G. F. Unger Sonder-Edition 242 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger Sonder-Edition 242 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Obwohl gnadenloser Krieg herrschte zwischen dem Roten Mann und den Weißen, blieben die Nez Percé weiter meine Freunde. Chief Joseph gab mir sogar seine schöne Schwester zur Frau. Aber er verlangte von mir, dass ich Mondfrau ins Tal des Großen Geheimnisses begleitete, wo sie das uralte Heiligtum ihres Volkes zu hüten hatte.
Als ich in Josephs Bedingung einwilligte, ahnte ich nicht, dass ich eine nahezu unlösbare Aufgabe übernahm. Und ich ahnte erst recht nicht, dass ich schon bald Zeuge des Untergangs eines heldenhaften Indianervolkes werden sollte, dessen einziges Verbrechen es war, nicht auf seine angestammte Heimat und sein gottverbrieftes Recht auf Freiheit verzichten zu wollen...


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Seitenzahl: 182

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Bis in den Tod

Vorschau

Impressum

Bis in den Tod

Es war schon ziemlich später Herbst, als ich das Wallowa Valley der Nez Percé erreichte. Ich wusste zwar, dass zwischen den Nez Percé und den USA der Kriegszustand herrschte, aber ich war da völlig neutral. Und gewissermaßen gehörte ich in dieses Land wie die Nez Percé selbst. Ich war hier geboren. Das Land war meine Heimat. So fühlte ich mich weder als Weißer noch als Indianer, aber dennoch als Einheimischer. Ich war neutral.

Und so glaubte ich, dass ich auch dieses Jahr wieder in meine Jagdgründe in den Bitter Root Mountains ziehen konnte. Schließlich hatte ich viele Freunde bei den Nez Percé, angefangen von ihrem großen Häuptling Joseph bis zu zahlreichen Kriegern, Alten und Kindern. Ich war stets ein gerngesehener Gast in ihren Dörfern im Wallowa Valley. Also ritt ich mit meinen beiden Packtieren ins weite und wunderschöne Tal hinein und machte mir keine besonderen Sorgen.

Übrigens, der Name Nez Percé bedeutete so viel wie »Durchbohrte Nasen« und wurde damals von den kanadischen Pelztierjägern erfunden, weil diese auf einige Indianer trafen, welche sich ihre durchbohrten Nasen mit Muscheln geschmückt hatten.

Es waren aber nur wenige Indianer mit diesem Schmuck. Dennoch nannten die Kanadier sie »Pierced Noses«. In Wirklichkeit nannten sich die Nez Percé Nimipu und gehörten zur indianischen Gruppe der Sahaptin, was ihre Sprache betraf. Und diese Sprache war auch mir geläufig wie das Englisch, welches mir meine Eltern neben der französischen Sprache beibrachten.

Wenn es also um Sprachen ging, war ich ein ziemlich gebildeter Trapper.

Nun, ich ritt also ziemlich sorglos ins Wallowa Valley hinein und wusste auch, wo ich für die Nacht mein Camp aufschlagen würde.

Es gab da einen wunderschönen Creek mit prächtigen Forellen darin. Und ich freute mich schon auf meine Abendmahlzeit.

Doch dazu kam es nicht mehr. Wie so oft im Leben veränderten sich die Dinge und kam alles völlig anders, als ich es mir vorgestellt hatte.

Als ich die Kriegerschar vor mir auftauchen sah, machte ich mir allerdings noch keine Sorgen. Denn es waren ja Nez Percé, und diese waren meine Freunde. So glaubte ich.

Auch dass Gelbwolf die Schar anführte, beunruhigte mich nicht sehr, obwohl Gelbwolf noch niemals mein Freund gewesen war. Wir mochten uns nicht. Das ist nun mal so unter Männern. Es gab da einige Missstimmungen zwischen uns. Er hielt sich für einen besonders großartigen Krieger, aber ich hatte ihn schon einige Male bei Reiter- und Schießwettbewerben besiegt. Und einen besonders wilden Hengst, den er nicht zureiten und zähmen konnte, hatte ich schaffen können.

