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Es war eine miese Zeit damals, nur wenige Monate nach dem Krieg. Abgerissen und ausgehungert ritt ich durchs Land, ein Satteltramp, der keine Hoffnung hatte. Doch dann kam unerwartet die große Wende. Ich rettete einem Mortimer-Reiter das Leben, und am nächsten Tag gehörte ich selbst zu diesen Auserwählten, die Mortimer, dem mächtigen Weide-King, als Caballeros dienten. Ich war der Siebente in ihrer Schar.
Voller Zuversicht blickte ich in die Zukunft. Bis ich erfuhr, dass Mortimer einen Feind hatte, der ihn vernichten wollte. Der unbekannte Rächer nahm einen nach dem anderen von uns aufs Korn. Und ich war der Siebente auf seiner Todesliste ...
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Seitenzahl: 199
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Der siebente Reiter
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0555-4
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Der siebente Reiter
Es war spät in der Nacht, als ich nach Santa Barbara kam. Mein Gaul hinkte. Ich hatte keinen Dollar in der Tasche. Und mein Magen war mir böse, sodass er mich dann und wann anknurrte wie ein gefährlicher Hund.
Es war natürlich eine dumme Hoffnung, dass ich in dieser zweiten Nachthälfte jemanden finden würde, der mir ein Stück Brot gab. Aber manchmal hegt der Mensch auch dumme Hoffnungen und glaubt an kleine oder mittelmäßige Wunder.
Als ich vor dem Saloon hielt, stand dort ein Mann an einem Stützbalken des vorgezogenen Verandadachs und murmelte immerzu irgendwelche Worte. Da ich mein Pferd verhielt, konnte ich sogar verstehen, was er sagte.
Das hörte sich so an: »Ich – ich – mumuss hier stehenbleiben. Wewenn ich i-in der Schuschule a-a-alles richtig verstanden habe, mumumuss ich hier stehenbleiben wie eine eins!«
Ich staunte. Der Bursche war ein Cowboy, und er war betrunken wie tausend Indianer. Er konnte sich nur noch dadurch auf den Beinen halten, dass er sich an den Stützbalken klammerte.
Nun starrte er zu mir herüber. Ich saß regungslos im Sattel.
»Kokommt es bald?« So fragte er mich hoffnungsvoll.
»Was Bruder – was soll kommen?« So fragte ich. Und weil ich neugierig geworden war, fragte ich noch: »Warum musst du da stehenbleiben wie eine eins, wenn du in der Schule alles verstanden hast?«
Er grinste breit. Ich sah es deutlich im Schein der beiden Laternen, die hier vor dem Saloon auf der Veranda leuchteten.
»Ich bin kein Dududummkopf«, sagte er. »Die Erde dreht sich dododoch im Krakreise. Nicht wahr, Hombre? Im Kreise soll sie sich drehen! Und da werde ich dodoch ninicht zu meinem Gagagaul laufen. Der mumuss hier vorbeikommen, wenn die Erde sich im Krakreise dreht! Savy?«
»Richtig«, sagte ich. »Das ist eine gute Idee von dir. Alles, was sich im Kreise dreht, kommt irgendwann mal vorbei wie auf einem Karussell. Junge, du bist ein schlauer Bursche. Wie sieht dein Gaul aus?«
»Ach, er hat einen Kokopf und vier Beine«, sagte er mühsam. »Unund er ist brabraun und trägt den Mortimer-Brand.«
Als er die letzten vier Worte sagte, kam in seine trunkene Stimme der deutliche Klang von Stolz und Selbstbewusstsein. So betrunken er auch sein mochte, sein Stolz auf das Brandzeichen, für welches er ritt, war immer noch unverkennbar stark vorhanden.
Ich sah auf die lange Reihe der Pferde, die da an der Haltestange angebunden waren. Da waren viele Pferde mit Köpfen, Beinen und von brauner Farbe.
Ich grinste über die Beschreibung des Betrunkenen.
Aber dann knurrte wieder mein Magen und erinnerte mich daran, dass es gar nichts zu grinsen gab für mich. Ich wandte mein Pferd und ritt hinter den Gäulen entlang, sah auf die Brandzeichen auf ihren Hinterschenkeln.
