G. F. Unger Sonder-Edition 231 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 231 E-Book

G. F. Unger

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als Lin Tanner auf den Hof der Davenport-Ranch reitet, ist er gekommen, um Morg Davenport zu töten, den Mann, der er für den Mörder seines Freundes hält. Lin glaubt sich am Ende eines langen Trails. Nun wird er den Schwur einlösen, den er am Grab des heimtückisch Ermordeten abgelegt hat. Doch Lin Tanner erlebt eine bittere Enttäuschung. Von der schönen Shelley Davenport erfährt er, dass ihr Mann tot ist. Auch er wurde das Opfer eines feigen Meuchelmordes. Lin hat den Falschen gesucht. Soll er die Jagd nach dem wahren Mörder noch einmal beginnen?


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 190

Veröffentlichungsjahr: 2021

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Kein Tag der Rache

Vorschau

Impressum

Kein Tag der Rache

Als er die Station bei Comanche Springs erreicht, sieht er unter dem Vordach drei Sattelpferde am Haltebalken stehen. Die Reiter lungern im Schatten auf der Veranda. Einer hält ein halbvolles Bierglas in der Hand. Die beiden anderen Männer haben ihre leeren Gläser auf das Verandageländer gestellt.

Auch Lin Tanner würde gerne ein großes Glas Bier trinken. Doch er versagt sich diesen Genuss. Er hält nur beim Brunnen und den Wassertrögen so lange an, bis er und sein Pferd sich erfrischt haben und er auch seine Wasserflasche wieder gefüllt hat.

Die drei Männer auf der Veranda beobachten ihn aufmerksam...

Von den Stationsleuten ist nichts zu sehen. Eine Postkutsche kommt hier nur alle drei Tage durch und hält dann nur so lange, bis ihr Gespann ausgetauscht wurde.

Auch Lin Tanner macht sich wieder auf den Weg.

Da er reitet, muss er nicht auf dem Wagenweg bleiben, sondern kann einige Abkürzungen nehmen, die für eine sechsspännige Kutsche zu schwierig wären. Einige Male hält er an geeigneten Punkten an und beobachtet seine Fährte. Doch es folgt ihm niemand.

Immer wieder denkt er an die drei Männer auf der Stationsveranda, und immer wieder verspürt er dann ein ungutes Gefühl, ja fast schon eine unheilvolle Ahnung.

Er weiß, dass dies Warnsignale seines Instinktes sind. Lin Tanner ist ein Mann, dessen Wege oft rau und gefährlich waren. Und stets konnte er sich auf seinen Instinkt verlassen.

Deshalb wird er immer vorsichtiger. Und auch das Land vor sich beobachtet er aufmerksam. Er beginnt alle Stellen zu meiden, die sich für einen Hinterhalt eignen könnten. Doch das unheilvolle Gefühl will nicht weichen.

Kurz vor Anbruch der Abenddämmerung reitet er aus den Hügeln auf eine kleine Ebene hinaus. Wenn er die Hügel auf der anderen Seite erreicht, wird es bereits eine Stunde Nacht sein. Er wird dann rasten müssen, denn sein Pferd trägt ihn schon seit dem ersten Morgengrauen.

Als er etwa eine halbe Meile geritten ist, blickt er sich wieder einmal um.

Und da sieht er die drei Reiter.

Er erkennt die Pferde sofort an ihren Farben wieder. Es sind ein Rappe, ein Fuchs und ein Pinto. Die Reiter galoppieren, und sie kommen schnell. Ihre Pferde sind ausgeruht.

Lin Tanner seufzt leise.

Eine Flucht wäre wenig erfolgversprechend. Sein Pferd lief schon an die vierzig Meilen durch zumeist raues Land. Die drei Reiter würden ihn noch vor Anbruch der Nacht einholen können. Ihre Pferde liefen nur wenige Meilen.

Lin Tanner seufzt bitter. Seine Fingerspitzen berühren den Revolverkolben.

Und er weiß, dass er – wenn er die nächsten Minuten lebend überstehen will – gewiss kämpfen und Blut vergießen muss. Noch einmal denkt er an Flucht. Doch dann entschließt er sich.

Er zieht sein Pferd herum.

