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Raye Reegan glaubt, dem Großrancher Big John Breahitt absolute Treue zu schulden. Denn Breahitts Sohn hat ihm das Leben gerettet. Er hat die Kugel aufgefangen, die Raye zugedacht war.
Deshalb will Raye für Big John Breahitt reiten und kämpfen, bis in die Hölle und zurück. Doch plötzlich muss er erkennen, dass er seine Treue einem Unwürdigen schenkt...
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Seitenzahl: 169
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Reiten und kämpfen
Vorschau
Impressum
Reiten und kämpfen
Ich stand am Ende des Schanktisches. Der Barmann schob mir das halbvolle Whiskyglas zu. Ich nahm es noch nicht, weil ich damit beschäftigt war, mir vom soeben gekauften Tabak eine Zigarette zu drehen.
Durch die offene Schwingtür kam ein Mann herein. Es war ein schon alter, ziemlich klappriger Bursche. Er fluchte und hatte einen roten Kopf. »Die bringt mich um«, knirschte er. »Die bringt mich ins Grab.« Damit griff er nach meinem Glas, setzte es an und schluckte genüsslich.
Dann traten ihm die Augen aus den Höhlen. Er schnappte nach Luft – und dann sprangen ihm wahrhaftig zwei Knöpfe vom Hemd. »Oooh«, röchelte er, »was ist das für ein neues Gewürz in deinem Whisky? Ein toter Hund? Tote Ratten? – Aaah, gib mir noch einen!«
Er wandte sich an mich.
»Entschuldigen Sie, Amigo«, sagte er, »dass ich das Glas nahm. Ich bestell' sofort ein neues. – He, Sam, für meinen Amigo ein neues Glas. Schnell!«
Ich sah den alten Burschen nicht gerade freundlich an.
Normalerweise hätte ich einen Mann, der mein Glas leertrank, unangespitzt in den Boden gerammt. Und bei den meisten Burschen auf dieser Erde wäre mir das auch unbeschadet gelungen.
Doch dieser klapprige Oldtimer war kein Gegner für mich. Da hätte ich mich ebenso gut an einem halbwüchsigen Jungen vergreifen können.
Doch ging mir seine selbstverständliche Art gegen den Strich. So alt war er auch wieder nicht, dass er schon Narrenfreiheit hatte.
Und so wollte ich ihm wenigstens sagen, dass ich ihm das nächste Mal auf die Pfoten klopfen müsste. Doch er erkannte wohl erst jetzt, zu welcher Sorte ich gehörte. Denn er war ja gewiss kein Dummkopf.
»Aaah, ich werd' Ihnen erklären, warum ich den Schnaps haben musste«, sprach er eilig. »Und dann werden Sie verstehen, warum ich Ihr Glas nahm.«
Er machte eine Pause. Denn der Barmann hatte indes für uns die Gläser gefüllt und schob sie uns zu.
Wir nahmen sie und leerten sie.
Dabei sahen wir uns an. Er war einen Kopf kleiner als ich und musste zu mir aufsehen. Ich traute ihm zu, dass er in seinen jüngeren Jahren ein richtiger Giftpilz war.
»Na los, Opa«, sagte ich. »Dann schießen Sie mal los.«
»Noch zwei Gläser«, verlangte er. »Ich besauf' mich heute wie ein ganzer Indianerstamm. Anders kann ich nicht zu meiner Alten zurück. Die war heute beim Doc. Sie klagte schon wochenlang über dies und das. Ich gab ihr zwei Dollar mit. Vorhin kam sie wieder. Und ich fragte: ›Was hat er gesagt?‹ Oooh, da erwiderte sie tatsächlich: ›Drei Dollar.‹ Nein, sagte ich, will wissen, was du hattest! Da sagte sie mir: ›Zwei Dollar!‹ Oooh, ich dachte, mich tritt ein Mustang. Und so versuchte ich's anders. Ich fragte sie also: ›Was hat dir gefehlt?‹ Und ich hoffte, dass sie mir nun die Krankheit nennen würde, die der Doc bei ihr feststellte. Doch sie antwortete: ›Ein Dollar.‹ Da bin ich hierher gelaufen. Sonst wäre ich erstickt. Mein junger Freund, hatte ich vielleicht keinen triftigen Grund?«
Er sah mich fragend an.
Und ich überdachte die Sache.
