G. F. Unger Sonder-Edition 204 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 204 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Es ist zwei Stunden nach Mitternacht, als im Mesa-Saloon die Revolver krachen. Zumindest vier Colts sind zu hören.
Bis es still wird, vergeht kaum eine Minute. Aus dem Saloon kommt ein Mann. Er schwankt nur ein wenig. Vielleicht liegt es an seinem Gang, denn der große hagere Mann hinkt leicht mit dem linken Bein.
Langsam geht er über die Straße und schlurft durch den knöcheltiefen Staub der Fahrbahn. Als er sein Pferd erreicht, das an der Ecke des Hotels angebunden ist, sieht es zuerst so aus, als wollte er aufsitzen. Aber dann hält er sich nur eine Weile am Sattel fest und wartet, als müsste er ausruhen und Kraft sammeln.
Endlich nimmt er mit einer müden Bewegung Sattelrolle und Satteltaschen vom Tier, zieht das Gewehr aus dem Sattelholster und wendet sich dem Hoteleingang zu.


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Seitenzahl: 202

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Ein hinkender Wolf

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto / Norma

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0661-2

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Ein hinkender Wolf

Es ist zwei Stunden nach Mitternacht, als im Mesa-Saloon die Revolver krachen. Zumindest vier Colts sind zu hören.

Bis es still wird, vergeht kaum eine Minute. Aus dem Saloon kommt ein Mann. Er schwankt nur ein wenig. Vielleicht liegt es an seinem Gang, denn der große hagere Mann hinkt leicht mit dem linken Bein.

Langsam geht er über die Straße und schlurft durch den knöcheltiefen Staub der Fahrbahn. Als er sein Pferd erreicht, das an der Ecke des Hotels angebunden ist, sieht es zuerst so aus, als wollte er aufsitzen. Aber dann hält er sich nur eine Weile am Sattel fest und wartet, als müsste er ausruhen und Kraft sammeln.

Endlich nimmt er mit einer müden Bewegung Sattelrolle und Satteltaschen vom Tier, zieht das Gewehr aus dem Sattelholster und wendet sich dem Hoteleingang zu.

Der Hotelmann hinter dem Anmeldepult sieht nicht viel von dem Gesicht des Mannes, denn es brennt nur noch eine einzige Lampe. Der Mann hat die Hutkrempe tief in die Stirn gezogen und hält den Kopf gesenkt.

»Ein ruhiges Zimmer«, sagt er. »Und ich möchte nicht gestört werden. Das Pferd draußen an der Ecke muss in den Mietstall. Also...«

In seiner Stimme ist ein Klang von leidenschaftsloser Härte. Aber diese Stimme ist es nicht allein, die den Hotelmann wortlos gehorchen lässt.

Vorhin waren die Sackerty-Brüder allein im Saloon. Sie hatten schon zwei Stunden vor Mitternacht alle anderen Gäste hinausgejagt, um sich zu betrinken und sich allein mit den Mädchen zu amüsieren.

Sie hatten erklärt, dass sie – die Sackerty-Brüder – jetzt eine Feier im engsten Kreis veranstalten würden, zu der nur der Wirt, die Mädchen und der Klavierspieler eingeladen wären. Und sie würden jedem Narren die Ohren abschießen, der blöde genug wäre, ihre Feier zu stören.

Die kleine Stadt Mesa Chip konnte nichts dagegen tun. Hier gab es keinen Sheriff oder sonst einen Mann, der es wagen konnte, mit den drei Sackerty-Brüdern einen Streit anzufangen.

Aber dann war nach Mitternacht dieser Fremde gekommen. Als er in den Saloon wollte, war der Posthalter schnell aus der dunklen Gasse getreten, in der er mit anderen Männern stand, um den Saloon zu beobachten.

Er hatte dem Fremden zugerufen: »Mister, gehen Sie nicht in den Saloon! Die Sackerty-Brüder spielen wieder mal verrückt und wollen keine anderen Gäste im Saloon sehen.«

Aber der Fremde war hineingegangen.

