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Die Wachtposten im Marmor-Steinbruch hatten mich entdeckt. Mündungsfeuer blitzten durch die Nacht. Ich glitt am Rand des Abgrunds entlang. Eine Kugel brannte wie ein Peitschenhieb über meinen Rücken.
Ich fand eine Marmorplatte und nutzte sie als Schild. Kugeln krachten gegen die Steinplatte. Ich spürte den Aufprall stark in den Armen, aber die Platte hielt stand.
Ich setzte alles auf eine Karte und lief gegen den Bleihagel an. Ich musste es schaffen. Denn ich war die einzige Hoffnung für die unschuldig Verurteilten im Steinbruch. Sie hatten alle Chips auf mich gesetzt ...
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Seitenzahl: 188
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Impressum
Alle Chips auf Cash
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0815-9
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Alle Chips auf Cash
An Zane Whitlocks Träume glaubten wir. Denn stets war unterwegs auf dem langen Trail von Texas nach Abilene alles eingetroffen, was er zuvor geträumt hatte, mochte es sein, was es wollte, also gut oder böse. Wir glaubten nun, dass er in seinen Träumen hellseherische Fähigkeiten entwickeln konnte.
Wir – nun, das waren außer Zane Whitlock noch Butsh Greene, Lin Hacket und ich, Adam Cash. Ja, das ist Name: Adam Cash. Von unserem Hotelzimmerfenster aus konnten wir hinüber zum Mietstall mit den weitläufigen OK-Corrals blicken. Und über der Einfahrt hing ein großes Schild. Da wir alle scharfe Augen hatten, konnten wir lesen, was da geschrieben stand:
Wer reitet Widowmaker? Jede Wette wird angenommen!
In den Corrals konnte man den schwarzen Hengst umherlaufen sehen. Und an den Corralstangen standen viele Neugierige, die wahrscheinlich auch Wetter waren.
Ich stand noch vor dem Spiegel und kämmte mein nasses und dunkles Indianerhaar mit einem neuen Kamm, als ich Zane Whitlock vom Fenster her sagen hörte: »Ich habe es geträumt. Ja, ich sah es deutlich in meinem Traum, dass Adam dieses Biest reiten konnte. Er blieb die verlangte volle Minute im Sattel – und zuletzt wurde der Hengst ganz zahm unter ihm. Ich sah es in meinem Traum.«
Er verstummte mit scheinbar gleichgültiger Stimme, in der aber dennoch jener Klang war, der zur Versuchung reizte. Denn da er uns von seinem Traum erzählte, hatte er ja einen Köder ausgelegt, den wir gewiss nicht meiden konnten.
Butsh Greene begann auch sofort zu fluchen.
»Verdammt, Zane«, sagte er, »jetzt hast du einen ganzen Sack voller Flöhe über uns ausgeschüttet. Verstehst du?«
»Nein«, sagte Zane Whitlock, »das verstehe ich nicht. Erkläre es mir.«
»Flöhe beißen«, erwiderte Butsh Greene. »Und was du uns soeben sagtest, dass Adam diesen Witwenmacher reiten könnte, wird auch uns beißen, stechen, jucken. Denn es könnte die große Chance sein, mit einem Schlag unser Vermögen zu verdoppeln. Aber wenn du dich in deinem Traum geirrt haben solltest, sind wir wieder Satteltramps und haben vier lange Monate umsonst Rinder von Texas nach Kansas getrieben. Kapiert, mein Sohn?«
Zane Whitlock gab keine Antwort.
Dafür fragte Lin Hacket: »Warum sollte er diesmal falsch geträumt haben, dieser Indianer? Haben seine Träume nicht immer gestimmt? Bin ich nicht im Cimarron fast ertrunken? Und hat Adam mich nicht herausgezogen? Haben seine Träume nicht immer gestimmt?«
Wir nickten nachdenklich.
