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Das Krachen eines Schusses riss mich aus meiner Bewusstlosigkeit. Ich blickte von meinem Bett aus zum Fenster hin und sah Maria, die mit einem Gewehr am Fenster stand.
"Er ist da", sagte sie. "Big Bill Buchanan ist gekommen, um dich zu hängen, Ben Tillburn. Ich muss dich jetzt allein lassen. Ich kann nichts mehr für dich tun."
Ich nickte nur und sah ihr schweigend nach, wie sie hinausging. Das war also das Ende ...
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Seitenzahl: 188
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Keine Rache für Tillburn
Vorschau
Impressum
Keine Rache für Tillburn
Es war in Little Bend am Arkansas River – etwa einen Tagesritt flussabwärts von Dodge City entfernt –, und es war eine hässliche Regennacht, in die man keinen Hund hinausgejagt hätte. Ich saß in einer Poker-Runde im River-Saloon, und es war eine hartgesottene Runde. Aber ein Hartgesottener war auch ich. Bisher hatte ich mich überall behaupten können.
Dass ich es bisher zu nichts gebracht hatte, daran war hauptsächlich der Krieg schuld, den ich von Anfang an mitmachte – leider auf der Verliererseite.
Ich war dann mit einer Treibherde von Texas heraufgekommen. Nun saß ich also am Arkansas River in einem recht miesen Saloon und spielte Poker. Als ich hereinkam, hatte ich einhundertsiebenundfünfzig Dollar in der Tasche. Das war der Rest des Treibherdenlohnes und der Prämie für mehr als fünf Monate Herdentrail.
Gegen Mitternacht hatte ich mein »Vermögen« um fast hundert Dollar vermehrt. Eigentlich wollte ich aufhören, denn ich wusste, dass jede Glückssträhne mal zu Ende geht. Doch ein Aufhören hätten mir die anderen Spieler übel genommen; solange sie noch mithalten und hoffen konnten, ihr Geld zurückgewinnen zu können, ließen die mich nicht ohne Ärger gehen.
Und so blieb ich und spielte nur noch vorsichtiger. Denn Ärger wollte ich nicht. Den hatte ich den ganzen Krieg lang und auch die letzten Monate auf dem Treibweg gehabt.
Mir war sehr nach Frieden, Freundlichkeit, Duldung und all den anderen Begriffen des Miteinander-Auskommens.
Als dann zwei Männer hereinkamen, die sich mürrisch aus den Regenmänteln schälten, warf ich ihnen nur einen kurzen Blick zu und interessierte mich weiter für meine Karten, versuchte zu erraten, wer von meinen Mitspielern bluffte und wer besser war als ich.
Aber die beiden Ankömmlinge, die zur Bar traten und sich Whisky geben ließen, starrten dann zu mir her.
Ich starrte zurück.
Verdammt, was hatten die? Was wollten sie von mir? Warum starrten sie mich an und nicht andere Leute?
Dies fragte ich mich.
Die beiden Fremden waren offensichtlich Brüder. Es waren Rinderleute, wahrscheinlich Texaner wie ich. Ja, sie gehörten zu meiner Sorte. Ich sah, dass sie einen Blick des Einverständnisses tauschten.
Dann wandten sie mir den Rücken, lümmelten sich über den Schanktisch und verlangten abermals Whisky. Doch sie konnten mich im Spiegel hinter der Bar beobachten.
Ich war etwas abgelenkt worden, hatte mich wenig konzentriert, und schon verlor ich ganz schnell dreißig Dollar.
Das machte mich wütend. Verdammt noch mal, da kamen zwei Hombres herein, starrten mich an und machten mich nervös. Dreißig Dollar hatte mich das schon gekostet. Ich verspürte den Wunsch, aufzustehen und mich bei den Kerlen zu erkundigen, ob ich vielleicht ein Kalb mit zwei Köpfen wäre.
Aber da bekam ich einen Royal Flush. Nun, ein Royal Flush, dies sind fünf aufeinanderfolgende Karten in einer Farbe vom As abwärts.
