G. F. Unger Sonder-Edition 207 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 207 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Als Bill Ivey im Sterben lag, leisteten ihm seine vier Söhne einen heiligen Schwur: Sie würden, um die Fehde mit den Kingsleys zu beenden, die Heimatweide verlassen und mit ihrer Herde nach Oregon ziehen.
Die Ivey-Brüder hielten sich an das Wort, das sie ihrem Vater gaben, dennoch ging die Fehde weiter. Denn der Hass der Kingsleys war abgrundtief ...


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Seitenzahl: 234

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Impressum

Sei gut, Cowboy

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Manuel Prieto / Norma

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0816-6

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Sei gut, Cowboy

Sie reiten langsam durch die Nacht, denn der bärenstarke und riesenhafte Rock Ivey hält den sterbenden Vater in seinen Armen. Zwei Stunden schon! Und der alte Bill Ivey ist ein schwerer Mann. Aber Rock hält ihn in seinen Armen, als wäre der alte Bill nur ein leichtgewichtiger Knabe. Das Pferd unter ihnen keucht, obwohl sie langsam reiten, denn Rock und sein Vater wiegen zusammen vier Zentner.

Und an der Spitze des Zuges reitet Bruce Ivey. Er hängt schief im Sattel, denn er ist ebenfalls verwundet. Aber er führt dennoch den kleinen Trupp durch die Nacht, er, der die feinen und manchmal wilden Instinkte eines Indianers besitzt.

Und links von Rock reitet Ring Ivey, des Alten ältester Sohn, der große blonde, sehnige Ring. Im matten Sternenlicht glänzt manchmal sein nackter Oberkörper, denn er hat das Hemd ausgezogen, um dem Vater einen Notverband anzulegen.

Und auf der rechten Seite reitet Oliver Ivey. Die Umrisse seiner Gestalt sind klein. Er bewegt sich schnell. Unaufhörlich flucht er vor sich hin.

So reiten sie durch die Nacht, denn ihr Vater will im eigenen Bett sterben – er will das schaffen, was viele Iveys nicht konnten: im eigenen Bett und ohne Stiefel an den Füßen sterben.

Und als sich ein heller Keil am Osthimmel zeigt und das rote Licht einer brennenden Ranch im Süden erlischt, da erreichen sie ihre eigene Rauch – die kleine I-im-Kreis, die nie groß werden konnte, weil die Iveys seit zwei Generationen mit den Kingsleys im erbitterten Krieg leben, weil zwischen den Iveys und den Kingsleys eine erbarmungslose Fehde besteht, die stets vom Vater auf die Söhne übergeht.

So ist es!

Sie reiten in den kleinen Rauchhof hinein.

Bruce gleitet aus dem Sattel. Er hinkt auf das Ranchhaus zu. Im Sternenlicht glänzt der Lauf seines Colts. Die Tür des Blockhauses knarrt. Dann schimmert bald das gelbe Licht einer Petroleumlampe durch die Fenster.

»All right«, brummt die Stimme Rings. Er und Oliver gleiten nun ebenfalls aus den Sätteln. Sie wollen an Rocks Pferd herantreten, um dem Riesen den Vater abzunehmen, aber Rock treibt sein gelbes Pferd an die Veranda. Dort steigt er mit der schweren Last vom Pferd, als verließe er einen Barhocker. Seine großen Füße stapfen über die Veranda. Er quetscht sich mit dem leicht stöhnenden Vater durch die offene Tür und durchquert den Wohnraum. Bruce folgt ihm mit der Lampe. Im Schlafraum legt Rock den Vater auf das primitive Bett.

Bruce stellt die Lampe auf den kleinen Tisch, auf dem neben einer langen Tabakspfeife eine alte Bibel liegt. Dann treten sie alle vier näher und umgeben schweigsam das Bett des sterbenden Bill Iveys.

Sie wissen, dass es für den Vater keine Rettung mehr gibt. Die Kugel hat Bill Iveys Magen zerfetzt. Er muss einen qualvollen Tod sterben. Es ist wahrhaftig ein Wunder, dass er den Ritt überstanden hat und überhaupt noch am Leben ist.

Schweigend stehen sie da.

Ring Ivey steht am Fußende des Bettes. Er sieht starr in das schon vom Tode gezeichnete Gesicht des Mannes, der sein Vater ist.

Bruce und Oliver Ivey stehen rechts neben dem Bett. Auch sie starren auf den Vater.