Dann aber brachte Butsh Greene ein Argument, welches nicht so einfach wegzuwischen war. Er sagte nämlich: »Sicher, er hat immer geträumt wie ein alter Hellseher, wie sein Vater, der ein Medizinmann der Comanchen war...«
»Mein Großvater«, unterbrach ihn Zane Whitlock. »Ich bin kein halber, sondern ein Viertel-Comanche. Ich will nicht mehr Ehre besitzen, als ich verdiene.«
»Na gut«, nickte Butsh Greene, »du bist also nur ein Viertel-Comanche. Aber deine hellsichtigen Träume hast du gewiss von deinem Opa, der ein Medizinmann war. Und dabei hat er einen Haken.«
»Welchen?« Wir fragten es dreistimmig, ja, auch ich. Denn nun waren wir alle neugierig.
Er grinste und zeigte auf Zane Whitlock.
»Er war diese Nacht betrunken«, sagte er. »Als wir heute zwischen Mitternacht und Morgen hier in dieser Bruchbude in die Betten krochen und zu schnarchen begannen, waren wir alle wie tausend Mann betrunken. Und wer weiß, ob ein betrunkener Viertel-Comanche noch so sauber träumen kann wie ein nüchterner unterwegs auf dem Trail, nicht wahr? Das möchte ich zu bedenken geben, meine lieben Söhne.«
Wir nickten. Denn das leuchtete uns ein.
Dennoch steckte jetzt die Versuchung in jedem von uns. Es war wirklich so, dass es uns biss, stach, juckte, wie wenn man einen Sack voll Flöhe über uns ausgeleert hätte.
Nun betrachteten meine drei Partner mich.
Wir waren Freunde geworden unterwegs auf dem Trail. Innerhalb einer harten Treibmannschaft hatten wir sozusagen den harten Kern gebildet, waren die Männer gewesen unterwegs, auf die es ankam. Ohne uns hätte es die Herde nicht geschafft. Denn es gab unterwegs eine Menge Verdruss und Schwierigkeiten.
Ich erwiderte die Blicke meiner drei Freunde.
»He, ihr wollt doch wohl nicht all eure Chips auf mich setzen?« So fragte ich grinsend. »Das täte ich nicht an eurer Stelle. Da muss ich euch aber warnen.«
Sie grinsten zurück.
Dann sagte Zane Whitlock: »Gehen wir hinüber und sehen wir uns das Biest mal aus der Nähe an. Und wenn Adam uns dann sagt, dass er den Witwenmacher reiten kann, dann wette ich auf ihn alles, was ich habe. Denn ich glaube an meine Träume, auch wenn ich sie betrunken vor meinen Augen sehe. Verstanden?«
Wir alle nickten.
Und dann gingen wir.
Fünf Minuten später standen wir an den Corralstangen und sahen uns den Burschen an, den sie »Widowmaker« nannten, was ja schlicht und deutlich Witwenmacher hieß.
Nun, so sah er auch aus.
Er war ein Teufelsbiest mit schielenden Augen, in denen das Weiße blitzte. Und immer wieder zeigte er böse die Zähne, hob seine Oberlippe wie ein knurrender Wolf.
Er war ein riesiges Pferd von etwa dreizehnhundert Pfund, und er wirkte dabei nicht mal massig, sondern leicht und geschmeidig wie ein Wildkater. Er war ein Kämpfer. Wahrscheinlich hatte er einmal als King eine ganze Wildpferdherde angeführt und die Auswahl unter den herrlichsten Stuten gehabt, die ihm kein anderer Hengst streitig machte. Ich sah auch einige Narben an seinem Körper. Ja, er hatte gekämpft mit Artgenossen, mit Pumas und Wölfen – und sicherlich auch mit Menschen.
Einen Moment sah er mich an, so als spürte er instinktiv, dass ich unter all den vielen anderen Zuschauern jener Bursche war, der es mit ihm aufnehmen wollte.
Denn ich traute mir zu, ihn zumindest die eine verlangte Minute reiten zu können. Ich dachte an meine vierhundert Dollar, die ich noch besaß. Ja, ich glaubte, dass ich ihn reiten und mein Geld verdoppeln konnte. Doppelt oder nichts, so wollte ich es wagen. Denn eigentlich konnte ich bisher alles reiten, was vier Beine hatte.
