G. F. Unger Sonder-Edition 209 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 209 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Der Großrancher John Dodge ahnt nicht, dass er den Tod auf seine Weide holt, als er die vier Bannerhan-Brüder als Raubwildjäger einstellt. Sie halten ihn nämlich für den Mörder ihres Vaters und sind gekommen, um ihn zu töten.
Doch dann erfährt Jim, der jüngste Bannerhan, wie es damals wirklich war, und stellt sich auf die Seite des Ranchers. Von da an richtet sich der Hass seiner Brüder gegen ihn. Und der verzweifelte Kampf um Gerechtigkeit, den Jim nun aufnimmt, ist so gnadenlos wie das Land hinter den Hügeln, in das ihr Rache-Trail sie führte ...


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Seitenzahl: 233

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Hinter den Hügeln

Vorschau

Impressum

Hinter den Hügeln

Bill Bannerhan hat drei ledige Pferde bei sich, als er die kleine Station der Postlinie erreicht. Er sitzt langsam ab, tritt zum Brunnen und schöpft Wasser heraus. Er gießt es in den Tränktrog und sieht dann zu, wie die vier Pferde ihre Köpfe in den ausgehöhlten Baumstamm stecken.

Der Stationsmann kommt mit einem frischen Gespann ums Haus herum und erwidert Bill Bannerhans Gruß. »Hallo, Sie kenne ich doch?«, fragt er und führt dabei das frische Sechsergespann auf die Poststraße.

»Yeah, wir kennen uns«, brummt Bill Bannerhan. »Ich kam im Sommer hier vorbei.«

»Richtig«, ruft der Stationsmann, »jetzt weiß ich es wieder! Sie ritten hinter die Hügel in John Dodges Rinderreich! Haben Sie damals einen Job bekommen?«

Bill Bannerhan nickt. »Ich jage in John Dodges Imperium das Raubwild. Er zahlt mir für jeden Wolf, Bären oder Puma eine Prämie. In diesem Winter werde ich ein gutes Geschäft machen. Deshalb habe ich mir einige Partner kommen lassen. Sie müssen mit der Postkutsche kommen.«

»Dort kommt sie«, sagte der Stationsmann und zeigt auf eine Staubfahne. »Reb Stuart fährt diese Linie, und er verspätet sich nie. Dort kommt die Kutsche!«

Es vergehen auch nur wenige Minuten, dann kommt die Überlandpost auf der Poststraße herangesaust und hält mit kreischenden Bremsen.

Drei Männer klettern nacheinander heraus. Der Begleitmann, der neben dem Fahrer hoch auf dem Bock sitzt, klettert auf das Kutschendach und wirft drei Sättel und drei in Ölhaut eingewickelte Bündel hinunter.

Bill Bannerhan aber betrachtet die drei Männer, die aus der Kutsche kamen und sich nun dehnen, recken und mit den Füßen stampfen.

Einer der Männer sagt jetzt laut zum Fahrer hinauf: »Was ist das für ein schlechter Trick? Die Räder sind doch gar nicht fünfeckig! Ich sehe keine eckigen Räder. Sie sind richtig rund! Wie kann ein halbwegs vernünftiger Fahrer auf runden Rädern so gemein fahren? Was ist das für ein Trick?«

Der Kutscher blickt böse auf den Sprecher hinunter, indes der Stationsmann und der Postbegleiter jetzt das Gespann auswechseln.

»Mister Rotkopf«, knurrt der Kutscher. »Sie sind einer von der Sorte, die das große Maul immer wieder viel zu weit aufreißt. Ich habe Sie jetzt dreihundert Meilen weit bis von Laramie durch dieses Land gefahren und mir unterwegs auf jeder Station Ihre schlechten Witze angehört. Versuchen Sie nie wieder, in einer Kutsche zu fahren, auf deren Bock ich sitze! Nie wieder, hörst du, du verteufeltes, texanisches Großmaul!«

Nach diesen Worten löst der Fahrer die Bremse und schwingt die Peitsche, denn das frische Gespann wurde inzwischen in Rekordzeit angespannt. Der Postkutschenbegleiter schafft es gerade noch, sich auf die Kutsche zu schwingen. Dann saust diese schon wieder los und lässt eine dichte Staubwolke zurück.

Der Stationsmann bringt das erschöpfte Gespann um das Haus herum in den Corral.