Der Hotelmann erinnerte sich an alles, auch an die Schüsse. Und er entdeckte in der Jacke des Fremden das Kugelloch. Gewiss blutete der Mann heftig.

Er wird mir das Bett besudeln, denkt der Hotelmann.

Aber dann wird ihm klar, dass dieser Mann die Sackerty-Brüder niedergekämpft haben muss.

Es kann nicht anders sein.

Er reicht ihm einen Zimmerschlüssel.

»Oben, am Ende des Ganges«, sagte er. »Es ist mein bestes Zimmer. Aber wenn Sie einen Doc brauchen, dann muss ich Ihnen sagen, dass der nächste Doc weiter als dreißig Meilen von hier...«

»Ich brauche keinen Doc«, sagt der Fremde, nimmt den Schlüssel und geht zur Treppe. »Ich brauche heißes Wasser und eine Flasche hochprozentigen Gin oder anderen Klaren. – Schnell, Mister!«

Wieder ist in seiner Stimme jener Ton, der keinen Widerspruch duldet.

Sporenklingelnd verschwindet der Mann die Treppe hinauf.

Der Hotelmann beeilt sich, die Wünsche seines Gastes zu erfüllen. Zuerst eilt er jedoch zur Tür und blickt über die Straße zum Saloon.

Dort drängen sich nun die Bürger von Mesa Chip hinein.

Eine Stimme ruft schrill: »Er hat sie erledigt! Er hat die Sakkerty-Brüder glatt erledigt! Heiliger Rauch, was ist das für ein Wolf!«

Der Hotelmann wendet sich ab, denn nun weiß er Bescheid.

Und er denkt: Das ist ein hinkender Wolf – ein erfahrener, eiskalter, hinkender Wolf, der längst seine Lektionen lernte. Ich täusche mich gewiss nicht. Ein Bursche, der mit den Sackerty-Brüdern zurechtkommen konnte, der muss schon eine ganz große Nummer sein. Der hat keinen kleinen Namen.

Chuck Starret steht mit freiem Oberkörper vor dem Spiegel. Er betrachtet seine Wunden. Es sind zwei. Der Hotelmann sah nur einen Einschuss in der rechten Schulter. Es gibt aber auch noch eine böse Wunde von der Seite quer über eine Rippe.

Chuck Starret hat ein dunkelbraunes, hageres, etwas hohlwangiges Gesicht mit harten, tiefen Linien. Sein dunkles Haar ist leicht gekräuselt, und seine etwas schrägen Augen haben die gelbbraune Farbe echter Wolfsaugen.

Er ist gewiss schon älter als dreißig Jahre.

Mit dem Handtuch tupft er sich immer wieder das Blut ab. Aber er stillt die Blutung nicht, sondern lässt das Blut laufen. Wahrscheinlich hofft er, dass sich die Wunden so säubern.

Erst nach einer kleinen Weile holt er einen kleinen Kasten aus der Satteltasche und öffnet ihn. Es ist ein sorgfältig zusammengestellter Verbandkasten. Auch eine lange, dünne Kugelzange fehlt nicht.

Er nimmt sie und betrachtet sie.

Als er seinen Blick im Spiegel prüfend auf das Kugelloch in seiner Schulter richtet, klopft es. Der Hotelmann kam mit heißem Wasser, einer Flasche klarem Schnaps und Verbandzeug.

»Stellen Sie nur alles ab und lassen Sie mich allein«, sagt Chuck Starret ruhig, während der Hotelmann eintritt. Er wendet sich auch nicht um, sondern beobachtet den Mann im Spiegel. Er trägt noch immer seinen Revolvergurt mit der schweren Waffe unter der linken Hüfte.

