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Seit Jahren tobt zwischen den Lees und den Masters ein erbitterter Kampf um die Vorherrschaft im Jewel County. Doch dann kehrt Black Bucko Masters, der gefürchtete Revolvermann, auf die väterliche Ranch zurück. Jetzt gibt die Lee-Sippe auf, weil sie weiß, dass sie gegen ihn keine Chance hat. Die Waffen im Land schweigen. Doch der Friede ist trügerisch, und die alte Feindschaft schwelt weiter. Als sich dann Bill Masters, Black Buckos jüngerer Bruder, in Nina Lee verliebt und mit ihr davonzulaufen versucht, bricht die Fehde wieder aus - grausamer und gnadenloser als zuvor. Und niemand ahnt, dass eine dritte Macht im Land die Flammen des Hasses schürt, um aus dem Niedergang der beiden mächtigsten Familien als lachender Dritter hervorzugehen...
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Seitenzahl: 227
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Die Fehde
Vorschau
Impressum
Die Fehde
Bill Masters beugt sich weit aus dem Fenster der Überland-Postkutsche und späht zurück auf die Stadt Jewel, deren gelbe Lichter in die Sternennacht blinken und dann plötzlich verschwinden, als die Kutsche eine Bodenwelle hinter sich lässt.
Die Lampe, die vorn neben dem Fahrersitz der Kutsche angebracht ist, beleuchtet Bill Masters' Gesicht. Es ist ein auf verwegene Art hübsches und dabei sehr männlich und etwas leichtsinnig wirkendes Gesicht. Dieser Bill Masters wirkt wie ein großer Junge, der das ganze Leben als lachender Sieger hinter sich zu bringen gedenkt, für den alles ein großer Spaß ist und der bisher stets das Glück auf seiner Seite hatte.
Er lacht lautlos, und seine Zähne blitzen.
Er zieht seinen Oberkörper, den er weit aus dem Fenster beugte, in die schwankende Kutsche zurück, und er nimmt Nina Lee in seine Arme, die mit ihm bis ans Ende der Welt gehen will.
Sie küssen sich.
Und dann flüstert Bill Masters: »Schon morgen sind wir fast in Sicherheit. Und übermorgen erreichen wir Laramie. Wir nehmen den ersten Zug nach Omaha und heiraten! Das wird ein Spaß werden, Mädel! Du und ich, wir...«
Er verstummt, denn er spürt, wie sie in seinen Armen zu zittern beginnt. Er presst sie fest an sich und hält sie so in seinen Armen wie etwas, was er nie wieder hergeben will. Ja, sie ist in diesem Augenblick für ihn der kostbarste Schatz auf dieser Welt.
Er hörte sie nun angstvoll flüstern: »Ich... ich habe Furcht, Bill, lieber, lieber Bill! Mein Vater, meine Brüder – oh, auch Onkel Morg! –, sie alle werden furchtbar böse sein, wenn sie herausfinden, dass ich mit dir durchgegangen bin. Und sie...«
»Ich bin Bill Masters«, unterbricht er sie. »Ich bin zwar nur der jüngere Bruder von Buck Masters, doch man wird mich genauso respektieren müssen wie meinen großen Bruder. Ich bin ein Masters! Und deshalb solltest du keine Furcht haben, Nina. Ich bin bei dir, und ich werde von jetzt an immer bei dir sein. Wir gehören von nun an zusammen, und nichts kann uns trennen. Ah, ich werde dir ein Stück von dieser Welt erobern, Liebste! So fühle ich mich jetzt, da du nun mir gehörst. Weißt du, eine Frau kann in einem Manne gewaltige Kräfte erwecken, Kräfte, die nur durch sie allein erweckt werden können. Und so kann aus einem zwar tüchtigen, doch sonst durchschnittlichen Burschen ein Riese werden, der sich ein Königreich erobert. So ist das, Nina! Du wirst sehen...«
Weiter kommt er nicht.
Die Kutsche war inzwischen die ziemlich steile Steigung zum Wind-Hill-Pass hinaufgerollt, und der Fahrer hält nun an, um das Sechsergespann etwas verschnaufen zu lassen.
