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In Last Chance City haben Clementine Dallas und ihre vier Mädchen die Männer geschröpft. Nun sind sie reich und besteigen die Kutsche, die sie durch die Wildnis der Bitter Roots nach Lewiston bringen soll. Sie wissen, die Fahrt ist nicht ungefährlich. Aber die Frauen, die bisher nichts anderes getan haben, als die Männer gnadenlos auszunehmen, vermögen einfach nicht zu glauben, dass auch einmal sie die Dummen sein könnten.
Doch dann kommen sie nach Bitter Roots Lodge, der einsamen Pferdewechselstation in den Bergen, und der Albtraum, der hier auf sie wartet, öffnet ihnen auf grauenvolle Weise die Augen ...
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Seitenzahl: 184
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Die Falle in den Bitter Roots
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0024-5
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Die Falle in den Bitter Roots
Als damals in Idaho und Montana überall Gold gefunden wurde, da gab es drei Möglichkeiten, wollte man dorthin gelangen und am großen Goldrausch teilnehmen.
Der bequemste Weg war eine Schiffspassage auf dem Missouri bis nach Fort Benton und anschließend zwei- bis dreihundert Meilen über Land bis zu den Fundstellen.
Die zweite Möglichkeit war der Bozeman Trail, den man auch Oregon Trail nannte. Er führte von Fort Laramie aus mitten durch das Indianerland.
Die dritte Möglichkeit gab es von der Westküste her, also von Portland aus auf dem Columbia bis nach Lewiston und von dort über Land nach Walla Walla.
Diese Nordroute führte dann weiter über den Coeur d'Alene und den St. Regis, und durch das Hell Gate abwärts zum Beaverhead, also durch oder über die Bitter Roots Mountains.
Es war ein Weg von etwa vierzehn Tagen auf guten Pferden. Aber es war ein höllischer Weg.
Und wie alle Wege wurde er von den Menschen in zwei Richtungen benutzt. Die einen wollten zum Gold – und die anderen wollten wieder weg, entweder, weil sie sich mit ihrer Ausbeute in Sicherheit bringen, also retten wollten, oder weil sie als Verlierer und Gescheiterte aufgegeben hatten...
☆
Es ist am Abend ihres letzten Tages in Last Chance City, als Clementine Dallas ihren vier »Mädchen der Freude« zum Abschluss ihrer Tätigkeit noch etwas zu sagen hat.
Der Koch des Hauses hat ihnen noch einmal ein außergewöhnliches Festessen zubereitet. Vom nächsten Tag an wird er für den neuen Besitzer kochen.
Die fünf Frauen haben also prächtig gespeist und sind nun beim Nachtisch und dem duftenden Kaffee.
Clementine Dallas sieht ihre vier Mädchen der Reihe nach an, und sie alle lächeln zurück. Bisher hießen sie nur Goldie, Betsy, Patsy und Jessy.
Doch bald werden sie wieder ihre richtigen Namen führen.
Clementine Dallas beginnt mit den Worten: »Wenn ich euch so ansehe, dann bin ich sehr stolz auf euch und auf mich. Erinnert ihr euch noch, ihr Küken, wie es damals war, als ich euch aufgriff und ihr nichts anderes als zweibeinige, streunende Katzen gewesen seid auf einem Weg in den Untergang. Dumm und hilflos wäret ihr in die falschen Hände geraten. All diese Dreckskerle lauerten schon auf euch wie der Fuchs auf die Hühner. Doch ihr hattet Glück.«
»Ja, so war es, Tante Clementine.« Jessy lächelt. »Wir waren dumme Hühner, welche wegliefen von daheim und noch nicht wussten, dass man für alles zahlen muss, weil man nichts geschenkt bekommt auf dieser Erde. Und so muss man sehen, dass man mehr erhält, als man gibt. So allein macht man ohne Verluste Geschäfte. Das ist die Regel.«
»Gut, Jessy, gut.« Auch Clementine lächelt.