Bill Bannerhan aber sieht die drei Männer an, die fluchend und hustend aus der Staubwolke kommen und an ihren Sätteln und Bündeln ziemlich schwer zu schleppen haben.

»Wenn ich ihm wieder begegne, dann bezahlt er mir dafür, dass er mich ein texanisches Großmaul nannte«, keucht der rotköpfige Archi Bannerhan. »Hallo, Bruder, wie geht es dir?«

Er grinst Bill Bannerhan an.

»Halt deinen Mund, Archi«, brummt dieser. »Hier soll niemand wissen, dass wir Brüder sind. Und ich habe dir doch geschrieben, du sollst keinen Streit anfangen und dich zurückhaltend und unauffällig benehmen.«

»Das kann er nie«, brummt Jack Bannerhan. »Dieser kleine Fliegenpilz wird noch aus seinem Sarg heraus mit den Totengräbern Streit anfangen.« Jack Bannerhan reicht mit diesen Worten seinem Bruder Bill die Hand. »Wir sind sofort gekommen«, sagt er dabei.

Bill Bannerhan nickt und betrachtet dann den dritten seiner Brüder, der nun langsam hinzutritt und ihn fest und sehr forschend betrachtet, ruhig nickt und dann gedehnt murmelt: »Hallo, Bill.«

»Ich freue mich, dass auch du gekommen bist, Jim«, erwidert Bill Bannerhan sanft.

»Ich musste wohl«, murmelt Jim gedehnt. Bill nickt. »Yeah, es war deine Pflicht, Jim«, sagt er hart.

Er wendet sich nun an alle drei Brüder. »Ich habe euch Pferde mitgebracht. Da! Beeilt euch, damit wir endlich reiten können.«

Nach diesen Worten sitzt er auf, dreht sich im Sattel eine Zigarette und beobachtet seine Brüder, die nun wortlos ihre Pferde satteln und ihre Bündel festschnallen. Er betrachtet sie gedankenvoll, und er wird sich wieder einmal darüber klar, wie wenig sie sich äußerlich gleichen.

Niemand würde die vier Bannerhans für Brüder halten.

Er, Bill Bannerhan, ist sehr groß, knochig, schwergewichtig, hart, zäh und braunhaarig.

Jack ist einen Kopf kleiner, aber sehr breit und mit gewaltig starken Muskeln bedeckt. Jack ist ein Kraftmensch, mit einem kleinen Kopf und fast weißblonden Haaren.

Archi ist ziemlich klein, rotköpfig und stets voller Unrast. Archi ist nichts anderes als ein kleiner Kampfhahn, der keinem Streit aus dem Wege geht, ja, der sogar immer auf Streit aus ist, so, als wollte er sich ständig beweisen, dass er sich vor körperlich großen Männern nicht fürchtet.

Und Jim – nun, Jim ist nicht so groß wie Bill. Er ist auch nicht so breit und muskulös wie Jack und ganz gewiss nicht so hitzköpfig und streitsüchtig wie Archi. Jim ist schwarzhaarig. Erwirkt groß, stark, geschmeidig und sehr ruhig. Auf eine etwas indianerhaft wirkende Art ist er hübsch. Als er alt genug war, hatte er sich von seinen drei unruhigen Brüdern getrennt und als Cowboy auf einer großen Rinderranch angefangen. Das war vor vier Jahren. Heute ist er zweiter Vormann dieser Ranch. Doch auch er kam den langen Weg herauf in dieses Wyoming. Wahrscheinlich aber hat er sich nur für unbestimmte Zeit Urlaub geben lassen.

Bill Bannerhan wirft die Zigarette in den Staub, als die drei Brüder nun fertig sind und aufsitzen. Er reitet wortlos nach Nordosten und folgt einem Reitweg, der auf die fernen Berge zu durch das unwegsame und raue Land führt.

Die drei Brüder folgen ihm in kleinen Abständen.

So reiten sie fünfzehn Meilen durch das Land, immer auf die Berge zu. Vor ihnen rückt die Kerbe eines Passes näher.

Doch dann fällt die Nacht über das Land.

An einer kleinen Quelle hält Bill Bannerhan an. »Hier bleiben wir für die Nacht«, sagt er knapp.

Und dann wird nicht mehr gesprochen, bis das Abendessen eingenommen ist, das Jack Bannerhan mit dem Geschick eines guten Koches bereitete.