Bisher blickte er nur über die Schulter, indes sein Pferd müde trabte.

Nun hält er und blickt den Reitern entgegen.

Und es ist typisch für ihn, wie er das tut – nämlich ruhig und beherrscht. Er ist ein großer, dunkler Mann mit hellen Augen. Und er gehört zu jener Sorte, die auch dem größten Unheil gefasst und mutig entgegensieht.

Er ist ein Kämpfer. Anders kann es nicht sein. Denn er gerät nicht in Panik, spürte keine wild nach einem Ausweg oder einer Rettung suchende Verzweiflung. Er sieht den kommenden Dingen gefasst entgegen und vertraut auf sich selbst.

Die drei Reiter wissen wahrscheinlich nicht, in was sie hineinreiten.

Aber wie sollten sie auch? Denn sie kennen ihn nicht.

Oder doch?

Als sie bis auf Steinwurfnähe heran sind, lassen sie ihre Pferde in Schritt fallen.

Langsam kommen sie näher, und sie lassen an drei Wölfe denken, die ihr Wild stellten und sich nun Zeit nehmen wollen.

Etwa ein Dutzend Schritte vor dem im Sattel wartenden Lin Tanner halten auch sie an. Und eine Weile noch schweigen alle vier, betrachten sich im Schein der Abendsonne. Dabei wirkt es so, als »lauschten« sie tief in sich hinein.

Lin Tanner fragt schließlich: »Was soll's denn sein, Freunde?«

Besonders beim letzten Wort bekommt seine Stimme einen kalten, sarkastisch höhnenden Klang.

Die drei Reiter schweigen noch einige Sekunden.

Dann erwidert der in der Mitte haltende Mann: »Nach der Beschreibung und nach dem Brandzeichen deines Pferdes müsstest du Lin Tanner von der TT-Ranch sein.«

»Und wenn?«, fragt Lin Tanner zurück.

»Dann hast du eine Option über fünfhundert Rinder zum Kaufpreis von drei Dollar das Stück in deiner Brieftasche oder sonst wo bei dir.«

»Und wenn?« Lin Tanner fragt es zum zweiten Mal – doch diesmal noch trockener, härter, kälter. Denn jetzt ist ihm schon alles klar.

»Wir wollen diese Option«, erwidert der Sprecher. »Und wenn du klug bist, mein Freund, dann rückst du sie einfach heraus und reitest wieder heim. Das ist ein Vorschlag in Güte. Na?«

Lin Tanner atmet langsam aus.

Nun weiß er, warum sein sehr viel älterer Partner Frank Tilburne, der ihm ein väterlicher Freund war, daheim in den Antelope Hills aus dem Hinterhalt erschossen wurde. Es handelte sich also nicht um Rinder- oder Pferdediebe oder um eine alte Fehde, die Frank Tilburne eingeholt hatte. Frank Tilburne war gewiss ein Mann mit Schatten auf der Fährte. Deshalb hatte er sich auch in den Antelope Hills verkrochen. Doch der Mord an ihm hatte etwas mit der Option zu tun.

Lin Tanner war damals fast zwei Wochen abwesend. Als er heimkam, war es zu spät, die Fährten des oder der Mörder aufzunehmen.

Doch jetzt bekommt alles einen Sinn.

All diese Gedanken gehen ihm in diesen Sekunden, indes der Sprecher auf eine Antwort von ihm wartet, durch den Kopf.

Aber dann entschließt er sich schnell. Er gleitet mit einer geschmeidigen Bewegung aus dem Sattel. Selbst ein Comanche hätte es nicht leichter aussehen lassen können.

Und als er am Boden steht, sagt er mit unbeugsamer Härte: »Dann kommt und holt euch, was ihr so gerne bekommen möchtet. Holt es euch!«

Sie staunen. Ja, sie sind verblüfft, ungläubig. Und für einen Moment halten sie ihn für einen Narren, der sich entweder überschätzt oder den Ernst seiner Situation gar nicht verstanden hat.

Dann aber begreifen sie, an was für einen Mann sie gerieten.

Sie waren es, die ihn unterschätzten.

Er will es mit ihnen aufnehmen, obwohl sie zu dritt sind und er nur allein ist.

