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Ja, Kellkini ist mein Name, Tim Kellkini. Jedenfalls muss ich der Armee, die mich als Jungen aus den Händen der Indianer befreite und nach meinem Namen fragte, mit diesem Wort geantwortet haben. Inzwischen bin ich ein Mann geworden. Und mein Leben ist so abenteuerlich geblieben, wie es begonnen hat. Aber ich bin damit zufrieden. Sehr sogar. Denn meine Verwegenheit, die ich meiner Natur verdanke, und meine Gradlinigkeit, die eine Frucht meiner indianischen Vergangenheit und meiner späteren Erziehung bei den Jesuitenvätern ist, haben mich immer einen klaren, wenn auch nicht ungefährlichen Weg gehen lassen. Ich begegnete auf diesem Weg nämlich oft dem Tod, blickte in die Abgründe von Gemeinheit und Grausamkeit, traf aber auch Menschen voller Edelmut und Größe. Und zuletzt begegnete ich Lorena, der Frau, die meine treue Lebensgefährtin wurde, weil ich - wie sie mir immer wieder sagt - ein Mann sei, der zum Salz der Erde gehört ...
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Seitenzahl: 177
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Kellkini
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9237-1
www.bastei-entertainment.de
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www.bastei.de
Kellkini
Mein Name ist Kellkini, Tim Kellkini. Aber es ist gewiss nicht mein richtiger Name, denn diesen werde ich nie erfahren.
Als mich damals die Soldaten aus den Händen der Indianer befreiten, weil ich zweifellos ein Kind weißer Abstammung war, zählte ich etwa drei Jahre. Und als sie mich fragten, wie mein Name sei, da sagte ich immer nur »Kellkini, Kellkini«, nichts anderes als Kellkini. Es war gewiss ein indianisches Wort und wurde von mir nur verstümmelt ausgesprochen.
Der Armeescout brachte mich zu einer Mission der Jesuiten, die mich aufzogen und von jenem Armeescout gesagt bekamen, dass ich Kellkini heiße und er mir den Vornamen Tim gegeben habe.
Und so heiße ich auch jetzt noch, da ich diese Geschichte meines Lebens schreibe: Tim Kellkini. Denn jeder Mensch muss ja wohl einen Namen haben. Mir war er recht.
Die Indianer hatten mich zu einem Krieger ihres Stammes aufziehen wollen. Doch dann war ich ein Jesuitenschüler geworden, dem die Patres eine Menge beibrachten, sodass ich wahrscheinlich gebildeter war als die meisten Weißen in unserem großen Land.
Natürlich musste ich ihnen dankbar sein, denn eigentlich wurden sie meine Väter.
Dennoch konnte ich nicht so werden wie sie, obwohl ich sie bewunderte und irgendwie verehrte. Denn sie versuchten Gutes zu tun.
Doch je älter ich wurde, umso stärker wuchs in mir der Wunsch nach Freiheit.
Wahrscheinlich glich ich in diesem Zustand einem Jungwolf, den man für ein braves Hündchen gehalten hatte, der aber mehr und mehr das Verlangen in sich spürte, frei zu sein und jagen zu können.
Dennoch hatten mir meine Jesuitenväter etwas beigebracht, denn sie ließen mich in einem Buch von einem gewissen Blackstone lesen, der ein sehr weiser Mann gewesen sein muss.
Und so wusste ich, dass die Gemeinschaft der Menschen jeden Einzelnen beschützen und dass jeder Mensch die Gebote der Allgemeinheit respektieren und befolgen soll. Denn die Gemeinschaft der Menschen hat die Rechte jedes Einzelnen zu beschützen. Und als Gegenleistung und Dank für diesen Schutz müssen sich die Beschützten den Gesetzen der Gemeinschaft unterwerfen, sich ihnen beugen. Denn nur so ist es möglich, jedem einzelnen Mitglied Schutz zu bewähren.
