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Ich war sehr stolz, als ich die vier Killer gestellt hatte. Die Leute in der Stadt konnten zufrieden mit ihrem Deputy sein. So dachte ich. Doch niemand gratulierte mir. Im Gegenteil. Ich war plötzlich für alle "der verdammte Deputy". Denn die vier Banditen hatten Freunde, viele Freunde. Und als die ersten Häuser der kleinen Stadt in Flammen aufgingen, als die ersten Bürger im Kugelhagel starben, da wurde mir klar, weshalb alle den Tag verfluchten, an dem ich meine Pflicht getan und die Mörder unter den Galgen geschleppt hatte...
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Seitenzahl: 195
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Verdammter Deputy
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Impressum
Verdammter Deputy
Als ich damals die verborgene Hütte fand, da hielt ich mich für einen Glückspilz, der das Geld wert war, welches ihm die kleine Stadt zahlte. Aber es war damals der Beginn einer Pechsträhne. Ich wusste es nur noch nicht.
Die Hütte lag in einem kleinen Tal, in welches ein halbes Dutzend Schluchten aus den verschiedensten Himmelsrichtungen führte. Deshalb war die Hütte gewissermaßen ein Fuchsbau mit vielen Notausgängen und Schlupflöchern. Und genau solch einen Zufluchtsort brauchten die vier Banditen auch.
Ich hörte sie johlen und vor Freude nur so toben. Dazu hatten sie gewiss allen Grund. Denn sie hatten bei uns in Poncho die kleine Bank überfallen und bis auf den letzten Dollar leergemacht. Dabei hatte es zumindest einen Toten gegeben, und auch sonst war noch einiges Blut geflossen.
Ja, es war eine üble Sache gewesen.
Und nun feierten sie also dort drüben das Gelingen ihres großen Coups.
Ihre Pferde standen im Corral. Es waren erstklassige Tiere, Dreihundert-Dollar-Pferde, die im Vergleich zu unseren Vierzig-Dollar-Gäulen waren wie Schwalben gegen Enten. Damit hatten sie unser Aufgebot abgehängt.
Doch ich hatte nicht aufgegeben, obwohl ein Reiter nach dem anderen von unserem ohnehin nicht besonders starken Aufgebot zurückgeblieben war, auch der Sheriff selber, mein Vorgesetzter.
Ich war auf meinem immer stärker hinkenden Braunen weiter und weiter durch das Gewirr der Hügel geritten. Manchmal glaubte ich, dass ich die Fährte verloren hätte, doch dann fand ich wieder winzige Anhaltspunkte, die mir sagten, dass ich doch noch auf der Fährte ritt.
Im Fährtenlesen konnte ich es mit den besten Apachen aufnehmen – und das wollte etwas heißen. Denn Apachen sagte man nach, dass sie selbst eine Mäusefährte über Felsen verfolgen könnten.
Nun, ich war also am Ziel.
Dort drüben in der Hütte waren die vier Bankräuber und Mörder, die unsere kleine Stadt Poncho heimgesucht hatten.
Aber ich war allein, der Letzte eines schwachen Aufgebotes.
Vielleicht war es dumm von mir, dass ich nicht aufgegeben hatte. Doch ich trug den Stern eines Deputies und hatte geschworen, stets meine Pflicht zu tun. Und immerhin erhielt ich vierzig Dollar im Monat. Die wollte ich mir nicht schenken lassen.
Ich ließ mein müdes Pferd zwischen einigen roten Felsen, welche von viel Grün umgeben waren. Die große Mittagshitze war längst vorbei. Es würde bald Abend sein. In der Nähe plätscherte ein kleiner Wasserfall. Das Geräusch des Wassers machte mich verrückt. Denn mein Pferd und ich, wir hatten eine Menge Durst.
Aber erst kam die Pflicht.
Und so schlich ich auf die Steinhütte zu, aus der mir johlender Gesang und Gelächter entgegenklangen.
Eine Weile später sah ich durch eines der schießschartenähnlichen Fenster. Die Tür stand zwar offen, doch ich hütete mich, dem von innen nach außen möglichen Blickwinkel nahezukommen.