Sie nippt an ihrer Kaffeetasse, und sie tut es wie eine vornehme Lady und nicht wie die Chefin eines Hurenhauses.
Dann spricht sie ruhig: »Ich habe aus euch Frauen gemacht, die dort, wo man ihre Vergangenheit nicht kennt, als gebildete Ladys auftreten können und als solche gewiss auch akzeptiert werden. Ihr habt bis gestern das älteste Gewerbe der Welt ausgeübt, aber daneben habt ihr lernen müssen, immerzu lernen müssen. Ja, ich war manchmal hart zu euch. Doch ich musste es sein. Wie anders hätte ich etwas aus euch machen können für euren neuen Lebensweg? Habe ich euch schon von jenem Herodot erzählt, dem so genannten ›Vater der Geschichtsschreibung‹? Nein? Nun, dann hört mir zu. Das war in den Jahren vierhundertvierzig vor Christus in Babylonien. Und wenn man Herodot glauben kann, dann musste jede Frau in Babylonien einmal in ihrem Leben vor dem Tempel der Melitta – das war die Göttin der Liebe – warten, bis ein Fremder vorbeikam und ihr eine Münze in den Schoß warf. Und wie groß oder klein diese Münze auch war und ob es sich um einen schönen oder hässlichen Mann handelte, die Frau musste ihm folgen und außerhalb des Tempels mit ihm schlafen. Meine Lieben, ihr könnt euch vorstellen, dass bei schönen Frauen die Freier sich drängten und man den Platz mit Seilen absperren musste. Und die hässlichen Frauen saßen oft jahrelang vor dem Tempel.«
Clementine, die einst einmal Professorin in Boston war, macht wieder eine Pause und nimmt abermals einen Schluck Kaffee.
Sie lächelt nacheinander ihre vier Geschöpfe an. Ja, es sind ihre Geschöpfe, denn sie hat sie geformt und gebildet.
Dann spricht sie weiter: »Wahrscheinlich war diese Art von Prostitution ein Deflorations-Ritual und ging es den Tempelherren nicht so sehr um die Einnahmen. Aber wer weiß es schon? Vielleicht waren sie die ersten Zuhälter der Welt, hahaha.«
Sie lacht nun melodisch. Ja, sie kann wie eine Lady lachen.
Dann spricht sie weiter. »Ihr müsst wissen, dass Babylon damals eine riesige Stadt mit mehreren Millionen Einwohnern war und einen Durchmesser von fast fünfzig Meilen hatte. Und ein gewisser Quintus Curtius berichtet, dass es nichts Verdorbeneres gäbe als dieses Volk und nichts Raffinierteres in den Künsten der Wollust und Sinnlichkeit. Babylon galt als die Hauptstadt des Lasters. Und der Prophet Jesaja schrieb: Wie es Sodom und Gomorrha erging, so wird es auch Babylon ergehen.«
Als Clementine verstummt, da staunen ihre vier Mädchen.
»Und so kam es auch«, setzt Clementine hinzu.
Dann aber fährt sie härter fort: »Und deshalb gilt das auch für uns und führe ich euch jetzt auf einen anderen Weg und in ein anderes Leben.«
Abermals macht sie eine Pause, lacht dann wieder ihr melodisches Lachen, so als fiele ihr etwas Vergnügliches ein, und spricht: »Der erste Zuhälter war wohl damals ein gewisser Solon von Athen. Er war ein bedeutender Dichter und Politiker der Antike. Als man ihn zum Gesetzgeber Athens ernannte, kaufte er auf Staatskosten ein Haus, quartierte liebeswillige Damen dort ein und setzte auch die Preise für ihre Dienste fest. Solon wurde in der Antike zu den Sieben Weisen gezählt.«
Abermals macht sie eine Pause und fragt schließlich: »Warum erzähle ich euch das, meine Engelchen?«
Sie staunen Clementine immer noch an.
