1,99 €
Rubins Saloon ist eine Goldgrube, und die Mächtigen von El Dorado scheuen selbst vor brutaler Gewalt nicht zurück, um sich die schöne Besitzerin gefügig zu machen und den noblen Vergnügungspalast an sich zu bringen. Doch Rubin Sheridan ist eine Tigerkatze, die ihren Besitz mit Zähnen und Klauen zu verteidigen weiß. Die Bosse von El Dorado schäumen. Dabei wissen sie noch gar nicht, welch einen Schatz die uralten Gewölbe unter Rubins Saloon umschließen und wie dicht Rubin und ihre rassige Partnerin Juanita Alvarez vor dessen Auffindung stehen. Die beiden Frauen lassen sich also nicht beirren. Dennoch stellen sie sich immer besorgter die Frage, was sein wird, wenn sie das Versteck des legendären Goldschatzes tatsächlich entdeckt haben werden...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 179
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Rubins Saloon
Vorschau
Impressum
Rubins Saloon
Es war von Anfang an ein nobles und prächtiges Haus. Ein spanischer Hidalgo, dem die Spanische Krone für besondere Verdienste Ländereien geschenkt hatte, ließ es am schönsten Punkt dieser Ländereien errichten. Und den Ort, der sich um dieses Haus bildete, taufte der spanische Grande El Dorado, was soviel wie »Das Goldland« bedeutete. Denn es wurde überall im weiten Umkreis Gold gefunden. Der Hidalgo ließ es von seinen Sklaven aus den Minen kratzen und hortete es in seinem noblen Haus, welches fast einem Palast glich.
Doch dann – völlig unerwartet – erhoben sich die Minensklaven, töteten ihre Bewacher und schließlich auch auf ihren Herrn. Doch das Gold fanden sie nicht, so sehr sie auch danach suchten.
Vielleicht lag es daran, dass sie nicht lange und gründlich genug suchen konnten.
Denn es kamen spanische Soldaten auf dem Weg von Tucson nach Santa Fé vorbei. Und als sie den toten Hidalgo verstümmelt an einem Baum im Innenhof hängen sahen, da richteten sie alle Sklaven, deren sie habhaft werden konnten, ebenso durch Hängen hin, bevor sie weiterzogen.
Der Palacio war nun herrenlos, wurde nach und nach ausgeplündert und diente vielen durchziehenden Reisenden – auch Apachenbanden – als Quartier.
Auch die Bewohner des kleinen Ortes verschwanden, weil sie nicht mehr beschützt wurden und die Apachengefahr im Land immer größer wurde.
Dann gehörte das Gebiet von 1823 an zum selbständig gewordenen Mexiko.
Der einst so prächtige, dann verfallene und wieder renovierte Palast hatte nun viele wechselnde Besitzer. Sogar die Jesuitenpatres unterhielten einige Jahre dort eine Mission und versuchten die Heiden zu bekehren und deren Kinder in einer Schule zu unterrichten.
Doch dann kamen wieder die Apachen, sie blieben kurze Zeit und mussten dann neuen Besitzern weichen.
In den verlassenen Minen war nämlich wieder Gold gefunden worden, zwar nicht viel, doch genug, um den kleinen Ort El Dorado zu neuem Leben zu erwecken.
Auch der einstige Palast wurde abermals renoviert von neuen Besitzern, die den Goldsuchern und Minenleuten das Geld – oder Gold – abnahmen.
Denn der Palacio war nun ein Vergnügungstempel geworden, ein Saloon, Freudenhaus, eine Spielhölle – eben ein Palacio der tausend Sünden.
Und immerzu hielten sich die Gerüchte seit mehr als hundert und noch mehr Jahren, dass irgendwo in den Mauern oder tief unter den Kellern das Gold des Hidalgo verborgen wäre. Und so ließ es die Menschen nicht in Ruhe – so wie in der griechischen Sage das Goldene Vlies, jenes von einem Drachen bewachte Widderfell.
Doch es gab keinen neuen Jason und auch keine neue Medea, jene Königstochter, die Jason half, das Goldene Vlies zu bergen und nach Griechenland zurückzubringen.
Aber obwohl sämtliche Besitzer während ihrer Zeit nach dem Gold suchten, fanden sie nirgendwo einen Krümel.
Und keiner wagte es, alles niederzureißen. Der Palacio war zu wertvoll, um ihn nur auf Grund von zweifelhaften Gerüchten völlig abzureißen.
