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Jesse Logan Flint, der ehemalige Städtebändiger und legendäre Revolvermann, weiß seine schwerkranke Frau in den Händen gnadenloser Banditen, und der Ritt nach Tombstone wird für ihn zum Wettlauf mit dem Tod...
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Seitenzahl: 222
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Der Ritt nach Tombstone
Vorschau
Impressum
Der Ritt nach Tombstone
Der Name »Tombstone« lässt alle Leser, die sich mit der Geschichte des alten Westen von Amerika vertraut machten, sofort an die Brüder Earp, an Doc Holliday, an Johnny Ringo, die Clantons, die McLowrys und all die anderen berühmt-berüchtigten Gestalten denken, deren Geschichte in meinem Roman »Die Tombstone-Legende« schon einmal eingehend geschildert wurde.
Als ich damals für meinen historischen Roman in den noch reichlich vorhandenen Überlieferungen und Berichten forschte, um mir ein möglichst objektives Bild machen zu können, stieß ich bei diesem Quellenstudium auf die Geschichte eines anderen Mannes.
Und mir wurde immer klarer, dass es sich um eine Geschichte handelte, die es wert war, geschildert zu werden.
Der Name des Mannes ist Jesse Logan Flint.
Aber zuerst nannte er sich in Tombstone nur Jesse Logan.
Denn als Jesse L. Flint hatte er sich in Texas und Kansas einen ziemlich bitteren Ruhm erworben. Diesem bitteren Ruhm wollte er wohl entkommen.
Tombstone war damals schon eine wilde Silberstadt, und man hätte dort jenen Jesse Logan Flint sehr gerne als Marshal gehabt. Doch er wollte nicht.
Denn als er mit seiner Frau nach Tombstone kam, war er nur auf der Durchreise nach California.
Nein, er blieb nicht in Tombstone. Als er fort war, wurde die Stadt noch wilder und kamen die Earps ins Spiel.
Vielleicht wäre damals alles anders geworden, wenn er geblieben wäre. Aber er wollte kein Revolvermarshal mehr sein.
Wer kann ihm das heute verdenken?
Als ich über ihn in Erfahrung brachte, was notwendig ist, um mir mit Hilfe meiner Einbildungskraft alles vorstellen zu können, da sah ich dies so, wie ich es hier niederschrieb.
G.F. Unger
Nachdem der Arzt gegangen ist, steht Jesse noch eine Weile am Fußende des Bettes und betrachtet seine Frau. Das Schlafmittel hat gewirkt, und sie schlummert nun friedlich.
In Jesse Logan Flint aber sind die trockenen Worte des Arztes noch lebendig, und in seinen bitteren Gedanken wiederholt er sie immerzu:
Die Fahrt in der Postkutsche hat Ihrer Frau sehr geschadet, Mister. Eine Frau, die ein Kind erwartet, sollte nicht mehr auf solchen Straßen und mit solchen Postkutschen fahren. Ihre Frau konnte das nicht ertragen. Sie wird einige Wochen völlig bewegungslos im Bett liegen müssen, oder das Kind kommt so früh auf diese Welt, dass es nicht – noch nicht, meine ich! – lebensfähig ist. Haben Sie mich verstanden, Mister?
Oh, er hatte genau verstanden.
Und er erinnert sich an die höllische Fahrt. Die Postkutsche war von einigen Apachen verfolgt worden, und der Kutscher fuhr über Stock und Stein, so dass die Kutsche nur so hüpfte und sprang und es ein Wunder war, dass sie nicht zerbrach.
Und diese Fahrt hat Cora krank gemacht. Sie wird sein Kind, welches sie unter dem Herzen trägt, vorzeitig bekommen. Und es wird nicht leben können.
Es gibt nur noch eine einzige Chance, und die ist auch noch recht klein. Aber es ist eine Chance. Cora muss möglichst bewegungslos im Bett bleiben.
Das ist die Chance.
Jesse Logan Flint wandert zum Fenster. Es ist nun dunkel geworden, und er sieht, wie die wilde Silberstadt Tombstone langsam in Betrieb kommt.