Er war also nicht mein Freund und lauerte stets bei meinen Besuchen darauf, mich irgendwie schlecht aussehen zu lassen.

Er kam auf einem wunderschönen Appaloosa angeritten, ein halbes Dutzend sehr junge Krieger hinter sich, für die er gewiss das große Vorbild war.

Als er dann den Appaloosa vor mir zügelte, grinste er mich an und sagte: »Hast du noch nicht gehört, Gelbbart, dass jetzt Krieg ist zwischen euch Weißen und den Nimipu? Oder bist du gar kein Weißer, sondern ein Nimipu? Sag es mir!«

Es war eine verdammte Frage.

Natürlich war ich ein Weißer. Und genau das wollte er aus meinem Mund hören.

Aber ich sagte: »Gelbwolf, du weißt ganz genau, dass wir beide Söhne dieses Landes sind. Was kommt es da auf die Hautfarbe an? Sag es mir, Gelbwolf.«

Er schüttelte heftig seinen Kopf.

Dann sprach er: »Gelbbart, du warst schon immer ein großer Lügner. Du kannst kein Sohn dieses Landes sein. Denn dessen Söhne haben eine rote Hautfarbe. Du bist ein Weißer. Und als Big Chief Joseph mit der Kriegsmacht der Nimipu in den Krieg ritt, um die Blaubäuche zu vernichten, da gab er mir den Befehl, keinen Weißen in Wallowa Valley zu dulden. Er gab mir den Befehl, jeden Weißen zu töten. Und du bist ein Weißer.«

Als er hart verstummte, da wusste ich endlich, wie sehr sich mit einem Mal die Welt hier verändert hatte.

Alles war anders geworden, ganz und gar anders.

Ich begriff von einer Sekunde zur anderen, dass ich um mein Leben kämpfen musste.

»Tötet ihn!«, rief er. Und er war der Anführer der jungen Krieger. Solchen Anführern gehorchten sie aufs Wort.

Ich brachte meinen Revolver ziemlich schnell heraus und schoss zuerst Gelbwolf von seinem wunderschönen Appaloosa.

Und weil ich gar keine andere Wahl hatte, schoss ich weiter.

O ja, ich traf mit jedem Schuss. Das war nicht schwer, denn die jungen Krieger ritten gegen mich an. Sie ritten in mein heißes Blei, bevor sie mir nahe genug waren, um mich mit ihren Kriegsäxten oder Messern erledigen zu können.

Aber mein Revolver hatte nur sechs Kugeln in der Trommel. Und nicht mit jedem Schuss traf ich das volle Leben.

Ich bekam was gegen den Kopf und fiel in bodenlose Tiefen.

Es ist aus mit mir, war mein letzter Gedanke.

Irgendwann begann ich zu begreifen, dass ich nicht tot sein konnte. Denn Tote spüren keine Schmerzen mehr. Tote sind erlöst von jeder Pein.

Aber nachdem ich dies mit dumpfen, sich langsam wie Schnecken bewegenden Gedanken begriffen hatte, fiel ich wieder in bodenlose Tiefen.

Es kam aber irgendwann der Tag, da ich etwas sah.

Es befand sich genau über meinem Gesicht, aber es war nicht klar zu erkennen. Es war sehr verschwommen. Hände arbeiteten an mir, taten irgendwelche Arbeit. Es waren leichte, vorsichtige Hände. Und dann wusch mir jemand mein Gesicht.

Und plötzlich konnte ich richtig klar sehen.

Das Gesicht kannte ich.

Es gehörte der wunderschönen Mondfrau, die auch den Namen »Die-das-Geheimnis-kennt« trug. Und einst ließ ihr Vater »Tu-eka-kas« sie – wie sich selbst auch – von den Missionaren zum Christentum bekehren. Da erhielt sie einfach den Namen Mary.

Und so flüsterte ich nach dem dritten Versuch einigermaßen verständlich: »Mary, bist du das?«

Sie lächelte ernst auf mich nieder.

