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Drohend und unaufhaltsam nähert sich Ben Jennison der Ranch. Auf seinem Packpferd liegt ein Toter, und alle wissen, was das zu bedeuten hat. Jetzt wird Ben Jennison alles auf eine Karte setzen. Er ist gekommen, um seine Drohung wahrzumachen und den mächtigen Ty McCloud zu töten.
Lily McCloud spricht es aus, und in ihrer Stimme schwingt eine wilde Freude mit: "Jetzt bist du dran, Ty McCloud. Jetzt wird er die letzte Rechnung vorlegen. Sie ist zu hoch geworden ..."
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Seitenzahl: 196
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Die Rechnung ist zu hoch
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9629-4
www.bastei-entertainment.de
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Die Rechnung ist zu hoch
Elroy Hicks küsst die schöne Lily noch einmal, und er küsst sie so, dass sie völlig außer Atem ist und nichts mehr sagen kann, indes er sich aus dem Fenster schwingt und in der Morgendämmerung untertaucht, so als wäre er ein Geist, der sich in den steigenden Nebeln auflösen kann.
Als die schöne Lily endlich wieder bei Atem ist, kann sie ihm nichts mehr nachrufen. Denn sie müsste zu laut rufen. Und das wieder könnten die Leute drüben im langen Bunkhouse der großen Ranch hören.
Sie bleibt seufzend auf der Fensterbank sitzen. Die Morgenkühle tut ihr gut, denn sie ist mehr als erhitzt. Sie glüht noch. Und sie denkt seufzend darüber nach, was sein würde, wenn ihr Mann Ty McCloud sie und Elroy Hicks mal erwischen würde.
O du lieber Gott im Himmel, beschütze uns, betet sie in Gedanken, beschütze uns Sünder, die wir so schwach sind und unseren Begierden nachgeben. O du lieber Gott im Himmel, lass bald wieder geschehen, dass Elroy Hicks zu mir kommen kann, weil mein Mann, der sture Löwe Tyrone McCloud, irgendwo herumreitet und überall ist, nur nicht bei seiner Frau.
Nach diesem Bittgebet zum Himmel begibt sie sich wieder ins Bett.
Sie schläft nun endlich nach dieser langen Nacht ein und lächelt im Schlaf wie ein glückliches Kind, indes es draußen Tag wird und die Sonne – noch hinter den Santa-Catalina-Bergen im Osten versteckt – ihre ersten Lichtbündel gen Himmel wirft.
Ja, es wird ein zuerst strahlender und dann wieder heißer Tag werden.
Indes reitet Elroy Hicks durch die Hügel und passt auf dabei wie ein Wolf in einem Gebiet voller Jäger, in dem die Hammel nur scheinbar so leicht zu jagen sind und in Wirklichkeit sehr schnell von irgendwoher Kugeln fliegen können.
Aber Elroy Hicks ist ein erfahrener Bursche, wenn es darum geht, möglichst ungesehen durch ein Land oder über eine fremde Weide zu reiten.
Manchmal lacht er lautlos. Sein geschmeidiger Körper schüttelt sich dann vor wilder Freude.
Ja, es macht ihm Spaß, den großen und mächtigen Tyrone McCloud mit dessen junger und reizvoller Frau zu betrügen. Es macht ihm höllischen Spaß.
Denn dieser Elroy Hicks war schon immer ein Rebell. Er kam schon so auf die Welt, und seine roten Haare waren von Anfang an das Zeichen, dass er anders werden würde als normale Jungens.
Man kann ihn nicht als Satteltramp bezeichnen, denn zeitweilig arbeitet er hart. Dann fängt er Wildpferde, zähmt diese und verkauft sie an die Post- und Frachtlinie. Denn solche leichten und zähen Mustangs werden – wenn sie gut gezähmt sind und als Gespannpferde eingewöhnt wurden – gerne für die Sechsergespanne als Führungspferde genommen. Von ihnen geht die Vitalität aus, die dann auch die schwereren Stangenpferde ansteckt.
Aber sobald Elroy Hicks mehr als zwanzig Dollar in der Tasche hat, hält er eine Arbeit für schädlich. Dies gehört zu seiner Rebellenhaftigkeit. Er ist nun mal ein Bursche, der sich Salz statt Zucker in den Kaffee tut, nur um seine Individualität zu demonstrieren.