»Heiliger Rauch«, sagt ihr Sprecher zu ihm hinüber, »du willst es doch nicht mit uns auskämpfen? Bist du dir auch richtig darüber klar, dass wir keine drittklassigen Revolverschwinger sind, sondern Burschen, die...«

»Ich weiß«, unterbricht er ihn. »Wart ihr die Burschen, die meinen Partner aus dem Hinterhalt in den Antelope Hills vom Pferd schossen? Wart ihr das?«

Sie schüttelten alle drei heftig die Köpfe.

»Nein«, sagt ihr Sprecher, »zu dieser Sorte gehören wir nicht. Dann hätten wir auch dich aus dem Hinterhalt abschießen können. O nein. Wir übernahmen den Job erst, nachdem bekannt wurde, dass Frank Tilburne noch einen Partner hatte. Und wir würden dir eine Chance geben, wenn du uns die Option aushändigst. Na?«

Aber Lin Tanner schüttelt den Kopf.

Da sitzen auch sie ab, und sie seufzen und fluchen dabei, so als hätten sie eine unangenehme Arbeit vor sich, die aber dennoch verrichtet werden muss.

Sie scheuchen ihre Pferde zur Seite, sodass die Tiere nicht hinter ihnen von den Kugeln Lin Tanners getroffen werden können, ziehen dann ihre Colts und gehen vorwärts.

Man könnte sie fast für faire Kämpfer halten – aber das sind sie nicht, weil sie ihre Überzahl einsetzen. Ihre Art, einen einzelnen Mann anzugreifen, ist gewiss nicht fair. Und dennoch glauben sie, weil sie es offen tun, sich damit ihren Stolz erhalten zu können. Sie sehen ihr Tun wohl auch mehr als ein Bestrafen für Ungehorsam an.

Als sie dann – dabei vorwärtsschreitend – zu schießen beginnen, fällt Lin Tanner auf ein Knie, stützt beide Ellenbogen auf den Oberschenkel des anderen Beines und hält den Coltkolben mit beiden Händen.

Und als er dann zu schießen beginnt, trifft er mit jedem Schuss.

Doch die drei Revolverschwinger gehören zu der zähen und wirklich harten Sorte. Sie geben auch getroffen noch nicht auf. Selbst am Boden liegend kämpfen sie weiter und schießen zurück auf den vor ihnen knienden Mann, den der Pulverrauch einhüllt.

Als er dann nicht mehr kniet – sie sehen es erst, als der Pulverrauch ihn nicht mehr einhüllt und er auch nicht mehr schießt –, da seufzen und fluchen sie noch einmal, diesmal noch bitterer, schmerzvoller.

Einer sagt mit letzter Kraft: »Oha, er hat mich böse erwischt. Ich glaube, es ist aus mit mir.«

Nach diesen zuletzt nur noch fast tonlos geflüsterten Worten atmet er für immer aus.

Die beiden anderen stöhnen und seufzen noch. Schließlich sagt einer gepresst: »Hank, ich glaube, Bill ist wirklich erledigt. Wie geht es dir, Hank?«

»Nicht gut, Butsh«, flüstert jener Hank mühsam. »Ich glaube, er hat auch mich so schlimm getroffen, dass ich nicht mehr auf mein Pferd komme. Wie ist es mit dir, Butsh?«

»Ich könnte nicht mal mehr bis zu ihm kriechen, um ihm die Option wegzunehmen, Hank. Ich glaube, er hat uns geschlagen.«

»Und wir ihn, Butsh – wir ihn aber auch. Der kann nicht mehr nach Palisade reiten und fünfhundert Rinder zu drei Dollar das Stück holen – der nicht mehr.«

»Na gut – aber was haben wir davon, wenn wir hier verrecken?«

Sie schweigen nun, denn sie fallen in halbe Bewusstlosigkeit. Aus ihren Wunden fließt das Blut. Und niemand ist da, der ihnen helfen kann. Sie befinden sich abseits vom Wagenweg. Und selbst auf dem Wagenweg kommt manchmal einen ganzen langen Tag niemand.

Lin Tanner liegt eine ganze Weile bewegungslos und wie tot am Boden.

