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Wir standen uns gegenüber als erbitterte Feinde: mein Bruder Johnny und ich. Und wir beide wussten, dass einer von uns in wenigen Minuten sterben würde.
Voller Bitterkeit sagte ich: "Weil du mein Bruder bist und weil ich an dich geglaubt habe, rettete ich dich vor dem Henker, Johnny. Es war ein Fehler von mir und deshalb ..."
Johnny unterbrach mich mit einem höhnischen Lachen. Und dann handelte er mit jener mörderischen Wildheit, die schon so vielen Menschen zum tödlichen Verhängnis geworden war ...
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Seitenzahl: 172
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Bruder des Teufels
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9625-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Bruder des Teufels
Wir standen uns gegenüber als erbitterte Feinde: mein Bruder Johnny und ich. Und wir beide wussten, dass einer von uns in wenigen Minuten sterben würde.
Voller Bitterkeit sagte ich: »Weil du mein Bruder bist und ich an dich geglaubt habe, rettete ich dich vor dem Henker, Johnny. Es war ein Fehler von mir und deshalb …«
Johnny unterbrach mich mit höhnischem Lachen. Und dann handelte er mit jener mörderischen Wildheit, die schon so vielen Menschen zum tödlichen Verhängnis geworden war …
In der kleinen Grenzstadt am Rio Grande traf ich meinen Bruder Johnny nach vier langen Jahren endlich wieder.
Doch das Wiedersehen war recht erbärmlich.
Wegen der großen Hitze hatten sie die Fenster und Türen des Saloons offengelassen. Drinnen tagte das Gericht.
Ich trat außen an das Seitenfenster. Ich hatte Durst.
Dann sah ich Johnny.
Er stand vor dem Richter und der Jury. Und er erhielt eben die Erlaubnis, noch etwas zu seiner Verteidigung zu sagen, bevor die Geschworenen sich zur Beratung zurückzogen.
Überall an den Fenstern und in den Türen standen Neugierige, die drinnen keinen Platz mehr gefunden hatten. Ich war recht groß geraten und konnte mühelos über die Köpfe der vor mir stehenden Zuschauer durch das Fenster blicken.
Oh, ich erkannte meinen älteren Bruder Johnny sofort wieder.
Er wirkte nun noch stattlicher und männlicher als vor vier Jahren. Er war blond und blauäugig, auf eine verwegene Art hübsch. Wenn er lachte, blitzten seine Zähne. Und er lachte gern.
Ich hörte ihn sagen: »Was die Zeugen vorhin sagten, war erstunken und erlogen vom Anfang bis zum Ende. Alle Zeugen sind Freunde und Partner des Toten. Ich habe nicht zuerst gezogen. Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, und auch beim seligen Andenken meiner Mum, dass der Tote zuerst zur Waffe griff, weil er beim Poker nicht verlieren konnte. Ich griff erst danach zum Revolver. Doch ich war schneller. Aber ich bin fremd hier in dieser lausigen Stadt. Ich habe keine Freunde hier, die für mich lügen und diese Lügen auch noch beschwören. Ich habe nicht mal Zeugen, die für mich die Wahrheit sagen. Ich habe keine Chance in dieser Stadt voller Vorurteile, wenn jetzt auch noch die Geschworenen unfair sind und den verlogenen Zeugen – die sämtlich Freunde des Toten sind – mehr glauben als mir.«
Ich erschrak.
Heiliger Rauch! Da war ich nun zufällig auf meinen Bruder gestoßen nach vier wilden, bewegten und hektischen Jahren – und nun traf ich Johnny in dieser bösen Situation.
Natürlich glaubte ich jedes Wort, das Johnny vorbrachte. Johnny setzte sich jetzt gerade.
Dann waren die Geschworenen an der Reihe. Normalerweise zogen sich die Geschworenen zurück, um über Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu beraten.
Aber diese hier machten das nicht.
Sie sahen sich nur gegenseitig an und nickten dann dem Sprecher zu.
Und dieser erhob sich und sagte zu dem kleinen, grauen und spitzbärtigen Männchen, das hinter dem Tisch hockte und offensichtlich der Richter dieser Stadt war: »Euer Ehren, wir haben uns eine Meinung gebildet!«
Das graue Männchen rückte den Kneifer zurecht und sagte dann mit einer Bassstimme, die einem urigen Riesen zur Ehre gereicht hätte: »Und zu welchem Spruch sind die Geschworenen gekommen?«
»Schuldig, Euer Ehren«, gab der Sprecher der Geschworenen unbewegt zurück.