Am Wyoming-Himmel stehen nun die Sterne. Als der Mond über die Berge kommt, beginnen in der Ferne die Coyoten zu heulen. Von Osten her ruft ein Büffelwolf sein starkes Rudel zur Jagd.

Die Flammen des Feuers fressen knisternd im Holz.

Und die vier Brüder hocken an diesem Feuer, rauchen und blicken in die Flammen.

Bill Bannerhan hält die Zeit nun wohl für gekommen. Er hebt plötzlich den Kopf und sagt: »Ich habe den Mann also gefunden. Die vielen Jahre des Suchens haben sich also gelohnt. Wir haben den Burschen, mit dem unser Vater damals die Goldfelder des Galatin Valleys verließ. Es war vor sechs Jahren, nicht wahr? Und unser Vater und sein Partner John Dodge hatten eine Packlast voll Goldstaub bei sich.«

Bill Bannerhan greift in die Innentasche seiner Jacke und holt eine Brieftasche hervor. Er entnimmt ihr einen alten Briefumschlag und aus diesem ein Blatt Papier. Dann beginnt er einen Brief vorzulesen, dessen Inhalt den vier Bannerhans längst Wort für Wort bekannt ist.

Und dieser Inhalt hört sich so an:

Bozeman, den 17. Okt. 1866

An meine Frau und meine vier Söhne!

Es hat sich gelohnt, dass ich meine Familie vor fast drei Jahren verließ, um hier oben in Montana nach Gold zu suchen. Es hat sich gelohnt. Mein Partner John Dodge und ich, wir holten für mehr als zwanzigtausend Dollar Goldstaub aus unserem Claim. Nun wollen wir die Heimreise antreten. Der Winter steht vor der Tür, und die Indianer lauern auf allen Wegen. John Dodge aber kennt sich aus. Er lebte schon viele Jahre in diesem Land. Wir werden den Weg zur Schiffslandestelle nehmen und dann mit dem letzten Flussboot den Missouri herunterkommen. Von Kansas City benutze ich dann die Überlandpost. Vielleicht schaffe ich es bis zum Weihnachtsfest. Wir werden unsere kleine Ranch mit einem Schlage zu einer großen Ranch machen können. Wir werden viel Weideland und gute Zuchtrinder kaufen. Wenn ich es nur schaffe, mit dem Gold durchzukommen. Für den Fall, dass mir unterwegs etwas zustoßen sollte und John Dodge wenigstens durchkommen kann, dann werdet Ihr von ihm hören. Er wird Euch redlich meinen Anteil zusenden, so, wie ich es im umgekehrten Falle ebenfalls tun würde. Das versprachen wir uns in die Hand. John Dodge gleicht mir wie ein Bruder. Man hat uns immer für Brüder gehalten, und wir sind das auch geworden.

Ich schicke diesen Brief mit der Postkutsche. Wir selbst wollen die Postlinie zur Schiffslandestelle nicht benutzen, denn sie wird immer wieder von Banditen angehalten und nach Gold durchsucht. Wir werden uns mit unserer Ausbeute bei Nacht und Nebel aus dem Goldland schleichen. Es grüßt Euch Euer Vater.

PS: Hoffentlich haben Dir unsere Söhne viel Freude bereitet, Mary. Und freue Dich! Bald bin ich daheim! Bald geht es uns allen gut. Ich habe oft an Dich und meine vier Jungens denken müssen, weiß ich doch, dass die Jungens gerade in jenem Alter sind, da sie die feste Hand eines Vaters brauchen. Doch nun komme ich bald heim. Es hat sich für uns alle gelohnt.

Sam Bannerhan

Bill Bannerhan liest diesen Brief monoton vor, so, als wollte er seinen Brüdern nochmals alles in Erinnerung rufen.

Dann faltet er das Blatt Papier zusammen und steckt es mit der Brieftasche wieder fort.

Er blickt Archi, Jack und Jim der Reihe nach fest an.

»Unsere Ma war schon unter der Erde, als wir den Brief erhielten«, murmelt er. »Und unser Dad kam nicht. Ich aber wollte immer herausfinden, warum er nicht kommen konnte. Mich trieb immer etwas dazu an, nach Dad zu forschen. Ich hielt es damals nicht mehr lange daheim aus. Ich verließ euch und ritt nach Norden. Bevor ich weiter berichte, möchte ich zuerst mal gern wissen, wie es euch daheim erging. Es vergingen mehr als fünf Jahre. Das ist eine lange Zeit. Als ich euch damals verließ, um nach unserem Vater zu suchen, wart ihr noch junge Burschen. Jetzt seid ihr erwachsene Männer. Fast hätte ich euch nicht erkannt. Was habt ihr mir von euch zu berichten?«

Nach dieser Frage wird es still. Es bleibt lange still.