Dann tat er mir wirklich leid. Ich nickte ganz ernsthaft, obwohl ich gern schallend gelacht hätte.
»An Ihrer Stelle, Opa«, sagte ich, »würde ich mich auch vor Kummer besaufen. Aber vielleicht ist die Frau verkalkt, verstehen Sie? Und dann muss ein Mann Nachsicht üben.«
Er nahm das dritte Glas, trank es leer und nickte dem Barmann zu.
»Schreib's an«, sagte er und ging.
Er schwankte schon ein wenig.
Der Barmann seufzte. »Das ist unser Sattler von gegenüber«, sprach er traurig. »Der hat's tatsächlich nicht einfach.«
Er sah mich an, und ich war ein Fremder.
In diesem Land begegnete man Fremden von meiner Sorte mit vorsichtigem Misstrauen.
»Bleiben Sie in unserer Stadt?«
»Nein«, erwiderte ich. »Wie weit ist es noch zu Big John Breahitt?«
Nun sah er mich noch aufmerksamer an.
Ich trug noch die Hose und den Hut der ehemaligen Konföderierten-Armee.
»Sie kommen wohl aus der Gefangenschaft, ja? Haben Sie Nachricht von Jim Breahitt! Big John wartet auf ihn. Alle warten sie auf Jims Heimkehr. Er müsste längst hier sein. Und immer, wenn jemand auftaucht, der wie ein entlassener Soldat wirkt und zu Big John will, fragen wir uns alle, ob er nicht Nachricht bringt. – Na?«
Er starrte mich neugierig an. Irgendwie hatte er Witterung bekommen. Sein Instinkt sagte ihm, dass ich nicht zufällig zu Big John Breahitt wollte – oder zumindest nicht, um wegen Arbeit nachzufragen.
Ja, er witterte etwas.
Doch ich sagte: »Wie weit, na?«
»Zweiundzwanzig Meilen«, erwiderte er enttäuscht. Dann grinste er. Es war ihm offenbar ein Gedanke gekommen, der ihm eine gewisse Freude bereitete. Vielleicht war es auch Schadenfreude, denn das Funkeln in seinen Augen sah mir fast danach aus.
»Wenn Sie ein Freund der Breahitts sind – und wenn Sie verhindern wollen, dass jemand Blue-Chip Kirby Breahitt die Ohren und noch eine Menge mehr abreißt, dann nehmen Sie am besten den Jungen gleich mit.«
Er machte eine Pause, und weil ich nichts fragte, ihn nur ansah, fügte er hinzu: »Drei Häuser weiter in dieser Gasse die letzte Hütte rechts; da wohnt Juanita. Bei der ist Kirby Breahitt schon die zweite Nacht. Sie kommen gar nicht mehr zum Vorschein. Aber Juanita – sie muss ja völlig loco sein – hat Paco Sanchez ihr Jawort gegeben. Er fängt Wildpferde, um sie an Big John Breahitt zu verkaufen. Er wird jetzt schon unterwegs nach hier sein, um seine Ehre zu retten. Er wird Big John Breahitts jüngsten Sohn umbringen. Verstehen Sie, Fremder? Anders geht es nicht für Paco, will er sich nicht zum Gespött des ganzen Landes machen. Und Blue-Chip Kirby Breahitt hat in diesem Land schon einer ganzen Menge Männern Hörner aufgesetzt. Denn Blue-Chip ist ein Bursche, der jedes Weib herumkriegt zwischen sechzehn und siebzig – jedes, welches er haben will. Paco hat Freunde hier, die ihn längst schon in den Wildpferdhügeln alarmiert haben. Der ist bald hier. Und dann...«
Er sprach nicht weiter.
Ich wusste auch so Bescheid.
Es war die alte Leier.
Da war der Sohn eines mächtigen Mannes, den es fortwährend juckte, sich als Eroberer aller Frauen und Mädchen auf viele Meilen in der Runde zu beweisen.
Ich wusste zu gut, dass es solche Burschen gab.
Und irgendwann brachte sie jemand um. Dieser Wildpferdjäger Paco Sanchez war gewiss ein gefährlicher Bursche.
Ich konnte also wahrhaftig etwas für diesen Big John Breahitt tun.
Aber ging mich das alles denn etwas an?
Sollte ich mich einmischen?