Gegen Vormittag erreicht er den Catalina Creek, der um diese Jahreszeit eigentlich nur noch aus Wasserlöchern besteht, zwischen denen oft eine Viertelmeile trockenes Creekbett ist. Doch noch nie war der Creek so trocken wie jetzt.
An einem dieser Wasserlöcher trifft er auf Ben Jennison, der dabei ist, eine dumme Longhornkuh aus dem Schlamm zu ziehen, aus dem sie allein nicht mehr herauskommen kann.
Spuren rings um das Schlammloch lassen erkennen, dass schon ein Rudel Wölfe hier war, die dann aber von Ben Jennison verjagt wurden.
Elroy Hicks zögert nicht lange. Er wirft sein Lasso mit dem Geschick eines wirklichen Künstlers, der bei jedem Rodeo Siegeschancen hätte.
Die dumpf brüllende Kuh hat nun an jedem Horn ein Lasso, und die Pferde der beiden Reiter ziehen an.
Nun geht es eigentlich leicht.
Die Kuh steht dann noch etwas dumm und benommen wirkend breitbeinig da. Die Reiter lösen von den Sätteln aus ihre Lassoenden von den Hörnern.
Dann ziehen sie ihre Pferde zurück.
»Hau ab«, sagt Elroy Hicks gutmütig. »Du bist eine dämliche Tante. Hau ab, Mädchen.«
Und als ob die Kuh ihn verstanden hätte, macht sie »Muuuh« und wandert weg.
Elroy Hicks sieht Ben Jennison an.
»Und wenn sie zum nächsten Schlammloch wandert und die Wölfe sie auch dort wieder hineinjagen?«
»Dann muss ich sie wieder rausholen«, sagt Ben Jennison. »Ich habe noch nicht viele Rinder, und jede Kuh zählt doppelt.«
Elroy Hicks sieht ihn mit deutlich gespieltem Staunen an.
Dann hämmert er mit dem gekrümmten Zeigefinger gegen die Schläfe wie ein Specht mit dem Schnabel gegen einen Baum.
»Du hast ja nicht mehr alle«, sagt er, »seitdem du verheiratet bist. Ich verstehe immer noch nicht, warum ein Mann erst heiraten muss, bis er von manchem Mädel erst das bekommt, was er haben möchte. Mir passiert das nicht. Obwohl... Na ja, Georgia hätte ich sicherlich auch geheiratet. Aber die wollte mich ja nicht, sondern dich.«
Er ist nun plötzlich ernst geworden und betrachtet Ben Jennison kritisch.
Er sieht einen großen, dunklen und grauäugigen Mann, mit dem er einmal durch den Krieg geritten ist. Und keiner kennt diesen Ben Jennison so gut wie er in diesem Lande – keiner!
»Pass auf dich auf«, sagt er plötzlich hart. »Ty McCloud hat einen Killer angeworben, der schon unterwegs sein soll. Ein verdammter Killer kommt, verstehst du? Und dann denke darüber nach, wen solch ein Killer zuerst umbringen soll. Ja, denke darüber nach!«
In seiner Stimme ist plötzlich eine wilde Leidenschaft, ein Hass.
Es kann nur ein Rebellieren gegen jenen Mann sein, der einen verdammten Killer kommen lässt. Ja, Elroy Hicks ist jetzt angefüllt mit einem wilden Zorn.
Ben Jennison nickt leicht.
»Danke für die Warnung«, sagt er. »Von wem hast du diese Neuigkeit, die doch nur Ty McCloud und ganz wenige Vertraute wissen können – zum Beispiel sein Vormann Big Cat Hancock oder McClouds Frau Lily? Na?«
Aber Elroy Hicks schüttelt den Kopf.
Gewiss, sie sind Freunde, und er könnte Ben Jennison sagen, dass er die ganze Nacht bei Lily McCloud war und diese ihren Mann belauscht hatte, als er seinem Ersten den Befehl gab, einen Killer kommen zu lassen. Den Namen hatte Lily nicht richtig verstanden.
☆
Elroy Hicks könnte also Lily McCloud bloßstellen.
