G. F. Unger Sonder-Edition 216 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 216 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Sie waren Freunde, der große Jim Kinkaid, dessen schneller Colt im ganzen Westen gefürchtet wurde, und Ben Slade, der Mann im Schatten, der Jim Kinkaid den Rücken deckte und ihm mehr als einmal das Leben rettete.
Ja, sie waren Freunde - bis zu jenem Tag, an dem sich Ben Slade als der Größere erwies und Jim Kinkaid erkennen musste, dass er seinen Ruhm nur dem anderen verdankte ...


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Seitenzahl: 200

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Kinkaids Ruhm

Vorschau

Impressum

Kinkaids Ruhm

Auf irgendeine Art Ruhm zu erwerben, war vielen Männern des damaligen Wilden Westens erstrebenswerter als alles andere auf der Welt. Auch Revolverruhm war eine Art von Ruhm. Manche dieser Revolvermänner taten Gutes auf böse Weise. Sie konnten es damals nicht anders.

Sie hätten auf eine gute Weise auch gar nicht jenen bitteren, fragwürdigen Ruhm erwerben können; sie wären unbekannt und ungenannt geblieben.

Kinkaid erwarb sich Ruhm.

Kinkaid war ein Mann mit besonderen Fähigkeiten. Er hatte einen Freund, der neben ihm nicht zur Geltung kam und der sich stets im Hintergrund hielt; denn Kinkaid war beeindruckend, großartig, beherrschend.

Der andere Mann war unauffällig. Man hielt ihn stets für einen hageren Cowboy, der Kinkaids Pferd versorgte und all die kleinen und unwichtigen Arbeiten erledigte, mit denen sich ein so großer Mann wie Kinkaid nicht abgeben konnte.

Wie gesagt, sie waren Freunde.

Doch eines Tages änderte sich das...

Es ist eine Stunde nach Sonnenuntergang, als die drei Wagoner-Brüder in die Stadt kommen. Jemand ruft es draußen vom Plankengehsteig in den Saloon herein.

Im Saloon sind siebenundfünfzig Gäste versammelt. Es ist ein großer Saloon mit einer Tanzfläche und einer Bühne, auf der es zum Wochenende Darbietungen gibt.

Ben Slade, der still neben der Tür an einem Wandtisch sitzt, hat die Gäste gezählt. Er zählt Jim Kinkaid und sich mit dazu, denn auch sie sind hier Gäste.

Jim Kinkaid steht am Billardtisch und übt. Es sieht spielerisch und lässig aus. Doch die Zuschauer haben eine solche Zauberei noch nie gesehen. Jim Kinkaid, der berühmt-berüchtigte große Kinkaid, macht mit den drei Billardkugeln, was er will.

So vergessen manche der Gäste für eine Weile, warum sie eigentlich hierhergekommen sind.

Auch der Saloonbesitzer und die beiden Barmänner sehen Jim Kinkaid zu.

Doch als bekannt wird, dass die drei Wagoner-Brüder in die Stadt gekommen sind, wird Kinkaids Billardspiel uninteressant.

Die Bar leerte sich. Die Tische, die mitten im Raum stehen, werden verlassen. Eine Pokerrunde bricht ihr Spiel ab. Einer der Spieler knurrt böse, er habe einen Royal Flush und wäre damit bis in die Hölle marschiert.

Aber das alles ist plötzlich unwichtig und vergessen.

Denn die drei Wagoners sind gekommen!

Und dort, dort wartet Jim Kinkaid.

Den hageren Burschen, der mit ihm kam, beachtet man kaum. Der kann ja nur Kinkaids Gehilfe sein.

Niemand achtet auf Ben Slade, er scheint unwichtig zu sein.

Alle sehen auf Kinkaid. Sie erwarten es nicht anders, diesen Kinkaid so ruhig zu sehen, ganz in ein interessantes Billardspiel vertieft, als wäre er nur zum Spaß hier – nicht für tausend Dollar Revolverlohn, den die Stadt sammelte – die ganze Stadt.

