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Sycamore Vane verteidigt sein Land gegen Wild Rock Kimbrough, den Mann, der ein ganzes County in seine Tasche stecken will.
Einsam ist der Tapfere. Auch Sycamore. Niemand hilft ihm in seinem Kampf, der von Wild Rock Kimbrough mit gnadenloser Härte geführt wird. Seine Männer überfallen Sycamore und schlagen ihn halb tot. Wenig später landet er wegen angeblichen Mordes im Gefängnis. Aber auch hier, äußerlich zerbrochen und im Schatten des Galgens, gibt er nicht auf. Denn er ist ein Kämpfer ...
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Seitenzahl: 210
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Sycamore
Vorschau
Impressum
Sycamore
Als sie die gelben Lichter von Sunshine Dance unter sich erblicken, zügeln die beiden Reiter ihre Pferde. Hinter ihnen heulen Coyoten wild und anklagend den Mond an.
»Da ist es«, sagt Joy Bucket. »Wir waren neun Wochen fort. Ich frage mich, was ein Mann wie Wild Rock Kimbrough in neun Wochen alles in Gang gebracht hat! Die Lichter dort unten sind noch die gleichen. Aber ist die Stadt noch so wie vor neun Wochen? Kimbrough ist ein Wolf, der herausgefunden hat, dass ihm Büffelleber am besten schmeckt. Und nun kann er nicht genug davon bekommen. Was würdest du mit ihm machen, Syc, wenn er eines Tages auch auf dich Appetit bekäme?«
Joy Bucket ist ein kleiner drahtiger Bursche – einer von jener Sorte, die einen um Kopfeshöhe größeren und fünfzig Pfund schwereren Mann von den Beinen schlagen kann, weil sie blitzschnell zu handeln und explosiv alles einzusetzen vermag.
Sycamore Vane beantwortet die Frage seines einzigen Cowboys nicht sofort. Er lässt sich Zeit, späht immer noch auf die Stadt nieder, so, als sprächen die Lichter zu ihm und erzählten ihm etwas.
Dann sagt er: »Ich glaube, dass er eines Tages Appetit auf mich bekommen wird. Das habe ich gleich von Anfang an gespürt. Ich habe mir in Bezug auf Rock Kimbrough nie Illusionen gemacht. Joy, ich konnte dir in Laramie nach Verkauf der kleinen Herde endlich den rückständigen Lohn zahlen. Vielleicht wär' es keine schlechte Idee von dir, wenn du fortrittest. Denn dort unten, Joy – dort unten wartet Verdruss. Ich kann ihn riechen, weil ich Kimbrough kenne. Du kannst dort unten nichts gewinnen, Joy – nur den Lohn, den ich dir zahlen kann. Überlege es dir gut!«
»Sicher«, grinst Joy Bucket, und dann folgt er Sycamore Vane die Poststraße hinunter nach Sunshine Dance.
Von der Stadt her kommt ihnen etwas später ein Reiter entgegen. Im Mondlicht erkennen sie Sean Conelly, ihren nächsten Nachbarn. Er ist betrunken, doch kann er noch reiten. Als er sie im Mondlicht erkennt, hält er an und starrt auf Sycamore Vane. Er hebt die Hand, wischt sich über das Gesicht und müht sich offensichtlich, in seinem trunkenen Kopfe etwas Klarheit zu schaffen. Er strengt seinen ganzen Willen an, die Geister der Trunkenheit zu vertreiben.
Sycamore Vane und Joy Bucket lassen ihm Zeit. Dass Sean Conelly betrunken ist, muss einen besonderen Grund haben. Sie sahen ihn niemals betrunken; er war stets zu geizig. Denn er ist ein armer, fleißiger Ire, der sich unter allergrößten Opfern und Mühen eine kleine Ranch aufbaut, um endlich seine Braut nachkommen zu lassen, die irgendwo eine Lehrerinnenstelle hat.
