G. F. Unger Sonder-Edition 198 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 198 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Bei der Passage Station überfällt die McLintok-Bande den Goldtransport und bringt vierzehn Zentner Gold in ihren Besitz. Sie laden die Beute auf Maultiere um und glauben, in der Wildnis der Berge untertauchen zu können. Doch das Schicksal ist gegen sie. Der Armee und den Aufgeboten werden sie zwar entkommen, nicht aber der eigenen Habgier. Das geraubte Gold macht sie blind, und so sehen sie nicht die Gefahr, die ihnen von Ben Adamson droht, den sie für einen zuverlässigen Komplizen halten. Aber Ben macht bei dem Coup nicht des Goldes wegen mit, sondern weil er seinen Bruder Johnny davor bewahren will, als Raubmörder am Galgen zu enden ...


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Seitenzahl: 193

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Passage Station

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto / Norma

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9937-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Passage Station

Es war an einem späten Nachmittag, als sie unauffällig und bescheiden die Bank betraten. Nachdem sie drinnen verschwunden waren, brachte Johnny Adamson die Pferde vor die Bank, damit sie schnell in die Sättel kommen konnten, denn sie würden es bald eilig haben.

Sie kamen mit etwa zwanzigtausend Dollar heraus, warfen sich auf die Pferde und sausten los.

Noch bevor sie aus der Stadt waren, folgten ihnen heiße Kugeln.

Einen von ihnen erwischte es, doch er hielt sich im Sattel, bis sie über die Brücke ritten, die den Creek überspannte. Hier fiel er vom Pferd, über das Geländer ins Wasser.

Fast wäre er ertrunken. Doch man holte ihn heraus. Er lebte noch. Man brachte ihn ins Gefängnis, gab ihm ein weicheres Lager als anderen Gefangenen und holte den Arzt.

Der erklärte, dass der Bursche am Leben bleiben würde.

Darüber war man in der Stadt froh, denn man hoffte, von diesem verwundeten Bankräuber die Namen seiner Kumpane und vielleicht auch deren Schlupfwinkel zu erfahren.

Es war nicht der erste Bankraub im County, sondern schon der fünfte erfolgreiche Überfall. Es musste sich um die gleiche Bande handeln, dessen war man sicher.

Endlich hatte man einen dieser Banditen erwischt!

Das ist gut, so dachten sie alle.

Zwanzigtausend Dollar waren für die Leute dieser Stadt sehr viel Geld. Sie hatten schließlich das Geld der Bank anvertraut, damit es arbeiten und Zinsen bringen sollte. Da die kleine Bank nun jeglichen Bargelds beraubt war, würde sie die Bankschuldner ziemlich hart herannehmen.

Es gab also viele Gründe, sich zu freuen, einen Mann der Bande erwischt zu haben.

Man bewachte ihn gut – sehr viel sorgfältiger als vorher die Bank mit dem Geld.

Das also war die Situation. Nun fängt die Geschichte erst richtig an. Ben Adamson kommt ins Spiel.

Ben Adamson, der Bruder von Johnny Adamson, der die Pferde gehalten hatte.

Es ist einen Tag später, als Ben Adamson in der Stadt erscheint. Obwohl er fremd ist, fällt er nicht auf, denn die Stadt liegt an der großen Verbindungsstraße nach Santa Fé. Hier kommen viele Fremde durch. Es gibt in der Umgebung einige große Rinderranches, deren Reiter man nicht alle kennt. Besonders an Zahltagen ist die Stadt voller Reiter.

Diesmal werden einige Ranches keinen Zahltag halten können, weil sie von der Bank kein Bargeld bekommen.

Ben Adamson bringt sein müdes Pferd in den Mietstall und benimmt sich wie die meisten Cowboys. Er macht einen Streifzug durch sämtliche Saloons. Eine Stunde später ist er über alle wichtigen und interessanten Dinge in der Stadt informiert und weiß auch von dem angeschossenen Banditen im Gefängnis.

Etwa zwei Stunden vor Mitternacht blickt Ben Adamson sich um. Er sucht jemand, mit dem er Streit anfangen kann. Er braucht nicht lange zu warten, denn es gibt genügend haarige Burschen, die genau die richtige Menge Feuerwasser im Leib haben, um sich einen Kampf zu wünschen.

