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Nachdem er seine kleine Ranch leichtsinnig verspielt hat, gerät Johnny Adams immer mehr auf die schiefe Bahn. Doch seine Freunde, die schöne Jennifer Jones und der Cowboy David Cameron, halten ihm nach wie vor die Treue. Jennifer liebt Johnny und will den Unwürdigen retten. So steigt David in den Sattel, Johnny für sie zu suchen. Er weiß, dass sein Ritt in die Hölle führt. Doch für Jennifer riskiert David sein Leben - obwohl sie seine Liebe nicht erwidert und obwohl er sich kaum eine Chance bei ihr auszurechnen wagt ...
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Veröffentlichungsjahr: 2021
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Ritt für Jennifer
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Impressum
Ritt für Jennifer
In Abe Jones' tiefbraunem und lederhäutigem Gesicht bewegt sich gar nichts. Es bleibt unbeweglich wie eine aus Holz geschnittene Indianermaske, wie sie von den Medizinmännern bei irgendwelchen Tänzen getragen wird.
Und dabei legt Abe Jones vier Asse auf den Tisch.
»Die sind besser als deine vier Könige, Johnny, mein Junge«, sagt er dann trocken; so trocken und hart, wie es nur ein Mann von Abe Jones' Sorte sagen kann, ein Mann, der sich ein Rinderreich schuf und der seinen fünfzig Reitern niemals einen Befehl zweimal geben muss.
Johnny Adams betrachtet diese vier Asse staunend. Es ist, wie wenn er vier kleine Mäuseriche sähe, die zusammen ein spöttisches Lied singen.
Dann betrachtet er seine vier Könige, die er zuvor aufgedeckt hatte. Aber er ist kein schlechter Verlierer, obwohl er noch gar nicht begriffen hat, was er soeben verlor. Er grinst schief, und aus diesem schiefen Grinsen wird schon bald ein verwegenes Lachen. Er sieht prächtig aus, wenn er so auf diese Art lacht, dieser Johnny Adams. Er ist auf eine männliche Art hübsch und wirkt immer wie einer dieser blonden und kühngesichtigen Sieger.
»Sicher, Mister Jones«, sagt er, »gegen vier Asse sind vier Könige nur kleine Burschen. Ich bin geschlagen. Das Spiel ist – was mich betrifft, Gentlemen – beendet.«
Abe Jones nickt, und das ist für die beiden anderen Mitspieler wie ein Zeichen. Sie streichen schnell ihre mageren Spielgewinne zusammen, erheben sich und verschwinden mit gemurmelten Grüßen vom Tisch. Sie treten zur Bar, um sich einen Drink geben zu lassen, den sie schon seit einer Weile nötig brauchten. Denn sie hatten soeben erlebt, wie der alte Falke Abe Jones einen vielversprechenden jungen Mann ruinierte und dazu noch als künftigen Schwiegersohn ausschaltete.
Auch Johnny Adams will sich erheben und den Tisch verlassen, an dem er binnen sechseinhalb Stunden verlor, was er sich innerhalb von fünf Jahren schuf.
Abe Jones macht eine knappe Handbewegung und brummt: »Bleib noch einen Moment, Johnny.«
Nachdem er dies gesagt hat, nimmt er sich Zeit. Er holt erstmal eine seiner langen und sehr dünnen Zigarren hervor, setzt sie in Brand und betrachtet den Schuldschein, den Johnny Adams zuletzt statt Bargeld auf seine Karte setzte – und verloren hatte.
»Was besitzt du jetzt noch, Johnny?« Er fragt es auf eine mitleidlose Art.
Jonny Adams grinst nun scharf und kampflustig. Dann erwidert er: »Es sind vier Dinge, Mister, und Sie können mir diese vier Dinge nicht nehmen. Ich besitze noch meinen Sattel, mein Pferd und den Colt. Überdies besitze ich die Liebe Ihrer Tochter. Daran ist nichts zu ändern, auch wenn ich jetzt wieder dort anfangen muss, wo ich vor fünf Jahren begann.«
Abe Jones lächelt. Es ist ein mitleidloses Lächeln.