Sean Conelly sagt plötzlich: »Es tut mir leid, Syc! Du musst mich verstehen. Ich – ich konnte einfach nicht mehr länger durchhalten. Vor einigen Stunden habe ich meinen Besitztitel an Kimbrough verkauft. Er ist nun auch auf der anderen Seite dein Nachbar. Es tut mir leid. Doch es war ganz einfach zu viel für mich, als...«
Er verstummt und wischt sich abermals über das Gesicht. Es ist eine irgendwie hilflos wirkende Bewegung.
Dann gibt er seinem Pferd die Sporen und lässt es in die Nacht stürmen.
»Was wollte er sagen?« Joy Bucket murmelt es nachdenklich, als der Hufschlag leiser wird.
»Es muss etwas geschehen sein«, erwidert Sycamore Vane, »was ihn zum Aufgeben veranlasst hat. Wir werden es in der Stadt erfahren.«
Er treibt seinen hageren Rappen an, indem er nur den Oberkörper bewegt und mit den Schenkeln drückt.
Sycamore Vane ist ein hagerer Mann, dunkel wie ein Comanche, helläugig, mit einem festgefügten, ruhigen Gesicht; er ist ein Mann, der stets ruhig spricht, fast sanft sogar.
Seine kleine Ranch liegt im Sunshine Canyon, durch den man hinauf zum Pass gelangt. Vor einigen Jahren ist er in dieses Land gekommen – damals, als die Indianer weiter nach Norden gedrängt wurden und Rinderzüchter die freie Weide in Beschlag nahmen. Damals entstand auch die Stadt. Sycamore Vane hatte nur geringe Ersparnisse zur Verfügung. Deshalb ging es nur langsam mit seiner Rinderzucht aufwärts.
Man weiß nicht viel von ihm – bis auf eines: Sycamore Vanes Vergangenheit ist rauchig. Und man kennt einige Geschichten und Legenden über ihn.
In diesem Lande war er von Anfang an einer der Männer, mit denen man besser keinen Streit anfängt und deren Rechte man achtet. Selbst die Viehdiebe ließen seine Rinder zufrieden, obwohl er sie nur unvollständig bewachen konnte. Selbst Kimbrough respektierte ihn bisher wie keinen anderen Mann.
Die Hufe der beiden Pferde trommeln über den Boden, senden jenen typischen Klang aus, der das Kommen zweier Reiter meldet.
Doch es kommen jeden Tag mehrmals Reiter auf diese Art in die Stadt, durstige Reiter, die es nicht erwarten können, an die »Tränke« im Sunshine-Saloon zu kommen.
Noch weiß niemand in Sunshine Dance, dass Sycamore Vane zurückgekommen ist aus Laramie.
Und darauf wartet man nicht nur in dieser Stadt.
Sunshine Dance besteht aus Holzhäusern und einer einzigen Hauptstraße, die von Brettergehsteigen gesäumt wird. Es gibt drei Quergassen und einige Hauslücken.
Die wenigen Geschäfte sind noch geöffnet.
Vor dem Saloon stehen einige Sattelpferde.
Und vor dem erhellten Store erkennt Sycamore Vane Marshal Jones Condray mit Stella. Der Marshal war gewiss auf seiner ersten Nachtrunde, und Stella stand am Storeeingang, um die frische Nachtluft zu atmen. Denn im Store riecht es nach hundert verschiedenen Dingen.
Als Stella Brown Sycamore Vane auf dem großen Pferd erkennt, tritt sie ganz auf den Gehsteig heraus und mit zwei schnellen Schritten bis an seinen Rand.
»Syc!« Sie ruft nur seine Namensabkürzung, doch es ist ein Klang in ihrer Stimme, der unverkennbar Freude verrät.
Auch Jones Condray macht einen Schritt zum Rande des Gehsteiges hin. Dann verharrt er – ein bulliger, klotziger, etwas schwerfällig wirkender Mann.
Er beobachtet von der Seite her, wie Stella Browns Gesicht vor Freude noch reizvoller wird, und er erkennt sogar im Lichtschein, wie Röte der Erregung ihre Wangen dunkler werden lässt.