Ben Adamson gerät im Royal Flush Saloon an die Hammer-Brüder, die man nur daran unterscheiden kann, dass Dick Hammer einen Schnurrbart trägt und Jim Hammer sich wenigstens jede Woche einmal rasiert. Man erzählt sich, dass Dick Hammer den Bart trägt, damit er sich nicht selbst mit seinem Bruder Jim verwechselt.

Die Hammer-Brüder sind nicht mit viel Hirn gesegnet. Dafür haben sie feste Knochen und können die Muskeln spielen lassen, dass die Hemden platzen. Man sagt, dass sie mit ihren Bumsköpfen eine Wand einrennen könnten, ohne Schaden zu erleiden.

Ben Adamson tritt einem der Hammer-Brüder an der Bar auf die Zehen. Er weiß noch nicht, dass dieser Bursche gewissermaßen in zweifacher Ausfertigung existiert.

Es ist der bartlose Jim Hammer, der sofort hoffnungsvoll fragt: »Willst du dich entschuldigen, Bruder?« Er meint nicht seinen Bruder, sondern Ben Adamson. Er redet fast jeden Menschen mit Bruder oder Schwester an.

»Warum soll ich mich entschuldigen, Amigo?«, fragt Ben Adamson zurück.

Jim Hammer sagt geduldig: »Weil ich Jim Hammer bin und du mir auf die Zehen latschtest, Bruder. Deshalb!«

Ben Adamson spielt den angetrunkenen Raufbold. Er erklärt laut und großspurig: »Ich würde auch dem Gouverneur auf die Zehen treten, wenn er solche Latschen hätte, wie du. Du musst den Bauch weiter herausstrecken, dann kommt man nicht so dicht heran. Mit den Kähnen brauchst du oben im Norden keine Schneeschuhe. Du kennst doch diese Dinger, die sich die Indianer machen?«

»Die kenne ich«, brummt Jim Hammer und schickt seine Rechte auf die Reise. Auf diese Rechte ist er sehr stolz. Es gelingt ihm fast immer, damit einen Gegner Purzelbäume schlagen zu lassen.

Diesmal klappt es nicht, denn Ben Adamson nimmt den Kopf rechtzeitig weg. Jim Hammer stolpert durch seinen Fehlschlag in Ben Adamsons Faust hinein und landet auf dem Boden.

Dort sitzt er und wundert sich. Er schüttelt den dicken Kopf und brummt.

Jim Hammer ist ein untersetzter Bursche und fast zweihundert Pfund schwer. Noch nie konnte ihn ein Mann, selbst wenn er einen Kopf größer war als dieser freche Vogel, mit einem einzigen Schlag zum Platznehmen zwingen.

Alle Männer, die an der langen Bar standen, wichen zur Seite, um für die Kämpfer Raum zu schaffen.

Nur der bärtige Dick Hammer bleibt stehen und fragt besorgt: »Kannst du den Langen nicht kleinmachen, Bruder?«

»Doch, das kann ich«, brummt Jim Hammer und steht wieder auf.

Er stürmt vorwärts wie ein Bulle, versucht, den Gegner zu unterlaufen. Aber Ben Adamson dreht ab wie ein Stierkämpfer vor einem angreifenden Toro.

Jim Hammer fängt sich am Schanktisch und wirbelt herum, um sich abzustoßen. Da bekommt er es.

Als er wieder auf den Boden kracht, sagt sein Bruder Dick nachsichtig: »Du kannst es doch nicht. Ich sehe schon, mit dir muss was nicht in Ordnung sein. Du hast heute so wenig zum Frühstück gegessen. Na, dann werde ich mal die Sache übernehmen.«

Ben Adamson ist besorgt. Obwohl er Streit anfangen wollte, ist er nicht daran interessiert, die meisten Hiebe einzustecken. Wenn er gewusst hätte, dass es den Burschen, dem er auf die Zehen trat, zweimal gibt, würde er sich einen anderen Mann ausgesucht haben.

Er flucht in Gedanken über sein Pech und hofft, dass der Stadtmarshal nicht zu spät eintrifft.

