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Eine eiskalte Faust krampfte sich um mein Herz, als der Marshal den Sargdeckel zur Seite schob. Der Mann im Sarg war mein alter Freund Ollie Jackson. Und er sah schrecklich aus.
"Das ist nun schon der Dritte", sagte der Marshal und deutete zu dem starken Ast des Galgenbaums hoch, an dem drei leere Schlingen baumelten. "Und alle drei müssen vorher mit den Armen in eine Wolfsfalle geraten sein. Denn alle hatten zerschmetterte Arme, bevor sie gehängt wurden."
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Seitenzahl: 194
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Hinterhalt am Aspen Creek
Vorschau
Impressum
Hinterhalt am Aspen Creek
Es war an einem späten Nachmittag, als wir den Goldtransport überfielen und die Begleitmannschaft kleinmachten. Aber wir waren keine Banditen, o nein! Dies wären wir nur gewesen, wenn kein Krieg unser Tun legitimiert hätte. Doch im Krieg durfte man töten und wurde dafür auch noch belobigt und mit Auszeichnungen oder Beförderungen bedacht und als leuchtendes Beispiel hingestellt. Der Krieg hat seine eigene Moral.
Nun, der Goldtransport gehörte Anhängern der Union. Die Begleitmannschaft bestand aus Yankees. Wir aber waren Konföderierte, Freiwillige, die man für diese Sache unter Hunderten herausgesucht hatte. Wir waren sozusagen die »Auslese«, aber die Maßstäbe, nach denen man uns ausgesucht hatte, waren nicht die, welche im Frieden galten.
Es kam bei uns darauf an, wer am besten reiten und schießen konnte, wer am verwegensten und am zähesten galt. Nur allein diese Eigenschaften zählten.
Deshalb waren wir ein ziemlich wildes und hartgesottenes Rudel.
Die Yanks wehrten sich tapfer. Aber das war ja auch zu erwarten. Denn auch die Yanks hatten für diese Sache nur ganz haarige Burschen ausgewählt, welche von unserer Sorte, die schon oft genug dem Teufel ins Maul spuckten.
Nun, ich will hier nicht die Einzelheiten des Kampfes schildern.
Wir gewannen die Sache. Aber wir waren zuletzt nur noch sieben Mann.
Von den Yanks lebte keiner mehr.
Wir hatten das Gold – und das war eine ganze Menge. Für dieses Gold hätten die Yanks eine ganze Menge Soldaten bewaffnen und ausrüsten können. Eine kleine Armee wäre dadurch schlagkräftiger geworden und hätte viele Gegner getötet.
Sah man es so, durfte man die Toten unseres Überfalles auf den Goldtransport vielleicht nicht so zählen. Denn jeder Tote rettete gewissermaßen Hunderten von Soldaten das Leben.
Man sieht, lieber Leser meiner Geschichte, die Dinge ließen sich oft von mehreren Seiten betrachten. Und wenn man wollte, fand man immer eine Entschuldigung für sein Tun und konnte sich somit entlasten.
Wir sieben Überlebenden waren ebenfalls alle mehr oder weniger blessiert, also verwundet vom Kampf mit den Yanks. Denn als wir alle unsere Waffen leergeschossen hatten, gingen wir mit unseren Kavalleriesäbeln aufeinander los. Ich selbst bekam einen Hieb über Ohr und Wange und blutete schlimm.
Übrigens, mein Name ist Chuck Daniels.
Und die Namen der anderen sechs Hombres, die damals auf meiner Seite mit dabei waren, wird der Leser meiner Geschichte schon noch nach und nach erfahren.
Unser Captain, der dieses Kommando führte, war gleich am Anfang schon gefallen. Eine der ersten Kugeln traf ihn. Aber das geschah wohl ganz zwangsläufig, denn er war uns beim Angriff ja auch immer zwei oder drei Pferdesprünge voraus. Er musste ja die ersten Kugeln gewissermaßen auf sich ziehen.
Auch unser Leutnant fiel schon, bevor wir richtig an unsere Gegner herangekommen waren.
Und wir sieben Überlebende waren alle Sergeanten.
Darüber darf man sich nicht wundern, denn in unserer Konföderierten-Armee wurden nun mal nur die besten Kerle Sergeant. Und als man die besten Reiter für diesen Auftrag aussuchte, so wählte man fast nur Sergeanten und Korporale.