»Ich bin es, Gelbbart, ja, ich bin es wirklich. Du lebst, doch du bist der Gefangene der Nez Percé, die sich, wie du weißt, selbst Nimipu nennen. Vielleicht wirst du sterben, wenn Big Chief Joseph heimgekehrt ist.«

Sie verstummte ernst.

Ich aber erinnerte mich wieder stärker an sie und unsere Begegnungen während der vergangenen Jahre.

Sie war einige Jahre jünger als ich. Schon als junges Mädchen hatte ich sie gekannt. Denn sie war mir stets aufgefallen wegen ihrer Schönheit.

Schon von Geburt an war sie für eine besondere Aufgabe bestimmt worden, nämlich zur Nachfolgerin der Mondfrau. Und die Mondfrau der Nimipu war stets die Bewahrerin des »Großen Geheimnis« der Nimipu. Und so trug sie nicht nur den Namen Mondfrau, der sich stets vererbte, sondern wurde auch noch »Die-das-Geheimnis-kennt« genannt.

Ich wusste das. Als Tu-eka-kas' Tochter war sie die Schwester von Big Chief Joseph und dessen jüngeren Bruder Alokut.

Der große Häuptling Tu-eka-kas, ihr Vater, aber war seit einem Jahr tot. Ich hatte davon gehört. In diesem Frühjahr. Man schrieb das Jahr 1872, und so war sein ältester Sohn Joseph, dessen Name auch »Hin-mut-too-yah-lat-kekht« war, was so viel wie »Rollender-Donner-in-den-Bergen« hieß, sein Nachfolger geworden.

Man konnte sagen, dass Mondfrau so etwas wie eine Medizinfrau oder eine Heilige Frau der Nimipu oder Nez Percé war, so jung sie auch sein mochte. Denn ihre Vorgängerin war gestorben.

Dies alles ging mir noch mal durch den Kopf, indes ich ihr Gesicht über mir sah und ihre sanften Hände spürte.

Ich hatte sie Mary genannt, denn so war sie getauft worden.

Auch ihr Vater hatte sich damals von den Missionaren taufen lassen, ebenso seine Söhne. Doch inzwischen hatten sie den christlichen Glauben längst wieder verlassen und waren zum Glauben ihrer Vorväter zurückgekehrt.

Jetzt führten sie Krieg.

Ich hörte Mondfrau ruhig sagen: »Ich bin nicht mehr jene Mary, die du als sehr junges Mädchen kanntest, Gelbbart. Ich übernahm jetzt den Namen meiner Vorgängerin und trat an ihre Stelle. Ich bin die Mondfrau der Nimipu.«

Ich schloss die Augen und versuchte nachzudenken und mich an den Kampf zu erinnern. Dann fragte ich: »Sind sie alle tot?«

Dabei öffnete ich meine Augen wieder und sah empor zu ihrem schönen Gesicht über mir.

»Es muss ein schrecklicher Kampf gewesen sein«, flüsterte sie auf mich nieder. »Aber es gab keinen einzigen Toten. Sie alle wurden nur verwundet von deinen Kugeln. Und als deine Waffe leergeschossen war, hast du den siebenten Krieger mit der Faust vom Pferd gefegt wie mit einer Keule. Doch dann konntest du nicht mehr kämpfen. Du wurdest siebenmal verwundet. Ja, du hast sieben Wunden. Es ist ein Wunder, dass du noch lebst.«

Ich dachte eine Weile nach. Dann fragte ich grimmig: »Und jetzt werde ich von dir gepflegt, Mary, um nach Big Chief Josephs Heimkehr getötet zu werden? Was für ein Widersinn ist das? Oder nicht?«

Sie gab mir keine Antwort, aber ich sah, wie sich ihre langen Wimpern über ihre grünen Augen senkten.

Ich verspürte nun auch wieder eine Schwäche und versank abermals in dunkle Tiefen.

Die Tage und Nächte vergingen im Tipi der Nez Percé. Ich verlor jedes Gefühl für Zeit und war gewiss mehrmals an jener Grenze zum Jenseits, aus dem es keine Rückkehr mehr gibt.