»Brauchen Sie keine Hilfe, Sir?«, fragt der Mann. »Hören Sie, Sie haben dieser Stadt einen großen Dienst erwiesen. Wir haben keinen Sheriff weit und breit und waren den Sackerty-Brüdern völlig ausgeliefert. Sie...«

»Ich weiß über die Sackerty-Brüder Bescheid«, unterbricht ihn Chuck Starret. »Es gab noch mehr solcher Nester, in denen diese drei Burschen wie Despoten herrschten, weil die Bürger zu feige waren, ihre Schrotflinten zu nehmen und zu schießen. – Gehen Sie!«

Zuletzt wurde seine Stimme noch härter. Seine Geduld ist zu Ende. Er will allein sein, um seine Wunden wie ein einsamer Wolf zu lecken. Der Hotelmann geht wortlos. Und er denkt dabei: Das ist ein Revolvermann, ein Killer oder Kopfgeldjäger. Er war hinter den Sackerty-Brüdern als Rächer her, oder weil man ihn dafür anwarb oder weil er die Kopfgeldprämien verdienen wollte. Ich wette, dass es so ist. Dass er kam, war kein Zufall.

Während er die Treppe hinuntergeht, trinkt Chuck Starret drei Schluck aus der Flasche. Er scheint seinem Spiegelbild zuzuprosten, aber es ist keine Zufriedenheit in seinem Blick, eher eine bittere Gleichgültigkeit. Er wirkt wie ein Mann, dem der Sieg wenig Freude macht und gewiss keine Genugtuung bereitet.

Er denkt: Das konnte Rosy nicht wieder lebendig machen. Wozu also war ich länger als ein Jahr hinter diesen Schuften her? Jetzt sind sie tot, und in mir ist dadurch nichts besser geworden. Ich kann mich nicht einmal darüber freuen, dass ich am Leben blieb.

Er wendet sich um und will zur Tür, um sie abzuschließen. Doch da öffnet sie sich.

Eine Frau tritt schnell ein, schließt die Tür leise und lehnt sich von innen dagegen.

»Hallo, Chuck Starret!«, sagt sie leise. »Kann ich dir helfen?«

Er steht ruhig da und achtet nicht auf seine blutenden Wunden. Dann nimmt er nochmals einen Schluck aus der Flasche und nickt.

»Die Welt ist klein, Corinna Glendale. Und das Schicksal lässt oft die verrücktesten Zufälle geschehen. Dass ich dir hier begegnen würde... Wo ist George? – Ja, du könntest mir helfen. Du hast damals in Westport auch die Kugel aus meinem Bein geholt wie ein guter Doc. Damals, als...«

Er verstummt und legt sich mit der Flasche in der Hand auf das Bett.

Als erliegt, gießt er sich zwei tüchtige Schüsse Schnaps in die Wunden.

Er erträgt dann knirschend den höllischen Schmerz und sagt dann gepresst: »Du musst die Kugelzange gut desinfizieren. Und du musst tief in meine Schulter hinein. Die Kugel sitzt noch drin. – Mach schon, Schwester!«

Sie nickt. Es wird wirklich ein schweres Stück Arbeit für sie. Erst beim fünften Versuch bekommt sie die Kugel so fest in die Zange, dass sie ihr nicht mehr wegrutscht.

Chuck Starret ist nun doch bewusstlos geworden. Was er aushielt, war mehr, als ein harter Mann ertragen kann.

Corinna Glendale ist fertig, bevor er aufwacht. Auf die breite Furche über der Rippe klebt sie ein Pflaster, das die Wundränder zusammenzieht und ein Nähen der Wunde erübrigt. Auch die Schulterwunde ist versorgt.

Als Chuck Starret erwacht, lässt sie ihn noch einen Schluck trinken.