Sein Pferd schiebt sich sachte an ihn heran und beschnüffelt ihn dann fast wie ein Hund. Schließlich schnaubt das Tier und stößt ihn mit der Nase in die Seite, so als wollte es damit zu verstehen geben: Aufstehen! Aufwachen! Bleib nicht liegen, Lin Tanner. Aufstehen!

Und tatsächlich bewegt sich Lin Tanner nach einer Weile und richtet sich stöhnend auf. Sein Blick wird allmählich klarer. Auch die Erinnerung kommt zurück.

Er blickt hinüber, dorthin, wo sich seine Gegner befanden, und er sieht sie am Boden liegen – vielleicht tot, aber vielleicht auch nur bewusstlos.

Doch er kann nicht nach ihnen sehen.

Er begreift plötzlich, dass er dabei seine Kraft zu sehr verbrauchen würde. Denn sie wird vielleicht nicht einmal reichen, um auf das Pferd zu kommen. Und wenn er das nicht schaffen sollte, dann ist er verloren. Er muss aufs Pferd und auf ihm zum Wagenweg.

Nur dann hat er eine Chance – aber auch nur, wenn ihn dort rechtzeitig jemand findet und ihm die beiden Kugellöcher zustopft.

Sein Pferd steht neben ihm. Er zieht sich am Steigbügel hoch. Als er steht, schwankt der Boden unter ihm. Er hält sich am Sattel fest und konzentriert sich voll auf den Moment des Aufsitzens.

Denn wenn er nicht beim ersten Versuch in den Sattel kommt, wird er es erst recht nicht mehr bei einem zweiten oder dritten Versuch schaffen.

Und so konzentriert er sich also zu einer für ihn in seinem Zustand ungeheuren Leistung.

Als er es dann versucht, ist es ein verzweifelter Ausbruch seines Selbsterhaltungswillens.

Und er schafft es. Fast fällt er auf der anderen Seite des Pferdes wieder herunter. Nur mühsam hält er sich am Sattelhorn fest. Dann aber sitzt er richtig im Sattel. Wieder beginnt sich alles um ihn zu drehen. Aber auch das übersteht er. Als er dann anreitet, denkt er nicht an die drei Revolverschwinger, die ihn töten wollten und die er niederkämpfte.

Er ist zu sehr in Not, ganz darauf konzentriert, es bis zum Wagenweg zu schaffen, und zu keinem anderen Gedanken und keiner anderen Handlung mehr fähig.

Wird er es schaffen?

Als er erwacht, liegt er in einem Wagen. Es ist ein Kastenwagen, gewissermaßen eine fahrende Hütte, die innen sehr wohnlich eingerichtet ist, mit Fenstern nach allen Seiten, die sogar mit Gardinen versehen sind.

Er kennt solche Wagen. Sie gehören zumeist Zirkusleuten, Schaustellern, fahrenden Händlern, Theaterleuten. Nach einer Weile ist er sich darüber klar, dass seine Wunden erstklassig versorgt wurden. Er verspürt nur leichtes Wundfieber, und darüber wundert er sich besonders. Man muss ihm etwas eingeflößt haben, was dem unvermeidlichen Wundfieber entgegenwirkt. Anders kann es nicht sein.

Vorne öffnet sich eine Tür. Er sieht drei Menschen auf der Fahrerbank, denn die ist fast so breit wie der Wagen. Ein Mädchen – oder ist es schon eine junge Frau? – kommt nach hinten. Sie muss über die Rücklehne der Bank klettern. Wenn er gesund wäre, würde Lin Tanner die Beine des Mädchens bewundert haben, lange und schlanke Beine.

Aber er betrachtet nur ihr Gesicht. Dieses Gesicht ist nun über ihm und lächelt auf ihn nieder.

»Nun, Mister, wie geht es Ihnen? Hier, trinken Sie noch einige Schlucke Tee. Es war mühsam, Ihnen den Tee mit dem Löffel einzuflößen. Aber er bekämpft das Fieber und reinigt das Blut. Nun...«

Sie hält ihm eine Schnabeltasse an die Lippen und fasst mit der anderen Hand unter seinen Nacken, um ihn mit dem Kopf etwas anzuheben. Er trinkt folgsam. Es ist ein bitterer Teesud.

Dann liegt er wieder flach und blickt in ihr Gesicht.

