G. F. Unger Sonder-Edition 200 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 200 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Tim Brolin wird den Gedanken an die Frau nicht los, die ihn im Gefangenenlazarett pflegte und ihm, dem Schwerverletzten und Entmutigten, den Willen zum Überleben wiedergab. Nach seiner Entlassung macht er sich auf, die schöne Tina Russels zu suchen. Es wird ein langer und abenteuerlicher Weg voller Gefahren und überraschender Wendungen. Und als er die Gesuchte schließlich in Gila Paso findet, erlebt er eine neue Überraschung - und es ist die schlimmste überhaupt. Denn alles ist ganz anders, als er es sich auf der langen Fährte erträumte ...


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Seitenzahl: 178

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Gila Paso

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto / Norma

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0470-0

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Gila Paso

Es führten damals drei Post- und Frachtlinien von New Mexico hinüber ins Arizona-Territorium und nach Yuma, nämlich die Butterfield Stage Route, der Cooke's Trail und der Kearney's Trail.

Und alle drei Lebensadern nach Westen mussten den Gila River durchfurten, um den großen Bogen abzukürzen, den der gemeine und tückische Fluss von Nord nach Süd machte, bis er wieder nach Westen in Richtung Yuma floss.

Ja, tückisch war der Gila wegen all der vielen Treibsandstellen, Steilufer und anderen Gefahrenstellen.

An der einzig möglichen Furt war ein Ort entstanden, den man Gila Paso nannte, und Paso, dies heißt so viel wie Furt oder Durchgang.

Es gab im alten Europa jene Raubritterburgen, deren Herren den Reisenden unberechtigte Zölle abverlangten. Und wenn sie nicht zahlten, dann wurden sie gnadenlos ausgeraubt, manchmal auch eingekerkert oder gar ermordet.

Und so ähnlich war es auch an der Furt bei Gila Paso.

Die kleine Stadt wechselte zwar einige Male den Besitzer, aber stets wurde sie von mehr oder weniger Bösen beherrscht.

Das änderte sich erst, als das Gesetz nach Gila Paso kam.

Doch bis dies der Fall war...

Die Geschichte beginnt wenige Tage nach der Kapitulation von General Lee bei Appomattox am

9. April 1865, also etwa am 15. April desselben Jahres.

Tim Brolin erlangt an diesem Tag endlich wieder sein volles Bewusstsein, erwacht also aus seinen Fieberträumen.

Sein Blick wird allmählich wieder klarer, und so sieht er den Engel in Wirklichkeit, von dem er in seinem Wundfieber träumte. Denn dieser Engel erschien ihm immer wieder und redete zu ihm mit sanfter Stimme.

Auch jetzt ist es so und dennoch anders.

Denn jetzt erlebt er es nicht im Fiebertraum. Nun ist es Wirklichkeit.

Aber das Gesicht über ihm ist ihm nicht fremd. Und auch die Stimme kennt er.

Er hört sie sagen: »Nun, Captain, jetzt haben Sie es geschafft. Sie sind über den Berg. Jetzt werden Sie gesund.«

Es ist ein warmer und herzlicher Klang in dieser Stimme.

In seinem Kopf kommen nun all die Gedanken in Bewegung.

Er möchte etwas sagen, doch er bringt nur ein heiseres Stammeln hervor. Doch dann lässt ihn die Schöne aus einer Schnabeltasse einige Schlucke Tee trinken, und so kann er ziemlich verständlich fragen: »Sind Sie ein Engel? Bin ich schon im Jenseits? Und selbst wenn nicht, müssen Sie ein Engel sein.«

Sie lacht leise. Es ist ein melodisch klingendes Lachen, das ihm sehr gefällt.

Dann spricht sie mit einem Klang von Nachsicht und Staunen zugleich: »He, Captain, soeben sind Sie auferstanden von den Toten, und schon raspeln Sie Süßholz.«

Er grinst zwischen seinem Vollbart und denkt einige Sekunden nach.