Und da tauchen plötzlich Männer aus den Schatten der Felsen und Fichten. Eine harte Stimme sagt laut: »Schon gut, Mule! Schon gut! Wir holen nur Nina und den Narren aus der Kutsche. Du kannst sofort weiterfahren, Mule!«
Der Fahrer, der zusammengezuckt war, entspannt sich wieder auf dem hohen Bock. Und er flüstert seinem Begleitmann zu: »Das geht uns nichts an, Jorge! Ich habe mir schon gedacht, dass es die Lee-Sippe nicht zulassen wird. Es geht uns nichts an, Jorge!«
Und dann warten sie ruhig auf ihrem hohen Bock. Sie hören eine harte Stimme sagen: »Kommt heraus! Nina, es hat keinen Sinn, sich zu sträuben. Dein Vater will nicht, dass du mit einem Masters durchbrennst! Komm heraus, Nina! Und bringe den Narren mit, der geglaubt hat, Colonel Tabhunter Lees jüngste Tochter entführen zu können! Bringe ihn mit heraus, bevor wir ihn aus der Kutsche holen!«
Es folgt dann eine Stille, nur ganz leise hört man aus der Kutsche einen Wortwechsel, ohne jedoch die Worte verstehen zu können.
Fahrer und Begleitmann beugen sich zur Seite. Der Begleitmann muss sich dabei halb erheben. Doch dann sieht auch er, wie zuerst das Mädchen und dann Bill Masters aus der Kutsche kommen.
»Ihr habt kein Recht, uns aus der Kutsche zu holen«, sagt Bill Masters scharf. »Dies ist Wegelagerei! Und wenn Nina mir nicht soeben das Wort abgenommen hätte, nicht zur Waffe zu greifen, wenn ihr nicht ihre Brüder und ihr Onkel wäret, so würde ich...«
»Oh, halt dein großes Maul, mein Junge«, unterbricht ihn die harte Stimme des Mannes, der hier das Kommando führt. Er ruft nun scharf: »Die Kutsche kann weiter! Fahr weiter, Mule!«
Der Fahrer gehorcht sofort. Er kennt die Lee-Sippe zu gut, und Morg Lee, der hier das Kommando führt, gehört zu den zwei oder drei Männern in diesem Lande, denen man nicht widerspricht und deren Befehlen man sofort gehorcht.
Zurück bleiben einige Männer, das Mädchen Nina und Bill Masters, der nun begriffen hat, dass es hart für ihn werden wird.
Er will langsam zurückweichen, möchte sich mit dem Rücken an einen der Felsen stellen. Denn er ist dazu entschlossen, das Nina gegebene Versprechen zu brechen. Ja, er ist dazu bereit, zur Waffe zu greifen, sollten die Lees rau werden wollen.
Doch er kommt nicht weit, nur zwei Schritte zurück. Dann steht ihm ein Mann im Wege, gegen dessen flache Hand er mit dem Rücken stößt. Es ist Jesse Lee, und er sagt leise: »Bist du ein Krebs, Wild Bill, dass du rückwärts gehst?«
»Ihr werdet Bill nichts tun!« Ninas Stimme ruft es schrill, indes das Rollen und Rattern und Quietschen der Postkutsche in der Ferne verklingt, und der Hufschlag der sechs Pferde verstummt.
»Ich werde nicht zulassen, dass ihr Bill dafür bestraft, weil ich ihn liebe und bereit war, mit ihm durchzubrennen!«
Dann ist es wieder still.
Und die Sterne des Wyominghimmels kommen Bill Masters nun sehr kalt und erbarmungslos vor; ja er spürt plötzlich, dass er in Schweiß gebadet ist, trotz der nächtlichen Kühle.
Mit einem Male ist er sich darüber klar, dass es Angstschweiß ist. Und diese Erkenntnis jagt einen scharfen Schock durch seinen Körper, der ihn zu einer panischen Reaktion treibt.
Er wendet sich um und will entkommen.
Es gelingt ihm, Jesse Lee mit einem wilden Hieb zur Seite zu stoßen, denn er ist ein großer und starker Bursche, geschmeidig und schnell. Er ist einsachtzig groß und wiegt hundertsiebzig Pfund. Er ist ein beachtlicher Kämpfer.
Und die Furcht treibt ihn an.