Dann spricht Patsy: »Irgendwelche Lehren sollen wir daraus ziehen, Tante Clementine, aber welche?«
Da nickt Clementine. »Ja, welche? Nun gut, ich werde es euch erklären. Es gab damals drei soziale Gruppen oder Sorten von Prostituierten, nämlich die Dikteriaden, die Auletriden und die Hetären. Ich habe euch zu Hetären erzogen. Dikteriaden waren die Billigsklavinnen der Lust. Die Auletriden oder Flötenspielerinnen besuchten private Feste und übten dort ihre Kunst aus, sie tanzten und befriedigten danach die Gäste.«
Als sie wieder eine Pause macht, da fragt Goldie fast begierig: »Und diese Hehehetären, was machten die?«
»Die besaßen Geist, Bildung und verkauften sich nicht so leicht. Sie standen oft mit den hervorragendsten Männern Griechenlands auf gleichem Fuß, waren ihre Beraterinnen. Um ihre Gunst mussten diese Großen Griechenlands lange werben. Die berühmteste Hetäre war jene Aspasia, die neben ihrem Liebhaber Perikles Athen regierte und von Platon und Sokrates verehrt wurde. Engelchen, ich habe euch im Verlauf von vier Jahren zu Hetären gemacht. Ihr habt jetzt eine gute Bildung, einen lebendigen Geist und geschärften Verstand. Ihr seid keine billigen Huren. Versteht ihr? Also geht stolz und selbstbewusst in euer neues Leben. Seid Ladys, um die man werben muss wie um jene Aspasia. Jede von euch besitzt ein Vermögen. Ihr könnt in San Francisco als reiche Witwen auftreten, die ihre Gatten im Goldland verloren haben. Ja, wir gehen über oder durch die Bitter Roots zur Westküste. Wenn wir in Portland ein Schiff nach San Francisco besteigen, dann kennen wir uns nicht mehr. Und jede von euch wird eine immer noch trauernde Lady sein. Jede wird ihren eigenen Weg gehen. Morgen geht es los!«
Sie hat nun alles gesagt.
Die vier jungen Frauen starren ihre Leitwölfin an, von der sie alles lernten, lernen konnten, weil sie intelligent genug waren, denn bei dummen Hühnern wäre das nicht möglich gewesen.
Sie waren ja gewissermaßen ungeschliffene Edelsteine, als sie in ihre Hände kamen.
Betsy spricht schließlich fast feierlich: »Oh, Tante Clementine, jetzt hast du uns wohl das Wichtigste mit auf den Weg gegeben. Aber jede von uns wird dich vermissen, so als hätte sie ihre Mutter verloren.«
»Pah«, macht da Clementine nur. »Das Leben geht weiter. Und ihr seid inzwischen ja auch hartgesotten geworden. Jede von euch wird für sich sorgen können in dieser harten Welt. Ihr braucht mich nicht mehr, eigentlich sind wir nur noch Reisegefährten bis nach Portland. Basta!«
Sie verstummt hart, doch sie wissen und spüren, dass ihre Härte jetzt nur dazu dient, um die Fassung nicht zu verlieren.
Und plötzlich beginnen die vier Frauen zu weinen. Sie können nicht anders. Es ist kein hilfloses Schluchzen, nein, es ist ein stilles Weinen. Die Tränen rinnen ihnen über die Wangen, und sie können sich nicht so schnell mit dem Gedanken abfinden, dass sich bald – wahrscheinlich in zwei oder drei Wochen – ihre Wege für immer trennen werden. Ja, es ist wirklich so, als wüssten sie, dass sie ihre Mutter verlieren werden.
Denn sie lieben Clementine Dallas.
☆
Im Morgengrauen besteigen sie die Postkutsche nach Lewiston. Clementine hat die Kutsche mit dem Fahrer gemietet. Es ist eine neunsitzige Abbot & Downing Stage, und so werden sie es relativ bequem haben auf dem Weg durch die Bitter Roots. Von Lewiston aus können sie mit einem der Flussdampfer abwärts nach Portland fahren.