Dann aber spricht er: »Ich habe immer wieder von Ihnen geträumt wie von einem Engel. Und jetzt habe ich Sie sofort wiedererkannt. Wie ist Ihr Name?«

Sie lacht abermals ihr wunderschönes Lachen, lässt ihn noch einmal trinken und spricht endlich mit einem leichten Glucksen in der Kehle: »Aaah, Captain, ich bin Tina Russels. Und ich bin froh, dass ich Sie noch bei vollem Bewusstsein erleben konnte. Denn morgen wird dieses Gefangenenlazarett ganz und gar von der Unionsarmee übernommen. Alle Ärzte, Sanitäter und wir Freiwilligen-Schwestern der Konföderation müssen gehen. Man wird uns Schwestern entlassen, die Männer nicht. Captain, Sie waren sozusagen mein Sorgenkind. Ich bin froh, dass Sie es überstanden haben. Gewiss werde ich manchmal an Sie denken, denn ich habe viele Nächte an Ihrem Lager gewacht. Ihr Name ist Tim Brolin, nicht wahr – Captain Timothy Brolin?«

»Ja, der bin ich«, erwidert er heiser. »Und ich weiß, dass uns stets etwas verbinden wird. Es muss in den vergangenen Nächten etwas von Ihnen auf mich übergegangen sein. Ob ich Sie jemals wiedersehen werde? Man sagt, dass man sich im Leben stets zweimal trifft. Wo könnte ich Sie suchen, Tina Russels?«

Sie hebt die geraden Schultern und lässt sie wieder sinken, wirkt ein wenig ratlos. »Ich weiß es nicht, Tim Brolin. Irgendwie muss ich für mich sorgen. Ich gehöre zum Clan der Hunnicutts. Meine Mutter war eine Hunnicutt, eine Viertelkomantschin, und ich und meine Geschwister haben alle mehr oder weniger Komantschenblut in uns. Mein Vater dagegen war ein Anglo-Texaner. Ich werde meinen Clan suchen.«

Sie erhebt sich mit einer leichten und geschmeidigen Bewegung und blickt mit einem Ausdruck des Bedauerns auf ihn nieder.

Und er blickt zu ihr auf und sieht eine dunkelhaarige und schwarzäugige, wunderschöne Frau von etwa fünfundzwanzig Jahren.

Plötzlich lächelt sie und spricht auf ihn nieder: »Zuerst hole ich eine Schüssel Suppe für Sie. Mehr gibt es hier nicht. Doch wenn ich Sie gefüttert habe, werde ich Ihnen den Vollbart abrasieren, damit ich endlich Ihr richtiges Gesicht sehe und in Erinnerung behalten kann. Sie werden noch einige Wochen bis zur Gesundung brauchen. Bis dahin bin ich vielleicht mehr als tausend Meilen weit weg von hier. Ich werde meinen Clan im Westen suchen, weit, weit weg von Virginia, dort wo noch keine Yankees herrschen und es noch kein Gesetz gibt. Denn die Hunnicutts waren stets Eroberer. Sie werden sich irgendwo ein Kingdom erobern. Ich weiß es.«

Als er am nächsten Tag erwacht, da glaubt er zuerst, dass er alles geträumt hat.

Doch als er an sein Gesicht fasst, da fühlt er mit den Fingerspitzen, dass er keinen Vollbart mehr hat. Und so sagt er sich, dass er offenbar nach wenigen Löffeln Suppe vor Schwäche eingeschlafen sein muss.

Und nun ist Tina Russels-Hunnicutt vielleicht für immer aus seinem Leben verschwunden.

Aber obwohl er noch krank, schwach und ein Gefangener der Yankees ist und noch viele Wochen benötigen wird, bis er wieder einigermaßen gesund ist, hat er jetzt schon den festen Willen, Tina zu suchen – gleich wo sie sich im Westen auch aufhalten soll.

