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Die Eisenbahnwölfe wollten beim Bau der Union-Pacific-Linie den großen Reibach machen, und sie glaubten sich am Ziel ihrer Wünsche, als es einem von ihnen gelang, Drango McKeene die Pläne für die Streckenführung zu rauben. Dass sie dabei nur einem Trick des listenreichen und furchtlosen Eisenbahn-Marshals zum Opfer fielen, ahnten sie nicht. Doch McKeene musste alles auf eine Karte setzen, weil er nur so den unbekannten Boss der Bande entlarven und unermesslichen Schaden von der Eisenbahn-Gesellschaft fernhalten konnte ...
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Seitenzahl: 217
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Union Pacific
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0471-7
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Union Pacific
Sergeant Bill Banner vom 7. Kavallerie-Regiment, stationiert in Fort Riley, Kansas, im Moment irgendwo in den Laramie Mountains in der schlimmsten Klemme seines Lebens, zählt gelassen seine wenigen Patronen. Dann wendet er sich an seinen Freund und Saufkumpan so mancher durstigen Nächte und sagt trocken: »Ich habe noch elf nette kleine Freunde, Jimmy. Und sie stehen ganz auf meiner Seite.«
Korporal Jim Chester zählt ebenfalls seine Patronen, und als er damit fertig ist und das Gewehr wieder aufgeladen hat, grinst er breit und sagt noch trockener: »Diesmal kannst du mich nicht schlagen, Bill, mein Junge. Ich habe genau dreizehn fleißige Bleibienen bereit. Und selbst wenn ich mir einen Fehlschuss erlaube, werde ich immer noch um einen roten Hundesohn besser sein als du. Ich bin heute gar nicht zu schlagen, selbst von einem großmäuligen Master Sergeant nicht.«
Sergeant Bill Banner bekommt sofort einen traurigen Gesichtsausdruck. »O Jimmy, wo hast du nur deinen Verstand gelassen?«, fragt er sanft und so mitleidig, wie es ein hartgesottener Kavallerie-Sergeant vom härtesten Regiment der Armee vermag. »Jimmy, du hast wieder einmal vergessen, dass die Dreizehn deine Unglückszahl ist. Also gib mir lieber eine der kleinen Summbienen. Dann haben wir jeder zwölf.«
Jim Chester brummt ärgerlich.
»Yeah«, sagt er dann, »am dreizehnten wurde ich geboren, und das war schon ein verdammtes Pech! Dreizehn Jahre später jagte mich mein Vater zum Teufel, weil ich der älteste von seinen dreizehn Söhnen war und er der Meinung war, ich könnte schon allein für mich sorgen. Inzwischen saß ich jedes Jahr an diesem dreizehnten in einer Klemme. Und später trat ich an einem dreizehnten in die Armee ein, kam mit dir zusammen und diene jetzt schon dreizehn Jahre. Ich war dreimal Soldat, dreimal Korporal und dreimal Sergeant. Ich hoffte, dass ich es dieses Jahr wieder einmal schaffen würde, meinen bis jetzt höchsten Dienstgrad zu erreichen! Aber weil heute wieder einmal der dreizehnte ist und ich Geburtstag habe, sieht es wohl wirklich nicht gut aus für mich. Hier hast du eine Patrone!«
Er gibt sie ihm.
Und dann spähen sie beide über ihre Deckung hinweg auf die Indianer, die soeben einen Angriff auf die Abteilung versucht haben und noch einmal zurückgeschlagen wurden.
Es sind noch etwa vierhundert Sioux der Hochprärie. Es sind keine zahmen Agentur-Indianer, sondern richtige wilde und heidnische Oglalas.
Ihr letzter Angriff hatte sie jedoch eine Menge Verluste gekostet, und sie wichen noch einmal zurück, obwohl einige von ihnen sogar so dicht an das kleine Armeekommando herangekommen waren, dass sie sich von den Pferden herunter zwischen die Soldaten stürzen konnten.
Aber es waren nur sehr wenige Krieger, und sie lebten auch nicht mehr lange.