Der letzte Besitzer des Palacio El Dorado ist ein gewisser Jack Sheridan, ein Revolvermann, Abenteurer und Spieler.
Und mit ihm beginnt diese Geschichte.
✰
Als Jack Sheridan den Royal Flush aufdeckt, da weiß er, dass er den Palacio El Dorado gewonnen hat, dass er nun gleichzeitig aber auch jede Menge Ärger bekommen wird.
Also mischen sich in ihm eine ganze Menge Gefühle, und er macht sich mächtig Sorgen.
Gewiss, er konnte sich auf seinen Wegen überall behaupten. Selbst anfängliche Niederlagen vermochte er später in Siege zu verwandeln.
Denn er ist inzwischen das geworden, was man einen zweibeinigen, narbigen Wolf nennt.
Und narbige Wölfe sind reich an Erfahrungen im Kampf um die Beute.
Jack Sheridan ist also ein erfahrener Bursche, ein Revolvermann und Spieler mit grauen Strähnen im Haar und einem grau werdenden Schnurrbart.
Doch seine Bewegungen sind immer noch geschmeidig und wirken leicht.
Der Blick seiner rauchgrauen Augen kann sehr zwingend sein, ein Blick, dem kaum ein Mann standhalten kann.
Jack Sheridans Wege waren oft gefährlich, sozusagen rauchig – und stets war sein Revolver sein einziger Freund. Ja, er war immer ein einsamer Wolf auf der Jagd nach Beute, wie ein Jäger nach dem Goldenen Vlies.
Und so besitzt er wenig Glauben an die Welt und kein Vertrauen zu den Menschen.
Sein Motto war stets: Achte auf dich selbst und auf den anderen, damit er dich nicht betrügt.
Seit drei Tagen und Nächten saß er im Palacio El Dorado mit wechselnden Spielpartnern beim Poker – außer einem Mitspieler.
Und dem gehörte bis vor wenigen Sekunden das Haus.
Denn als von Jack Sheridan der Royal Flush aufgedeckt wurde, war das nicht mehr der Fall. Alles wurde anders.
Der Mann heißt Al Slyentio und wirkt wie ein zweibeiniger Löwe. Er und Jack Sheridan blieben die drei Tage und Nächte am Spieltisch, nur unterbrochen von kleinen Pausen, um Nahrung aufzunehmen, sich zu erfrischen und rasieren zu lassen.
Es wurde zunehmend ein Gigantenkampf mit den Karten.
Denn Poker ist kein Spiel, sondern ein Kampf, der an Härte und Risiko alle anderen Spiele – wie sie auch heißen mögen – übertrifft.
Poker ist Krieg, der mit der erbarmungslosen Vernichtung des Gegners enden kann. Und so ist es jetzt.
Al Slyentio, der so löwenhafte Mann, der bis soeben noch der Besitzer des Palacio El Dorado war, will es nicht glauben.
Und auch Jack Sheridan vermag es nicht sogleich.
Er hat in all seinen Jahren als Spieler noch niemals einen Royal Flush gehabt. Und er weiß, dass Mathematiker ausgerechnet haben, dass die Möglichkeit, einen Royal Flush zu bekommen eins zu mehr als eine halbe Million ist.
Aber jetzt hat er einen Royal Flush.
Er blickt fest in Al Slyentios Augen. Und dieser starrt zurück.
Sie kennen sich.
Da und dort spielten sie schon gegeneinander, in wilden Städten, auf Mississippi-Dampfern und auch in verborgenen Camps. Ihre Wege kreuzten sich dann und wann in all den Jahren.
Und immer wenn sie sich begegneten, war einer von ihnen dem anderen eine Revanche schuldig.
Und so war es auch hier, als Jack Sheridan auf der Durchreise nach Nogales aus der Postkutsche stieg.
Die Kutsche fuhr ohne ihn weiter.
Und er saß drei Tage und Nächte am Pokertisch und spielte gegen Al Slyentio. Die anderen Spieler wechselten ständig. Ganz El Dorado aber nahm Anteil an diesem Spiel.
Und jetzt...
Jack Sheridans Stimme klingt ruhig, als er fragt: »War das dein letzter Einsatz, Slyentio?«
Dieser beugt sich etwas vor, betrachtet staunend die Karten.
Dann nickt er langsam und starrt Sheridan böse an.
Schließlich nimmt er den Blick von Sheridan und sieht in die Runde.