»Ich habe nie viel von dir gehalten, Johnny«, murmelt er dann. »Du warst schon als junger Bursche einer von der Sorte, die alles wagte und auf eine Karte setzte. Dabei hattest du zumeist auch Glück. Du bist nie an einen richtig harten Burschen geraten, der pokern konnte – nicht nur am Spieltisch, sondern überhaupt im Leben. Johnny, du konntest dich nie so in der Hand halten und beherrschen, wie es ein Pokerspieler können muss. Deshalb bekommst du auch meine Tochter Jennifer nicht. Ich will nicht eines Tages einem Burschen wie dir die Leitung meiner Riesenranch übergeben müssen. Als mein Nachfolger würdest du wie ich ein König sein, ein Mann mit Macht, Einfluss und Reichtum. Du bist solch einer Sache nicht gewachsen. Deshalb kannst du Jennifer nicht heiraten.«
Er verstummt trocken und zieht an seiner Zigarre.
»Jennifer würde barfuß für mich betteln gehen«, sagt Johnny stolz. »Doch das wird sie niemals nötig haben. Und ich werde auch jetzt einen Weg finden. Sobald sie einundzwanzig ist, wird sie meine Frau. Daran beißt niemand einen Faden ab.«
Er verstummt auf eine wilde und triumphierende Art. Es tut ihm wohl, wenigstens jetzt diesem alten Falken eine Niederlage zufügen zu können.
Doch Abe Jones lächelt mit dünnen Lippen abermals grausam hart.
»Du bist ein Narr, Johnny«, sagt er. »Wenn du binnen drei Tagen die Spielschuld nicht begleichen kannst, übernehme ich deine kleine Ranch. Und sei dir Jennifers nur nicht mehr so sicher. Du hast auch ihr Glück aufs Spiel gesetzt, als du mit mir Poker spieltest. Sie ist klug genug, um sich ausrechnen zu können, dass du ihr Glück und das deiner Familie immer wieder auf ähnliche Art riskieren würdest. Johnny, sie wird zumindest kühler über dich nachdenken. Jetzt kannst du gehen!«
Die letzten Worte kommen noch schärfer, und Johnny Adams, der sich erhebt, spürt nun ganz deutlich, dass dieser alte Weideking sein Feind ist. Aber wahrscheinlich ist er jedes Mannes Feind, der sich seine Tochter erobern will.
»Na schön, wir werden sehen!« Dies stößt Johnny Adams hervor und verlässt den Tisch.
Die Männer, die an der langen Bar stehen, betrachten ihn auf eine unpersönliche Art. Sie alle leben von Abe Jones oder zumindest in seinem Schatten, sind auf seine Duldung angewiesen. Es gibt gewiss keinen unter ihnen, der dem alten Weideking freundliche Gefühle entgegenbringt. Doch sie hüten sich, Johnny gegenüber Mitleid zu zeigen.
Nur Meece Richards, ein indianerhaft wirkender Bursche, der eine verkommene Ranch besitzt und der in dem Verdacht steht, Abe Jones' Vieh zu stehlen – was man ihm bis jetzt aber noch nicht nachweisen konnte –, sagt laut in die Stille: »Willst du einen Drink, Johnny?«
Johnny hält kurz inne und betrachtet ihn. Meece Richards steht etwas abseits, und selbst einem Fremden wäre sofort klar, dass er hier unter allen Gästen des Saloons ein Außenseiter ist, ein einsamer Wolf – oder besser, ein Fuchs.
»Nein, von dir nehme ich keinen Drink, Meece«, sagt Johnny grob und geht hinaus. Er ist sehr groß und geschmeidig. Er wirkt kühn, stark und erinnert an einen Löwen.
Die Schwingtürflügel pendeln dann noch eine Weile.
Sonst bleibt es still im Saloon.
Nur Meece Richards verlangt dann eine ganze Flasche vom Barmann und zahlt mit einem blanken Geldstück, das er auf dem Bartisch klingeln lässt.