Ich war der jüngste Sergeant, denn ich war es erst vor wenigen Wochen geworden. Also hatte ich gegen die älteren Kameraden nicht viel zu sagen.
Master-Sergeant Johnes Madden übernahm das Kommando.
Heiser sagte er: »Zuerst müssen wir erst mal von hier weg, nichts als weg. Jungens, ich gebe euch zehn Minuten, eure Wunden zu versorgen. Dann geht es weiter. Wir müssen weg hier.«
Gegen diesen Befehl gab es nichts zu sagen. Also kümmerten wir uns um unsere Wunden. Für unsere Toten hatten wir keine Zeit – auch nicht für die toten Reiter der Union. Unsere Schüsse und der Lärm des Kampfes konnten gehört worden sein. Oder es gab vielleicht eine Nachhut – oder echte Banditen waren hinter dem Goldtransport her, Guerillas, die das Gold für sich behalten würden.
Wir mussten also das Weite suchen.
Bill Clayborne und Ollie Jackson kamen zu mir. Bill Clayborne hatte ein breites Pflaster in den Händen.
»Nimm mal das Handtuch von deinem Kopf weg«, sagte er. »Ollie wird die Wunde zusammendrücken, indes ich das Pflaster draufklebe. Denn nähen können wir nicht. Vielleicht wird das Pflaster deine Wundränder zusammenhalten. Verstehst du?«
O ja, ich verstand. Ich wusste auch, dass ich mein ganzes Leben lang mit einer hässlichen Säbelnarbe würde herumlaufen müssen. Aber je dichter das Pflaster die Wundränder zusammenhielt, umso schmaler würde die Narbe werden.
Ich ließ mir von Bill und Ollie helfen, und ich stöhnte dabei. Sie wischten mir noch einigermaßen das Blut ab.
Dann tönte auch schon Johnes Maddens Stimme über den Kampfplatz: »Los, aufsitzen! Jeder von euch übernimmt zwei der Packtiere! Also los, ihr Heldenväter, es geht weiter!«
In seiner heiseren Stimme war Triumph und Bitterkeit zugleich. Wir hatten zu viele Verluste, und jeder von uns hatte mehrere Gegner getötet, denn diese waren in der Überzahl, allerdings aber auch über die gesamte Länge des Packtierzuges verteilt.
Zwölf Maultiere trugen je hundert Kilo Gold. Das waren zwölfhundert Kilo Gold.
Wir schätzten den Wert auf etwa eine Million Dollar in Gold, aber es konnte auch mehr sein. Wir kannten die Goldpreise nicht so genau, wussten aber, dass man über den Daumen gepeilt etwa einen Dollar für ein Gramm bekommen konnte, brachte man als Goldsucher seine Ausbeute zu einer Bank oder Wechselstelle.
Für uns war es eine unvorstellbare Menge Gold.
Es hatte schon einen weiten Weg hinter sich, denn es kam aus Mexiko herüber. Dort hatten einige reiche Minenbesitzer es für die Konföderation gespendet.
Warum? Nun, sie waren Sklavenhalter und unterstützten die Südstaaten.
Oha, Leute, das war leicht zu verstehen. Denn die Staaten der Konföderation waren ja ebenfalls Sklavenhalter, und würden sie gegen die Union den Krieg verlieren, dann würde sich auch drüben in Mexiko die Idee der Sklavenbefreiung sehr schnell durchsetzen. Das konnten sich die mexikanischen Sklavenhalter leicht ausrechnen. Deshalb standen sie auf der Seite der Konföderierten.
Sie spendeten uns also Gold. Doch es wurde uns von einem starken Freiwilligen-Kommando der Union wieder abgenommen.
Dieses Kommando hatten nun wir kleingemacht, ihm das Gold wieder abgenommen und es uns damit zurückgeholt. Wenn ich »uns« sage, dann meine ich natürlich die Konföderation damit und nicht uns sieben Überlebende.
So war es also, lieber Leser meiner Geschichte.
Um das Gold war jetzt zum zweiten Male gekämpft worden.
Als wir losritten und ich meine beiden Maultiere übernahm, da fragte ich mich, wie oft wohl noch um dieses Gold gekämpft werden würde?