Ich konnte sie gut erkennen, denn außer den beiden Laternen auf der Saloonveranda, die etwas Helligkeit verbreiten, gab es auch noch andere Lichtquellen, nämlich die Lichtbahnen, die aus den Saloonfenstern fielen und bis über die staubige Fahrbahn der Wagenstraße reichten, die zugleich auch in Santa Barbara die einzige Hauptstraße war.
Es gab nur ein Tier mit einem großen verschnörkelten M als Brandzeichen, und es war braun.
Ich saß ab und band es los.
Dann brachte ich es vor die Verandastufen.
»Na komm, Amigo«, sagte ich. »Schaffst du das? Die Welt hat sich im Kreise gedreht. Dein Pferdchen ist da. Steig auf, Bruder!«
Aber er kam nicht. Er hatte Angst, den Stützbalken loszulassen. Er wusste, dass er dann umfallen würde.
Und so ging ich die beiden Stufen hinauf, um ihn zu holen. Schon als ich ihm um die Taille fasste und mir seinen Arm von hinten um den Nacken legte, indem ich darunter hinwegtauchte wie unter einem Geländer, merkte ich, dass er unter seiner Kleidung auf dem bloßen Leibe einen mit Geld prall gefüllten Gürtel trug. Verdammt noch mal, der Bursche schleppte eine Menge Geld mit sich herum.
Ich war plötzlich scharf und wie alarmiert. Und zugleich knurrte mein hungriger Magen böse.
»Hahahast du eieinen Wolf im Bauch?« So fragte der betrunkene Mann, indes ich ihn halb zu seinem Pferd trug und halb schleifte. Er war schwerer als ich, doch mir fehlten ja an die zwanzig Pfund Gewicht. Er wog gewiss fast zweihundert Pfund. Ich war zurzeit nicht kräftig genug, ihn ganz allein zu tragen.
»Mehr als nur ein Wolf«, sagte ich bitter. »Das ist ein ganzes Rudel.«
»Du mumumusst sie mit Pumaspucke ertränken«, nuschelte er. »Da drinnen gibt es die bebeste Pumaspucke der Welt. Die haut den stärksten Riesen um. Da sprispringen dir die Knöpfe vom Hemd.«
Er nuschelte und stotterte noch mehr, doch ich achtete nicht mehr so sehr darauf, denn ich hatte nun Mühe, ihn in den Sattel zu bringen.
Fast wäre er mir auf der anderen Seite wieder zu Boden gefallen. Doch ich erwischte ihn im Gleichgewicht.
Dann gab ich ihm die Zügel in die Hand.
»Na, wird's denn gehen? Wohin willst oder musst du denn? Ist es weit?«
So fragte ich hinauf zu ihm.
Er war rothaarig und blauäugig, etwa in meinem Alter, doch gewiss nicht älter als dreißig. Er trug silberne Sporen, ritt ein erstklassiges Pferd und saß in einem guten Sattel.
Und er trug einen dick mit Geld gefüllten Gürtel auf dem bloßen Leibe.
Auch sein Colt war kein Ding aus der Massenserie; ich sah es schon am Kolben.
Heiliger Rauch, dieser betrunkene Hombre hatte alles, was ich nicht besaß.
Er sagte nicht mal »Danke« für meine Hilfe, sondern ritt einfach los – im Schritt, versteht sich. Und dann begann er zu singen, laut und misstönig.
Ich stand da, sah ihm nach und dachte mir, dass ich ein paar Dollars gut gebrauchen konnte. Denn ich befand mich in einer Pechsträhne.
Ich hatte sogar schon meinen Revolver für ein paar Dollars weggeben müssen. Und wenn jemand meinen alten McClellan-Sattel hätte kaufen wollen, so wäre ich ohne Sattel geritten.
Ich sah dem betrunkenen Reiter nach, und ich wünschte mir, dass ich von seinem vielen Geld im Gürtel ein paar Dollars gehabt hätte.
Aber dann gab ich mir einen Ruck, band mein Pferd an und ging hinein in den Saloon.
Der Barmann sah mich sofort misstrauisch an, denn ich sah schon äußerlich so aus, als hätte ich keinen Cent mehr in der Tasche. Ich trug noch meine alte Konföderierten-Hose, und sie war nun schon fünf Jahre alt. Meine Haare hingen mir bis auf die Schultern nieder. Dort, wo sonst das Holster geschabt hatte, war die Hose noch abgewetzter. Und mir fehlten zwanzig Pfund Gewicht. Ich schien nur aus Knochen und Sehnen zu bestehen. In meinem hohlwangigen Gesicht brannten meine hellen Augen.