Doch es war dann immer jemand bei mir, der mich daran hinderte, diese Grenze zum Schattenreich zu überschreiten.

Irgendwann endlich war ich wieder wach und bei Verstand.

Mondfrau flößte mir eine Suppe ein.

Sie lächelte und sagte: »Du hast den Tod besiegt, Gelbbart.«

»Mein Name ist nicht Gelbbart«, grollte ich heiser. »Mein Name ist Oven McCloud. So hieß auch mein Vater, der mit deinen Vorfahren hier schon Handel trieb, als es uns beide noch nicht gab. Ich mag ja einen gelben Bart und gelbes Kopfhaar haben, aber mein Name ist Oven McCloud. Hast du das vergessen, Mary?«

»Ich heiße nicht mehr Mary!«

Sie sprach ebenso trotzig wie ich.

Dreimal am Tag brachte sie mir das Essen. Es war zumeist ein sehr köstliches Essen, zum Beispiel Beerenpfannkuchen, gerösteter Salm, Bratfleisch, Früchte jeder Art.

Ich war klapperdürr geworden, schwach und immerzu müde. Aber sie päppelte mich geduldig auf. Jeden Tag machte ich Fortschritte.

Und immer wieder unterhielten wir uns über vielerlei Dinge.

Wir hatten uns ja eigentlich schon immer gemocht, selbst damals schon, als wir uns bei meinen Besuchen im Hauptdorf nur über die Entfernung hinweg nur ansahen. Ja, wir hatten Blicke getauscht.

Jetzt waren wir uns immer wieder sehr nahe. Ich spürte ihre Ausstrahlung. Mary war für mich ein ganz besonderes Wesen. Manchmal verspürte ich Bitterkeit. Und einmal äußerte ich diese Bitterkeit mit den Worten: »Warum machst du dir so viel Mühe mit mir, Mary, wenn ich am Ende doch getötet werden soll?«

Sie schwieg eine Weile, verharrte hockend mit geschlossenen Augen neben mir. Ich konnte ihr ansehen, wie sehr sie nachdachte und sich mit ihren Gedanken tief in sich hineinversenkte.

Dann aber murmelte sie: »Zwei der sieben Krieger sind gestorben. Ich konnte ihre Leben nicht retten. Du hast im Kampf zwei Nez Percé getötet, Gelbbart. Es gibt niemanden im ganzen Dorf, der dir das vergeben kann. Unsere Krieger kämpfen gegen eine Übermacht von Soldaten. Es ist ziemlich sicher, dass die Weißen uns letztlich vernichten werden. Und du bist ein Weißer. In diesem Dorf hier gibt es schon viele Witwen, Waisen – und auch Alte, für die kein Sohn mehr sorgen kann. Es herrscht Bitterkeit, welche sich immer mehr zum Hass steigert. Gelbbart, ich werde dein Leben nicht retten können, obwohl ich Big Chief Josephs Schwester bin.«

Sie verstummte ernst.

Dann sahen wir uns eine Weile wortlos an, und ich spürte mit meinem Instinkt, dass etwas zwischen uns entstanden war. Ich wusste, dass auch sie alles spürte. Ich erkannte es in ihrem Blick.

Sie hob die Hand und wischte sich damit über ihr so wunderschönes, rassiges und ausdrucksvolles Gesicht.

Die Nez Percé waren zumeist sehr ansehnliche Erscheinungen. Sie gehörten zu den bestaussehenden Indianern überhaupt. Besonders ihre Mädchen und Frauen waren durchweg eine Augenweide und hätten jeden Schönheitswettstreit mit den Schönen der Sioux, Cheyenne und Arapahoes gewinnen können.

Mary aber war die schönste Nez Percé. Davon war ich überzeugt.

Ich sah ihr an, dass es ihr mehr und mehr Kummer bereitete, mich gewissermaßen gesundzupflegen für den Tod.