»Warum warst du hinter den Sackerty-Brüdern her?«, fragt sie ruhig und fügt hinzu: »Ich erkannte dich schon im Lichtschein vor dem Saloon. Und als du herauskamst, war ich mir völlig sicher. Du und George, ihr seid euch ähnlich wie Brüder.«

»Ich weiß«, murmelt er. »In Westport hielt man uns auch für Brüder. Deshalb bekam ich ja damals die Kugel ins Bein.«

Er grinst verzerrt.

»Ich war inzwischen verheiratet. Rosy war nicht viel anders als du. Wir hatten eine kleine Ranch im Tonto-Becken. Als ich Rosy drei Tage allein lassen musste, weil ich eine Rinderherde zum Verkauf ins Reservat trieb, kamen die Sackerty-Brüder auf meine Ranch. Sie töteten den alten Mexikaner, der allein bei Rosy war, und dann nahmen sie sich Rosy. Jetzt sind sie tot. Aber das nützt mir wenig. Verstehst du?«

Sie sieht ihn starr an und nickt.

Dann sagt sie langsam: »Auch George ist tot. Hast du gehört, Chuck Starret? George, der dir wie ein Bruder ähnlich sieht, liegt seit vier Stunden im Nebenzimmer tot im Bett. – Wir kamen vor drei Tagen mit der Post hier an. Die Sackerty-Brüder waren noch nicht da. Es schien eine sehr friedliche Stadt zu sein. Die Kutsche hatte eine Stunde Aufenthalt. Wir wollten zum Abendessen. Als George einmal nach draußen in den Hof ging, krachte ein Schuss. – Wir fanden George wie tot am Boden und brachten ihn in dieses Zimmer. Ich sandte einen Boten zum Doc nach Rincon. Er hätte schon gestern mit einer Postkutsche hier sein müssen...«

Sie verstummt und wartet, bis Chuck Starret alles verarbeitet hat. Dann sagt sie leise, doch zwingend: »Chuck, ich brauche deine Hilfe.«

»Das Leben ist verrückt«, murmelt er. »In diesem Hotel liegen zwei angeschossene Männer, die sich ähnlich sind wie Brüder. Und einer stirbt. Wir kennen uns aus alten Zeiten. Jetzt kommst du und möchtest Hilfe. – Was für Hilfe?«

Sie schluckt erst einmal.

Dann sagt sie: »Als ich damals mit George durchbrannte, enterbte mich mein Vater. Aber kurz vor seinem Tod hat er es sich überlegt. Ich wurde die Alleinerbin der Ranch. Mein Mädchenname ist Sherman. Ich erbte die Sherman-Ranch im Spanish Bit County.«

»Wie schön für dich«, murmelt Chuck Starret. »Und nun brauchst du meine Hilfe?«

»Man muss dich für meinen Mann George Glendale halten, bis wir seinen Mörder und dessen Hintermänner haben«, sagt sie hart. »Wenn du kräftig genug bist, holen wir George und legen ihn hier in dein Bett. Und wenn du reisefähig bist, setzen wir unsere Reise als Mann und Frau fort. Für die Leute hier wird es so aussehen, als wäre der Fremde, der hier die Sackerty-Brüder kleinmachte, an seiner Verwundung gestorben. Sie haben dich und auch meinen Mann nur flüchtig bei Lampenlicht gesehen. Natürlich müssen wir auch die Kleidung wechseln, und...«

»Langsam«, unterbricht er sie. »Wie es scheint, soll ich mich in ein höllisches Abenteuer stürzen.«

»Ja«, nickt sie. »Ich will meinen Mann rächen. Sie haben ihn getötet, damit ich ohne Hilfe bin. Aber wenn sie glauben, dass er noch lebt, werden sie noch mal auf ihn losgehen. Dann kennen wir seine Mörder und deren Hintermänner. So einfach ist das. Er war arglos, aber du bist gewarnt. Wir werden uns nicht noch einmal überrumpeln lassen. George hörte seinen Mörder noch einige Worte murmeln, die ihm klarmachten, dass man ihn zusammenschoss, weil es eine dumme Idee von ihm war, mich ins Spanish Bit County zu begleiten. – Kannst du mir noch folgen?«