Denn wir waren noch längst nicht im Trockenen – wir befanden uns sozusagen noch mitten im Fluss und konnten leicht in wilde Strudel geraten.
Wir ritten schnell und trieben auch die Maultiere an.
Wir ritten nach Norden.
Von rechts – also von Osten her – kam nun endlich die Dämmerung.
In der Nacht würden wir unsere Fluchtrichtung ändern.
Und hoffentlich blieb diese Nacht recht lange so dunkel, dass man unsere Fährte für ein paar Stunden nicht verfolgen konnte. Wir wünschten uns das alle.
✰
Als es Tag wurde, hatten wir eine Menge Meilen hinter uns, und es war für einige von uns wahrhaftig eine tolle Leistung, dass sie nicht nur durchhalten und im Sattel bleiben, sondern auch noch je zwei Maultiere führen konnten.
Denn Letzteres wurde immer schwerer, je müder die Maultiere wurden. Wer aber etwas versteht von Maultieren, der weiß auch, dass sie dann, wenn sie nicht wollen, schwieriger zu handhaben sind als störrische oder beleidigte Frauen.
Und dies ist wirklich eine sehr bedeutende Steigerung von Schwierigkeiten.
Wir mussten also anhalten, weil wir selbst und auch die Tiere nicht mehr konnten.
Auch ich wollte absitzen, denn mein Kopf schmerzte. Ich hatte manchmal den Verdacht, dass er vom Säbelhieb gespalten worden war wie eine Melone.
Ich hätte mich also gerne ein wenig langgelegt und meinen Kopf mal ein Weilchen nicht bewegt. Denn ich hatte die Hoffnung, dass es dann mit ihm besser werden würde.
Doch unser dienstältester Sergeant Johnes Madden ließ mich erst gar nicht vom Pferd rutschen. Er sagte: »He, Chuck Daniels, du bist doch nur ein wenig an deinem Kürbis beschädigt worden. Also reite zurück bis zum letzten Hügel hinauf und beobachte von dort aus unsere Fährte. Wenn wir verfolgt werden, so gib uns mit dem Rasierspiegel Blinkzeichen. Dann brauchen wir hier nicht gleich abzuhauen wie gesengte Katzen. Also hau schon ab, du Brazos-Indianer!«
Ich fluchte in Gedanken und schob meinen Fuß wieder in den Steigbügel zurück.
Sie nannten mich manchmal Brazos-Indianer, weil ich vom Brazos River kam und etwas schrägäugig war wie ein Comanche. Vielleicht hatte ich auch eine indianische Groß- oder Urgroßmutter, aber das wusste ich nicht.
Ich ritt also zurück und suchte mir oben auf dem Hügel einen bequemen Platz. Unsere Fährte lag klar vor mir. Es war noch der Morgentau auf der Weide. Sie wirkte jetzt frisch. Unsere Fährte war im Tau deutlich zu erkennen – meilenweit sogar, da der Tag immer heller und die Luft immer trockener und klarer wurde.
Endlich bekam mein Kopf Ruhe. Wenn ich ihn nicht bewegte und meine Augen schloss, beruhigten sich die Schmerzen etwas. Ich öffnete nur dann und wann ein Auge und blinzelte dorthin, von wo wir gekommen waren.
Als die Sonne schon zu heiß geworden war und den Tau längst schon getrocknet hatte, die Hitze schon über allen Dingen flimmerte, da sah ich sie kommen.
Sie trugen keine Uniform, aber an der Art, wie sie in Doppelreihe ritten, erkannte ich, dass es reguläre Soldaten in Zivil waren. Einige trugen auch Säbel. Wenn es keine Yanks in Zivil waren, dann aber gewiss Guerillas der Union. Doch diese wären nicht so diszipliniert in Doppelreihe wie reguläre Kavallerie geritten.
Ich sah, dass ihre Pferde ebenfalls sehr müde waren. Wahrscheinlich waren sie von irgendwoher dem Goldtransport entgegengekommen, um die Begleitmannschaft zu verstärken. Oder sie hatten von uns schon gehört und wollten uns abfangen, bevor wir den Goldtransport erwischen konnten.
Aber wir waren ihnen zuvorgekommen. Nun waren sie hinter uns her.
Nach menschlichem Ermessen würden sie uns auch bekommen.