Er hält den anstürmenden Dick mit einer linken Geraden auf. Doch den rechten Haken duckt Dick Hammer ab. Er kommt dichter an Ben Adamson heran und trifft ihn rechts und links auf die Rippen. Doch dann kommt Adamson in Fahrt.

Mit einem Aufwärtshaken setzt er Dick neben seinen Bruder, der noch am Schanktisch auf dem Boden hockt. Er sagt zu beiden: »Hören wir lieber auf, Jungens.«

Aber sie schütteln ihre dicken Köpfe.

»Das geht nicht«, sagt Jim Hammer, während er sich erhebt. »Wir Hammers haben bisher noch jeden Hombre kleingemacht. Und du hast angefangen. Du hast mir auf die Zehen getreten und wolltest dich nicht entschuldigen. Dafür gibt es Hiebe!«

Dann stürmt er auch schon los. Diesmal macht er es besser. Er bringt es fertig, Ben Adamson umzuwerfen. Am Boden ist er dem größeren Mann überlegen, denn er ist noch etwas schwerer als Adamson, der etwa hundertachtzig Pfund wiegt.

Sie rollen zwischen Stühle und Tische. Es gibt »Kleinholz«. Ben Adamson gelingt es, sich freizumachen und aufzuspringen. Er treibt Jim Hammer quer durch den Saloon bis durch die Tür auf die Straße.

Als er sich umwendet, steht der schnurrbärtige Dick Hammer hinter ihm und...

Ben Adamson hat Glück. Der Kampf ist beendet, denn der Stadtmarshal ist gekommen.

»Immer wieder die Hammer-Boys«, sagt er bitter und hält dabei eine Schrotflinte mit abgesägten Läufen und verkürztem Kolben liebevoll unter dem Arm. »Immer wieder ihr haarigen Affen. Mit wem habt ihr denn heute Streit angefangen? Ich werde euch einsperren, bis ihr schwarz werdet!«

Inzwischen hat Jim Hammer sich von den Gehsteigbrettern aufgerappelt. Er tritt in den Lampenschein neben seinen Bruder und keucht: »Diesmal waren wir nicht die Streitsucher, Marshal! Dieser Lange trat mir auf die Zehen und wollte sich nicht entschuldigen! Soll ich mir auf die Zehen latschen lassen, Marshal?«

Dieser überlegt. Dabei starrt er Ben Adamson an. Plötzlich fragt er: »Wer sind Sie? Woher kommen Sie? Für wen arbeiten Sie?«

»Ich bin auf der Durchreise«, erwidert Ben Adamson. »Mein Name ist Ben Miller.«

Inzwischen kommen der Saloonwirt und einige Gäste zur Tür.

»Ein paar Stühle und ein Tisch müssen instand gesetzt werden«, sagt der Saloonbesitzer. »Es wird zehn Dollar kosten.«

»Na gut«, brummt der Marshal. »Und zehn Dollar Strafe macht zwanzig Dollar. Oder sind Sie schuldlos, Ben Miller? Haben Sie Jim Hammer nicht auf die Zehen getreten und eine Entschuldigung verweigert?«

»Wer entschuldigt sich denn schon bei so einem Büffel?«, fragt Ben Adamson zurück, und wenn der Marshal nicht mit der Schrotflinte winken würde, bekäme er jetzt von den Hammer-Brüdern eine Abreibung für seine Frechheit.

So fluchen sie nur und murmeln Drohungen.

Der Marshal nickt. »Zwanzig Dollar! Und binnen zehn Minuten haben Sie diese Stadt verlassen! Verstanden?«

»Nein«, brummt Adamson. Er schwankt leicht und wischt sich über das Gesicht. Er spielt den angetrunkenen, aufsässigen Burschen ziemlich echt. »Ich sehe nicht ein, warum ich wegen zwei solcher Strolche Strafe zahlen soll. Ihr seid hier eine lausige Stadt. Ihr könnt zur Hölle gehen – alle hier! Wenn jemand Strafe zahlen muss, dann diese beiden Gorillas. Ich zahle nicht! Keinen Cent! Ich bin ein richtiger Gentleman.«

Der Marshal und die anderen Männer betrachten ihn im Schein der Lampen und der Lichtstreifen, die aus den Fenstern und der Tür herausfallen.