Und solch eine Karte bekommt man nicht jedes Jahr, selbst wenn man jeden Tag Poker spielen würde.
Nun, ich will nicht über das Pokerspiel berichten, denn davon haben die Leser dieser Geschichte gewiss schon oft genug lesen können. Fast alle Pokerspiele gleichen sich mehr oder weniger in all diesen Geschichten.
Und dennoch: Ich hatte in dieser Nacht einen Royal Flush und bekam meine dreißig verlorenen Dollar und noch weitere sechzig Dollar zurück und hinzu.
Nun konnten mich die beiden Fremden nicht mehr nervös machen. Sie setzten sich bald auch an einen Tisch und bestellten sich Steaks, die man hier zu jeder Tag- und Nachtzeit bekommen konnte.
Ich spielte weiter, und weil ich mich wieder besser konzentrierte, gewann ich in den nächsten Stunden noch ein paar Dollar.
Die beiden Hombres drüben schliefen am Tisch. Das taten andere auch. Alle warteten wir ja nur auf das Aufhören des Regens und des heulenden Sturmes.
Irgendwann machte jemand die Tür auf und steckte den Kopf ins Freie.
Wir alle wandten unsere Köpfe und sahen zu.
Denn durch die Tür kam frische Luft herein – und Sonnenschein. Die Sonne musste gerade im Osten aufgegangen sein.
Der Mann an der Tür sagte: »Jungens, es ist vorbei. Die Tante Clara lacht schon!«
Und im Hintergrund rief eine noch betrunken klingende Stimme: »Hoch, hoch, die müden Leiber! Vor der Tür stehen nackte Weiber!«
Ein paar Stimmen lachten.
Ja, ja, ja, wir waren hier alle ziemlich primitiv. Da muss ich den Lesern meiner Geschichte, die jetzt mitleidig oder gar verächtlich die Lippen kräuseln oder Nasen runzeln, völlig beipflichten.
Wir standen auf, reckten und dehnten uns.
Dann gingen wir hinaus und zum Stall und den Schutzdächern hinüber, um unsere Tiere zu holen.
Little Bend war kein Ort, in dem man länger als notwendig, sondern nur für einen Drink und ein kleines Spiel bleiben wollte.
Auch ich sattelte meinen Braunen und gab dem alten Pferdepfleger einen halben Dollar für das Futter.
Als ich aufsaß, sah ich die beiden Fremden, die ich für Brüder hielt. Auch sie saßen schon im Sattel. Nun kamen sie zu mir herübergeritten.
Sie saßen auf Dreihundertdollar-Pferden. Die Tiere trugen beide ein verschnörkeltes B als Brandzeichen. Auch ihre Sättel waren so teuer wie ihre Pferde.
Entweder waren sie Banditen oder reiche Burschen.
Sie nickten mir zu. »Suchst du einen guten Job?« So fragte einer mich.
Ich sah sie an, und ich kannte sie bestimmt nicht. Oha, ich hatte mir im Verlaufe meines Lebens ein paar Feinde gemacht. Ich hatte auch gewiss ein paar Schatten auf der Fährte.
Doch diese beiden Burschen da kannte ich nicht. Auch der B-Brand war mir unbekannt. Denn Texas war groß, ganz verdammt groß. Zwischen Brazos und Pecos gab es eine Menge Brandzeichen.
»Ich will heim«, sagte ich, »heim nach Texas. Ich suche keinen Job.«
Sie grinsten.
»Das ist es ja«, sagte einer. »Auch wir wollen heim nach Texas. Und wir haben ein Problem. Deshalb suchen wir einen guten Mann, der uns hilft, Old Mossyhorn heimzubringen. Er ist unter Brüdern mehr als tausend Dollar wert. Und wir zahlen dreißig Dollar im Monat und noch eine gute Prämie, wenn wir ihn gut heimbringen. Na?«
Ich wusste Bescheid.
Der Name Old Mossyhorn sagte mir genug.