Irgendwann hatte ich das in meinem Hirn verarbeitet und begriffen.
Dennoch war mir nicht danach, mich einzuordnen. Ich wollte frei sein.
Und so machte ich mich auf die Socken, lief davon, folgte einem geheimnisvollen Ruf, einer inneren Stimme. Ich wollte die Welt erkunden und ein Jäger sein.
Sicherlich war da etwas von meinen Vorfahren, die ich nicht kannte, in meinem Blut mächtig geworden.
Und so lief ich in die Freiheit wie ein Jungwolf oder flog davon wie ein junger Adler, der seinen Instinkten folgen muss, weil das von Natur her so bestimmt ist. Dann vergingen ein Dutzend Jahre. Ich musste inzwischen etwa siebenundzwanzig Jahre alt geworden sein.
☆
Ich war mit der Ausbeute eines ganzen Jagdwinters aus dem Yellowstone-Gebiet nach Fort Buford unterwegs, und ich hatte fünf lange Monate eine gute Jagd gehabt. Meine drei Packpferde waren mit kostbaren Pelzen und Fellen beladen.
In Fort Buford wollte ich die vier Pferde verkaufen und mit der Ausbeute auf einem Dampfboot den Missouri abwärts bis Kansas City – Westport fahren.
Und dann … Oho, was würde dann sein?
Heiliger Rauch, ich würde die Einsamkeit ohne Frau in mir tilgen und alles, was ich versäumte, wieder ausgleichen.
Ich hätte mir ja auch eine Squaw kaufen können, die mit mir in der Hütte lebte und mich in den kalten Blizzardnächten unter der Decke wärmte.
Doch ich war keiner von dieser Sorte, die eine Squaw dann wieder fortschicken konnten. Das taten nicht wenige von der Hirschlederbrigade, wie man uns Bergläufer und Pelzjäger nannte. Sie schickten die Gefährtinnen eines langen Winters einfach wieder zu ihrem Stamm zurück, zumeist geschwängert, sodass ihre Kinder Halbbluts waren.
Vielleicht war auch ich so ein Halbblut, jedoch eines mit heller Haut und rötlichen Haaren. Ja, das konnte durchaus sein. So etwas gab es.
Doch ich dachte schon lange nicht mehr darüber nach.
Eigentlich war ich äußerlich recht gut geraten, ein richtiger Mann geworden, größer als sechs Fuß und so um die fünfundachtzig Kilo schwer, obwohl kein Gramm überflüssiges Fleisch an mir war. Ich hatte starke Knochen, starke Muskeln und bewegte mich leicht und geschmeidig. Gewiss war ich kein schöner Bursche, aber ich hatte dennoch Glück bei fast jeder Frau. Mehr als eine hatte mir gesagt, dass ich wie ein richtiger Mann aussehen würde.
Und ich hatte leuchtend blaue Augen.
Aber das war auch nicht selten bei Halbbluts.
Aber vielleicht war ich ja doch keines.
Nun, ich hatte noch mehr als zweihundert Meilen bis Fort Buford.
Es war noch nicht richtig Frühling. Überall lagen noch Schneereste, und oben in den Crazy Mountains war ich manchmal mit meinen Tieren im Schnee fast gänzlich versunken.
Doch ich kannte die Wege gut, konnte mich nach all den Landmarken richten. Und so würde ich einer der ersten Trapper sein, der mit wertvollen Pelzen nach Kansas City kam.
Auch würden zu dieser frühen Zeit noch keine Indianer auf Pelzjäger lauern, auch keine weißen Hurensöhne, die auf diese hinterhältige und bequeme Art Pelzjagd betrieben.
Dennoch gab es zu dieser frühen Frühlingszeit eine Gefahr: Es konnte ein später Blizzard über das Land herfallen. Denn die Natur spielte immer wieder einmal verrückt.