Um etwas zu sagen und unser Schweigen zu brechen, fragte ich ziemlich unüberlegt: »Was ist das für ein Geheimnis, welches nur du allein kennst und bewahren sollst für eine Nachfolgerin? Was bedeutet dieses Geheimnis für die Nez Percé?«

Sie sah mich fast erschrocken an. Ihre grünen Augen waren nun weit offen.

Dann wischte sie sich über das Gewicht. Ich aber sprach weiter: »Wenn ich ja ohnehin getötet werden soll hier in diesem Dorf, dann könnte ich ja dieses Geheimnis niemandem verraten.«

Sie schüttelte den Kopf.

Dann flüsterte sie: »Nur ich kenne das Geheimnis der Nimipu – nur ich. Und ich übernahm es von meiner Vorgängerin, so wie diese von ihrer. Diese Kette reicht bis in die graue Vorzeit zurück. Und das Geheimnis wird eines Tages vielleicht die letzte Rettung der Nimipu sein. So sagt es die Prophezeiung der allerersten Mondfrau unseres Volkes. Ja, dieses Geheimnis könnte eines Tages die letzte Rettung der Nimipu sein. Doch wenn es kein Geheimnis mehr ist, dann wird unser Volk auseinanderbrechen. Und nun frage mich nicht mehr, Gelbbart.«

»Warum nennst du mich nicht Oven? Du kannst meine Sprache sprechen. Die Missionare brachten sie dir bei. Warum also nennst du mich nicht mit meinem richtigen Namen?«

Sie lächelte. Dann griff sie mir doch tatsächlich in meinen gelben Vollbart.

»Ich werde ihn dir abrasieren«, sprach sie. »Dann bist du kein Gelbbart mehr. Ja, ich will sehen, was sich unter diesem Bart für ein Gesicht verbirgt.«

Sie verließ mich und kam nach einer Weile mit einem scharfen Messer zurück. Auch einige andere Utensilien hatte sie mitgebracht und machte sich an die Arbeit.

Ja, sie rasierte mein noch so hohlwangiges Gesicht, in welchem die tiefen Linien nun gewiss noch tiefer wurden.

Irgendwann war sie dann fertig mit ihrem Werk, hielt inne und betrachtete mich eine Weile wortlos.

»Nun, wie gefalle ich dir jetzt?«, fragte ich mit einem deutlichen Klang von Sarkasmus in meiner Stimme.

Sie erhob sich wortlos und verschwand aus dem Tipi. Und so war ich wieder allein. Ich versuchte mich zu erheben und schaffte es auch, mich auf die Füße zu stellen.

Doch dann drehte sich alles mit mir. Ich fiel um und kam erst nach einer Weile wieder zu mir. Dann blieb ich still liegen und begann über meine Situation nachzudenken.

Ich hörte den Lärm des Dorfes wie immer. Da draußen spielten Kinder, balgten sich Hunde. Stimmen riefen dies und jenes. Und auch Pferde schnaubten oder wieherten.

In einem benachbarten Tipi rief die scharfe Stimme einer Squaw: »Erstgeborener, du hast immer noch nicht genug Holz für den langen Winter gesammelt! Muss ich dir erst die Ohren langziehen, bis du deine Pflichten erledigst? Dein Vater ist ein großer und starker Krieger, der mit Big Chief Joseph gegen die Soldaten kämpft. Und deine Pflicht ist hier. Vorwärts, vorwärts!«

Ich grinste. Diese Frau hatte ihren kleinen Sohn Erstgeborenen genannt. Also war er noch so klein, dass er keinen Namen besaß, weil er noch nicht die heilige Probe der Namensgebung abgelegt hatte.

Er würde sich nun gewiss anstrengen.

Ja, es war kalt geworden. Der Winter kam mit Riesenschritten von Norden her ins Land der Nez Percé. Würde man es auf einer Landkarte suchen, so müsste man es dort tun, wo sich Idaho, Oregon und Washington vereinigten, also im äußersten Nordwesten der Vereinigten Staaten.

Die Grenze von Kanada war nicht weit.