Es musste sich um einen Stier handeln, um einen kostbaren und wertvollen Leitbullen, der eine Treibherde von Texas nach Dodge City oder Abilene geführt hatte. Solche Bullen waren wirklich ein Vermögen wert. Sie ersetzten manchmal eine ganze Mannschaft, und es kam oft genug auf solch einen »Herdenführer« an, ob eine vieltausendköpfige Herde bei Hochwasser gut durch die Flüsse kam und nicht bei jeder Kleinigkeit in Stampede ausbrach.
Es gab viele Treibmannschaften aus Texas, die diese Leitbullen mit viel Mühe wieder nach Texas brachten, damit sie dort bald eine neue Herde anführten.
Und diese beiden Burschen hatten also solch einen Bullen heimzubringen. Sie wurden offenbar nicht so recht mit ihm fertig und brauchten Hilfe.
Ich fragte: »Wer seid ihr denn?«
»Wir sind Cal und Gus Buchanan«, sagte einer und deutete bei Cal auf sich. »Wir sind Big Bill Buchanans Söhne. Wir haben die größte Ranch westlich des Pecos. Noch nie von uns gehört?«
Ich nickte. Denn jetzt erinnerte ich mich.
Und jetzt fand ich es auch normal, dass sie auf Dreihundertdollar-Pferden und in Zweihundertdollar-Sätteln saßen. Sie waren die Söhne eines Rinderkönigs, eines Cattle-Kings, der sich westlich des Pecos sein Kingdom errichtet hatte. Und sie waren keine Milchknaben, sondern harte Burschen, so wie sie sich ein Cattle-King nur wünschen konnte. Wahrscheinlich hatten sie eine große Treibherde zur Kansasbahn gebracht und damit ihr Meisterstück und die letzte Prüfung bestanden.
Ja, so musste man es wohl ansehen.
Dennoch war in mir eine Spur von Misstrauen. Dieses Misstrauen saß tief in meinem Kern, und es regte sich nur schwach.
Die beiden Burschen waren etwas jünger als ich.
Oh, ich traute mir zu, es mit beiden aufzunehmen ganz gleich auf welchem Gebiet. Nur hatte ich leider keinen reichen Vater.
Ich überlegte mir noch alles.
Oha, es wäre gut, wenn ich auf dem Heimweg nach Texas noch ein paar Dollar verdienen könnte. Jeder Dollar war daheim in Texas und erst recht drüben in Mexiko so groß wie ein Wagenrad.
Ich besaß nun schon mehr als dreihundert dieser »Wagenräder«, denn mein Pokerglück hatte angehalten.
Wenn ich nun noch ein paar Dollars ...
Ich brach meine Gedanken ab und nickte.
»Na gut«, sagte ich. »Eilig habe ich es nicht. Ich helfe euch.«
Sie grinsten. Ihre Augen funkelten. Sie wirkten aber dennoch irgendwie grimmig und fast drohend. Es war ein merkwürdiges Gefühl in mir. Aber ich erklärte mir ihre grimmige Ausstrahlung damit, dass sie Probleme hatten mit ihrem Mossyhorn und dieses Biest zur Hölle wünschten.
Wir ritten nun davon.
Es war fast zehn Meilen weit.
Dann erreichten wir das Camp.
Der Bulle war an einen Baum gebunden. Das Seil hing an seinem Nasenring. Und nur wegen dieses Ringes war er unterlegen und musste uns Menschen gehorchen.
Auch ein Wagen war da, mit dem der Bulle transportiert werden konnte.
Es sah alles nicht so aus, als hätten die beiden Buchanan-Brüder und der Mexikaner, der im Camp war, damit nicht fertig werden können.
Ich wollte mich im Sattel wenden und es einem der beiden Buchanans sagen.
Aber da bekam ich auch schon den Schlag. Es war Cal Buchanan. Er hatte das Gewehr aus dem Sattelholster gezogen, sein Pferd dicht genug an meines herangedrängt und dann zugeschlagen wie mit einer Eisenstange.
Mein Hut schützte mich nur wenig.
Ich fiel bewusstlos vom Pferd und landete schwer.
Ich blieb nicht lange bewusstlos, und ich machte auch nicht den Fehler, sofort hochzuspringen. Nein, über diese Jahre war ich längst schon hinaus. Ich wusste nun, dass mich diese Kerle reingelegt hatten.
