleiten und ihm was ins Genick zu geben. Ich tat es mit der Handkante, und er tat keinen Muckser. Ich hob ihn über die Reling und ließ ihn ins Boot hinunter. Als seine Füße im Boot aufstießen, ließ ich ihn los. Er fiel über die Ruderbank. Ich aber machte die Leine des Bootes los – und da trieb es auch schon mit ihm ab.
Zuvor aber hatte ich mir den Revolver des Wächters in den Hosenbund geschoben. Es war eine ganz brauchbare Waffe, mit der ich eine Menge Zauber machen konnte. Und diesmal würde mich Finley nicht mit einem kleinen Derringer überrumpeln können. Nun endlich wusste ich ja, dass die alten Zeiten der Freundschaft vorbei waren.
Ich musste oben um die Kabinen-Aufbauten herum, und als ich die Ecke erreichte, fiel plötzlich Lichtschein auf das Deck. Ich wusste sofort, dass sich eine Kabinentür geöffnet haben musste.
Als ich vorsichtig um die Ecke sah, erkannte ich Glen Finley.
Er stand beim Steuerbord-Niedergang und rief jemandem zu, dass er ein paar Brote und Kaffee haben wolle. Aber dann rief der Posten an der Landebrücke, dass jemand gekommen wäre, der trotz der späten Nachtstunde an Bord möchte, um den Boss zu sprechen.
Und da ging Finley einige Stufen den Niedergang hinunter – und ich glitt durch die offene Tür in die Kabine hinein. Da die Tür sich nach außen öffnete und offen stand, deckte sie mich.
Finleys Kapitän- und Eignerkabine war zweiräumig. Sie bestand aus einer Wohn- und einer Schlafkabine. Die Tür zur Schlafkabine war nur angelehnt. Ich öffnete sie und verschwand in dem dunklen Raum.
Dahinter wartete ich.
Selbst wenn für Finley Besuch gekommen war und er diesen Besuch in seiner Kabine empfangen würde, so konnte ich hier warten. Aber ich fühlte mich nicht besonders behaglich. Denn ich war nass vom Fluss.
Mein Hunger wurde immer stärker. Aber bald schon vergaß ich Nässe und Hunger, denn jetzt kam Glen Finley mit seinem Besucher zurück.
Ich hatte die angelehnte Tür um einen winzigen Spalt geöffnet. Da der Raum hinter mir dunkel war, konnte man mich gewiss nicht sehen – ja, es war auf den ersten Blick nicht einmal festzustellen, dass die Tür nicht mehr angelehnt war.
Finleys Besucher war nur zu einem Fünfzigprozent-Anteil weiß.
Wahrscheinlich war seine Mutter eine Cheyenne-Squaw, denn diese wurden von den Weißen bevorzugt; sie waren schöner als die Squaws der anderen Stämme.
Der Mann – ein riesiger Bursche – war offensichtlich ein Angehöriger der so genannten »Hirschleder-Brigade«, wie man allgemein die Prärie- und Gebirgsläufer, die Trapper, Scouts und Jäger westlich von Kansas City nannte.
Dieser Bursche griff sich zuerst Finleys Whiskeyflasche und goss sich die Hälfte ihres Inhaltes in den Hals.
Finley betrachtete ihn. Dann sagte er kalt: »Hoog, wenn du mir für den guten Bourbon Whiskey keinen Gegenwert zahlen kannst, dann …«
»Den Gegenwert von einer ganzen Whiskey-Flotte bringe ich«, unterbrach ihn der Bursche mit kehliger Stimme.
Dann hob er seinen Zeigefinger und sagte: »Ich weiß, wo für mehr als eine Million Dollar in Gold liegt.«
»Bin ich Goldgräber?« Finleys Stimme klang verächtlich. »Glaubst du, dass ich irgendwo in die Berge gehe, um dort …«
»Es liegt im Fluss«, unterbrach ihn jener Hoog. »Es ist das Gold der guten Saint Louis Queen. Und die kannten Sie doch wohl.«
Nun ging Finley hinter seinen Schreibtisch und setzte sich. Er trank aus derselben Flasche.
Dann sah er zur Tür. Dort brachte der Chinajunge aus der Küche ein Tablett mit belegten Broten und einen Topf Kaffee herein.
Hoog griff sofort hungrig nach den Broten. Als er schmatzend zu essen begann, knurrte mein Magen hungrig. Ich wäre am liebsten mit schussbereitem Colt vorgetreten und hätte ihnen die Brote abgenommen. Aber ich wusste, dass ich jetzt eine besondere Geschichte zu hören bekommen würde.
Die Saint Louis Queen war nämlich auch mir gut bekannt.