Plötzlich kichert Archi seltsam und sagt dann etwas schrill: »Wir haben nicht schlecht gelebt, Bill. Wirklich nicht schlecht!«

Jack bewegt unruhig seinen kleinen Kopf und brummt einige unverständliche Worte. Jim aber sagt kalt und bitter: »Die Sheriffs waren schon hinter Archi und Jack her. Bill, unsere beiden Brüder haben Vieh gestohlen, wo sie es bekommen konnten. Archi wurde ein übler Revolverheld. Und sie stehen beide in dem Verdacht, einen Bankraub versucht zu haben. Sie mussten nur flüchten, bevor sie den Geldschrank öffnen konnten, sonst hätten sie...«

»Hör auf!«, ruft Archi wild und zornig dazwischen. »Hör nur auf, du Musterknabe! Wir sind nicht den langen Weg heraufgereist, um Bill gegenüber Rechenschaft abzulegen. Zum Teufel, er ritt damals fort, und wir mussten sehen, wie wir zurechtkamen. Jeder von uns wählte sich seinen Weg. Und das geht niemand etwas an. Wir sind hergekommen, weil Bill den Mörder unseres Vaters gefunden haben will. Wo ist der Mann, von dem wir zehntausend Dollar in Goldstaub zu bekommen haben? Wo ist dieser John Dodge?«

»Langsam«, murmelt Bill Bannerhan und wischt sich hastig über das hagere Gesicht. Es ist ein hartes und knochiges Gesicht, mit hohlen Wangen und festgefügten Kinnwinkeln.

»Ihr seid also richtige Strolche geworden – du und Jack?«, fragt er zu Archi gewandt.

Der rotköpfige Archi grinst ihn an. »Wir haben genommen, was wir bekommen konnten. Du rittest damals fort und kamst nicht wieder. Damals war ich siebzehn. Jack war achtzehn und Jim erst sechzehn. Wir mussten zusehen, wo wir blieben, nicht wahr? Yeah, Jack und ich, wir haben in Texas keinen besonders guten Ruf. Aber dafür blieb unser kleiner Jimmy ehrenwert und wurde ein Musterknabe. Von was hast du denn eigentlich gelebt, Großer?«

Er schleudert die Frage förmlich in Bills Gesicht, und Bill zuckt leicht zusammen.

»Immer wieder wollte ich heimkommen«, murmelt er. »Ich weiß, euch fehlte ein Vater. Ich war euer großer Bruder. Ich hätte auf euch achten müssen. Doch ich fand immer wieder neue Fährten. Die Jahre vergingen. Manchmal arbeitete ich auf Rinderranches. Und die Idee saß unverrückbar in meinem Kopf, dass ich nach unserem Vater oder nach diesem John Dodge forschen müsste.«

Er erhebt sich und geht ein Stück fort. Eine Weile steht er dann mit dem Rücken zum Feuer und starrt in die Nacht. Dann wendet er sich um und kommt zurück. Die roten Flammen des Feuers leuchten ihn an, und die dunklen Linien in seinem Gesicht wirken nun noch tiefer. Ja, er ist ein Mann, den die Jahre des Reitens hart gemacht haben.

»Nun gut«, sagt er schwer. »Was war, das zählt jetzt nicht mehr. Es ist jetzt unwichtig, was Archi und Jack in Texas getan haben. Es ist auch unwichtig, was du aus dir gemacht hast, Jim. Wichtig ist, dass ich den Mann gefunden habe, der unseres Vaters Partner war. Und dieser Mann ist reich, mächtig reich. Gewiss hat er es leicht gehabt. Jeder Mann, der mit zwanzigtausend Dollar seinen Start beginnen kann, vermag lange Schritte zu machen.«

»So ist es, Bruder«, sagt Archi schnell. »Und auch wir hätten lange Schritte machen können, wenn Dad mit dem vielen Geld heimgekommen wäre. Oder wenn sein Partner John Dodge uns seinen Anteil zugesandt hätte. Ist dieser John Dodge auch wirklich Dads Partner?«

Er fragt es irgendwie gierig.

Bill Bannerhan hockt sich vor dem Feuer wieder auf die Absätze.