Ein Sanitäter der Unionsarmee tritt zu ihm ans Lager und starrt auf ihn nieder. Ihre Blicke treffen sich. Dann spricht der Sanitäter hart: »He, Captain, es gefällt mir nicht, dass ich dir deinen Arsch putzen muss, einen verdammten Rebellenarsch. Also solltest du verdammt schnell auf die Füße kommen, um allein zur Latrine gehen zu können. Ich gebe dir eine Woche. Dann lasse ich dich in deinem Dreck liegen.«

Timothy Brolin erwidert nichts. Er spürt zu sehr den Hass des Yankees. Was er auch sagen würde, es wäre falsch.

Er verbringt die nächsten Tage stumm auf seinem Lager, und die bösen Wunden schließen sich. Und als er sich nach einer Woche zu erheben versucht, da gelingt es ihm endlich beim dritten Versuch.

Er verharrt schwankend. Der Boden scheint unter seinen Füßen zu schwanken. Alles dreht sich mit ihm, so als stünde er auf einem Karussell.

Dann aber, als sein Blick wieder klarer wird, sieht er den Sanitätskorporal, der ihn aus drei Schritten Entfernung beobachtet und nur darauf wartet, dass er umfällt.

Und da richtet er sich trotzig auf und macht sich auf den Weg zur Latrine.

Als er nach einer Weile zurückkommt, steht der Sanitätskorporal bei seinem Lager und sagt: »Respekt, Captain, Respekt, und ich habe das Bettzeug frisch bezogen für Sie. Morgen bekommen Sie ein Steak, wenn Sie am langen Esstisch Platz nehmen können.«

Er hält inne und starrt den Korporal staunend an.

Und dann grinsen sie beide wortlos. Es ist ein seltsames Einverständnis zwischen ihnen entstanden.

Dann murmelt der Korporal: »Weil Sie kein Weichei sind, Captain...«

Es ist fünf Wochen später, als er entlassen wird.

Dass er auf einem Pferd seines Weges reiten darf, hängt damit zusammen, dass er damals auf einem eigenen Pferd als Freiwilliger der Texasbrigade in den Krieg ritt und unter General Jackson, den sie auch Stonewall-Jackson nannten, kämpfte.

Und als General Lee bei Appomattox kapitulierte, wurde unter anderem ausgehandelt, dass alle Texaner, die auf eigenen Pferden in den Krieg geritten waren, aus ehrenvoller Gefangenschaft auf ihren eigenen Pferden in die Freiheit reiten sollten.

Aber der graue Wallach, auf dem er nun in einem alten Sattel sitzt, ist schon alt und mit dem Tier, das er mehr als fünf Jahren ritt und in den letzten Kriegstagen verlor, nicht zu vergleichen.

Er hätte ein gleichwertiges Pferd bekommen müssen. Aber das gehört zu den Ungerechtigkeiten, denen die Verlierer eines Krieges ausgesetzt sind.

Immerhin muss er nicht laufen. Denn der Weg von Virginia nach Texas wäre verdammt weit. Doch er will ja gar nicht heim nach Texas. Er will Tina Russels Fährte folgen, ja, Fährte. Denn er ist sicher, dass eine so schöne Frau eine deutliche Fährte zieht, weil sich jeder Mensch, dem sie begegnet, an sie erinnern kann.

Er muss also nach Westen. Denn Tina vermutete ja, dass ihr Clan – die Hunnicutts – nach Westen ziehen würde.

Er trägt immer noch die alte, arg zerschlissene Uniform der Konföderierten, jedoch ohne die Rangabzeichen eines Captains.

Als Entlassungsgeld erhielt er fünf Dollar, echte Yankeedollars. Konföderiertengeld wurde wertlos. Und so sind die fünf Yankeedollar an Wert sozusagen mit fünf Wagenrädern zu vergleichen, so groß und gewichtig.

Und noch etwas gaben sie ihm mit, weil auch das bei der Kapitulation ausgehandelt wurde: einen Offiziersdegen.