Dann sieht er zu Sycamore Vane empor, beobachtet diesen, indes Stella sagt: »Ich wollte den Store soeben schließen, Syc! Wenn du in einer halben Stunde kommst, brauchst du nicht im Hotel zu essen, wo du nur aufgewärmtes Zeug bekommen würdest. Kommst du, Syc?«
Es ist eine sehr erwartungsvolle Frage, und der Marshal schluckt etwas mühsam. Dann sagt er langsam: »Hallo, Syc! Alles gutgegangen?«
Es steckt eine Menge Unpersönlichkeit in seiner Stimme. Man merkt ihm an, dass er sich Mühe gibt, nicht ganz und gar unfreundlich zu sein.
Sycamore nickt ihm zu. Er sagt zur Seite: »Joy, warte im Saloon auf mich.« Joy Bucket reitet sofort weiter, plötzlich angefüllt mit einer drängenden Ungeduld.
Sycamore Vane aber blickt vom Sattel auf das Mädchen nieder.
»Ich komme, Stella«, sagt er. »Seit einiger Zeit bist du das einzig Erfreuliche in dieser Stadt. Aber ich warne dich. Mein Hunger ist der eines Wolfes nach einem wochenlangen Blizzard.«
»Dich bekomme ich satt«, lacht sie und wendet sich schnell, um in den Store zu eilen. Sie schenkt dem Marshal nur einen kurzen Blick und ein flüchtiges Lächeln. Ihre Gedanken sind ganz und gar bei Sycamore Vane und dabei, dass er zum Abendessen kommen will.
Sie schließt die Storetür ziemlich hastig. Sycamore wird später vom Hof her in die Wohnküche treten können.
Er blickt auf Jones Condray nieder. »Ja«, sagt er, »es ist alles gutgegangen. Was war hier los?«
Der Marshal hängt seine Daumen in die Ärmellöcher seiner Weste und wippt leicht auf den Sohlen.
»Rock Kimbrough wurde wieder etwas größer«, sagt er. »Auch dieser Store gehört ihm. Stella ist jetzt seine Angestellte. Es war ein harter Schlag für Stella, dass der alte Sutter, dem sie den Store führte und den sie wie eine Tochter betreute, an Kimbrough verkaufte. Er ist zu seiner Enkelin nach Chicago. Und dabei hatte Stella immer geglaubt, er würde ihr einmal den Store auf Rentenbasis überlassen. Nun, sie hat diese Enttäuschung überwunden, denke ich. Und was sonst noch hier los war? Ay, wenn ich richtig informiert bin, hatten Sie Johnny Jacks dazu verpflichtet, auf Ihre Ranch und die Rinder zu achten, nicht wahr? Aber mit ihm muss etwas passiert sein. Er soll sich im Two Dollar aufhalten und eine Weile krank gewesen sein. Syc, ich würde an Ihrer Stelle hier keine Zeit verschwenden, sondern daheim nach dem Rechten sehen.«
Sycamore sieht auf den Marshal nieder. Dieser sprach sehr langsam und mit beharrlicher Ruhe. Und dennoch spürt Sycamore Vane die Unruhe des Mannes.
Es ist wegen Stella, denkt er, nickt dankend und reitet wortlos weiter. Sein erster Impuls drängt ihn dazu, heimzureiten zum Sunshine Canyon, um dort nachzusehen.
Aber noch bevor er beim Saloon seinen Rappen neben Joy Buckets Tier lenkt, ist er sich darüber klar, dass es jetzt auf einige Stunden auch nicht mehr ankommt.
Er denkt an Johnny Jacks, an jenen rothaarigen und grünäugigen Burschen, der wild und verwegen ist und den er für seinen Freund hielt. Johnny hatte sich erboten, auf seine kleine Ranch und die Rinder zu achten.
Doch jetzt soll er krank in Two Dollar liegen? Und Two Dollar ist ein böser Ort, in dem Geächtete leben, Viehdiebe, Banditen, alle jene Gejagten und Verfolgten, die sich zusammenfanden und in den Bergen eine Zufluchtsstätte schufen.
Und dort soll Johnny Jacks sein, nicht mehr auf Vanes Ranch.