Das Kommando, zu dem Sergeant Bill Banner und Korporal Jim Chester gehören, hat eine gute Verteidigungsstellung bezogen. Es ist eine kleine und tiefe Mulde, die so aussieht, als wäre einmal ein Himmelskörper hier in die Erde gezischt. An den Rändern liegen Felsbrocken, und es sind auch einige Büsche und Bäume da.
In diesem runden Loch befinden sich jetzt noch etwa vierzig Reiter der Unionskavallerie, aber die Hälfte davon ist mehr oder weniger schlimm verwundet. Sie haben nur noch drei oder vier Pferde, kaum noch Munition und überhaupt kein Wasser.
Und sie haben gegen die vierhundert Oglalas keine größeren Chancen als Lachse in einer Wasserpfütze.
Nein, für dieses Kommando sieht es gar nicht gut aus. Aber das wissen sie alle. Sie wissen es, weil jeder von ihnen schon seit Jahren hier an der Indianergrenze Dienst tut und weil sie die Spielregeln zu genau kennen.
In diesem Spiel hier haben die Reste der B-und K-Kompanie nicht mehr viel mitzubieten.
Das weiß auch Captain John Trent, denn er ruft jetzt: »Sergeanten und Korporale zu mir!«
Bill Banner und Jim Chester folgen diesem Ruf und begeben sich zur Mitte des Loches. Der Feldarzt hat den Captain gerade verbunden, und weil dies vorerst seine letzte Arbeit war, wischt er sich die blutigen Hände unter den Achselhöhlen sauber, dann den Schweiß aus dem Gesicht und hockt sich müde auf die Absätze.
Auch alle anderen Männer, die sich hier versammelt haben, hocken am Boden. Denn die Mulde ist nicht mehr tief genug, dass ein Mann aufrecht darin stehen könnte, ohne was in den Kopf zu bekommen, was ihn sehr schnell töten würde.
Der Captain, zwei Sergeanten, fünf Korporale, zwei Landvermesser der Union Pacific und der Scout Drango McKeene sind da.
Jetzt warten sie darauf, was der Captain zu sagen hat.
Er sagt es ihnen schlicht und trocken.
»Sie werden heute keinen Angriff mehr machen, denn die Sonne sinkt nun. Es wird Nacht, und ich kenne keinen Indianer, der es riskiert, in der Dunkelheit sterben zu müssen.«
»Stimmt, Sir«, knurrt Bill Banner. »Die Paviane glauben daran, dass ihre Seelen dann nicht den Weg nach Wanagi Yata finden, dem Sammelplatz aller Indianerseelen, die Aufnahme finden wollen in das gute Reich dort oben.« Er grinst. »Sie werden morgen kommen, Sir. Und ich bin sehr traurig darüber, weil ich in der Kantine von Fort Riley eine Menge Schulden habe. Ob die Armee wohl die Schulden eines skalpierten Sergeanten bezahlen wird?«
Er grinst noch grimmiger und spuckt dann kräftig vor sich auf den Boden. »Die Armee wird nicht zahlen«, fügt er hinzu. »Und dabei erspart sie sich doch wieder einmal für eine Menge guter Jungens die Beerdigung.«
Der Captain starrt seinen Ersten Sergeanten grimmig an. Er ist schon eisgrau, dieser Captain, ledern, hart und falkengesichtig. Während des Bürgerkrieges gegen die Südstaaten war er Oberst, aber wie alle Offiziere, die aktiv blieben, wurde er dann um einige Ränge zurückversetzt. Dieser Oberst auf Kriegszeit und jetzige Captain sagt nun trocken: »Jemand wird seine Chance bekommen. Vielleicht sind Sie es, Sergeant Bill Banner!«
Der starrt ihn verwundert an. Auch die anderen Männer wundern sich. Aber sie brauchen nicht lange zu warten. Der Captain erklärt es ihnen ganz genau.
»Einer bekommt eine Chance«, sagt er. »Einer von uns muss es schaffen. Einer von uns muss die Pläne durchbringen. Der beste Mann von uns muss das machen, und wir wollen jetzt darüber abstimmen, wer von uns der beste Mann für diese Arbeit ist. Ich selbst scheide von vornherein aus. Auch der Doc scheidet aus. Aber einer von euch hier muss es machen. Ihr alle wisst, warum es so sein muss!«
Ja, das wissen sie alle.