Aber er kommt nicht weit. Eine lange Peitsche, wie sie die Maultiertreiber benutzen, holt ihn ein. Es ist ein langes, geflochtenes Leder, wohl sechsundzwanzig Fuß lang und am Ende mit einem Metallknaller versehen. Das Ende wickelt sich um Bill Masters' Füße. Und er fällt, stößt einen schrillen Schrei aus, wälzt sich am Boden und will die Waffe ziehen.
»Gebt es ihm, diesem Narren!«, ruft Morg Lees harte Stimme zu den Männern, während er mit der langen Peitsche nochmals zuschlägt und damit die Waffe aus Bills Hand fegt. »Bringt ihm bei, dass es dumm von ihm war, mit Tabhunter Lees Tochter durchbrennen zu wollen!«
Es sind fünf Männer, die sich auf Bill Masters stürzen. Im Sternenlicht ist alles gut zu sehen, und es ist dann auch deutlich zu hören.
Nina Lee will sich abwenden. Sie will nicht zusehen. Und sie presst sich auch beide Hände gegen die Ohren, als Bill Masters zu brüllen beginnt, zu stöhnen und zu wimmern.
Doch der große, knochige Morg Lee, der ihr Onkel ist, packt sie am Arm und wirbelt sie herum.
»Du sollst zusehen! Du sollst dir ansehen, was mit einem dieser Burschen geschieht, die du immer wieder zu Narren machst! Es war eine besonders schlechte Idee von dir, ausgerechnet Bill Masters den Kopf zu verdrehen, ausgerechnet Buck Masters kleinem Bruder. Sollte das die Rache dafür sein, dass...«
»Oh, ich hasse euch! Ich hasse euch alle, ihr großspurigen Lees! Ich...«
Sie trommelt mit ihren kleinen Fäusten gegen die breite Brust ihres Onkels.
Doch dann fällt sie plötzlich auf die Knie und beginnt zu weinen. Sie schluchzt wie von tiefstem Leid erschüttert und in höchster Not.
Er aber blickt finster auf sie nieder und sagt dann trocken: »Deine Mutter war auch so wie du, Nina. Sie war kalt, herzlos, doch so sehr eitel, dass sie immer versuchte, Macht über alle Männer zu gewinnen, die sie interessierten.«
Er greift sie am Arm, zieht sie wieder auf die Beine und sagt leiser, doch schärfer und grimmiger: »Es geht aber nicht, dass du uns Lees in diesem Lande zum Gespött machst. Es geht nicht, dass eine Lee mit einem Masters durchbrennt, als wäre sie eine...«
Er spricht nicht aus, was er sagen wollte, doch man kann unschwer erraten, dass es kein erfreulicher Vergleich gewesen wäre.
Inzwischen haben die anderen Männer von Bill Masters abgelassen, und sie keuchen vor Anstrengung und treten nun schnaufend zurück. Bill Masters aber liegt bewegungslos am Boden.
Der große knochige Morg Lee fragt kühl: »Ihr habt ihn doch wohl nicht totgeschlagen?«
»Nein«, sagt eine keuchende Stimme. »Doch er wird sein ganzes Leben seine Idee bereuen, mit unserer Schwester durchgebrannt zu sein. Er wird es bereuen, mit einer Lee...«
»Schon gut, Jesse! Reiten wir!«
Morg Lee sagt es knapp und abschließend.
Kurz vor Anbruch des Tages erreichen sie die Masters-Ranch. Ihr Hufschlag wurde schon vernommen.
Als sie auf den Ranchhof reiten, tritt Buck Masters auf die Veranda. Er ist barfuß und im Unterzeug, hält sich im Schatten des Verandadaches und ist mit einem Gewehr bewaffnet.
Drüben beim Schlafhaus bewegt sich eine Gestalt. Buck Masters weiß, dass es sein Vormann Vance Younger ist.
Und das Fenster des Küchenanbaues wird geöffnet, blinkt im Sternenlicht. Dort steht jetzt gewiss Tate Powder, der Koch, mit einer Schrotflinte in den Fäusten.
Der trommelnde Hufschlag der reitenden Mannschaft war wie ein unheilkündendes Signal. Er weckte die Männer auf der Ranch und ließ sie vorsichtig und wachsam in Bereitschaft gehen.
Denn in diesem Lande und auf dieser Weide gab es schon oft genug Verdruss. Es ist nur natürlich, dass man auf einer Ranch alarmiert ist, wenn vor Morgengrauen der Hufschlag einer hart reitenden Mannschaft ertönt und es klar wird, dass man von diesen Reitern besucht wird.