Doch nicht mal einem Freunde gegenüber tut er das.
»Ich weiß es eben – und basta«, murmelt er. In seinen Blick, den er auf Jennison gerichtet hält, tritt ein Ausdruck des Bedauerns.
»Du bist ein Narr«, sagt er schließlich schlicht. »Ty McCloud kennt dich, wie ich dich kenne. Er will die Klein-Rancher und Siedler vertreiben. Du bist einer von ihnen. Und weil er dich kennt, weiß er auch, dass du sie führen würdest, müssten sie sich gegen ihn zusammenschließen. Was macht also ein kluger Mann wie er? Ha, er lässt zuerst die Leithammel einer Herde abschießen, um diese Herde dann umso leichter in den Abgrund jagen zu können. Klar?«
Er nimmt seinen Blick von Ben Jennison, lässt ihn in die Runde wandern, und es sieht fast so aus, als nähme er Abschied von seiner Heimatweide.
»Die alten Zeiten sind vorbei«, murmelt er dann, wobei er auf seine Hände sieht, die er über dem Sattelhorn liegen hat.
»Sie sind vorbei«, wiederholt er, »weil alles auf dieser Erde mal vorbei ist. Ich mag euch Klein-Rancher und Siedler auch nicht. Denn ihr macht die Weide eng. Man kann nicht mehr reiten und jagen, wie man will. Aber ich mag Ty McCloud und seine Macht noch viel weniger. Er kommt sich schon wie eine Art Halbgott vor. Er genießt seine Macht, und er entscheidet schon über Leben oder Tod von Männern. Ben Jennison, du bist mein Freund. Sieh dich vor. Ein verdammter Killer kommt.«
Nach diesen Worten reitet er weiter.
In diese Richtung muss er gegen Mittag in die kleine Stadt Santa Catalina gelangen.
Und dort bekommt er in Lou Madisons Speisehaus stets umsonst das beste Essen.
Wenn er wollte, könnte er Lou Madison heiraten und brauchte den Gästen nur noch guten Appetit zu wünschen.
Doch er müsste sein freies Reiten aufgeben, all seine Campfeuer unter freiem Himmel, seine Hütte in den Hügeln, die Wildpferdjagd – und all die vielen Frauen und Mädchen, die er im Umkreis von hundert Meilen da und dort dann und wann besucht.
Vielleicht wird er diese Nacht bei Lou Madison verbringen. So ist er nun mal.
Ben Jennison sieht ihm nach, bis er ihn nicht mehr sehen kann. Und es ist ein starkes Bedauern in ihm.
Elroy ist ein feiner Kerl. Sie wurden beide in diesem Lande dicht bei Tucson geboren, und später – das ist nun schon fast zehn Jahre her – ritten sie als junge Burschen in den Krieg. Sie kamen weit herum. Elroy war der beste Kamerad, der jemals an seiner Seite ritt.
Aber dann...
Ben Jennison verdrängt all diese Gedanken. Er reitet weiter die Grenzen seiner Ranch ab und kontrolliert überall seine Rinder. Seine verstreute Herde ist noch keine zweihundert Tiere stark. Er kennt all die Rudel genau, weiß, wo sich die Stiere mit ihrem Harem aufhalten.
An seiner Ostgrenze trifft er auf seinen Nachbarn Bill Clayborne, welcher ebenfalls die schlammig gewordenen Wasserlöcher am Creek kontrolliert.
Bill Clayborne ist ein kleiner, etwas dicklich wirkender Mann. Doch unter seinem Fleisch sind starke Muskeln.
Er nickt Ben Jennison zu.
»Ich sage dir«, murmelt er, wobei er zum Creek zeigt und auch hinblickt, »dass der Hundesohn uns das Wasser absperrt. Der hat irgendwo einen Damm gebaut und einen See angestaut. Sonst wären seine Rinder hier an diesen Wasserlöchern. Der will uns austrocknen. Wir sollten eine Versammlung abhalten und Beschlüsse fassen. Wir müssen etwas unternehmen. Einzeln sind wir ohne Chance. Aber zusammengeschlossen und unter deiner Führung, Ben, sind wir auch einem Burschen wie Ty McCloud gewachsen.«
Nach diesen Worten schweigt er, doch sein Blick ist nun erwartungsvoll auf Ben Jennison gerichtet.