Es ist eine sehr kleine Stadt, unwichtig und mitten in einem Land der Rinder und Silberminen. Es ist eine Stadt, die ihren Marshal verlor und sich schützen wollte.

Deshalb holte man Kinkaid.

Denn die Wagoner-Brüder haben eine große Ranch. Sie könnten fünfzig Reiter in die Sättel bringen – eigene Reiter, Freunde und Männer, die ihnen verpflichtet sind.

Die Wagoners könnten mit fünfzig Reitern kommen und die Stadt zerstören.

Doch sie kommen allein.

Jim Kinkaid ist auch allein.

Vielleicht – wenn sie mit Kinkaid fertig sind – werden sie diese kleine Stadt demütigen und sie bestrafen.

Ben Slade beobachtet das alles. Selbst er ist immer wieder von Jim Kinkaid beeindruckt.

Kinkaid ist ein großer Mann, prächtig proportioniert. Er misst etwas mehr als sechs Fuß und wiegt an die neunzig Kilo. Alles ist richtig an ihm, alles!

Er ist blond und blauäugig, ganz und gar ein Mann, der unter tausend Männern sofort auffallen würde wie ein Löwe unter Dorfkötern.

Er weiß das auch. Er braucht dieses Bewusstsein wie die Luft zum Atmen, wie den Sonnenschein. Oh, er ist Kinkaid, der große Kinkaid, den man ruft, wenn man sich fürchtet.

Denn er – er fürchtet sich nicht!

Ben Slade denkt wieder einmal darüber nach, warum Jim Kinkaid keine Furcht kennt. Aber er weiß es auch nicht. Jedes Lebewesen auf dieser Erde hat dann und wann Angst. Auch Ben Slade. Doch Kinkaid hat noch niemals...

Ben Slade kann nicht länger nachdenken, denn draußen halten Reiter an, sitzen ab, stampfen sich die Sattelsteifheit aus den Beinen und kommen sporenklirrend die Stufen zum Plankengehsteig herauf.

Dann stoßen sie die Schwingtür des Saloons auf und kommen herein. Es sind drei Männer, denen man ansieht, dass sie Brüder sind.

Ja, das müssen die Wagoners sein.

Sie wirken wie drei Indianer, die sich zum Spaß als Rinderleute verkleidet haben. Ihre Großmutter soll eine wunderschöne Frau vom Stamme der Comanchen gewesen sein.

Sie sind wenig über mittelgroß, geschmeidig wie Berglöwen und so selbstherrlich, wie es nur drei Männer sein können, die dreißigtausend Rinder besitzen und über ein Land herrschen, das ihr Vater sich erobert und später mit ihrer Hilfe behalten hat.

Das war nicht leicht.

Man sagt, dass die drei Wagoner-Brüder nicht lesen und schreiben können; aber vielleicht ist das nur eine böse Nachrede.

Bat Wagoner tritt an den Schanktisch, schlägt mit der flachen Hand darauf und sagt mit einer seltsam weichen Stimme, die an Samt und Seide denken lässt: »Nun, Grady, da sind wir also! Wo ist denn dieser Kinkaid, dem ihr tausend Dollar zahltet? Wo ist er?«

Der Saloonbesitzer antwortet nicht. Er lehnt bleich hinter der langen Bank und hat seine Hände auf der blanken Platte liegen. Auch seine Gehilfen stehen unbeweglich da.

»Ich bin hier«, sagt Jim Kinkaid vom Billardtisch herüber. »Wollen Sie eine Partie mit mir spielen, Mr. Wagoner? – Sind Sie Bat Wagoner, der älteste Wagoner?«

»Ja, der bin ich. Doch ich bin nicht hergekommen, um mit einem Revolverschwinger Billard zu spielen – nicht Billard, Mann!«

Jim Kinkaid lässt einen Ball über mehrere Stationen laufen – und es sieht wirklich wie Zauberei aus.