Sie sind wie Ladys gekleidet, seriös im Reisekostüm, und keiner sieht ihnen an, aus was für einem Haus sie kommen.
Der Fahrer ist ein schon grauköpfiger, knorrig wirkender Bursche.
Last Chance City schläft noch wie ein wildes Tier, das eine lange Nacht tobte, lärmte, alle Sünden beging und nun erschöpft ruhen muss, um die nächste Nacht wieder toben zu können.
Die Kutsche rollt durch die Last Chance Gulch und biegt bei der ersten Querschlucht nach Westen ein.
Aus den fernen Bitter Roots kommt ihnen ein leichter Wind entgegen, der ihnen die vielen Düfte des Landes zuträgt, vor allem den Geruch der harzigen Kiefern.
Da und dort sehen sie die Lichter der Minen, deren Stollenmäuler die Hänge durchlöchern. Claims gibt es nicht in der engen Schlucht.
Clementine spricht mit einem Klang von Härte in der Stimme: »Meine Küken, jetzt sind wir unterwegs. Und wir blicken nicht zurück. Verbannt jede Erinnerung. Basta!«
Hinter der Kutsche im Osten kommt nun das Licht des werdenden Tages über die Big Belt Mountains und eilt ihnen voraus, so als wäre es ein Omen für eine helle, reine und saubere Zukunft. Und hinter ihnen bleibt die Last Chance Gulch zurück, in der noch die Schatten liegen.
»Ja, basta!« Goldie spricht es fest.
Vorn auf dem hohen Fahrersitz knallt der Fahrer mit der Peitsche und ruft mit seiner heiseren Stimme: »Lauft, ihr Tanten, lauft!«
Sie haben sechs Pferde vor der Kutsche, und das bedeutet auch, dass der Fahrer ein Künstler sein muss, der mit den Zügeln umgehen kann wie ein guter Klavierspieler mit den Tasten.
Das Sechsergespann muss sich erst noch aufeinander abstimmen. Einmal ruft der Fahrer böse zwischen dem Peitschenknallen: »Ihr verdammten Zimtzicken, beißt euch nicht wie dumme Weiber!«
In der Kutsche lachen sie leise. Und Clementine sagt dann milde: »Ja, dumme Weiber veranstalten immer ein Stutenbeißen. Doch das wisst ihr ja längst, meine Engelchen.«
Der Tag wird immer heller und strahlender.
Nur der Weg ist schlecht. Denn es handelt sich ja nicht um eine Straße oder einen Wagenweg. Es gibt hier nur eine Fährte von Radfurchen und Hufspuren.
Sie sind mitten in der Wildnis der Rockies.
Nach einer Weile spricht Clementine ruhig: »Denkt immer daran, dass wir mit unserem ganzen Gewinn unterwegs sind und uns damit aus dem Land schleichen wollen. Wir werden erst in Lewiston einigermaßen in Sicherheit sein. Und selbst auf den Dampfbooten werdet ihr voller Misstrauen sein müssen. Ihr habt doch alle die kleinen Derringer immer griffbereit in den Faltentaschen eurer Röcke?«
Ihre Stimme klingt zuletzt scharf und fordernd.
Und da zeigen sie es ihr, wie sehr sie von ihr diszipliniert wurden. Denn ganz plötzlich haben sie alle ihre kleinen, zweiläufigen Waffen in den Händen und heben diese über die Köpfe bis zum Kutschdach hoch.
»Brav, brav«, murmelt Clementine und fügt nach zwei langen Atemzügen hinzu: »Und zögert nicht, wenn uns irgendwelche Dreckskerle den Ertrag von vier Jahren Arbeit wegnehmen wollen, zögert nicht.«
»Keine Sorge, Tante Clementine«, spricht Patsy mit kehliger Stimme. Da lehnt Clementine sich entspannt zurück und schließt die Augen, erträgt das Stoßen und Rumpeln der Kutsche gelassen, obwohl sie ja nicht mehr jung ist mit einem geschmeidigen Körper und manchmal die Schmerzen des Rheumas spürt.