Sie denken darüber nach, zwei Sergeanten, fünf Korporale, zwei Vermessungsingenieure der Union Pacific und Drango McKeene, der Scout, denken darüber nach.
Es ist ganz einfach.
Denn sie haben drei Monate benötigt, um den Weg des Schienenstranges zu vermessen und genaue Pläne und Unterlagen zu erstellen.
Natürlich war die ungefähre Route schon vorher festgelegt. Aber die Bauleitung braucht genaue und sehr maßgerechte Unterlagen. Flüsse, Pässe, Schluchten und viele andere Hindernisse müssen vom Bahnbau überwunden werden. Es müssen Brücken gebaut, Tunnels gebohrt, Terrassen gesprengt und viele andere Vorbereitungsarbeiten vollbracht werden, bevor die Planierer, die Schwellenleger und die Schienenleger nach Westen strömen können.
Und dazu braucht man genaue Vermessungspläne.
Diese Pläne wurden von diesem Kommando hier beschafft. Das heißt, die Soldatenabteilung gab einem Vermessungstrupp der Union Pacific Hilfe und Schutz. Von diesem Vermessungstrupp sind jetzt nur noch zwei Ingenieure übrig.
Wenn die Indianer den letzten Weißen totgemacht haben, werden auch die Pläne verloren sein. Das wird den Bahnbau dann nicht nur Monate, sondern den ganzen Winter bis zum nächsten Frühjahr aufhalten. Der Bahnbau wird abgestoppt werden, und damit kommt das Vorwärtsstürmen einer ganzen Nation zum Stillstand. Tausend Planungen, Vorbereitungen und ein gewaltiger Schwanz von tausenderlei Dingen sind dann unnütz.
Die Männer, die hier beim verwundeten Captain in der Mulde hocken, wissen das.
Sie wissen auch, dass sie verloren sind.
Aber müssen deshalb auch die wichtigen Pläne verloren sein?
Die Idee ist jetzt in ihren Köpfen. Einer von ihnen könnte vielleicht doch eine Chance haben, mit den Plänen durchzukommen. Wenn, ja wenn ihm die anderen zu dieser Chance verhelfen!
Diese Männer sind von besonderer Art. Sie wurden hartgebrannt von diesem Leben hier im Indianerland. Sie sind furchtlos und hart. In all den Jahren sahen sie oft dem Tod ins Auge. Sie sind erfahren in diesem Land. Jetzt denken sie darüber nach, wer von ihnen wohl die besten Chancen hätte.
Einer der beiden Ingenieure schluckt schwer, räuspert sich und sagt dann heiser: »Ich und Jack scheiden ebenfalls aus, Captain. Der Mann, der es wagt, wird früher oder später die ganze Horde auf den Fersen haben. Nach Laramie ist es verdammt weit. Wir würden es nicht schaffen.«
Als er verstummt, nickt sein Kollege. »So ist es«, sagt er. »Wir haben die Route vermessen und die genauen Unterlagen erstellt, präzise und genaue Unterlagen, nach denen die Bauleitung den Schienenstrang mehr als dreihundert Meilen weiter nach Westen bauen kann. Wir sind auch keine Milchknaben, sondern konnten überall gut für uns sorgen. Aber wir könnten den Roten nicht entkommen. Wir verzichten auf die Chance. Denn es gibt nur diese eine Chance für einen einzigen Mann. Wenn die Roten ihn erwischen, sind die Pläne verloren.«
Als dies gesagt ist, ist es eine Weile still. Auch die Roten, die einen dichten Ring um die Belagerten bilden, heulen nicht mehr.
»All right«, sagt der Captain.
Dann blickt er seine Männer an. Zuletzt den Scout Drango McKeene. McKeene ist kein Armeescout. Er untersteht der Leitung des Bahnbaus, aber jetzt diesem Offizier.