Es war dann an einem späten Nachmittag, zweihundert Meilen von Fort Buford an der Yellowstone-Mündung entfernt, als ich mich wieder einmal umsah.
Zwischen mir und der Schlucht, aus der ich vor einer halben Stunde auf die Ebene geritten war, lag mehr als eine Meile.
Dennoch konnte ich Yellow Hand erkennen, und er war nicht allein.
Bei ihm tauchten aus dem Schluchtmaul noch ein Dutzend weitere Reiter auf, und sie ritten auf meiner im Schnee so deutlichen Fährte.
Und so wusste ich, dass ich zumindest um meine Jagdausbeute kämpfen müssen würde.
Vielleicht würde mich Yellow Hand am Leben lassen, denn wir kannten uns. Allerdings aus einer Zeit, in der zwischen Roten und Weißen noch Frieden herrschte.
Aber längst war alles anders. Die Roten hatten begriffen, dass die Weißen an ihnen Völkermord betrieben. Und so wehrten sie sich. Es herrschte Krieg.
Ich hatte es nun mächtig eilig.
Wahrscheinlich würde mich die Horde noch vor Nachtanbruch einholen.
Das war ziemlich sicher, denn ich hatte drei Packpferde bei mir. Nur auf meinem schnellen Appaloosa hätte ich ihren zähen Mustangs entkommen können. Dann aber würde ich einen langen Winter umsonst gejagt haben.
O verdammt, wie ungerecht ist diese Welt doch manchmal. Und so fluchte ich erst einmal kräftig. Dann aber wurde ich wütend und so richtig böse.
Denn ich war ja kein Weichei. Ich war Tim Kellkini, mit dem man sich besser nicht anlegte, selbst wenn man ein kleiner Cheyenne-Häuptling war.
Ich ließ die Pferde traben, denn es wäre dumm gewesen, sie nun galoppieren zu lassen, besonders die Packpferde mit ihren schweren Lasten. Ich musste die Tiere schonen bis zum Endspurt.
Doch die Cheyenne, die mich ja einholen wollten, mussten ihre noch wintermageren Mustangs galoppieren lassen. Das war meine einzige Chance. Denn wenn sie mich eingeholt hatten, pfiffen ihre Tiere aus dem letzten Loch – vielleicht.
Ich behielt also die Nerven und setzte meinen Weg nach Osten ruhig fort.
Vor mir lag eine wild zerhackte Hügelkette, durch die enge Schluchten führten. Es würde für mich darauf ankommen, die richtige Schlucht zu finden, also den besten Durchgang durch dieses wilde Gebiet.
Und dann konnte die Nacht meine Rettung sein.
Immer dann, wenn ich über die Schulter nach Westen zurückblickte, da sah ich die Verfolger galoppieren. Hinter ihnen verschwand die Sonne. Und vor mir kroch die Dämmerung über die Hügelkette.
Aber was war im Norden, zu meiner Linken?
Das fragte ich mich plötzlich. Und dazu hatte ich einen Grund.
Denn von Norden her traf mich der erste, kalte Luftstrom.
Ich wusste ihn sofort zu deuten, also richtig einzuschätzen. Denn in dieser Hinsicht kannte ich mich aus. Ich lebte ja schon lange genug in diesem Lande.
Was ich da von Norden her auf meiner linken Seite spürte, dies war der erste Hauch eines Wasiya, der zu dieser Jahreszeit zwischen Winter und Frühling noch einmal von jenem Waniyetula nach Süden geschickt wurde.
Ein Wasiya, das war ein Blizzard. Und Waniyetula, so nannten die Roten den Blizzardgott, der sich vom nahenden Frühling noch nicht geschlagen geben wollte.
Bis zur Kansas-Prärie würde er noch einmal über alles herfallen.