Bald werde ich mir in Kalifornien einen Platz in der warmen Sonne suchen, denkt sie wieder einmal mehr.
Indes sie so mit geschlossenen Augen das Rumpeln und Stoßen der Kutsche erträgt, da denkt sie an früher, geht ihren Lebensweg zurück.
Und es ist ein starkes Bedauern in ihr. Ja, einst war sie Professorin in Boston und lehrte Geschichte, die Geschichte der Welt. Und das war großartig, spannend und faszinierend.
Doch dann lernte sie jenen Mann kennen, der zu ihrem totalen Ruin führte.
Sie will plötzlich diese Erinnerung nicht mehr erleben. Sie erlebte sie schon oft genug.
Und so wischt sie alles in ihren Gedanken wieder weg und öffnet die Augen.
Ja, das ist es, denkt sie. Man muss vorwärts blicken, niemals zurück. Was hinter einem liegt, muss man vergessen, wenn es ungut war.
Die Kutsche rollt nun aus der engen Schlucht und hält jäh an. Reiter sind zu beiden Seiten der Kutsche, und eine raue Stimme ruft: »He, Peitschenknaller, wenn du sterben willst, dann greif nur zur Waffe!«
»Ich will nicht sterben«, erwidert die heisere Stimme des Fahrers. »Ich bin nur der Fahrer und nicht der Beschützer der Ladys.«
Einige Stimmen lachen. Pferde schnauben, Sättel knarren und Zaumzeug klirrt ein wenig zum Klingeln von Sporenrädchen.
Dann ruft die raue Stimme: »Oh, ihr Schönen aus dem Aphrodite House in Last Chance City, ihr herrlichen Rosen der Liebe, jetzt melken wir euch wie Ziegen! Jetzt müsst ihr abliefern, was ihr all den Böcken abgenommen habt, die den Vorzug hatten, bei euch eingelassen zu werden. Wir hatten nie diesen Vorzug, denn wir waren euch stets zu primitiv, stanken euch gewiss auch zu sehr und besaßen keine Goldminen. Kommt raus! Wir wollen eure Beute. Und wir werden euch bis auf die Haut durchsuchen. Raus jetzt, ihr Schönen!«
Die raue Stimme klingt böse. Drinnen in der Kutsche aber spricht Clementine ruhig: »Meine Engelchen, so ist die Welt. Und die Schafe werden von den Wölfen gerissen. Seid ihr Schafe?«
»Er nannte uns Ziegen«, flüstert Jessy.
»Geben wir es ihnen«, spricht Betsy hart.
Sie steigen nacheinander zu beiden Seiten aus der Kutsche. Clementine, Goldie und Betsy klettern links hinaus, Patsy und Jessy nach rechts.
Und auf jeder Seite sehen sie zwei Reiter, die aus den Sätteln zu ihnen nieder grinsen, so richtig triumphierend großspurig.
Und einer von ihnen spricht mit einem Lachen in der Kehle: »Vielleicht lassen wir euch ein paar Dollars verdienen. Aber erst müsst ihr alles, was ihr erbeutet habt, in eurem schönen Aphrodite House herausrücken.«
Nun lachen sie wieder zu beiden Seiten der Kutsche und wollen sich von den Pferden schwingen.
Doch weil sie auf ihren Pferden so gute Ziele bieten, warten Clementine und deren Engelchen – wie sie ihre Truppe zu gerne nennt – nicht länger.
Denn sie wollen sich nicht ausplündern lassen und wieder von vorne anfangen. Sie wollen in ein neues Leben, zu einem neuen Anfang. Und sie wollen alles vergessen, was seit heute am frühen Morgen hinter ihnen liegen sollte.
Ja, sie holen ihre kleinen Waffen aus den verborgenen Taschen ihrer Faltenröcke. Und sie schießen ohne jede Warnung.
Denn das ist ja ihre einzige Chance gegen diese Banditen und Revolverschwinger, die sich so großartig und überlegen fühlen.