Er denkt daran, dass Cora und er vielleicht einen Sohn bekommen könnten. Oh, auf einen Sohn wäre er sehr stolz! Aber auch über eine Tochter würde er sich freuen. Oha, er würde alles dafür hergeben, wenn die Geburt gut verlaufen und das Kind am Leben bliebe.
Doch als er nun überlegt, was er denn alles hergeben könnte, da erschrickt er sehr.
Denn es ist nicht viel, eigentlich gar nichts, was wertvoll wäre.
Ich würde meine Rechte dafür geben – die Linke wäre mir immer noch genug, so denkt er.
Und er betrachtet seine Rechte seltsam bitter.
Dann geht er leise aus dem Zimmer, zieht die Tür hinter sich zu, dreht den Schlüssel herum und steckt ihn in die Tasche.
Als er in die Hotelhalle kommt, erwartet ihn dort der Hotelmann hinter dem Anmeldepult.
»Sie haben sich noch nicht ins Gästebuch eingetragen«, sagt der Hotelmann nun. Nach einer kleinen Pause spricht er weiter: »Der Doc sagte mir, dass Sie wahrscheinlich einige Wochen mit Ihrer Frau bei mir wohnen müssten. Das Doppelzimmer mit voller Verpflegung kostet zehn Dollar pro Tag, denn wir sind in der Silberstadt Tombstone, und hier wird alles immer teurer. In allen Hotels muss von Fremden vorausgezahlt werden. Eine Woche kostet siebzig Dollar, ein Tag jedoch zwölf Dollar. Wie wollen Sie es haben, Mister?«
Jesse Logan Flint überlegt.
Dann legt er siebzig Dollar auf das Anmeldepult und trägt sich in das Gästebuch ein.
Jesse Logan und Frau, Nebraska, so steht da in einer kräftigen Handschrift.
»In Ordnung«, sagt der Hotelmann. »Ich habe ein mexikanisches Stubenmädchen. Ich werde ihr sagen, dass sie für Ihre Frau tun soll, was uns möglich ist.«
»Danke«, murmelt Jesse und geht hinaus. Er bleibt dicht neben dem Hoteleingang an der Hauswand stehen und betrachtet die lebhafte Stadt. Aber er sieht all die Dinge nicht bewusst. Er denkt immerzu daran, dass er nur noch fünf Dollar besitzt.
Achtzig Dollar besaß er noch, als sie Tombstone erreichten. Fünf Dollar nahm ihm der Arzt ab. Siebzig Dollar zahlte er für eine Woche im Voraus. Und vielleicht hat Cora den Arzt schon morgen wieder nötig. Dann wird ihm dieser vielleicht für Untersuchung und Medikamente wieder fünf Dollar abnehmen.
Tombstone ist eine teure Stadt. Denn in den umliegenden Minen wird Silber gefunden. Und jeden Abend kommen zweitausend Bergleute von den Minen herein und verjubeln ihren Lohn. Obwohl in der Stadt eine rege Bautätigkeit herrscht, gibt es nicht genug Hotels und Saloons. Es fehlt überhaupt an allen Dingen. Denn die Menschen strömen hier schneller herbei, als der Aufbau mithalten könnte.
Jesse fragt sich, wo er wohl so viel Geld verdienen kann, dass es ihm möglich ist, das Hotelzimmer und den Arzt zu bezahlen. Er begreift jetzt, dass er einen Job finden muss, der ihm zumindest dreihundert Dollar im Monat einbringt.
Die Minenarbeiter verdienen vier Dollar pro Schicht, und selbst wenn er viele Doppelschichten macht, käme er nicht weit über zweihundert Dollar im Monat hinaus.
Überdies könnte er sich dann kaum um Cora kümmern. Er würde dann nur arbeiten, essen und schlafen.
Nein, er muss einen anderen Job finden.
Aber welchen?
Langsam schlendert er die Straße entlang, und er denkt einen Moment daran, ob er die fünf restlichen Dollar im Spiel riskieren soll. Vielleicht könnte er sie beim Würfelspiel verdoppeln oder verzehnfachen. Oder er könnte sie beim Faro oder...
Er verdrängt den einfältigen Gedanken, denn er weiß zu gut, dass es närrisch ist, sich in der Not auf einen Spielgewinn zu verlassen.
Als er im Büro der Wells Fargo vorbeikommt, brennt über der Tür und dem Anschlagbrett schon eine helle Laterne.