Ich spürte die Kälte in meinem Tipi. Es war ein sogenanntes Gasttipi, welches nun gewissermaßen eine Gefangenenzelle wurde.

Wie lange würde ich noch leben?

Wann kam Big Chief Joseph von seinem Feldzug gegen die Soldaten zurück?

Das waren meine ständig wiederkehrenden Fragen.

Joseph und ich, wir kannten uns. Einige Jahre gingen wir als Knaben zusammen auf die Missionsschule. Für mich war er einer der größten und fähigsten Häuptlinge, die ich kannte, größer und fähiger noch als sein Vater Tu-eka-kas. Er war zumindest gleichzusetzen mit Red Cloud, Crazy Horse, Two Moons, Dull Knife, Sitting Bull und anderen roten Führern und Staatsmännern der Indianergeschichte.

Erst vor einem Jahr war er an die Stelle seines großen und von allen Stämmen verehrten Vaters Tu-eka-kas getreten und hatte Großes vollbracht, nämlich den Freiheitskampf seines Volkes begonnen und der Armee trotz deren mehr als zehnfachen Überlegenheit Niederlagen zugefügt.

Und nun würde der Winter kommen. Die Armee musste ihren Feldzug beenden. Es gab für die Nez Percé eine Atempause.

Und vielleicht würde die Regierung der Vereinigten Staaten nun einsehen, dass es besser wäre, im Frühjahr neue Verhandlungen zu beginnen und den Nez Percé bessere Bedingungen zu stellen.

Ich hatte also großen Respekt vor Joseph. Ich achtete ihn.

Dennoch würde er wahrscheinlich den Befehl geben, mich zu töten.

Denn ich war ein Weißer. Und ich hatte mit sieben seiner Krieger gekämpft, sie alle verwundet und zwei von ihnen starben an ihren Verwundungen.

Es war Krieg. Ich war ein Weißer. Und ich hatte Nez Percé getötet.

Was konnte mich noch retten?

Eigentlich nichts, gar nichts.

Die Tage vergingen – auch die Nächte. Inzwischen konnte ich mich einigermaßen auf den Beinen halten. Und so schlich ich im Dorf umher wie ein gichtkranker Greis, musste mich auf einen Knüppel stützen. Zwei junge Krieger bewachten mich ständig.

Zuerst knurrten mich die Hunde des Dorfes an, aber als ich einigen meinen Knüppel auf die Nasen schlug, respektierten sie mich.

Und dann traf ich eines Tages auf Gelbwolf.

Auch er hatte sich wie ich von seinen Wunden erholt. Er trat mir gegenüber und starrte mich mit glitzernden Augen an.

»Du bist tela nun vela«, zischte er. Ich wusste, was dieser Ausspruch bedeutete. Auch die Sioux drüben in Montana und Wyoming benutzten diesen Spruch, wenn jemand schon so gut wie tot war. Denn »tela nun vela« bedeutete: tot, obwohl noch am Leben.

Ich starrte ebenfalls in seine Augen, so wie er in meine, und erwiderte: »Du kannst niemals gegen mich gewinnen, Gelbwolf. Immer musst du dir von anderen helfen lassen.«

Einen Moment lang sah es so aus, als wollte er sich trotz seiner schlechten Verfassung auf mich stürzen.

Doch dann zischte er: »Ich bekomme noch deinen gelben Skalp!« Und damit ging er an mir vorbei.

Ich sah mich um. Wir waren von allen Seiten beobachtet worden. Das Leben und Treiben hier auf dem Dorfplatz war in ein bewegungsloses Verharren übergegangen. Nun jedoch löste sich alles wieder.

Ich wanderte weiter, so gut ich es mit meinem Knüppel konnte.

Es war ein schöner Tag, zwar kalt, aber klar. Man konnte in die weite Runde des Wallowa Valley sehen.

Ich wandere noch eine Viertelmeile und erreichte den lieblichen Wallowa Lake, in welchen sich der Lapwai Creek ergoss.

Hier setzte ich mich auf einen großen Stein und ließ mich von der jetzt kalten Sonne bescheinen. Sie wärmte nicht mehr viel. Der Winter war schon ganz nahe.