Der schüttelt leicht den Kopf.
»Stell dir das nicht so einfach vor, Bill«, sagt er. »Wir alle haben Familien und leben weit zerstreut. Wenn wir eine Mannschaft bilden, ist dies etwas anderes als bei McCloud. Wir könnten als Mannschaft nicht überall sein – und allein daheim sind wir ohne Chance. Nein, Bill, es muss eine andere Lösung geben.«
»Sicher«, sagt dieser. »Es gibt eine. Jemand muss Ty McCloud auslöschen, sollte er uns auslöschen wollen. Und das will er! Verdammt ja, das will er! Er braucht unsere Weide. Weißt du, was ich denke?«
Er macht eine Pause und beugt sich weit aus dem Sattel zu Ben Jennison hinüber, sieht diesen mit funkelnden Augen an.
»Sag's mir«, murmelt Jennison.
Da holt Bill Clayborne noch einmal Luft.
»Wir sollten unser Geld zusammenlegen und einen Killer anwerben.«
Er stößt diese Worte heiser hervor, und Jennison, der ihm in die Augen sieht, erkennt darin Bill Claybornes Angst und zugleich auch seinen Hass. Ja, er ist angefüllt mit Angst und Hass, dieser kleine, so dicklich wirkende Mann.
Ein Killer, denkt Ben Jennison. Jeder redet von einem Killer – jede Partei will mit Hilfe eines Killers gewinnen, will auf diese Weise alle Probleme lösen. Oha, wohin kommen wir in diesem Lande?
Dann wird er sich wieder darüber klar, dass ja schon ein Killer unterwegs oder gar schon in diesem Lande ist, der es wahrscheinlich auf ihn, Ben Jennison, abgesehen hat.
Auch in ihm will nun eine heiße Wut aufsteigen.
Doch er zwingt sich zur Kühle, zur Ruhe und Kontrolle.
»Ich werde mit Ty McCloud reden«, hört er sich sagen. »Ich werde in den nächsten Tagen eine Gelegenheit finden, mit ihm zu reden. Grüß deine Frau und deinen Jungen von mir, Bill.«
Damit reitet er davon.
Bill Clayborne sieht ihm nach – und dabei denkt er darüber nach, was er von diesem Ben Jennison alles gehört hat. Ein Kriegsheld soll er gewesen sein, den man außer der Reihe zum Captain auf Kriegszeit befördert hatte, weil er außergewöhnliche Leistungen vollbrachte. Und nach dem Krieg trieb dieser Ben Jennison von Texas einige große Rinderherden nach Kansas und kämpfte mit seinen Männern am Cimarron die Furt frei, die von Banditen besetzt war, die für jedes Rind einen Zoll kassieren wollten. Sie bekamen heißes Blei. Das war also Ben Jennison. Und nach seiner Heirat mit der schönen Georgia wurde er hier ein kleiner Rancher. Aber er kann gewiss immer noch Männer in den Kampf führen – jetzt vielleicht noch besser als früher.
Na gut, denkt Bill Clayborne, soll er erst mit McCloud reden. Dann wird er schon erkennen, wie sehr dieser uns an die Gurgel will. Und dann wird er uns führen.
☆
Bis zu seiner Ranch muss Jennison etwa eine halbe Stunde reiten. Auf dem Hügelsattel hält er an und betrachtet sich alles.
Er sieht, was ein Mann mit einer guten Frau alles in drei Jahren schaffen konnte, und nur zum Hausbau und bei der Scheune hatten sie Helfer.
Er spürt einen ruhigen Stolz.
Denn die Ranch liegt gut. Ein paar Bäume stehen daneben, geben Schatten. Der Brunnen dicht beim Haus gibt reichlich Wasser, gutes Wasser, und er ist nicht tief, weil ja schon die Bäume mit ihren Wurzeln bis hinunter zum unterirdischen Creek reichen. Sonst könnten sie nicht so prächtig gedeihen.
Sogar in der Wohnküche hat Georgia eine kleine Handpumpe. Sie war sündhaft teuer und schwer zu bekommen. Doch sie war für Georgia eine besondere Freude.