Dieser hängt nun vor seinem rechten Knie, und er weiß noch nicht, dass er ihn in einigen Tagen für zwanzig Dollar an einen dicken, fetten Yankee verkaufen wird. Er kann sich ausrechnen, dass der Yankee daheim behaupten wird, diesen Offiziersdegen im Kampf erbeutet zu haben.

Aber das ist ihm verdammt egal. Also verkauft er den Degen.

Für zehn Dollar erwirbt in der nächsten kleinen Stadt einen alten Whitneyville Walker, einen schweren Revolver, Kaliber 44, mit einer Lauflänge von dreiundzwanzig Zentimetern und gravierter Trommel. Es ist eine alte, aber sehr gut erhaltene Waffe, die ihm so vertraut in der Hand liegt, als wäre sie für ihn gefertigt worden.

Er weiß, dass die Texas Ranger diese Waffe bevorzugten und dass damit wahrscheinlich der texanisch-mexikanische Krieg entschieden wurde, aus dem Texas als selbstständige Republik hervorging.

Er ist also einigermaßen gut bewaffnet mit Zubehör, also Pulver, Blei, Zündhütchen und zwei Reservetrommeln.

Aber wie kann er die Fährte von Tina Russels-Hunnicutt finden? Wie lange wird er suchen, kreuz und quer reiten, überall nach dieser schönen Frau fragen müssen?

Seiner Meinung nach kann sie nur mit Postkutschen gereist sein, ist gewiss nicht geritten.

Er weiß, dass er sie eines Tages finden wird.

Es ist in einer kleinen Stadt in Kentucky, als Tina Russels die Postkutsche verlassen muss, weil ihre Fahrkarte hier abgefahren ist. Sie müsste nachlösen, aber sie besitzt keinen einzigen Cent mehr.

An einer Straßenecke steht eine Gruppe von Musikanten. Einer spielt Geige, ein anderer bearbeitet mit flinken Fingern ein Banjo. Und zwei Kinder singen die ergreifende Melodie des Liedes von Stephen Collins Foster, My Old Kentucky Home, das hier in Kentucky wahrscheinlich bekannter ist als die amerikanische Nationalhymne.

Sie hält inne, hört zu wie einige andere Passanten und erinnert sich Wort für Wort an den rührenden Text:

»Die Sonne scheint heiter über meiner alten Heimat Kentucky,

Es ist Sommer, die Neger sind froh.

Der Mais ist reif und die Prärie blüht,

Die Vögel singen den lieben langen Tag.

Die Kinder kugeln sich auf dem Boden der Hütte,

Alle sind lustig, glücklich und froh.

Doch bald werden harte Zeiten kommen,

Dann sag ich meiner alten Heimat Kentucky Ade!«

Tina kennt noch jedes Wort, und als die Kinder mit kleinen Blechtellern herumgehen, um Münzen zu sammeln von den Zuhörern, da kann sie nichts spenden, sondern geht weiter. Eine dicke Frau spricht ihr hinterher: »Geizhälsin!«

Aber Tina blickt nicht zurück, geht weiter die Mainstreet der kleinen Stadt entlang. Dann erblickt sie einen Laden, den sie zu sehen erhofft hat, weil es fast in jeder Stadt solch einen Laden gibt.

An- und Verkauf von Gold, Schmuck und Uhren

Das kann sie im Schaufenster lesen, wo allerlei mehr oder weniger kostbare Dinge ausgelegt sind.

Als sie eintritt, bimmelt eine Glocke. Aus dem Hintergrund kommt ein alter Mann nach vorn, dessen Augen jedoch kieselhart sind.

»Was kann ich für Sie tun, Lady?«

Sie lächelt ihn erst einmal an und versucht ihn abzuschätzen.

Dann zieht sie ihren Ring vom Finger und legt ihn auf den Ladentisch.

Der Alte nimmt ihn und klemmt sich eine Lupe vors rechte Auge.