»Lass mich noch einmal trinken«, verlangt er. »Und ich sage dir gleich, dass mir der Gedanke gefällt, dass der Mann, der die Sackerty-Brüder erschoss, sterben soll. Dann werden die vielen Freunde dieser drei Kerle nicht nach mir suchen. Verstehst du?«

Sie nickt. »Ja, du wirst dann wegen der Sackerty-Brüder keine Schatten auf der Fährte haben.«

Er trinkt wieder einen Schluck, und das Feuerwasser belebt ihn. Er weiß zu gut, dass die Sackerty-Brüder zu einer mächtigen Sippe gehören. Unter der sogenannten Wilden Horde besitzt diese Sippe viele Freunde, Helfer und Verbündete, die im ganzen Südwesten verbreitet sind. Dieser Clan und dessen Anhängerschaft werden von dem sagenhaften Old Bill Sackerty geführt. Er ist eine Macht in vielen Gebieten, der sich sogar die Gesetzes- und Bürgerschaftsvertreter unterwerfen.

Der Sackerty-Clan hätte auf Chuck Starret Jagd gemacht.

Aber wenn er nun in diesem Hotelzimmer offenbar an seiner Wunde starb, die einer der drei Brüder ihm beibrachte...

Chuck Starret braucht diesen Gedanken nicht weiter zu verfolgen.

Ja, es wäre gut!

Der Sackerty-Clan könnte nicht mehr nach Rache schreien.

Chuck Starret trinkt nochmals. Die Flasche ist fast schon leer. Er gießt noch etwas Schnaps auf den Schulterverband. Vielleicht wird es helfen, dass die Wunde sich nicht entzündet.

Dann sieht er Corinna an, die am Fußende des Bettes steht. Im Lampenschein betrachten sie sich.

»Du willst also kämpfen bis in die Hölle und zurück?«, fragt er. »Du möchtest dein Erbe antreten und glaubst, dass jemand dagegen ist. Du glaubst, dass man euch hier erwartete und George tötete, damit du allein und hilflos bist. Und du willst Georges Mörder und deren Hintermänner herausfordern?«

Sie nickt und nagt an der Unterlippe.

»Wenn George gewarnt gewesen wäre, so wie du es jetzt an seiner Stelle bist, Mister, wäre ihm das nicht passiert. Und ich glaube, du kannst noch besser für dich sorgen, als George es konnte. – Hilf mir! Ich gebe dir die Hälfte meines Erbes.«

»Ist es viel?«

Sie nickt. »Es lohnt sich bestimmt«, sagt sie.

Er schließt seine Augen. Sie kann erkennen, wie er sich entspannt und aus seinem Innern noch einmal Kräfte holt, um sie im rechten Moment einsetzen zu können.

Sie denkt: Er und George sind sich wahrhaftig so ähnlich wie Brüder. Und das nicht nur äußerlich, sondern auch als Kämpfer. Aber George war ein Spieler und Abenteurer, der auch mich zu einer Abenteuerin und Spielerin machte. Chuck Starret ist in dieser Beziehung anders. Er ist ein Revolverkämpfer, der nach einem festen Platz suchte. Er fand eine Frau und baute eine Ranch auf. George hätte niemals an einem Platz aushalten und Wurzeln schlagen können – nie! In dieser Beziehung sind sie verschieden.

Sie hat noch einmal die Bilder von damals vor ihren Augen. In Westport – das heute Kansas City heißt – war George beim Spiel unter ein raues Rudel geraten, das ihn nicht mit dem Spielgewinn abziehen lassen wollte.

Und dann war Chuck Starret zufällig hinzugekommen.

Jemand rief: »Das ist sein Bruder! Achtung, sein Bruder ist hinter euch!«

Dieser Schrei war wie ein Signal.