Dieser schwarze Bursche dort konnte mich nicht schlagen.
Zane Whitlocks Traum war gar nicht so verrückt oder gar vermessen.
Meine drei Partner sahen mich an.
Ich nickte.
Butsh Greene fragte: »Und wie viel setzt du auf dich selbst?«
»Alles, was ich habe«, erwiderte ich.
Sie sahen mich sorgfältig an und erkannten die Zuversicht in meinen Augen. Sie wussten auch längst, dass ich kein Großmaul war und niemals übertrieb.
»Aber natürlich ist ein Risiko dabei«, sagte ich warnend. »Weint nur nicht, sollte ich verlieren und würdet ihr dann eure Einsätze loswerden. Vielleicht sollte keiner von euch mehr als zehn Dollar auf mich setzen.«
Sie grinsten. Und sie glaubten an mich. Sie kannten mich. Unterwegs auf dem Trail war unsere Longhorn-Herde in Stampede geraten. Mein Pferd war gestürzt, und eigentlich hatte ich keine Chance mehr gehabt. Aber ich hatte mich auf einen der Leitstiere geschwungen und mich sofort wie ein Klammeraffe an seinen Hörnern festgehalten. Der halbwilde Longhorn-Stier hatte mich aus der Stampede getragen.
Ja, ich konnte alles reiten.
Und deshalb grinsten sie über meinen Vorschlag.
Zane Whitlock sagte: »Quatsch! Zehn Dollar, hahaha! Wenn du alles auf dich setzt, dann kneife ich nicht.«
»Und wir auch nicht«, sagten Butsh und Lin zweistimmig wie einstudiert.
Ein Mann kam zu uns. Er sah aus wie ein Eisenbahn-Präsident, ein Bankier oder sonst wie sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Seine Weste war ein Gedicht aus Brokat, und an seiner goldenen Uhrkette hingen Goldmünzen. In seiner Krawatte steckte eine Brillantnadel. Oha, er machte etwas her.
Und er kam gönnerhaft, so als wollte er uns den größten Gefallen erweisen, den man sich nur denken konnte.
Er fragte, wobei er seine dicke Zigarre aus dem dicklippigen Mund nahm: »Nun, Gentlemen? Sie sehen alle so aus, als könnten Sie etwas wagen. Ja, wenn ich Sie so Mann für Mann betrachte, dann...«
»Schon gut, Mister«, unterbrach ihn Lin Hacket trocken. »Wenn Sie ein so guter Menschenkenner sind, dann müsste Ihnen auch klar sein, dass es wenig Sinn hat, uns süßen Schaum um die Backen zu schmieren. He, Mister, halten Sie wirklich jede Wette? Sie sind doch der Boss dieser Veranstaltung, nicht wahr?«
»Mein Name ist Goulden, James Goulden«, sagte er, »und ich bin natürlich interessiert, möglichst hohe Wetten abzuschließen. Denn ewig hält selbst solch ein wilder Hengst das nicht aus. Dann muss ich mich wieder anderen Geschäften zuwenden. Es haben sich schon drei Mann gemeldet, welche Widowmaker reiten wollen. Aber den Vorrang erhält der Mann mit dem höchsten Einsatz. Der Hengst wird jeden Tag nur einmal geritten. Das ist doch fair, nicht wahr? Bis jetzt steht der Einsatz auf zweihundert Dollar. Wer mehr einsetzt, kann reiten. Wollen Sie? Ich meine, will einer von Ihnen?«
Ich sah ihn an, und er gefiel mir immer weniger.
Oha, er war eiskalt und hartgesotten. Obwohl er sich hinter Höflichkeit und einer Behäbigkeit tarnte, welche auf den ersten Blick sehr duldsam und gemütlich wirkte, war er so gefährlich wie ein Javelinas-Eber, welcher Blut wittert.
Ich sah auch die beiden Typen hinter ihm. Auch da kannte ich mich aus. Das waren Revolverhelden, Leibwächter. Letzteres war aber einigermaßen verständlich.