Ich nahm meinen Rasierspiegel aus der Satteltasche und gab bald darauf Blinkzeichen nach Osten. Ich konnte sehen, dass Sergeant Madden sofort mit den Jungens und dem Gold wieder aufbrach.
Ich folgte ihnen.
Dort, wo sie gelagert hatten, stand noch die Kaffeekanne in der warmen Asche des erloschenen Feuers. Sie hatten den Kaffee für mich zurückgelassen. Ich trank ihn dankbar, denn er war stark genug, um auch einen Toten wieder lebendig werden zu lassen.
Aber essen konnte ich nichts. Jede Kaubewegung schmerzte zu stark. Ich schob mir nur ein Stück trockenes Brot in den Mund und begann es einzuweichen mit meinem Speichel und zu lutschen.
Als ich mich umsah, kamen die Verfolger über den Hügel.
Mein Pferd hatte sich nun einigermaßen erholt, die Pferde der Verfolger aber nicht. Sie würden uns nicht so schnell einholen können – vielleicht morgen erst.
Ich folgte meinen Kameraden, und ich war jetzt ganz froh darüber, dass ich nicht die beiden störrischen Maultiere mitzuzerren hatte an den Leinen.
Ich beeilte mich nicht sehr. Es war erst Mittag, als ich wieder aufschloss und zu Master-Sergeant Madden vorritt.
»Sechsunddreißig Mann«, sagte ich. »Sie tragen Zivil, reiten jedoch wie reguläre Kavallerie. Ich glaube nicht, dass es Guerillas sind. Nicht wenige von ihnen tragen Säbel; es sind also echte Kavalleristen, die sich selbst in Zivil nicht von ihren Schlägern trennen konnten. Die bekommen uns diese Nacht oder morgen. Sie haben nämlich zwei indianische Scouts bei sich.«
Johnes Madden nickte nur. Er fragte nichts mehr. Was ich ihm sagte, genügte ihm vollkommen.
»Dann nimm endlich wieder deine beiden Maultiere«, sagte er aus dem Mundwinkel.
Ich blieb zurück, nahm ein Maultier von Bill Clayton und das zweite von Ollie Jackson.
Sie waren noch am lebendigsten von den anderen. Wade Longley, Irish-Hondo Montena und Pat Stonebaker ging es schlechter als uns. Sie pfiffen sozusagen aus dem letzten Loch. Vielleicht hielten sie noch bis zum Abend durch. Doch dann waren sie erledigt. Blutverlust und Wundfieber würden dann stärker sein.
Ich zerbrach mir den Kopf, wie wir wohl davonkommen könnten mit unserer für die Konföderation so wichtigen Beute. Aber mir fiel nichts ein. Auch den anderen fiel nichts ein. Sonst hätte einer gewiss seinen Einfall schon heiser herausgekrächzt.
Und da ich vorhin all unsere Namen schon mal nannte, will ich sie nochmals wiederholen, damit der Leser sie sich besser merken kann:
Johnes Madden
Bill Clayton
Ollie Jackson
Wade Longley
Irish-Hondo Montena
Pat Stonebaker
Und schließlich Chuck Daniels, meine Wenigkeit.
Wir alle waren Sergeanten und wollten eine Million in Gold für den Süden retten.
Oder wollten wir das nicht?
✰
Nun, wir alle hielten durch bis zum Einbruch der Nacht, und das allein schon war ein Beweis, wie gut man bei der Auswahl unter vielen Freiwilligen die richtigen heraussuchte.
Es gab – was das Durchhalten betraf – keinen Versager bei uns.
Als es Nacht wurde, veränderten wir unsere Richtung.
Nach mühsamen drei Meilen kamen wir über einen Hügelsattel, stießen auf einen schmalen Weg und folgten diesem noch zwei weitere Meilen durch die Hügel.
Als wir dann verhielten, blickten wir über eine Ebene, die sich nach Norden zu senkte. Es war fast ein flaches Becken.
Wir konnten das in der noch recht dunklen Nacht deshalb so gut erkennen, weil es Lichter gab in der Nacht.
Es waren die Lichter einer kleinen Stadt oder größeren Siedlung.