Vielleicht konnte man mich auch für ein Comanchen-Halbblut halten, so dunkel und indianergesichtig war ich.
Ich ging zum Barmann und versuchte ein freundliches Grinsen.
Kinder und Frauen mochten mich, wenn ich so grinste. Doch dieser Barmann verzog keine Miene.
Ich sagte: »Mister, wissen Sie vielleicht, wie ich mir ein Essen verdienen kann? Oder gibt es vielleicht gar einen richtigen Job irgendwo für mich? Dann vertrinke ich den ersten Monatslohn bei Ihnen.«
Er sah mich von oben bis unten an.
Dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Arbeit gibt es hier nur bei Jack Mortimer, ich meine richtige bezahlte Arbeit. Sonst ist hier alles mies. Und hier bekommt nicht mal mehr ein kranker Hund einen Knochen geschenkt. Die Welt ist hart geworden, so kurz nach dem Kriege, sehr hart.«
Damit hatte er mir klar genug zu verstehen gegeben, dass ich hier nichts erben konnte und mich wieder schleichen sollte.
Ich sah mich im Saloon um. Die Hombres hier wirkten alle nicht besonders glücklich und froh. Fast alle waren Schmuggler, Vieh- und Pferdediebe, Satteltramps wie ich, ein paar Frachtfahrer und Einheimische. Ein paar Leute hatten vielleicht hier Kredit – und die anderen hatten noch ein paar Dollars oder Cents.
Ich dachte wieder an jenen Betrunkenen, dem ich auf das Pferd half und dessen gefüllten Geldgürtel ich fühlte.
Verdammt noch mal, ich hätte ihn um einen Dollar anhauen sollen. Dann könnte ich hier zwei Bier trinken und meinen größten Hunger am Freiimbiss stillen.
Der Barmann betrachtete mich hart.
Und einige Gäste sahen auf eine Art zu mir her, die neugierig, mitleidlos und sogar spöttisch wirkte.
Sie alle waren Burschen, denen keiner etwas schenkte und die in diesem Lande längst schon spürten, dass diese Welt hart war.
Und nun empfanden sie es gar nicht so schlecht, dass es noch jemanden gab, dem es noch mieser ging als ihnen.
Ich schluckte – ich hatte jetzt die Wahl, von Tisch zu Tisch zu gehen und zu betteln oder mit knurrenden Magen zu verschwinden.
Ich ging hinaus.
Denn so weit war ich noch nicht, dass ich bei miesen Typen um einen Happen bettelte. Dazu war ich immer noch zu stolz.
Aber als ich auf die Veranda trat, da dachte ich wieder an den Betrunkenen mit dem gefüllten Geldgürtel.
Und ich ging zu meinem Pferd, band es los, saß auf und ritt davon.
Oh, ich nahm nicht die gleiche Richtung. Ich verließ die Stadt in genau entgegengesetzter Richtung.
Doch draußen in der Nacht dann, da schlug ich einen Bogen.
Oh, ich war sicher, dass ich den Betrunkenen einholen würde.
Und dann?
Würde ich ihn nur um einen Dollar anbetteln – oder zehn? Oder würde ich zum Banditen werden?
Und eigentlich war ich sehr neugierig auf meine Entscheidung.
✰
Als ich auf dem Wagenwege war und die Richtung einhielt, in der er aus der Stadt ritt, da bekam ich bald schon den Staubgeruch in die Nase.
Das war fein und hielt sich lange Zeit wie Puder in der Luft. In den klaren und schon nach Mitternacht sehr kalten Nächten konnte man solch einer »Staubfährte« nachreiten. Man hatte sie sozusagen in der Nase.
Ich ritt etwas mehr als drei Meilen im Trabe. Mehr als Trab konnte ich meinem Pferd gar nicht mehr zumuten. Es war ein altes Tier, für das man mir keine fünfzehn Dollar mehr zahlen würde. Und es war schon viele Meilen unterwegs gewesen.
Aber nach etwas mehr als drei Meilen hörte ich den betrunkenen Burschen vor mir in die Nacht singen.