O du Heiliger Rauch, das alles hatte mir noch gefehlt. Wäre ich doch nur zwei oder drei Wochen länger in meinem Hochtal und meiner Hütte geblieben. Ich hätte es dort schön warm gehabt und bei Kerzenlicht in einem der drei Bücher lesen können, die ich mir mitgenommen hatte. Es waren mächtig dicke Bücher. Eines hatte ein gewisser Homer geschrieben. Es war die Geschichte von Odysseus, dem sagenhaften König von Ithaka, der jahrelang auf der Welt umherirrte, bis er endlich heimkehren konnte zu seiner Frau und Gattin Penelope.
Jetzt steckte das Buch in meiner Satteltasche.
Aber ob ich den dicken Wälzer jemals zu Ende würde lesen können?
Als ich mich das fragte, war ein starkes Gefühl von Bedauern in mir.
Und so wurde ich noch wütender auf Yellow Hand.
Immer wieder blickte ich nach Norden und spürte den zweiten, eiskalten Atem des mächtigen Winterriesen, der den Blizzard nach Süden blies.
Auch meine Pferde spürten, was da von Norden her herangebraust kam. Und sie witterten längst den Schutz der Hügel vor uns. Ich musste sie nicht mehr antreiben.
Aber auch das Dutzend Cheyenne-Krieger wollte in den Schutz der Hügel.
Nach diesem zweiten Eiseshauch hielt alles den Atem an. Und ich wusste, dass nun alle Tiere Schutz suchten und sich verkrochen.
Im Norden erschien nun eine grüne Wand, zwar noch in weiter Ferne, doch rasend schnell näher kommend. Dort in dieser grünen Wand zuckten Blitze. Nach einer Weile endlich kam der Donner zu uns und übertönte den Hufschlag meiner Pferde.
Dann spürte ich den dritten Eiseshauch und wusste, dass dies da im Norden kein einfacher Blizzard war. Nein, da kam ein Blaueis-Blizzard, dessen Hagelkörner fast so groß wie Hühnereier waren, nur viel schwerer. Sie zerschlugen alles gnadenlos.
Ich sah mich nicht mehr nach den Verfolgern um. Die Sicht war schlecht geworden.
Und meine ledernen Hosenbeine klebten am Pferdeleib. Ich war festgefroren im Sattel und am Pferdefell.
Als wir die Hügel erreichten, war die Sicht etwas besser. Und so konnte ich noch nach dem richtigen Schluchtmaul suchen. Ja, ich kannte mich hier recht gut aus. Diesen Weg war ich jedes Jahr im Herbst nach Westen und im Frühjahr nach Osten geritten. Ich bog also nach Süden ein, ritt an der Basis der Hügelkette entlang und drehte dem nahenden Blizzard den Rücken zu.
Und dann fand ich das kleine Maul der Schlucht, ritt hinein wie ins Maul einer Riesenschlange.
Ich konnte nur hoffen, dass nicht auch Yellow Hand mit seinen Kriegern denselben Weg einschlug.
Hoch über uns brüllte und orgelte nun der Blizzard wie ein gewaltiges Ungeheuer aus der Hölle oder gar aus dem Jenseits des Alls, das die Erde verschlingen wollte. Und dann schlug der Blaueishagel auch in die enge Schlucht herein, prügelte meine Tiere und mich.
Die Sicht in der engen Schlucht wurde von einem Moment zum anderen so schlecht wie in finsterer Nacht.
Ich konnte nichts mehr sehen, und wahrscheinlich hatte sich auch jener Bursche so gefühlt, der von einem Walfisch verschluckt wurde und sich also in einem tintenschwarzen Loch befand. Irgendwann hatte ich mal etwas darüber gelesen, doch ich konnte jetzt nicht darüber nachdenken. Ich musste was tun.
Aber was konnte ich tun, um in dieser Finsternis einen Schutz zu finden?
Ich hatte nur eine Chance, nämlich die, dass meine Pferde – besonders mein Appaloosa-Wallach – ihren Instinkten folgten und uns in Sicherheit brachten.