Das Männchen nickte.
Mein Bruder erhob sich.
Und dann hörten wir es alle: Sie wollten Johnny bei Sonnenaufgang hängen!
»Du verdammter Schuft!«, schrie mein Bruder wild. »In dieser dreckigen Stadt voller verlogener Schufte bist du der König! Ihr wollt …«
Weiter kam er nicht, einer der beiden Bewacher stieß ihm den Revolverlauf in die Magengrube.
Ich stand ganz still in der Mittagssonne zwischen den anderen Leuten, als sie Johnny herausbrachten und mit ihm hinüber zum Jail gingen.
Mein Bruder sah sich um. Es war ihm anzumerken, dass er verzweifelt auf Hilfe hoffte.
Dann sah er mich.
Denn mich konnte man nicht übersehen. Ich war so groß wie Johnny, doch sonst recht hässlich. Das lag an unseren verschiedenen Großmüttern. Johnny und ich, wir hatten beide Comanchen-Blut in den Adern. Nur bei ihm sah man das nicht.
Johnny erkannte mich sofort. Aber er ließ sich nichts anmerken. Auch ich gab ihm kein Zeichen. Und dennoch wussten wir Bescheid.
Denn es war ja klar, dass ich ihn herauskämpfen würde.
Wir Cannon-Jungs würden es dieser miesen Stadt, dieser miesen Jury und diesem miesen Richter schon zeigen.
Ich blieb noch eine Weile vor dem Saloon. Die Leute zerstreuten sich. Im Saloon gab es jetzt mehr Platz. Die meisten Männer der Jury kamen heraus.
Ich betrachtete mein Pferd, das zwischen den anderen Tieren an der Haltestange stand. Das Tier war ausgepumpt. Es war auch nur ein Durchschnittsgaul. Für einen langen und rauen Ritt war er nicht geeignet.
Und wir würden lange und hart reiten müssen, wollten wir unseren Verfolgern entkommen. Denn die Leute hier, die meinen Bruder absolut hängen wollten, hatten gewiss kein großes Verständnis dafür, dass jemand ihnen ihre Absichten zunichte zu machen versuchte. Sie würden mit Sicherheit ein Aufgebot hinter uns hersausen lassen.
Ich brauchte also zwei erstklassige Pferde.
Und ich würde sie stehlen müssen. Denn bezahlen konnte ich sie nicht.
Für meinen Bruder musste ich also zum Pferdedieb werden, und wenn das Aufgebot uns erwischen sollte, nun, dann würden sie uns beide nebeneinander hängen.
Ich klimperte in der Hosentasche mit den wenigen Dollars.
Vor einigen Monaten war ich aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden. Doch ich hatte zuvor einige Ausrüstungsgegenstände rechtzeitig zur Seite gebracht.
Nachdem sie mich entließen, ritt ich hin und holte die Sachen.
Aber es war ja nicht viel, nur ein gutes Fernglas, ein Offiziersäbel, eine Uhr, silberne Sporen und zwei silberne Duellpistolen in einem mit Elfenbein ausgelegten Kästchen.
Als ich alles versilbert hatte, besaß ich hundertzwanzig Dollar.
Doch das war schon Monate her.
Und ich war inzwischen schon wieder höllisch abgebrannt. Ich ging in den Saloon, um ein Bier zu trinken und mich mit dieser lausigen Stadt und ihren Menschen vertraut zu machen.
Und dabei dachte ich immerzu an Johnny, den sie morgen bei Sonnenaufgang hängen wollten.
Ich war ganz und gar davon überzeugt, dass sie ihn reingelegt hatten. Schließlich hatte er doch bei unserer Mum seine Unschuld beteuert. Für mich stand fest, dass dies eine miese und unfaire Stadt war.
Ich hielt mich im Saloon abseits, doch ich lauschte allen Gesprächen. Und nach einer Weile wusste ich ziemlich genau, wen mein Bruder getötet hatte. Es war der Sohn eines mächtigen Großranchers. Fast die ganze Mannschaft dieser Ranch war in der Stadt, selbst der alte Rancher. Es war jener Mann, den sie vorhin im Rollstuhl aus dem Saloon zum Hotel hinübergeschoben hatten.