Master-Sergeant Johnes Madden sagte heiser: »Das muss Aspen Creek sein, hört ihr, Aspen Creek!«
Er sagte und fragte es scharf, damit es von uns begriffen wurde. Denn wir alle konnten kaum noch denken. Aber als er es gesagt hatte, drang es dumpf in unsere Hirne ein.
Wir alle hatten uns die Armee-Karte genau eingeprägt. Und jeder von uns wusste nun, da er »Aspen Creek« sagte, wo wir uns befanden.
Das konnte wichtig werden.
Eine Weile schwiegen wir. Nur das Schnaufen unserer erschöpften Tiere war zu hören.
Dann sagte Pat Stonebaker mühsam: »Jungens, ich kann nicht mehr. Vielleicht schaffe ich es noch bis zum Creek – aber dann...«
»Also, dann weiter bis zum Creek«, sagte Johnes Madden und ritt wieder an.
Wir folgten ihm, und wir ritten im Schritt.
Nach zwei Meilen waren wir am Creek. Alle rutschten wir stöhnend aus den Sätteln und taumelten zum Wasser. Oh, tat das gut, sich zu erfrischen und eine Weile liegen zu bleiben. Auch unsere Tiere standen beim Wasser. Wir tranken nebeneinander.
Dann blieben wir liegen.
Ich war wohl der erste von uns, der sich nach einer Stunde etwa aufrichtete und sich umsah.
Die Nacht war etwas heller geworden. Wenn man am Creek entlang talwärts sah, konnte man die Lichter des Ortes immer noch sehen. Es war keine drei Meilen bis dorthin.
Vielleicht gab es dort einen Doc, der uns helfen konnte.
Ja, es wäre prächtig, würden wir unsere Wunden richtig von einem Fachmann versorgen lassen können.
Ich fragte in Richtung zu Madden hin: »He, Johnes, soll ich mal hinüber reiten und nachsehen, ob sie dort einen Doc haben?«
»Nein«, sagte Johnes Madden. »Wir müssen spurlos verschwinden, uns gewissermaßen in Luft auflösen. Versteht ihr?«
Wir dachten über seine Worte nach, und es wurde jedem von uns klar, dass wir kaum noch Chancen hatten, mit dem Gold bis nach Mississippi kommen zu können. Und zumindest bis nach Mississippi mussten wir mit dem Gold, wollten wir es unseren Truppen übergeben. Dort, jenseits des Stromes, gab es noch Truppen von uns.
Wir mussten also noch durch Ost-Texas und Louisiana.
Der Aspen Creek aber floss in den Brazos.
Oh, es war noch ein weiter Weg bis nach Mississippi.
Wir konnten ihn nicht schaffen.
Schon morgen würden uns die Verfolger endgültig einholen, kleinmachen und das Gold in ihren Besitz bringen. Es gab keine Hoffnung. Schon wenn die Nacht in ihrer zweiten Hälfte hell und mit all ihren Sternen und dem Mond strahlend werden sollte, so dass die indianischen Scouts unserer Verfolger die Fährte wieder aufnehmen konnten, ging es uns noch vor Tagesanbruch an den Kragen.
Dies mussten wir nüchtern sehen, und wir durften nicht auf irgendwelche Wunder hoffen.
Wir alle begriffen dies wohl in diesen Minuten, da wir am Creek hockten und noch einmal unsere Wunden pflegten, die Verbände wieder ordneten und unser Fieber mit Wasser kühlten, innen und außen.
Wir würden es nicht schaffen.
Doch wir mussten alles tun, damit das Gold nicht in die Hände der Union fiel.
Und wenn wir es wegwarfen, so war das immer noch besser, als es dem Feind zu überlassen.
Master-Sergeant Johnes Madden entschloss sich plötzlich. Er erhob sich und starrte über den Creek.
Dieser war flach, kaum knietief, etwa einen Steinwurf weit breit. Und in der Mitte gab es eine Insel, auf der ein einziger Baum stand, ein riesiger Bursche.
Man konnte das undeutlich in der Nacht erkennen, mehr ahnen. Doch die Sicht wurde immer besser. Vom heller werdenden Himmel sickerte blasses Licht hernieder. Ja, die Insel mit dem mächtigen Baum trat in ihrer Silhouette immer klarer zum Vorschein.
»Ich geh' mal hinüber«, sagte Johnes Madden und stiefelte durch den Creek.