Rock steht auf der linken Seite, dicht neben dem Kopf des Alten. Er wischt dem Vater immer wieder den Schweiß aus dem Gesicht und das Blut von den Lippen.

Nach einigen Minuten öffnet Bill Ivey die Augen. Sie sind klar. Man erkennt, dass sein Verstand noch in Ordnung ist. Aber sie drücken eine Menge Dinge aus – nicht nur Schmerz.

Dann bewegt sich sein weißer Spitzbart, und seine heisere Stimme sagt gepresst: »Die Stiefel, Ring.«

Mit vorsichtigen und langsamen Bewegungen zieht Ring dem Alten die abgenutzten und geflickten Stiefel von den Füßen und stellt sie vorsichtig auf den Boden.

Als er sich aufrichtet, sieht ihn der Vater immer noch an und sagt ganz plötzlich heiser: »Du bist jetzt der Boss der Iveys, Ring.«

Bei jedem Wort tritt dunkles Blut auf seine Lippen und färbt seinen Bart.

»Yeah, Dad – ich bin der Boss«, sagt Ring sanft. Seine breiten Schultern zittern leicht, seine rauchgrauen Augen werden schmal und sein kühnes Gesicht bekommt einen verschlossenen und abweisenden Ausdruck. Er sieht plötzlich wie ein Mann aus, der einen bestimmten Befehl erwartet, den er nur ungern ausführen würde.

Die alten Augen des Sterbenden beobachteten ihn.

Stoßweise kommt die heisere und gepresste Stimme.

»Yeah... ich weiß genau... was du denkst, Ring! Und ich bin... deiner Meinung. Diese Fehde... ist Selbstvernichtung... sie ist... Ah, ich musste damals meinem sterbenden Vater mein Wort geben, dass ich die Kingsleys hassen und... sie töten würde, wo ich sie nur zu Gesicht bekäme. Ich, Bill Ivey, ich habe mein Wort gehalten. Und ich habe zwei Söhne dabei verloren... und meine Frau. Und ich habe jeden Tag diese Fehde verflucht... glaubt es mir, Söhne, glaubt es mir! Und deshalb... will ich von euch ein anderes Versprechen: Wenn ihr mich begraben habt, so... verlasst ihr... mit unserer kleinen Herde das Land! Hört ihr? Ihr verlasst diese schlechte Weide. Dann treibt ihr die Rinder... tausend Meilen weit... bis nach Oregon. Und dort beginnt ihr neu! Ich will es so, ich, euer Vater. Hier könnt ihr nie mehr als arme Drei-Cent-Rancher sein, denn die Fehde... mit den Kingsleys... lässt euch für andere Dinge keine Zeit. Wir haben uns jahrelang gegenseitig das Vieh gestohlen und die Häuser angezündet... Aaah, mein ganzes Leben war nutzlos. Ich habe nie etwas geschafft... nur eben das Notwendigste... ich habe nur zerstört. Und den Kingsleys ging es genauso. Unsere Sippen hätten die mächtigsten im Land sein können... wenn wir uns nicht immer gegenseitig... Aaah, ich habe nicht mehr viel Zeit. Hört, Söhne: Ich habe damals meinem sterbenden Vater versprechen müssen, dass ich mit meinen zukünftigen Söhnen den Krieg gegen die Kingsleys fortführen werde. Well, ich verlange ein anderes Versprechen von euch: Ihr gebt hier auf und verlasst das Land. Ring, ich will es von dir zuerst hören.«

Der Sterbende stößt es heraus, schnell, hastig, gepresst. Denn nicht nur seine Söhne hören den Klang heranprasselnder Pferdehufe – er selbst hört es auch. Er weiß, dass jetzt der Marshal mit einem starken Aufgebot eingetroffen ist.

Stimmen erklingen vom Hof herein. Pferde stampfen, tanzen und schnauben. Sattelzeug knarrt und quietscht. Eine scharfe Stimme erteilt einige Befehle, dann erklingen sporenklirrende Schritte im Vorderzimmer.

»Bill Ivey! He, Bill Ivey! Ich bin's, der Marshal! Macht keine Dummheiten mit mir, denn ich habe diese jämmerliche Bruchbude umstellen lassen und...«

Der rotgesichtige Marshal bleibt in der Tür stehen, als er die stumme Gruppe am Bett des Sterbenden erkennt und zugleich die Situation begreift.

Aber er behält den Colt in der Hand und den Hut auf dem runden Schädel.