Ich wusste, dass er jetzt allmählich nüchtern werden würde. Das Reiten und die frische Luft würden dafür sorgen. Und wenn ich ihn überfallen und mir sein Geld holen wollte, so musste ich mich beeilen.
Denn er war bewaffnet – ich nicht.
Aber wollte ich ihn überfallen?
Sollte ich nicht erst einmal versuchen, ihn anzuborgen? Vielleicht gab er mir zehn Dollar. Und zehn Dollar waren für mich geradezu ein Vermögen.
Aber in seinem Gürtel waren vielleicht drei- oder viertausend Dollar.
Heiliger Rauch, was konnte man damit alles anfangen.
Mein Magen knurrte böse bei diesem Gedanken.
Ich ritt schneller, um den Hombre einzuholen.
Aber dann war er plötzlich still.
Er sang nicht mehr in die Nacht – nein, er war merkwürdig jäh verstummt, so, als wäre er vom Pferd gefallen.
Der Wagenweg führte eine kleine Steigung empor. Rechts und links waren Hügel mit Felsen. Der Weg führte über den Hügelsattel hinweg in eine Senke hinunter.
Und als ich oben war und Sicht nach unten hatte, da sah ich alles.
Einen halben Steinwurf weit unter mir waren schon andere Straßenräuber an der Arbeit. Es waren zwei, und sie hatten den prächtigen Sängerknaben mit einem Lasso vom Pferd geholt und ein Stück hangabwärts geschleift, bis er nicht mehr strampelte und auch nicht mehr zur Waffe greifen konnte.
Das Pferd des singenden Hombres stand noch da, wo man ihn aus dem Sattel gerissen hatte, also keine fünf Schritte von mir entfernt und nur ein wenig tiefer.
Ich brauchte nicht lange zu überlegen.
Da ich keine Waffe mehr besaß, glitt ich vom Pferd und zu dem anderen Tier hinunter. Es diente mir zugleich auch als Deckung.
Im Sattelholster dieses Pferdes steckte ein Gewehr. Es war ein Spencer-Karabiner, also ein Ding, mit dem man siebenmal schießen und auch auf zweihundert Yard noch ganz gut treffen konnte.
Und wenn ich auch mit einem Gewehr nicht so gut wie mit einem Colt war, so war ich aber dennoch schon fast ein Künstler damit. Schießen konnte ich schon als kleiner Junge gut. Das steckte in mir, und man brauchte mir das nicht besonders zu zeigen.
Ich ging also mit dem Gewehr im Hüftanschlag um das Pferd herum und ein Stück tiefer. Die beiden Straßenräuber – drüben in Mexiko sagte man »Bandoleros« – waren gerade fertig.
Sie hatten ihrem Opfer Jacke und das Hemd aufgerissen, den Geldgürtel losgeschnallt und auch das Lasso wieder gelöst.
Beide hatten sie sich ihren Pferden zugewandt und schon einen Fuß im Steigbügel, um sich so hochzustemmen.
Da sagte ich: »Einen Moment noch, Amigos!«
Ich sagte es nicht laut, doch hart und pulvertrocken genug, sodass sie schon an meiner Stimme erkannten, dass ich gar nicht nervös war und mich in solch einer Situation gewiss nicht hilflos fühlte.
Sie verhielten, denn sie waren keine Dummköpfe, die hirn- und planlos etwas riskierten. Sie wollten erst ihre Lage genauer kennen. Und vielleicht glaubten sie am Anfang auch, dass ich nicht allein war und sie eingekeilt wurden.
Erst nach einigen Atemzügen sagte einer: »Mann oder Hombre, du hast uns aber wirklich erschreckt. Kennen wir dich nicht? Bist du nicht der verhungerte Tramp, der nicht mal einen brauchbaren Sattel unter dem Hintern hatte, als wir ihn vor dem Saloon in Santa Barbara absitzen und hineingehen sahen, nachdem er diesem Dummkopf hier in den Sattel half? Bist du das nicht?«
Er lachte nach diesen Worten.
Auch sein Partner lachte.
Sie nahmen ihre Füße aus den Steigbügeln. Bisher hatten sie sich in diesen Haltungen nur mir zugewandt, nun aber drehten sie sich völlig mir zu und traten von den Pferden weg mir entgegen. Sie standen etwas tiefer als ich, denn die Wagenstraße fiel immer noch leicht ab.