Abe Jones sitzt immer noch am Tisch in der Ecke und raucht seine dünne Zigarre.
Als Meece Richards sich mit der Flasche in der Hand zur Tür wendet, sagt der Großrancher ruhig: »Meece Richards!«
Dieser hält an und wendet sich ihm zu.
»Ja, Abe Jones?«
Es ist ein Klang von Unverschämtheit und Herausforderung in Richards' Stimme. Er sagt nicht Mister Jones zu ihm, obwohl einige von Abe Jones' Reitern im Saloon sind und der Weideking nur einen Finger zu heben brauchte, um Meece Richards eine »Abreibung« geben zu lassen.
»Morgen«, sagt Abe Jones ruhig, »kommen einige meiner Reiter und zünden deine Ranch an, Richards. Sie machen dort bei dir alles dem Erdboden gleich. Du bist hier in diesem Lande fertig, Richards. Verschwinde bis morgen! Das ist alles!«
Meece Richards steht einige Sekunden lang still da, und er hält die gekaufte Whiskyflasche in der Linken. Die Rechte hängt hinter dem Revolverkolben. Jeder Mensch im Lande weiß, dass Meece Richards mit dem Revolver schnell sein kann wie ein berüchtigter Revolverheld.
Plötzlich grinst er. »Vielleicht bin ich morgen fort«, sagt er, »vielleicht aber auch nicht. Wir werden sehen.«
Er fragt nicht, warum Abe Jones ihm die Ranch zerstören lassen und ihn aus dem Lande haben will. Er hält solch eine Frage offensichtlich für völlig überflüssig – vielleicht deshalb, weil er wirklich das Vieh der Jones-Ranch stiehlt oder weil er zu genau weiß, dass ein Mann wie Abe Jones immer einen Grund findet, um einen Mann aus dem Lande zu jagen. Dass er soeben Johnny Adams zu einem Drink einlud, war eine deutliche Herausforderung und eine Beleidigung der anderen Gäste, die plötzlich alle so taten, als kennten sie Johnny Adams nicht.
Meece Richards geht hinaus.
Bald hört man den Hufschlag seines Pferdes, das draußen vor dem Saloon angebunden war, allmählich verklingen. Er reitet jedoch in der entgegengesetzten Richtung wie zuvor Johnny Adams aus der Stadt. Da man zuvor auch Johnny Adams' Pferd hörte, wird dies den lauschenden Männern im Saloon klar. Er folgte Johnny Adams nicht.
✰
Was er riskierte und verlor, das kommt Johnny Adams erst während des Heimrittes voll zu Bewusstsein.
Oh, welch ein großer Narr war er doch! Fünf Jahre hatte er gebraucht, um sich eine kleine Ranch zu bauen und etwas Geld zu sparen. Seitdem er dann wusste, dass Jennifer ihn liebte, war es völlig klar für ihn, dass die kleine Ranch für Jennifer und ihn das Heim werden würde.
Aber Abe Jones mochte ihn nicht – schon damals nicht, als er auf der großen Jones-Ranch ein junger Cowboy war und Jennifer noch bei der Tante im Osten weilte und in eine vornehme Schule ging.
Damals schon ging er mit seinem Freund David Cameron von der Jones-Ranch fort. Sie wurden Herdentreiber auf dem Chisholm-Trail, sparten Geld, liehen sich einiges dazu und trieben dann Rinder auf eigene Rechnung. Zuerst waren es nur kleine Herden, die nicht viel Gewinn brachten. Doch im nächsten Jahr schon wagten sie es mit einer größeren Herde. Im übernächsten Jahr hatten sie dann genug Geld, um heimzukommen und selber etwas anzufangen.
Jetzt hat Johnny Adams das alles verspielt, und während er langsam heimreitet, denkt er darüber nach, wie es dazu kam, dass er sich mit Abe Jones auf ein Pokerspiel einließ.