Die vier Banditen hatten es sich bequem gemacht. Offenbar waren sie schon einige Stunden vor mir angekommen, denn ihre Pferde im Corral waren gut versorgt. Man hatte sie abgerieben. Die vier Kerle mussten unter dem kleinen Wasserfall gebadet haben, denn sie waren nur spärlich bekleidet. Einer hatte sich nur ein Handtuch umgebunden.
Sie tranken, sangen, erzählten sich Witze, lachten, johlten.
Einer sagte nun in das allmählich verklingende Gelächter der anderen: »Und in Laredo hatte ich mal eine Süße, die hängte immer eine rote Unterhose ins Fenster, wenn ihr Mann nicht daheim war. Und weil sie sehr fromm war, betete sie immer, bevor wir zur Sache kamen. Sie endete dann stets in ihrem Gebet mit den Worten: ›Lieber Gott im Himmel, der Teufel ist in mich gefahren und zwingt mich mit seiner gewaltigen Kraft zur Sünde. Du lieber Vater im Himmel, wenn du nicht willst, dass ich sündige, dann jage den Teufel mit seiner Sünde aus mir, dann gib mir irgendwie ein Zeichen und überwinde die mächtige Teufelskraft.‹«
Der Erzähler verstummte und kicherte in sich hinein, wand sich wie unter Krämpfen und trank schnell einen Schluck, so als wäre das Feuerwasser wirkliche Medizin.
Die drei anderen – sie waren alle schon ziemlich betrunken – starrten ihn immer ungeduldiger an.
Einer forderte: »Nun los, Pete – weiter, weiter! Wo bleibt der Clou deiner Geschichte, das Ende, über welches wir lachen können, heh?«
Der Erzähler hob seine freie Hand – mit der anderen hielt er ja die Flasche – und grinste breit.
»Ihr Mann«, erzählte er weiter, »war uns auf die Schliche gekommen und kam aus dem Keller. Er hatte sich als Geist verkleidet mit Bettlaken und einem ausgehöhlten, zurechtgeschnittenen und angemalten Kürbis auf dem Kopfe. Es war eine schrecklich anzusehende Maske. Dazu grollte er wie ein Winterriese aus dem Norden. Oha!
Und er hatte einen derben Knüppel, mit dem er ihr den Teufel und alle Sünden aus dem Leibe schlug, indes ich durch das Fenster sprang, unten genau zwischen seine Brüder, die schon auf mich warteten.«
Er verstummte.
Und seine Kumpane lachten wild, tranken sich zu, lachten wieder und riefen durcheinander. Sie konnten es sich nur schadenfroh und lustig vorstellen, wie ihr Kumpan, den sie Pete nannten, mitten zwischen die Brüder eines gehörnten Ehemannes sprang.
Und nun lachte dieser Pete nicht mehr mit.
Er wurde plötzlich wütend.
»Warum lacht ihr Affen denn? Glaubt ihr vielleicht, dass sie mich verprügeln konnten? Ja, glaubt ihr das? Es waren doch nur drei! Und sie waren nur der übliche Durchschnitt! He, glaubt ihr vielleicht, dass ich mit drei nur durchschnittlichen Burschen nicht zurechtkommen konnte? Oha, sie bekamen mehr Prügel von mir als ich von ihnen. Das könnt ihr mir glauben. Bin ich nicht Pete Finch – oder?«
Sie redeten nun durcheinander, und sie beruhigten ihn und tranken sich dabei immer wieder zu. Sie begannen zu prahlen, sich gegenseitig zu loben, weil doch der Überfall auf unsere Bank in Poncho so gut geklappt hatte und sie dann das Aufgebot mit ihren erstklassigen Pferden so spielend abgehängt hätten. Sie sagten sich immer wieder, dass sie sich gesucht und gefunden hätten und sie ein großartiges Kleeblatt wären, welches ja erst am Anfang einer ganz großartigen Karriere stünde. Ich begriff im Verlauf ihrer Unterhaltung, welche immer lallender wurde, dass sie sich erst vor kurzer Zeit in Nogales zusammengefunden hatten und nur einer von ihnen diese Hütte kannte, in der zwei Gold- und Silberschürfer lebten. Der Überfall auf unsere Bank in Poncho war ihr erster gemeinsamer Coup, doch jeder von ihnen war schon lange im »Geschäft« als Bandit.
Ich hörte mir das alles an, indes ich hinter der Steinhütte unter einem der kleinen Fenster kauerte. Ich war müde, hungrig und durstig.