Nach einigen Sekunden sagt Rock Ivey leise, ohne dem Marshal mehr als einen flüchtigen Seitenblick zu schenken: »Slim Slade, wenn du nicht deinen Colt wegsteckst und deinen schäbigen Hut abnimmst, so komme ich zu dir und reiße dir deine ungewaschenen Ohren ab.«

Das sagt Rock ganz sanft und wie nebenbei.

Slade zuckt zusammen und wird bleich. Er weiß zu genau, dass Rock nie blufft – er weiß, dass der Riese genau das tut, was er einmal gesagt hat.

Der kleine drahtige, rotköpfige Oliver kann nun nicht mehr an sich halten. Er wirkt ungefähr wie ein angriffslustiger Terrier an einer Leine.

»Slade«, zischt er heiser, »wenn du hier 'ne große Klappe riskieren willst, so jagen wir dich mitsamt deinem zusammengekauften Aufgebot bis nach Kansas hinüber!«

Er zischt es pfeifend heraus. Seine geschmeidigen Hände hängen über den Coltkolben und zittern leicht.

Der Marshal steckt seinen Colt weg und nimmt den Hut ab. Bruce Ivey, der fast wie ein Indianer aussieht, wirft einen schnellen Blick auf den Marshal und dreht ihm dann den Rücken zu.

Ring Ivey hat sich gar nicht umgewendet – hat immer nur den Vater angesehen.

Und jetzt sagt er laut und klar, als hätte es gar keine Unterbrechung gegeben: »Ich verspreche es dir, Vater! Wir geben die Fehde auf und verlassen dieses Land. Wir treiben morgen das Vieh zusammen und räumen den Kingsleys das Feld. Wir werden irgendwo Frieden suchen und später Enkel haben, die durch die Vergangenheit nicht belastet sind: Ich verspreche es, Vater!«

Er hebt dabei beide Hände und zeigt dem Sterbenden nach Indianerart beide Handflächen.

Die schon fast erloschenen Augen des Alten schließen sich zufrieden. Dann reißt er sie wieder auf und bewegt seine Hand. Ring tritt näher und ergreift sie.

»Viel Glück, Sohn. Reite eine saubere Fährte, Ring. Sei gut, Cowboy!«

Das krächzt der Alte heraus.

Dann dreht er den Kopf müde zur Seite. Seine Kinnbacken verkrampfen sich vor Schmerz. Er sieht Bruce an, seinen zweitältesten Sohn.

»Bruce«, murmelte er, »Ring ist der Boss, aber er wird dich brauchen. Ich konnte nie in deine Seele sehen, Sohn?«

»Sein Wort gilt für mich, Vater. Ring ist der Boss – und was du verlangst, das ist gut für uns«, murmelte Bruce sanft. Sein dunkles, langes und hageres Gesicht, aus dem sich die Backenknochen deutlich abheben, wird noch düsterer. In seinen dunklen Indianeraugen steht eine seltsame Flamme. Er drückt die schlaffe Hand des Vaters. Dieser murmelt: »Glück für dich, Bruce. Sei gut, Cowboy!«

Bruce nickt langsam, tritt an die Wand zurück und verschränkt seine Arme über der Brust: Sein dunkles Gesicht zeigt einen verschlossenen Ausdruck. Er sieht stumm zum Fenster hinaus, durch das etwas Tageslicht in den Raum fällt.

Der alte Ivey sieht nun seinen dritten Sohn an.

»Oliver«, murmelt er, »du bist unbeherrscht und wild. Du gleichst deinem Großvater. Du handelst erst und überlegst dann. Ich bin in Sorge um dich, denn –«

»Ring ist der Boss«, unterbricht ihn Oliver. »Und Ring ist gut genug, um mir Zügel anlegen zu können. Mach dir keine Sorgen um mich, Vater. Ich werde heute nicht nur ein Jahr, sondern gleich zehn ganze, lange Jahre älter. All right, Dad!«

Er beugt sich impulsiv über die schlaffe Hand und küsste sie.

»Keine Sorge, Dad«, murmelt er.

Der Alte bewegt seine Hand, hebt sie und streicht damit schwach über den roten Haarschopf, dessen wilde Locken so ungebärdig sind, wie Oliver Ivey.

»Glück für dich, Oliver – du wirst es brauchen. Sei gut, Cowboy!«

Er spricht immer wieder als letzte Worte den alten Cowboygruß zu seinen Söhnen.