Er erwidert den Blick des Offiziers ruhig und ausdruckslos. Was in diesem großen Manne auch sein mag, es ist tief in ihm verborgen.
Nun blicken sie ihn alle an. Sergeant Bill Banner grinst plötzlich und sagt: »Unser Captain war schon immer fair. Er hat uns zusammengerufen, damit wir entscheiden, wer der beste Mann ist. Er hätte aber auch ganz einfach einen Befehl erteilen können. Well, er ist fair!«
Er wendet langsam den Kopf und blickt den zweiten Sergeanten und dann die fünf Korporale der Reihe nach an.
»Jungens«, fragt er sanft. »Jungens, ist jemand besser als ich, wenn es sich um eine Sauferei oder um Indianer handelt?«
Sie erwidern seinen harten Blick. Sie kennen ihn. Sie kennen ihren Master-Sergeant so gut wie Söhne ihren Vater. Sie wissen, was er kann. Wenn dieser Sergeant Bill Banner nicht manchmal so unmilitärisch wäre und wenn er sich nicht so oft betrinken würde, dann wäre er sicherlich der beste Sergeant der ganzen Unionsarmee.
Jemand sagt trocken: »Du bist schon in Ordnung, Bill! Du könntest es schaffen, besser als jeder von uns. Das ist richtig! Du bist fast eine Rothaut, die sich aus irgendeinem Grunde nur in die Armee verirrt hat. Du bist so hart, zäh und schlau wie ein Hochprärie-Sioux, und du kannst kämpfen wie ein Berglöwe. Von uns ist keiner besser als du. Deshalb bieten wir in diesem Spiel nicht länger mit. Es ist nur noch ein Zweimänner-Spiel!«
Bill Banner nickt zufrieden. Er weiß genau, auf welche Chance jeder dieser prächtigen Burschen verzichtet. Er weiß es genau.
Aber er selbst ist nicht viel kleiner.
Denn er grinst wieder auf seine verwegene Art und deutet mit dem Daumen auf Drango McKeene.
»Jungens«, sagt er rau, »Jungens, ihr seid nicht so gut wie ich! Und ich bin nicht so gut wie Drango! Das wissen wir alle, und das weiß auch der Captain. Nur weil er fair ist, ließ er uns das selbst feststellen. Er wollte nicht, dass sich einer von uns für übergangen und benachteiligt hält.«
Wieder grinst er, und nun wendet er sich an Drango McKeene.
»Ich passe, alter Junge. Auch ich biete nicht mehr mit.«
Und damit wäre alles gesagt.
Aber Drango McKeene schüttelt seinen Kopf. In seinen rauchgrauen Augen tanzen nun helle Lichter. Er ist ein sehr großer Mann, mit einem stillen und ruhigen Gesicht. Aber es ist ein Gesicht, in dem es dunkle Linien gibt. Es ist ein hartes Gesicht, sonnengebräunt und hager. Seine Haare sind so pechschwarz wie das Gefieder eines Raben. Er ist in Leder gekleidet, trägt zwei Colts, weiche Stiefel aus Alabama und einen Hut aus Texas. Auf seinem Handrücken sind Lassonarben, die darauf schließen lassen, dass er einmal Cowboy war.
Seine Schultern sind sehr breit und muskulös. Seine Taille jedoch fast wie die eines Mädchens. Er besitzt auch einen ziemlich traurigen Ruhm als Revolverkämpfer. Vor einigen Monaten tauchte er im Hauptbüro der Bauleitung auf und bat um Arbeit. Er bekam sie, und es war eine Arbeit von besonderer Art.
Die Union Pacific stellte ihn als »Friedenstifter« und »Unruheverhüter« ein. Und weil er auch Indianererfahrung besitzt, schickte man ihn dann mit dem Vermessungstrupp nach Westen. Als Scout dieser Abteilung hat er während der drei Monate gute Arbeit geleistet. Vor einer Woche hatte er dann die Indianergefahr gemeldet und verlangt, dass die. Abteilung sofort aufbrechen und aus diesem Lande reite solle. Doch die Ingenieure und der Captain wollten erst noch den letzten Rest der Arbeit verrichten. Sie glaubten nicht, dass die Indianer so schnell über sie herfallen würden.
