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Am Morgen verkaufte Jim Coburne mit hohem Gewinn sechsunddreißig Wildpferde, und jetzt ist er dabei, in einem heißen Pokerspiel den Kauferlös für die Herde zu verdoppeln. Lässt sich solch eine Glückssträhne überhaupt noch steigern?
Ja, denn plötzlich betritt eine Frau den Saloon, bei deren Anblick sämtliche männlichen Gäste den Atem anhalten. Die Schöne aber will zu ihm. Sie ist die Besitzerin der Overland Line und braucht seine Hilfe.
Jim glaubt sich im Himmel. Wie hätte er auch ahnen können, dass Isabella Sullivan gekommen ist, um ihn für eine Fahrt durch die Hölle zu gewinnen...?
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Seitenzahl: 180
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Overland Stage
Vorschau
Impressum
Overland Stage
Jim Coburne fühlt sich an diesem Tag – es ist der 17. Mai 1867 – in einer ganz besonderen Glückssträhne. Er hat die zugerittenen und auch als Gespannläufer ausreichend dressierten ehemaligen Wildpferde an die Post- und Frachtstation in Las Vegas verkauft. Es gibt viele Las Vegas. Dieses hier liegt etwa fünfzig Meilen südlich von Taos im Pecos Valley.
Es waren sechsunddreißig Tiere, ausgewählt von fast hundert.
Er hat seine beiden mexikanischen Helfer ausgezahlt, suchte die Badestube des Barbierladens auf und ließ sich auch neues Unterzeug und nagelneue Oberkleidung bringen. Danach ließ er sich auf einige Sünden ein. Und nun sitzt er im Saloon beim Poker und gewinnt.
Er hat inzwischen so viel gewonnen, dass er seine Einkünfte als Wildpferdjäger verdoppeln konnte – und dies in wenigen Stunden. Als Wildpferdjäger hat er fast drei Monate harte Arbeit im Sattel leisten müssen in einem wilden Land voller Gefahren, um den gleichen Betrag zu kassieren, den er beim Spiel in ein paar Stunden gewann.
Und so fragt er sich wieder einmal mehr, warum er nicht als Spieler seinen Lebensunterhalt bestreitet.
Doch er weiß, dass die Glückssträhne eines Mannes sich schnell ins Gegenteil verkehren kann und aus dem zuerst vermutlichen Glück eine Pechsträhne wird.
Oft hat er es auch schon umgekehrt erlebt. Da wurde aus einer anfänglichen Pechsträhne das Gegenteil. Und so weiß er längst, dass es im Leben immer wieder ziemlich verrückt zugeht.
Er streicht gerade einen neuen Gewinn ein, zieht die Dollars von der Tischmitte zu sich herüber und wirft dabei einen kurzen Blick zur Tür.
Und da hält er inne vor Staunen, vergisst für einige Sekunden alles auf dieser Welt. Er sieht nur auf die eintretende Frau.
Doch das geht nicht nur ihm allein so. Alle männlichen Gäste, deren Blicke sich in diesem Moment auf die Schwingtür richten, staunen wie er.
Und eine heisere Stimme an einem Tisch in der Ecke sagt mit einem Klang von Ergriffenheit: »O du Heilige Jungfrau, was für ein Wunder...«
Es ist später Nachmittag. Die schon recht tiefstehende Sonne wirft ihren Schein durch ein Fenster der Westseite in den Raum und strahlt die Frau an, hüllt sie ein wie in Gold.
Sie trägt ein flaschengrünes Reisekostüm und wirkt wie eine Lady. Ihre grünen Katzenaugen funkeln, als sie sich im Raum umsieht und die Männer an den Tischen und an der Bar prüfend betrachtet.
Und auch jene, die sie nicht eintreten sahen, können sie nun ebenfalls bewundern. Das Staunen hält an.
Denn sie alle wissen, dass sie diesen Anblick noch lange in Erinnerung behalten werden.