Dieser Mann und seine Crew würden auch morgen bei der Vollstreckung des Urteils zugegen sein.
Jetzt war mir alles klar.
Auch das Brandzeichen der Ranch kannte ich jetzt. Es war ein Spanish Bit, also das symbolisierte Zeichen einer spanischen Kandare.
Es standen viele Pferde mit diesem Brandzeichen in der Stadt. Auch als ich später mein Tier in den Mietstall brachte, sah ich dort Pferde mit diesem Brand.
Ich sah mir die Pferde genau an und fand schnell die besten Tiere heraus. Ich merkte mir ihren Standort und hoffte, dass ihre Reiter die ganze Nacht über in der Stadt bleiben würden.
Denn ich brauchte die Tiere für meinen Bruder und mich. Die Stunden vergingen verdammt langsam. Als es Abend wurde, überlegte ich, ob ich einen halben Dollar für ein Abendessen im Hotel opfern sollte.
Im Restaurant saß auch der mächtige Rancher. Sein Rollstuhl war an einen Tisch geschoben worden wie ein Sessel. Zwei Männer saßen rechts und links am Tisch des Ranchers – wahrscheinlich waren es seine Verwalter.
Ich betrachtete den Oldtimer genau.
Oh, er war alt, eisgrau und ein Krüppel, der nicht mehr gehen konnte. Hinter seinem Rollstuhl stand ein riesiger Neger.
Aber dieser alte Mann war immer noch hart. Das Alter hatte ihn nicht sanfter gemacht.
Er sah aus wie ein Mann, der noch vor wenigen Jahren aus dem Sattel seine Weiden kontrolliert hatte. Wahrscheinlich war er vom Gürtel abwärts querschnittgelähmt.
Einmal spürte ich seinen harten, forschenden Blick. Ich erwiderte ihn nur kurz, denn es schien mir zu gefährlich, in seine Augen zu sehen. Ich ahnte, dass dieser Mann sonst mit einem feinen, untrüglichen Instinkt meine Feindschaft spüren musste.
Und er war mein Feind. Ich war davon überzeugt, dass er mit seiner ganzen Macht dafür gesorgt hatte, dass die Augenzeugen logen und die Geschworenen auf »schuldig« erkannten.
Nun aber wollte er Johnny hängen sehen.
Ja, er war mein Feind. Alle hier waren meine Feinde.
Und dennoch verstand ich seine Handlungsweise.
Denn er war ein alter Mann, der sich eine mächtige Ranch aufgebaut hatte. Sein Sohn war der einzige Erbe gewesen.
Mit dem Tod dieses alten Mannes aber würde die mächtige Ranch herrenlos werden. Ich kannte solche Riesenranches. Sie hatten sich fast immer Feinde gemacht. Diese Feinde mussten an den Grenzen solcher Machtgebilde in deren Schatten leben.
Aber nach dem Tod des King würden sie kommen. Sie würden sich schadlos halten. Und so war dann auch eine solch große Ranch zum Untergang verurteilt.
Doch was ging mich das an?
Ich wollte meinen Bruder retten. Nur das allein zählte jetzt.
Und dann würden wir mächtig lange und weit reiten.
☆
Es war lächerlich einfach, denn ich wartete, bis die Nacht schon weit in der zweiten Hälfte war.
Es war auch leicht, die beiden Pferde aus dem Hof des Mietstalles zu holen, wo sie mit den anderen Tieren unter einem Schutzdach in den Boxen an den Futterkrippen standen.
Ich brachte die Tiere hinter das Jail, band sie dort zwischen zwei Schuppen an und ging wieder nach vorn. Durch eine schmale Gasse erreichte ich die Hauptstraße.
Ich ging ruhig auf das Jail zu.
Vor der Tür holte ich noch einmal tief Atem.
Dann zog ich das Halstuch bis über die Nase hoch, so dass nur noch meine Augen unter der tief in die Stirn gedrückten Hutkrempe hervorlugten.
Ich zog den Colt, öffnete mit der Rechten die Tür – und trat ein wie in einen Store, um Tabak oder ein paar Knöpfe zu kaufen.