»Er ist es«, sagt er. »Als ich im Frühsommer in dieses Land kam, da hörte ich von einem Mann, der sich John Dodge nennt und sich hinter den Hügeln mitten in der Wildnis eine Art Königreich geschaffen hätte. Ich ritt über die Hügel und kam somit in John Dodges Imperium. Ja, es ist ein Königreich, und es hat nur einen einzigen Zugang, der auch der einzige Ausgang ist, diese Kerbe dort in dem Wall der Berge. Man nennt diese Berge hier die ›Hügel‹, aber das ist natürlich eine Untertreibung. Es sind verdammt große und steile Brocken, die ein Mann nur zu Fuß überklettern könnte. Wer reiten, fahren oder treiben will, der muss durch diese Kerbe dort über den Pass. Und dann kommt er in John Dodges Rinderreich.

Als ich John Dodge zum ersten Male sah, da dachte ich, es wäre unser Vater. So sehr sieht er ihm ähnlich. Unser Vater hatte in seinem letzten Brief wirklich nicht übertrieben, als er schrieb, dass sein Partner John Dodge und er sich wie Brüder glichen und auch von allen Leuten dafür gehalten wurden. Ich dachte wirklich, dass ich unseren Vater gefunden hätte. Aber dann erkannte ich doch einige Unterschiede. Dodge ist mindestens zehn Jahre jünger als unser Dad. Und der wäre jetzt achtundfünfzig. Auch ist Dodge noch eine Idee größer. Ich bat ihn um Arbeit, und er betrachtete mich eine Weile scharf.

Es war mir plötzlich, als könnte er in meinen innersten Kern blicken und meine geheimsten Gedanken lesen. Brüder, ich begann richtig zu schwitzen. Ich hatte mich Bill Baker genannt, aber mir war es plötzlich, als wüsste er genau, dass ich Bill Bannerhan war. Doch dann erwies sich dieses Gefühl als Einbildung, denn er sagte, dass er zwar schon genug Leute hätte, aber für jedes erlegte Raubwild eine gute Prämie zahle. Er erlaubte mir, in seinem Lande zu bleiben und mich umzusehen. Und ich sah mich richtig um, das könnt ihr mir glauben.«

Bill Bannerhan machte eine Pause. Er schenkt sich aus dem Kaffeetopf ein, trinkt erst einige Schlucke und dreht sich dann eine Zigarette. Die drei Brüder beobachten ihn schweigend. Der Feuerschein beleuchtet ihre Gesichter. Archis und Jacks Augen glitzern seltsam. Es ist unzweifelhaft ein gieriger Ausdruck in diesen Augen. Archis Gesicht bewegt sich ständig und ist mit seinem wechselnden Ausdruck ein Spiegel seiner innerlichen Ungeduld, seiner Hoffnungen und Wünsche. Jacks Gesicht hingegen wirkt etwas stur.

Jims Augen und Gesichtsausdruck sind ruhig und gefasst. Er ist der jüngste der Bannerhans, doch ist er zweifellos schon ein richtiger Mann mit scharfem Verstand, eigener Urteilskraft und größter Selbständigkeit. Er wirkt älter als Archi und sehr viel klüger als Jack. Und auf eine ruhige Art wirkt er ebenso hart und entschlossen wie Bill.

Bill Bannerhan spricht plötzlich weiter.

»Dieses Land dort hinter den Hügeln«, sagt er, »bekam seine Grenzen von der Natur. Es ist ein großes Tal mit einem halben Dutzend Seitentälern. Es gibt eine Menge Canyons, Schluchten und abgelegene Winkel. Aber alles endet irgendwo in einer Sackgasse. Zu Pferd oder Wagen kommt man nirgendwo heraus. Wohin man auch reitet, irgendwo geht es plötzlich nicht mehr weiter. Im Haupttal und den Nebentälern grasen John Dodges Rinderherden. Ich schätze seinen Rinderbestand auf vierzigtausend Stück. Und sie vermehren sich wie die Kaninchen. Sie brauchen kaum bewacht zu werden. Ihre einzigen Feinde sind die Wölfe, Bären und Pumas. Die kommen während strenger Winter über die Berge und fallen über die Rinderherden her. Ich habe mir also alles angesehen, denn ich habe John Dodges Erlaubnis, im Winter all das Raubwild zu jagen. Ich habe auch seine Erlaubnis erhalten, mir einige Partner herbeizuholen. Und das seid ihr! John Dodge hofft, dass wir in diesem Winter eine Menge Wölfe, Bären und Pumas töten.«

»Was aber werden wir wirklich tun?«, fragt Archi schnell und heftig.