Ich dachte nach. Und der Saloonwirt beobachtete mich aufmerksam.
Denn an meiner Haltung konnte er ablesen, ob ich ein Freund der Breahitts war – oder nur ein Satteltramp, der bei ihnen schnorren wollte.
Ich nickte.
»Amigo«, sagte ich, »wenn ich John Breahitt einen Gefallen tun kann, dann mach' ich das auch. Und ich kann nur für Sie, mein Bester, hoffen, dass Sie mir keinen falschen Tipp gaben. Ich geh' also und hol' den lieben Blue-Chip Kirby, bevor ihn dieser Paco Sanchez frisst. Hätte Blue-Chip denn eine Chance gegen Sanchez?«
»Keine«, erwiderte der Wirt. »Der könnte ihm nicht nur die Ohren abreißen oder abschießen – nein, auch noch was anderes. Denn Paco Sanchez hat ihn gewarnt. Er hat ihm gesagt, was sein wird, wenn er sich an seine Juanita heranmacht. Ja, Sie tun Big John einen wirklich großen Gefallen.«
Ich nickte und wandte mich zum Gehen, nachdem ich ein Geldstück auf die Bar legte.
»Und wie ist Ihr Name, Mister?« Der Wirt fragte es höflich. »Wenn Sie hier in unserem Land bleiben, werden Sie gewiss dann und wann vorbeikommen, um einen Drink zu nehmen. Ich würde Sie gern beim Namen nennen.«
»Raye Reegan ist der Name«, sagte ich und ging hinaus.
Seinen Namen wusste ich. Der war zu lesen auf einem leicht pendelnden Schild. Da hieß es: »San Paco-Saloon« und darunter: »Sam O'Brien«.
Auch dieser kleine Ort hieß San Paco. Es gab zwei Teile. Der größere war alt und gehörte zu der alten Mission, die einst von den Spaniern mit Hilfe von Sklaven errichtet worden war. Der neuere Teil war dann sehr viel später von den ins Land gekommenen Angloamerikanern errichtet worden.
Ich ging die Gasse entlang bis zur letzten Hütte rechts.
Und dann hörte ich es auch schon. Drinnen kreischte eine Frau. Doch es klang vergnügt. Auch der Mann lachte. Sie hatten mächtig viel Spaß dort in der zweiräumigen Adobehütte. Und wenn ich bedachte, dass sie es schon zwei Nächte und den zweiten Tag trieben, sprach das eigentlich nur für die Vorzüge der Hombra dort drinnen.
Heiliger Rauch, die musste schon was zu bieten haben.
Ich ging um die Hütte herum in den kleinen Hof. Hier gab es einen halboffenen Schuppen; drinnen stand ein Pferd.
Es war ein Dreihundert-Dollar-Pferd. Auch der Sattel war gewiss nicht viel weniger wert. Es waren gewissermaßen Pferd und Sattel eines Prinzen.
Und so musste ich das wohl tatsächlich ansehen.
Ich wusste eine Menge über Big John Breahitt.
Auch über den jüngeren Sohn dieses Cattlekings.
Deshalb wunderte ich mich nicht über das Pferd und den silberbeschlagenen Sattel.
Das Pferd sah mich traurig an.
Ich wusste, warum. Es war angebunden, hatte längst kein Futter mehr, auch kein Wasser. Dieser Bursche musste seit zwei Tagen vergessen haben, dass er ein Pferd draußen stehen hatte.
Ich gab dem Tier Futter in die Krippe und holte auch einen Eimer Wasser vom Brunnen. Dann nahm ich den Sattel von der Stange und sattelte das Tier, indes es fraß.
Als ich dann an der Hintertür probierte, erwies sie sich als nicht verriegelt.
Ich trat ein in einen kleinen Raum, eine Art Waschküche und Abstellraum.
Im Nebenraum kreischten und lachten sie immer noch.
Als ich vorsichtig die Tür öffnete, sah ich es.
O ja, diese Juanita war wirklich zauberhaft, eine Augenweide.
Und sie war nackt. Das heißt, nicht ganz. Sie hielt eine rote Bluse in den Händen. Damit bedeckte sie manchmal ihre Blöße, aber hauptsächlich schwenkte sie den roten Seidenstoff wie eine Mantilla.
Juanita spielte den weiblichen Torero. Und der liebe Blue-Chip Kirby Breahitt mimte den kampflustigen Stier.