Aber sie kamen.
Und dass der Rest der Abteilung sich in diese Mulde retten konnte, verdankt sie Drango McKeene.
Er schüttelt also den Kopf und sagt in der lässigen und schleppenden Sprechweise eines Texaners: »Zum Teufel mit den Plänen und zum Teufel mit der verdammten Eisenbahn! Ich bleibe hier! Man kann nie genau voraussagen, was die Indianer tun werden. Vielleicht sieht es morgen für uns viel besser aus. Vielleicht können wir uns doch noch durchschlagen. Überdies sind wir überfällig. Die Brüder Casement werden der Armee inzwischen schon mächtig zugesetzt haben. Sicherlich ist schon ein starkes Kommando unterwegs, um nach uns zu sehen. Ich bleibe also!«
Er sagt es sehr bestimmt und entschieden.
Captain John Trent betrachtet ihn fest.
»Drango«, sagt er dann trocken. »Drango, morgen sind wir hier alle tot. Das ist so! Der nächste Angriff, der bei Sonnenaufgang kommen wird, erledigt uns. Und wenn dabei auch die Vermessungspläne zum Teufel gehen, sterben wir nutzlos und umsonst. Das ist es, Drango! Wir hier können nichts anderes mehr tun, als nochmals gut zu kämpfen, und wenn wir die Gewissheit haben, dass unser bester Mann die Pläne durchzubringen versucht, werden wir wenigstens eine kleine Freude haben. Du musst es versuchen, Drango! Bei Morgengrauen greife ich mit meinen Leuten die Roten an. Wir werden alle auf uns locken. Für einige Minuten wird dann der Weg für einen erfahrenen Mann frei sein. So wird es gemacht. Oder kannst auch du es nicht schaffen?«
Drango McKeene lächelt bitter.
»Vielleicht«, murmelt er. »Aber ich will es erst gar nicht versuchen. Ich bleibe! Captain, du musst dir schon einen anderen Mann suchen. Ich bin nicht der Mann, der solch eine Chance ausnutzt.«
Er sagt es endgültig.
Eine Weile schweigen sie alle. Als sich der Captain schon dazu entschließt, nun der Sache durch einen Befehl ein Ende zu bereiten, da holt Sergeant Bill Banner ein schmutziges Kartenspiel aus der Tasche.
»Des Teufels Gebetbuch wird uns helfen«, grinst er. »Wer die höchste Karte zieht, der muss reiten! Ist das in Ordnung, Captain?«
John Trent blickt seinen Sergeanten eine Weile stumm an, und er glaubt, in Bill Banners Augen eine feste Absicht zu erkennen. Er weiß viel über seinen Sergeanten – sehr viel. Denn sie ritten schon im Bürgerkrieg zusammen.
»Das ist in Ordnung, Bill«, sagt er sanft.
Bill Banner mischt die Karten und lässt seinen Freund Jim Chester abheben. Dann teilt er aus, und er teilt jedem der Männer eine Karte zu. Er wirft sie ihnen vor die Füße, denn sie hocken ja dicht nebeneinander im engen Kreis zusammen.
Alle Karten liegen verdeckt auf dem Boden.
Die Männer starrten darauf. So manch einer mag jetzt tief in seinem Herzen darauf hoffen, dass er der Mann ist, der die Chance bekommt.
»Deckt auf und zeigt her«, murmelt der Captain.
Und dann sehen sie alle das Kreuz-As in Drango McKeenes Hand.
»Du verdammter Kartenjongleur!«, sagt dieser zu Bill, der ihn breit angrinst.
»Ich habe jetzt lange genug herumgetändelt«, sagt der Captain hart. »Sie unterstehen mir, Drango! Und ich gebe Ihnen den Befehl! Wenn Sie sich weigern, halte ich wegen Befehlsverweigerung vor dem Feinde ein Kriegsgericht ab und lasse Sie erschießen. Sie werden reiten, Drango!«
Die ganze Härte und Kraft eines erfahrenen Offiziers, der manchmal nicht viel von militärischem Drill hält und oft die Dinge auf seine Art erledigt, kommt nun zum Ausdruck.