Doch ich musste ausharren. Dann nämlich würden sie sich so schlimm betrunken haben, dass ich sie ohne Kampf festnehmen konnte.
Oh, was war ich froh über mein Glück.
Mein Ansehen in der kleinen Stadt Poncho musste gewaltig steigen, wenn ich das geraubte Geld und die Banditen zurückbrachte.
Es hatte in Poncho Stimmen gegeben, die es für überflüssig hielten, dass der alte Sheriff einen Deputy als Gehilfen bekam. Man sagte, dass man sich die vierzig Dollar sparen könnte, die in dieser miesen Zeit von den Steuerzahlern nur mühsam aufgebracht werden konnten.
Aber nun würde ich diese Gegner wohl auf meiner Seite haben und meinen Posten als Deputy behalten. Ja, so dachte ich. Es gab sehr viele Satteltramps, und wenn ich meinen Job verlor, würde auch ich wieder einer sein. Die Zeiten nach dem Krieg waren schlecht. Cowboys wurden noch nicht gebraucht. Es gab noch keine Absatzmärkte für den Rindersegen. Die Zeit der großen Rindertreiben nach Norden war noch nicht gekommen.
Ja, ich wollte in dieser miesen Zeit Deputy bleiben.
Und deshalb wartete ich trotz Müdigkeit, Hunger und Durst geduldig auf den Moment, da sich drinnen die vier Banditen gegenseitig unter den Tisch getrunken hatten.
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Es war schon dunkel, als sie drinnen vierstimmig schnarchten.
Ich ging hinein, zündete die Lampe an und sammelte ihre Waffen ein.
Sie waren sinnlos betrunken, und das geraubte Geld lag mitten auf dem Tisch. Es würde mir später gewiss niemand glauben, wie leicht es war, diese vier gefährlichen Banditen und Revolverhelden unschädlich zu machen. Eigentlich hatten sie sich ja selbst unschädlich gemacht für einige Stunden.
Waren sie dumm und leichtsinnig?
Letzteres gewiss – doch dumm nicht. Sie konnten ziemlich sicher sein, uns völlig abgehängt zu haben und in ihrer verborgenen Hütte unauffindbar zu sein. Vielleicht war es trotz meines Könnens als Fährtenleser auch purer Zufall, dass ich ihre Spur nicht verloren hatte.
Ich nahm ihre Waffen mit, holte mein Pferd, ließ es aus dem kleinen Creek Wasser saufen und trank selbst ebenfalls, wusch mir Staub und Schweiß ab.
In einer der beiden Satteltaschen hatte ich vier Paar Handschellen. Auf Anordnung des alten Sheriffs hatte ich sie mitnehmen müssen, obwohl mir das gar nicht recht war, weil vier solcher Dinger schwerer waren als zum Beispiel eine gefüllte Wasserflasche.
Nun aber war ich froh, dass ich sie den Kerlen umlegen konnte.
Diese betrunkenen Schufte erwachten nicht mal dabei. Sie grunzten und schnauften nur, lallten irgendwas.
Ich suchte mir etwas zu essen und stärkte mich.
Dabei dachte ich über diese vier Narren nach.
Da hatten sie mit viel Verwegenheit eine Bank ausgeraubt und waren danach an die hundert Meilen kreuz und quer durch das wilde Land geritten, um das Aufgebot abzuschütteln. Alles hatte für sie recht gut geklappt. Dass ich ihnen noch auf der Fährte war, konnten und brauchten sie nicht zu vermuten.
Und wenn sie sich dann hier nicht so betrunken hätten, würde ich sie gewiss nicht so leicht bekommen haben, wahrscheinlich überhaupt nicht, weil sie mir zu viert zu sehr überlegen gewesen wären.
Ich verspürte eine Verachtung in mir. Ich wehrte mich gegen dieses Gefühl, denn es entstand sicherlich aus einer Überheblichkeit, die mir nicht zustand. Denn ich hatte nur Glück gehabt, einfach nur Glück.
Nach dem Essen trank ich auch noch einen Schluck aus einer der Flaschen. Es war Tequila, wie ihn die Mexikaner herstellten. Und es war starkes Zeug, so stark, dass einem fast die Knöpfe vom Hemd sprangen.