Der Sheriff und seine beiden Deputies saßen am narbigen Tisch. Sie hatten den Raum mit Tabaksqualm gefüllt, und sie waren – wahrscheinlich, um sich wachzuhalten – mitten in einem Pokerspiel.
Als sie zu mir hersahen, erschraken sie nicht sonderlich. Sie waren eher erstaunt. Ich brauchte gar nichts zu sagen. Denn mein Revolver, mein maskiertes Gesicht und meine ganze Haltung, das alles sagte ihnen genug.
»Er hat also doch Freunde in der Stadt«, sagte der Sheriff schließlich.
Dann schüttelte er den Kopf.
»Das ist doch zwecklos«, sagte er. »Die Spanish-Bit-Mannschaft folgt euch bis nach Mexiko hinüber! Ihr könnt gar nicht entkommen. Gib auf, Hombre! Geh wieder! Hau ab, bevor du so weit drinnen hängst, dass du nicht mehr raus kannst.«
Ich blieb stumm. Ich ließ sie nur in meine Revolvermündung sehen und riegelte hinter mir die Tür ab.
Dann ging ich langsam um die drei Pokerspieler herum und holte mir ihre Revolver. Ich warf die Waffen in den Wasserbehälter in der Ecke.
Und dann gingen wir hintereinander in den erleuchteten Zellenraum.
Mein Bruder lag auf der Pritsche, doch er erhob sich nun ohne Hast und sagte: »Na, Kleiner, du hast mich aber warten lassen.«
Ich trieb die drei fluchenden Männer in die Nachbarzelle, schloss ab und nahm den Schlüssel für die Zelle meines Bruders vom Haken.
Noch immer hatte ich kein Wort gesprochen, sondern nur unmissverständliche Zeichen gegeben.
Dafür redete mein Bruder.
Er fuhr die Männer an: »Ihr Schufte, ihr stinkenden Schufte! Eigentlich sollte ich euch jetzt noch einen Denkzettel verpassen!«
»Nein«, sagte ich nun mit verstellter Stimme. »Hier gibt’s keinen Ärger! Hol dir deinen Colt und die Ausrüstung. Und dann gehen wir durch die Hintertür. Ich habe die besten Pferde hinter dem Jail, die in dieser miesen Stadt zu finden waren.«
Johnny sagte nun nichts mehr, aber er ging schnell ins Office und nahm dort alles an sich, was sie ihm abgenommen hatten.
Die drei Männer in der Zelle begannen erst zu brüllen, als wir schon in den Sätteln saßen und die Tiere in Bewegung setzten.
☆
Wir ritten zum Rio Grande, denn wir wussten, dass wir drüben in Mexiko die besseren Chancen haben würden als hier im südwestlichen Texas.
Es gab hier eine Furt durch den zumeist schlammigen Strom, von dem man sagte, dass er zu dick sei, um aus ihm zu trinken, und zu dünn, um ihn umpflügen zu können wie einen Acker. Der Strom war hier breit, doch nicht tief.
Aber als ich in die Furt reiten wollte, sagte Johnny: »Kleiner, wir reiten nicht hinüber. Wir bleiben in Texas. Denn ich habe noch etwas zu erledigen. Ich muss erst noch einen alten Freund besuchen, der mir Geld schuldet. Und dieses Geld werden wir brauchen. Also komm, Kleiner! Ich übernehme jetzt die Führung!«
Sein Tonfall duldete keinen Widerspruch.
Er war fast vier Jahre älter als ich. Eigentlich hatte er immer bestimmt, was zu tun war. Auch als wir in den Krieg zogen, hatte er sich durchgesetzt. Doch dann war er verwundet worden und nach der Genesung nicht wieder zu der Einheit gekommen, der ich angehörte. Später wurde ich verwundet. Wir hatten uns die ganzen Kriegsjahre über nicht mehr gesehen.
Ich ritt zu ihm.
»Pass auf, Johnny«, sagte ich. »Ich will dir etwas sagen. Gleich zu Anfang! Nenn mich nicht mehr Kleiner! Das ist vorbei. Hast du mich verstanden?«
Er musterte mich im ersten grauen Schimmer des nahenden Tages. Aus dem Strom stiegen die Nebel. Es war kalt.