In den Corrals bewegen sich einige Pferde. Er hat auch eine Maultierzucht angefangen.
Georgia sieht er jetzt im Garten. Sie macht sich an den Gemüsebeeten zu schaffen, die er ihr mit engmaschigem Zaundraht einzäunen musste. Er sieht auch die Hühner im Hof – und dann taucht Beißer auf, der große Hund, dem er beibringen musste, dass er die Hühner nicht jagen darf, sondern in Frieden zu lassen hat.
Jetzt übersieht er sie zumeist hochmütig.
Kluger Hund, denkt Jennison, als er nun sieht, wie Beißer in seine Richtung zu schnüffeln beginnt. Kluger Hund, braver Hund.
Sein Blick richtet sich in die Runde.
Dies da ist erst der Anfang. Es wird nie eine große Ranch werden. Im besten Falle wird er einmal drei oder vier Leute beschäftigen können. Doch er will auch keine große Ranch. Sie wird ihm groß genug sein – für ihn, Georgia und die Kinder, die sie einmal haben werden.
Langsam reitet er hinunter, und Beißer, der ihn jetzt gewittert hat, kommt ihm entgegen.
Aber Jennison denkt an den Creek, welcher langsam austrocknet, an das, was Bill Clayborne zu ihm sagte – und schließlich an Elroy Hicks Warnung.
Ja, es passt alles zusammen.
McCloud will über den Creek kommen.
Und die Klein-Rancher und Siedler würden sich Ben Jennison zum Anführer wählen.
Also wäre es wirklich möglich, dass ein Killer unterwegs ist.
Denn Ty McCloud ist schon zu groß und zu mächtig geworden, um sich von Kleinigkeiten aufhalten zu lassen. Ty McCloud ging drüben schon über Leichen.
McClouds Rechnung könnte wirklich ganz einfach sein. Weg mit Jennison. Dann laufen sie alle.
Ja, das könnte sein.
Denn McCloud hat schon während des Krieges einen bösen Ruf gehabt.
Sie kennen sich.
☆
Als er vor das Haus reitet, kommt Georgia aus dem Garten.
Sie ist etwas verschwitzt und hat noch die Hände voller Erde.
Er sitzt ab, nimmt sie in die Arme und küsst sie.
»Ich schwitze«, sagt sie.
»Und ich rieche dich gerne«, grinst er.
Sie gehen zusammen zum Brunnen und waschen sich nebeneinander in dem großen Wassertrog.
Dann verharren sie, warten, bis die Wasseroberfläche sich beruhigt hat, beugen sich vor und betrachten sich im Wasser, welches nun wie ein Spiegel ist.
»Du bist schön«, sagt er. »Und neben einem hässlichen Burschen, wie ich einer bin, bist du noch schöner anzusehen. Georgia, warum hast du gerade mich genommen?«
Sie könnte sich nun zu ihm wenden, um ihn anzusehen, doch sie zieht es vor, ihn zusammen mit sich selbst zu sehen, als Paar wie auf einem Hochzeitsbild.
Sie konnten sich kein Hochzeitsbild machen lassen.
Doch wie sie so nebeneinander am Wassertrog verharren und sich als Paar wie auf einem Bild betrachten, da gefällt ihr das noch besser als ein Bild an der Wand. Es ist jetzt lebendiger.
Er wartet immer noch auf eine Antwort auf seine Frage.
»Hässlich?«, so fragt sie zurück. »Was ist hässlich? Du siehst fast wie ein Indianer aus – aber nicht wie ein Apache, sondern eher wie ein Comanche. Sind Comanchen hässlich? Du siehst wie ein Mann aus, und ich weiß, dass du ein sehr männlicher Mann bist. Ich liebe dich, Ben Jennison. Für mich bist du schön.«
Nachdem sie ihm diese Liebeserklärung machte, nimmt er sie noch einmal in die Arme. Jetzt vergessen sie ihr Spiegelbild im Wasser, welches sie so gerne betrachten, weil es ihnen zeigt, wie sie als Paar aussehen.
Dann löst sie sich von ihm und eilt ins Haus, um das Mittagessen fertigzumachen, welches sie schon vorbereitet hat.
Er bringt das Pferd in den Corral und sattelt für den Nachmittag schon ein anderes Tier.