»Yeah, was werden wir tun?«, fragt Jack mit seiner tiefen Bassstimme.

Nur Jim fragt nichts. Er hockt nur ruhig da und hört zu.

Bill streift ihn mit einem vorsichtigen Blick, und er ist sich schon längst darüber klargeworden, dass sein jüngster Bruder beachtlich ist, einer jener Männer, die wenig reden, dafür aber zu gegebener Zeit überraschend handeln.

Bill hält seine großen Hände an das wärmende Feuer. Die Wyoming-Nächte sind schon sehr kalt. Der Winter steht dicht vor der Tür. Bill Bannerhan, der nun schon Monate in diesem Lande weilt und sich genau umgesehen und alles erkundet hat, nur scheinbar deshalb, um im Winter mit Erfolg Raubwild jagen zu können, dieser große knochige, harte und gefährliche Mann sagt jetzt knapp: »In seinem großen Haus hat John Dodge einen mächtigen Geldschrank. Er wird ihn uns öffnen. Es werden sicherlich mehr als hunderttausend Dollar darin liegen. Wir werden sie nehmen und sein Reich verlassen, bevor der Schnee den einzigen Weg verstopft, der aus John Dodges Imperium führt. Nach dem ersten großen Schneefall ist John Dodges Reich nämlich vier Monate von der Außenwelt abgeschnitten. Wir müssen es nur so anstellen, dass wir die letzten Reiter sind, die noch über den Pass kommen. Dann haben wir nämlich vier Monate Vorsprung. Niemand kann uns dann vor der großen Schneeschmelze folgen.«

Nach diesen Worten ist es eine Weile still. Die Bannerhans denken über alles nach, was ihr großer Bruder Bill ihnen bisher erzählte.

Dann schießt Archi die Frage ab: »Und wer ist das, der uns folgen könnte?«

»John Dodge scheidet aus«, murmelt Bill Bannerhan. »Denn den töte ich, bevor wir reiten. Selbst wenn er unseren Vater nicht umgebracht haben sollte, sondern unser Dad aus einer anderen Ursache gestorben ist, so hat John Dodge sich dennoch wie ein Schuft benommen. Er hätte uns Nachricht geben müssen. Er hätte uns den Anteil unseres Vaters zukommen lassen müssen. Er hat uns betrogen, gemein und schuftig betrogen. Unser ganzes Leben wäre anders verlaufen. Ich hätte nicht fortreiten müssen, und wir hätten Geld gehabt, um unsere jämmerliche Ranch aufbauen zu können. Archi und Jack wären nicht auf schlimme Wege geraten, und...«

»Schon gut, schon gut«, unterbricht ihn Archi. »Wir räumen also John Dodges Geldschrank aus und töten den Mann, der uns um unser Erbe betrog und wahrscheinlich unseren Dad getötet hat. Nun gut, mit wem haben wir dann noch zu rechnen?«

»Mit Ben und Rhiley Dodge, seinen beiden Söhnen«, erwidert Bill Bannerhan knapp. »Sie sind dreiundzwanzig und vierundzwanzig Jahre alt und so gefährlich wie Berglöwen. Ihre Mutter war eine Indianerin.«

»Rothäute also«, sagt Archi. »Überlass sie nur mir, großer Bruder Bill!«

Der grinst ihn grimmig an. »Sie können dich ohne Pfeffer und Salz zum Frühstück verdrücken, Archi«, sagt er trocken. »Und dann wäre noch Less Murdoc zu beachten. Das ist John Dodges Vormann, ein eiskalter, harter, furchtloser und erfahrener Mann. Über ihn bin ich mir noch nicht richtig klar, denn er gehört zu der Sorte, die alles tief unter der Oberfläche verbirgt und für jede Überraschung gut ist. Er versteht sich seit einiger Zeit nicht mehr besonders gut mit seinem Boss. Ich halte diesen Murdoc für einen mitleidlosen Wolf. Sicherlich würde er uns bis ans Ende der Welt verfolgen.«

»Und wie viele Reiter hätten die beiden Halbindianer und dieser Less Murdoc hinter sich?«, fragt Jack Bannerhan.