Er ist groß, hager, dunkel und abgerissen. Er ist stoppelbärtig und wirkt hässlich. Ja, er sieht aus wie einer der Satteltramps, die wie streunende Wölfe herumziehen. Seinen Colt verlor er bei der Schlägerei. Das Holster trägt er links. Jemand bringt den Colt aus dem Saloon und reicht ihn dem Marshal.

Dieser betrachtet die Waffe kurz. Dann sagt er hart: »Die Gebrüder Hammer sind hier bekannt. Sie besitzen eine kleine Ranch. Wenn ich vor die Wahl gestellt werde, sie oder einen Satteltramp einzusperren, dann entscheide ich mich für den Satteltramp. Also vorwärts, Ben Miller, oder wie Sie heißen mögen. Zwanzig Dollar Geldstrafe oder drei Tage Haft. Vorwärts, Mister!«

Ben Adamson gehorcht. Er trottet schwankend vor dem Marshal her, fluchend und schimpfend. Er benimmt sich wie ein Mann mit wenig Verstand im Kopf und viel Whisky hinterm Halstuch.

Einige Minuten später befindet er sich in einer Zelle des Stadtgefängnisses.

Der Marshal hat ihm alles abgenommen, was er in den Taschen trug. Es war nicht viel.

Siebenunddreißig Dollar, ein Messer, Tabak, eine Nickeluhr, zwei Knöpfe und ein Bleistiftstummel – kein Ausweis und keine sonstigen Papiere.

Aber das ist nicht außergewöhnlich. In diesen schlechten Jahren, so kurz nach dem Bürgerkrieg, reiten überall junge Burschen und Männer durch das Land, die ruhelos sind – auf der Flucht oder auf der Suche nach neuen Chancen, nach einem festen Platz oder einem guten Job.

Viele dieser Tramps sinken immer tiefer.

Der Marshal weiß das, und er hält diesen Mann für einen von der üblen Sorte. Zur Sicherheit blättert er noch einmal in den Steckbriefen. Doch keiner ist dabei, der auf seinen neuen Gefangenen passt.

Bald ist es Zeit für den Marshal, eine Runde durch die Stadt zu machen. Er verlässt das Office.

Die Gefangenen sind allein.

Es sind vier Gefangene. Zwei von ihnen sind sinnlos betrunken und schlafen ihren Rausch aus.

In der Nachbarzelle – von Ben Adamson nur durch eine Reihe von Gitterstäben getrennt – liegt der verwundete Bandit, der auf der Brücke vom Pferd in den Creek gefallen war.

Vorn im Office sitzt noch ein bewaffneter Mann der Bürgerwehr, der dem Marshal erst die Tür öffnet, wenn er ihn an der Stimme erkannt hat.

Die beiden Betrunkenen schnarchen so laut, dass Ben Adamson gar nicht besonders leise flüstern muss, als er zur Nachbarzelle hin sagt: »He, hörst du mich?«

Er muss dreimal fragen. Dann erst murmelt der Verwundete mürrisch: »Aaah, was willst du?«

»Dich hier herausholen«, erwidert Ben Adamson. »Aus diesem Grund habe ich in einem Saloon Krach angefangen. Zuerst musste ich ja mit dir Verbindung aufnehmen. Oder möchtest du hier nicht heraus?«

Der verwundete Bandit schweigt lange. Er heißt Bill Carradine, was hier noch niemand weiß. Wenn man in dieser kleinen Stadt seinen Namen erfahren würde, dann...

Er mag gar nicht daran denken, dass man ihn in Missouri gerne nach Recht und Gesetz aufhängen würde, weil er einen Postkutschenbegleiter vom Bock schoss.

Bill Carradine möchte möglichst schnell hier heraus, bevor man ihn erkennt oder herausfindet, wer er ist.

Doch er ist misstrauisch wie ein Wolf, der schon einmal in einer Falle saß und genau weiß, wie schnell man in ein neues Eisen geraten kann, wenn man auch nur einen Moment in der Wachsamkeit nachlässt.

»Bist du ein Wohltäter? Warum möchtest du mich hier herausholen?«

Er fragt skeptisch, und man hört seiner Stimme nicht an, dass er am liebsten jetzt schon draußen wäre.