»Warum bist du denn hier?« So fragte der eine.
»Weil er ihm nachgeritten ist«, sagte der andere.
Und dann grinsten sie, dass ihre Zahnreihen im Mond- und Sternenlicht blinkten.
»Weil auch er vielleicht haben wollte, was nun wir haben«, sprach dann wieder einer.
»Aber dann könnten wir doch mit ihm teilen«, warf der andere Bursche gewissermaßen den Ball zurück.
Sie waren zwei erfahrene Pilger. Sie kannten sich aus mit Tramps und Hungerleidern. Wahrscheinlich waren sie vor nicht sehr langer Zeit auch solche hungernden Burschen wie ich.
Aber dann kamen sie »ins Geschäft«, und nun waren sie schon »arrivierte Geschäftsleute«.
Ich begriff, dass sie lieber mit mir teilen, als mit mir kämpfen wollten.
Und eigentlich konnte mir das ja wohl nur recht sein. Denn war ich nicht hinter dem Betrunkenen hergeritten, um ihn zu überfallen und auszurauben? Oder hätte ich das letztlich doch nicht fertigbringen können und nur versucht, ihn anzubetteln?
Ich wusste es nicht – nein, ich konnte mir das nicht beantworten.
Doch was sollte ich jetzt tun?
Da lag ein Überfallener, der betrunken war, den sie mit einem Lasso aus dem Sattel holten und ein Stück über den Boden schleiften. Und als sie dann über ihm waren und ihm den gefüllten Geldgürtel nahmen, da wehrte er sich vielleicht noch. Und sie gaben es ihm wahrscheinlich mit dem Revolverkolben.
Ich hörte ihn stöhnen.
Aber ich konnte jetzt der Partner dieser beiden Straßenräuber werden.
Sie wollten mit mir teilen.
Das schien mir verlockend. Denn ich hatte nun noch mehr Hunger als vor einer Stunde. Ich war am Ende.
Verdammt noch mal, wenn da vielleicht tausend Dollar auf meinen Anteil kämen... tausend Dollar waren es wohl mindestens.
Und dass diese beiden Hombres mich betrügen würden, nun dagegen konnte ich mich schützen.
»Na los doch, überlege nicht lange!« Dies rief mir der eine nun zu. »Wir können nicht ewig hier auf der Wagenstraße herumstehen und unsere Geschäfte erledigen. Wir müssen verschwinden. Es kann jemand kommen. Also...!«
»Tut mir leid«, hörte ich mich da spröde sagen, und ich war selbst überrascht von meiner Entscheidung. Denn sie kam ganz von selbst und fiel mir leicht.
»Ich lasse euch reiten«, sagte ich. »Aber den Geldgürtel lasst ihr zurück. Er hängt dort am Sattelhorn. Also nimm ihn herunter und lasse ihn fallen, Amigo. Na, nun habt ihr die Wahl.«
Sie wussten meine letzten Worte sofort richtig zu deuten.
Sie konnten aufgeben und davonreiten – oder sie konnten auch um den gefüllten Geldgürtel mit mir kämpfen.
Was würden sie tun?
Ich wartete mit dem Gewehr im Hüftanschlag.
Sie entschieden sich schnell – zu schnell. Sie handelten zu bereitwillig und wie auf ein stillschweigendes Kommando.
»Also gut«, sagte einer. »Dann geben wir auf!«
Und sie wandten sich ihren Pferden zu.
Das alles sollte mich täuschen, in Sicherheit wiegen. Ich sollte glauben, dass sie sich vor mir fürchteten.
Aber dann wirbelten sie herum. Dabei zogen sie ihre Revolver.
Sie waren ein eingespieltes Paar. Und gegen viele Männer mit Gewehren hätten sie damit Glück gehabt – doch nicht gegen mich.
Ich traf den einen, bevor er den Revolver auf mich abfeuern konnte.
Der zweite Gegner schoss noch auf mich. Doch er wollte zu schnell sein. Vielleicht kam mir auch der Umstand zu Hilfe, dass er tiefer stand als ich.
Denn seine Kugel fuhr zwischen meinen Beinen hindurch und ritzte nur den Schaft meiner alten Kavalleriestiefel auf.