»Schon gut, Jube«, sagte Johnny zu mir. »Ich hatte ganz vergessen, dass du inzwischen ein richtiger Mann geworden sein musst. Vier Jahre Krieg lassen einen Jungen mitunter verdammt schnell zum Mann reifen. Schon gut, Jube.«
Ich nickte, denn etwas in seiner Stimme sagte mir, dass er mich fortan nicht länger mehr als den »Kleinen«, sondern als gleichberechtigten Bruder und Sattelgefährten ansehen würde.
Denn es stand für mich fest, dass wir nun zusammenbleiben würden.
Johnny übernahm die Führung. Wir ritten nun zwar in das Wasser hinein, doch wandten wir uns flussabwärts, blieben im knietiefen Wasser. Mein Bruder nahm sich Zeit. Seine Nerven waren immer noch gut. Sie hatten nicht darunter gelitten, dass sie ihn heute nach Sonnenaufgang hängen wollten.
Erst nach einer halben Meile, als es schon merklich heller geworden war, verließen wir das Wasser und folgten einem Pfad in die Hügel, hinter denen sich die Davis Mountains erhoben.
Johnny führte mich immer tiefer in ein Gewirr von Hügeln, Senken, Canyons und tausend verborgenen Winkeln.
Und gegen Mittag, als die Sonne schon mit ihrer ganzen Kraft brannte, da erreichten wir einen kurzen, gewundenen Canyon und sahen die ziemlich primitiv, nur allein zweckmäßig errichteten Gebäude einer Hügelranch. Diese Ranch war gewiss kein Heim für die Dauer.
Johnny sagte: »Warte hier auf mich, Jube. Ich reite nun hinüber, um mein Geld zu kassieren. Spielgewinn, verstehst du? Es könnte sein, dass ich Schwierigkeiten bekomme. Du wirst schon merken, wann du eingreifen musst. Aber komm mir erst zu Hilfe, wenn es wirklich notwendig ist. Also!«
Er ritt weiter. Ich verharrte zwischen den Bäumen einer Hügelterrasse und hatte einen guten Überblick. Ich sah, wie selbstsicher und gelassen Johnny ritt.
Dabei war es sicher, dass jetzt schon Aufgebote nach uns suchten und wir keine Minute vertrödeln durften.
Wenn sie uns auf den gestohlenen Pferden erwischten, war das allein schon ein Grund, uns zu hängen.
Ich saß ab, nahm mein Gewehr und trat unter einen der Bäume, wo ich die Waffe auf einen Ast legen konnte. Die Entfernung betrug immerhin zweihundert Yard, und da war es schon gut, wenn man ruhig und genau zielen konnte.
Bei den Korrals der Ranch arbeitete ein Mann.
Und als mein Bruder nahe genug heran war, trat noch ein Mann aus dem Blockhaus.
Der andere Mann kam von den Korrals herüber. Beide trugen Colts. Der Mann von den Korrals verhielt dann in einiger Entfernung. Mein Bruder beachtete ihn gar nicht. Er ritt auf den Mann vor dem Blockhaus zu, verhielt sein Pferd, sprach mit dem Mann und saß dann ab.
Sie gingen in das Blockhaus.
Der andere Mann wartete immer noch. Dabei berührte er mehrmals seinen Colt und lüftete ihn im Holster, so als wollte er sich vergewissern, die Waffe auch wirklich schnell ziehen zu können.
An seiner ganzen Art erkannte ich, dass er ein Revolverschwinger war, einer von jener Sorte, die mit dem Revolver besser sind als mit dem Lasso.
Johnny blieb etwa so lange im Blockhaus, wie ich Zeit gebraucht hätte, eine Zigarette zu rauchen.
Dann kam er heraus, saß auf und ritt genau auf mich zu.
Und dann sah ich es.
Der Mann, der mit ihm hineingegangen war, trat nun in die Tür und zielte mit dem Colt auf Johnnys Rücken.
Ich schoss. Meine Kugel stieß den Mann ins Haus zurück. Und mein Bruder schoss vom Sattel aus auf den anderen Mann, der plötzlich den Revolver zog.
Mein Schuss irritierte ihn dann auch noch, so dass Johnny ihm vom Sattel aus zuvorkommen konnte.
Er schoss ihn von den Beinen und kam zu mir heraufgeritten. Ich saß indes auf und schloss mich meinem vorbeireitenden Bruder an.