»Sei gut, Cowboy!«

Ja, er will, dass sie alle gut sind: treu, mutig, stolz, ehrlich und sauber. Sie sollen eine saubere Fährte reiten und nicht ihr inneres Selbst verlieren. Das wünscht er sich. Wie könnte er es besser ausdrücken als mit den Worten: »Sei gut, Cowboy!«

So ist das!

Und dann dreht er den Kopf mit letzter Kraft zur anderen Seite. Denn dort kauert der jüngste Sohn am Lager.

Rock ist ein Berg aus Muskeln und Knochen. Er ist gewaltig. Ein verzweifelter Ausdruck steht in seinen gelben Augen. Es sind treue und gute Augen. Solche Augen macht wohl auch ein Bernhardiner am Grab seines Herrn.

Rock ist ein Riese mit dem Gemüt eines Knaben – solange er nicht gereizt wird und man ihn in Frieden lässt.

Wenn er wild wird, verwandelt er sich sozusagen in ein wütendes Nashorn – und viele Dinge, die er dann anstellt, bereut er wenig später bitter. Er ist wortkarg und wie Bruce ständig in tiefe und verborgene Gedanken versunken. Aber wenn er einmal etwas sagt, dann hat er es sich lange überlegt, dann steht er zu seinem Wort.

Das ist Rock.

Es ist auch der einzige von Bill Iveys Söhnen, in dessen Augen sich Tränen zeigen.

»Deine Stärke und deine Treue, Rock, die werden deinen Brüdern sehr von Nutzen sein«, murmelte der Alte. »Glück, Rock! Glückauf deiner Fährte! Sei gut, Cow-«

Er kann das letzte Wort nicht mehr vollenden, denn sein Körper wird plötzlich schlaff.

Bill Ivey ist tot.

Rocks große Hand fährt zitternd über das faltige und nun so schlaffe Gesicht des Vaters. Als er die Hand wegnimmt, sind Iveys Augen geschlossen.

Rock erhebt sich. Er wendet sich dem Marshal zu, der immer noch unbeweglich in der offenen Tür steht.

»Raus, Slade«, sagt er sanft.

»Jawohl, verschwinde mit deinem Rudel höllisch schnell und wie ein Blitz, du Hundesohn«, faucht Oliver und macht drei lange Schritte, um dichter an den Marshal heranzukommen. Er muss aber an Ring vorbei, der wieder am Fußende des Bettes steht. Ring hält Oliver am Arm fest.

»Gehen wir ins Wohnzimmer«, sagt er ruhig. »Dort wird uns Slade sagen, was er auf dem Herzen hat – und wir werden ihm sagen, was wir zu sagen haben, well.«

Er geht als Erster hinter dem Marshal her. Rock folgt ihm mit der Lampe. Dann verlässt Oliver den Raum.

Bruce Ivey steht noch immer an der Wand. Neben seinem rechten Fuß hat sich eine Blutlache gebildet. Als der Lichtschein der Lampe aus dem Raum verschwindet und nur noch das matte Licht des werdenden Tages durch das Fenster fällt und die wenigen Einrichtungsgegenstände gerade noch erkennbar sind, da bewegt sich Bruce und tritt an das Bett.

»Dad«, murmelt er leise, »was gewesen ist, das wird uns nachlaufen und stets begleiten. Wir sind als die wilden Iveys bekannt. Ich glaube nicht, dass wir in Oregon zur Ruhe kommen werden. Es wird immer neue Kingsleys geben, wo wir Iveys auch hinkommen mögen – weil wir eben die Iveys sind. Aber das glaube mir, Dad, ich will alles tun, um Ring ein guter Bruder zu sein. Ich will ihm helfen, wenn er Oliver bändigen muss, und wachen, wenn er schläft. Leb wohl, Dad – ich habe schon immer gewusst, dass du die Kingsleys nur bekämpftest, weil du es deinem Vater versprochen – geschworen hattest. Es ist gut, dass du nicht von uns solch einen Schwur verlangt hast.«

Er wendet sich ab, geht zu seinem Bett und nimmt das saubere Hemd, das auf dem Kopfkissen liegt. Es ist ein neues Hemd. Bruce hat drei Monate nicht geraucht, um es sich kaufen zu können. Denn sie sind arm.

Mit dem Hemd geht er hinkend ins Wohnzimmer. Gleich neben der Tür steht Ring und sieht stumm auf den Marshal, der sich mit nervösen Fingern eine Zigarette dreht.