Sie bewegt sich wieder nach ihrem kurzen Verharren. Und erneut staunt alles, denn ihre Bewegungen sind faszinierend anzusehen.
Zielstrebig steuert sie auf den Pokertisch zu, an dem Jim Coburne seinen letzten Spielgewinn immer noch nicht zu sich herübergezogen hat.
Ihr Blick richtet sich auf Jim Coburne, und als sie vor dem Tisch anhält, da fragt sie mit einer Stimme, deren Klang allen unter die Haut geht: »Sind Sie Coburne? Sie müssen es sein. Der Posthalter hat Sie mir beschrieben. Sie müssen es sein.«
Jim Coburne nimmt den zurückgeschobenen Hut ganz ab und legt ihn vor sich auf den Tisch, wo jetzt alle Karten und das Geld liegen. Er erhebt sich und spricht ruhig: »Ja, Lady, ich bin Coburne. Was kann ich für Sie tun?«
»Das möchte ich Ihnen draußen sagen«, erwidert sie ruhig, wendet sich und geht zur Tür. Dort wirft sie noch einen Blick über die Schulter hinweg zurück und verschwindet.
Und immer noch ist es still im Raum. Die Gäste hier sind Cowboys, Frachtfahrer, Reiter, die von unbestimmbaren Einkünften leben und manchmal aus verborgenen Camps in die kleine Stadt kommen. Auch Farmer und Satteltramps sind darunter.
Sie alle wurden sich bewusst, dass sie etwas Schönes sahen.
Jim Coburne setzt den Hut wieder auf und sammelt sein Geld ein.
Doch einer der drei Mitspieler spricht nun hart: »So geht das nicht, mein Freund. Sie können jetzt nicht einfach verschwinden mit Ihrem Gewinn. Wir haben ein Recht auf Revanche. Diese Lady mag noch so schön sein – aber sie kann Sie nicht einfach aus einem Pokerspiel wegholen. Mein Freund, Sie bleiben.«
Jim Coburne weiß sofort, dass es nun mächtigen Ärger geben wird.
Denn er hat diesen Mann schon seit einigen Stunden regelrecht studiert. Das musste er, denn das gehört zum Poker. Man kann beim Poker nicht gewinnen, wenn man die Gegenspieler nicht studiert und sie deshalb nicht einschätzen kann. Man muss wissen, wann der Gegenspieler blufft oder nicht.
Und dieser Mann da ihm gegenüber, der gehört zu den Hartgesottenen, der blufft jetzt nicht.
Jim Coburne steckt erst sein Geld weg.
Dann spricht er ganz ruhig: »Mister, ich bin nicht Ihr Freund. Und ich will die Lady da draußen nicht warten lassen. Es war nicht ausgemacht, wie lange wir spielen würden. Deshalb gehe ich jetzt zu der Lady hinaus.«
Er setzt sich in Bewegung.
Doch da springt der Hartgesottene auf und bringt dabei seinen kurzläufigen Colt aus dem Schulterholster zum Vorschein.
Als er die Mündung auf Jim Coburne richten will, bekommt er dessen Kugel in die Schulter des Revolverarms. Er muss die Waffe fallen lassen und fällt auf seinen Stuhl zurück, weil ihm plötzlich die Beine zu schwach werden, um seinen Körper noch tragen zu können.
Jim Coburne sieht die drei anderen Mitspieler an. »Haben Sie auch etwas dagegen, dass ich hinaus zu der Lady gehe?«
Sie schütteln stumm die Köpfe. Dann spricht einer: »Wir haben nicht so viel verloren wie er.«
Jim Coburne nickt und geht.
Der Mann, dem er die Schulter zerschoss, brüllt heiser und wild hinter ihm her: »Merk dir meinen Namen, Jim Coburne! Ich bin Jack Kellock, und ich zahle alles mit Zinsen zurück! Ich finde dich, wo du auch sein wirst!«
Seine Worte sind nur schwer zu verstehen, weil der Schmerz ihm die Stimme verzerrt. In Jim Coburne ist Bitterkeit, als er aus dem Saloon tritt.