Was hätten sie sonst tun können?
Die Kerle fallen von den Pferden, krachen zu Boden. Denn auf kurze Entfernung sind auch Derringer fast so wirksam wie Colts mit langen Läufen. Und die Entfernungen sind ja wirklich sehr kurz, kaum mehr als zwei Yards.
Das Krachen der vielen Schüsse verhallt, und dann hört man den Fahrer oben auf dem Bock geradezu andächtig sagen: »O Vater im Himmel, was sind das für prächtige Ladys. Die lassen sich nicht ausplündern. Oha, das sind ja Tigerkatzen.«
Dann aber sagt er nichts mehr, so als hätte er Sorge, schon zu viel gesagt zu haben.
Am Boden aber stöhnen die vier Banditen zu beiden Seiten der Kutsche. Und ihre Pferde tänzeln unruhig.
Clementines Stimme klingt hart und metallisch, als sie spricht: »Ihr vier Narren. Jetzt wisst ihr, warum ihr nie ins Aphrodite House eingelassen wurdet. Ihr habt kein Format. Ihr seid einfach nur Ratten. Wer aber hat euch den Tipp gegeben? Wer hat euch gesagt, dass wir uns absetzen in aller Frühe? Sagt es uns. Sonst lassen wir euch tot zurück.«
Sie stöhnen und fluchen, spüren den Schmerz der Wunden und fühlen auch, wie ihnen das Blut ausläuft.
»Sagt es uns, verdammt!« Clementines Stimme klirrt noch härter.
Dann aber stöhnt einer. »Oh, es war der Stallmann. Der wusste Bescheid, dass ihr die Kutsche und den Fahrer gemietet hattet. Verdammt, wollt ihr uns hier verbluten lassen?«
Aber als er stöhnend verstummt, da bekommt er keine Antwort auf seine Frage.
Clementine wendet sich an den Fahrer, ruft zu diesem hinauf: »Wir fahren weiter, Peitschenknaller! Steigt ein, meine Engelchen, nehmt wieder Platz.«
»Mein Name ist nicht Peitschenknaller«, murrt der knorrige Fahrer. »Mein Name ist Billy Fargo, und ich lasse mich auch nicht von Revolverladys herumkommandieren.«
Aber da lachen sie fünfstimmig so richtig biestig und fast schon böse. Dies ist ihre Antwort.
Und da fährt er los, nachdem sie unter ihm in der Kutsche verschwunden sind.
Zurück bleiben vier angeschossene Banditen, die sich das alles zu leicht vorgestellt hatten.
Nachdem sie schon fast eine Meile gefahren sind und ihre kleinen Waffen neu geladen und wieder in ihren Rockfaltentaschen verborgen haben, da spricht Goldie ernst: »Ja, diese Welt ist schlecht. Überall am Weg sind immer wieder Fallen, in welche man gerät, wenn man zu dumm und zu blauäugig ist. Aber mit uns nicht, nein, mit uns macht man das nicht!«
Und da nicken die anderen Frauen. Jessy wiederholt Goldies Worte: »Mit uns nicht.«
☆
Als Jones Lannigan an diesem Morgen im Hafen von Portland das Seeschiff Frisco Star verlässt, da ahnt er nicht einmal, dass ihn das Schicksal eines Tages mit den vier Schönen und deren Leitwölfin zusammenführen wird.
Wie könnte er das auch?
Er wandert hungrig und auch etwas frierend an diesem nebligen Morgen durch die Stadt. Portland ist vor nicht langer Zeit noch ein Dorf gewesen. Doch dann brach der Goldrausch aus, und so wurde aus Portland eine lebendige, manchmal böse und gnadenlose Hafenstadt, das Ausfalltor zu den Goldfundgebieten jenseits der Bitter Roots.
Dorthin strömten nicht nur Tausende von Goldsuchern und Abenteurern jeder Sorte, sondern mussten auch noch all jene Waren und Frachten hingebracht werden, ohne die nun mal die Menschen nicht leben können.