Rings Oberkörper ist immer noch nackt. Es ist der feste und wohlgebaute Körper eines harten Mannes. Kein Gramm zu viel Fleisch ist zu sehen, dafür sind lange und sehnige Muskelstränge sichtbar.

»Nimm mein Hemd, Ring«, murmelt Bruce und gibt es ihm.

Ring starrt den Bruder an. Plötzlich erkennt er etwas in Bruces Augen, was er bisher noch nie entdecken konnte: Liebe, echte, warme Bruderliebe ist es.

Bruces Vater konnte nie in die Seele seines indianerhaften Sohnes sehen – Ring kann es. Und dann ist Bruce wieder ganz verschlossen.

»Nimm das Hemd«, knurrte er fast abweisend und hinkt zum Wandschrank. Er nimmt ein paar alte und schon oft gewaschene Mullbinden heraus, hinkt zu einem Stuhl und will sich um sein Bein kümmern.

Da ist Rock zur Stelle.

»Lass mich machen, Bruce! Damned, dein ganzer Stiefel ist voller Blut. Du verrückter Indianer! Warum hast du nicht schon früher...«

»Es ist noch Zeit, Rock – ich habe viel Blut.«

Indes hat Ring seine rauchgrauen Augen wieder auf den Marshal gerichtet.

»Spuck's aus!«, fordert er.

Slim Slade zieht an seiner Zigarette. Sein Marshalstern blitzt im Lampenschein. Von draußen klingen die Geräusche der Pferde und des wartenden Aufgebotes herein.

»Nichts«, knurrt Slade. Er wirft die Zigarette aus der offenen Tür. »Es hat keinen Zweck! Ihr würdet wie vier gestellte Wölfe kämpfen. Es genügt mir, wenn ihr das Land verlasst. Ich hab' eben gut zugehört. Euer Vater ist ein kluger Mann.«

Er will sich abwenden, doch die grauen Augen Rings halten ihn fest.

»Slade«, sagt Ring sanft, »du bist von den Kingsleys gekauft worden, sonst würdest du dich aus dieser Sache herausgehalten haben. Aber wenn du deinen Bericht niederschreibst, dann vergiss nicht zu vermerken, dass wir den Kingsleys die Ranch angezündet haben, weil sie unsere ganzen Heuvorräte abbrannten, die wir auf der Winterweide aufgestapelt hatten. Wenn wir nicht zufällig unserem Vater versprochen hätten, mit der Herde das Land zu verlassen, würden unsere Rinder diesen Winter verhungern. Deswegen taten wir's! Schreib das auch in den Bericht! Und lass dir von den Kingsleys dein Schmiergeld geben – viel wird es ja nicht sein, denn die sind ja auch nicht viel reicher als wir, well – hau ab!«

Der Marshal geht, nachdem er einen tückischen Blick in die Runde geworfen hat.

An der Tür bleibt er noch einmal stehen und knurrt über die Schulter: »Bin mächtig froh, dass ihr das Land verlasst – das ganze County ist froh darüber. Die Kingsleys werden diese Ranch hier und eure Weiden als Schadenersatz zugesprochen bekommen.«

Dann geht er.

Oliver knurrt in die Stille: »Dieser Hundesohn. Ebenso gut könnten wir von den Kingsleys Schadenersatz verlangen. Ich hätte verdammt Lust, den Kingsleys noch einen Denkzettel zu geben, bevor wir –«

»Du reitest mit Rock«, unterbricht Ring kühl. »Ihr treibt die Herde zusammen. Bruce und ich, wir kommen mit dem Wagen nach. Ihr braucht nicht mehr zurückkommen. Wir kampieren die kommende Nacht bereits auf der Nordseite des Little Blue River. Alles klar?«

Oliver will aufbegehren, aber Rock schlägt ihm auf die Schulter und stapft aus dem Haus.

Draußen reitet das Aufgebot ab.

Die Herde steht in der Bodensenke, als Ring und Bruce mit dem Wagen und der kleinen Pferderemuda eintreffen. Bruce fährt den Planwagen und Ring treibt das kleine Pferderudel.

Als sie in Sicht der Herde kommen, beginnen Rock und Oliver zu brüllen. Sie schwingen die schweren Bullpeitschen.

Die kleine Herde wird unruhig. Die Stiere brüllen unwillig, die Kühe muhen und die wenigen Kälber blöken.

Dann setzt sich der kluge Leitstier in Bewegung. Langsam formiert sich die Herde, bildet eine unregelmäßige Traube, die ständig ihre Form verändert und dann zu einem langen Treck wird. Es ist eine kleine Herde. Hörner klappern aneinander, Schwänze tanzen über knochigen Rücken. Staub wirbelt.