Besonders der Appaloosa, der ja aus der Zucht der Nez Percé stammte, die weiter oben im Norden an der Grenze von Kanada lebten, kannte sich mit Blizzards aus. Ja, er war ein Blizzardpferd.
Und so duckte ich mich im Sattel weit nach vorn und überließ ihm die Führung. Dabei wurde ich von den schweren Hageleiern geprügelt, als hätte ich die schlimmsten Sünden begangen.
Zum Glück trug ich meine Felljacke und eine Pelzmütze.
Meine Pferde waren trotz ihres Winterfells schutzloser.
Die drei Packtiere hatte ich an der langen Leine hinter mir.
Nun, ich weiß nicht, wie lange wir in der engen Schlucht waren und wohin wir immer wieder abbogen.
Doch irgendwann war plötzlich alles ruhiger, wurde ich nicht mehr von Hageleiern geprügelt und klang das Orgeln und Fauchen anders, viel leiser.
Ich bewegte mich mühsam im Sattel, löste mich vom Appaloosa, auf dem ich festgefroren war und begann zu begreifen, dass der Appaloosa mich und die drei Pferde in eine Höhle geführt haben musste.
Der brüllende Blaueis-Blizzard war außerhalb.
Und so kam ich schließlich steif gefroren von meinem Pferd herunter und begann mich zu bewegen. Mit den Zähnen zog ich mir die Handschuhe von den Händen und schlug mir die Arme um Brust und Schulterspitzen.
Ich stand mitten zwischen meinen Pferden, konnte sie spüren.
Aber es war wohl an der Zeit, dass ich endlich etwas zu sehen bekam.
Wo war ich?
Es dauerte aber noch eine Weile, bis meine klammen Finger mein Präriefeuerzeug aus der Tasche holen und anzünden konnte. Im Schein des Flämmchens sah ich, dass wir uns tatsächlich in einer Höhle befanden.
In meiner Satteltasche, in der sich Homers Buch befand, hatte ich noch einen Kerzenstummel. Als ich ihn zum Leuchten brachte, konnte ich mich besser umsehen. O du Heiliger Rauch, dachte ich, was sehe ich da?
Aber es gab keinen Zweifel. Dort vor mir an der Wand lag ein bleiches Gerippe, und es waren nicht die Knochen eines Tieres, sondern die eines Menschen, halb verborgen oder zugedeckt von den Überresten einer Lagerstatt, auf der dieser arme Teufel offenbar seine letzte Ruhe gefunden hatte.
Dann aber war er im Verlauf von Jahren bis auf die Knochen abgenagt worden.
Ja, er war wirklich ein armer Teufel gewesen, und niemand hatte ihn wie einen Christenmenschen beerdigen können. Er war hier einsam gestorben.
Aber das ist ja nicht selten auf unserer Erde. Hier sterben viele Lebewesen und lassen zuvor ihre Seelen entweder in den Himmel oder in die Hölle fliegen.
Jedenfalls glaube ich das. Das Kommen und Gehen gehört zu unserer Welt.
Ich fand bei einer alten Koch- oder Feuerstelle noch trockenes Holz. Es war hartes Holz. Der Mann, dessen Gerippe dort an der Wand lag, hatte es hereingeschleppt, um nach Bergmannsart einen Stollen abzustützen.
Ich hatte nach einer Weile ein Feuer in Gang, das allmählich etwas Wärme verbreitete. Nun stellte ich fest, dass die Höhle gleich hinter dem Eingang einen Knick oder eine scharfe Biegung machte, sodass die Kälte nicht so böse hereinfauchen konnte. Ich vermochte mir vorzustellen, dass man die wirkliche Höhle von draußen gar nicht wahrnehmen konnte.
Inzwischen hatte ich die Steifheit verloren und wollte meinen Tieren nun die Lasten und Sättel abnehmen. Denn mir war klar, dass ich mit ihnen viele Tage und Nächte in dieser Zuflucht würde zubringen müssen.