Und er denkt fast grimmig: Hoffentlich hat die Lady einen guten Grund, mich von der Runde wegzuholen!
Er sieht sie ein Stück weiter auf ihn warten.
Und abermals erfreut er sich an ihrem Anblick, indes er sich ihr nähert. Dabei spürt er deutlich ihre Ausstrahlung. Ja, es geht etwas von ihr aus, was ihn irgendwie trifft. Er wird sich auch darüber klar, dass sie ihn abschätzt. Und das macht ihm wiederum bewusst, dass sie eine erfahrene Frau inmitten einer Männerwelt ist, eine Frau mit Erfahrungen auf rauen Wegen. Solche Frauen blicken Männern fest in die Augen.
Und die da vor ihm tut es.
Es sind grüne Augen, Katzenaugen. Ihr Haar ist rabenschwarz, und als er ihr nahe genug ist und vor ihr verhält, wobei er an den Hut greift, da entdeckt er auf ihrer geraden Nase und auf den Bögen ihrer Wangenknochen einige Sommersprossen.
Das gefällt ihm. Auch ihr Mund gefällt ihm, sodass er sich fragt, wie dieser Mund wohl küssen kann.
»Nun, Lady«, murmelt er, »da bin ich.«
Sie betrachtet ihn immer noch forschend. Er spürt, dass ihr Instinkt in ihn einzudringen versucht.
Weil Jim Coburne aber auch spürt, dass man sie von allen Seiten beobachtet – es kamen hinter ihm auch einige Gäste aus dem Saloon von ihrer Neugierde getrieben –, da nimmt er einen Moment seinen Blick von ihr und blickt in die Runde.
Ja, sie werden von allen Seiten beobachtet. Aber das ist kein Wunder. Sie ist eine Fremde, die mit der Postkutsche kam und einen Mann aus dem Saloon holte. Es sprach sich in der kleinen Stadt inzwischen auch herum, dass die Overland Stage unterwegs Schwierigkeiten hatte.
Er sieht wieder in die grünen Augen der schönen Frau. Als er lächelt, strömt er eine sanfte und dennoch stählerne Höflichkeit aus. Sie erkennt in den dunklen Linien seines Gesichtes Spuren von Härte, spürt aber zugleich mit dem Instinkt einer erfahrenen Frau, dass dieser Mann auch noch eine andere Seite hat, nämlich eine fröhliche und lebenslustige, die ihm auf seinen rauen Wegen nicht verloren ging – noch nicht.
»Kommen Sie bitte mit«, verlangt sie.
Da tritt er an ihre Seite, und sie gelangen nach etwa hundert Schritten zur Einfahrt des Wagenhofes. Hier wechseln die Postkutschen ihre Gespanne. Hier ist auch das Office der Postagentur. Auf der anderen Seite des Hofes ist die Schmiede.
Die Postkutsche steht mitten auf dem Hof.
In den Corrals bewegen sich die Pferde, die Jim Coburne vor einigen Stunden einlieferte und sich gut bezahlen ließ.
Die Passagiere der Kutsche sitzen offenbar in der Gaststube bei einem Imbiss. Es gibt auch eine Adobehütte, die den Fahrern und deren Begleitmännern als Quartier dient, wenn die Kutschen in den Nächten wegen schlechten Wetters nicht fahren können.
Auf diese Adobehütte steuert die schöne Frau zu.
Sie treten beide langsam ein.
Ein Mann – wahrscheinlich der Fahrer – liegt dort stöhnend auf einem der Lager. Ein anderer Mann – es ist der Doc der kleinen Stadt – bemüht sich um ihn und versorgt eine Schusswunde.
Es sind noch zwei Männer im Raum. Einer ist der Posthalter, der andere wahrscheinlich der Begleitmann der Kutsche, ein Halbblut.
Sie helfen dem Doc, machen Handreichungen. Ein Eimer mit blutigem Wasser steht neben dem Lager. Der Doc aber knurrt: »Los, ich brauche sauberes Wasser!«
Und da eilt der Halbblutmann hinaus.