Denn die harten Burschen, die nicht verlieren konnten, zogen ihre Revolver und begannen zu schießen. Bevor Chuck Starret überhaupt richtig begriff, was geschehen war, hatte er eine Kugel im Bein.

Aber dann feuerte auch er.

Später im Hotelzimmer, als ihm Corinna die Kugel aus dem Bein holte, erklärte sie ihm alles.

Da hatte er nur gegrinst. Sie waren danach drei Wochen zusammen. Corinna, George, der ebenfalls verwundet worden war, und er. Sie trennten sich später als Freunde.

Jeder Fremde hielt sie wegen ihrer großen Ähnlichkeit für Brüder.

Corinna wusste damals, dass sie sich auch in Chuck Starret hätte verlieben können, wenn es nicht schon George gegeben hätte.

Sie denkt: Chuck ist ein Wolf geworden – ein einsamer, hinkender Wolf. Doch er kämpft jetzt noch gefährlicher als vorher. Er hat die Sackerty-Brüder erledigt und blieb am Leben. Er wird auch mir helfen und Georges Mörder bestrafen. Ich will, dass er an Georges Stelle mit mir kommt. Ich würde alles tun, damit er...

Sie bricht ihre Gedanken ab.

Chuck Starret öffnet die Augen und sieht sie lange an.

»Du hast deinen Mann verloren und ich meine Frau«, sagt er. »Das Schicksal hat uns mit viel Berechnung und Schläue zusammengeführt. Es ist, als hätte ein großer Medizinmann die verschiedensten Dinge auf eine Decke geworfen, um daraus etwas sehen und verkünden zu können. Denn ein paar der scheinbar unterschiedlichsten Dinge fielen dicht beieinander – du, George, ich und alles, was mit uns und unseren Problemen zusammenhängt. Es wird ein verteufeltes Stück Arbeit sein, George aus dem anderen Zimmer in dieses Bett zu bekommen. Ich kann mich kaum selbst auf den Beinen halten. Aber es muss wohl sein, dass wir es tun.«

»Ja, es muss sein«, sagt sie. »Wir sind hier oben die einzigen Hotelgäste. Es stört uns niemand. Und George wird uns alles verzeihen, wenn er vorerst als Chuck Starret beerdigt werden muss. Er würde es selbst so wollen, um uns eine Chance zu geben, seine Mörder zu finden. Und mein Angebot gilt wirklich: Die Hälfte meines Erbes an dich, Chuck, wenn ich es wirklich übernehmen kann und wir die Mörder von George erledigen.«

Er sieht sie an und erkennt die spröde Härte in ihren Augen. Er sieht diese Härte auch um ihre Mundwinkel.

Da sagt er: »Corinna, es wäre mir lieber, du könntest weinen wie eine normale Frau. Werde nur nicht zu hart, Mädchen. Denn eines Tages wirst du wieder eine Frau sein wollen, die imstande ist, Wärme, Liebe und Zärtlichkeit geben zu können. Du wirst dich vielleicht danach sehnen, in dieser Hinsicht reich zu sein. Denn das Leben geht weiter, und es kann so schön sein. Ich weiß das, denn ich verlor vor etwas mehr als einem Jahr meine Rosy. Das Leben geht weiter. Also verhärte nicht, sondern weine, damit du eines Tages wieder lachen kannst.«

Sie erwidert nichts. Sie sieht ihn nur stumm an.

Er erkennt in ihrem Gesicht keinerlei Zeichen von Zustimmung.

Wortlos hilft sie ihm aus dem Bett.

Dann machen sie sich daran, den toten George aus dem Nebenzimmer zu holen.

Er erwacht nach etwa zweiundzwanzig Stunden. Eine Weile liegt er mit offenen Augen da und müht sich, all das Verworrene, das er zuerst für Träume hält, zu ordnen und als Wirklichkeit zu erkennen.

Ihm fallen alle Einzelheiten wieder ein.