Eine Weile prüft er den Rubin und die Brillanten und verzieht dann verächtlich seinen Mund. »Pah, das sind keine reinen Steine, Lady. Die ganze Welt verkauft jetzt nach dem Krieg...«

»Irrtum, Mister, es sind lupenreine Steine. Ich weiß es zu genau. Dieser Ring ist das Hochzeitsgeschenk von meinem Mann.«

Der Alte starrt sie mit flintsteinharten Augen an.

»Und was geschah mit Ihrem Mann, Lady? Es muss doch was mit ihm geschehen sein – oder? Sonst würden Sie diesen Ring nicht unter Wert verkaufen wollen.«

»Ich möchte nicht mit einem Fremden darüber reden. Wollen Sie für den Ring tausend Dollar zahlen oder nicht?«

Der Alte grinst, zeigt braune Zähne zwischen den schmalen Lippen.

»Zweihundert Dollar könnte ich verantworten«, spricht er dann. »Ich kaufe all dieses Zeug für reiche Yankees, die selbst nicht mit solchen Aufkäufen in Verbindung gebracht werden wollen. Ich kann zweihundert Dollar verantworten.«

»Vierhundert«, erwidert sie hart.

Und als er zögert, will sie den Ring wieder vom Tisch greifen.

Dabei spricht sie ruhig: »Er hat damals mehr als zweitausend gekostet.«

Er sieht dann zu, wie sie den Ring wieder an ihren Finger zu ihrem goldenen Ehering steckt und sich zur Tür wendet.

Als sie die Tür öffnen will, erreicht sie seine Stimme. »Gut, Lady, ich zahle vierhundert. Basta!«

Und so tritt sie wieder an den Ladentisch und legt den Ring hin.

Er zählt ihr zwanzig Doppeladler hin, die sie schweigend in ihrer Reisetasche unterbringt.

Dann fragt er noch einmal: »Was wurde aus Ihrem Mann?«

»Wir besaßen auf unseren Besitz vierhundert Sklaven«, erwidert sie. »Mein Mann stellte aus eigenen Mitteln ein Regiment auf und zog als Colonel mit diesem Regiment in den Krieg. Er fiel beim ersten Angriff an der Spitze dieses Regimentes. Ich führte unsere Plantage weiter. Doch dann kamen die Yankees. Unsere Schwarzen wurden frei. Sie jagten mich zum Teufel.«

Nach diesen Worten geht sie hinaus.

Seine Worte folgen ihr: »Lady, ich mache mir keine Sorgen um Sie. Eine Frau Ihrer Sorte kommt schnell wieder nach oben.«

Aber sie erwidert nichts, tritt hinaus auf die Mainstreet.

Ein Stück weiter singen und spielen die Musikanten wieder dieses rührende Lied My Old Kentucky Home.

Wahrscheinlich wird bei diesem Lied besonders gut gespendet.

Oldman Lionel Hunnicutt hat seinen Clan ganz und gar unter Kontrolle, also fest im Griff. Er ist der Boss, dem sie alle aufs Wort gehorchen, so als wären sie abgerichtet und dressiert.

Es gibt niemals Widerspruch, obwohl die Männer des Clans allesamt eisenharte Burschen sind, die sonst gegen alles rebellieren. Doch Oldman Lionel Hunnicutt beherrscht sie mit einer suggestiven Kraft.

Während des Krieges waren sie der harte Kern einer Guerillatruppe, und Oldman Lionel Hunnicutt gab sich den Rang eines Colonels.

Sie gaben vor, für den Süden zu kämpfen, aber sie waren eigentlich ganz und gar eine Bande von Banditen, die raubten, brandschatzten und alles niedermachten, was sich ihnen in den Weg stellte, sich also nicht ausrauben lassen wollte.

Nun sind sie schon einige Wochen mit all ihrer Beute auf der Flucht.