Der Posthalter aber richtet sich auf und sieht Jim Coburne an.
»Jim«, sagt er, »die Lady braucht Hilfe. Ich habe dich empfohlen. Also hilf ihr, verdammt! Denn sie ist meine Chefin. Hilf ihr, wenn du weiterhin Pferde an diese Post- und Frachtlinie verkaufen willst.«
Die letzten Worte sind fast schon eine Drohung.
Aber Jim Coburne ist ein Mann von jener Sorte, der man besser nicht drohen sollte.
Und so wird sein Gesicht hart. Er will etwas sagen, was dem Posthalter gewiss nicht gefallen hätte. Doch da mischt sich die schöne Frau mit den Worten ein: »Nur ruhig, Charly Slaugter. Ich regle das schon mit Mr. Coburne. Ich wollte nur, dass er Whip Slater hier liegen sieht. Nun kann ich anders mit ihm reden. Kommen Sie, Mr. Coburne.«
Die letzten Worte gelten Jim. Sie geht nun wieder hinaus. Er aber wirft noch einen Blick auf den Fahrer Whip Slater, den er gut kennt, und hört ihn heiser stöhnen: »He, Jim, hilf ihr! Es geht um alles oder nichts.«
Jim Coburne erwidert nichts, aber er tritt dann mit wenigen geschmeidig gleitenden Schritten ins Freie.
Er ist einen ganzen Kopf größer als die Frau. Sie muss zu ihm aufblicken, doch sie strömt dabei Stolz aus. Er hört sie nur fragen: »Mr. Coburne, wollen Sie die Stage für mich und die Pecos Overland Line nach Pecos Bend fahren?«
»Warum sollte ich das tun, Lady?« So fragt er zurück und setzt hinzu: »Wissen Sie, ich suche zurzeit keinen Job. Ich war stets mein eigener Boss. Eigentlich habe ich die Absicht, eine Pferderanch zu gründen. Ich bin an einem Fahrerjob nicht interessiert.«
Er greift nun wieder an den Hut und will gehen.
Aber sie spricht hart: »Bleiben Sie, Jim Coburne! Ich brauche Hilfe. Und Sie halte ich für einen Mann, der vor einer Herausforderung nicht kneift.«
»He«, macht er nur. Und dann spricht er fast spöttisch: »Ich kenne nicht mal Ihren Namen, weiß nur, dass Sie verdammt schön sind und ich gerne mal eine Nacht mit Ihnen im Bett liegen würde. Und weil dies gewiss nicht möglich ist, warum sollte ich dann eine Overland Stage fahren – und das auch noch bis zur Pecos-Mündung in den Rio Grande, ha, warum sollte ich das tun?«
Sie tritt einen Schritt zurück, um ihn besser von oben bis unten betrachten zu können. Dann spricht sie hart: »Ich weiß, dass es keine Ritter mehr gibt auf unserer Erde. Aber es geht um die Postlinie. Ich muss eine neue Konzession erwerben, weil ich die Pecos Overland Line von meinem Vater übernommen habe. Ja, Herb Sullivan ist tot. Ich bin seine Tochter Isabella. Und ich muss den Nachweis bringen, dass die Pecos Overland Line weiterhin bestens funktioniert. Verdammt, ich brauche die Konzession!«
Als sie verdammt sagt, da stampft sie mit ihrem zierlichen Fuß auf, der in einem eleganten Stiefelchen steckt. Aber dieses trotzige Aufstampfen gefällt Jim Coburne.
Überhaupt gefällt sie ihm immer mehr, denn er begreift, dass sie eine junge Frau ist, die sich zu einem Kampf entschlossen hat. Und überdies kannte er ihren Vater, jenen schon legendären Herb Sullivan, den sie im ganzen Pecos Valley auch Duke nannten. Und Duke bedeutet immerhin so viel wie Herzog.
Jetzt soll er tot sein.