»Ich will nichts mehr hören! Wenn wir vor Morgengrauen angreifen, brechen Sie mit den Plänen durch, Drango! Ich werde Ihnen noch einen genauen Bericht an den General mitgeben.«
»Ihr Sergeant ist ein verdammter Kartenjongleur«, sagt Drango bitter. »Ich wünschte, ich hätte mit der Armee und diesem Bahnbau niemals einen Vertrag gemacht, der mich wie einen Soldaten unter Kriegsrecht stellt.«
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Es bleibt die ganze Nacht still in der Mulde, und das ist so, weil jeder der Männer mit sich ganz allein ist. In dieser Nacht müssen sie alle und jeder für sich allein damit zurechtkommen, dass sie morgen tot sein werden.
Captain John Trents Männer sind hart, keine Greenhorns. Diese Männer gehören schon Jahre zu einer regulären Truppe, die im Bürgerkrieg und später im Indianerland kämpfte.
Ja, sie werden morgen in den letzten Kampf gehen, und jeder muss mit allen Dingen abschließen.
Deshalb ist es still in der Mulde.
Nur die Roten sind nicht still. Sie haben ihren dichten Belagerungsring etwas gelockert. Sie haben drüben, dort zwischen den Felsen, die wie eine versteinerte Elefantenherde wirken, einige große Kriegsfeuer angezündet.
Zuerst hört man den Totengesang, der ihren Gefallenen gilt. Aber gegen Morgen erklingt dann der Kriegsgesang.
Die Männer in der Mulde hören nun ständig das »Hunhunheh! H›g'un! H›g'un! Ni'inaei! Hunhunhe! Hopo! Hopo! Ni'inaei! H›g'un!«
Füße stampfen den Kriegstanz! Die Oglalas machen sich Mut. Denn wenn die Sonne aufgeht, wollen sie es nochmals versuchen. Sie wollen die Blaubäuche, wie sie die blaugekleideten Unions-Soldaten nennen, bei Sonnenaufgang töten.
Und deshalb singen sie jetzt immer wieder: »Mut! Gute Jagd! Vorwärts! Gehen wir! Gute Jagd! Mut!«
Drango McKeene weiß nicht genau, was in seinen Kameraden hier in der Mulde vorgeht. Aber es ist eine bittere und einsame Sache, wenn Männer sich für den letzten Kampf vorbereiten.
Und weil er ebenfalls ein Mann ist, zu dessen Grundsätzen ein starker Stolz gehört, verspürt er eine zornige Bitterkeit darüber, dass er dazu ausersehen ist, mit den wichtigen Vermessungsplänen auch seinen Skalp zu retten.
Es kommt ihm wie eine feige Flucht vor, zu der man ihn zwingt.
Er denkt auch noch an andere Dinge, an Dinge, die ihn damals dazu brachten, sich dem Bahnbau zur Verfügung zu stellen. Er weiß, dass er sich mit diesen Dingen noch wird auseinandersetzen müssen, später, wenn er es wirklich schaffen sollte zu entkommen.
Oh, er hätte nie gedacht, dass sich alles so entwickeln würde. Er hätte nie gedacht, dass...
Aber darauf wird diese Geschichte hier noch später zurückkommen, später, wenn es an der Zeit ist.
Er setzt sich auf, als der Captain zu ihm kommt, sich bei ihm auf die Absätze hockt und ihm einen Beutel übergibt. Es ist ein wasserdichter Beutel. Und der Captain sagt: »Hier sind die Vermessungspläne und ein Bericht an mein Regiment. Drango, du musst es schaffen! Betrachte deine Aufgabe nicht als eine Flucht. Wir sterben hier nutzlos und ohne Sinn, wenn nicht wenigstens unsere Aufgabe gelöst wird. Und die Lösung unserer Aufgabe ist die Ablieferung der Pläne! Drango, ich hätte dich erschießen lassen und dann dem Sergeanten Bill Banner den Befehl erteilt. Aber du weißt genau, dass er nur halb so viele Chancen gehabt hätte wie du.«
Er machte eine kleine Pause und atmet tief ein.