Wo mögen da meine Rinder sein? Diese Frage stellt er sich, während er absitzt und den Saloon betritt.
Es ist Rock Kimbroughs »Sunshine-Saloon«, denn wie fast alles in dieser Stadt und diesem Lande gehört der Saloon Rock Kimbrough.
Joy Bucket steht am Schanktischende und setzt soeben sein Bierglas ab, wischt sich den Schaum von den Bartstoppeln und macht: »Aaaaaah.«
Mike Murphy, der hinter der Bar steht, massig und mit den Kampfnarben eines ehemaligen Preisboxers, starrt auf Sycamore Vane. Auch die anderen Gäste tun das.
Und am anderen Ende des Schanktisches – also Joy Bucket genau gegenüber – steht Sabe Pearsall, Kimbroughs Erster Vormann. Groß, hager, doch mit muskulösen Schultern, dunkel und eine zwingende Härte ausstrahlend steht er dort, ein Einsamer, der eine raue Mannschaft führt.
Er starrt auf Sycamore Vane, ohne auch nur einmal mit den Wimpern zu zucken. Seine Augen sind von einem stumpfen Schwarz. Sie verraten nichts, gar nichts. Und doch spürt man, dass hinter ihnen so sehr viel verborgen ist, ahnt man Dinge, die unheilvoll wirksam werden könnten.
Indes Sycamore Vane zu Joy Bucket tritt, begegnet sein Blick dem von Sabe Pearsall. Sie haben sich schon einige Male so angesehen, immer dann, wenn sie sich begegneten. Und sie spürten bei jedem Male, dass sie füreinander bestimmt sind – als Gegner.
»Hallo, Syc«, sagt Pearsall, und seine Stimme klingt etwas heiser, doch unverkennbar sarkastisch. Er hebt sein Glas und leert den Rest darin.
»Dieser Johnny Jacks«, spricht er weiter, »war ein verdammter Narr. Ich glaube, es war ein Fehler von dir, ihn im Sunshine Canyon zu lassen. Ich musste ihn verprügeln und zum Teufel jagen lassen. Wenn dir das nicht gefallen sollte, Sycamore, dann halte dich nur an mich, nicht an die Jungens, die meinen Befehl ausführten. Ich habe zwei unserer Reiter auf deiner Ranch stationiert, um sicher zu sein, dass die Viehdiebe unsere Rinder nicht mehr durch den Canyon treiben konnten.«
Er steht nach diesen Worten ruhig da, hat eine Hand in der Hosentasche und bringt daraus eine fertig gerollte Zigarette zum Vorschein. Es ist wahrhaftig ein kleines Kunststück, in der Hosentasche mit einer Hand eine Zigarette zu drehen. Er tut dies ganz unauffällig.
Nun leckt er über das Blättchen und zündet die Zigarette an. Dabei bleibt sein stumpfschwarzer Blick unentwegt auf Sycamore gerichtet.
Dieser nimmt das Bier, welches Mike Murphy ihm hingeschoben hat, trinkt es und sagt dann um eine Spur zu sanft: »Ich komme noch darauf zurück, Sabe. Wenn ich mir ein Gesamtbild machen kann, komme ich gewiss noch darauf zurück. Gedulde dich nur ein Weilchen.«
»Immer«, nickte Sabe Pearsall. »Noch nie hat sich jemand über meine Geduld beklagen müssen. Wir haben überdies jetzt auch Sean Conelly aufgekauft und sind deshalb in der Lage, den Sunshine Canyon von beiden Seiten abzuriegeln – wegen der Rustler. Na schön!«
Er wirft ein Geldstück auf den Tisch und geht hinaus. Seine Sporen verursachen kein Geräusch, und seine Stiefel sind weich und geschmeidig. Er trägt zwei Revolver.
Ohne sich umzublicken, tritt er durch die Schwingtür hinaus in die Nacht.
Es bleibt still im Saloon, bis der Hufschlag seines Pferdes verklingt.