Wir ließen ihn gewähren. Einige von uns waren ohnehin wieder teilnahmslos geworden. Wade Longley begann sogar zu schnarchen.
Ich zögerte. Dann folgte ich Madden durch den Creek.
Als ich drüben auf der Insel war – es waren ja kaum zwanzig Schritte – fand ich ihn zuerst nicht. Doch ich hörte ihn keuchen und schnaufen.
Wo war er?
Der Baum auf der Insel war eine gewaltige Burr-Eiche, ein Riesending, vielleicht tausend Jahre alt. Die Äste reckten sich wie riesige sich krümmende Schlangenleiber nach allen Seiten. Und die Wurzeln waren nicht weniger gewaltig. Sie hielten die ganze Insel gewissermaßen umklammert wie die gewaltigen Arme eines Riesenkraken. Man konnte unter diesen Luftwurzeln umherkriechen. Wenn der Creek Hochwasser führte, stand dieser alte Riese gewiss bis zum Stamm im Wasser, und unter den Luftwurzeln suchten Fische oder Biber Zuflucht vor der Strömung.
Der Master-Sergeant kam schnaufend herausgekrochen, sah mich, erschrak und griff zur Waffe.
»Schon gut«, sagte ich. Er fluchte erleichtert und grimmig zugleich.
»Warum erschreckst du mich so?« Dies fragte er grollend. Aber er erwartete gar keine Antwort. Er sagte vielmehr: »Wir tragen das Gold zu Fuß durch den Creek und verstecken es möglichst tief unter dem Wurzelwerk dieses Baumes. Dann reiten wir in möglichst viele Richtungen auseinander und versuchen uns dorthin durchzuschlagen, wo wir in Sicherheit unsere Wunden pflegen können. Einige von uns werden gewiss in Gefangenschaft kommen – aber einige vielleicht nicht, und diese treffen sich hier in – na, sagen wir in zwei Monaten. Dann wird Gras über das Verschwinden des Goldes gewachsen sein. Und man wird dann vielleicht hier in dieser Gegend nicht mehr auf uns lauern. So werden wir es machen. Hast du verstanden, Chuck Daniels?«
Ich begriff, warum er mich so eindringlich fragte, ob ich alles verstanden hatte. Er wollte drüben bei unseren Kameraden meine Unterstützung für seinen Plan.
Ich dachte einige Atemzüge lang nach.
Dann nickte ich.
»Ich bin deiner Meinung«, sagte ich. »Aber wir müssen das Gold besonders gut verstecken und alle Spuren erstklassig verwischen – auch die im Creek.«
»Sicher«, sagte er.
Wir gingen zurück. Es war der 9. April 1865.
Warum ich das so genau vermerke? Nun, lieber Leser meiner Geschichte:
An genau diesem Tage wurde der Krieg beendet. Denn an diesem Tage streckte General Lee bei Appomattox in Virginia mit der Hauptarmee der Konföderation die Waffen. Achtundzwanzigtausend Mann ergaben sich.
Wir wussten das natürlich noch nicht. Wir konnten es auch nicht wissen. Dies würde erst nach Wochen hier in Texas jenseits schneller Nachrichtenlinien bekannt werden.
Wir wussten auch eine Menge anderer Dinge nicht. Das war kein Wunder, denn wir waren schon wochenlang auf uns selbst gestellt und warteten auf den Goldtransport, den uns die Unions-Freiwilligen abgenommen hatten, um ihn wieder für die Konföderation zurückzuerobern. Ursprünglich hatten wir unser eigenes Goldtransportkommando nur verstärken sollen.
Wir wussten in dieser Nacht zum 9. April 1865 noch nicht, dass es gar keine Konföderierten-Armee mit versprengten Teilen in Mississippi mehr gab, der wir das Gold hätten abliefern können, nachdem wir es zurückerobern konnten.
Aber irgendwann – und noch vor Ablauf der zwei Monate, die wir uns als Frist setzen wollten – würde es jeder von uns erfahren.
Und er würde sich einbilden, dass das ganze Gold nun gewissermaßen besitzlos war.
✰
Es war für mich ein erbärmliches Reiten – und für meine sechs Kameraden würde es gewiss nicht anders sein. Ja, wir trennten uns, nachdem wir das Gold versteckt hatten. Jeder von uns nahm die Maultiere mit, die er bisher mitführte.