Als ich zu meinem Appaloosa trat, da klopfte ich ihm dankbar Hals und Brust und hörte mich mit heiserer und mir fremder Stimme sagen: »Gut, mein Junge, gut. Du bist ein prächtiger Pferdekönig. Wir sind dir eine Menge schuldig.«
Als ich verstummte, schnaubte er dankbar.
Doch dann wurde dieses Schnauben plötzlich anders, klang böse und wild. Er wollte sich mit der Vorderhand aufbäumen und auf der Hinterhand herumwirbeln, um die Flucht zu ergreifen.
Und da hörte ich, als sein böses Wiehern kurz aufhörte, was ihn so in Panik versetzt hatte.
Es war das Knurren eines Bären – wahrscheinlich eines Grizzlys –, dessen Winterschlaf wir gestört hatten.
O verdammt, waren die Cheyenne und der Blizzard nicht schon reichlich genug?
☆
Im schwachen Licht des Feuerscheins sah ich ihn riesig wirkend vor mir aus der Dunkelheit auftauchen, hoch aufgerichtet auf seinen Hinterbeinen stehend.
Und seine Vorderbeine, die in gewaltigen Tatzen endeten, die schlugen jetzt schon nach mir, obwohl er noch mehr als sechs Yards entfernt war. Sein Rachen war weit geöffnet, und es hätte mich kaum noch gewundert, wenn er Feuer gespien hätte.
Die Pferde hinter mir waren in Panik geraten. Sie bäumten sich auf, schlugen mit den Vorderhufen in die Luft, wirbelten herum und keilten nach hinten aus.
Ja, sie waren richtig verrückt, und es war ein Wunder, dass sie mich mit ihren auskeilenden Hufen nicht trafen.
Doch das alles nahm ich nur in Sekundenschnelle wahr, eigentlich nur so nebenbei.
Denn der Grizzly näherte sich mir mit jedem seiner Schritte um einen halben Yard.
Ich konnte sein Verhalten recht gut verstehen. Wir waren in seine Höhle eingedrungen und hatten seinen Winterschlaf vorzeitig beendet. Wahrscheinlich wäre er auch ohne unsere Störung in den nächsten Tagen aufgewacht und aus der Höhle gegangen, um nach Nahrung zu suchen.
Doch wir konnten nicht hinaus in den Blizzard. Und so musste ich ihn töten. Ich besaß zwei Gewehre und einen Revolver. Letzteren trug ich noch an meiner Seite im Holster. Die Gewehre hatte ich an meinen Sattel gelehnt, der beim Feuer lag.
Ich ergriff die schwere Sharps. Sie war das richtige Gewehr für einen Grizzly. Mit einer Sharps konnte man auf eine halbe Meile Entfernung auch einen riesigen Büffelbullen fällen. Da hatte auch ein riesiger Grizzly keine Chance, wenn man ihn richtig traf. Aber wenn nicht? Nun, eine Sharps war einschüssig. Man musste nach jedem Schuss nachladen.
Und meine Sharps war vielleicht noch eingefroren, obwohl sie schon eine Weile in Feuernähe an meinem Sattel lehnte.
Ich musste also darauf vertrauen, dass sie funktionierte.
Ich griff nach ihr und spannte zugleich den Hahn.
Der grollende Riese war nun fast bei mir.
Aber dann krachte meine prächtige Sharps tatsächlich. Und die schwere Kugel traf ihn in die Brust. Der Rückstoß der schweren Waffe ließ mich schwanken. Fast hätte ich sie in meinen klammen Händen nicht mehr halten können.
Aber sie hätte mir ohnehin nichts mehr genutzt. Nur noch als Keule hätte ich sie gebrauchen können.
Und der Grizzly fiel nicht um. Er hielt nur kurz inne, riss seinen Rachen noch weiter auf und kam wieder auf mich zu, schlug mit seinen Tatzen nach mir.