Man ist alarmiert.
Und so ist es auch hier.
Buck Masters' große Gestalt verharrt unbeweglich im Schatten, ist von den Reitern draußen auf dem Hof gewiss nur als Silhouette zu erahnen.
Es wird dann still. Der Staub, den die Reiter aufwirbelten, wird vom leichten Morgenwind vertrieben. Die Pferde hören auf zu schnaufen und zu stampfen, und auch die Sättel knarren nicht mehr.
In diese Stille sagt Morg Lees harte Stimme: »Buck, dein Bruder Bill machte uns Kummer.«
»Welchen Kummer?«
»Wir holten ihn und Nina aus der Postkutsche nach Laramie. Der Colonel wollte nicht, dass dein Bruder mit seiner jüngsten Tochter durchbrennt – eine Lee mit einem Masters! Wir haben Bill ziemlich schlimm verprügelt, so schlimm, dass er nie wieder auf die Idee kommen wird, sein Glück mit einer Lee zu versuchen. Und wenn dir das als seinem großen Bruder nicht gefällt, so kannst du dich jetzt an mich halten. Ich bin gekommen, um es dir zu sagen und dir die Wahl zu lassen, ob du es hinnehmen oder...«
»Schon gut, Morg, schon gut!«, unterbricht ihn Buck Masters ruhig. Er hat eine sanfte Stimme, dunkel und glatt. Und nach einer kleinen Pause, die erfüllt ist von Spannung, fragt Buck Masters' dunkle Stimme um noch eine Nuance sanfter: »Und wo kann ich meinen Bruder auflesen?«
Morg Lee lacht leise, kehlig und irgendwie so, als müsste er innerlich mit einer Enttäuschung fertig werden.
Dann aber sagt er: »Auf der Wasserscheide des Wind-Hill-Passes! Dort kannst du ihn auflesen. Er bekam seine Lektion! Und wenn du als sein großer Bruder Revanche willst, nun, dann...«
»Du brauchst mir nicht immer wieder einen Kampf anzubieten, Morg«, unterbricht ihn Buck Masters abermals. »Ich weiß ganz genau, dass ich jederzeit und an jedem Ort einen Kampf mit dir bekommen kann. Wenn es mich mal jucken sollte, so werde ich mich an deine Angebote erinnern, aber wegen dieser Sache jetzt... Nun, es war eine sehr dumme Idee meines Bruders. Es gibt keinen Grund, eine alte Fehde wieder neu aufleben zu lassen. Sage das dem Colonel. – Und jetzt verschwinde von meiner Ranch, Morg Lee!«
Die letzten Worte kommen nicht mehr so sanft. Sie werden zwar sehr ruhig, doch aber mit einer Kühle gesprochen, die für einen Revolvermann wie Morg Lee eine Herausforderung ist.
Er zuckt im Sattel leicht zusammen. Doch bevor er sich zu einer Reaktion entschließen kann, ruft Vance Youngers gedehnte Stimme so lässig, wie nur ein Texaner es kann: »Boss, ist etwas nicht in Ordnung?«
Es sind nicht die Worte, nein, es ist die lässige Stimme des Vormannes, die diesen Worten eine besondere Bedeutung gibt und sie zu einer kalten Warnung werden lässt.
Beim Küchenhaus klirrt wieder leise das Fenster, und auch das ist eine Warnung. Morg Lee und seine Reiter begreifen, dass es besser ist, zu verschwinden und aufzugeben.
Morg Lee atmet tief durch. Seine Schultern senken sich, und er wirkt im ersten grauen Morgenlicht irgendwie enttäuscht.
»Nun gut«, sagt er.
Dann reitet er davon. Seine Begleiter folgen ihm. Und bei den Corrals der Ranch wartet Nina auf einem Pferd, das für sie mitgebracht worden war.
Obwohl sie ein Reisekostüm trägt, sitzt sie wie ein Mann auf dem Pferd. Der Rock rutschte ihr bis übers Knie. Doch es scheint sie nicht sehr zu stören, dass sie einen für ein erwachsenes Mädchen sehr unschicklichen Anblick bietet.
Sie sitzt geschmeidig und wie eine Indianerin im Sattel.