Sechshundert auf dem Huf.

Zwanzig Pferde und der Wagen.

Der ganze Besitz, den sich die Iveys seit zwei Generationen erworben haben.

»Jiiipiii!«, brüllt Oliver.

»Jooohooo!«, heult Rock mächtig durch den Lärm der Herde.

»Well, Westward-ho«, murmelt Ring.

Bruce knallt nur mit der Peitsche und fährt seitlich neben den Rindern her.

Bruces Beinwunde schmerzt mit jeder Stunde unerträglicher.

»Oha, es fehlte noch, dass ich den Wundbrand bekomme«, murmelt er heiser und lenkt den Wagen allmählich vor die Herde. Jede kleine Bodenwelle und jeder Erdbuckel, die den Wagen schwanken lassen und ihn erschüttern, machen ihm die Fahrt zur Hölle. Er rutscht manchmal voller Not auf dem Bock herum und tastet das Bein ab.

Es schwillt an.

Aber er fährt stetig der sinkenden Sonne entgegen. Hinter seinem Wagen trottet der kluge Leitstier. Dann folgt die Rinderherde.

Manchmal hört man die schrillen und scharfen Rufe von Rock und Oliver, das schmetternde Knallen ihrer Bugpeitschen und einmal sogar einen Coltschuss.

Ein Stück neben der Herde treibt Ring die Pferderemuda. Einmal winkt er zu Bruce hinüber.

Der winkt zurück – und denkt dabei: Es kommt immer, wie es kommen muss – und man muss es fressen. Jetzt, wo mich Ring braucht, jetzt falle ich bald aus. Ich bekomme den Wundbrand. Damned, ich habe die Wunde bluten lassen, damit sie sich selbst säubern sollte. Ich habe es immer so gemacht und immer eine gute Heilhaut gehabt. Ausgerechnet jetzt muss...

Zwei Tage später kampieren sie genau zwischen dem Little Blue River und dem Platte River.

Als Bruce Ivey die Pferde ausschirren will, bricht er zusammen. Als er aufwacht, liegt er neben dem Feuer und erkennt die harten, hageren und besorgten Gesichter der Brüder.

»Cowboy, warum hast du uns nichts davon gesagt? Oh, du dickköpfiger Indianer, warum –«

Oliver faucht es heraus und fuchtelt mit den Händen in der Luft herum. Er verstummt aber jäh, als ihn ein scharfer Blick aus Rings Augen trifft.

»Du hast den Wundbrand, Bruce«, sagt Ring sanft. »Du weißt es bestimmt schon zwei Tage – wir hätten nicht mit dir auf diesen Treck gehen dürfen. Du hast es uns nicht gesagt, weil du gewusst hast, dass es mächtigen Kummer gegeben hätte, wenn wir noch länger im County bleiben würden. Hölle! Und wenn es mit den Kingsleys und Marshal Slade neuen Kummer gegeben hätte! Das wäre –«

»Ich habe keinen Wundbrand – es ist nur eine Entzündung! Macht mir kalte Umschläge – oder schneidet –«

»Dein ganzes Bein ist angeschwollen und die Schusswunde ist voll Eiter«, unterbricht ihn Ring. »Wir müssen dich zu einem richtigen Doc bringen.«

»Sandersville ist nur zwanzig Meilen entfernt. Ich bringe ihn hin, Ring«, brummt Rock entschlossen.

Er entfernt sich sofort, um zwei frische Pferde zu satteln.

Ring sieht ernst auf Oliver. Der hält dem Blick stand und lächelt leicht.

»Yeah«, sagt Ring sanft, »ich werde allein bei der Herde bleiben. Du wirst ein halbes Dutzend Kühe nach Sandersville treiben und sie dort verkaufen. Das Geld gibst du Rock, damit er den Doc bezahlen kann. Vielleicht muss Rock auch noch ein oder zwei Tage bei Bruce bleiben, bevor er nachkommen kann. Rock braucht also für sich und Bruce Geld. Gib es ihm, wenn du die Kühe verkauft hast – und komm dann sofort zurück. Klar, Kleiner?«

»Sicher, Ring.«

Oliver entfernt sich schnell zu dem primitiven Trailcorral, in dem sich die Pferderemuda befindet. Er fängt sich ein Pferd aus dem Rudel und reitet zur Herde, die müde in einer Bodensenke und um ein Wasserloch herum vom langen Tagestreck ausruht.