Und ein Mann tritt heraus, der bei Jesses Anblick stutzt und dann freudig ruft: »Oha, da sind Sie ja, Mister! Mit Ihnen wollte ich doch ein Glas trinken! Aber bevor wir uns diese Freude machen, muss ich Sie mit dem hiesigen Agenten der Wells Fargo bekannt machen. Kommen Sie herein, Mister!«
Jesse überlegte unschlüssig. Er hat den Sprecher sofort erkannt, denn es handelt sich um den hageren, falkengesichtigen Fahrer der Überland-Postkutsche, mit der sie in die Stadt gekommen sind. Der Mann heißt Bill Haggarty und trägt einen dunkelblauen Prinz-Albert-Rock und dazu eine graue Melone.
Aber in den Schulterholstern schleppt er zwei Revolver mit sich herum, und unterwegs zerschlug er mit seiner Peitsche von der fahrenden Kutsche aus die Köpfe einiger Klapperschlangen, die sich am Rand der Poststraße sonnten. Bill Haggarty ist kein Dandy.
Jesse entschließt sich plötzlich. Er tritt in das Büro der Wells-Fargo-Überlandlinie ein, die Menschen und Frachten jeder Art befördert und die in fast allen Staaten und Territorien Konzessionen besitzt.
Hinter dem Schreibtisch in der Ecke sitzt ein gedrungener, braunhaariger Mann, von dem die stille und zähe Beharrlichkeit einer Bulldogge ausgeht.
»Tim«, sagt der Fahrer zu ihm, »dies hier ist der Gentleman, von dem ich dir erzählte. Die Wells Fargo ist ihm Dank schuldig. Es war sein Revolver, der den Ausschlag gab und die Apachenbande nicht nahe genug an die Kutsche kommen ließ. Ich sah noch nie einen Mann so genau und sicher schießen. Tim Fitzsimmons, du musst dich bedanken.«
»Das will ich gerne tun«, spricht der bullige Mann und kommt hinter dem Schreibtisch hervor.
»Wir hatten nicht nur sechs Fahrgäste, die skalpiert worden wären, sondern auch siebzehntausend Dollar Lohngelder in der Kutsche«, sagt er. »Die Wells Fargo ist Ihnen wirklich zu Dank verpflichtet, Mister...«
»Jesse Logan ist mein Name«, murmelt Jesse.
Sie schütteln sich die Hände und betrachten sich.
Jesse Logan Flint ist nur wenig mehr als mittelgroß, sehr dunkel, mit rauchgrauen Augen und einem sorgfältig gestutzten Bart. Er mag etwa dreißig Jahre alt sein, und er wirkt sehr ruhig und zurückhaltend. Aber unter der offenen Jacke seines Cordanzuges, der recht modern geschnitten ist, trägt er einen Revolver im Holster.
»Es war nicht der Rede wert, Mr. Fitzsimmons«, murmelt Jesse, und es sieht aus, als wollte er sich schon wieder dem Ausgang zuwenden.
Doch da sagt der Wells-Fargo-Agent: »Ich wünschte, wir hätten immer einen Mann wie Sie dabei, Mr. Logan. Dann wären unsere Postkutschen sehr viel sicherer. Wir haben es mit Apachenbanden und weißen Straßenräubern zu tun, und wir haben während der letzten drei Monate einige gute Männer verloren. Es wird immer schlimmer. Wir befördern Silber nach Benson und nehmen von dort immer wieder Lohngelder für die Minen mit. Die Banditen werden immer schlimmer. Wenn wir noch einen einzigen Silber- oder Geldtransport verlieren, wird die Versicherung den Vertrag kündigen. Dann muss die Wells-Fargo-Post- und Frachtgesellschaft jeden weiteren Schaden selbst tragen, oder sie kann die Linie hier schließen. Und noch nie hat die Wells Fargo vor Banditen kapituliert.«
Er verstummt nun bitter, und er musste wohl seinem Herzen einmal Luft machen.