Ihr Wagenzug besteht aus sechs schweren Murphy-Frachtwagen, die achtspännig von Maultieren gezogen werden. Eine Pferdeherde von mehr als hundert Tieren wird neben dem Wagenzug getrieben, daneben ein Rudel Ersatzmaultiere.

Und mehr als ein Dutzend Reiter begleiten den ganzen Zug nach Westen.

Ja, sie sind immer noch eine Macht, aber dennoch auf der Flucht vor den Yankees. Sie folgten dem Ohio bis zu dessen Mündung in den Mississippi und ließen sich in einer dunklen Nacht von einer Fähre für gutes Geld über den großen Strom bringen. Denn Oldman Lionel Hunnicutt war klug genug, es nicht mit Gewalt zu versuchen.

Sie konnten sich weiterhin mit ihrem Wagenzug als Landsucher im Westen tarnen.

Und so verschwanden sie wie ein Schiff in weiter See, zogen durch Missouri und kamen nach Kansas.

Und hier im südlichen Kansas änderten sie ihre Richtung nach Südwesten, durchquerten den Panhandle und zogen endlich an Santa Fé vorbei.

Als sie an diesem Tag westlich von Santa Fé ihr Camp aufgeschlagen haben und am großen Feuer sitzen, das Abendessen einnehmen, da fragt Oldman Lionel Hunnicutt seine Söhne, Neffen und Schwiegersöhne: »Nun, Jungs, wisst ihr, was Santa Fé eigentlich heißt?«

Sie starren ihn fragend an. Dann aber erwidert Jesse, der sein ältester Sohn ist: »Wir kamen über den Raton Pass und folgten dem Trail, den die Spanier ›Jornada del Muerto‹ nannten, also ›Straße der Toten‹, und Santa Fé heißt so viel wie heiliger Glaube, denke ich. Wir sind hier in New Mexiko. Morgen müssen wir durch den Rio Grande. Und wir alle fragen uns, wohin du uns führst und wo wir endlich anhalten. Sagst du uns das endlich, Dad?«

Als Jesse verstummt, da richten sich alle Blicke gierig auf den Oldman ihres Clans. Aber dessen verwittertes Gesicht ist unter dem dichten Vollbart verborgen. Sie können nur in seine funkelnden Augen blicken und spüren abermals deren suggestive Kraft, die sie alle beherrscht und der auch die rebellischsten von ihnen unterliegen.

Sein harter Mund zwischen dem Bartgestrüpp verzieht sich.

Dann aber spricht er. »Wir ziehen weiter nach Arizona hinüber. Dort beherrschen noch die Apachen mehr oder weniger das Land. Deshalb kommen wir als Eroberer. Wir werden uns ein gewaltiges Stück erobern. Irgendwann werde ich euch sagen, dass wir am Ziel sind. Geduldet euch. Denn wenn wir anhalten und uns festsetzen, dann wird es für immer sein. Basta!«

Sie kennen dieses Basta längst. Wenn er es ausgesprochen hat, dann ist alles endgültig beschlossen.

Sie verbringen in ihrem Camp eine ruhige Nacht, obwohl Apachen um sie schleichen. Auch den Rio Grande durchfurten sie ohne Schwierigkeiten, denn der Strom hat wieder einmal Niedrigwasser. Und überhaupt sagt man oft vom Rio Grande, dass dieser zu dünn wäre, um ihn pflügen zu können, und zu dick, um daraus zu trinken.

Sie ziehen weiter und erreichen am dritten Tag Cooke's Trail, der vor nicht langer Zeit von Lieutenant-Colonel Philip St. George Cooke und dessen Mormon Battalion geprägt wurde.

Noch gibt es einige kleine Orte am Weg, nämlich Douglas, Bisbee, Tombstone, Benson und Tucson. Letzteres wurde von den Spaniern als Garnison gegründet.

Doch als sie in den nächsten Tagen weiterziehen, da stoßen sie in leeres Land vor.

Sie sehen den Picacho Peak in der Ferne.