Aber das begann ganz einfach. Als er nach dem Mittagessen in den Saloon kam, saß Abe Jones schon dort mit den beiden anderen Ranchern beim Poker und lud ihn ein. Dabei sagte er: »Johnny, du bist doch der Bursche, den meine Jennifer sich ausgesucht hat und der so gern durch eine Heirat mit ihr ein großer Mann werden will. Komm her und zeige mir, ob du überhaupt pokern kannst. Nur tüchtige Männer können gut pokern. Ich gehe jede Wette ein, dass der Präsident unserer Nation ein erstklassiger Pokerspieler ist. Also zeig mir was, Johnny!«
Es war eine Herausforderung. Abe Jones wollte ihn prüfen, wollte ihm auf den Zahn fühlen.
Und Johnny Adams war noch niemals einer Herausforderung aus dem Wege gegangen.
Abe Jones aber hatte ihn dann in wenig mehr als sechs Stunden am Spieltisch erledigt, und es gehörte zu seiner Art, dass er es selbst tat und dafür nicht irgendeinen Spieler anwarb.
Er hat mich erledigt. Er kann Jennifer jetzt sagen, dass ich mich nicht fest in der Hand habe, dass ich unreif und leichtsinnig sei und es bei mir für ein Mädel wie sie keine Sicherheit gäbe. Er wird ihr sagen, dass ich als ihr Mann und Verwalter seines Erbes eines Tages auch die große und mächtige Jones-Ranch auf gleiche Art verspielen könnte. Er wird ihr eine Menge zum Nachdenken geben, dieser alte, schlaue Wolf. Er wird sie unsicher machen in ihren Gefühlen. Oh, er hat mich überfahren wie einen dummen Jungen.
Das also sind Johnny Adams' Gedanken während des Heimrittes. Es ist ein weiter Weg. Er braucht von der Stadt mehr als drei Stunden. Lange nach Mitternacht hat er endlich seine Ranch erreicht. Sie ist noch recht klein und bescheiden. Mit Schrecken denkt er daran, dass ihm das alles nicht einmal mehr gehört.
Als er um die Scheune herumreitet, sieht er im Mondlicht vor dem Haus ein Pferd stehen. Vor der Hauswand sitzt ein Mann auf der Bank.
»Komm nur, Johnny«, klingt eine Stimme. »Ich habe eine Flasche mitgebracht. Vielleicht lohnt es sich für dich, wenn wir uns mal eine Weile unterhalten. Wenn ich richtig informiert bin, steckst du jetzt in der Klemme, mein Junge. Ich könnte dir helfen – wenn auch du mir hilfst. Wir sollten zusammenhalten, mein Junge. Komm nur! Anhören hat noch nie geschadet.«
Johnny Adams zögert.
Er spürt, dass er jetzt gleich vor eine Entscheidung gestellt werden wird. Dieser Richards ist als Versucher gekommen. Johnny spürt es instinktiv.
Er holt schon Luft, um Richards zu sagen, dass er sich zum Teufel scheren möge.
Doch Richards sagt trocken: »Ich brauche für zwei Tage einen Partner für ein risikoloses Geschäft. Für jeden von uns sind mehr als zehntausend Dollar zu verdienen. Überlege mal! Zehntausend Dollar für dich innerhalb zweier Tage! Dann kannst du Abe Jones vor die Füße spucken. Komm her, Johnny! Trinken wir miteinander einen Schluck, und besprechen wir die Sache.«
Johnny zögert noch einige Atemzüge.
Doch dann denkt er: Anhören kann ich mir seinen Vorschlag.
✰
Schon zwanzig Minuten später sind sie wieder unterwegs, denn sie dürfen nun, da Johnny sich entschied, mitzumachen, keine Zeit mehr verlieren.
Sie reiten zu Meece Richards' halbverfallener Ranch und nehmen dort die besten Pferde als Ersatzpferde mit.
Dann reiten sie den Rest der Nacht und den folgenden Tag bis zum späten Mittag. Es ist ein harter Ritt. Als sie anhalten, sind sie und auch ihre Tiere ziemlich erschöpft.