Sie brauchten gar keine Hilfe wegen des Mossyhorns. Mit dem wurde wahrscheinlich schon der Mexikaner allein fertig. Der Bulle hatte einen Nasenring und ließ sich an dem Seil führen, solange man nicht losließ.
Ich war also bald wach und stellte mich noch bewusstlos. Dabei jedoch jagten sich meine Gedanken.
Mir fiel alles wieder ein – jede Geste, jedes Wort, jeder Blick, einfach alles, was geschah seit der Sekunde, da ich die beiden Buchanan-Brüder zum ersten Male sah.
Verdammt, was hatte mich da eingeholt?
Warum hatten die Kerle mich hergelockt und dann so kleingemacht?
Waren sie aus irgendeinem Grunde meine Feinde? Verwechselten sie mich mit einem anderen Manne – oder was war es sonst?
Denn ich kannte sie nicht.
Sie waren zwar etwas jünger als ich, doch nicht weniger erfahren mit allen Tricks. Sie ahnten schnell, dass ich mich wahrscheinlich nur noch bewusstlos stellte, um dann, wenn ich aufsprang, möglichst gut beieinander zu sein.
Einer trat mich in die Seite, so dass ich mich vor Schmerz krümmen musste wie ein Wurm. Ich konnte einfach nicht anders. Und indes ich mich noch krümmte, bekam ich es von dem anderen Hombre. Der trat noch schlimmer.
Nun wusste ich es genau. Sie waren aus irgendeinem Grunde meine Todfeinde. Sie kannten mir gegenüber keine Gnade. Sie wollten mich richtig kleinmachen, so dass keine Chance mehr zur Gegenwehr für mich blieb.
Da versuchte ich es, denn ich war schon immer ein Bursche, der lieber kämpfend unterging. Das hatten wir Tillburns so an uns. Und ich war Ben Tillburn. Wo man mich kannte, da fing man mit mir keinen Streit an.
Ich warf mich gegen die Beine eines meiner beiden Feinde, und ich brachte ihn auch zu Fall, kam dann mit ihm zu gleicher Zeit hoch und rammte ihm die Rechte mitten ins Gesicht, dass er sich sofort wieder langlegte.
Doch dann trat mich der andere wieder in die Seite.
Nun war es aus mit mir. Ich konnte nicht mehr kämpfen. Sie machten mich so richtig klein, und sie taten es mit Bedacht und Methodik. Vor allen Dingen kam es ihnen darauf an, mein Gesicht zu zerschlagen.
Ich wusste erst später, was dies zu bedeuten hatte. Ja, später wurde es mir richtig klar.
Ich verlor dann wieder das Bewusstsein.
Als ich erwachte, lag ich quer über dem Sattel meines Pferdes. Ich übergab mich mehrmals, und daran merkten sie, dass ich wieder bei Bewusstsein war.
Sie hielten an, banden mich los. Als ich mich stöhnend und mühsam zu Boden gleiten ließ, sagte einer: »Wir geben dir fünf Minuten Zeit. Dann musst du im Sattel sitzen. Oder wir binden dich wieder quer darüber. Du hast die Wahl.«
Da hockte ich nun am Boden und versuchte meine Not zu überwinden, indes sie sich Zigaretten drehten und anzündeten. Ich wusste, dass sie mir nur diese Zigarettenlänge Pause gönnten.
Sie betrachteten mich hart und mitleidlos.
Nach einer Weile fragte ich: »Und warum? Ich kenne euch nicht. Seid ihr sicher, dass ihr mich kleinmachen wolltet, mich, Ben Tillburn vom Brazos? Ist es möglich, dass ihr mich mit einem anderen Manne verwechselt?«
Sie schüttelten die Köpfe.