Was würde sein, wenn Big Chief Joseph von seinem Feldzug heimkehrte?

Diese Frage wurde in mir immer drängender.

Natürlich dachte ich an Flucht. Doch ich wurde ständig bewacht. Zwei junge Krieger waren auch jetzt in meiner Nähe und ließen mich nicht aus den Augen.

Sie wären jedoch für mich kein Hindernis gewesen, hätte ich flüchten können. Doch ich konnte es nicht. Ich war noch zu schwach. Meine sieben Wunden hatten sich zwar geschlossen und vernarbten mehr und mehr, aber ich hatte eine Menge Blut verloren und dazu noch eine Blutvergiftung bekommen, die mich schwächte. Mein Körper brauchte noch zwei bis drei Wochen, um sich zu regenerieren.

Ich war noch schwach und krank. Und eigentlich war es ein Wunder, dass ich überhaupt noch lebte.

Gegen Gelbwolf und sechs junge Krieger – die Wächter des Wallowa Valley – hatte ich gekämpft, und es hatte keine Sieger gegeben. Aber angesichts der Überzahl musste man wohl mich als Sieger ansehen.

Dieser Meinung waren gewiss auch die Einwohner des Dorfes.

Und so hörte ich sie manchmal hinter meinem Rücken flüstern: »Das ist Gelbbart, der große Krieger. Er hat mit Gelbwolf und sechs Nez Percé gekämpft und ist dennoch am Leben geblieben.«

Ja, so ähnlich hörte ich sie manchmal flüstern, und ich wusste, ich würde in die Geschichte des Volkes der Nimipu eingehen als der weiße Krieger, der mit sieben Nez Percé kämpfte, siebenmal verwundet wurde und dennoch am Leben blieb.

Die Nez Percé waren stolz und deshalb fair. Denn Fairness gehört nun mal zum Stolz eines Volkes.

Hoffentlich wurden die Nez Percé eines Tages nicht so wie die Weißen, die ja in ihrem ständigen Streben nach Reichtum und Macht jedes Mittel benutzten, um ihre Ziele zu erreichen. Und immer dann, wenn auch noch die Politik ins Spiel kommt oder gar eine Glaubensüberzeugung, wird es besonders schlimm.

So viel hatte ich inzwischen schon begriffen, obwohl ich doch eigentlich nur ein einfacher Trapper und Gebirgsläufer war.

Die Sonne begann im Westen hinter den Blue Mountains zu sinken. Es wurde sofort noch einige Grad kälter. Ich erhob mich vom Stein, um zurück ins Dorf und dort in mein Tipi zu gehen. Denn bald gab es Abendbrot. Mary würde es mir bringen. Ich hatte seit einigen Tagen ständig Hunger. Mein Körper lechzte nach Säften, und das war ein gutes Zeichen. Ja, ich würde bald wieder gesund sein und mein altes Gewicht wiedererlangen.

Ich wollte gehen und warf noch einen Blick auf meine beiden Begleiter, die nur einen halben Steinwurf weit von mir verharrten. Auch sie freuten sich gewiss schon auf das Abendessen. Sie besaßen wahrscheinlich noch keine Squaws, dafür aber Mütter. Und ihre Väter waren sicherlich mit Big Chief Joseph in den Krieg geritten.

Im ganzen Dorf fragte man sich in diesen Tagen und Nächten, wie viele Krieger wohl heimkommen würden – und wie viele nicht.

Nun, ich wollte also zurück.

Doch dann verhielt ich. Denn über einen langen, flachen Hügelrücken, der das Wallowa Valley mit einer Länge von etwa drei Meilen von Ost nach West durchzog, kamen von Norden her Reiter geritten.

Im letzten Licht des sterbenden Tages erkannte ich Big Chief Joseph. Ja, da kam er von seinem Feldzug gegen die Langmesser zurück.

Und die große Frage war für mich: Kehrte er als Sieger oder als Verlierer heim in sein großes Hauptdorf?