Bald darauf schlief ich. Doch ich war nicht betrunken. Solch ein Narr war ich gewiss nicht. Ich lag auch nicht bei den vier betrunkenen Stinkern in der Hütte. Ich machte es mir draußen bequem, und ich schlief bald ein, da ich rechtschaffen müde war und mir die Ruhepause wohl verdient hatte – oder?
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Es war schon Tag, als ich sie fluchen hörte. Ihr Erwachen musste schlimm und eine einzige Enttäuschung gewesen sein. Denn sie hatten ja nicht nur gewaltige Brummschädel von ihrer Sauferei, sondern erlitten mehr oder weniger gewaltige Schocks beim Anblick ihrer Armbänder.
Ich ging zur immer noch offenen Hüttentür, trat ein und lehnte mich von innen gegen den Türpfosten, so dass ich immer wieder einen Blick zur Seite nach draußen werfen konnte.
»Na, meine Guten«, sagte ich. »Das ist wohl eine Überraschung, nicht wahr? Aber das Leben ist ja voller Überraschungen. Wenn ihr wollt, dürft ihr hinausgehen und eure Brummschädel unter den Wasserfall halten. Woher habt ihr denn den vielen Tequila? Das muss ja eine ganze Packlast gewesen sein.«
Sie staunten mich an – böse, mürrisch, krank noch wirkend vom Kater, aber auch mit Unglauben im Blick ihrer mehr oder weniger geröteten Augen. Ihre Hirne arbeiteten noch ziemlich mühsam.
»Heh«, sagte einer, »dieser Blechstern auf deiner Hemdtasche ist wirklich kein Witz? Du bist ein richtiger Deputy?«
Ich nickte. »Aus Poncho. Ja, ja, aus der kleinen Stadt, die ihr mit eurem Besuch beehrt habt. Die werden sich vielleicht freuen über euch.«
Ich sagte ihnen nicht, dass man sie hängen würde, weil sie zumindest einen Toten zurückgelassen hatten. Es konnten jedoch inzwischen noch Schwerverletzte gestorben sein.
Nein, ich sprach nicht vom Hängen. Solche Drohungen lagen mir nicht. Es war allein meine Pflicht, sie und das geraubte Geld zurückzubringen. Und genau das wollte ich tun.
Das Geld lag immer noch zwischen den Schnapsflaschen auf dem Tisch. Sie blickten von mir auf dieses Geld und dann wieder zu mir.
»Nimm dir was«, sagte einer. »Und dann hau wieder ab. Du brauchst uns einfach nur nicht gesehen zu haben. Diese Armbänder bekommen wir schon irgendwie ab. Nimm dir was und verschwinde.«
Ich sah auch auf das Geld.
Es waren mehr als zehntausend Dollar – und das war eine Menge Geld für die kleine Bank in Poncho. Die Steuereintreiber der Union waren überall im Lande ausgeschwärmt und hatten ihre Schätzungen gemacht. Alle Bürger der Stadt – und auch die Farmer und Rancher im Umkreis mussten für die letzten Jahre Steuern nachzahlen. Die Bank hätte die mehr als zehntausend Dollar in den nächsten Tagen als Kredite ausgegeben. Die Steuereintreiber der Yankees waren hart jetzt nach dem Krieg hier im Süden. Die Yanks fühlten sich hier als eine Art Besatzungsmacht im Lande der Besiegten. Wer nicht zahlte, dessen Besitz kam zur Versteigerung. Und hinter den Steuereintreibern kamen die Aufkäufer wie die Aasgeier. Sie ersteigerten wertvollsten Besitz für Bettelpfennige.
So war das.
Zehntausend Dollar waren jetzt nach dem Krieg hier im Südwesten eine unvorstellbar große Summe. Sie konnte über die Zukunft der ganzen Stadt und des ganzen Landes entscheiden.
Und wenn ich mir nur zweitausend Dollar davon nehmen und damit verschwinden würde, dann hätte ich so viel Geld, wie ich als Deputy zwar in vier Jahren verdienen, doch niemals ansparen konnte.
Ja, so war das.
Und es war eine ganz hübsche Versuchung.
Aber ich wollte nicht. Und deshalb schüttelte ich den Kopf.