Und Sycamore Vane denkt: Warum stand er hier, als hätte er genau gewusst, dass ich heute aus Laramie zurück und zu dieser Stunde hier in den Saloon kommen würde? War es Zufall? Oder ist sein Instinkt so auf mich konzentriert?
Er kann sich diese Frage nicht beantworten.
Im Saloon ist es nun nicht länger mehr still. Die Gespräche klingen wieder auf. Ein Pokerspiel kommt wieder in Gang.
Zwei Männer kommen aus dem Hintergrund zum Schanktisch. Es sind zwei kleine Rancher wie Sycamore Vane. Elmer Scott ist klein und drahtig wie Joy Bucket, doch älter. Er besitzt drei Töchter im heiratsfähigen Alter und hat oft viele Mühe, die um sein Haus streunenden Burschen zu verjagen.
Er nickt Sycamore Vane zu und brummt: »Na, wenigstens hast du ein Teil deiner Rinder nach Laramie treiben und dort verkaufen können. Du hast die ganzen Jahre nicht völlig umsonst gearbeitet. Syc, er hat dich in der Klemme. Wenn er will, kann er dich in deinem Canyon einsperren. Sean Conelly hat ganz einfach Angst bekommen, als er zusehen musste, was sie mit Johnny Jacks machten. Ich glaube, wir werden alle früher oder später verkaufen müssen.«
Er sieht Joy Bucket an und sagt barsch: »Komm mit hinaus. Ich habe mit dir zu reden!«
Joy Bucket zieht seinen Kopf ein, so, als erwartete er einen kalten Wasserguss. »Was ist?« So fragte er misstrauisch. »Wir haben doch keine Geheimnisse. Warum soll ich...«
»Komm mit hinaus!« So unterbricht ihn Elmer Scott, und in seiner Stimme ist ein spröder Ton enthalten. Man hört dieser Stimme an, dass sie beim nächsten Mal nicht mehr so ruhig sein, sondern losbrüllen wird.
Joy Bucket zwinkert unruhig mit den Augen, dreht etwas ratlos den Kopf und wirkt wie ein in die Enge getriebener Terrier, der nach einem Ausweg sucht.
Dann schnaubt er: »Nun gut, Elmer!«
Henry Perritt, der zweite Mann, welcher zum Schanktisch kam, lacht leise und wendet sich an Sycamore Vane: »Elmer hat drei Töchter im heiratsfähigen Alter. Das ist schlimmer, als einen Sack voll Flöhe zu hüten. Ich glaube, dass Joy Bucket dort draußen einen furchtbaren Schreck bekommen wird.«
Doch dann wird er ernst. Er ist ein großer Mann mit langen Gliedern und einem etwas zu dünnen Hals, an dem ein großer Adamsapfel ruckt.
»Wir sind die letzten Kleinen«, sagte er, »du, Elmer Scott und ich. Wir sind die letzten Kleinrancher in Kimbroughs Rinderreich. Man kann auch den Vergleich ziehen, dass unser Besitz drei einsamen Inseln inmitten einer See gleicht. Wir waren mal mehr als ein Dutzend. Syc, die Box-K hat einen Grund gefunden, Johnny Jacks halbtot zu schlagen. Und dann haben sie deine Ranch besetzt. Du warst länger als neun Wochen fort. Hast du die Absicht, einen Kampf anzufangen – jetzt endlich?«
»Würdest du mir helfen, Henry?«, fragt Sycamore, und in seinen hellgrauen Augen ist ein spöttisch-mitleidiger Ausdruck.
»Helfen? Jetzt, wo wir nur noch drei sind? Scott hat drei Töchter – und ich zwei kleine Buben... Ha, wir hätten doch überhaupt keine Chance, selbst du nicht, Sycamore. Nein, ich würde nicht helfen. Keiner im ganzen Lande würde das, und auch nicht in der Stadt. Höchstens Joy Bucket täte das. Dieser Kampfhahn ist zum Widerspruch und zur Rebellion geboren. Der tut sich mit Freuden Salz statt Zucker in den Kaffee. Nein, Syc, wir sind nicht mehr mit dabei. Es trifft sich gut, dass wir dir das sagen konnten, bevor du etwas unternimmst. Du stehst allein. Und es tut mir leid.«
Nach diesen Worten geht er hinaus.