Mit gesenktem Kopf, die Arme wie Hörner vorgestreckt, griff er immer wieder an.
Doch er bekam die Nackte nicht zu fassen, weil er sehr viel betrunkener war als sie. Einige Male hielten sie inne, mussten verschnaufen und bogen sich vor Lachen.
Eigentlich war es ungehörig, sie zu stören. Doch ich hatte ja einen triftigen Grund dafür.
Und deshalb sah ich nicht länger zu. Dies hatte ich ohnehin nur getan, weil ich noch einmal überlegte. Denn es war mir klar, dass zumindest dieser Blue-Chip Kirby mir die Einmischung nicht verzeihen würde.
Doch sein Bruder war mein Freund gewesen.
Und seinem Vater war ich deshalb etwas schuldig.
Deshalb entschloss ich mich.
Und so trat ich ein.
Die schöne Juanita sah mich zuerst. Sie bedeckte ihre Blöße mit der Bluse.
Dabei erstarrte sie und bekam riesengroße Augen.
Da merkte sogar der betrunkene Bursche, dass etwas nicht stimmte.
Er wandte sich um und sah mich.
Oh, er war ein prächtiger Prinz, ein hellblonder, blauäugig strahlender Sieger.
Wie er so lachte, sich freute, seine weißen Zahnreihen im kühnen, braungebrannten Gesicht blinken ließ – nun, da glaubte ich, dass fast alle Frauen und Mädchen zwischen vierzehn und achtzig von ihm verzaubert wurden.
Weil er betrunken war, konnte er die Situation nicht so schnell begreifen.
»Kirby, zieh dich an! Schnell! Paco Sanchez ist gleich hier!«
Als ich die letzten Worte gesagt hatte, stieß Juanita einen erschrockenen Laut aus und verschwand in der Schlafkammer. Von dort begann sie Kirbys Kleidung in den Wohnraum zu werfen. Sie war plötzlich so nüchtern, als ob sie unter eine kalte Dusche geraten wäre. Dabei kreischte sie: »Raus hier! Schnell! Er bringt uns um! Paco bringt uns um! Oh, was hast du mit mir gemacht, Blue-Chip? Was hast du mir in den Kaffee getan, dass ich Paco vergessen konnte, den lieben, guten Paco, der für mich in den Hügeln Pferde fängt? – Raus hier, Blue-Chip! Raus hier! Warum hab' ich mich nur verhexen lassen?«
Blue-Chip Kirby achtete gar nicht mehr auf sie.
Er starrte mich an.
Und endlich fragte er mit der drohenden Stimme eines Betrunkenen: »Hoii, wer bist du denn? Schickt Big John dich? Glaubt der große Mann wieder einmal, dass ich Hilfe nötig habe? – Hau ab! Los, hau ab! Und wenn Paco mag, dann soll er kommen! Ich renne nicht weg vor einem Burschen wie Paco. – He...«
Ich wartete nicht länger, trat vor und schnappte ihn mir. Denn Reden hatte keinen Sinn.
Und ich demütigte ihn vor einem Mädchen.
Oh, ich wusste, er würde mir das niemals vergeben.
Ich Narr hatte mich in etwas eingemischt, das mir nur Verdruss bringen konnte.
Am besten wäre gewesen, wenn ich fortgeritten wäre.
Doch das konnte ich nicht.
Man konnte es sogar so sehen, dass ich Big John Breahitt das Leben eines Sohnes schuldete.
Und so war es meine Pflicht, ihm wenigstens den anderen Sohn zu erhalten.
Denn wenn alles stimmte, was der Saloonwirt sagte, war Blue-Chip ohne meinen Beistand verloren.
Also schnappte ich ihn mir.
Er wäre mir auch in nüchternem Zustand körperlich nicht gewachsen gewesen.
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Ich gab ihm ein Ding auf den Punkt; die Kinnspitze. Das beruhigte ihn erst mal. Er setzte sich auf den Boden und legte sich dann sachte lang. Dabei verdrehte er die Augen.