»Was hat Buck Masters gesagt?«, fragt sie scharf, und nicht nur in ihrer Stimme schwingt ein begieriger Klang, nein, es ist auch ein besonderes Funkeln in ihrem Blick. Im Osten hat der junge Tag nun die sterbende Nacht endgültig bezwungen und verjagt die letzten Schatten. Im grauen Morgenlicht betrachtet Morg Lee seine Nichte, die nun an seiner Seite reitet.
Er betrachtet sie nachdenklich. Und dann sagt er plötzlich: »Buck Masters lässt sich nicht auf diese Art herausfordern, Mädel! Aber mich würde sehr interessieren, was er dir getan hat. Er muss dir etwas angetan haben. Warum sonst hast du versucht, die alte Fehde wieder in Gang zu bringen?«
Sie gibt ihm keine Antwort.
Und er fragt auch nicht mehr. Vielleicht hält er nun seine Frage für dumm.
Es war nur eine Idee von ihm. Er kennt Nina sehr genau. Er kann nicht recht glauben, dass sie sich in einen Burschen wie Bill Masters verliebte und nur allein deshalb mit ihm durchbrennen wollte.
Es musste einen anderen Grund geben.
✰
Es ist noch früh am Vormittag, als Buck Masters bei seinem Bruder ist. Irgendwann war Bill zu Bewusstsein gekommen und hatte sich von der Poststraße hinunter in den Schatten der Felsen und Fichten gewälzt, oder er war gekrochen.
Gegangen war er bestimmt nicht, denn er wurde so schlimm zerschlagen, dass Buck Masters sich große Sorgen macht, ob der Bruder überhaupt jemals wieder gesund werden wird.
Es ist dies hier eine raue Weide. Dieses Land ist noch jenseits vom wirklichen Gesetz und der verwaltenden Ordnung, wie sie von der Verfassung vorgeschrieben sind.
Hier in diesem Lande gibt es viele Feindschaften, und die Männer kämpfen ihre Fehden auf eine mitleidlose Art aus, weil hier noch das nackte und primitive Gesetz des Überlebens gilt und weil dieses Land, die Natur und viele andere Kräfte ebenso rau und mitleidlos sind.
Buck untersucht den stöhnenden Bruder sorgfältig. Dann holt er einen Hut voll Wasser von der nahen Quelle. Er wäscht Bill das blutverkrustete Gesicht. Doch die Augen des Bruders sind zugeschwollen. Bill kann ihn nicht sehen.
Und Buck spricht kein Wort. Er ist ein großer, geschmeidiger Mann mit schmalen Hüften und Schultern, deren Muskeln das Hemd knapp sitzen lassen. Er ist ein dunkelhaariger Typ, einer von jener Sorte, deren Wangen selbst nach einer frischen Rasur noch bläulich schimmern.
Seine grauen Augen liegen tief in den Höhlen und stehen weit auseinander. Er hat eine kurze, gerade Nase und einen etwas zu breiten Mund. Er trägt einige Narben im Gesicht, Zeichen von Kämpfen oder anderen Wagnissen. An seinen Schläfen weist sein dunkles Haar einige graue Strähnen auf, doch er ist höchstens fünfunddreißig Jahre alt. Wie er da so neben dem Bruder kniet, wirkt er irgendwie unpersönlich und zu sehr beherrscht, abwartend und ruhig.
Doch niemand kann in sein Inneres sehen. Niemand weiß, wie es in ihm ist und was in ihm vorgeht.
Er erhebt sich dann, steht breitbeinig da und dreht sich eine Zigarette. Er trägt seinen Revolver links.
Links. Ja, er ist Linkshänder.
Und seine Hände sind lang, geschmeidig, sehr beweglich und wirken stählern. Seine Handgelenke sind breit, fast so breit wie die haarigen Handrücken, auf denen die weißlichen Lassonarben eines Rindermannes zu erkennen sind, die immer dann entstehen, wenn ein um die Hand geschlungenes Lasso rutscht und brennt.
Er ist kein hübscher Mann – eher hässlich. Doch er strömt eine solch starke und zwingende Kraft aus, dass er ein sehr männlich wirkender Bursche ist.
Seine Härte ist offensichtlich, doch es ist keine böse und brutale Härte. Er wirkt ganz einfach wie ein Mann, der sich in jedem Lande, an jedem Ort unter anderen Männern behaupten kann.