Aber er ist immer noch misstrauisch und würde sich nicht wundern, wenn sich doch noch alles als Fiebertraum erweisen sollte.

Seine Wunden schmerzen erträglich. Es ist kein hämmernder Schmerz, nur ein beständiges Ziehen. Er glaubt, dass sich nichts entzündet hat. Sonst würde der Schmerz mit dem Pulsschlag hämmern oder stechen.

Als er den Kopf wendet, sieht er Corinna neben sich im anderen Bett liegen.

Sie schläft.

Eine Lampe brennt schwach. Das rötliche Licht fällt auf Corinnas Gesicht und lässt es weich erscheinen.

Sie ist auf eine eigenwillige, etwas kühle Art schön, denkt er. Das Leben als Abenteuerin und Spielerin hat sie hart gemacht. Aber in ihrem Innern sind gewiss noch viele Dinge verborgen, die sie einst reichlich besaß. Lebensfreude, Leidenschaft, Wärme und die Ausstrahlung einer Vollblutfrau, die das Leben kennt, der nichts mehr fremd ist und die es dennoch herrlich findet, am Leben zu sein und sich behaupten zu können. Rosy war anders. Rosy war eine starke, beharrliche Kraft. Rosy brauchte einen festen Platz. Sie konnte einem Mann das Gefühl der Heimkehr zu guten Dingen geben. Corinna aber war die Gefährtin eines streunenden Wolfes.

Er sieht plötzlich, wie sie die Augen öffnet. Dann wendet sie den Kopf und sieht ihn an.

Sie hatte geschlafen, doch allein sein Blick und der Strom seiner Gedanken hatten sie geweckt. Sie besitzt ein feines Nervensystem.

Plötzlich lächelt sie ihm zu.

»Wie geht es dir, Chuck?«

»Recht gut«, murmelt er. »Nur kommt mir alles so unwirklich vor. Fast wie ein Fiebertraum.«

Sie erhebt sich. Im Nachthemd geht sie zum Tisch, dreht die Flamme höher und gießt aus einer Flasche roten Wein in ein Glas. Sie bringt es zu ihm ans Bett und setzt sich auf den Bettrand.

»Trinke«, sagt sie dabei. »Roter Wein schafft neues Blut, denke ich. Du hast eine Menge verloren.«

Er setzt sich langsam auf und lehnt seinen Oberkörper gegen Kissen und Kopfende. Er nimmt das Glas, trinkt und sieht Corinna wieder an.

»George?«, fragte er.

»Sie fanden ihn am vergangenen Nachmittag – tot. Sie hielten ihn wahrhaft für den Mann, der mit den Sackerty-Brüdern kämpfte. Ich ließ ihm alles, was dir gehörte, nur nicht deinen alten Armee-Ausweis. Aber ich hinterließ einige Zeilen auf einem Stück Papier, so dass sie glaubten, er hätte mit letzter Kraft noch schreiben könnten, was sie mit ihm machen sollen. Sie fanden auch genug Geld für eine ordentliche Beerdigung. Ich will ihn später unter seinem richtigen Namen umbetten und...«

Ihre Stimme versagt, und Chuck ist froh darüber. Denn nun erkennt er endlich, wie tief es sie schmerzt. Sie war nicht so kalt und beherrscht, wie sie äußerlich wirkte.

»Schon gut«, sagt er. »Nun musst du mich also George nennen, und ich gelte als dein Mann. Wir werden zusammenleben müssen wie Mann und Frau, Tag und Nacht. Wir werden uns in diese Rolle einleben müssen. Nur so können wir das Geheimnis sicher schützen. Denn eines ist dir doch klar, Corinna. Wenn die Bande – oder wer es sonst sein mag – erst herausbekommt, dass ich nicht dein Mann bin, werden sie gar nicht mehr versuchen, mich umzulegen. Dann genügt es, dich zu töten, Corinna. Denn ich kann dich nicht beerben, wie George es hätte tun können. Dann stehst du zuerst auf ihrer Liste.«

Er trinkt das Glas leer.