»Da Sie Bat Wagoner sind«, sagt er, »weiß ich, dass Sie dem Alter und der Erfahrung nach Ihre beiden Brüder übertreffen. Deshalb möchte ich Sie bitten, diese Stadt wieder zu verlassen, denn Sie haben hier dauernd nur Unheil angerichtet. Es gehört immer wieder zu Ihrer Art, sich dadurch zu vergnügen, dass Sie Menschen gefährden und Sachschaden verursachen. Sie haben sogar den Stadtmarshal verwundet und...«

»Was wollen Sie, Kinkaid?«

Einer der beiden anderen Wagoners ruft es scharf.

Jim Kinkaid droht mit dem Billardstock.

»Nur langsam«, spricht er. »Wir wollen diese Dinge in aller Ruhe und Freundschaft besprechen. Die Bürger haben beschlossen, Ihnen den Aufenthalt in dieser netten, friedliebenden Stadt zu verbieten. Man will Sie nicht mehr hereinlassen. Man hat ganz einfach genug von Ihnen. Aber Sie stören sich nicht daran. Sie kommen immer wieder und fangen Streit an. Jetzt hat die Stadt keine Kosten gescheut. Man hat mich angeworben, Ihnen, Gentlemen, für Ihre nächsten Pläne zur Verfügung zu stehen. Diese kleine, nette, friedliche Stadt möchte endlich Ruhe vor Ihnen haben, Gentlemen. Wer kann den Leuten das verdenken?«

Er stellt diese Frage mit nachsichtigem Ernst. Doch in seinen stahlblauen Augen funkelt der kalte Spott.

Bat Wagoner erkennt es. Er wundert sich, dass dieser Kim Kinkaid offensichtlich keine Angst hat.

Die drei Wagoner-Brüder sind doch nicht drittklassig – ja, nicht einmal zweite Garnitur! Sie sind allerbeste Klasse als Kämpfer! Wenn sie auch sonst nicht viel taugen und ihre Kämpfe, zumeist keinen Sinn haben und nur ein wildes Austoben dreier selbstherrlicher, unduldsamer Burschen sind – kämpfen können sie!

Ihr Vater war der einzige, der sie zügeln und lenken konnte.

Doch er ist schon fast ein Jahr tot.

Bat Wagoner vermutet eine Falle, und er sieht sich um. Er sieht die Zuschauer an den Wänden. Alle sind bereit, in Deckung zu gehen, sich unter die Tische zu ducken.

Es sind Bürger der Stadt, Leute von den kleinen Ranches aus den Hügeln und einige Siedler. Dazu kommen ein paar Fremde und die Fahrer des Wagenzuges, der hier für die Nacht Station macht.

Bat Wagoners Blick fällt auf Ben Slade, der immer noch an dem Tisch an der Wand sitzt. Doch nun erhebt er sich und tritt langsam vor. Er durchquert hinter den Wagoner-Brüdern den freien Raum und kommt zum Ende des Schanktisches. Jetzt ist nur noch sein Oberkörper zu sehen.

Bat Wagoner zieht den Nacken ein, als träfe ihn dort unerwartet ein kalter Wind.

»Gehört der zu Ihnen, Kinkaid?«, fragt er. Er dreht Kinkaid den Rücken zu und sieht Ben Slade an.

Bevor Kinkaid antworten kann, wird es dem jüngsten Wagoner zu bunt. Ringo Wagoner hat sich zu sehr daran gewöhnt, dass sein Vater ein großer Mann war und die Wagoner deshalb in diesem Lande etwas Besonderes sind.

»Hölle, das ist doch vollkommen gleich!«, brüllt er los und zieht den Colt.

Er zieht ihn schnell und glatt, wie es ihn einst sein Vater und die beiden älteren Brüder lehrten. Vielleicht wollte er ihn auch nur herausholen, um ihn Kinkaid unter die Nase zu halten.

Doch Kinkaid ist noch einen Sekundenbruchteil schneller. Er schießt sofort.