Auch Jones Lannigan will zum Gold, und wenn man ihn beschreiben müsste, so wäre er gewiss als Abenteurer einzuschätzen, als ein Mann, der nach dem Krieg zum Treibgut gehört und nach einer Chance sucht.
In seiner Tasche sind nur noch wenige Dollars, und er hofft, dass sie ausreichen, um eine Schiffspassage bis nach Lewiston hinauf erstehen zu können.
Und dann?
Bei dieser Frage, welche dann und wann in seinen Gedanken ist, weiß er keine Antwort, und wird er sich auf das Schicksal verlassen müssen. Denn längst weiß er: Es geht immer irgendwie weiter.
Er schlendert also durch die Hafenstraße der Stadt. Diese ist nun ruhig im Morgengrauen. Doch bald wird Portland wieder zum Leben erwachen.
Es gibt hier eine ganze Reihe von Saloons, und sie alle sind noch offen. Wahrscheinlich sind sie dies Tag und Nacht und wechseln sich nur die Barkeeper und sonstigen Bedienungen ab.
Er verspürt das Verlangen nach einem Drink, und so tritt er ein in einen dieser Saloons. Dieser ist ziemlich gefüllt. Männer hocken vorgelehnt an den Tischen und haben Kopf und Oberkörper auf die Arme gelegt, versuchen zu schlafen. Andere stehen an der Bar.
Jones Lannigan wird von einigen Männern scharf betrachtet, und er weiß, warum sie das tun. Denn sie gehören zu der Sorte, welche Schatten auf ihrer Fährte hat und immerzu in Sorge sein muss, nicht weit genug weg zu sein von ihrer Vergangenheit irgendwo und ihren Taten.
Er bekommt wenig später den Drink und kippt ihn sich in den leeren Magen, wird sich dabei bewusst, dass er mit diesem leeren Magen nicht viel wird vertragen können.
Aber er will sich ohnehin keine weiteren Drinks gönnen. Denn es könnten sich am Ende ein paar Cents zu wenig in seiner Tasche befinden, um die Schiffspassage nach Lewiston bezahlen zu können.
Er hat unterwegs an einer der Landebrücken gelesen, dass solch eine Passage fünfzehn Dollar kostet, aber mehr als eine Woche beschwerlichen Landweg erspart.
Ein blonder, riesiger Bursche neben ihm wendet sich ihm zu und grinst ihn an.
Der Mann hat so genannte Blumenkohlohren, welche von seinem weizengelben Haar nicht ganz verdeckt werden.
»Gold«, sagt er kehlig, »wollen Sie auch zum Gold, Nachbar?«
»Alle wollen zum Gold und glauben, dass sie es nur aus der Erde kratzen müssen«, sagt Jones, grinst zurück und fügt hinzu: »Auch ich gehöre zu diesen Narren.«
Sie lachen nun beide, und irgendwie ist ein Einverständnis zwischen ihnen, so als kennen sie sich schon lange. Der Blonde fragt: »Texas?«
Jones Lannigan nickt stumm.
Da nickt auch der blonde Riese: »Ja, Texas... Ich sah gleich, dass du ein Tex bist, ein ehemaliger Rebell. Man braucht denen nur in die Augen zu sehen, dann weiß man es. Denn die möchten immer noch rebellieren, gegen den Strom schwimmen, allen Teufeln ins Maul spucken. Ja, Texas...«
Er verstummt ein wenig wehmütig, so als trauerte er irgendwelchen Erinnerungen nach.
Dann aber sagt er mit einem Klang von Härte in der Stimme: »Texas, hast du eine Waffe unter der Jacke oder in der Hose?«
»Nein«, erwidert Jones, »nur ein Klappmesser, wie es schon jeder Junge hat. Ich bin nicht bewaffnet. Meinen Colt verkaufte ich in San Francisco, um nach Portland kommen zu können. Warum fragst du mich, Goldkopf?«