Meece Richards deutet auf die Sandsteinfelsen. »Dort verbergen wir uns«, sagt er, »und reiten dann der Postkutsche in den Weg. Du achtest auf den Fahrer und den Begleitmann. Ich selbst kümmere mich um den Steuereintreiber, der das Steuergeld des Bezirks zur Countystadt schafft. Es kann gar nichts schiefgehen, wenn die Postkutsche pünktlich bei Anbruch der Abenddämmerung hier eintrifft. Ich habe dies alles schon vor einem Vierteljahr genau geprüft. Na schön! Jetzt kümmern wir uns um unsere Pferde. Dort hinter den Felsen ist eine Quelle.«
Johnny Adams hat immer noch ein ungutes Gefühl, doch er hält es für Angst oder gar Feigheit. Da er schon immer eine besondere Angst davor hatte, Furcht zu haben oder gar feige zu sein, bekämpft er dieses ungute Gefühl und zwingt sich dazu, alle Bedenken zu überwinden und bei der Sache zu sein.
Sie haben nun etwa drei Stunden Zeit. Einer von ihnen beobachtet ständig von einem der Felsen die weitere Umgebung, damit sie sicher sind, dass niemand in ihre Nähe kommt, der sie beim Überfall auf die Postkutsche stören könnte.
Ihre Pferde erholen sich indes etwas von dem rauen Ritt, trinken aus der Quelle und beginnen sogar allmählich zu grasen; ein Zeichen, dass sie nicht zu schlimm geritten wurden.
Langsam wird es Nachmittag und dann Abend.
Als die Abenddämmerung über das Land fällt, hören sie aus der Ferne das Rollen der Kutsche, den Hufschlag der sechs Pferde und manchmal auch schon die Rufe des Fahrers.
Die Kutsche muss einen ziemlich steilen Hang herauf, und es ist fast sicher, dass der Fahrer hier oben auf der Wasserscheide des Sattelpasses sein Gespann etwas verschnaufen lässt.
Es geht auch wirklich alles so vonstatten, wie Meece Richards es vorausgesagt hat.
Die Kutsche hält.
Die beiden Reiter reiten mit schussbereiten Revolvern zwischen den Felsen hervor. Sie binden sich ihre Halstücher als Masken vor, ziehen die Hüte tief ins Gesicht und hängen sich ihre Regenhäute um.
»Keine Bewegung auf dem Bock! Sonst knallt es!«
Johnny Adams ruft es, und seine Stimme kommt ihm schrill und nervös vor. Das ist er ja auch. Er wird sich plötzlich bewusst, dass er mitten in einem bösen Abenteuer ist. Doch Abenteuer ist gewiss nicht das richtige Wort.
Er ist dabei, ein Verbrecher zu werden, und dies ist nicht einfach ein Abenteuer, sondern ein unheilvoller Wendepunkt in seinem Leben.
Es bleibt ihm keine Zeit, sich des Unheilvollen bewusst zu werden. Er ist jetzt mitten im Handeln. Als er sieht, dass der Begleitmann das Gewehr hochreißen will, schießt er einmal zur Warnung. Er weiß, dass die beiden Männer hoch droben auf dem Kutschbock seine Kugel pfeifen hören.
Der Begleitmann lässt auch wirklich die Schrotflinte – ein Parker-Gewehr ist es – fallen und hebt, wie der Kutscher, seine Hände.
Johnny Adams atmet erleichtert auf. Das ging besser, als er dachte. Nun kommt ihm das alles nicht mehr so schlimm vor.
Er hört Meece Richards, der seitlich neben der Kutsche zu Pferde hält, scharf rufen: »Macht nur keine Dummheiten dort drinnen! Wir wollen nur die Geldkiste des Steuereinnehmers! Werft die Geldkiste aus dem Fenster heraus! Vorwärts! Die Geldkiste!«
Meece Richards' Pferd steht ganz ruhig. Er selbst hält seinen Revolver bereit.
Das Kutschfenster war schon vorher heruntergelassen. In der Kutsche ist es dunkel. Man kann nicht erkennen, wie viele Fahrgäste in der Kutsche sind. Platz ist für neun Personen.