Denn wenn er jede Wette hielt, musste er auch eine Menge Bargeld bei sich haben.
Er wollte sich abwenden.
Da sagte Zane Whitlock: »Alle Chips auf Cash!«
Und Butsh Greene und Lin Hacket nickten.
Sie holten ihr Geld hervor. Auch ich tat es. Dann warfen wir es in Zane Whitlocks Hut. »Es müssen an die sechzehnhundert Dollar sein«, sagte ich zu James Goulden. »Ob heute noch jemand eine höhere Wette anbieten wird?«
Er schüttelte den Kopf.
»Kaum«, erwiderte er. »Aber gestern war auch eine ganze Treibmannschaft hier, wählte ihren besten Reiter und setzte insgesamt siebenhundertsiebenundfünfzig Dollar. Nun, wir können anfangen, sobald ich dieses Geld gezählt habe und Ihnen quittieren konnte.«
Er ging davon. Butsh und Zane folgten ihm, um unser Geld nicht aus den Augen zu lassen. Denn dies trug er nun selbst in Zanes Hut.
Lin Hacket blieb bei mir. Wir betrachteten den Hengst, und wir konnten dem Tier anmerken, dass es instinktiv alles richtig witterte und genau Bescheid wusste.
Er sah zu mir her, als hätte ihm jemand verständlich machen können, dass ich der Mann sein würde, der es mit ihm versuchte.
Er wandte sich mir gänzlich zu, kam einige Schritte näher und schob seinen Kopf vor, schnaubte und hob die Oberlippe, zeigte seine Zähne.
Ja, er wusste jetzt schon Bescheid. Sein Instinkt war der eines Wildhengstes, der eine Herde führte.
Inzwischen hatten sich fast alle anderen Zuschauer in unsere Nähe gedrängt. Ein Mann fragte laut: »He, Cowboys – wer wird ihn reiten?«
Lin Hacket deutete mit dem Daumen zur Seite auf mich.
»Er«, sagte er. »Und wir kennen ihn gut genug. Wir setzen all unsere Chips auf Cash. Adam Cash vom Brazos reitet für uns.«
Sie betrachteten mich alle, schätzten mich ab, und die meisten von ihnen waren Kenner, was Männer, Reiter und Pferde betraf.
Dann drängten sie hinüber an den Tisch, welcher drüben an der Stallwand aufgestellt war. Dort wurden die Wetten angenommen.
Bis auf wenige Zuschauer, welche nicht wetten wollten und die sich auch wieder etwas zurückzogen, waren Lin Hacket und ich eine Weile allein.
Ich betrachtete immer noch den schwarzen Hengst – und ich wusste, dass er meine Ausstrahlung oder Strömung auffing. Er witterte fortwährend zu mir her, drehte die Ohren und legte sie immer wieder flach an wie ein tückischer Hund.
Lin sagte: »Du wirst es schon machen. Wenn du gewinnst, kehren wir als reiche Leute nach Texas zurück.«
Er übertrieb wahrhaftig nicht.
In Texas war ein einziger Dollar riesengroß. Da konnte man sich eine Menge für einen einzigen Dollar kaufen.
Für vierhundert Dollar bekam man schon eine kleine Ranch, die man vergrößern konnte, weil man ja von der Bank so viel Geld bekam, wie man Eigenkapital hatte.
Und wenn man mit achthundert Dollar nach Texas heimkehrte, konnte man schon ziemlich groß anfangen.
So war das. Ich dachte bei mir: Wenn ich diesen Hengst schaffe, sind wir fein raus – wir alle. Dann sind wir bald schon Rancher, die in einigen Jahren ihre eigene Herde zur Kansasbahn treiben. – Ay, ich muss es schaffen!
Drinnen im großen Corral begannen nun die Vorbereitungen.
Drei Reiter nahmen den Hengst in ihre Mitte. Einer warf ihm das Lasso über den Kopf. Und der Hengst kämpfte nicht. Nein, er ließ alles mit sich geschehen. Er wehrte sich auch nicht, als man ihm den Sattel auflegte.