Da ziehen auch Daniel und Bat Wagoner.

Kinkaid wartet, bis Daniel den Revolver auf ihn richtet, dann kommt er ihm zuvor.

Bat Wagoner sieht in Ben Slades Mündungsfeuer, während er selber abdrückt. Er bekommt die Kugel in die Schulter, wird gegen den Schanktisch gestoßen, hält sich daran aufrecht und staunt, dass schon alles vorbei ist und seine zwei Brüder am Boden liegen.

Eine Stunde später hält die Überlandpost für fünf Minuten in der kleinen Stadt.

Jim Kinkaid und Ben Slade werden von den drei Vertretern der Bürgerschaft zur Kutsche begleitet. Der Bürgermeister sagt: »Diese Stadt ist Ihnen sehr verpflichtet, Gentlemen. Die drei Wagoner-Brüder sind unwichtig geworden. Niemand braucht mehr im Schatten der mächtigen Wagoner-Ranch zu leben. Niemand braucht sich mehr vor diesen wilden Burschen zu fürchten. Im Lande wird es Aufschwung geben. Siedler werden kommen. Diese Stadt wird wachsen. Wir werden einen Deputy-Sheriff erhalten. Es wird alles zum Besten geraten. Wir sind Ihnen sehr verpflichtet, Mr. Kinkaid!«

Er sagt es sehr feierlich, ganz und gar wie ein Mann, der sich für ein gutes Werk bedankt. Die beiden anderen Bürgerschaftsvertreter nicken eifrig zu den Worten ihres Bürgermeisters.

Dann werfen sie den Schlag zu.

Die Kutsche fährt los, saust in wildem Tempo aus der Stadt, wie es alle Überland-Postkutschen tun, damit die Zuschauer glauben, sie führen immer so schnell und man käme in ihnen in Windeseile zum Ziel.

Weiter draußen schlägt das Sechsergespann einen stetigen Trab an.

Jim Kinkaid und Ben Slade sind die einzigen Fahrgäste in der Kutsche. Sie können es sich bequem machen, ihre Beine ausstrecken. Jim Kinkaid zündet sich eine Zigarre an, und das kleine Flämmchen beleuchtet einen Moment sein markantes, männliches Gesicht.

Dann ist es wieder dunkel in der Kutsche.

»Sie waren froh, dass sie uns loswurden«, sagt Ben Slade. »Wir schafften ihnen drei wilde Tiger vom Hals, und sie zahlten uns tausend Dollar dafür. Jetzt sind sie froh, dass wir fort sind, denn sie möchten gern ihre eigene Feigheit und ihr Unvermögen vergessen. Du hast einen der Wagoners getötet, Jim. War das nötig?«

Jim Kinkaid antwortet nicht sofort. Erst nach einer Weile sagt er heiser: »Sie waren schnell. Ich musste schnell schießen. Ich hatte es nicht so einfach wie du, Ben. Du hattest es nur mit einem zu tun. Er war gewiss nicht so schnell wie seine zwei jüngeren Brüder. – Ja, ich musste ihn erschießen. Es ging nicht anders.«

»Du musst immer wieder einen Mann töten«, murmelt Ben Slade.

Jim Kinkaid gibt ihm keine Antwort. Er pafft nur heftiger an seiner Zigarre. Der rote Glühpunkt leuchtet immer wieder auf und wirft einen schwachen Schein gegen sein Gesicht. Es wirkt sehr hart und starr. Seine Augen sind wie zwei helle Lichter.