»Jede Menge«, erwidert Bill ruhig. »Ihr müsst nämlich nicht glauben, das dort hinter dem Pass, das wäre eine große Ranch. Dort hinter den Hügeln findet ihr mehr. Es ist ein Königreich! John Dodges Imperium! Versteht ihr? Es gibt eine kleine Stadt mit Handwerkern, einem Store, einem Saloon, einer Schule und einer Frachtlinie. Es gibt einige Siedlungen in den verschiedensten Winkeln dieses kleinen Reiches. Wir sind dort auf der anderen Seite in einem kleinen Königreich und wollen dem König seinen Schatz rauben. So müsst ihr es sehen. Mehr als hundert Menschen leben dort auf der anderen Seite, dort hinter den Hügeln. Es gibt auch Frauen und viele Kinder. Sie alle sind John Dodges Untertanen. Nur einen Haken gibt es dabei. Die meisten Männer sind vor dem Gesetz über die Hügel in John Dodges Reich geflüchtet.«

Nach diesen Worten erhebt sich Bill Bannerhan und rollt sein Deckenbündel auseinander.

»Morgen bei Tagesanbruch reiten wir weiter«, sagt er ruhig und will sich abwenden, um irgendwo zwischen Büschen und Felsen sein Nachtlager aufzuschlagen.

Doch da fällt ihm noch etwas ein. Er wendet sich zum Feuer zurück und blickt Jim an.

»Du hast noch kein Wort gesprochen, Jim«, brummte er. »Ich würde jedoch gerne wissen, wie du über diese Sache denkst.«

»Ich kann mir noch kein Urteil bilden«, erwidert Jim. »Ich kam nach Wyoming, weil du mich wissen ließest, dass du den Mörder unseres Vaters gefunden hättest. Aber es ist noch sehr viel unklar und ungewiss.«

Bill Bannerhan nickt. »Richtig, Jim! Aber wir werden genau Bescheid wissen und alles erfahren, wenn wir John Dodge in der Klemme haben und er uns wird antworten müssen.«

»Auf diese Stunde werde ich warten«, sagt Jim sanft. »Und dann wirst du hören, was ich von der Sache halte.«

Bill Bannerhan starrt seinen jüngsten Bruder einige Atemzüge lang schweigend an.

»Er ist ein reiner Engel und ehrenwerter Musterknabe«, sagt Archi schrill und böse. »Pass auf, wenn es irgendwelche Zweifel gibt, dann wird er John Dodges großen Geldschrank gar nicht ausräumen wollen. Er wird auch dagegen sein, dass wir den Hundesohn zur Hölle sausen lassen. Jimmy wird sich wie eine ehrenwerte Jungfer überlegen, ob er vom Pfad der Tugend abschweifen soll. Wir hätten ihn daheim in Texas lassen sollen.«

Jim erwidert nichts. Er erhebt sich nun ebenfalls und nimmt seine Deckenrolle unter den Arm.

»Archi, lass Jim in Frieden«, grollt Jack indes. »Er hat eine gute Stellung aufgegeben, um mit uns zu kommen. Er ist ein Bannerhan wie wir. Und er wird uns helfen, wenn wir dafür sorgen, dass John Dodge uns seine Schulden mit Zins und Zinseszins bezahlt. Nicht wahr, Jimmy?«

Der schüttelt fast unmerklich den Kopf und wirkt plötzlich bitter und irgendwie traurig. An seiner Seite hängt ein alter Colt. Er trägt Stiefel ohne Sporen, und seine langen Beine sind leicht gekrümmt. Er ist sehr schmal in den Hüften und breit in den Schultern. Ruhig und selbstsicher steht er so da und betrachtet seine Brüder.

Dann sagt er zu Bill: »Diese beiden Banditen denken jetzt nur noch an den Inhalt von John Dodges Geldschrank. Ihnen ist es vollkommen gleich, ob John Dodge unseren Vater getötet und beraubt hat oder ob es irgendwelche andere Erklärungen geben wird. Ihnen ist es gleich. Sie werden John Dodge auf jeden Fall berauben wollen. Ich frage mich nur, was dich antreibt, Bill. Über dich bin ich mir noch nicht klar. Aber eines Tages werden alle Karten auf dem Tisch liegen. Wenn John Dodge schuldig ist, dann soll er zahlen.«

»Und wenn er unschuldig ist?«, fragt Archi kichernd. Er tritt vor Jim und klatscht mit den Händen gegen die Kolben seiner Revolver, die er im Kreuzgurt tief unter den Hüften trägt.