Und er wirkt wie ein Mann, um den andere Männer sich in Zeiten von Not und Gefahr scharen, weil sie instinktiv spüren, dass er fast immer das einzige Mögliche und Richtige tun wird.
Es gibt solche Männer. Sie strömen etwas aus, was ihre Umwelt dazu zwingt, ihnen Beachtung zu schenken.
Dies also ist Buck Masters, der früher als Revolvermann berühmt-berüchtigt war, über den es viele Legenden gibt und der es fertig brachte, ein Rancher zu werden.
Er steht nun lange so da, raucht und denkt über alle Dinge nach.
Und es sind viele Dinge in diesem Lande, die es zu bedenken gibt, oft sogar scheinbar unwichtige Dinge. Doch sie alle sind wie die Steinchen eines Mosaiks, die man zu irgendwelchen Bildern zusammensetzen kann.
Manchmal stöhnt der Bruder am Boden. Dann betrachtet ihn Buck Masters mit einem halb mitleidigen und halb zornigen Ausdruck.
Irgendwann dann ertönt das Rattern des Wagens. Vance Younger reitet mit dem Pferd nebenher. Und der glatzköpfige Koch lenkt das Gespann. Sie halten an und betrachten Bill Masters. Sie sagen nichts. Doch sie betrachten ihn auf eine besondere Art, die nur ein Eingeweihter richtig einschätzen könnte, ein Mensch, der sich auskennt mit den Problemen dieses Landes, mit den verschiedenen Strömungen und Interessen, die hier unter den Menschen sind... und der sich auskennt mit der alten, ruhenden Fehde, die hier war oder immer noch unter der Oberfläche glüht wie die Glut eines nur scheinbar verloschenen Feuers, das man durch kräftiges Blasen wieder anfachen könnte.
Vance Younger, der Vormann der M-Ranch, weiß über all diese Dinge gut Bescheid.
Und auch Tate Powder, der Koch, weiß genug. Sie blicken nun auf Buck.
Buck Masters erwidert ihre Blicke ruhig. »Wir werden ihn in die Stadt zum Doc bringen müssen«, sagt er dann. »Sie haben ihm Knochen gebrochen und schlimme Wunden zugefügt, die genäht werden müssen. Er wird nie wieder jener Bill sein, der er bis jetzt gewesen ist.«
Damit hat er alles gesagt, was er sagen will. Die Männer helfen ihm nun wortlos, und der Vormann Vance Younger wirkt zu Fuß sehr unscheinbar, sehr krumm, schief und mager.
Doch als Bill im Stroh des Wagens liegt und Vance Younger wieder in den Sattel steigt, ändert sich sein Erscheinungsbild schlagartig.
Dort im Sattel seines narbigen, rabenschwarzen Pferdes wirkt er sehr zäh und verwegen, ganz und gar ein geschmeidiger Reiter dieses Landes, der einen schwarzen Revolver in der Tasche seiner ledernen Überhose auf eine besondere Art trägt.
Und es geht sogar etwas Wildes von diesem Vormann aus.
Buck Masters band sein Pferd hinten an den Wagen. Er hockt nun neben dem Bruder im Stroh und erleichtert dem stöhnenden Kranken den Transport, so gut es ihm möglich ist.
✰
Nach Jewel waren es fünfzehn Meilen, denn das Land mit seinen tausend Hügeln und versteckten Winkeln ist weit. Sie mussten auch sehr langsam und vorsichtig fahren. Es ist später Nachmittag, als sie die kleine Stadt erreichen, deren Holzbauten schon nach wenigen Jahren verwittert sind. Es ist eine primitive Stadt, nur der Versorgungspunkt einiger Ranches, Haltepunkt und Wegstation einer Fracht- und Postlinie.
Und es kommen dann und wann auch Reiter in die Stadt, die irgendwo in verborgenen Camps leben oder auf einsamen Pfaden reiten.
Der Wagen hält vor dem Hotel. Buck Masters trägt seinen Bruder auf den Armen hinein, als wäre Bill nur ein halbwüchsiger Junge und kein Mann von hundertsiebzig Pfund.