»Nein«, sagte Cal Buchanan, »wir kannten dich vorher nicht und haben nichts gegen dich persönlich. Uns macht es auch kein Vergnügen, dich so zu zerschlagen und wie Wilde zu behandeln. Nein, das macht uns keinen Spaß. Wir sind doch keine Irren, keine ... Ach, zum Teufel, es geht ganz einfach darum, dass wir unseren Bruder nicht in der Klemme sitzen lassen können. Aber das wirst du erst später richtig begreifen, Ben Tillburn. Wir sind gewiss nicht stolz auf das, was wir tun, doch wir müssen es tun. Es gibt keine andere Wahl. Unser Vater würde uns die Köpfe abreißen, kämen wir ohne Jago heim. Na los, sitz auf! Wir haben nicht viel Zeit!«
Ich wusste, dass er es ernst meinte. Ich quälte mich stöhnend hoch, stand dann schwankend bei meinem Pferd und hielt mich daran aufrecht.
Oh, was ging es mir schlimm! Meine Augen waren zugeschwollen. Ich konnte kaum noch etwas sehen. Sie hatten mir die Rippen geknickt und ... Nun, was soll ich jetzt noch nachträglich jammern.
Ich kam irgendwie in den Sattel.
Und dann ritten wir weiter.
✰
Es war noch ein weiter Weg. Für einen Mann in meinem Zustand war solch ein Ritt die Hölle. Ich hätte einige Tage lang in einem Bett liegen müssen, so sehr hatten sie mich kleingemacht. Mein Gesicht schwoll zu einem Pfannkuchen an. Aber noch schlimmer waren die innerlichen Schmerzen. Sie hatten mir die Rippen geknickt und mich halb totgetreten.
Ich glich einem Burschen, der unter eine Stampede geraten war – oder den man hatte lynchen wollen.
Der Ritt war also schlimm für mich. Ich büßte auf diesem Ritt gewissermaßen all meine Sünden ab, die ich jemals begangen hatte. Ja, so etwa kam es mir vor an diesem so verdammt langen und elenden Tage.
Und die ganze Zeit zermarterte ich mein Hirn mit der Frage, was das alles zu bedeuten hatte.
Denn so richtig konnte ich mir alles immer noch nicht zusammenrechnen. Ich wusste nur, dass sie ihren Bruder aus einer Klemme helfen wollten und mächtige Angst davor hatten, ohne diesen Bruder – er hieß offenbar Jago – heimzukehren zu ihrem Vater.
Aber warum hatten sie mich dann so zerschlagen, dass meine eigene Mam mich nicht mehr wiedererkannt haben würde?
Als ich mich das fragte, begann ich es endlich zu ahnen.
Man sollte mich nicht erkennen können. Allein meine Körpergröße, Haarfarbe und mein Gewicht sollten genügen, um mich mit einem ganz anderen Manne zu verwechseln – oder noch besser gesagt, um mich für einen anderen Mann zu halten.
Diese beiden Buchanan-Brüder hatten mich deshalb in der vergangenen Nacht unter all den anderen Gästen im Saloon ausgesucht. Es war reiner Zufall, dass ich dem Manne ähnlich war, mit dem sie mich austauschen wollten.
Dies wurde mir nach und nach klar, je länger ich mit meinem schmerzenden Schädel nachdachte.
Oha, ich saß gewaltig in der Klemme!
Aber was konnte ich schon noch für mich tun?
Nichts mehr. Ich war zu krank, zu elend. Und eine Waffe besaß ich nicht mehr.
Wir ritten noch bis zum späten Nachmittag.
Dann erreichten wir das Camp.
Der Wagen unter den Bäumen war ein ganz besonderes Ding. Er hatte einen festen Kasten, und die kleinen Fenster waren vergittert. Es war ein Gefängniswagen.
Ich kannte solche Dinger. Mit ihnen wurden die Verurteilten zu den Strafanstalten gebracht, wo sie ihre Strafe abzusitzen hatten.
Es gab ja hier nach dem Krieg schon eine solche Strafanstalt weiter östlich in Kansas. Irgendwo am Kansas River sollte sie liegen, keine hundert Meilen westlich von Kansas City. Und die Gefangenen waren dort vor allen Dingen zu Strafarbeit in den Steinbrüchen verurteilt.