»Jimmy«, spricht er weiter, »wir sind hier auf eine Goldmine gestoßen. Dort hinter den Hügeln wartet ein Geldschrank auf uns, in dem sich hunderttausend Dollar befinden sollen. Und wir brauchen diesen Geldschrank nur im richtigen Moment auszuräumen, über den Pass zu reiten, und haben vier Monate Vorsprung. Oha, das ist was! Das ist einmalig! Such dir mal eine Bank aus, in deren Safe hunderttausend Dollar sind. Da musst du schon in eine verdammt große Stadt reiten. Und dein Vorsprung ist dann nur wenige Minuten groß. Meistens musst du dir den Weg freischießen, und deine Chancen sind jämmerlich gering. Hier aber ist eine große Chance! Was mich und Jack betrifft, wir würden uns John Dodges Geld auch dann holen, wenn er unseren Vater nie gekannt hätte. Jetzt weißt du es genau, Jimmy.«

Jim kümmert sich gar nicht um ihn. Er nickt Bill zu und sagt: »Es sind zwei Banditen. Jetzt weißt du genau, was aus deinen Brüdern wurde.«

»Weil ich fort war und sie keinen Vater hatten«, murmelt Bill Bannerhan und lässt seine Decken fallen. »Weil sie keinen Vater und keinen großen Bruder hatten. Doch das wird jetzt anders! Jetzt sind sie wieder gute Jungens. Dafür sorge ich schon. Sieh dich vor, Archi! Du wirst nie etwas anderes tun...«

»Zum Teufel, du warst und bist selbst ein Sattelstrolch, Bill! Spiele uns doch nichts vor! Du machst dir doch wohl nicht selber was vor, Großer? Für dich ist das Geld in John Dodges Kasten doch auch viel wichtiger als alles andere. Du hast eine feine Sache ausbaldowert, und nun wird sie gemacht! Machen wir uns doch nichts vor!«

Archi ruft es spöttisch und mit Bosheit.

Bill Bannerhan tritt langsam vor ihn hin, betrachtet ihn zwei Atemzüge lang grimmig und schlägt ihn dann mit einem wilden Hieb von den Beinen. Dann folgt er ihm, reißt ihn wie ein Lumpenbündel vom Boden hoch und schüttelt ihn in der Luft.

»Archi«, grollt er, »ich werde nachholen, was versäumt wurde. Ich reiße dich, wenn nötig, in kleine Stücke und setze dich so zusammen, wie ich dich haben will.«

Dann lässt er ihn fallen und wendet sich ab.

Archi tastet keuchend nach seinen Waffen. Aber die sind ihm aus den Holstern gerutscht. Er kriecht fluchend über den Boden, erreicht einen seiner Revolver und will ihn in die Hand nehmen.

Doch da tritt ihm Jack auf die Hand und grollt: »Lass es bleiben, Archi! Bill ist wieder bei uns. Und ich stehe auf seiner Seite.«

Am anderen Tag reiten sie weiter, schweigend und mürrisch. Archi wirkt tückisch und wie voller Gift. Doch es gab keinen Streit mehr. Scheinbar hat er sich seinem großen Bruder unterworfen.

Sie reiten den ganzen Tag und erreichen am Abend die tiefe Kerbe des Passes. Wieder schlagen sie ein Camp auf, und wieder bereitet Jack ein gutes Abendbrot. Sie rollen sich schweigend in die Decken. In dieser Nacht wird es besonders kalt. Am anderen Morgen ist die Oberfläche der Wasserstelle mit einer dünnen Eiskruste bedeckt.

Als sie dann zum Pass hinaufreiten, kreuzt ein Coyote ihren Weg. Und schon kracht Archis Colt. Obwohl der Coyote wie ein Schatten über den Weg huschte, trifft ihn Archi in den Kopf.

Nachdem er die Patrone ausgewechselt hat, blickt er Bill an. »Wenn du mich wieder einmal verprügeln möchtest, Großer, dann denke daran, dass ich es nicht noch einmal hinnehmen werde«, sagt er böse.

Bill gibt ihm keine Antwort. Er führt seine Brüder zum Pass hinauf. Gegen Mittag haben sie die Wasserscheide erreicht und halten an.

Nun können sie in das »Land hinter den Hügeln« blicken, in John Dodges Königreich.