Inzwischen hatte ich mit dem Unterhebel blitzschnell durchrepetiert. Die leere Hülse sprang auch wirklich glatt hinaus – und die nächste Patrone rückte in die leergewordene Kammer.
Das war bei einem Spencer-Karabiner von damals bei einem solch schnellen Durchrepetieren durchaus nicht immer sicher.
Ich traf auch den zweiten, bevor dieser noch mal auf mich feuern konnte.
Und da lagen sie nun.
Die Schüsse verhallten.
Die Nacht wurde wieder still.
Unsere Pferde hatten sich kaum bewegt, denn sie waren an Gewehr- und Revolverfeuer gewöhnt. Das waren vor allen Dingen Kriegspferde, aber auch jedes richtige Rinder- und Lassopferd lernte dies als zweite Lektion.
Die erste Lektion war, bei hängenden Zügeln nicht fortzulaufen.
Nun, da lagen also die beiden Straßenräuber.
Und ich, der ich ja eigentlich auch hinter dem Betrunkenen hergeritten war, um irgendwie zu Geld zu kommen, hatte sie niedergeschossen.
✰
Und was nun?
Da lagen sie. Da lag der Überfallene – und da hing der gefüllte Geldgürtel am Sattelhorn des einen Pferdes.
Ich stand nun wieder vor einer Entscheidung.
Denn ich konnte mir den Geldgürtel holen, mich auf eines der Pferde schwingen, die alle sehr viel besser waren als meines und auch einen guten Sattel besaßen – und dann konnte ich mich mit meiner Beute aus dem Staube zu machen versuchen.
Denn das würde vielleicht gar nicht so einfach sein.
Ich erinnerte mich daran, wie stolz der Betrunkene davon gesprochen hatte, dass er ein Pferd mit dem Mortimer-Brand ritt. Also musste dieser Mortimer-Brand etwas ganz Besonderes sein, wahrscheinlich eine große Ranch bedeuten.
Als ich noch überlegte, ob ich es wagen sollte, und mein hungriger Magen meine Entscheidung zu beeinflussen versuchte, da wurde mir die Entscheidung schon etwas aus der Hand genommen.
Denn der Betrunkene setzte sich stöhnend auf. Dann erhob er sich, beugte sich vor und übergab sich. Er schnaufte danach erleichtert und wandte sich mir zu.
Er starrte zu mir her, und ich spürte, dass er noch im Zweifel war und nicht wusste, wie die Sache nun weitergehen würde.
Er hatte ebenfalls längst begriffen, dass ich zwei Möglichkeiten hatte.
Ich spürte meinen Magen knurren, doch ich konnte kein Straßenräuber sein – jetzt nicht mehr, nachdem ich die beiden Kerle niedergeschossen hatte. Würde ich jetzt an ihrer Stelle weitermachen, wäre meine Handlungsweise ja Mord gewesen. Ich hätte wie ein Dieb mit anderen Dieben um die Beute gekämpft.
Aber ich wollte kein Mörder sein. Ich wollte nicht getötet haben, um mir eine Beute aneignen zu können.
Ich hatte Angst davor, ein Mörder zu sein – Angst vor den Gedanken, vor der Erinnerung – und davor, endgültig jene »Grenze« übersprungen zu haben, von der aus es eigentlich nur ein Abwärtssausen geben konnte.
Dies wurde mir endlich und glücklicherweise klar in diesen Sekunden.
Ich senkte mein Gewehr und ging auf den Mann zu, der jetzt wohl kaum noch betrunken war. Ich sagte: »Nun, Hombre, eine Kleinigkeit bist du mir wohl schuldig, nicht wahr? Und ich bin nicht zu stolz, es anzunehmen. Ich bin abgebrannt. Nicht mal dieses Gewehr gehörte mir. Ich nahm es aus deinem Sattelholster. Hier hast du es wieder.«
Ich warf es ihm zu – und es war mir, als würde ich es wie ein glühendes Eisen oder zumindest wie eine heiße Kartoffel wegwerfen. Denn es konnte mich vielleicht doch noch in Versuchung führen.
Er fing es auf – und auch daran konnte ich erkennen, wie nüchtern ihn diese ganze Sache gemacht hatte.
Aber plötzlich waren wir nicht mehr allein.