Wir ritten immer tiefer in die Hügel.
Als wir nach einigen Meilen unsere Pferde am Rand eines kleinen Creeks verschnaufen ließen, fragte ich: »War das notwendig, Johnny?«
Er sah mich mit einem wild funkelnden Blick an. Meine Frage erregte ihn. »Ich lass mich nicht gern betrügen«, sagte er. »Der Mann dort war mir die tausend Dollar schuldig. Er gab sie mir auch, um mich in Sicherheit zu wiegen. Ich sollte sorglos fortreiten. Aber ich ahnte, dass ich nicht so leicht fortkommen sollte. Du hast mir nun schon zum zweiten Male als zuverlässiger Partner geholfen, Jube. Wir sind ein prächtiges Paar! Wir können uns stets aufeinander verlassen. Jube, da wir nun wieder zusammen sind, wird es jetzt aufwärtsgehen mit uns. Es ist wie beim Kuchenessen. Man muss sich nur ein möglichst großes Stück nehmen. Dann wird man auch richtig satt.«
»Tausend Dollar«, sagte ich. »Das ist eine Menge Geld! Für tausend Dollar muss ein Cowboy, der das Glück hat, in dieser miesen Zeit Arbeit zu bekommen, vier Jahre hart arbeiten. Johnny wie kann ein Smallrancher tausend Dollar verdienen?«
»Nur im Spiel«, grinste Johnny.
Er wollte anreiten.
Doch ich sagte: »Dieser alte Mann im Rollstuhl, dessen Sohn du erschießen musstest und auf dessen Pferden wir sitzen – dieser Oldtimer wird nicht aufgeben! Er ist reich und mächtig. Er wird Kopfpreise aussetzen und seine besten Reiter auf unsere Fährte hetzen. Dieser Mann gibt auch in drei Jahren noch nicht auf. Ich habe ihn im Speiseraum des Restaurants gesehen und genau studiert. Vor diesem Mann sind wir nicht mehr sicher. Big John Ballard heißt er. Und sein Sohn, den du getötet hast, hieß Bill Ballard.«
»Richtig«, nickte mein Bruder und grinste auf seine verwegene und sieghafte Art.
»Wir entkommen ihnen schon«, sagte er. »Vorerst suchen sie drüben in Mexiko nach uns. Und dann sind wir schon weit, weit weg, bis sie endlich merken, wie sehr sie sich geirrt haben. Komm!«
»Wer war dieser Hügelrancher, bei dem du vorhin die Spielschulden geholt hast?«
»Ach, das war nur George Miller«, sagte mein Bruder.
Und dann ritten wir weiter.
☆
Wir blieben drei Tage und Nächte in den Sätteln und gönnten uns und unseren wirklich erstklassigen Tieren nur die allernötigsten Erholungspausen.
Wir ritten auf verborgenen Pfaden durch die Davis Mountains, bis wir im Norden den El Capitan Peak in der Ferne sahen.
Dann wandten wir uns nach Osten, überquerten den Pecos, ritten nun etwas gemächlicher und legten größere Pausen ein. Wir hielten uns in den nächsten Tagen nördlich vom Edwards Plateau, schlugen einen Bogen um San Angelo und erreichten an einem späten Nachmittag den Colorado River in Texas.
Johnny wurde unterwegs immer fröhlicher.
Er lachte gern, erzählte lustige Erlebnisse und schwärmte von einigen Frauen, die er in den vergangenen Jahren kennen gelernt hatte.
Für Johnny war die Welt schnell wieder sonnig und schön. Und es schien, als hätte er alles schon vergessen, was hinter ihm lag – auch das Hanfseil.
Wir ritten durch die Furt des Texas-Colorado und erreichten drüben einen kleinen Ort. Es war eine aufstrebende kleine Stadt. Sie nannte sich Colorado Crossing.
Es gab hier einen prächtigen Saloon.
Als Johnny diesen Saloon sah, leuchteten seine Augen. Sein männliches verwegen-hübsches Gesicht zuckte in wilder Vorfreude. Er war nicht mehr zu halten.
Wir stiegen beide ab und betraten den Saloon.
Es war noch nicht viel Betrieb. Um diese Zeit arbeiteten die Bürger noch. Nur ein paar Fremde saßen herum.
Hinter der Bar stand eine Frau.