Erst nach einer Weile sagt Kinkaid schroff: »Wenn ich einen Mann töte, dann tue ich das nie gegen das Gesetz. Oder bist du anderer Meinung?«

»Nein«, erwidert Ben Slade. »Daran gibt es keinen Zweifel. Aber wann wollen wir aufhören? Wie lange willst du noch herumreisen und dich für Revolverarbeit anwerben lassen? Wie lange willst du es noch mit all den Burschen aufnehmen, die kein anderer zurechtstutzen kann, sodass man den großen Kinkaid kommen lässt? Glaubst du, dass dein Glück ewig anhält? Glaubst du wirklich, dass du nie auf einen besseren Mann stoßen wirst? Glaubst du, dass ich dir immer den Rücken freihalten kann? Jim, wir müssen aufhören! Irgendwo ist unser Glück zu Ende. Dann...«

»Nie!«, unterbricht ihn Kinkaid. »Es ist kein Glück! In der Saint-Louis-Post konntest du es lesen. Da stand, dass Jim Kinkaid dazu berufen ist, Gutes auf zwar harte, doch notwendige Weise zu tun. Und man wünschte sich noch mehr solche Kinkaids, denn dann würde es überall bald Ruhe, Ordnung und Sicherheit geben. Hast du verstanden, Ben. Ich bin berufen dazu, eine Art Richter...«

»Du bist ein Tiger, den man anwirbt, um andere Tiger zu erledigen«, unterbricht ihn Ben Slade trocken. »Du machst es zu deinem Beruf. Jim, ich weiß nicht, ob ich dir noch lange auf deinen Wegen folgen kann. Manchmal glaube ich, es geht dir allein darum, deinen Ruhm zu vergrößern – natürlich in den Grenzen des Gesetzes. Du würdest diesem Ruhm jedes Opfer bringen, nicht wahr?«

Kinkaid gibt auf diese direkte Frage keine Antwort. Dafür sagt er ernst: »Es muss Männer geben, die so sind wie ich – und wie du. Denk einmal nach, Ben! Ich spreche jetzt nicht davon, weil ich dich wieder einmal daran erinnern will, dass sie dich ohne mein Eingreifen damals in Laredo aufgeknüpft hätten, ich will dir nur beweisen, dass ich auf meine Art schon mehr als nur dein Leben gerettet habe. Aber wenn du deine eigenen Wege gehen möchtest – bitte! Du brauchst nur bei der nächsten Station oder in der nächsten Stadt auszusteigen. Was mich betrifft, ich fahre nach Santa Fé.«

Ben Slade sagt nichts. Er streckt sich auf der Bank aus. Seine langen Beine muss er dabei einziehen. Aber er kann auf dem Rücken liegen, und wenn er ein Bein auf den Boden der Kutsche stellt, kann er es sogar ausstrecken.

Die Kutsche schwankt und rüttelt. Man hört das Knarren des Ledergehänges, den Hufschlag des Gespanns und die kurzen Rufe des Fahrers, der manchmal auch mit der Peitsche knallt.

Ben Slade ist angefüllt mit einer tiefen Bitterkeit.

Sie haben wieder einmal gekämpft und tausend Dollar verdient. Er wird – wie immer – die Hälfte davon abbekommen. Obwohl Jim Kinkaid der berühmte Mann ist, der meistens auch die Hauptarbeit leistet, gibt er seinem Freund und Gefährten die Hälfte ab – mag es sich um Kopfprämien handeln, die auf gesuchte Banditen ausgesetzt sind, um Revolverlohn oder die Prämien von Postlinien, Städten oder irgendwelchen Gesellschaften.

Ben Slade denkt darüber nach, was sie für Geld schon alles riskierten.

Sie fingen steckbrieflich gesuchte Verbrecher. Sie waren Begleiter von Gold-‍, Silber- oder Geldtransporten. Sie kamen Städten oder Ranchern zu Hilfe, waren Town Marshals, Bahnpolizisten, Weidedetektive großer Viehzüchter-Vereinigungen und... Oha, sie leisteten jede Revolverarbeit, wenn sie nur gut bezahlt wurde und nicht ungesetzlich war.

Wir sind zwei Bluthunde, die man sich mieten kann, denkt Ben Slade.

Ist es wirklich nur Dankbarkeit für die Rettung vor dem Strick?

Oder ist es etwas anders?