Seine Tochter sieht immer noch fest in Jim Coburnes Augen.
»Und warum hat jemand Whip Slater eine Kugel verpasst?«, fragt er.
»Er sollte vom Bock fallen, damit die Kutsche nicht weiter konnte«, erwidert sie. »Doch er blieb trotz der schweren Wunde oben und jagte die Kutsche noch fünf Meilen bis in diese Stadt. Hier im Hof fiel er dann vom Bock. Wollen Sie an seiner Stelle die Kutsche mit den Passagieren und der Regierungspost nach Pecos Bend fahren?«
»Das sind fast tausend Meilen«, murmelt er staunend.
»Sie können sich mit Latigo John ablösen«, erwidert sie.
»Und wer ist gegen Sie, Lady?« So fragt er, als wollte er nur einige Sekunden Zeit gewinnen.
Sie hebt ihre geraden Schultern.
»Jemand, der selbst die Konzession bekommen möchte«, erwidert sie dabei. »Vielleicht ist es die Rio Grande Line – was weiß ich. Ich weiß nur, dass wir pünktlich mit der Post und allen Passagieren in Pecos Bend ankommen müssen. Helfen Sie mir, Jim Coburne, obwohl ich gewiss nicht mit Ihnen ins Bett gehen werde für Ihre Hilfe.« Sie verstummt mit einem Klang von Trotz in der Stimme.
Er starrt ihr in die Augen und beschließt tief in seinem Kern: Und du wirst doch mit mir ins Bett gehen, aus welchen Gründen auch immer. Es muss ja nicht aus purer Dankbarkeit sein, sondern allein deshalb, weil wir Mann und Frau sind auf einem Weg und die Einsamkeit besiegen wollen.
Er hört sich dann sagen: »Ich bekomme zehn Dollar pro Tag, damit Sie mir nichts schuldig sind – gar nichts, auch nicht in einem Bett.«
»Gut«, erwidert sie.
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Als er wenige Minuten später mit seinem wenigen Gepäck in den Wagenhof kommt und zur Kutsche tritt, da erwartet ihn der Begleitmann Latigo John am Vorderrad lehnend.
Sie betrachten sich einige Atemzüge lang schweigend.
Latigo John ist ein Halbblut, doch man fragt sich bei seinem Anblick, was für eins. Nur eines ist sicher, einen schwarzen Elternteil hatte er nicht. Aber sonst wäre so ziemlich alles möglich. Wahrscheinlich hat er Chinesen- und Indianerblut in seinen Adern.
Latigo ist der Ausdruck für einen ölgetränkten und auf diese Art geschmeidig gemachten Lederstreifen, der überall dort verwendet wird, wo etwas festanliegend und gering sich dehnend festgemacht werden soll, auch an Pferdegeschirren, Sattelgurten und Zaumzeug. Mit Latigo kann man vorübergehend allerlei reparieren.
Und es gibt die sogenannten »Rohhäuter«, die alles mit Latigo machen und deshalb keine Schnallen oder gar Nägel kennen und Rohhäute auch als Kleidung bevorzugen. Sie binden alles fest, statt zu nähen.
Latigo John starrt Jim Coburne aus schrägen Wolfsaugen an. Er hat gelbe Haare und trägt einen gelben Sichelbart über seinem hartlippigen Mund. Sein Körper wirkt wie gedörrt, und er lässt bei seinem Anblick an einen hageren Wolf der Apachenwüste denken, der gelernt hat, sich auch von Klapperschlangen zu ernähren.
Jim Coburne nickt ihm leicht zu und spricht dann: »Ich bin Jim Coburne. Deinen Namen kenne ich. Und wir sollen die Kutsche bis Pecos Bend bringen. Wie weit kann ich mich auf dich verlassen?«
»Das wirst du sehen«, erwidert Latigo. »Ich verspreche nichts. Aber ich habe schon neben Herb Duke Sullivan auf dem Bock gesessen, als dieser noch selbst fuhr. Wann geht es endlich weiter?«
»Jetzt«, bekommt er als Antwort.