Das hatte ich vor nicht langer Zeit mal zufällig gehört, als sich in einem Saloon neben mir ein paar Männer unterhielten und ich ein Bier trank.
Zwei Männer empfingen uns. Sie trugen die Abzeichen von Gefängnis-Aufsehern und waren mit Deputy-Sheriffs gleichzusetzen. Es waren zwei harte Nummern, das sah ich gleich.
Aber andere Burschen konnten gewiss auch gar nicht Gefängnis-Aufseher sein.
Da gehörte schon eine Menge Härte und Sturheit dazu, diesen Job überhaupt haben zu wollen. Und wenn man ihn dann hatte, so wurde man davon gewiss nicht humaner. Denn man hatte es dann Tag und Nacht mit Verbrechern jeder Sorte zu tun, mit dem ganzen Abschaum der Grenze und dem Strandgut des Krieges.
Die Welt war damals so kurz nach dem Krieg besonders mies.
Die beiden Deputies sahen uns schweigend entgegen. Sie waren gut bewaffnet und trugen ihre Revolver wie Revolvermänner. Und das waren sie sicherlich auch. Überdies hatten sie ständig ihre Gewehre in Reichweite.
Wir hielten an.
Cal Buchanan nickte den beiden Deputies zu und deutete dann auf mich.
»Das ist er«, sagte er. »In Ordnung?«
Sie betrachteten mich kritisch.
Doch sie konnten eigentlich nur erkennen, dass ich etwa sechs Fuß groß und fast neunzig Kilo schwer sein musste, dass ich dunkelhaarig war und es mir sehr schlecht ging.
Dann sahen sie sich an, tauschten einen langen Blick des Einverständnisses und nickten sich zu. Sie waren sich einig, das sah man.
Dann wandten sie sich an die Buchanan-Brüder.
»Ja, das können wir machen«, sagte einer.
Der andere Mann ging zum Wagen, öffnete die Tür am Ende und stieg über die heruntergelassene Treppe hinein.
Wir anderen Männer sahen uns an.
Die Buchanans und der Deputy betrachteten mich. Ich hockte schief und jämmerlich krank im Sattel. Meine Augen waren zu Schlitzen zugeschwollen. Sie konnten meine Blicke gar nicht sehen oder in meinen Augen lesen. Sonst hätten sie all die Verachtung und die Wut erkennen müssen, die in mir waren.
Ich wollte etwas sagen, doch ich suchte noch nach Worten. Auch wollte ich das Ungeheuerliche nicht glauben. Einmal hoffte ich, dass dies alles nur ein böser Traum war und ich gleich erwachen würde.
Doch dann kam der eine Deputy mit einem Gefangenen aus dem Wagen heraus. Nun begriff ich alles.
Ja, es war so, wie ich es schon zuletzt geahnt hatte.
Der Gefangene hatte meine Statur. Man konnte ihn von der Gestalt her mit mir verwechseln. Und auch er war so zerschlagen worden wie ich. Auch sein Gesicht war angeschwollen – nur schillerte es schon in mehreren Farben. Denn bei ihm war es schon einige Tage her, da man ihn so verprügelte und kleinmachte.
Er rief den Buchanan-Brüdern zu: »Verdammt, warum habt ihr mich so lange in diesem Affenkasten schmoren lassen? Ging das nicht schneller?«
»Halt dein Maul, Jago«, grollte Cal Buchanan.
Wir sahen zu, wie der Deputy diesem Jago nun die Handschellen abnahm. Dann wandten sie sich alle mir zu.
Cal Buchanan sagte: »Na, Tillburn – so nanntest du dich doch, nicht wahr? – dann geh mal schön in den Kasten. Los, Tillburn! Oder möchtest du noch mal zurechtgeklopft werden?«
Ich bewegte mich im Sattel, und schon diese kleine Bewegung tat mir überall weh. Ich hatte keine Chance. Ihre Pferde waren besser als meines. Sie hätten mich auch dann einholen können, wenn ich nicht krankgeschlagen gewesen wäre. Und sie konnten mich leicht mit einem Schuss aus dem Sattel holen.