Ben Slade überlegt, was dieses andere ist. Er kann es sich nicht richtig erklären. Ist es Freundschaft? Treue? Neugierde?

Oder was sonst zwingt ihn dazu, bei Jim Kinkaid zu bleiben?

Er liegt lange da, denkt darüber nach und versucht, Kinkaid und sich selbst zu analysieren.

Plötzlich weiß er es. Es ist ihm, als fielen Schleier und als könne er die Tatsachen endlich klar erkennen.

Sie schießen ihn tot, wenn ich nicht bei ihm bin!

Das ist es!

Kinkaid ist völlig furchtlos und davon überzeugt, dass ihm niemals etwas zustoßen kann.

Das ist verrückt!

Kinkaid fehlt etwas. Es ist ihm nicht möglich, die Größe einer Gefahr zu erkennen. Er lebt, als wäre er unverletzbar.

Auch heute war es so. Dieser Bat Wagoner hätte ihn getötet. Bat Wagoner war schneller mit dem Colt als seine beiden Brüder – auch wenn Jim Kinkaid das nicht zugeben würde.

Jim Kinkaid ist wie ein Mann, der kein Gefühl für Gefahr hat.

Wenn ich ihn verlasse, denkt Ben Slade, wird ihn vielleicht schon der nächste drittklassige Wicht aus einem Winkel heraus erledigen. Kinkaid ist so berühmt, dass sie es alle mit ihm versuchen wollen – alle verrückten Narren, die noch berühmter werden wollen als er. Kinkaid ist ohne mich erledigt. Er würde das zwar niemals zugeben, doch es ist so! Er wäre bald tot ohne mich. Also muss ich bei ihm bleiben. Aber habe ich nicht ein Recht darauf, mein eigenes Leben zu leben!

Habe ich nicht meine Schuld an Kinkaid längst bezahlt?

Zwei Tage später sind sie in Santa Fé, und Ben Slade ist immer noch unentschlossen, ob er Jim Kinkaid verlassen soll oder nicht.

Wie immer, wenn sie in Santa Fé sind, wohnt Jim Kinkaid in Katy Dunnhills Hotel, und Katy macht alles, um ihn in jeder Hinsicht zufriedenzustellen. Sie würde ihr Hotel auch gern in Kinkaid's Hotel umbenennen. Jeder Mann auf hundert Meilen in der Runde wäre froh, Katy Dunnhill auch ohne Hotel zu bekommen.

Doch Jim Kinkaid denkt ganz gewiss nicht daran, sich in Santa Fé an Katy Dunnhill zu binden.

Vielleicht ist er deshalb für sie das große Ziel, und sie lässt es sich gefallen, dass er sich in ihrem Hotel als der große Pascha fühlt.

Um Ben Slade kümmert man sich nicht mehr als um jeden anderen bescheidenen Gast. Er muss sein Zimmer bezahlen. Es ist auch nur halb so prächtig wie Kinkaids Zimmer.

In Santa Fé trägt Kinkaid stets elegante Maßanzüge, gefältelte Seidenhemden und einen Stock mit silbernem Knauf. Seine Waffen sind gut in Schulterholstern verborgen. Wenn er in eine besondere Pokerrunde gerät, dann hält er achtundvierzig Stunden lang aus und lässt sich vom herbeigerufenen Barbier am Spieltisch rasieren.

So ein Mann ist Jim Kinkaid.

Nachdem sie sich ausgeschlafen haben, gerät Jim Kinkaid nach dem Abendessen im Pueblo-Saloon in eine Pokerrunde. Seine Spielpartner sind hartgesottene Geschäftsleute, Frachtlinien- und Minenbesitzer, ein Rinderzüchter und ein berufsmäßiger Spieler, der aus Taos kommt, wo er einige Leute, die bis dahin recht wohlhabend waren, ausgeplündert hat. Es geht ihm jedoch der Ruf voraus, ein ehrlicher Spieler zu sein.