Er kehrt hinter den Schreibtisch zurück und sagt von dort: »Sie haben hier in Arizona für ein Jahr freie Fahrt auf allen Postlinien, wie oft und wohin Sie auch fahren wollen. Mit mehr kann ich Ihre Hilfe nicht vergüten, Mister.«
Nun lächelt Jesse Logan Flint, und zwischen seinem Bart blitzen weiße, kräftige Zähne. In seine rauchgrauen Augen kommt ein merkwürdiges Funkeln.
»Nun«, sagt er, »ich tat es vor allen Dingen, um meine Frau und mich am Leben zu erhalten. Die Wells Fargo braucht mich dafür nicht zu belohnen. Aber was zahlen Sie einem Postbegleiter, der dafür sorgt, dass kein Silber- oder Geldtransport mehr verloren geht?«
Als er diese sachliche Frage stellt, zuckt der Agent leicht zusammen und saugt scharf die Luft ein. Und der Fahrer Bill Haggarty pfeift leise durch die Zähne und tritt mit dem Absatz die Tür hinter sich zu, so dass sie sich in einem geschlossenen Raum befinden.
Die drei Männer sind nun eine Weile still. Bill Haggarty ging halb um Jesse herum, so dass er ihn von der Seite betrachten kann. Sie betrachten ihn sehr sorgfältig und aufmerksam.
Und plötzlich wirken sie so, als hätten sie eine bestimmte Witterung in die Nase bekommen. Es ist etwas an diesem Jesse Logan – irgendetwas, was sie bisher nicht erkennen konnten und auch jetzt nur instinktiv spüren. Denn sie sind zwei erfahrene Männer, dieser Wells-Fargo-Agent von Tombstone und sein Senior-Fahrer.
»Suchen Sie einen Job?«, fragt Tim Fitzsimmons dann langsam.
Jesse nickt. »Meine Frau erwartet ein Kind. Durch die höllische Fahrt nach hier wurde sie krank. Das Kind würde zu früh kommen und nicht mehr lebensfähig sein. Sie muss fast vollkommen bewegungslos im Bett liegen. Also müssen wir in Tombstone bleiben. Und das Leben hier ist teuer. Ja, ich suche einen Job, der überdurchschnittlich gut bezahlt wird. Es bleibt mir keine andere Wahl.« Seine Stimme klingt ruhig und ernst, und sein Blick ist fest.
Tim Fitzsimmons erhebt sich wieder, kommt zu ihm und starrt ihn aus nächster Nähe an.
»Vielleicht schießt man Sie schon während der ersten Fahrt vom Bock«, sagt er. »Dann wird die Not Ihrer Frau noch größer sein.«
»Die Wells Fargo wird meiner Frau dann noch ein volles Jahr mein volles Gehalt zahlen«, murmelt Jesse. »Denn wir werden einen richtigen Vertrag machen. Und mein Gehalt wird vierhundert Dollar im Monat betragen. Dazu kommt während des Dienstes freie Verpflegung.«
»Ha«, macht Timothy Fitzsimmons nur. Und dann stellt er die etwas sarkastisch klingende Frage: »Und Sie glauben, dass Sie dies auch wert sind? Oha, Sie haben einige angreifende Apachen abgewehrt, na schön! Aber...«
»Mein Name ist Jesse Logan Flint«, spricht dieser ruhig.
Tim Fitzsimmons macht nun ein recht dummes Gesicht. Dann schnauft er und sagt: »Vielleicht heißen Sie so! Oh, natürlich werden Sie so heißen. Doch Sie wollen mir doch wohl nicht unter die Weste drücken, dass Sie jener Jesse L. Flint sind? Der Revolverkämpfer Jesse L. Flint, der die wilde Stadt Starbow bändigte und der in Nebraska den Schaf-Rinder-Krieg beendete. Sie wollen der legendäre Jesse L. Flint sein, der...«
»Sie brauchen nicht alles aufzuzählen«, unterbricht ihn Jesse ruhig. »Ich bin jener Jesse L. Flint. Und ich habe Ihnen jetzt soeben ein geschäftliches Angebot gemacht.«
Tim Fitzsimmons seufzt und kehrt zu seinem Schreibtisch zurück. »Bill«, sagt er zu seinem ersten Fahrer, »er sagt, er wäre jener Jesse L. Flint, und dabei wissen wir, dass jener Jesse L. Flint zumindest einen ganzen Kopf größer sein muss und zumindest dreißig Pfund schwerer. Überdies trägt jener Jesse L. Flint zwei Revolver und keinen Bart. Bill, glaubst du, dass dieser Mister da es sein könnte?«
Bill Haggarty geht nun im Halbkreis um Jesse herum. Dann lüftet er seine Melone und kratzt sich das farblose Haar. Seine scharfen Falkenaugen funkeln. Aber plötzlich fällt ihm offensichtlich etwas ein. Denn seine Augen leuchten auf.