»Da ist noch etwas«, sagte ich. »Ihr habt den Kassierer erschossen. Und der war mein Freund. Er brachte mir gerade das Schachspielen bei. Nun werde ich wahrscheinlich nie ein guter Schachspieler werden. Ihr müsst doch einsehen, dass ich euch abliefern muss – schon wegen meines toten Schachlehrers?«
Sie starrten mich an – staunend. Dann nickten sie sogar, obwohl ihnen die Köpfe nur so brummten von ihrem Rausche. Es stank in der Hütte. Sie hatten den Schnaps auch ausgeschwitzt, und dieser saure Geruch vermischte sich mit all den anderen Ausdünstungen.
Eine Weile schwiegen wir.
Sie überdachten ihre Situation – und ich dachte mit einiger Sorge daran, wie ich diese vier gefährlichen Burschen ohne Zwischenfälle nach Poncho schaffen konnte.
Es würde für mich etwa so sein, als wäre ich mit vier Tigern unterwegs, die mich in jeder Sekunde anfallen konnten und dies auch tun würden bei der geringsten Chance auf Erfolg.
Aber irgendwie musste ich das schaffen.
Sie starrten mich an. Dann begannen sie zu grinsen.
Einer sagte: »Ich glaube, der ist ganz allein. Ich wette, er hatte das beste Pferd des ganzen Aufgebotes und kann Spuren lesen wie ein Apache. Aber er ist allein, so verdammt allein. Er könnte einem leidtun, so allein ist er.«
Sie begannen zu lachen, obwohl es ihnen gewiss in ihren Schädeln wehtat.
Doch sie lachten gewollt mitleidig.
»Das schafft der nie allein«, sagte ein anderer.
Und wieder lachten sie verächtlich und mitleidig.
»Was dem alles zustoßen könnte«, kicherte der dritte Bursche.
Und der vierte wandte sich noch einmal an mich: »Am besten, du gibst wirklich sofort auf, Hombre«, sagte er.
Ich dachte auch noch einmal darüber nach. Dann schüttelte ich den Kopf.
»Ich bringe euch nach Poncho«, sagte ich.
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Als die Sonne hochkam, hatte ich sie in den Sätteln, und ich hatte vorher selbst alle Pferde satteln müssen.
»Nun passt mal auf«, sagte ich und nahm meinen Spencer-Karabiner aus dem Sattelschuh. Natürlich saß ich auch schon im Sattel.
Sie grinsten mich an.
Ich sagte: »Ihr werdet euch vielleicht eine Chance ausrechnen, auf euren schnelleren Pferden trotz Handschellen entkommen zu können. Deshalb will ich euch etwas zeigen.«
Ich hatte zuvor schon einige leere Tequila-Flaschen aus der Hütte geholt und in der Umgebung verteilt. Nun schoss ich siebenmal und musste siebenmal das Ziel völlig neu aufnehmen, weil es immer in einer anderen Richtung war.
Ich traf siebenmal.
Dann lud ich nach.
Und einer der Kerle trieb sein Pferd an, um darauf die Flucht zu ergreifen. Es war ein kühner, aber auch verzweifelter Versuch. Denn er glaubte nicht, dass ich so schnell nachladen konnte. Er entschied sich in Sekundenbruchteilen.
Mit dem Colt trauten sie mir vielleicht auch nicht besonders viel zu.
Aber dann zeigte ich es ihnen. Der Colt lag plötzlich in meiner Linken.
Ich traf das Pferd, und es tat mir leid um das Tier. Doch was blieb mir anderes übrig? Auf dem besseren Pferd wäre er mir mühelos entkommen und hätte sich dann in einen Hinterhalt gelegt. Selbst waffenlos konnte er mir in diesem Lande gefährlich werden und von einem Schluchtrand Steine auf mich werfen. Aaah, er konnte eine Menge tun, sobald ich ihn nicht mehr unter Kontrolle hatte.
Ich wollte am Leben bleiben und vier Raubmörder zum Richter bringen. Ja, deshalb musste ich ein Pferd töten.
Er sprang brüllend ab, bevor das Tier sich überschlug. Langsam kam er zurück. Sie starrten mich an. Einer sagte: »Also, jetzt wissen wir, dass du eine harte Nummer bist. Jetzt wissen wir es genau.«
Mehr sagten sie nicht.
Sie mussten nun zu viert auf drei Pferden reiten.