Sycamore Vane trinkt den Rest des Bieres und verlangt eine Zigarre. Mike Murphy bringt ihm die Kiste und murmelt, indes Syc wählt: »Wenn einer erst so groß ist wie Kimbrough, dann kämpfen nur Narren gegen ihn an. Sieh, auch ich habe ihm meinen Saloon verkauft und arbeite als Geschäftsführer für ihn. Ich stehe mich besser als zuvor.«
Syc sagt nichts darauf. Er beißt die Spitze der Zigarre ab, spuckt sie in den großen Messingspucknapf und reibt ein Zündholz auf der Theke an. Während er die Zigarre anraucht, starrt er Murphy an.
Dabei denkt er: Kimbrough kauft alle auf oder jagt sie zum Teufel. Er tat die ganze Zeit nichts anderes, und sein Endziel ist völlig klar.
»Ja, dir geht es gut, Mike«, sagt er endlich, legt Geld auf den Tisch und geht zur Tür.
Hier wendet er sich noch einmal halb und sieht durch den Saloon.
Er erkennt Lon Travena, den Besitzer der Post- und Frachtlinie. Doch vielleicht gehört sie ihm gar nicht mehr allein.
Doktor Phil Arrow ist da, der Sattler, der Schmied und noch einige andere Bürger. Einige Frachtfahrer sitzen um den runden Tisch beim Poker, und es sind auch einige Fremde anwesend.
Und sie alle beobachten ihn mehr oder weniger auffällig und wissen über seine Situation Bescheid.
Vielleicht haben sie sogar Wetten darüber abgeschlossen, ob ich gegen Kimbroughs Macht ankämpfen oder davonschleichen werde, denkt er.
Er tritt hinaus. Bei den Pferden steht Joy Bucket und flucht leise vor sich hin.
Sycamore Vane tritt neben ihn und fragt: »Schmeckt dir das Bier nicht mehr?«
»Nein«, sagt Joy. »Ich habe einen Stein im Magen, der nichts anderes mehr hinterlässt. Und dann hat mir jemand einen Hammerschlag versetzt, mitten auf die Birne. Elmer Scott will, dass ich seine Tochter April heirate. Sie hat ihm geschworen, dass ich der Mann bin, der ihn bald zum Großvater machen wird – in etwa fünf Monaten. Und er ist der Meinung, dass zum Großvater auch ein Schwiegersohn gehören muss. Er hat mir geschworen, mich mit einer Schrotflinte in Stücke zu schießen, wenn ich sein Mädel sitzenließe.«
Er spricht die Worte klagend wie ein Kranker, der Mitleid hat mit sich. Und als er sieht, dass Sycamore grinst, sagt er noch bitterer als zuvor: »Was ist denn da so lustig an der Sache? Ich fühle mich wie ein Hengst im Lasso, der nicht mehr entweichen kann, weil man ihn bald schon in einen festen Corral einsperren wird. Er kann die freie Weide nur noch wittern und sich erinnern an all die guten Tage. Sie werden ihn zähmen, bis er sich vor einen Wagen spannen lässt. So geht es mir.«
»Aber April Scott ist doch ein prächtiges Mädchen«, sagt Sycamore Vane. »Sie konnte jeden Burschen bekommen. Ich frage mich, wie sie ausgerechnet auf dich reinfallen konnte.«
»Ach«, murrte Joy Bucket ärgerlich, »mich haben schon alle alten und jungen Tanten bewundert, als ich noch in der Wiege lag. Ich weiß schon, warum mich die Mädel mögen. Aber was mache ich nun?«
»Das fragst du dich noch?«
»Ja«, sagt Joy. »Denn wenn ich April heirate, kann ich nicht länger für dich reiten. Verstehst du, als Ehemann und Vater reitet man keine rauchigen Fährten mehr. Man geht jedem Kampf aus dem Wege und wird friedlich, riskiert nichts mehr, denkt immerfort daran, dass man Frau und Kind allein auf der Welt zurücklassen müsste. Syc, ich will doch nicht kneifen, denn du wirst mit Kimbrough und Pearsall den großen Verdruss bekommen. Du bist der einzige Mann im ganzen Lande, der nicht fortläuft oder aufgibt, sondern kämpft. Und dabei kann ich dich nicht alleinlassen. Ich muss doch...«
»... April heiraten, damit euer Kind einen Vater hat«, sagt Sycamore ruhig. »Setz dich auf dein Pferd und reite mit Elmer Scott. Deine wilden und rauchigen Tage sind wahrhaftig vorbei, Joy. Aber vielleicht wirst du bald froh darüber sein. Viel Glück. Wir sehen uns ja noch, wenn du in den nächsten Tagen deine Sachen holen kommst.«
Er schlägt ihm leicht mit der flachen Hand gegen den Oberarm und geht davon. Gleich in die erste Gasse biegt er ein, um zur Hintertür des Stores zu gelangen.