Ben Slade wandert inzwischen durch die Stadt um den alten Pueblo herum. Er hält sich auch eine Weile im Spielzimmer des Pueblo-Saloons auf und sieht aus einiger Entfernung dem Pokerspiel zu.

Er beobachtet Jim Kinkaid.

Kämpfen und Poker spielen, das kann er, denkt Ben Slade und geht wieder hinaus.

Die Unschlüssigkeit der letzten Tage hält an, ja, sie wird sogar noch stärker.

Er möchte Jim Kinkaid verlassen, möchte seinen eigenen Weg wählen, einen Weg, der in ein anderes Leben führt, zu einem völlig neuen Anfang.

Aber da ist seine Treue zu Kinkaid. Sie macht ihm die Entscheidung so schwer.

Dabei kann er sich ganz genau ausrechnen, was kommen wird.

Jim Kinkaid wird im Pueblo Saloon Poker spielen. Er verliert selten. Deshalb wird er den Ehrgeiz haben, so lange zu spielen, bis seine Mitspieler genug haben. Das kann zwei Tage und Nächte dauern, denn in dieser Pokerrunde sitzen nur harte Männer. Aber Kinkaid wird am längsten aushalten.

Nach diesem Spiel wird er anderen Spaß suchen; vielleicht eine ganze Woche lang.

Und dann...?

Oh, dann kommt vielleicht wieder ein Angebot. Vielleicht braucht irgendeine Stadt einen Revolvermarshal. Oder vielleicht kann man sich ein Kopfgeld verdienen, eine Prämie für eine erfolgreiche Jagd. Vielleicht möchte eine Versicherungsgesellschaft wertvolle Dinge bewacht haben, oder ein Mann, dessen Feinde ihm das Leben nehmen wollen, braucht Schutz.

Es gibt dauernd etwas für einen Mann wie Jim Kinkaid zu tun. So wird es immer sein.

Ben Slade weiß es.

Er weiß auch, dass Kinkaid ohne ihn verloren ist. Männer wie Kinkaid treten zu stolz, zu furchtlos und zu unachtsam auf.

Deshalb sind sie so leicht zu erledigen – von hinten. Jeder drittklassige Strolch kann sie von hinten erschießen. Nicht wenige berühmt-berüchtigte Revolvermänner sind auf diese Art getötet oder für immer zu Krüppeln geschossen worden.*

Auch Jim Kinkaid würde es so erwischen. Das ist Ben Slades Überzeugung.

Deshalb ist er schon seit Tagen unschlüssig.

Er möchte seinen eigenen Weg gehen, und er sagt sich immer wieder, dass jeder Mann sein eigener Hüter ist. Aber er verdankt Jim Kinkaid das Leben und weiß zu genau, dass es von ihm abhängt, ob der furchtlose Jim Kinkaid am Leben bleiben wird. Es zählt für ihn nicht, dass er diese Schuld an Kinkaid schon mehrmals zurückzahlte. Er allein ist der Mann, der von der großen Gefahr weiß, in der Kinkaid sich immer wieder befindet. Er ist es, der diese Gefahr abwenden kann.

Er geht ruhelos durch die Gassen, besucht einige Lokale und trifft an einer Ecke auf Mescal Bill Brown. Bill ist heute noch ziemlich nüchtern, obwohl er einer der Trunkenbolde von Santa Fé ist und sonst um diese Zeit längst betrunken in einem Winkel liegt.

»Diese Welt hat kein Mitleid mit einem kranken Mann«, sagt Mescal Bill bitter. »Mir hat heute noch niemand einen Drink spendiert. Seit dem Tag, da der Hengst sich auf mir wälzte, spüre ich in mir immer die grässlichsten Schmerzen, und ich kann sie nur vergessen, wenn ich mich vollgieße. Schnaps ist Medizin für mich. Ben, schenk mir einen Dollar.«

Ben Slade hält an. Sie stehen in der Mündung einer dunklen Gasse und blicken auf die hellere Hauptstraße.