Und ich konnte nicht weiter zurück, denn hinter mir tanzten und bäumten die Pferde, trompeteten wie wild.
Ich wich nach der Seite aus, ließ die Sharps fallen und griff nach meinem Revolver. Doch der war im Holster durch eine Schlaufe gesichert, die ich erst lösen musste.
Ich riss mit meinen klammen Fingern wild daran, und sie löste sich.
Und so bekam ich die schwere, vierundvierziger Kanone endlich in die Hand.
Der Grizzly hatte sich mir zugewandt und folgte mir, indes ich rückwärtsging, bis ich gegen die Höhlenwand stieß.
Aber bei jedem Rückwärtsschritt schoss ich.
Dann war mein Revolver leer geschossen, und er stand immer noch. Aber er näherte sich mir nicht mehr. Er stand nur noch mit seiner letzten Lebenskraft zwei Schritte vor mir. Ich glitt zur Seite, indes er endlich nach vorn fiel.
Wäre ich nicht zur Seite geglitten, so hätte er mich noch im Fallen erwischt.
Was für ein Graubär! Heiliger Rauch, was für ein prächtiger Bursche war er doch gewesen. Er besaß meinen ganzen Respekt, aber ich hatte ihn töten müssen.
Ich wandte mich den Pferden zu, und nach einer Weile gelang es mir, sie zu beruhigen.
Dann setzte ich mich auf einen Stein und verschnaufte erst einmal.
Aus meiner Felljacke holte ich ziemlich mühsam mein Rauchzeug hervor.
Eine Zigarette hätte ich mir mit den klammen Fingern nicht drehen können. Aber ich stopfte meine Pfeife mit dem letzten Tabak aus dem Beutel.
Und dann rauchte ich auf dem Stein sitzend und dankte dem Herrn, der mein Schicksal bestimmte, fragte mich wieder einmal mehr, was dieses Schicksal noch mit mir vorhatte.
☆
Es war zwei Tage später – und ich hatte mich inzwischen mit meinen vier Pferden einigermaßen eingerichtet, indes der Blizzard draußen tobte –, als ich zu begreifen begann, was mein Schicksal mit mir vorhatte.
Ich hatte inzwischen dem Grizzly das Fell abgezogen und ihn mit der Axt – ja, ich hatte solch ein Beil in meinem Gepäck – in tragbare Stücke zerlegt und aus der Höhle geschafft, sodass die Pferde von dem Geruch nicht mehr so nervös waren. Nun lag der zerstückelte Graubär draußen im Schnee. Sein Fleisch würde vorerst nicht verderben. Und das Bärenfell war gewiss ein prächtiger Teppich vor einem Kamin. Ich musste ihn nur mitnehmen und verkaufen können.
Immer wenn ich daran dachte, da fiel mir immer wieder Yellow Hand ein, der ja mit seinen Kriegern gewiss ebenfalls irgendwo untergekrochen war und auf das Ende des Blizzards wartete.
Und wenn der Wasiya sich endlich ausgetobt hatte, dann würde die Jagd wieder von vorn beginnen. Yellow Hand würde nicht aufgeben. Da machte ich mir keine Illusionen.
Nun, mir ließ in diesen zwei vergangenen Tagen eine Frage keine Ruhe, nämlich diese, wer der Mensch gewesen war, dessen Gerippe ich mit Geröll und Steinen bedeckt hatte. Nein, ich hatte ihn nicht aus der Höhle geschafft wie den zerstückelten Grizzly. Ich gab ihm nach Christenart eine letzte Ruhestätte. Mehr war mir nicht möglich.
Warum hatte dieser Mensch vor vielen, vielen Jahren diese Hartholzstangen und dicke Knüppel in die Höhle geschafft und nicht als Feuerholz verwendet? Er hatte alles sorgfältig gestapelt wie Bauholz.