Es ist ein schönes Gesicht, fast so lieblich wie das eines blonden Engels auf einem alten Ölgemälde. Ja, so kommt das Gesicht ihm vor.

»Wo fahren wir hin?«, fragt er. »Und wo ist mein Pferd?«

»Nach Palisade fahren wir«, erwidert er. »Und Ihr Pferd ist hinten am Wagen angebunden.«

»Seid ihr Theaterleute?«

Sie schüttelt den Kopf, fragt dann lächelnd: »Haben Sie noch nie etwas von Doktor Archibald Conestogas Wundermedizin gehört? Und hat Ihnen Mamie Conestoga noch nie die Zukunft aus der Hand gelesen?«

Nun weiß er Bescheid über die Art der Leute, denen er wahrscheinlich sein Leben verdankt. »Und was machen Sie, mein Engel?« So fragt er und setzt hinzu: »Verzeihen Sie mir, aber Sie kommen mir tatsächlich wie ein Engel vor – und das nicht nur, weil Sie so schön sind, sondern auch, weil wohl nur ein Engel mit Zauberkraft mich finden und am Leben erhalten konnte.«

Sie lächelt wieder und lässt ihn nochmals trinken.

»In einer halben Stunde halten wir an, um für die Nacht zu rasten. Dann bekommen Sie auch etwas zu essen. Und was mich betrifft – nun, ich heiße Peggy, Peggy Maryland. Und ich gehöre zu den Conestogas.«

Nach diesen Worten klettert sie wieder nach vorn.

Er ist plötzlich auch so müde, dass er keine weitere Unterhaltung mehr führen könnte.

Er erwacht erst wieder, als sich jemand um seine Wunden kümmert und die Verbände erneuert. Im Lampenschein sieht er ein Männergesicht über sich, das ihn an einen Seelöwen denken lässt.

Und solche Seelöwen sah er einmal am Pazifik bei San Francisco, als ihn seine Zickzackfährte einmal dorthin führte.

Der »Seelöwe« aber spricht nun zu ihm nieder: »Na, mein junger Freund, Sie können sich darauf verlassen, dass Doc Conestoga Sie wieder wie neu macht. Die Wunden sind noch sauber. Nichts ist entzündet. Ich bin begeistert von meiner Wundermedizin. Und wenn ich in der nächsten Stadt meine Vorträge halte, dann kann ich doch gewiss auf Ihre Unterstützung rechnen, ja? Sie brauchen den Leuten nur zu erzählen, wie prächtig Ihnen meine Wundermedizin innerlich und äußerlich geholfen hat. Oha, dann werden wir diesmal gewiss ein gutes Geschäft machen! Die Vorsehung hat Sie uns bei Nachtanbruch über den Weg reiten lassen.«

Lin Tanner schließt einen Moment die Augen. Und mit geschlossenen Augen sagt er: »Ja, ich werde allen Leuten erzählen, wie sehr Sie mir mit Ihrer Medizin geholfen haben. Aber wie weit ist es noch bis Palisade?«

»Morgen gegen Mittag sind wir dort«, sagt eine andere Stimme.

Lin Tanner öffnet wieder die Augen.

Nun sieht er eine Frau. Es ist eine gewaltige Frau, die zu dem unförmigen Doc Conestoga passt.

Und als Lin Tanner sie noch anstaunt wie ein gewaltiges Monument – also ein Denkmal –, da ergreift sie seine Hand und dreht die Handfläche nach oben. Dabei sagt sie: »Ich habe es schon aus der Hand gelesen, denn die Handlinien lügen nie. Sie werden steinalt, junger Mann, ja steinalt! Darauf können Sie sich verlassen. Und nun wird unsere liebe Peggy Sie füttern. Komm, Peggy, ich höre schon seinen Magen knurren. Gib ihm was zwischen seine Beißer. Dann wird er wieder.«

Sie rückt zur Seite. Er sieht nun wieder Peggy, und neben der massigen, monumentalen Frau wirkt sie noch mehr wie ein bildhübscher, zarter Engel. Sie beginnt ihn sofort mit einer Fleischsuppe löffelweise zu füttern.