Als er es außerhalb des Corrals anbindet, hört er Beißer knurren. Es ist ein kurzer, warnender Laut.
Ben Jennison sagt: »Gut, Beißer, gut – brav!«
Dabei sieht er dem Reiter entgegen, den Beißer mit seinem kurzen Knurrlaut meldete. Er kennt den Reiter nicht. Es ist also keiner von seinen Nachbarn. Es muss ein Fremder sein, denn er sah ihn auch noch niemals in Santa Catalina. Und dorthin an die Bar des einzigen Saloons, da kommen alle Reiter dann und wann einmal, die im Umkreis von zwei Tagesritten leben.
Der Ankömmling ist also ein Fremder, und er kommt auf einem der schmalen Reitpfade von Süden her.
Im Süden aber – etwa drei Tagesritte entfernt – liegt Tucson.
Und in Tucson kann man für gutes Geld einen Killer kaufen. Jawohl! In Tucson gibt es auch Skalpjäger, die nicht mehr allein von der Skalpjagd leben können, obwohl man in Tucson immer noch Prämien für Apachenskalps zahlt. Doch der Apachen wurden schon sehr viel weniger. Überdies entstand inzwischen weiter südlich das Silber- und Goldminenland, also ein dichter besiedeltes und verkehrsreicheres Gebiet. Die »Jagd« der Skalpjäger wurde immer schlechter.
An dies alles denkt Ben Jennison, indes er den Reiter heranreiten sieht.
Sie betrachten sich dann, nachdem der Fremde verhielt.
Beißer knurrt leise; es ist kaum hörbar, aber Ben Jennison hört es, und er weiß es zu deuten. Beißer kann feindliche Strömungen spüren.
Und von diesem Fremden geht eine solche Strömung aus.
Dabei wirkt er gar nicht besonders beachtlich.
Er ist ein kaum mittelgroßer, hagerer Bursche, etwas stoppelbärtig und mit sandfarbenem Haar, welches sich über seinem Hemdkragen rollt.
»Kann ich Wasser bekommen für mich und mein Pferd?«
So fragt er, nachdem er höflich grüßte.
Jennison sieht in die dreieckig wirkenden und leicht schräggestellten Augen des Fremden. Sie sind fast wasserhell, und sie wirken kalt wie Eis, ausdruckslos.
Das ist der Killer, denkt er. Aber er nickt und sagt: »Sicher, steigen Sie ab, Fremder. Kommen Sie aus Tucson?
Haben Sie die Wagenstraße nach Santa Catalina abgekürzt?«
Der Fremde nickt.
Sein Blick richtet sich auf den Hund. Und Beißer sträuben sich die Nackenhaare. Sein leises Knurren wird nun deutlicher hörbar.
Der Fremde, welcher schon den Ansatz zum Absitzen machte, verharrt wieder. Er grinst etwas schief, und auch dieses Grinsen wirkt kalt, ausdruckslos – ja, so wie der Blick seiner Augen.
»Der würde mich wohl fressen?« So fragt er.
Aber Jennison schüttelt den Kopf.
»Geh ins Haus«, sagt er zu Beißer. »Geh ins Haus, Beißer!«
Der große schwarze Hund knurrt unwillig. Doch er gehorcht. Mehrmals hält er aber inne, blickt witternd zurück und lässt dabei stets sein warnendes Knurren hören.
»Der ist prächtig«, sagt der Fremde. »So wie der muss ein guter Hund sein. Aber er mag mich nicht. Das mag daran liegen, dass ich Pumas gejagt habe und noch nach ihnen rieche. Auch mein Pferd riecht nach Puma, weil ich einen hinter dem Sattel transportierte. Gibt es hier Arbeit für einen Raubzeugjäger?«
»Bei mir nicht«, sagt Jennison und sieht zu, wie der Fremde absitzt. Die leichten und geschmeidigen Bewegungen des Fremden entgehen ihm nicht. Er ist davon überzeugt, dass der Mann unwahrscheinlich gute Reflexe hat.
Ja, er hält ihn für einen Revolverschwinger, für einen Killer.
Es könnte der Killer sein, von dem Elroy Hicks sprach, vor dem er gewarnt hat.