Und in der Nacht versuchen Apachen ihre Pferdeherde wegzutreiben.

Doch da wird klar, dass die Hunnicutts es selbst mit Apachen aufnehmen können, so als wären sie weiße Apachen.

Die Apachen erbeuten kein einziges Tier, verlieren jedoch drei ihrer Krieger. Und so verbreitet sich in den nächsten Tagen unter den Apachengruppen, die ständig auf der Jagd nach Beute das Land durchstreifen, die Nachricht oder Warnung, dass Weiße ins Land kamen, die man besser in Frieden lassen solle.

Dieses Nachrichtensystem der Apachen reicht Hunderte von Meilen weit und gehört zu den Geheimnissen ihres Daseins.

Sie sind in den vergangenen Tagen nach Norden abgebogen und folgen dem San Pedro bis zum Gila River.

Und hier an der einzigen Furt weit und breit, unweit des alten Pueblos Casa Grande, da stoßen sie auf einen kleinen Ort, der aus einem Dutzend Adobehütten besteht. Es gibt einige Äcker und Felder, auf denen Menschen mexikanischer Abstammung arbeiten.

Doch sie alle laufen herbei, als der Wagenzug inmitten des kleinen Ortes hält. Es sammeln sich etwa zwei Dutzend Männer, ebenso viele Frauen und doppelt so viele Kinder jeden Alters.

Und sie alle staunen die Ankömmlinge an.

Ein alter Mann tritt vor und nimmt seinen Strohhut ab. Sein Haar ist weiß.

Vor den Frauen der Hunnicutts macht er eine Verbeugung und wendet sich an Oldman Lionel, den er offensichtlich sofort als den Anführer erkannt hat.

Lionel Hunnicutt sitzt in einem leichten Buggy mit einem Lederdach. Der Zweiräder wird von einem edlen Rappengespann gezogen.

»Ich bin der Alkalde von Gila Paso«, stellt der alte Weißkopf sich vor. »Willkommen in Gila Paso. Wollen Sie durch die Furt? Es ist die einzige Möglichkeit, von hier nach Phoenix zu gelangen. Sollen wir Sie bewirten? Wir könnten zwei Hammel schlachten und...«

Er kommt nicht weiter mit seinen freundlich gemeinten Worten, denn Oldman Lionel unterbricht ihn hart und pulvertrocken: »Wir bleiben hier und übernehmen Gila Paso. Dieser Ort wird wachsen, aufblühen und gedeihen. Es wird euch unter unserer Führung bald besser gehen. Denn die Zeiten überall im weiten Land verändern sich. Wir sind nur die ersten Eroberer. Stellt euch gut mit uns, denn wir brauchen euch, und wer nicht für uns ist, den vernichten wir. Hast du das alles richtig verstanden, Alkalde? Wie ist dein Name?«

Der Dorfälteste schweigt noch einige Atemzüge lang und starrt empor und in Oldmans Augen. Und dann spürt auch er diese suggestive Kraft.

Und so nickt er: »Ich bin Francisco Alvares. Wir werden gehorchen. Man nennt mich einfach hier nur Paco. Und wie müssen wir Sie anreden, Señor?«

»Don Lionel. Du bist klug, Paco. Vielleicht werden wir uns respektieren. Wir werden sehen. Es wird mächtig aufwärtsgehen mit Gila Paso. Basta! Für euch hier in Gila Paso bin ich Don Lionel.«

Sie errichten dicht an der Furt ihr Camp, diesmal jedoch nicht nur für eine Nacht, sondern für längere Zeit. Denn sie stellen einige große Zelte auf, ehemalige Offizierszelte für Stabsoffiziere, deren Ränge vom Major aufwärts beginnen und bei Generalen enden. Sie stellen Klapptische und Klappstühle auf.

Bevor sie später das Abendessen einnehmen, sagt ihnen Oldman Lionel, wie er sich die ganze Sache vorstellt. Und das ist sehr einfach zu begreifen.