Hinter mir waren sechs oder sieben Mann fünf Tage lang her.
Dann konnte ich sie endlich abschütteln.
Ich trug nun schon keinen Verband und auch kein Pflaster mehr. Die Säbelwunde war gut zusammengewachsen und vernarbte mit jedem neuen Tag mehr. Unter einem Verband oder Pflaster würde sie vielleicht genässt haben. Meiner guten Heilhaut tat die frische Luft am besten.
Als meine Vorräte aufgegessen waren, ritt ich nach Hills Boro. Dieser Ort hatte eine Poststation. Ich ritt vor die Tür und sah vom Sattel aus auf den Mann nieder, der an der Hauswand auf einem Stuhl saß. Er schnitzte an einem Stock.
»Gibt's Neuigkeiten vom Krieg?« So fragte ich.
Er sah zu mir hoch und deutete mit dem Stock auf mich.
»Sergeant«, sagte er, »der Krieg ist aus – schon seit zehn Tagen. General Lee hat mit achtundzwanzigtausend Mann in Virginia kapituliert. Bist du vielleicht ein Deserteur, Sergeant? Nun, dann kannst du froh sein. Zieh die Uniform aus, mein Junge. Es ist vorbei!«
Er begann wieder an seinem Stock zu schnitzen. Er war ein schon alter Bursche, der den Krieg nicht mochte.
Ja, man konnte mich gewiss für einen Deserteur halten, weil ja sonst kaum Soldaten der Konföderierten-Armee hier in Texas in Uniform herumritten.
Schon am 4. Juli 1863 war ja Vicksburg, das Gibraltar des Mississippi, von General Grant genommen worden. Damit waren alle Staaten westlich des Mississippi abgeschnitten und als Kriegsschauplätze ausgeschaltet.
Ich ritt weiter und nahm die beiden Maultiere mit. Ja, ich hatte die beiden Maultiere immer noch bei mir. Das musste ich. Denn erstens gehörten sie ja bisher zur Konföderierten-Armee – und zweitens würden wir sie zum Weitertransport des Goldes gewiss noch brauchen. Zwei Häuser weiter war das Hotel von Hills Boro.
An der Hauswand neben der Tür hing eine Tafel. Darauf war mit Kreide geschrieben:
Hammelbraten,
grüne Bohnen,
Kartoffeln,
Apfelkuchen,
Kaffee.
Mir lief das Wasser im Munde zusammen. Und so überlegte ich nicht lange, sondern saß ab und band die Tiere an die Haltestange.
Drinnen saßen ein paar Gäste. Manche kauten, dass ihnen die Ohren nur so wackelten. Mein Magen knurrte vernehmlich. Denn es roch köstlich.
Sie alle starrten mich an. Das galt gewiss meiner Uniform.
»He, Sergeant, sind Sie schon der erste Heimkehrer? Entlassen die Yanks unsere Jungens so schnell?« Dies fragte ein alter Mann von einem Ecktisch her, an dem er aß.
Ich setzte mich zu ihm. Aber es war still im Raume. Alle wollten meine Antwort hören.
»Nein, ich bin kein Heimkehrer«, sagte ich. »Ich sollte Pferde abholen und mit einer Anzahl von Treibern zum Mississippi bringen. Doch das brauche ich ja wohl nun nicht mehr.«
Ich sagte es erleichtert. Und von allen Seiten erhielt ich Zustimmung.
Sie alle im Raume waren froh, dass der Krieg vorbei war.
Jemand sagte aus der anderen Ecke herüber: »Sieh dich vor, Sergeant. Da sind Unionstruppen im Lande. Und es werden bald noch mehr Blaubäuche kommen. Ich würde die Uniform schnell ausziehen. Wenn sie dich erwischen, kommst du noch in ein Gefangenenlager zur Registrierung. Die Yanks bringen es fertig und transportieren dich Hunderte von Meilen weit, um dich dann dort zu entlassen.«
Ich nickte nur. Eine dralle Mexikanerin brachte mir unaufgefordert mein Essen. Sie wusste wahrscheinlich genau, was ein Bursche wie ich haben wollte.
Ich begann reinzuhauen, und ich konnte mich nicht daran erinnern, in den vergangenen Jahren solch ein Essen gegessen zu haben.