Ben Jennison lehnt mit der rechten Schulter am Corralzaun. Er wirkt sehr lässig. Doch seine Linke hängt dicht neben dem Colt.
Auch der Fremde trägt seinen Colt links.
Und das ist wieder ein Zeichen.
Denn alle wirklich schnellen Revolvermänner sind Linkshänder. Ben Jennison weiß das längst. Es muss wohl daran liegen, dass die Reflexe des linken Armes und der linken Hand, die dem Herzen näher sind, vielleicht doch noch etwas besser sind als die der rechten Seite.
Ein normaler Mann merkt das nicht.
Doch bei einem Revolverschwinger kommt es auf winzige Sekundenbruchteile an. Er muss ja jeden Tag üben. Und da findet er irgendwann heraus, welches sein besserer Revolverarm und die bessere Revolverhand sind.
Das Pferd nimmt Wasser aus dem Wassertrog. Es ist ein gutes, ja fast schon edles Tier, ein Vierhundertdollar-Pferd – aber das stellt ein Pferdekenner erst mit dem zweiten Blick fest.
Dieser Fremde ist ein starker Untertreiber.
Der Fremde holt sich Wasser aus dem Brunnen herauf. Er taucht die hölzerne Schöpfkelle in den Holzeimer, trinkt dann das Wasser.
»Das ist gutes Wasser«, sagt er anerkennend.
Dann sehen sich die Männer schweigend an.
»Tändeln Sie immer so lange herum?« Dies fragt Ben Jennison ruhig.
Er erkennt und spürt zugleich, dass der Fremde ihn genau versteht.
Und mit einem Male ist ohne jedes weitere Wort alles klar zwischen den beiden Männern.
Die Hand des Mannes hing schon die ganze Zeit hinter dem Kolben. Und seine Füße suchten festen Halt auf dem Boden. Er steht leicht breitbeinig da.
Das alles sind die Zeichen, die ein Mann wie Jennison zu deuten weiß.
Ein Killer sucht festen Stand.
Und es ist kein Killer, der aus dem Hinterhalt schießt, sondern seinen Auftrag von vorn erledigt.
Vielleicht erleichtert ihm dies das Töten und kommt er sich deshalb nicht wie ein Mörder vor.
»Ja«, sagt der Fremde, »ich sehe mir stets erst den Mann richtig an, bevor ich es mit ihm versuche. Das gehört nun mal zu meinem Stil.«
Er endet fast höflich.
Doch dann zieht er ohne jede Warnung.
Er ist schnell, unheimlich schnell – aber nicht hastig. Sein Ziehen ist zu vergleichen mit dem Zuschnappen eines Wolfsfanges, so sicher und schnell, so entschlossen und absolut, dass es durch nichts mehr aufzuhalten ist.
Ja, er ist ein schneller, sehr schneller Revolverschwinger, der es bisher nicht nötig hatte, seine Opfer aus dem Hinterhalt abzuschießen. Er konnte ihnen das zubilligen, was er eine Chance nannte.
Heute hat er Pech.
Ben Jennison schlägt ihn um jenen winzigen Sekundenbruchteil, auf den es bei einem Revolverkampf so sehr ankommt. Sein Mündungsfeuer blitzt einen Moment früher auf, und die Kugel trifft diesen Moment früher.
Vielleicht drückt der fremde Killer deshalb etwas zu früh ab. Er hatte den Lauf noch nicht richtig hoch.
Die Kugel fährt zwischen Ben Jennisons Beinen hindurch, fetzt nur etwas die Hose, etwa eine Handbreit über dem Knie innen. Die Kugel schlägt in die untere Corralstange. Aber das ist ja schon nicht mehr wichtig.
Der fremde Revolverschwinger schießt noch zweimal.
Und bei jedem Schuss zeigt der Revolverlauf noch ein wenig mehr nach unten.
Eine Kugel fährt vor Jennisons Fußspitzen in den Boden – die andere zwischen den beiden Männern.
Dann kann der Mann den Colt nicht mehr halten.
Er lässt die Waffe fallen, dreht sich zur Seite, so, als wollte er sich zu seinem Pferd wenden – und dann fällt er, weil seine Beine plötzlich nicht mehr tragen.