»Was ist so schön und wertvoll an mir, dass du mich herausholen möchtest?« Seine Worte klingen höhnisch.

»Johnny ist mein Bruder«, sagt Ben Adamson. »Ich versuche schon eine ganze Weile, mit ihm Verbindung aufzunehmen und bin deshalb hinter euch her. Diesmal habe ich es gut getroffen. Wenn ich dich hier heraushole, wirst du mich zu meinem Bruder Johnny führen! Oder vielleicht nicht?«

Nun denkt Bill Carradine noch länger nach als vorher.

Bis jetzt täuschte er dem Marshal und den Leuten der Bürgerwehr vor, dass er noch nicht bei Verstand und vernehmungsfähig wäre – auch dem Arzt konnte er dieses Theater vorspielen.

Doch vielleicht schon morgen wird man ihm das nicht mehr glauben. Dann wird man ihn hart hernehmen. Seine Schonzeit im Gefängnis ist bald vorbei.

Es wäre wirklich gut, wenn er schnell wieder an die frische Luft kommen würde.

Er denkt über Johnny Adamson nach. Es gibt nur diesen einen Johnny in ihrer Bande. Er weiß auch von Johnny, dass er einen Bruder hat.

Aber wenn dieser angebliche Bruder da in der Nachbarzelle gar kein wirklicher Bruder, sondern ein Marshal oder Sheriff ist, der das Versteck der Lincoln-County-Bande ausfindig machen möchte? Was dann?

Bill Carradine sinnt eine Weile über diese Frage nach.

Er kommt zu dem Schluss, dass er sich auf alle Fälle bessersteht, wenn er erst einmal hier herauskommt. Inzwischen müssen auch seine Kumpane entkommen sein. Sie werden gewiss etwas unternehmen, um ihn zu befreien. Vielleicht – wenn er hier heraus ist – treffen sie schon bald unterwegs auf die Jungens.

Aus diesen Überlegungen heraus sagt Bill Carradine leise: »Johnny ist dein Bruder? So? Du bist Johnny Adamsons Bruder und willst mich herausholen, damit ich dich zu Johnny bringe? Ah, dieses Geschäft können wir machen. Ich bin nur neugierig, wie du es anfangen willst. Vorerst sitzt du ja selbst in einer Zelle.«

»Lass mich nur machen«, sagt Ben Adamson. »Sag mir lieber genau, wie es dir geht. Du bist verwundet, und man sagt in den Saloons, dass es dich ziemlich schlimm erwischt hätte. Kannst du überhaupt reiten?«

Da lacht Bill Carradine leise, und in diesem Lachen schwingt eine eiserne, unbarmherzige Härte. Wenn Ben Adamson es bisher noch nicht wusste, jetzt weiß er es: Die Reiter der Lincoln-County-Bande sind härter als die meisten Männer im Land. Er zweifelt nicht an Bill Carradines Worten, als dieser nach dem leisen Lachen heiser sagt: »Ich kann einen ganzen Tag im Sattel bleiben. Dass ich mich hier so krank stelle, geschah in weiser Voraussicht. Ich habe ein Loch in der Schulter. Glatter Durchschuss. Und die Beule an meinem Kopf sieht schlimmer aus, als sie ist. Mein Wundfieber ist nicht der Rede wert. Ich könnte sofort...«

»Diese Nacht geht es nicht mehr«, sagt Ben Adamson. »Halt dich in der kommenden Nacht bereit. Du wirst auch kräftiger sein, wenn du noch über zwanzig Stunden ausruhen kannst.«

Sie schweigen eine Weile.

Der Wächter kommt aus dem Office in den Zellenraum und wirft einen Blick in jede Zelle. Er ist ein stämmiger, stur und verbissen wirkender Mann. Er lässt seine Schrotflinte nicht aus den Händen.

Wortlos verschwindet er wieder.

Die beiden Betrunkenen schnarchen im Duett.

Ben Adamson liegt still und überlegt, wie er es in der kommenden Nacht anfangen soll.