Aber ich sah sein vibrierendes Zittern. Es war, als zitterte er wie ein Mensch vor Kälte, als liefen Schauder durch seinen Körper.
Aber er kämpfte nicht.
Ja, er war klug. Er hatte längst begriffen, dass er gegen ein Lasso keine Chance hatte, auch nicht gegen die ihn einkeilenden Reiter. Und der Sattel tat ihm vorerst noch nichts.
Er wusste genau, dass er seine Chance bekommen würde, wenn der Reiter auf seinem Rücken saß.
Dann gab es kein Lasso mehr, griffen auch die Reiter nicht ein. Wenn der Reiter auf ihm saß, konnte er kämpfen.
Das wusste er genau.
Denn dieses harte Spiel machte er ja wohl schon eine ganze Weile mit.
Er wartete also.
Und auch ich machte mich bereit.
Meinen Waffengurt gab ich Lin.
Die Jacke warf ich über die Corralstange. Und auch die Sporen schnallte ich ab. Das war stets Bedingung bei solchen Wettkämpfen. Die Tiere würden sonst von all den Reitern, mit denen sie kämpfen mussten, verletzt werden.
Butsh und Zane kamen zurück. Zane sagte: »Alles in Ordnung.«
Ich kletterte durch die Corralstangen.
Die Reiter nahmen den Hengst wieder in ihre Mitte. Ich kletterte hinter einen der Reiter und dann von dessen Pferd hinüber.
Als ich im Sattel saß, da spürte ich sogleich die Pulverladung unter meinem Hintern. Ja, dieser Hengst war wie ein Pulverfass, an dem schon die Lunte brannte.
Gleich – wenn die Reiter ihn freigaben – würde er wie eine Sprengladung explodieren. Ich spürte es sofort.
Und plötzlich wusste ich, dass ich noch niemals solch ein Tier geritten hatte. Denn es war noch etwas anderes zu spüren.
Hass!
Ich war einen Moment erschrocken. Dieses Schnauben und Schnaufen, ja, es war ein Hass, wie man ihn bei einem Tier niemals erwarten konnte – und schon gar nicht bei einem Pferd.
Aber was erwartete ich denn eigentlich von einem Pferd, welches immer wieder mit Reitern kämpfen musste, so dass es kein Ende nahm? Er konnte noch so viele besiegen, immer wieder und wieder – es kamen stets neue.
Dieser Hengst war eine gefangene Kreatur, die um ihre Freiheit kämpfte, sich nicht unterkriegen lassen wollte. Denn es ist wohl das Recht einer jeder Kreatur, frei sein zu dürfen.
So dachte ich nun mal, und ich dachte nicht nur deshalb so, weil ich ein Texaner war und weil wir Texaner einst gegen einen Tyrannen um die Freiheit kämpften und eine Republik wurden, bevor wir uns den Staaten von Amerika anschlossen.
Unsere Vorväter hatten bei Alamo gegen Santa Anna gekämpft – einhundertfünfundachtzig Mann gegen siebentausend.
Auch dieser Hengst hier kämpfte gegen eine Übermacht von Feinden – immer wieder und wieder.
Ich bedauerte plötzlich meinen Entschluss.
Aber ich konnte nicht mehr zurück.
Ich musste ihn reiten.
Meine Partner hatten all ihre Chips auf mich gesetzt, wie man so sagte. Und auch ich würde vierhundert Dollar ärmer sein, sollte ich verlieren.
Verdammt noch mal, warum hatte ich mich auf diese Sache eingelassen?
Dies fragte ich mich, indes ich im Sattel saß und nun alles, was in diesem Tier war, intensiver spürte.
Er tat mir leid, aber es gab kein Zurück mehr. Ich musste mit ihm kämpfen. Ich musste gewinnen. Es hing zu viel für uns davon ab.
Er nahm sich Zeit. Es war, als müsste er seinen Hass erst noch auf den Höhepunkt steigern, müsste auch in mich fühlen und mehr von mir spüren. Denn wir waren ja eine ganz enge Verbindung eingegangen. Ich saß auf seinem Rücken, hatte die Beine um ihn geklemmt, spürte ihn in den Zügeln.