Die schöne Juanita hatte zwar seine Siebensachen aus der Schlafkammer geworfen. Doch ich war damit nicht zufrieden, sondern rief: »Aye, mein Augenstern, komm raus und hilf mir! Je früher wir ihn angezogen haben, umso schneller bin ich mit ihm weg. Denn Paco Sanchez ist schon bald hier! Also hilf mir, mein Engel.«
Sie kam sofort. Sie hatte sich schnell ein Kleid übergeworfen, das ihre nackte Schönheit verdeckte – leider. Doch ich hatte andere Sorgen. Sie half mir wortlos. Sie verstand es gut, einen bewusstlosen Mann anzukleiden.
Als wir mit Blue-Chip Kirby Breahitt fertig waren, wurde er wieder wach, doch immer noch nicht nüchtern. Er sagte trunken: »O du verdammter Hundesohn, was hast du mit mir gemacht? Ich werde dir...«
»Wenn du nicht dein verdammtes Maul hältst und genau das tust, was ich dir sage, dann bekommst du noch solch ein Ding vor den Latz«, unterbrach ihn rau.
Mein Instinkt sagte mir, dass ich mich beeilen musste.
Ich zerrte ihn auf die Beine.
»Raus«, sagte ich. »Draußen steht dein Pferd! Schwing dich in den Sattel und hau ab! Ich hab' meinen Gaul am Eingang der Gasse stehen. Und ich werde mit dir reiten.«
Er sah mich böse an.
»Wer bist du denn?«, fragte er. »Dich kenn' ich überhaupt nicht und...«
»Ich bin Raye Reegan«, sagte ich. »Zumindest solltest du mich aus den Briefen deines großen Bruders kennen, Kleiner. Na los, gehen wir!«
Ich riss ihn an der Schulter herum und stieß ihn vorwärts.
Juanita sagte hinter mir her: »Amigo Raye, ich bin Ihnen sehr dankbar. Wir waren loco. Wahrscheinlich retten Sie nicht nur sein Leben – nein, auch meines. Ich bin ewig in Ihrer Schuld, Señor.«
Sie meinte es ernst. Ich sah es ihr an. Nun war sie plötzlich nicht mehr so ausgelassen und lebenshungrig – nein, jetzt war sie ängstlich wie eine Maus.
Dieser Blue-Chip musste wahrhaftig Zauberkraft haben, wenn es darum ging, einer Frau den Verstand zu nehmen.
Doch jetzt fürchtete sie sich.
Dies sagte mir, dass jener Paco Sanchez ein wirklich gefährlicher Bursche sein musste.
Ich stieß Blue-Chip hinaus, sagte dabei über die Schulter: »Eine solche Freundin kann ein Hombre wie ich immer brauchen.«
Blue Chip war noch zu betrunken, um in den Sattel zu kommen. Als ich ihm half, fiel er auf der anderen Seite fast wieder vom Pferd.
Und oben knirschte er mit dem sturen Zorn des Betrunkenen: »Und wenn du zehnmal der Freund meines Bruders bist – hundertmal! –, das vergess' ich dir nie! Du hast mich vor Juanita gedemütigt – vielleicht sogar vor der ganzen Stadt. Das zahl ich dir zurück!«
Nach diesen Worten ritt er endlich an. Ich folgte ihm mit raschen Schritten. Mein Pferd stand vorn in der Gassenmündung. Weil es ihm nicht rasch genug Platz machte, schlug er es mit der Bullenpeitsche, die er am Sattelhorn hängen hatte.
Ich war nun richtig böse, denn ich schlug mein gutes Tier nie. Es war ein Kriegspferd und hatte dabei einige Narben abbekommen. Dieses Pferd war zu gut, um von solch einem Taugenichts geschlagen zu werden.
Wäre ich bei ihm gewesen, so hätte ich ihn aus dem Sattel geholt und windelweich geklopft.
Als ich endlich mein Tier erreicht und beruhigt hatte, aufgesessen war und auf die einzige Hauptstraße von San Paco ritt, die sich durch beide Ortsteile schlängelte, da war Blue-Chip einen knappen Steinwurf weit vor mir.
Doch er ritt nicht mehr vorwärts. Er hatte angehalten.
Denn im Ortseingang war ein Reiter aufgetaucht, dessen Pferd schweißbedeckt war und deutlich sichtbar eine Staubfahne hinter sich hergezogen hatte. Jetzt aber ging das Tier im Schritt. Der Reiter dort hatte es nicht mehr eilig. Ich wusste sofort, warum. Dieser Reiter war gewiss jener Paco Sanchez. Und er hatte Blue-Chip Kirby Breahitt erkannt. Er wusste, dass ihm Blue-Chip nicht mehr entkommen konnte.