Draußen ist es Nacht. Ein Feuer brennt. Grillen zirpen. Weil im Wagen eine Lampe brennt, kommen allerlei Insekten hereingeflogen und prallen immer wieder gegen den Lampenzylinder. Manche verbrennen über ihm.

Lin Tanner wird schon nach einigen Löffeln wieder müde.

Aber als er mit seinem Bewusstsein wieder in bodenlose Tiefen versinkt, da behält er Peggys Engelsgesicht im Sinn.

Er träumt von ihr. Aber er wird später nicht sagen können, was eigentlich er träumte.

In den nächsten zwei Tagen erholt er sich ziemlich schnell, rascher jedenfalls als ein normaler und durchschnittlicher Mensch. Sein Körper scheint verlorene Substanz besonders schnell erneuern zu können.

Der Wagen ist innen jetzt durch einen Vorhang geteilt.

Hinter dem Vorhang liegt er auf seinem Lager, das eigentlich das Ehebett der Conestogas ist.

Vor dem Vorhang findet so allerlei statt, was er ständig anhören muss, ob er will oder nicht.

Denn immer wieder kommen Menschen in den Wagen und lassen sich von Mamie Conestoga aus der Hand lesen oder die Karten legen.

Manchmal aber, wenn Arch Conestoga wieder einmal draußen seine Wundermedizin angepriesen hat und seine »Beweise« vorführen will, wird der Vorhang zur Seite geschoben. Leute kommen herein, um ihn sich anzusehen.

Und dann sagt er stets mit schwacher Stimme zu den Neugierigen: »Doc Conestogas Wundermittel hat mir wirklich geholfen. Ich habe zwei Durchschüsse bekommen von Wegelagerern. Aber die Wunden entzündeten sich nicht und schließen sich sehr schnell. Das alles verdanke ich Doc Conestogas Wundermedizin, die äußerlich und innerlich angewandt wird bei mir, immer je eine Flasche pro Tag.«

»Aber das ist verdammt teuer«, sagt einmal ein magerer Mann. »Wer kann sich das denn leisten?«

»Es ist immer noch billiger als der Tod«, spricht da Arch Conestoga. »Denn schon ein Sarg kostet eine Menge Geld, nicht wahr?«

Lin Tanner ist froh, wenn der Vorhang wieder zugezogen wird und er allein ist. Er weiß nun, dass sie mitten auf dem Platz in der kleinen Stadt Palisade stehen. Manchmal hört er Peggy Maryland draußen zum Gitarrenspiel singen, wahrscheinlich, um Kundschaft anzulocken. Er möchte raus aus dem Wagen. Es wäre sicherlich möglich, dass ihn einige Männer ins Hotel tragen. Doch die Conestogas und auch Peggy kümmern sich rührend um ihn.

Sie behaupten auch, dass sie jetzt – da sie ihn als Beweis vorzeigen können – bedeutend mehr Flaschen von der Medizin des Docs verkaufen. Und sie bitten ihn dann durch die Blume sozusagen, dass er noch eine Weile in ihrem Wagen bleiben und ihnen als Beweis dienen möge.

Wenn es Nacht wird, ist er stets für einige Stunden allein im Wagen. Denn die Conestogas mit ihrer »Pflegetochter« sind auch dann bei der Arbeit. Es gibt auf der Westseite des Platzes einen Saloon, der sich »Palisade-House« nennt. Von seinem Lager aus kann Lin Tanner durch das kleine Fenster ein Stück des Platzes übersehen und auch den Saloon mit der großen Veranda davor beobachten.

Es geht jede Nacht hoch her in diesem Saloon.

Und die Conestogas und die engelsgesichtige Peggy Maryland machen mit.

Peggy Maryland singt dort zur Gitarre ziemlich zweideutige Lieder. Mamie Conestoga legt die Karten und liest aus der Hand die Zukunft. Und Doc Archibald Conestoga wirft sozusagen Perlen vor die Säue, denn er trägt Verse aus der Weltliteratur vor, deklamiert Shakespeare mit pathetischer und gewaltiger Wucht. Und er beschränkt sich dabei nicht nur auf die bekannten Worte von Hamlet – nein, er deklamiert aus König Lear, Othello, Romeo und Julia, Cäsar, Antonius und Kleopatra – ja, auch aus den englischen Königsdramen. Wahrhaftig, er muss sehr gebildet sein oder einmal viele Jahre Schauspielausbildung bekommen haben.