»Tim, du erinnerst dich doch an die Geschichte, wie Jesse L. Flint im Longhorn-Saloon zu Starbow mit den drei Slaters kämpfte, die gekommen waren, um ihn aus der Stadt zu jagen. Ed Slater hat ihm die Linke mit einem Dolch auf die Tischplatte genagelt – das stand in der Zeitung. He...«
Er wendet sich zu Jesse um, sicherlich um ihm zu sagen, dass er dessen Linke sehen möchte.
Doch Jesse zeigt sie ihm schon. Und da sehen beide Männer die Narbe auf dem Handrücken.
»Er muss Jesse L. Flint sein«, spricht Bill Haggarty andächtig.
»Aber warum hat er dann kein Geld und muss sich diesen Job suchen? Er hat immer gut verdient und...«
Tim Fitzsimmons spricht diese Worte. Nun unterbricht ihn Jesse abermals. »Ich habe in California eine Farm gekauft und mein ganzes Geld investiert, und ich habe nur noch so viel in der Tasche, wie ich für die Reise brauchte. Also, was ist nun?«
In seiner Stimme ist ein Klang, der deutlich besagt, dass er nicht länger um diesen Job betteln wird. Wenn der Agent noch länger zögern sollte, wird Jesse L. Flint sich auf dem Absatz umdrehen und gehen.
Aber die Wells Fargo hat nicht ohne Grund einen Mann wie Tim Fitzsimmons zum Agenten der Hauptstation Tombstone gemacht.
Tim Fitzsimmons mag stur und beharrlich sein, zäh und misstrauisch, aber er weiß immer genau zur rechten Zeit, wo er etwas riskieren und schnell handeln muss.
Und so sagt er trocken: »Sie sind eingestellt, Mr. Flint! Und Sie können morgen den Vertrag in der Tasche haben, so wie Sie ihn wünschen. Aber wenn Sie sich einen Silber- oder Geldtransport abnehmen lassen, muss ich Sie rauswerfen. Ich kann Ihre Bedingungen nicht bei Misserfolg gegenüber meiner Gesellschaft vertreten.«
»Das ist mir klar«, murmelt Jesse L. Flint. »Und wenn mir etwas zustoßen sollte, erhält meine Frau ein volles Jahr das volle Gehalt weiter, und Sie kümmern sich darum, dass sie, sobald sie wieder reisefähig ist, sicher nach California reisen kann.«
»Darauf können Sie sich verlassen, Jesse.« Tim Fitzsimmons nickt. Und dann sehen er und Bill Haggarty, wie Jesse aus dem Büro geht und die Tür sachte hinter sich schließt.
Bill Haggarty schnalzt mit der Zunge.
»Die Wells Fargo hat Glück«, sagt er. »Dieser Flint hat sich einen Vollbart wachsen lassen, damit ihn keiner erkennt. Und er ist mit seiner Frau unterwegs, um unterzutauchen. Hast du gehört, er hat sich in California eine Farm gekauft. Der wollte in ein neues Leben. Und er wollte aufhören mit dem Kampf. Aber die Wells Fargo hat Glück. Sie konnte durch besondere Umstände den schärfsten Tiger für ihre Interessen unter Vertrag nehmen, den sie auf tausend Meilen in der Runde erhalten kann. Oha, was werden sich all die Schurken, die uns das Leben so sauer machen, freuen und für einen Spaß haben, wenn sie erst erfahren, mit wem sie es zu tun bekommen, wenn sie sich einen Silber- oder Geldtransport kapern wollen, wie damals die alten Piraten in der Karibischen See.« In seiner Stimme ist eine grimmige Zufriedenheit.