Aber dann ging es los!
Wahrhaftig, es war wie eine Explosion. Er sprang aus dem Stand in die Luft, als wollte er die Sonne beißen.
Und er landete auf der Vorderhand, machte fast eine Art »Handstand« auf den Vorderhufen wie ein Mensch auf seinen Händen. Fast überschlug er sich.
Und fast hatte er mich schon geschlagen.
Ich umklammerte seinen Hals, und das Sattelhorn stieß in meine Magenpartie. Wenn er noch einen Sekundenbruchteil länger hätte so verharren können, wäre ich geflogen, so sehr ich ihn auch mit meinen Beinen umklammerte.
Aber es ging vorbei. Als er wieder auf alle vier Hufe kam, saß ich bald fest im Sattel. Er drehte sich wie ein Kreisel, hielt jäh inne und drehte sich in die entgegengesetzte Richtung. Er sprang mit steifen Beinen hoch und landete steif, so als wären seine Beine unelastische Holzstelzen.
Heiliger Rauch, was musste er aushalten können! Dieses Stauchen musste ihn ja selber nicht weniger kaputt machen wie jeden seiner Reiter.
Dies konnte auf die Dauer kein Pferd durchhalten.
Mir ging es schlecht.
Denn nachdem er mich zusammengestaucht hatte, dass es kein Wunder gewesen wäre, wenn ich nur noch halb so groß wie vorher war, begann er sich am Boden zu wälzen.
Dabei schnaubte er und stieß Töne aus, die fast menschlich klangen, nur sehr viel lauter, gewaltiger, wilder – und schmerzvoller.
Ja, es waren Laute des Schmerzes. Ich begriff es plötzlich trotz meiner Not. Denn ich musste aus dem Sattel und mit den Füßen aus den Steigbügeln. Ich musste neben ihm bleiben, obwohl er sich wie verrückt wälzte, so als wollte er nicht nur mich, sondern auch den verdammten Sattel von seinem Rücken streifen.
Und als er dann aufsprang, musste ich mich auf ihn schnellen.
Das klappte gut. Ich kam mit einem wilden Comanche-Sprung in den Sattel und fand auch sofort die Steigbügel. Das war mein Glück. Denn ohne den Steigbügelhalt hätte er mich jetzt beim Herumwirbeln abwerfen können.
Aber ich blieb oben.
Verdammt, wie lang war eine Minute? Ich kämpfte doch schon eine Ewigkeit mit ihm. Bald musste doch der Pfiff tönen, der das Ende der Minute ankündigte. Oha, dann würde ich von diesem Teufel springen wie eine Fliege von einer knallenden Peitschenschnur-Spitze.
Aber der Pfiff kam nicht.
Und plötzlich machte der Hengst nicht nur einen »Handstand« auf seinen Vorderhufen und nahm seinen Kopf zwischen die Beine – nein, das war ihm noch nicht genug.
Er überschlug sich und krachte auf seinen Rücken.
Natürlich saß ich schon nicht mehr im Sattel. Ich hatte keine andere Wahl. Ich musste mich von ihm werfen.
Und als er aufsprang, kam sein zweiter großer Trick. Er drehte sich aufspringend so, dass ich nicht in den Sattel kam. Seine Nase rammte gegen mein Brustbein, und ich fiel nach hinten, krachte in den Staub.
Ich war geschlagen.
Und wenn die Reiter nicht eingegriffen hätten, wäre er auch noch auf mich losgegangen in wilder Wut. Ja, er wollte mit den Vorderhufen auf mich nieder. Ich rollte mich weg – und dann waren die Reiter bei ihm. Eine Lassoschlinge legte sich um seinen Hals.
Und sofort war er ruhig. Oh, er wusste zu gut, dass ihn das Lasso von den Hufen reißen und ihm die Luft abschnüren würde.