Dann wird von innen eine kofferähnliche Kiste durch das Fenster geschoben. Sie verkleinert die Fensteröffnung sehr. Man kann nun noch schlechter in das Kutschinnere blicken.
»Lass sie fallen!«, ruft Meece Richards.
Aber dann kracht es in der Kutsche. Richards blickt in das Mündungsfeuer, und während die Kugeln ihn treffen, er im Sattel schwankt, das hochsteigende Pferd wild wiehert, und ihn schließlich abwirft, schießt auch er noch einmal.
Er ist unverkennbar ein Revolvermann, sonst hätte er in dieser Situation nicht schießen können. Er tut dies instinktiv und von dem Willen beherrscht, sich zu behaupten, zurückzuschlagen, Widerstand zu brechen. Sein instinktives Handeln ist schneller als seine Gedanken es sein können.
Als er getroffen am Boden liegt, hat er die Kiste nicht bekommen. Er wird in dem Leben auf dieser Erde überhaupt nichts mehr bekommen. Die Kiste fällt auf ihn nieder. Die Tür der Kutsche öffnet sich. Ein Mann, den er zuvor getroffen hatte, fällt heraus.
Johnny Adams stößt einen heiseren Schrei aus, reißt sein Pferd herum, gibt ihm die Sporen und verschwindet in der zunehmenden Dämmerung. Ja, er hat die Flucht ergriffen.
Dass es so schlimm werden würde, hätte er nie geglaubt.
Kugeln folgen ihm. Es sind noch weitere wehrhafte Gäste in der Kutsche. Eine dieser Kugeln trifft ihn hoch an der Schulter.
✰
Es ist drei Tage später und mitten in der Nacht, als David Cameron in seinem kleinen Blockhaus erwacht, weil er draußen Hufschläge hört. Der Reiter kommt schnell herangejagt, doch das Pferd muss müde sein, denn es stolpert einige Male und keucht dann schwer, als es endlich angehalten wird.
David Cameron ist ein vorsichtiger Mann. Er weiß längst, dass es nicht einer seiner beiden zuverlässigen Cowboys sein kann, der von der Weide zur Ranch geritten kam. Seine Reiter hätten längst den Erkennungsruf ausgestoßen, zumal sie genau wissen, dass er heute auf der Ranch schläft.
David Cameron hat sich aus dem Bett erhoben und steht neben dem Fenster an der Wand. Die Nacht ist jedoch zu dunkel. Er kann den Reiter, der da so eilig angejagt kam, nicht erkennen.
Doch dann hört er auch schon: »David, bist du daheim? David, gib Antwort!«
Es ist eine Stimme, die David Cameron gut genug kennt.
Jennifer Jones ist gekommen, jene Jennifer, bei der sein Freund Johnny Adams so sehr viel mehr Glück hatte als er. Oh, er gönnt seinem Freunde Johnny sein Glück, und dennoch ist immer ein Gefühl der Bitterkeit und Resignation in ihm, wenn er an Jennifer denkt, wenn er sich dieses Mädchen bildhaft vorstellt und sich immer wieder darüber klar wird, dass er sie noch liebt.
Aber Johnny Adams war der glücklichere Mann. Für ihn hatte sie sich entschieden.
Doch nun kommt sie mitten in der Nacht den weiten Weg von der Jones-Ranch bis zu ihm in die Hügel, wo er sich seine kleine Ranch aufgebaut hat, die schon so viel Ertrag abwirft, dass er zwei Reiter beschäftigen kann.
Was ist geschehen? Was will sie?
Diese Fragen sind in ihm, als er ans Fenster tritt und ruhig sagt: »Ich bin da, Jenny. Warte nur einen Moment!«
Er kleidet sich hastig an und streicht sein dunkles Haar zurück. Er macht in seiner Schlafkammer kein Licht. Erst als er vorn in der Wohnküche ist, zündet er eine Lampe an. Er geht dann zur Tür und öffnet. Jennifer kommt in seine Arme und beginnt an seiner Schulter zu weinen.