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Als Cora Flint am nächsten Mittag erwacht, sitzt Jesse neben ihr am Bett und betrachtet sie auf eine Art, die Cora leicht erkennen lässt, wie sehr er sie liebt und sie auf ihn zählen kann.
Sie betrachten sich eine Weile wortlos. Dann lächelt sie und spricht zu ihm: »Ich fühle mich jetzt wieder ganz in Ordnung. Ich glaube, wir können in zwei oder drei Tagen unsere Reise fortsetzen. Jesse, du brauchst dir nicht die geringsten Sorgen zu machen.«
Er blickt sie mitleidig an und schüttelt den Kopf. »Es geht nicht. Der Arzt sagt, dass du liegen musst, bis das Kind kommt. Und je später es kommt, umso besser wird es sein. Cora, es wird schrecklich für dich sein, doch es gibt keine andere Möglichkeit. Und ich schwöre dir, dass ich dir bis zu meinem letzten Atemzug dankbar sein will.«
»Sprich nicht solche Worte«, sagt sie. Und dann streckt sie die Arme nach ihm aus. Er beugt sich über sie und küsst sie sanft.
»Wir werden es schaffen«, sagt er. »Was sind schon einige Wochen Aufenthalt? Wir werden dann später mit dem Kind die Reise fortsetzen. Ich habe einen Job gefunden.«
Sie liegt nun mit geschlossenen Augen da, und da er sich immer noch über sie beugt, spürt er ihren Atem und sieht den Puls in den Adern an ihren Schläfen pochen.
Sie ist schön, auf eine eigenwillige Art schön. Sie hat dunkelrote Haare und grüne Augen, und ihre Lippen sind voll. Er hat sich damals in Starbow vom ersten Augenblick an in sie verliebt.
Und vor wenig mehr als einem halben Jahr wurde sie seine Frau.
Manchmal, wenn er am Morgen erwacht, glaubt er, alles nur geträumt zu haben. Doch wenn er sie dann neben sich sieht, da weiß er, dass alles Wirklichkeit ist.
Nun aber hört er sie fragen: »Jesse, was ist das für ein Job, den du annehmen musstest?«
Er erschrickt, und er weiß, dass er ehrlich sein muss. Diese Ehrlichkeit in allen Dingen haben sie sich fest versprochen. Sie hat verlangt, dass er ihr niemals unangenehme Dinge verschweigen dürfe.
Und so sagt er nach einigen Atemzügen: »Ich fahre als Postbegleiter der Wells Fargo zwischen Tombstone und Benson.«
Nun erst öffnet sie die Augen, und in ihrem Blick erkennt er den heftigen Schrecken und die tiefe Sorge. Doch sie hat sich dann sofort fest in der Hand. Und sie sagt: »Ich weiß, dass es keine andere Möglichkeit für dich gab, Jesse.«
»Nein«, sagt er.
Ihre Augen sind nun sehr weit.
»Es wird dir nichts geschehen«, murmelt sie. »Kein Schicksal kann so gnadenlos sein, dass dir etwas zustößt, ich werde immerzu mit meinen Gedanken bei dir sein. Und ich werde beten. Wann musst du die erste Fahrt machen?«
»Jetzt gleich«, spricht er. »Die Post geht um zwölf Uhr mittags ab. Ich bin sehr froh, dass du vorher noch aufgewacht bist. Der Arzt wird nach dir sehen. Und das Stubenmädchen wird dir jeden Wunsch erfüllen. Ich bekam Vorschuss. Hier sind hundertfünfzig Dollar. Und... nun muss ich gehen, Liebste.«
»Ich weiß«, sagt sie. »Es tut mir leid, dass ich ausgefallen bin, mitten auf unserem Weg in ein neues Leben. Jesse, küss mich! Ich will mit diesem Kuss auf den Lippen warten, bis du wieder hier bei mir bist.«
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Als die Postkutsche Tombstone verlässt, weiß noch niemand, dass Jesse L. Flint als Begleitmann mitfährt. Denn er sitzt nicht oben neben dem Fahrer. Dort sitzt ein anderer Mann, ein sommersprossiger, kleiner, krummbeiniger Bursche, dessen hellblaue Augen scharf und ernst blicken und vergessen lassen, dass er so unansehnlich und hässlich ist.