Im Mondschein treibt Oliver ein halbes Dutzend Kühe hoch. Er hat es schwer, die müden Tiere von der Herde abzusondern und wegzutreiben. Fast wäre die ganze Herde verrückt geworden. Aber er schafft es, denn er ist ein guter Cowboy.

Er wird eine harte Arbeit hinter sich haben, wenn er in Sandersville seine Kühe verkauft hat, und das kann er in zwölf Stunden geschafft haben.

Inzwischen wird Bruces Bein längst gerettet sein.

Ring Ivey hat Bruce mit Hilfe Rocks auf ein ruhiges Pferd geholfen.

»Bindet mich fest«, stöhnt Bruce hart und gepresst.

Sie binden ihn fest.

Dann verkrampft Bruce die Hände um das Sattelhorn, Rock nimmt die Zügel und reitet langsam mit dem Bruder davon.

Ring sieht ihnen nach, auch noch, als sie schon längst hinter der Bodenwelle verschwunden sind. Er geht langsam zum Feuer zurück. Sein Pferd ist gesattelt und an das hintere Rad des Wagens angebunden.

Ring lauscht in die Nacht.

Das Klatschen und Knallen von Olivers Bullpeitsche ist verstummt. Die Herde hat sich beruhigt. Das Holz im Feuer knackt und knistert. Die Sterne am Himmel leuchten türkisfarben. Ein leichter Wind kommt von Westen her und bringt den starken Duft der meilenweiten Salbeifelder mit. Weit draußen in der Nacht heult der wilde Chor der Coyoten. Der Mond hat noch ein spitzes Kinn, leuchtet jedoch mit bleichem Licht über die Weide.

Nebraska-Weide!

Kümmerliche Weide!

Staub, Sand, Salbei, Büschelgras und wenig Wasser.

Nebraska-Weide!

Es gibt ein altes Spottlied auf dieses Land. Ring Ivey muss daran denken:

Tausend Meilen weit vom Wasser,

tausend Meilen weit vom Wald!

Und nur eine Meile von der Hölle,

da ist mein ew'ger Aufenthalt!

Ring Ivey ist froh, dass sie dieses Land verlassen, in dem die Sandstürme mit jedem Jahr schlimmer werden. Er ist froh, dass die Fehde mit den Kingsleys auf diese Weise endet.

Er schöpft sich einen Becher voll Kaffee, hält das heiße Zinngefäß in der hornigen und eisenharten Hand und tritt in den Schatten des Wagens zurück.

Lange steht er so und trinkt, überlegt und sinnt.

Plötzlich zuckt er zusammen.

Es ist ja eine helle Mondnacht. Man könnte die Zeitung lesen. Er kann die Ränder der Bodensenke genau beobachten und sieht das Rudel Reiter, die gegen den Wind kamen und jetzt auf dem Rücken einer Bodenwelle halten.

Er lässt den Kaffeebecher fallen, zieht das Gewehr aus dem Sattelschuh und überzeugt sich, dass sich die Zügel seines Pferdes, die er um das Wagenrad geschlungen hat, mit einem Griff lösen lassen.

Dann sieht er wieder zu den Reitern hinüber. Sie halten immer noch auf dem Ostrand der Bodensenke und werfen lange Schatten. Ring kann sie zählen.

»Sieben«, murmelt er. »Ich wette, es ist der Rest der Kingsleys mit ihren Freunden und dem gekauften Marshal.«

Mit einer raschen Bewegung lädt er das Gewehr durch und wartet dann.

Ein Reiter löst sich plötzlich aus dem Rudel und kommt in die Senke herunter und auf das Feuer zugeritten.

»Der alte Sam Kingsley«, murmelt Ring.

Und dann hört er die Stimme des Alten.

»Hooohooo, Feuer! Heee, Ivey-Sippe!«

Der Reiter verhält sein Tier zehn Meter vor dem Feuer. Er sieht darüber hinweg und entdeckt Rings bewegungslose Gestalt neben dem Pferd und vor dem Wagen.

»He, bist du's Ring Ivey?«

Dessen Augen beobachteten immer noch das abwartende Rudel auf dem Rand der Bodensenke. Aber sie warten wirklich. Stück für Stück heben sich die Reiter gegen den hellen Nachthimmel ab. Als er sieht, dass sie wirklich erst abwarten, richtet er seine scharfen Augen auf den alten Sam Kingsley.