Er war wieder ganz bewegungslos – nur sein schnaufendes Atmen, sein Vibrieren und Zittern am ganzen Körper – und der Schweiß auf seinem Fell, dies allein verriet noch, in welch rasender Tätigkeit er sich befunden hatte.
Ich kam auf die Beine und taumelte zu den Corralstangen hinüber, bückte mich hindurch und lehnte von außen meinen Rücken dagegen. Ich hatte verloren.
Und erst jetzt kam mir zu Bewusstsein, dass wir alle unser Geld verloren hatten, für welches wir mehr als vier Monate Rinder trieben, den ganzen langen, verdammten, höllischen Weg von Texas herauf.
✰
Außer meinen drei Freunden und mir selbst hatten auch noch zwei oder drei Dutzend Zuschauer auf mich gewettet.
Und keiner machte mir einen Vorwurf – keiner.
Ein krummbeiniger Herdenboss aus dem Laredo-County, dessen Herde vor unserer wanderte und mit dessen Mannschaft zusammen wir unterwegs am Canadian gegen eine Horde Stampeders kämpften, nickte mir zu. Er sagte: »Texasboy, du hast gut gekämpft. Besser kann kein Mann auf einem Wildhengst kämpfen. Dieser Bursche da ist nicht zu schlagen. Von keinem Reiter der Welt!«
Er sprach den letzten Satz in vollster Überzeugung.
Und alle anderen nickten. Dann löste sich der dichte Halbkreis. Sie gingen davon. Ja, sie hatten Geld verloren. Nur wenige der Zuschauer setzten auf den Sieg des Hengstes.
Ich sah über die Schulter zurück in den Corral.
Da stand er, dieser Teufel, der mich besiegt hatte. Man hatte ihm wieder den Sattel abgenommen.
Bis morgen hatte er Pause.
Morgen musste er wieder kämpfen.
Er tat mir leid.
Ganz ruhig stand er da und wirkte wie erlöst. Man sah ihm jetzt Erschöpfung an. Und er schien wie von Schmerzen erlöst zu sein. Denn nichts mehr vibrierte und zitterte unter seinem glatten Fell, in dem einige Narben schimmerten.
Ich wandte mich meinen drei Partnern zu.
»Tut mir leid«, sagte ich, »dass ich für euch eine Niete war. Aber dieser Bursche da ist das erste Pferd, welches ich nicht reiten konnte.«
Sie nickten. Ja, sie waren ernst. Denn der Verlust des Lohnes von mehr als vier Monaten Arbeit saß ihnen in den Gliedern. Aber sie machten mir keine Vorwürfe. Im Gegenteil. Lin Hacket sagte: »Diesen Teufel kann kein Mensch reiten, und selbst wenn man einen Reiter auf dem Sattel festbinden würde, müsste man ihn nachher tot herunterheben. Der hat sich wahrhaftig überschlagen und gewälzt. Und habt ihr dann seinen Trick beim Aufspringen gesehen?«
Wir nickten.
Dann suchten wir wortlos und wie auf ein stillschweigendes Einverständnis in unseren Taschen nach losem Kleingeld.
Ich brachte sieben Dollar zum Vorschein.
Meinen Freunden ging es ähnlich. Wir besaßen zusammen keine vierzig Dollar mehr, und das würde gerade reichen, um unser Hotelzimmer und die Schulden im Mietstall zu bezahlen, in dem unsere Pferde standen.
Wir waren Satteltramps geworden, die sich einen Job suchen mussten, wenn sie in den nächsten Tagen nicht hungern wollten. So war das also.
Jener James Goulden kam mit seiner dicken Zigarre herbei. Er paffte zufrieden, und das konnte er ja wohl auch sein.
Der Hengst hatte ihm heute eine Menge Geld gewonnen, allein von uns schon sechzehnhundert Dollar.
Er hielt vor uns an. Unter seiner offenen Jacke hatte er seine Daumen in die Ärmellöcher seiner Brokatweste gehakt. Er wippte auf seinen Plattfüßen.
Und er sagte: »Gut geritten, Cowboy! Fast hätten Sie gewonnen – fast!