Bill Carradine fragt nach einer Weile leise von seinem Lager her durch die Gitterstäbe: »He, wieso weißt du, dass dein Bruder mit uns reitet? Und was willst du von Johnny? Etwa seine Seele retten, hahaha?«

»Jemand hat ihn vor neun Wochen in Warbow, als er dort für euch die Pferde hielt, erkannt. Und der hat es mir gesagt. Was ich von ihm will? Nun, immerhin bin ich sein älterer Bruder. Ich habe den Kleinen fünf Jahre nicht gesehen. Als ich aus dem Krieg heimkehrte, war er von daheim fort. Vielleicht weiß er noch gar nicht, dass ich am Leben blieb und nach ihm suche. Was würdest du denn an meiner Stelle machen, wenn du einen Bruder hättest, der mit Banditen reitet?«

Bill Carradine grübelt über diese Frage nach.

»Wahrscheinlich würde ich so handeln wie du«, murmelt er. »Aber ich habe keinen Bruder. Als ich sieben Jahre alt war, kamen Indianer und schlugen meine Eltern und meine drei Geschwister tot. Nur mich fanden sie nicht. Ich war klein genug, um mich im Kamin zu verkriechen und...«

Er spricht nicht weiter.

Nach einer Weile klopft es an der Vordertür des Office. Der Wächter fragt, wer draußen ist. Als er die Stimme des Marshals erkennt, öffnet er.

Ben Adamson schnarcht wie die anderen Betrunkenen, als der Marshal in den Zellenraum tritt. Ein betrunkener Raufbold muss seinen Rausch ja erst ausschlafen...

Ben Adamson sieht den Marshal nach dem Mittagessen wieder. Es sind fast dreizehn Stunden vergangen – genug für einen Mann, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Der Marshal lässt erst die beiden anderen Betrunkenen heraus. Einer dieser Männer gehört zu einer Schauspieltruppe, die in der Stadt gastiert.

»Sie mögen ja ein guter Feuer- und Schwertschlucker sein, Carlton«, sagt der Marshal grimmig, »doch das Bier und den Whisky verträgt Ihr schwacher Magen offenbar nicht. Ihre Truppe verlässt heute die Stadt. Sehen Sie zu, dass Sie den Anschluss nicht verpassen.«

»Bestimmt nicht, Marshal, ganz bestimmt nicht«, beteuert der Mann und verschwindet wie ein geölter Blitz.

Zuletzt tritt der Marshal vor Ben Adamsons Gittertür.

»Na, Satteltramp«, sagt er. »Immer noch so trotzig?«

»Nicht mehr, Marshal«, erwidert Ben Adamson. »Wenn ich mich richtig erinnere, sitze ich hier, weil ich mich weigerte, eine Geldstrafe zu zahlen. Ich war wohl ziemlich betrunken. Aber jetzt bin ich nüchtern. Mir wäre es recht, wenn ich meine Strafe zahlen und weiterreiten könnte.«

Der Marshal betrachtet ihn einen Augenblick lang aufmerksam. Dann holt er den Schlüssel vom Wandhaken, öffnet die Zelle und sagt: »Also gut, komm heraus, Satteltramp! Lass dir deine Sachen geben, und zahl die Strafe. Wenn ich dich in einer Stunde noch in der Stadt treffen sollte, sperre ich dich wieder ein.«

Er tritt an die Nachbarzelle, in der der verwundete Bandit sich auf der Lagerstatt stöhnend regt.

»He, wie fühlst du dich?«, fragt er. »Bist du wach? Ich lasse gleich den Doc kommen, damit er noch mal nach dir sieht.«

»Ihr könnt alle zur Hölle fahren«, sagt Bill Carradine heiser. Man hört seiner gepressten Stimme an, dass sein Wundfieber stärker wurde. »Ich brauche keinen Doc, meine Löcher heilen von selbst viel besser.«

»Na, du wirst schon friedlicher und höflicher werden, wenn der Sheriff mit dem Aufgebot zurück ist. Vielleicht hat er noch mehr von euch Vögeln eingefangen. Warte nur! Bald werden wir uns mit dir beschäftigen, Langreiter.«

Der Marshal geht hinter Ben Adamson in das Office und sieht eine Weile wortlos zu, wie der Stadtschreiber die Strafe kassiert und dem Tramp dessen Eigentum aushändigt. Ben Adamson vermeidet es, dem Blick des Marshals standzuhalten. Er spielt weiter den heruntergekommenen Cowboy, der etwas auf dem Kerbholz hat und gerne ohne weiteren Ärger aus dieser Stadt verschwinden möchte.