Nun weiß er sicher, dass sie in Not ist, dass sie großen Kummer haben muss und zu ihm gekommen ist, weil sie ganz genau weiß, dass er ihr in solch einer Situation der beste Freund sein wird.
Er führt sie zu einem bequemen Holzsessel und drückt sie sanft darauf nieder.
»Jenny«, sagt er, »wenn es etwas gibt, was dich in Not gebracht hat, aus der ich dir helfen soll, dann musst du mir alles genau erzählen. Weinen hilft dir nicht weiter.«
Er hat eine dunkle, etwas kehlige Stimme und ist völlig anders als Johnny Adams. Er ist dunkel wie ein Indianer, zwar auch gutgebaut wie Johnny Adams, doch etwas schwerer und hässlich. Nur sein Kopf ist gut geschnitten. Sein Gesicht ist jedoch narbig, unregelmäßig, und eines seiner kleinen Ohren ist verstümmelt.
Vor mehr als fünf Jahren hat er als junger Bursche einmal gegen einen Preisboxer gekämpft. Das war damals, als er und Johnny Adams von der Jones-Ranch fortgingen und etwas Anfangskapital nötig hatten. In Dodge City war ein Preiskämpfer, der jedem, der ihn schlagen konnte, fünfhundert Dollar zahlte. Es gab jede Woche einen Kampf.
David Cameron und Johnny Adams losten dann unter sich aus, wer von ihnen es versuchen sollte. Das Los fiel auf David.
Er schlug diesen Preiskämpfer, und Johnny Adams sorgte dafür, dass dessen Manager nicht mit der Kasse durchgehen konnte, sondern die fünfhundert Dollar auszahlen musste.
Die Narben aus jenem furchtbaren Kampf aber, der siebenunddreißig Runden dauerte, wird David Cameron sein ganzes Leben lang behalten.*
Deshalb ist er so hässlich.
Jennifer Jones hört nicht gleich auf zu weinen, doch sie gewinnt allmählich wieder Kontrolle über sich.
Er lässt ihr noch etwas Zeit, bringt ihr ein Glas mit frischem Wasser aus einem Tonkrug. Es ist köstliches Wasser aus einem Brunnen, das irgendwelche Mineralien enthält, die es besonders wohlschmeckend machen.
Er gießt ihr auch eine Waschschüssel voll und holt ihr ein frisches Handtuch.
Dann dreht er sich eine Zigarette, raucht und wartet.
Jennifer erfrischt sich, wäscht ihr Gesicht, und als sie dann zu ihm an den Tisch kommt, ist sie wieder beherrscht.
Sie sagt: »Johnny ist in Not. Ich bekam die Nachricht vor wenigen Stunden. Er ist in Not und braucht Hilfe. David, ich und Johnny, wir haben keinen wirklichen Freund außer dir. Wenn du uns nicht hilfst, dann ist Johnny verloren – für immer. Und ich, ich...«
Sie verstummt hilflos und macht eine resignierende Bewegung mit beiden Armen.
»Ich weiß nicht, was dann aus mir wird«, murmelt sie. »Ich weiß nur, dass ich meinen Vater hasse, weil er Johnny in dieses Unglück gewissermaßen hineingestoßen hat. Und ich...«
Da unterbricht er sie herb: »Johnny hat sich von deinem Vater zu einem Pokerspiel herausfordern lassen und dabei alles aufs Spiel gesetzt und verloren. Warum sollte ihn dein Vater nicht auf die Probe stellen? Johnny setzt stets alles aufs Spiel. Er wagt stets den vollen Einsatz. Das konnte er tun, solange er nur allein für sich selbst verantwortlich war, doch seit ihr Verlobte seid...«
»Ich will keine Vorwürfe hören«, unterbricht sie ihn. »Ich glaubte, du wärest unser Freund. David, Johnny braucht Hilfe! Und ich brauche Hilfe. Du musst wissen, dass Johnny sich in seiner Not nach einem verlorenen Pokerspiel mit diesem Meece Richards zusammengetan hat. Gewiss hat Meece Richards ihn überredet und verführt. Sie haben hundert Meilen von hier die Postkutsche überfallen. In der Postkutsche saß der Steuereinnehmer der Countyverwaltung. Er hatte die Steuergelder des letzten Vierteljahres bei sich. Er setzte sich zur Wehr, schoss Meece Richards aus dem Sattel und wurde ebenfalls von diesem getroffen. Er soll schlimm verletzt worden sein. Meece Richards starb am Tatort. Zuvor aber hatte er den Leuten, die in der Kutsche waren, noch den Namen seines Kumpans verraten. Nun werden überall Steckbriefe von Johnny gedruckt und in alle Himmelsrichtungen geschickt. Binnen weniger Tage werden alle Gesetzesmänner auf tausend Meilen in der Runde einen Steckbrief von Johnny haben. Er wird gejagt und gehetzt werden. David, kannst du dir ausdenken, was aus Johnny werden wird?«
Sie stellte ihre Frage zitternd.