Einige Bürger sehen zu... schweigsam, doch offensichtlich verstört. Vance Younger war in den Saloon gegangen, wo der Doktor zumeist zu finden ist. Da es noch nicht Abend ist, ist der Doc noch nicht schlimm betrunken. Er holt erst seine schwarze Tasche und einige andere Dinge aus seinem kleinen und recht armselig wirkenden Haus und verschwindet danach ebenfalls im Hotel, Tate Powder fährt dann mit dem Wagen vor den Store, kauft dort einigen Proviant für die Ranch und verlässt die Stadt mit einer dicken Zigarre zwischen den Lippen.
Und die Stadt wartet. Ginger Lane, deren Vater den Store führt und der ihn längst vertrunken oder verspielt hätte, würde er nicht von der Tochter ständig kontrolliert und überwacht werden, kommt auf die Straße. Ginger Lane hatte Tate Powder bedient. Doch nun geht sie schnell zum Hotel hinüber und achtet nicht auf die Blicke der Bürger, die überall auf der Straße vor ihren Häusern, Geschäften oder dem Saloon stehen und stumm beobachten. Es gibt jedoch kaum Gruppen. Jeder hält sich für sich. Nur einige Fremde bilden auf der Saloonveranda eine Gruppe.
Ginger Lane ist über mittelgroß, sehr blond, sehr blauäugig und sehr erfreulich anzusehen. Sie ist reif und fast schon fraulich, und sie bewegt sich mit jenem natürlichen Stolz einer Frau, die für sich sorgen kann. Alles an diesem Mädchen ist von einer anmutigen Klarheit.
In der Hotelhalle trifft sie auf John Nelson, den einarmigen Besitzer des Hotels. Nelsons scharfes und glattes Spielergesicht bleibt undurchdringlich, doch seine dunklen Augen bekommen einen wärmeren Ausdruck, als er sagt: »Wenn Sie zu den Masters wollen, Ginger – nun, ich gab ihnen das beste Zimmer.«
Sie nickt und eilt die Treppe hinauf. Da sie ihre weiten Röcke etwas raffen muss, sieht John Nelson ihre zierlichen Füße und Knöchel. Und er bewundert die anmutige Art, wie dieses schöne Mädchen die Treppe nach oben geht.
John Nelson, der einstige Spieler, schließt einen Moment seine Augen. Er stellt sich nun bestimmte Dinge vor: eine große Marmortreppe, die hinauf in ein prächtiges Haus führt. Und eine Frau in prächtigen Gewändern, einer Fürstin gleich...
Indes betritt Ginger Lane das Zimmer, wo sich der Doktor um den zerschlagenen Bill Masters bemüht. Vance Younger und Buck Masters helfen dem Arzt. Sie blicken nur kurz auf, als Ginger sich zu ihnen gesellt und bald darauf Vance Younger ablöst, als dieser vom Arzt fortgeschickt wird, weil er einige notwendige Dinge holen muss.
Buck Masters und Ginger Lane blicken sich einen Moment an. Doch Bill Masters' Stöhnen nimmt ihre Aufmerksamkeit wieder in Anspruch.
Doktor Percy Pratt ist alt. Er ist unordentlich gekleidet, riecht nach Whisky und schwitzt stark. Sein Anblick erinnert an einen Seehund.
Doch seine dicken und merkwürdig stumpf wirkenden Finger sind sehr geschickt. Diese Hände machen keinen falschen Griff.
Nur einmal hält er kurz inne, greift in seine schwarze Tasche, entnimmt ihr eine Flasche und macht einige tiefe Züge daraus. Der reine Alkohol erfrischt ihn wie ein Zaubermittel.
Er arbeitet schweigsam und noch stärker schwitzend weiter. Und als sie dann – schon bei Lampenlicht – den Kranken betrachten, wurde alles für ihn getan, was ein guter Arzt nur tun konnte.
Denn ein guter Arzt ist dieser äußerlich so heruntergekommen wirkende Mann.
Bill Masters' gebrochene Knochen wurden geschient oder fest bandagiert, und sein Nasenbein wurde gerichtet, alle tiefen Risse genäht.
Sein linker Arm war ausgekugelt, und auch das ist wieder in Ordnung.
Bill Masters stöhnt nicht mehr, er schläft jetzt tief und fest. Es ist der erste Schlaf der beginnenden Gesundung.