Ich sagte: »Macht nur so weiter und ihr müsst noch zu Fuß nach Poncho laufen.«
Wir ritten langsam, zuerst die zwei Kerle auf einem Pferd, dann die beiden anderen. Ich kam ihnen nicht näher als vier Yard, blieb immer hinter ihnen und hielt mein Gewehr bereit. Sie wussten jetzt, wie gut ich schießen konnte. Aber wahrscheinlich würden sie sich etwas einfallen lassen, und ich musste dann ganz zwangsläufig noch einige Überraschungen erleben.
Doch ich war jetzt erst richtig herausgefordert.
Wir ritten auf meiner alten Fährte zurück, die ich für das zurückgebliebene Aufgebot durch Zeichen recht deutlich gemacht hatte.
Wenn ich Glück hatte, war mir das Aufgebot irgendwann gefolgt und tauchte plötzlich vor mir auf. Doch eigentlich hatte ich schon zu viel Glück gehabt. Es war eher anzunehmen, dass das Aufgebot umgekehrt war, deprimiert, verbittert, erschöpft. Denn diese Leute waren zumeist Bürger der Stadt, also Handwerker und Geschäftsleute. Sie waren keine Langreiter. Selbst auf gleichwertigen Pferden hätten sie nicht solange im Sattel bleiben können wie die Banditen – und wie ich.
Ja, ich musste annehmen, dass sie umgekehrt waren und mich einen Narren schalten, weil ich allein weitergeritten war.
Nun, zuerst ging es recht gut. Meine vier Gefangenen machten mir zunächst keinen Kummer. Sie versuchten nichts. Überdies ging es ihnen gewiss schlechter als mir. Sie waren verkatert nach ihrer Feier. Ihre Brummschädel wurden durch das Reiten nicht besser. Und wahrscheinlich mussten sie auch erst Resignation und Bitterkeit überwinden. Denn obwohl sie es sich nicht anmerken ließen, saß ihnen der Schock gewiss tief in den Knochen. Vor wenigen Stunden hielten sie sich noch für die Größten. Und jetzt saßen sie mit Handschellen gefesselt waffenlos auf den Pferden und wurden von mir zum Ort ihrer Untat zurückgebracht.
Ja, es war sicherlich recht schlimm für sie an diesem Vormittag.
Als es Mittag wurde, rasteten wir.
Sie hockten dann mir gegenüber im Schatten von Felsen und Büschen. Das Land war immer noch unübersichtlich und wild. Da und dort ragten riesige Sagueros gen Himmel, die Riesen unter allen Kakteenbäumen. Es gab Mesquitebüsche auf den Hängen, braunes Gras da und dort, karge Pflanzen, Dornenbüsche und wenige Cottonwoodhaine an Stellen, wo es dann und wann einige Male im Jahr für eine gewisse Zeit Wasser gab nach seltenen Regenfällen.
Es war ein wildes Land, ein Apachenland mit heißen Tagen und kalten Nächten, ein Land, in dem es nur Jäger und Gejagte gab unter allen Lebewesen – ein Land, in dem die Wölfe manchmal Klapperschlangen jagen mussten, um überhaupt Beute und Nahrung zu bekommen.
Ich hätte gerne mal für eine Stunde meine Augen zugemacht für ein Nickerchen. Doch das konnte ich nicht. Die Kerle hätten mir bald schon mit einem Stein den Schädel einzuschlagen versucht. Oder sie hätten mich totgetreten.
Indes wir die Mittagshitze abwarteten, starrten sie mich an.
Ich kannte noch nicht mal alle mit Namen. Nur diesen Pete Finch wusste ich von den anderen zu unterscheiden. Denn er hatte selbst seinen Namen genannt, als ich sie belauschte, und seine Stimme war nicht zu verwechseln. Er war blond und blauäugig, hager und zäh, so um die dreißig Jahre und erfahren wie ein narbiger Wolf, der – was die Jagd und das Beutemachen betraf – längst alle Lektionen gelernt und begriffen hatte.
Dieser Pete Finch sagte plötzlich: »Du solltest wirklich endlich mal nachzudenken beginnen, Deputy. Wie ist überhaupt dein Name, Deputy? Heh, wie ist dein Name?«
»Walker«, sagte ich, »Clint Walker.«
Sie dachten nach. Ich sah ihnen an, dass sie in ihrer Erinnerung forschten, ob mein Name vielleicht bekannt war hier im Süden. Sie hatten mich schießen gesehen und glaubten, dass ich ein Bursche mit Revolver-Ruhm sein könnte. Aber mein Name sagte ihnen nichts.