David Cameron nickt langsam. Ja, das kann er sich gut vorstellen. Aus Johnny Adams wird ein wilder Wolf werden. Er wird sich von der ganzen Welt gehetzt und gejagt fühlen und diesen Hass bald schon heiß erwidern. Er wird weitere Verbrechen begehen und in schlimme Gesellschaft geraten. Schon bald wird man Belohnungen auf seinen Kopf aussetzen, und man wird unter diese Belohnungen schreiben: »Tot oder lebendig.«
So wird es kommen. Denn er kennt Johnny Adams gut genug – kennt all seine Schwächen.
»Was willst du von mir, Jenny?«, fragt er langsam und schwer.
Sie tritt vor ihn hin. Sie ist nur mittelgroß und wiegt keine hundertfünfzehn Pfund. Ihre Haare hat sie hinten einfach mit einem grünen Samtband zusammengebunden. Diese Haare sind blauschwarz. Doch sie hat blaue Augen und einige Sommersprossen auf der kleinen Nase. Sie ist sehr lebendig und hat einen vollen Mund, der viel von ihren Gefühlen ausdrücken kann.
»Du liebst mich, David, nicht wahr?«, fragt sie, und diese Frage ist fast schon grausam.
Er nickt ruhig. »Ja«, sagt er, »so ist es. Ich liebe dich und würde viel darum geben, dich zur Frau zu bekommen. Darum und weil Johnny mein Freund ist, werde ich euch auch helfen, so gut ich kann. Soll ich Johnny suchen?«
Sie nickt. »Er muss sich dem Gesetz stellen«, sagt sie. »Gewiss wird er milde Richter finden, wenn sie wissen, was ihn zu dieser Dummheit trieb. Er wird keine hohe Strafe bekommen. Und ich will auf ihn warten. Suche ihn, David! Sage ihm, dass er sich stellen soll und dass ich auf ihn warten werde. Nur so kann er seine Zukunft retten und mich bekommen. Du musst ihm das richtig klarmachen, David.«
David Cameron nickt langsam. Er hebt seine Rechte und wischt sich über das Gesicht.
»Und wenn er sich nicht stellen will?« Er fragt es hart, und es ist dennoch eine tiefe Nachdenklichkeit in seinen Augen. Oh, er kennt Johnny zu gut. Schon jetzt glaubt er nicht daran, dass Johnny sich dem Gesetz stellen wird.
»Er muss es tun«, murmelt Jennifer.
»Und wenn nicht?« Er fragt es auf eine beharrliche Art.
Sie betrachtet ihn seltsam. »Würdest du ihn dann festnehmen und gegen seinen Willen dem Gesetz übergeben können, bevor er noch mehr Unheil anrichten kann und mit höheren Strafen rechnen muss? Kannst du das tun, David?«
Nun erhebt sich David und bewegt sich durch den Raum. Für einen so großen und schwergewichtigen Burschen bewegt er sich sehr leicht und gewandt.
»Ich weiß nicht...«, murmelt er. »Jeder Mann ist sein eigener Hüter. Es steht einem anderen Manne nicht zu, für ihn Entscheidungen zu treffen. Jenny, du verlangst mächtig viel von mir.«