»Ich will hören, was du zu sagen hast, Kingsley«, sagt er sanft. Der Westwind trägt seine nicht sehr lauten Worte bis an die scharfen Ohren des alten Mannes. Der lacht leise und blechern, klettert steif und mühsam aus dem Sattel und hält sich dann am Pferd fest, bis er einen Krückstock aus dem Sattelschuh gezogen hat, der statt des Gewehres dort steckt.

Am Stock kommt er um das Feuer gehumpelt und hält einen Meter vor Ring an.

»Sie liegen irgendwo im Hinterhalt, deine Brüderchen, was? Sie lauern irgendwo, hihihehe, was? Ihr Hundeflöhe habt mir vor ein paar Tagen meine Ranch angezündet, meine Söhne und Mickey fast totgeschossen. Aber sie und meine Reiter haben es euch auch ganz nett zurückgegeben. Euer Häuptling hat's nicht überstanden – und Indianer-Bruce hat auch einen Denkzettel bekommen. Das ist gut! Und jetzt werde ich euch den letzten Denkzettel geben!«

Er kichert, hebt den Krückstock und stößt ihn leicht vor Rings Brust.

»Sam Kingsley«, murmelt Ring sanft, »ich könnte einmal vergessen, dass du ein alter Mann bist. Du darfst den Bogen nicht überspannen. Ein verkrüppelter Wolf sollte vorsichtig sein, wenn er alt geworden ist.«

Eine kleine Pause entsteht. Der Alte nimmt auch wirklich den Stock ein wenig von Rings Brust. Aber dann stößt er ihn jäh vor. Schneller als eine zustoßende Klapperschlange packt Ring zu, entreißt dem Alten den Stock.

Es ist kein gewöhnlicher Stock mehr – aus dem stumpfen Ende ragt eine dünne und federnde Stahlklinge, die der Alte durch Fingerdruck auf eine Feder, die im Stockgriff angebracht ist, hervorschnellen ließ.

Ring stellt den Stock auf die Erde, bohrt die Klinge in den Boden und tritt gegen den Stock. Er bricht.

Ring wirft die Überreste ins Feuer.

»Wir wussten schon viele Jahre, welche Bewandtnis es mit deinem Krückstock hat, Sam Kingsley«, murmelt er.

Der Alte gleicht nun wirklich einem alten verkrüppelten Wolf, der seine letzte Chance verpasst hat und sich in die Enge getrieben fühlt.

»Ihr hattet unsere Heuvorräte angezündet, damit unsere Rinder im kommenden Winter verhungern sollten«, fährt Ring fort. »Wir haben euch dafür das Ranchhaus abgebrannt. Nun verlassen wir mit unseren Rindern dieses Land. Vergiss alles, was zwischen unseren Sippen war, und lass uns ziehen. Wir sollten doch endlich genug Blut vergossen haben. Und wenn du uns nicht in Frieden ziehen lässt, so schicke ich dich zuerst in die Hölle, Alter! Geh zu deinem Pferd und verschwinde mit deinem Rudel.«

Ring sagte die letzten Worte hart und scharf. Seine Augen leuchten rötlich im Flammenschein. Sein Blick ist mitleidlos.

Der Alte zittert vor Wut am ganzen Körper.

»Du weißt ganz genau, dass ich ohne Stock nicht mehr laufen kann. Dein Vater schoss mich vor Jahren in beide Kniescheiben. Bring mich zu meinem Pferd, Ring.«

Er sagt es heiser. Hass leuchtet aus seinen Augen. Er ist ein alter, knochiger, lederhäufiger Mann. Weiße Haarsträhnen hängen unter seinem alten Hut hervor. Seine Habichtsaugen glitzern scharf und tückisch.

Aber Ring setzt sich in Bewegung, tritt neben ihn und hilft ihm zum Pferd. Er hilft ihm auch in den Sattel. Und als der Alte im Sattel sitzt, wird er wieder großspurig und herausfordernd, tückisch und giftig, gemein und schuftig.

»Ich nehme mir die Herde, Ring! Wenn ihr jemals lebendig aus diesem Land kommt, so nur als Bettler. Mit dir beginne ich zuerst!«

Das letzte Wort zischt er heraus. Dabei zuckt sein Arm hoch. Ring steht an der linken Flanke des Pferdes. Auf der anderen Seite steckte der Colt in einem Sattelholster. Diesen Colt hat Sam Kingsley in Deckung des Pferdeleibes herausgerissen.