Der Arzt betrachtet ihn nochmals prüfend und sagt dann trocken: »Sein Körper ist jung und zäh. Körperlich wird er sich erholen. Er wird kein Krüppel sein. Es wird alles heilen und wieder zusammenwachsen. Ist er unter eine Rinderstampede geraten?«
Die Frage ist natürlich offensichtlich nicht ernst gemeint, denn als Arzt hat er längst erkannt, was mit Bill Masters geschah.
Und sicherlich wurde es auch in der Stadt bekannt, dass Nina Lee und Bill Masters gestern mit der Nachtpost die Stadt verließen. Der Doc und überhaupt alle Menschen hier in dieser Stadt konnten sich längst die Dinge zusammenreimen.
In den Augen des Arztes ist eine tiefe Neugierde zu erkennen.
Und nun kann er sich nicht länger zurückhalten. Er fragt nun offen: »Was wirst du tun, Buck, mein Junge?«
Buck Masters betrachtet ihn ernst. Er mag ihn irgendwie. Damals, als sein Vater starb, da lieferte dieser merkwürdige Arzt dem Tode um Jim Masters' Leben einen harten Kampf. Percy Pratt mag sonst nichts taugen, doch als Arzt ist er ein Kämpfer.
»Es geht mich nichts an, Doc«, erwidert Buck langsam. »Es war Bills Privatsache.«
Der Arzt bekommt einen staunenden Ausdruck in die Augen. Doch dann nickt er erleichtert.
»Sicher«, sagt er, »sicher, du bist kein heißblütiger Revolverschwinger, Buck. So wie du es ansiehst, ist kein Grund vorhanden, eine ruhende Fehde wieder neu aufleben zu lassen. Du siehst es sehr vernünftig an. Und auch Colonel Tabhunter Lee wird so denken. Sonst hätte er damals mit deinem Vater nicht Frieden gemacht. – Nun gut, ich gehe einen Whisky trinken. Mein Honorar beträgt zwanzig Dollar. Gib sie Ginger. Ich habe im Store Schulden.«
Er hat indes seine vielen Dinge in die Tasche gepackt, nimmt diese und geht unbeholfen zur Tür. Ja, er erinnert an einen Seehund. Als Buck einmal im Osten war, sah er solch ein Tier sogar lebend in einer Tierschau. Es wurde als »Meerweibchen« zur Schau gestellt. Aber da er einige Schulbildung besaß, wusste er, dass es ein Seehund war.
Auch Vance Younger hatte das Zimmer verlassen, um schmutziges Wasser, all die Wattetupfer und sonstigen Dinge in die Abfallgrube hinter dem Hotel zu bringen.
Das Mädchen und der Mann betrachten sich über das Bett hinweg im Lampenschein.
»Es steckt mehr dahinter«, sagt Ginger Lane. Sie hat ihr Haar hochgesteckt. Es leuchtet im Lampenlicht so gelb wie Messing, und ihre Augen sind nun fast grün. Sie steht stolz und mit erhobenem Kopf da und blickt Buck Masters gerade an, sehr frei, fest und gerade.
»Ich kenne Nina gut«, spricht sie weiter. »Bill war nicht der Mann, mit dem sie durchgebrannt wäre, würde sie damit nicht ganz besondere Pläne verfolgt haben. Bill war für sie nur ein lustiger Bursche, mit dem man lacht und vergnügt ist und von dem man sich vielleicht einmal küssen lässt – mehr nicht. Buck, ich habe Angst. Was bedeutet das alles? Nina ist...«
»Ich möchte nicht über Nina Lee sprechen«, unterbricht er sie.
Sie schluckt, nickt und tritt ans Fenster. Sie blickt auf die Straße nieder und sieht den Doc in den Saloon gehen. Viele Bürger und auch die Fremden folgen ihm. Sicherlich will man hören, wie es Bill Masters geht und wie sein großer Bruder zu dieser Sache steht.
Besonders die letzte Frage möchten viele Leute beantwortet haben. Denn Buck Masters ist nicht irgendwer. Buck Masters ist einer jener drei oder vier Männer, die durch ihre Taten die Dinge in diesem Lande beeinflussen können.
Für Buck Masters könnte es jetzt einen Grund geben, eine alte Fehde wieder neu aufleben zu lassen.
Und dann würde es in diesem Lande wieder Parteien geben. Es gäbe jede Art von Verdruss, und es würde wieder Blut vergossen werden. Es würde sicherlich auch wieder Tote geben.