Dann spricht er weiter: »Nimm den braunen Wallach! Er ist das beste unserer vier noch vorhandenen Pferde. Und viel Glück!«
Er legt seine Hand kurz auf Drangos Schulter und gleitet davon. Man hört dann seine leisen Befehle.
Sergeant Bill Banner kommt nun zu Drango. Als er sich bei ihm niederhockt, sagt der Texaner grimmig: »Scher dich zum Teufel, du verdammter Kartenbetrüger!«
»Ich bin bald in der Hölle und brate über einem Feuer meine tausend Sünden aus«, kichert der Sergeant. »Es ist nicht besonders schade um mich. Ich bin dem Suff verfallen, und eines Tages hätte mir die Armee meine Sergeantenstreifen weggenommen. Meine Dienstzeit läuft bald ab, und sie wäre nicht verlängert worden. Ich habe überall Schulden. Die Armee hätte mich nicht mehr haben wollen. Vielleicht wäre ich dann wirklich ein verdammter Kartenhai geworden, ein Sattelstrolch und Trunkenbold. Für mich ist heute ein guter Tag. Ich kann mich mit Anstand von dieser Welt verabschieden. Hier ist meine Uhr, verkaufe sie und bezahle in der Kantine meine Schulden. Viel Glück, alter Kuhschwanz aus Texas. Mir ist mächtig wohl ums Herz!«
Er drückt ihm eine Uhr in die Hand und huscht davon.
Drango erhebt sich nun ebenfalls. Er hängt sich den Beutel um den Hals und stopft ihn unter das Lederhemd. Er steckt die Uhr in die Tasche und tritt zu einem der Pferde. Er nimmt dem Tier den Sattel ab und ist dann fertig.
Indes haben sich die Soldaten formiert.
In dieser Nacht starben auch die drei Schwerverwundeten, denn der Feldarzt konnte nichts für sie tun. Die anderen Verwundeten werden auf den Beinen stehen und auch noch kämpfen können.
Einer der beiden Vermessungsingenieure kommt noch zu Drango.
»Der Bahnbau darf nicht zum Stillstand kommen«, sagt er heiser. »Dieser Bahnbau ist das größte Werk unserer Nation. Bestell den Brüdern Casement einen Gruß von uns, Drango. Sage ihnen...«
Die Stimme versagt ihm.
Und bevor er noch einmal anfangen kann, tönt Captain John Trents Stimme leise, aber scharf und präzise: »Korporal Chester, Sie tragen die Fahne unserer glorreichen Armee! Sergeant Banner, Sie bleiben bei der Fahne. Sie darf nicht vor dem letzten Mann fallen!«
»All right, Sir!«, erwidert Sergeant Bill Banners Stimme. »Dieser Korporal und ich, wir sorgen dafür!«
Und dann kommt der leise Befehl: »Abteilung Marsch!«
Sie verlassen die Mulde. Einige Soldaten fluchen bitter. Aber sie folgen gehorsam ihrem Offizier.
»Oh, ihr Jungens«, sagt Drango McKeene bitter hinter ihnen her. Dann schwingt er sich in den Sattel, duckt sich zusammen und wartet.
Er braucht nicht lange zu warten, denn Captain John Trents Kommando stößt bald auf die vorgeschobenen Wachposten der Roten. Ein schriller Alarmschrei durchschneidet den noch dunklen und grauen Morgen.
Dann wird es zwei Sekunden lang still.
Und dann geht es los! Gewehre krachen. Eine Trompete schmettert. Vierhundert Indianer beginnen zu brüllen, und obwohl Drango McKeene es nicht sehen kann, weiß er, wie die Sache dort draußen aussieht.
Dort wird jetzt eine Soldatenabteilung, die in dichter Formation geschlossen zum letzten Kampf antritt, von den Roten von allen Seiten angefallen wie ein Elch von einem Rudel Wölfe.
Aber sie werden kämpfen, diese blauen Jungens von der Unionskavallerie. Sie werden wild und wütend kämpfen und den Sioux den Sieg sehr schwer machen.