Der Marshal findet an diesem unrasierten, abgerissenen und seinem Blick unruhig ausweichenden Burschen nichts, was beachtlich wäre.

Gewiss, dieser hagere, große Tramp konnte sich gegen die beiden Hammer-Brüder behaupten. Doch es gibt noch mehr Excowboys und Satteltramps, die sich mit anderen Männern prügeln können. Der Marshal war auch schon im Mietstall, hat sich das Pferd des Tramps angesehen, und sein Bündel, die Satteltaschen und den Sattel selbst untersucht.

Doch er fand nichts, was darauf hätte schließen lassen, dass dieser hagere Bursche etwas anderes als ein heruntergekommener Cowboy ist.

Das Pferd ist durchschnittlich und hat Eisen, die bald erneuert werden müssten. In den Satteltaschen und in dem Bündel befand sich wertloses Zeug, das nur für einen Mann zu gebrauchen ist, der viel im Freien nächtigt und sein Essen am offenen Feuer kocht.

Der Marshal bewegt sich nicht, als Ben Adamson das Office verlässt.

Doch später behält er ihn im Auge und sieht zu, wie der Tramp aus der Stadt reitet.

Dann wartet der Marshal – wie alle anderen Einwohner der Stadt – auf die Rückkehr des Aufgebotes.

Ob der Sheriff Glück hat?

Einen dieser Banditen haben sie auf jeden Fall.

Der Marshal begibt sich wieder ins Gefängnis und betritt die Zelle des Verwundeten. »Also, da woll'n wir doch mal sehen, ob du uns nichts zu erzählen hast. Wer waren die anderen Burschen, die...«

»Hau ab«, sagt der Gefangene. »Ich bin krank! Ich bin verwundet! Ich werde sterben! Ihr könnt alle zum Teufel gehen!«

Der Marshal seufzt. Er hat nie daran gezweifelt, dass dieser Gefangene trotz seiner Verwundung eine harte Nuss ist. Doch im Verlauf einiger Tage bekommen sie ihn vielleicht zum Sprechen. Der Marshal will den Burschen für den Sheriff schon etwas weichmachen.

Während Ben Adamson aus der Stadt reitet, blickt er unauffällig nach rechts und links und überlegt, wie er den verwundeten Banditen befreien und mit ihm entkommen kann.

Das Entkommen scheint das größere Problem zu sein.

Mit grimmiger Bitterkeit denkt er an seinen Bruder Johnny, der mit Banditen reitet. Eines Tages wird diese Bande bei ihren Überfällen einen Menschen töten – und dann ist Johnny verloren. Sie werden eines Tages alle hängen.

Bisher hielt Johnny nur die Pferde der Banditen oder brachte sie rechtzeitig herbei, wenn die Bande mit der Beute den Tatort verließ und die Flucht begann.

Aber eines Tages wird er mit in eine Bank gehen und dort... Ben Adamson verdrängt seine Gedanken. Es hat keinen Sinn, sich immer wieder vorzustellen, was mit Johnny geschehen könnte.

Er muss Johnny finden und ihn von dieser Bande fortbringen. Gewiss ist Johnny ein wilder und verwegener Bursche geworden. Doch er ist inzwischen fast zwanzig Jahre alt. Der große Bruder war früher stets sein Vorbild und hatte Einfluss auf ihn.

Vielleicht kann das wieder so werden. Dann wird er mit Johnny irgendwohin reiten, wo sie neu anfangen können. Das wünscht sich Ben Adamson.

Er weiß, dass er jetzt selbst zu einem Gesetzesbrecher wird, wenn er einem Banditen zur Flucht verhilft. Aber er will seinen Bruder retten. Nur daran denkt er. Die Zeit ist jetzt – so kurz nach dem Bürgerkrieg – noch wild und unruhig. Ben Adamson war im Krieg und sah viel Unrecht.

Er hat die Absicht, seine Gesetzesübertretung später damit wiedergutzumachen, dass er den Schlupfwinkel der Lincoln-County-Bande preisgibt.

Deshalb hat er wenig Gewissensbisse.