»Für zehn Dollar sage ich dir etwas, was mehr als tausend Dollar wert ist«, flüstert Mescal Bill plötzlich drängend. »Doch ich will keine tausend Dollar, ich brauche nur zehn, denn mit tausend kann ich nicht mehr anfangen als mit zehn. Der Unterschied ist nur der, dass ich mit tausend Dollar einen ganzen Saloon freihalte und mit zehn Dollar still für mich allein trinke. Gib mir zehn Dollar, Ben, mein Junge. Du warst immer nobel zu mir, sonst würde ich dir auch nicht dieses glänzende Angebot machen. Es geht nämlich um Kinkaid.«

Er spricht die letzten Worte listig.

Ben Slade sagt nichts. Doch er gibt ihm ein Zehn-Dollar-Stück.

Dann wartet er.

Mescal Bill macht es jetzt kurz. Er will wohl selbst in der Dunkelheit keine Sekunde länger bei Ben Slade stehen, und er will möglichst schnell zu seinem Feuerwasser gelangen.

Er sagt trocken: »Cass Longmire ist mit drei harten Hombres da. Sie kamen vor einer Stunde. Muss ich dir noch mehr sagen, Ben, mein Junge? Aaah, ich sah sie nur hereinkommen. Dann verteilten sie sich. Ich weiß nicht, wo sie sind. Schwitzt du schon?«

»Ja«, brummt Ben Slade und lässt ihn stehen.

Mescal Bill wartet keine Sekunde; er wendet sich in die Gasse zurück, aus der er kam. Irgendwo dort hinten gibt es eine Spelunke, wo er sein Lieblingsgetränk bekommt: Mescal, wie ihn die Apachen machen. Mescalräusche sind für Bill Brown die große Glückseligkeit. Zu seiner Entlastung muss man jedoch sagen, dass er wahrscheinlich in nüchternem Zustand wirklich starke Schmerzen hat. Er ist ein Krüppel, seitdem ein Hengst sich auf ihm wälzte. Früher war er einmal der beste Zureiter und Rodeokämpfer, den es gab.

Ben Slade muss daran denken, dass Bill Brown einmal auf diesem Gebiet eine Art Jim Kinkaid war. Er fürchtete sich vor keinem Wildhengst. Er war davon überzeugt, sie immer besiegen zu können, so wild sie auch sein mochten.

Aber dann hatte es ihn erwischt.

In Ben Slade ist alles alarmiert.

Cass Longmire soll mit drei harten Burschen in der Stadt sein. Und mit Cass Longmire hat es eine besondere Bewandtnis. Sein jüngerer Bruder wurde von Jim Kinkaid zwanzig Meilen hinter Taos erschossen. Der Grund waren siebenunddreißigtausend Dollar, die Jess Longmire aus einer Überland-Postkutsche geholt und auf deren Wiederbeschaffung die Versicherung zehn Prozent Belohnung ausgesetzt hatte.

Jess Longmire wollte sich von seinem Raub nicht trennen, als Jim Kinkaid ihn einholte. Ben Slade war damals nicht dabei, weil er eine andere Fährte verfolgte, die sich dann als falsch erwies.

Nun, Jess Longmire war ein recht missratener Bruder, aber Cass Longmire liebte ihn dennoch. Nun war er also aus Colorado herübergekommen, dieser Black Cass Longmire.

Ben Slade flucht vor sich hin.

Was jetzt gleich in Gang kommen wird, das musste eines Tages eintreffen. Jim Kinkaids Angewohnheit, Santa Fé zu seinem Standquartier zu machen und immer wieder zu Katy Dunnhills Hotel zurückzukehren, musste ihm eines Tages solchen Verdruss bringen.

Es kann gar nicht anders sein, dass ein Mann wie Jim Kinkaid sich eine Menge Feinde machte – Brüder, Väter, Söhne oder Freunde von Männern, die er erledigte. Ein Mann wie Kinkaid dürfte gar nicht immer wieder an einen bestimmten Ort zurückkehren.