Ich war völlig in ihrer Gewalt.
Und so machte ich einen Versuch, es mit Worten zu meinem Gunsten zu verändern. Ich wandte mich an die beiden Deputies.
»Ihr habt doch wohl einen Eid geschworen«, sagte ich. »Und dennoch wollt ihr offensichtlich einen Verbrecher laufen lassen und mich an seiner Stelle in den Kasten stecken. Glaubt ihr denn, ihr könnt damit durchkommen? Was ist, wenn ich gute Freunde habe, die nach mir zu suchen beginnen?«
Sie grinsten nur.
Und ich sagte nichts mehr. Denn meine Position war einfach zu schlecht. Mit Drohungen machte ich mich bei ihnen nur lächerlich.
Nur ein Dummkopf hätte zu ihnen gesagt, dass ja bei meiner Ablieferung im Gefängnis alles herauskommen würde, weil ich ihre Vorgesetzten informieren konnte und die ja dazu verpflichtet waren, meine Beschuldigungen nachprüfen zu lassen; ja, nur ein Dummkopf hätte ihnen damit gedroht.
Denn sie wollten mich ja gar nicht abliefern beim Gefängnis.
Nein, das konnten und wollten sie gar nicht.
Verdammt, es war so leicht zu begreifen, dass man mich bei einem Fluchtversuch erschießen würde. Denn so würde man es nennen.
Und damit war für die Buchanans alles wunderbar gelöst.
Sie bekamen ihren Bruder frei und hatten zugleich auch dafür gesorgt, dass man ihn nicht steckbrieflich suchen würde. Denn ich starb ja an seiner Stelle hier in Kansas. Die beiden Deputies aber hatten keinen Fehlbestand in ihrer Liste. Denn sie konnten zwar keinen lebenden, doch aber einen toten Mann abliefern.
Welchen Preis mochten die Buchanans den Gefängnis-Deputies wohl zahlen? Sicherlich hätten sie ihren Bruder auch mit Gewalt befreien können. Das wäre nicht schwer für sie gewesen.
Doch dann wäre Jago steckbrieflich als entflohener Verbrecher gesucht worden.
Dies aber wollten sie vermeiden.
Oha, sie waren schlau, diese Buchanans. Die machten es nicht so primitiv, wie es viele Kerle an ihrer Stelle getan hätten. Nein, sie machten alles richtig, diese Buchanans.
Jago Buchanan würde hier in Kansas sterben.
Und dass er in Wirklichkeit daheim im Pecos-Land von Texas wieder leben würde, nun, wer würde sich dafür interessieren? Texas war weit, sehr weit.
Ich schluckte mühsam.
Dann rutschte ich vom Pferd.
Was blieb mir anderes übrig? Sollte ich mich noch mal verprügeln lassen? Es ging mir schon schlecht genug. Wenn meine körperliche Verfassung noch mieser wurde, hatte ich überhaupt keine Chance mehr.
Ich stieg also ab.
Jago Buchanan kam, um sich auf mein Pferd zu setzen. Er grinste mühsam.
Ich sah, wie die beiden anderen Buchanans den beiden Deputies je einen klirrenden Beutel zuwarfen. Wenn diese Beutel mit Zwanzigdollarstücken gefüllt waren, befanden sich tausend Dollar in jedem Beutel. Das konnte man schätzen.
Ein hoher Preis. Denn tausend Dollar waren auch in Kansas viel Geld.
Und dennoch ... Wenn die Buchanans eine Texas-Herde zum Verkauf gebracht hatten, so besaßen sie eine Menge Geld. Und bei dreißig-, vierzig- oder fünfzigtausend Dollar Gewinn konnte man leicht zweitausend Dollar ausgeben. Das waren Spesen.
Sie ritten davon. Wir sahen ihnen nach.
Ich wollte ihnen nachrufen, dass ich sie finden und töten würde, sollte ich davonkommen können. Doch ich hielt meinen Mund. Denn es hatte keinen Sinn, nun Drohungen auszustoßen. Damit konnte ich meine Lage nicht bessern.
Ich wandte mich den beiden Deputies zu.