Joy Bucket sieht ihm mit gemischten Gefühlen nach.
Wenn doch Stella Brown ihn einfangen könnte, denkt er. Dann würde er vielleicht auch nicht...
Doch er bricht mit seinen Gedanken ab, denn er weiß plötzlich, dass Sycamore immer kämpfen würde – immer!
Einsam ist der Tapfere. Sycamore Vane ist einsam wie ein Lobowolf. Wild Rock Kimbrough will ihn von seinem Land vertreiben. Aber Sycamore bleibt. Er betritt den Canyon, durch den der einzige Weg führt, über den man zum Kamp gelangt. Das Land liegt wie eine einsame Insel inmitten eines Ozeans. Symacore ist allein, allein gegen eine Übermacht. Aber da ist nicht nur der große, mächtige Kimbrough. Da sind auch noch Viehdiebe, gegen die Sycamore kämpfen muss. Der Tapfere ist einsam.
Das ist es, was Sycamore Vane von den meisten Männern dieses Landes unterscheidet. Er würde noch dann kämpfen, wenn alles aussichtslos erschiene und niemand mehr einen Cent auf ihn setzen würde.
Es gibt Männer, die gehen stets den friedlichsten Weg und schließen Kompromisse. Dann gibt es Männer, die sind zur Rebellion geboren. Sie gehen gegen alles an, fühlen sich immerzu herausgefordert und gehen keinem Streit aus dem Wege.
Sycamore Vane gehört zu keiner dieser beiden Sorten.
Er ist anders. Joy Bucket begreift es jetzt erst richtig.
Sycamore Vane gehört zu der Sorte, die erst dann loslegt, wenn man sie in die Ecke drängt und das eigene Blut schmecken lässt. Aber dann...
Joy Bucket seufzt und spürt einen kalten Schauder am Rücken niederlaufen. Ihn fröstelt.
Elmer Scott kommt mit seinem Pferd die Straße herunter. Er hatte das Tier im Hof des Mietstalles gehabt. Er hält an und starrt im aus dem Saloon fallenden Lichtschein auf Joy Bucket.
»Nun?«, fragt er barsch.
»Schon gut«, erwidert Joy Bucket. Er geht zu seinem müden Pferd, sitzt auf und reitet neben Elmer Scott.