Dieser Mann heißt Sol Hogjaw, und er hat außer seinem doppelläufigen Parkergewehr auch noch zwei Revolver bei sich. Er ist wie ein Cowboy gekleidet.
Jesse L. Flint fährt als Passagier in der Kutsche. Außer ihm sind noch drei andere Personen eingestiegen, eine Frau und zwei Männer. Es ist eine ungemein reizvolle Frau, dunkel wie eine Mexikanerin, doch mit blauen Augen. Sie ist außergewöhnlich elegant gekleidet. Jesse betrachtet sie zurückhaltend und interessiert.
Und da lächelt sie ihn blitzend an.
»Sie sind Mr. Logan, nicht wahr?«, fragt sie. »Ich habe von Ihrer Frau gehört. Wissen Sie, Mr. Logan, es geschieht in Tombstone so schnell nichts, was ich nicht zu hören bekomme. Ihre Frau wird es gewiss gut überstehen. In solchen Situationen wachsen fast alle Frauen über sich hinaus. Ich bin Fee Kaneway und führe in Tombstone den erstklassigsten Modesalon, den es in Arizona überhaupt gibt. Es fiel Ihnen sicherlich nicht leicht, Ihre Frau allein zu lassen?«
Ihre letzte Frage war geschickt gewählt. Denn fast jeder Mann hätte nun zumindest angedeutet, welch wichtige Gründe ihn dazu zwangen, seine Frau allein in einer fremden und darüber hinaus noch sehr wilden Stadt zu lassen. Fast jeder Mann hätte das Gefühl gehabt, seine Handlungsweise irgendwie entschuldigen zu müssen.
Doch Jesse lächelt nur. »Ich danke herzlich für Ihr freundliches Interesse, Madam«, sagt er, mehr nicht.
Ihre dunkelblauen Augen werden schärfer, und es funkelt nun in ihnen. Sie lacht leise und etwas kehlig, und er spürt, wie sie ihn noch einmal genauer betrachtet und studiert. Er weiß, dass sie eine sehr erfahrene Frau ist, die sich mit Männern auskennt. Und wenn sie ihren Modesalon in Tombstone ohne jede männliche Hilfe führt, so bedeutet das, dass sie sich in jeder wilden Stadt behaupten kann. Ihr Lebensweg war gewiss rau.
»Sie sollten sich Ihren schwarzen Bart abnehmen lassen, Mr. Logan«, lächelt sie.
Und damit hat sie ihm wieder einige Worte gesagt, die auch noch einen anderen, und zwar versteckten Sinn besitzen. Denn sie hat ihn inzwischen abgeschätzt und irgendwie gespürt, dass er ein Mann ist, der sich tarnt.
Er wendet den Kopf zur Seite und betrachtet die beiden anderen Mitreisenden. Es sind Handelsreisende, die nach Tombstone kamen, um Aufträge für ihre Firmen abzuschließen. Sie machen einen zufriedenen Eindruck; sicherlich sind ihre Auftragsbücher voll, und sie rechnen sich gewiss schon die Provision aus, die ihnen nun sicher ist.
Die Kutsche fährt sechsspännig, und es geht bergab. Denn die wilde Silberstadt Tombstone liegt ja genau zwischen den Whetstone-Bergen im Westen und den Chiricahuas im Osten auf einer Mesa, also einer Hochfläche.
Die Kutsche rollt also ziemlich schnell die Watervale-Steigung hinunter und in das San Pedro Valley hinein. Hinten im Gepäckkasten liegen fünfhundert Pfund Silber in Barren zu je hundert Pfund.
Die Fahrt verläuft Meile um Meile ohne besondere Zwischenfälle, und sie wollen gerade die Boquilla Springs verlassen und hinaus auf die Goose Flats rollen, als hinter den letzten großen Felsen einige Reiter hervorpreschen und der Kutsche den Weg versperren.
Die Reiter sind maskiert und halten ihre Revolver schussbereit in den Händen. Und damit es keinen Zweifel gibt, schießt einer von ihnen, der offensichtlich der Anführer ist, zweimal in die Luft und brüllt dem Fahrer zu: »Anhalten! Das ist ein Überfall! Bei Gegenwehr erschießen wir euch!«
Ja, es ist alles sonnenklar. Es handelt sich um einen normalen, einfachen, schlichten Überfall. Einige Burschen, denen es zu mühevoll ist, sich ihren Unterhalt mit redlicher Arbeit zu verdienen, möchten auf diese Art »schnelles Geld« machen.