Es war alles sehr einfach.
So sehr ich mich auch beeilt hatte, Blue-Chip fortzubringen – es geschah nicht früh genug. In wenigen Minuten hätte dieser Paco Sanchez den lieben Blue-Chip bei Juanita erwischt und so wie ich gesehen, wie er den feurigen Toro spielte und sie ihn mit der roten Bluse reizte.
Dies wenigstens hatte ich verhindern können.
Doch genügte es?
Ich hatte schon bald meine Zweifel, denn inzwischen war ich so nahe bei Blue-Chip angelangt, dass ich in Hörnähe beider Männer war.
Paco Sanchez sagte nämlich gerade mit unversöhnlicher Feindschaft: »Du brauchst dich nicht herauszureden, Blue-Chip! Es würde dir nichts nützen. Denn ich weiß mit Sicherheit, dass du jetzt von meiner Braut kommst. Ich erhielt das Zeichen. Und ich hatte dich gewarnt, nicht wahr, du verdammter Strolch?«
»Du kannst mich mal«, erwiderte Blue-Chip. »Ich habe nun mal Glück bei allen Weibern. Was kann ich dafür, dass sie alle verrückt sind nach mir? Und jetzt geh mir aus dem Wege. Oh, ich weiß, wie schnell du mit dem Colt bist. Aber vielleicht bin ich schneller. Und selbst wenn du schneller sein solltest, so ist das dein Tod. Denn mein Vater, der große Boss in diesem Lande, der Cattleking von eigenen Gnaden, der lässt dich hängen. Verstehst du? Obwohl er nicht viel von mir hält, so bin ich doch sein Sohn. Und er lässt dich hängen. – Platz da!«
Er wollte anreiten.
Doch Paco Sanchez dachte nicht daran, ihm den Weg freizugeben.
Der Wildpferdjäger war sich darüber klar, dass die ganze Stadt zusah, wenn auch zumeist hinter den Fenstern oder in den Haus- und Ladeneingängen verborgen.
Blue-Chip Breahitt hatte dem Wildpferdjäger Paco Sanchez Hörner aufgesetzt. Die Stadt wusste es.
Und nun musste Paco Sanchez etwas unternehmen.
Er tat es wahrhaftig, und er zeigte Blue-Chip einen richtigen Wildpferdjäger-Trick.
Indes er auf ihn zuritt, stieß er den wilden Schrei eines angreifenden Pumaweibchens aus. Es war ein Schrei, der einem durch Mark und Bein ging, wenn man ihn unerwartet hörte. Selbst das Pferd des Wildpferdjägers, welches ja gewiss an diesen Trick gewöhnt war, erschrak ein wenig und tanzte.
Aber Blue-Chips prächtiges Dreihundert-Dollar-Pferd explodierte vor Schreck. Es überschlug sich fast und warf den Reiter in hohem Bogen ab, tanzte dann wie verrückt umher, keilte nach allen Seiten aus, weil es glaubte, dass der Puma es im nächsten Moment von irgendwoher anspringen würde.
Blue-Chip fiel in seiner Trunkenheit wie ein Sack und krachte schwer in den Staub.
Ich ritt nun neben ihn, hielt an und wartete, bis auch Paco Sanchez' Tier wieder etwas ruhiger wurde. Mein eigenes Pferd benahm sich ganz normal. Es war ein Kriegspferd, an Kanonendonner und hundert- oder gar tausendkehligen Rebellenschrei gewöhnt. Dieses Tier konnte nichts mehr so leicht erschrecken. Überdies waren wir auch mehr als ein Dutzend Sprünge entfernt.
Jetzt hob ich meine Rechte achtungsheischend.
Und dabei sagte ich zu Paco Sanchez: »Nun ist es genug, Amigo.«
Er wollte sich eben aus dem Sattel schwingen.
Nun verharrte er und sah mich an. Auch ich betrachtete ihn noch einmal sorgfältig. Eigentlich gefiel er mir.
Er war ein Wildpferdjäger, ein Reiter – und eigentlich war er von meiner Sorte. Denn vor dem Krieg war auch ich solch ein Bursche gewesen, ein Pferdejäger und Cowboy, ein Reiter in Texas.