Nebeneinander verlassen sie die Stadt. Erst als sie die Brücke hinter sich haben und die Poststraße zum Pass verlassen, sich auf einem kaum erkennbaren Wege südlicher halten, da sagt Joy Bucket zu Elmer Scott: »Weißt du auch, was ich getan habe, als ich mich entschloss, mit dir zu reiten? April ist ein prächtiges Mädel. Ich liebe sie, Elmer. Und wahrscheinlich verdiene ich es gar nicht, solch ein Mädel zur Frau zu bekommen. Doch...«
Die Stimme versagt ihm. Dafür spricht Elmer Scott: »Du hast Sycamore Vane verlassen. Ich weiß! Du kommst dir wie ein Fahnenflüchtiger vor, wie ein Deserteur. Du bist für ihn und sein Brandzeichen geritten, hast in seinem Haus geschlafen und sein Brot gegessen. Du bist ihm treu gewesen. Aber deine Treue muss jetzt April und dem Kind gehören. An Sycamore Vanes Seite hättest du nicht viel mehr Chancen als ein Wurm am Angelhaken oder ein Schneeball in der Hölle. Du bist nicht mehr dein eigener Herr, mein Junge. Wir fahren morgen alle zur Mission hinüber. Dort wird euch der Pater trauen. Danach lasst ihr euch im Einwohner-Register von Sunshine Dance als Mann und Frau eintragen, damit die Eheschließung richtig registriert ist. Das alles machen wir morgen, mein Junge. Denn vielleicht sind wir gar nicht mehr lange in diesem Land.«
Joy Bucket sagt nichts zu diesen Worten.
Doch er kommt sich wahrhaftig vor wie von einem Lasso eingefangen.
Und sehr treulos kommt er sich vor – Sycamore Vane gegenüber.
Er ist gewiss jetzt sehr einsam, denkt er. Ihm fällt ein Sprichwort ein: Einsam ist der Tapfere!
Doch vielleicht macht gerade jene Tapferkeit, die jede Angst bezwingen kann, so einsam.
✰
In der Gasse, durch die er zur Hintertür vom Store gelangen will, trifft Sycamore Vane auf Jones Condray. In der Dunkelheit, die hier in der sehr schmalen Gasse herrscht, erkennt er ihn nur an der bulligen Gestalt und dem matt an der Weste blinkenden Marshal-Stern.
»Auf ein Wort, Syc«, sagt der Marshal, und seine Stimme klingt mürrisch und widerwillig, so, als müsste er sich sehr überwinden zu seinem Tun.
»Ja?« Syc hält inne. Sie stehen sich dicht gegenüber. Es ist keine Feindschaft zwischen ihnen, doch geht vom Marshal Abweisung aus. Er sagt nun: »Syc, lassen Sie Stella zufrieden. Gehen Sie nicht zu ihr. Sie ist Kimbroughs Angestellte, und Kimbrough wird nicht wollen, dass Sie in der Nacht zu ihr in den Store gehen. Sie bringen Stella nur in Schwierigkeiten.«
Er spricht immer unbeholfener. Syc aber erwidert trocken: »Warum sagen Sie mir nicht, Jones, dass es Ihnen nicht passt? Warum schieben Sie Kimbrough vor? Sie möchten gerne selbst bei Stella Brown eine Chance bekommen, Jones! So ist das! Und deshalb kommen Sie mir nicht mit solch einem Gewäsch. Stella ist ein freier Mensch, eine junge Frau, die selbst entscheiden sollte. Jones, versuchen Sie lieber nicht, mir zu sagen, was ich tun oder lassen soll.«
Er geht um ihn herum, will so an ihm vorbei. Doch Jones Condray streckt die Hand aus und legt sie ihm auf die Schulter. Er besitzt eine Menge Kraft in dieser Hand. Vielleicht könnte er Hufeisen verbiegen. Und er reißt Sycamore Vane herum, so dass sie sich wieder gegenüberstehen.
»Na gut«, sagt er zu Syc Vane, »na gut! Dann will ich es Ihnen genau sagen: Kimbrough wird Sie zerbrechen, wie er alle anderen vor Ihnen zerbrochen hat. Irgendwie schafft er das. Stella aber ist ein Mädchen, welches bis in die Hölle und zurück treu sein kann. Sie würde zu Ihnen halten – auch gegen Kimbrough, bei dem sie als Geschäftsführerin ihren Lebensunterhalt verdient. Mann, Sie haben doch keine Chance! Warum wollen Sie auch noch das Mädel mit hineinziehen?«
Sycamore Vane erwidert eine Weile nichts, steht da und denkt nach, lauscht in sich hinein. Dann wird ihm bewusst, dass Jones Condray ihn immer noch an der Schulter gefasst hält.
Er murmelt tonlos: »Jones, nehmen Sie Ihre verdammte Hand von mir.«