Denn dies dort sind Jungens vom 7. Regiment, das von General Custer kommandiert wird und als das beste Regiment der Armee gilt. Dieses Kommando dort besteht aus den besten Männern dieses Regiments, und weil sie alle heute noch sterben müssen, werden sie niemals erfahren, dass ihr Regiment und General Custer zehn Jahre später von den Sioux bis auf den letzten Mann getötet werden.
Das wird noch kommen.
Aber heute sind sie an der Reihe.
Drango McKeene wartet lange genug. Aber als er sicher ist, dass alle Indianer ihre Plätze verlassen und sich auf die Abteilung gestürzt haben, reitet er nach Osten zu aus der Mulde und beginnt seinen Weg.
Er lenkt das Pferd mit den Schenkeln und hält beide Colts in den Händen. Das ist gut, denn nicht alle Indianer sind fort. Auf den ersten trifft er fünfzig Yards weiter. Der Krieger springt ihn von der Seite her an wie ein Berglöwe, der hinter einer Deckung hervor auf ein Wild stürzt.
Drango McKeenes Kugel hält ihn auf.
Sein Pferd galoppiert nun. Und dreißig Yards weiter versuchen es zwei brüllende Krieger. Einer schießt sein nagelneues Gewehr ab, aber die Kugel fliegt zwei Zoll an Drangos Kopf vorbei. Er aber schießt sich den Weg frei und presst seine langen Beine wie ein Schraubstock um den Pferdeleib, als das Tier schnaubend über die beiden zu Boden fallenden Oglalas springt.
Das waren schnelle und sichere Schüsse. Drango McKeenes trauriger Ruf als Revolvermann ist groß. Dieser dunkelhaarige Texaner kann von einem Pferd aus ein hüpfendes Eichhörnchen treffen oder einem laufenden Kaninchen den Kopf abschießen.
Und weil er das kann, hat er einige Chancen, seinen Auftrag zu erfüllen. Dieses Land hier ist grausam und hart, und weil das so ist, schuf es auch Geschöpfe, die so sind. Diese Geschöpfe heißen hier Sioux und Cheyenne.
Und wenn ein weißer Mann am Leben bleiben will, muss er hart, schnell und entschlossen sein. Er darf nicht zögern, denn das würde ihn das Leben kosten.
Drango McKeenes Pferd galoppiert nun schneller. Er reitet nach Osten zu, auf den hellen Lichtstreifen am Horizont zu. Dort kommt der Tag herauf. Dort, zweihundert Meilen entfernt, liegt Laramie. Dort irgendwo befindet sich die Kopfstation des Bahnbaus.
Wird Drango McKeene dieses Ziel erreichen?
Hinter ihm sind jetzt vierhundert Rote dabei, die letzten Soldaten zu töten. Noch krachen dort Gewehre, Revolver und tönt das wilde Gebrüll des Kampfes.
Aber bald werden die Roten auf Drango McKeenes Fährte sitzen.
Das ist so sicher wie der anbrechende Tag dort im Osten, der nun schon die Wolken in rotes Licht taucht.
Vielleicht ist Drango McKeene gar nicht der große Glückspilz. Vielleicht dauert sein Weg in den Tod nur viel länger. Vielleicht waren John Trent und seine Männer viel besser dran, weil sie das Unvermeidliche schneller hinter sich bringen konnten.
Eine Jagd kann grausamer sein.
Drango McKeene reitet also schnell, aber es stellt sich niemand mehr in seinen Weg. Er kommt nun glatt und mühelos davon. Nach fünf Meilen zügelt er sein Tier, denn er ist erfahren und weiß, dass in diesem Lande ein langsamer Reiter auf die Dauer schneller ist, wenn es sich um weite Entfernungen handelt. Er wird die Ausdauer seines Pferdes noch sehr nötig haben.
Die aufsteigende Sonne scheint ihm nun ins Gesicht.
Es ist schön, noch am Leben zu sein. Viele Männer an Drango McKeenes Stelle würden jetzt einen Jubelruf ausstoßen! Doch in ihm ist Bitterkeit.