Lin Tanner kann sich vorstellen, dass die zumeist ungebildeten Gäste des Palisade-House ihn anstaunen wie ein Weltwunder, wie etwas, das sie zwar nicht verstehen können, doch für so gewaltig halten wie den Ausbruch eines Vulkans.

Erst spät nach Mitternacht kommen die Conestogas und Peggy Maryland in den Wohnwagen zurück und blicken nach ihm. Er stellt sich dann stets fest und tief schlafend. Aber er ist wach. Denn er hat längst schon zu viel geschlafen, sozusagen auf Vorrat für Wochen.

Denn beginnen die Conestogas und die engelsgesichtige Peggy sich leise zu unterhalten. Und auch in der dritten Nacht ist es so. Doch so leise sie auch tuscheln, Lin Tanner versteht fast jedes Wort.

Er hört den Doc zufrieden glucksend sagen: »Denen habe ich aber heute wieder das Fell abgezogen. Mit meinen Kartentricks könnte ich im Osten auf den großen Bühnen auftreten als Zauberkünstler – so im Frack, ganz nobel. Eigentlich ist es unter meiner Würde, hier solche Kunst darbieten zu müssen, um einen Pokertopf gewinnen zu können, in dem sich nur sieben oder zehn Dollar befinden, kaum mehr. Aber immerhin habe ich diese Nacht siebenundfünfzig Dollar gewonnen, hahaha.«

Er verstummt mit einem selbstgefälligen Lachen.

Seine Frau Mamie lacht mit und sagt dann: »Ja, du bist schon ein tüchtiger Bursche, Archi, ein sehr tüchtiger Bursche. Doch vergiss nicht, dass sie uns schon aus einigen Städten jagten, weil du zu sehr übertrieben hast beim Nachhelfen zum Kartenglück. Vergiss es nicht. Denn wenn wir hier Ärger bekommen, wird es schlimm. Dies ist eine raue Stadt ohne Gesetz. Wir sind hier im finstersten Winkel des Countys gelandet. Wenn uns die Burschen hier vornehmen, dann...«

»Aaah, Peggy verzaubert sie alle«, unterbricht Arch Conestoga seine Frau. »Wenn sie Peggy ansehen und singen hören, dann glauben sie nur noch an das Reine auf dieser Erde. Mach dir nur keine Sorgen, Mamie. Wir hatten bisher nur einige Male Pech, weil wir erst noch lernen mussten. Aber wir wurden immer besser. Jetzt beherrschen wir unsere Rollen. Was habt ihr denn eingenommen?«

Lin Tanner spitzt die Ohren. Er weiß, dass sie auf der anderen Seite des Vorhanges am kleinen Tisch sitzen und das eingenommene Geld zählen.

»Siebzehn Dollar«, erwidert Mamie Conestoga. »Mehr war nicht zu holen. Ich habe nun fast schon allen Burschen, die in den Saloon kommen, die Karten gelegt und aus der Hand gelesen. Heute wollte mich einer reinlegen. Der war schon am ersten Tage da. Und er hatte sich auch etwas verkleidet, glaubte, ich würde ihn nicht wiedererkennen. Hahaha, der hat vielleicht gestaunt, als ich ihm noch einmal fast wortwörtlich die gleiche Voraussage aus den Karten und aus der Hand machte wie vor drei Tagen, hahaha. Der hat vielleicht gestaunt. Und du, Peggy, was haben sie dir in den Ausschnitt gesteckt für deinen Gesang, dein Gitarrenspiel und deine schönen Augen im Engelsgesicht?«

»Neunzehn Dollar«, erwidert Peggy Marylands Stimme, und sie klingt nicht lieblich und zart, sondern ziemlich herb. Nach einer Pause fügt sie hinzu: »Ich könnte diesen Bullen ganz anders das Fell über die Ohren ziehen, wenn ihr mich machen ließet. Ich hätte heute hundert Dollar machen können, wenn ich mit diesem oder jenem Hombre mal durch die Hintertür...«

»Nein«, sprechen da die beiden Conestogas zweistimmig.