Reiter tauchten auf und umringten uns. Ich warf einen Blick auf die Brandzeichen ihrer Pferde. Sie alle trugen das verschnörkelte M als Brand, waren also von der Mortimer-Ranch.
Der Mann aber, der auf so raue Art nüchtern geworden war, sagte, nachdem die Pferde der Reiter stillstanden und es keine Geräusche mehr gab: »Hallo, Jungens, wo kommt ihr denn so plötzlich her?«
Er kannte sie also. Ich war beruhigt. Und ich hörte einen der Reiter sagen: »Ihr seid überfällig, Frank – und da sagte uns der Boss, dass wir euch ein Stück entgegenreiten sollten. Wo sind die anderen Jungens?«
»Ach, bei den Putas von Santa Barbara«, grinste der Bursche, den man Frank genannt hatte. »Ich nahm nur noch ein paar Drinks und machte mich dann auf den Weg. Hier überfielen mich...«
Nun, er erzählte also alles so, wie es gelaufen war, und dass ich ihm geholfen hatte, wobei ich mir erst sein Gewehr aus dem Sattelschuh holen musste.
Als er geendet hatte, schwiegen sie eine Weile, dachten nach. Und dann sagte einer: »Er gab dir das Gewehr dann freiwillig zurück?«
»Das seht ihr doch«, sagte Frank. »Und ich bin ihm eine Menge schuldig. Ich werde beim Boss ein gutes Wort für ihn einlegen.«
»Du wirst vor allen Dingen für dich selbst ein gutes Wort beim Boss einlegen müssen, Frank Drinkwater«, sagte der Sprecher der Reiter.
Er wandte sich an mich: »Wer bist du?«
»Ich bin Slade, Ben Slade«, sagte ich. »Und ich komme von Faredo herauf. Als ich nach dem Krieg heimkam, war von meinen Leuten keiner mehr daheim. Seitdem streife ich herum und suche einen Job.«
»Du siehst krank aus, Ben Slade.«
»Sicher«, sagte ich. »Im Gefangenenlager bekam ich Typhus. Davon erholt man sich nicht so leicht.«
Sie saßen da in ihren Sätteln und überlegten.
Frank Drinkwater holte sich den Geldgürtel von einem der beiden Banditenpferde. Dann ging er zu seinem Tier und saß auf.
»Komm mit, Ben Slade«, sagte er zu mir. »Und nimm dir eines der beiden Pferde dieser Schufte. Auf deiner Krücke könntest du nicht mitkommen. Denn die Mortimer-Mannschaft reitet schnell.«
Ich gehorchte.
Und ich war in bester Hoffnung, dass ich nun bald was zu essen und vielleicht sogar einen Job bekommen würde.
Wir ritten wirklich schnell durch die blasser werdende Nacht. Auf meinem alten Gaul hätte ich wahrhaftig nicht mitreiten können.
Denn ich ritt mit richtigen Raureitern.
✰
Als es Tag wurde, sah ich die Ranch.
Das war vielleicht ein Ding. Das Haupthaus war aus Stein gemauert, und wahrscheinlich stammte es noch aus der Spanierzeit. Es glich einem Fort. Ringsherum waren die vielen Nebengebäude und Korrals. Ein kleines Mexikanerdorf – nur eine Viertelmeile entfernt –, beherbergte wohl die Ranchhelfer und würde immer wieder weitere Arbeitskräfte liefern können, solange es mit der Ranch und deren Bedeutung wuchs.
Ich begann zu ahnen, warum dieser Frank Drinkwater so stolz auf das Brandzeichen an seinem Pferd war.
Als wir dann an den Korrals vorbeiritten, da sah ich die herrlichen Pferde. Eine solche Menge prächtiger Tiere hatte ich noch niemals beisammen gesehen.
Inzwischen war es aber auch längst Tag geworden. Ich hatte schon erkennen können, dass jeder meiner Begleiter ein Hundert-Dollar-Pferd ritt.
Und ein Hundert-Dollar-Pferd, das war zu dieser Zeit damals ein wirklich erstklassiges Pferd. Denn man konnte ein Durchschnittspferd schon für zwanzig Dollar kaufen.
Wir ritten vor das Haupthaus, hielten an. Junge mexikanische Pferdeburschen kamen herbeigesaust und nahmen uns die Tiere ab.