Bill Haggarty hält die Kutsche auch an. Denn das ist so besprochen. Bill Haggarty zieht sogar die Bremse besonders fest an, so dass sich die Kutsche so leicht nicht von der Stelle bewegen kann.
Dann aber heben sie die Hände und warten, wie die Sache weiter verläuft.
Drinnen in der Kutsche herrscht bei den beiden Handelsreisenden einige Bestürzung.
Und die Frau, die sich Fee Kaneway nennt, sitzt ruhig da und beobachtet Jesse Logan Flint.
Sie kann nun sehen, wie Flint aus der Innentasche seiner Cordjacke einen etwa zwanzig Zentimeter langen Gegenstand zieht, der wie eine braune Kerze aussieht.
Als Jesse Logan Flint ein Zündholz am Daumennagel anschnippt und an das dochtartige Ende des braunen, kerzenähnlichen Gegenstandes hält, da fragt Fee Kaneway ruhig: »Ist das Dynamit, Mr. Logan?«
»Eine Sprengpatrone, wie man sie neuerdings in den Minen verwendet, nachdem man Bohrlöcher machte«, erwidert er und öffnet die Tür.
Draußen tönt im selben Moment auch eine scharfe Stimme: »Kommt heraus, Leute! Kommt friedlich heraus aus der Kutsche!«
Nachdem Jesse Logan Flint die Sprengpatrone geworfen hat, was zur gleichen Zeit geschieht, da er sich wie ein Panther aus der Kutsche schnellt, rollt er über den Boden und liegt dann hinter einem großen Stein still.
Niemand, der ihn vorher noch so ruhig und still in der Kutsche sitzen sah, hätte vermutet, dass er sich so schnell bewegen kann – unwahrscheinlich schnell, so wie ein Artist, der sein ganzes Leben lang bestimmte Bewegungen übte.
Einige Kugeln werden auf ihn abgeschossen. Doch sie treffen ihn nicht mehr. Er bewegte sich viel zu schnell.
Und dann kracht die Sprengpatrone. Er hat sie weit genug geworfen. Sie fällt nicht mitten zwischen die Straßenräuber, sie explodiert hinter ihnen.
Doch ihre Pferde werden so heftig erschreckt wie eine Mäusefamilie, zwischen die eine Katze springt, als es gerade schön zu werden verspricht und man gar nicht an eine Katze dachte.
Es sind sieben Reiter.
Drei fliegen aus den Sätteln, als ihre Gäule verrückt werden vor jähem Schreck. Doch sie springen brüllend auf und laufen hinter ihren Pferden drein.
Die anderen vier Burschen können sich zwar in den Sätteln halten, doch sie sind damit voll beschäftigt.
Und bevor sie ihre Pferde wieder einigermaßen unter Kontrolle haben und zu schießen beginnen können, kracht die Schrotflinte des kleinen, krummbeinigen Begleitmannes.
Er hatte zwei Parkergewehre bei sich. Eines ließ er fallen, als er die Hände hob. Das andere lag hinter ihm auf dem Wagendach. Er nahm es und schoss sofort beide Läufe ab. Das ziemlich grobe Schrot trifft Reiter und Pferde.
Und auch Bill Haggarty hat nun eine Schrotflinte aufgenommen und lässt sie krachen.
Jesse Logan Flint schießt hinter der Deckung hervor mit dem Revolver.
Aber er schießt nur Schreckschüsse hinter den flüchtenden Banditen her, damit denen noch einige Kugeln um die Ohren pfeifen.
Dann wird es still.
Auch das Sechsergespann der Kutsche hat sich beruhigt.
Droben auf dem Bock lacht Bill Haggarty, und es klingt fast wie das Meckern eines Ziegenbockes.
»Das war ein Spaß, ein feiner Spaß«, so schnauft er. »Hast du gesehen, Sol, mein Junge, wie die Strolche erschrocken sind? Und dann begann das Tanzvergnügen ihrer Pferdchen. Das war ein Spaß!«