Und dann sehen sie, wie Isabella Sullivan mit den Passagieren aus dem Gastraum der Station kommt. Außer ihr fahren sechs Passagiere mit, die sich Jim Coburne genau ansieht. Einen hält er sofort auf den ersten Blick für einen Spieler, einen sogenannten Kartenhai.
Dann folgt ein Pärchen, welches noch sehr jung ist. Wahrscheinlich ist er ein Cowboy, der mit der noch sehr jungen Tochter eines Ranchers ausriss, denn die Kleine sieht so aus wie ein Mädchen, das in einem Pensionat erzogen wurde und noch nicht wieder lange daheim war.
Der Junge ist ein hübscher Bursche, geschmeidig und gewiss nicht dumm. Solche Burschen werden innerhalb der Mannschaft zumeist Blinky genannt, obwohl sie andere Namen haben.
Der vierte Fahrgast sieht aus wie ein Handelsvertreter. Er wirkt zufrieden. Wahrscheinlich hat er in Taos oder gar jenseits des Raton-Passes – also in Colorado, wo man rings um Denver Gold und Silber findet – gute Abschlüsse getätigt.
Die beiden restlichen Passagiere wirken seriös und wie Vater und Sohn. Man kann sich den älteren Mann als Bankdirektor vorstellen.
Dieser Mann spricht, indes er Jim Coburne ansieht: »Dann geht es ja wohl endlich weiter. Es wurde auch Zeit. Ich muss dringend zu Geschäften nach Galveston. Und das ist ein verdammt langer Weg. Werden wir die Nacht durchfahren können?«
»Sonst bräuchten wir jetzt nicht aufzubrechen«, erwidert Jim Coburne. »Dann hätte das keinen Sinn.«
Sie klettern alle in die Kutsche.
Nur Isabella Sullivan verhält noch einige Atemzüge lang vor ihm und blickt aus nächster Nähe zu ihm hoch. Er spürt ihre Ausstrahlung nun noch stärker als zuvor.
Es ist ein rätselhafter Ausdruck in ihren Augen; ein verwundertes Staunen mag es sein oder Dankbarkeit, zugleich aber auch Vorsicht oder forschendes Misstrauen.
Er begreift in diesem Moment, dass sie sich über ihn noch längst nicht klargeworden ist. Und so wechseln ständig ihre Gefühle.
Er würde gerne sehr viel mehr über sie wissen, zum Beispiel auch, warum sie von Taos her nach Süden unterwegs ist, die Kutsche also selbst begleitet.
Aber er weiß, der Weg ist noch lang. Es sind ja fast tausend Meilen. Er wird noch Gelegenheit haben, mit ihr reden zu können.
Als er sich zum Fahrersitz hochschwingt, da sieht es so aus, als hätte er dies schon tausendmal gemacht.
Oben sitzt schon Latigo John mit dem Schrot-Parkergewehr quer über den Oberschenkeln. Neben sich hat Latigo einen Eimer voller Kiesel auf dem Fußbrett stehen, die er bei Bedarf auf die Hinterteile der Gespannpferde wirft, wenn diese angetrieben werden sollen ohne Peitschengeknalle. Das ist allgemein so üblich.
Die Kutsche bekam inzwischen ein neues Sechsergespann.
Sie fahren aus der kleinen Stadt und lassen eine Staubwolke hinter sich.
Jim Coburne bekommt das Sechsergespann schnell unter Kontrolle. Die Tiere spüren sofort, dass da hinter ihnen auf dem Kutschbock ein Könner die Zügel führt.
Und sie hören auch an den Rufen, dass sie nicht schummeln können. Wer nicht richtig von ihnen im Gespann läuft, der bekommt die Kiesel auf die Hinterbacken wie Peitschenhiebe gepfeffert. Latigo trifft genau die Stellen, die er treffen will.