»Der Wein ist gut, Corinna«, sagt er ruhig.

Corinna starrt ins Leere.

»Wer mag es sein?«, fragt sie wie im Selbstgespräch. »Ich sollte allein und ohne Schutz sein. Ich, die Erbin der Sherman-Ranch, sollte den Dingen hilflos ausgeliefert sein, die ich bei meiner Heimkehr vorfinden werde. – Chuck, sie wollen etwas von mir, und sie wollen mich allein in die Hand bekommen.«

»Du musst mich George nennen«, sagt er. »So schwer es dir fallen mag, du musst deine Rolle spielen.«

Sie sieht ihn fest an.

»Ja«, sagt sie. »Wir sind Partner und Freunde. Und nichts wird uns voreinander fremd bleiben können. Ich bin bereit. Werde nur schnell genug gesund.«

»Leg mir meinen Colt geladen ins Bett«, verlangt er.

»Vielleicht haben sie schon erfahren, dass George, dein Mann, noch lebt. Vielleicht kommt bald jemand her, um es diesmal besser zu machen.«

Sie zuckt zusammen.

Dann bringt sie ihm seinen Colt.

Als er ihn griffbereit neben sich liegen hat, fühlt er sich besser.

Zwei Tage vergehen. Die beiden bleiben in ihrem Zimmer und lassen alles, was sie benötigen, heraufbringen. Chuck hatte beschlossen, seinen Stoppelbart zu einem kurzen Vollbart wachsen zu lassen. Der Hotelmann, der ihnen einmal selbst das Essen aufs Zimmer bringt, erkennt Chuck nicht als den Mann, der die Sackerty-Brüder niederkämpfte. Er bleibt noch einige Minuten neben dem Tisch stehen und sagt: »Wissen Sie, Mr. Glendale, dass der Mann, der im Nebenzimmer an den Wunden starb, die er von den Sackerty-Brüdern zugefügt bekam, Ihnen sehr ähnlich sah? Er hätte ein Bruder von Ihnen sein können.«

»So? Aber ich habe keine Brüder«, grinst Chuck. »Es gibt wohl immer wieder Ähnlichkeiten. Ich kannte zum Beispiel einen Mann in Flannaghan City, der dort einen Store führte. Dieser Mann hätte sogar Ihr Zwillingsbruder sein können.«

Der Hotelmann staunt. Er ist ein hässlicher Bursche, dürr, glatzköpfig und mit abstehenden Ohren. Er staunt, dass es auf dieser Welt noch so einen Burschen wie ihn geben soll.

»Ja, so ist das wohl«, grinst er schließlich. »Aber Sie werden doch nicht in meinem Hotel sterben wie Ihr Nachbar, nicht wahr? Sie sehen schon viel besser aus als damals. In diesem Land fliegen immer wieder Kugeln. Und wer Pech hat, fängt eine auf. Ich denke mir, dass ein Bandit Sie im Hof ausrauben wollte. Oder man hat Sie in der Dunkelheit verwechselt. So mancher Mann hat Schatten auf der Fährte. Hier ist alles noch jenseits von Recht und Gesetz. – Was sind wir hier in der Stadt froh, dass es die Sackerty-Brüder nicht mehr gibt. Zu deren Beerdigung war eine böse Horde von Verwandten, Freunden und Bekannten hier. Aber sie benahmen sich manierlich. Ein Glück, dass dieser Fremde, dessen Namen man als Chuck Starret feststellen konnte, an seinen Wunden starb, sonst hätten sie ihn gewiss getötet. – Na, ich will nicht länger stören.«

Der Mann ist ein gerissener Bursche mit flinken Augen, denen nichts entging.

Trotzdem hatte er Chuck Starret nicht erkannt, sondern ihn für George Glendale gehalten.