»Und eure Namen?« So fragte ich. »Deinen kenne ich schon, Pete Finch. Aber die anderen...«
Ich schwieg. Sie begannen zu grinsen. Einer sagte: »Er kennt nicht mal unsere Namen. Und dabei soll es auch bleiben. Du kennst schon einen Namen zu viel, nämlich den von Pete. Deshalb werden wir dich töten müssen, solltest du uns nicht freiwillig laufen lassen. – Pass auf, Walker. Wir sind keine kleinen Wichte. Wir haben Freunde. Es gibt auch einige Burschen, die uns verpflichtet sind. Selbst wenn du es schaffen solltest, uns bis nach Poncho zu bringen, so würde dies nur ein großes Unglück werden für euch alle dort. Denn unsere Freunde und Gönner lassen nicht zu, dass man uns in Poncho hängen würde. Niemals! Die holen uns irgendwie heraus. Und dann würden wir diese größenwahnsinnige Stadt kleinmachen. Jawohl, kleinmachen, ausradieren, erledigen für alle Zeiten. Wenn du uns nach Poncho bringst, bedeutet das zugleich auch äußerste Gefahr für diese kleine Stadt. Denk mal nach, Deputy, denk richtig nach.«
Das tat ich. Und mir wurde heiß dabei, viel heißer als es durch die Tageshitze werden konnte. Denn die Hitze stieg aus meinem Kern hoch.
Ja, mir wurde in diesen Minuten eine Menge klar.
Poncho war eine verdammt kleine Stadt mit Frauen, Kindern und Alten. Sie besaß viele Blößen, schwache Punkte. Wenn diese vier Banditen wirklich Freunde und Gönner hatten, auf deren Hilfe sie hoffen konnten, dann konnte es in Poncho verdammt mulmig werden. Diese Stadt bot zu viele Angriffsflächen.
War es vielleicht doch besser, die vier Banditen laufen zu lassen?
Auch darüber dachte ich nach.
Und da wurde mir klar, dass Poncho nur wachsen, blühen und gedeihen konnte, wenn es sich als mutige, entschlossene und faire Stadt erwies.
Das bedeutete, dass diese vier Banditen einen fairen Prozess bekamen und die Jury ihr Urteil nach bestem Gewissen sprach. Dann musste der Richter die Strafe nach dem Gesetz verhängen. Und dann musste diese Strafe auch mutig vollstreckt werden. Wenn dies alles ordentlich erledigt wurde, hatte Poncho alle Chancen. Dann würden sich im weiten Umland die Menschen niederlassen und Poncho der Mittelpunkt werden, von dem aus eine verwaltende Ordnung ausging.
Ich musste also die vier Banditen und Mörder in die Stadt bringen. Denn diese Stadt musste sich jetzt bewähren. Sie konnte sich nicht drücken, durfte nicht feige werden. Ich durfte sie nicht schonen, musste sie vor die Pflicht und Aufgabe stellen. Sie würde daran kaputtgehen oder wachsen.
Als ich mit meinen Gedanken so weit war, sagte ich zu den vier Banditen.
»Ich habe gründlich nachgedacht. Und ich bringe euch nach Poncho.«
Sie sagten nichts mehr. Doch ich spürte nun den Strom ihrer Feindschaft, ihres Hasses. Sie waren meine Todfeinde. Nachdem alles noch eine Weile in der Schwebe war und sie immer noch hofften, mich umstimmen zu können, hatten sie nun begriffen, dass ich nicht umzustimmen war. Auch nicht nach längerem Nachdenken.
Nun hassten sie mich mit ihrer ganzen Wildheit und bösen Wut.
Diese Strömung prallte fast wie ein Atem gegen mich.
Und dabei wurde mir eines klar: Weil ich sie so mühelos und leicht hatte unschädlich machen können durch einen fast lächerlichen Glücksumstand, hatte ich sie bisher unterschätzt.
Nun begriff ich allmählich, dass ich nicht einfach nur vier zweibeinige Coyoten fing, sondern erfahrene Wölfe. Und das war ein gewaltiger Unterschied.
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