Die Kutsche lässt die kleine Stadt schnell hinter sich, folgt dem Wagenweg des Pecos Valley. Im Westen verschwindet die Sonne hinter den Hügelketten. Aber bald werden Mond und Sterne der Kutsche den Weg leuchten. Es wird eine sternenhelle Nacht werden.
Als sie die erste Meile hinter sich gebracht haben, fragt Jim Coburne seinen Begleitmann: »Und wenn Whip Slater vom Bock gefallen wäre?«
»Auf diese Frage habe ich gewartet«, spricht Latigo hart und fügt hinzu: »Dann wäre ich weiter gefahren. Ja, verdammt, ich wäre weiter mit der Kutsche. Denn sie muss nach Pecos Bend. Und die Lady muss ein Fahrtenbuch führen. Das verlangt die Kommission von ihr. Die Passagiere sind wichtiger als ein vom Bock geschossener Fahrer. Wenn sie dich vom Bock schießen, halte ich nicht an, sondern fahre an deiner Stelle weiter. Und so wird es dann im Fahrtenbuch zu lesen sein von den Arschlöchern der Kommission.«
Er verstummt verächtlich.
Sie schweigen wieder. Das Gespann trabt stetig. Als die Nacht dann vom Licht der Gestirne in silbernen Schimmer getaucht wird, da gibt es überall tiefe Schatten. Sie wissen beide, dass in jedem dieser Schatten eine Gefahr lauern könnte.
Whip Slater ist aus dem Hinterhalt angeschossen worden. Nun könnte das Jim Coburne ebenso zustoßen. Und sie können nichts dagegen tun. Sie sitzen ja hoch auf dem Bock wie auf einem Präsentierteller und können sich nur auf ihren Instinkt verlassen, nur auf ihr Ahnungsvermögen für Gefahr.
Eigentlich sind sie – wie man im Volk so treffend sagt – zwei arme Schweine.
Wer sie abschießen will – aus welchen Gründen auch immer – hat es leicht.
Nach gut zwei Stunden erreichen sie die von Las Vegas dreißig Meilen weit entfernte Pferdewechselstation an der Mündung des jetzt trockenen Javelina Creek.
Javelinas, dies sind wilde Moschusschweine, welche gefährlich werden können, wenn sie Blut wittern.
Ein frisches Sechsergespann wartet hier auf die Kutsche, und der Stationsmann sagt mit einem Klang von Erleichterung in der Stimme: »Da seid ihr ja. Ihr habt Verspätung. Ich machte mir Sorgen. Was ist denn mit Whip Slater?«
»Den hat man angeschossen«, erwidert Latigo. »Hast du fremde Gäste hier, Benson?«
»Nein«, erwidert der Stationsmann. »Ich bin mit Juan und meiner Frau ganz allein, und es kam auch niemand vorbei. Das ist ein ödes Land hier am Pecos. Wenn ich eine weiße Frau hätte, wäre sie mir längst weggelaufen.«
Die Kutsche fährt nun weiter, und abermals muss Jim Coburne das Gespann wieder unter Kontrolle bringen. Einmal ruft er scharf: »Hoiii, ihr dicken Tanten! Wollt ihr wohl gleichmäßig ziehen?! Im Gespann gibt es kein Stutenbeißen!«
Latigo lacht leise und pfeffert einige Kiesel auf die Hinterbacken.
Dann herrscht wieder Ordnung.
Latigo sagt dann nach einer Weile: »Du fährst fast so gut wie Whip Slater – und der hat nie etwas anderes getan. Warum hast du diesen Job übernommen? Hat die Schönheit der Chefin dich verzaubert?«
»Und wenn, Latigo – und wenn?« So fragt Coburne zurück.
Da lacht Latigo wieder. Es ist ein seltsames Lachen, irgendwie nachsichtig und verständnisvoll, aber zugleich auch spöttisch.
»Erzähl mir was über sie«, verlangt Jim Coburne. »Wenn du schon so lange bei Herb Duke Sullivan und dessen Post- und Frachtlinie bist, dann musst du sie ja schon Jahre kennen. Erzähl mir was!«