Sie war ein kleines, doch sehr schnelles und starkes Schiff wie die Ohio Bee. Auch hatte sie nur geringen Tiefgang. Man konnte mit ihr bis zum Oberen Missouri hinauf – bis die Großen Fälle das endgültige Hindernis bildeten.
Im vergangenen Winter – bevor der große Schnee kam und der Strom vereiste – verließ die Saint Louis Queen den Hafen von Great Falls. Da sie der letzte Postdampfer war, hatte sie die Goldausbeute des ganzen Goldlandes an Bord. Und sie kam nie ans Ziel. Es hieß, dass die Indianer sie irgendwo am Oberen Big Muddy erwischt hätten.
Aber niemand wusste, wo.
Im Frühjahr und dann auch im Verlauf des Sommers ging die Suche los. Aber das war nicht so einfach. Der Big Muddy war ja kein Fluss, den man so einfach befahren und absuchen konnte. Es gab viele Nebenarme, Inseln, und sogar Sumpfgebiete, durch welche Kanäle führten. In all diesen Gebieten des mächtigen Stromes konnte sich eine ganze Flotte von Schiffen verbergen. Und weil fast überall Indianer waren, war auch die Suche kein Kinderspiel, sondern ein gefährliches Abenteuer. Die Indianer hatten schon so manches Schiff erwischt.
Dennoch aber bildete der Strom die Hauptverkehrsader ins Goldland von Montana. Allerdings musste man von Great Falls aus noch drei Tage über Land. Doch es gab von Great Falls aus Post- und Frachtlinien nach der Alder Gulch, nach Last Chance City – ja sogar bis nach Bozeman, ins Galatin Valley und überall dorthin, wo schon Tausende von Goldgräbern schufteten und manchmal wie die Fliegen starben.
Der Landweg von Fort Laramie nach Bozeman führte mitten durch das Land der Sioux und Cheyennes; er war sehr viel gefährlicher als der Flussweg. Deshalb hatte der Postdampfer – die Saint Louis Queen – eine Menge Gold an Bord gehabt. All jene Goldsucher, die im Goldland überwintern wollten und daheim Familien besaßen, die hatten zumindest einen Teil ihrer Goldausbeute auf den Weg gebracht. Wahrscheinlich waren tausend und noch mehr solcher Sendungen an Bord gewesen, aber auch schwere Goldbarren. Letztere wurden von den Goldaufkäufern der Bankhäuser auf den Weg gebracht. Für diese Banken war es ein gutes Geschäft, das Gold schon in den Goldgräberstädten zu kaufen. Denn sie bekamen es dort sehr viel billiger.
Nun, so war das also mit der Saint Louis Queen. Ich hatte davon gehört, bevor man mich damals für tot hielt und in den Fluss warf.
Und jetzt hörte ich also wieder von diesem Schiff. Glen Finley hatte jenen Hoog inzwischen ein paar Brote verschlingen lassen. Er selbst hatte wahrscheinlich seinen Hunger vergessen – und ich hatte das auch.
Finley sagte plötzlich hart: »Nun spuck es heraus, John Hoog! Wo liegt das Gold im Fluss? Und was willst du von mir?«
Der Halbblutmann grinste breit. Er hatte einen grausam wirkenden Mund, sehr dünnlippig und sehr breit.
»Die Roten hatten das Schiff in Brand gesetzt. Ich glaube, dass sie ein paar Hunderte von Brandpfeilen hinübergeschossen haben. Hey, alles, was über der Wasseroberfläche war, brannte ab. Und innen brannte alles aus. Die Saint Louis Queen trieb dabei in eine Bucht. Ihre Reste sanken. Sie brach einfach auseinander. Das Gold liegt mit diesen Resten im Schlamm der Bucht. Und nur ich kenne diese Bucht. Sie gehört zu einem dieser Seitenarme, die in keiner Karte eingetragen sind. Aber hier drinnen in meinem Kopfe ist alles genau verzeichnet.«
Bei diesen Worten tippte er sich gegen die ziemlich flache Stirn, und er grinste dabei stolz mit seinem Wolfsmaul. »Ich will die Hälfte«, sagte er dann schlicht. »Die andere Hälfte kannst du bekommen, Finley.«
Er sprach zuletzt sehr selbstbewusst, ganz und gar wie ein gleichberechtigter Partner.
»Und warum gerade ich?«, fragte Finley. »Warum bin gerade ich der Mann, den du dir ausgewählt hast? Wir kennen uns doch nur flüchtig. Du warst mal auf meiner Lohnliste. Sicher, wir kamen damals gut miteinander aus, und du warst auch einer jener Burschen, auf die man sich verlassen konnte, gab man ihnen gefährliche Aufträge. Aber warum möchtest du mich jetzt zu einem reichen Manne machen?«
»Weil wir einander brauchen«, sagte John Hoog.
»Die Ohio Bee