Ein dichter Halbkreis umgibt den Pokertisch in der Ecke. Es sind mehr als drei Dutzend Zuschauer, und vorhin ging ein vielstimmiges Stöhnen durch ihren Halbkreis.
Nun wollen sie sehen, ob Al Slyentio ein guter oder schlechter Verlierer ist.
Dieser erhebt sich plötzlich mit einem Ruck und verharrt aufrecht stehend mit seinem massigen Körper.
»Na gut«, spricht er dann heiser. »Der Palacio gehört nun dir. Willst du ihn wirklich?«
»Sicher will ich ihn, Al.« Sheridan grinst hartlippig. »Du hast alles an mich verloren. Sobald du genügend Spielkapital hast, komm wieder zur Revanche. Doch jetzt musst du gehen.«
Indes er es spricht, erhebt er sich, und alle sehen, dass er bereit ist für alles, egal was kommen mag.
Aber – wie schon gesagt – Al Slyentio und Sheridan kennen sich.
Und selbst die Zuschauer spüren instinktiv, dass sich die beiden Männer jetzt als Feinde gegenüberstehen und es zu einem Gewaltausbruch kommen könnte.
Und so weicht ihr Halbkreis auseinander.
Der Atem von Gefahr weht plötzlich.
Schließlich ist Al Slyentio der Boss über zwei Dutzend Angestellte, die als Barkeeper, Hauspolizisten und in anderen Funktionen auf seiner Lohnliste stehen.
Besonders die sogenannten Hauspolizisten sind harte Burschen, Revolverschwinger und Rauswerfer, die meist einmal Preiskämpfer waren.
Es ist eine ganze Mannschaft von Handlangern.
Er könnte ihnen Jack Sheridan gewissermaßen zum Fraße vorwerfen.
Auch Sheridan weiß das. Dennoch sagt er ruhig: »Komm wieder, wenn du deinen Einsatz machen kannst, Al.«
Dieser nickt langsam: »O ja, ich komme gewiss wieder, Jack. Da kannst du sicher sein!«
Nach diesen Worten wendet er sich ab, hält nach zwei Schritten jedoch inne und sagt über die Schulter zurück: »Ich hole nur noch meine ganz persönlichen Dinge aus meiner Wohnung. Du kannst dich gleich in mein schönes Bett legen, denn es ist frisch bezogen.«
Nach diesen Worten geht er hinaus.
Alle sehen ihm nach. Schweigen folgt ihm.
Sie sehen einen besiegten zweibeinigen Löwen gehen.
Dann blicken sie auf den neuen Besitzer des Palacio El Dorado.
Ja, sie können ihm ansehen, wie erschöpft er ist. Dieser Kampf hat ihn bis ins Mark erschöpft. Er ist innerlich ausgebrannt. Nicht anders ergeht es Al Slyentio. Beide standen sie unter einer geradezu unerträglichen Anspannung.
Jetzt lässt diese Anspannung nach wie die Kraft einer Droge. Nichts mehr stimuliert sie.
Von einer Sekunde auf die andere war alles vorbei.
Und bald wird es draußen Tag werden.
Auch der Kreis der Zuschauer löst sich auf.
Einer der sogenannten Hauspolizisten tritt zu Sheridan an den Tisch und spricht ruhig: »Da Sie ja nun der neue Chef sind... haben Sie besondere Wünsche oder Anordnungen, die wir zu befolgen haben?«
»Nein«, erwidert Sheridan. »Die treffe ich, wenn ich ausgeschlafen bin.«
Als er erwacht, sind etwas mehr als zwölf Stunden vergangen, und zuerst glaubt er, alles geträumt zu haben.
Doch schon nach wenigen Sekunden begreift er, dass es Wirklichkeit ist.
Er liegt in Al Slyentios Bett. Es ist ein wunderbares, spanisches Bett, welches auch einem Fürsten gewiss gut genug gewesen wäre.
Und dann sieht er die Frau an seinem Bett, staunt sie an und fragt: »He, wer sind Sie denn, Señorita?«
Ja, sie ist eine Schöne mexikanischer Abstammung. Und sie lächelt seltsam und erwidert: »Bisher gehörte ich Al Slyentio. Zuvor gehörte ich den Besitzern des Palacio vor Al Slyentio. Ich gehöre gewissermaßen zum Inventar. Jetzt sind Sie mein Patron. Wie wollen Sie es haben?«
Jack Sheridan staunt nicht sehr, sondern erwidert: »Ich möchte in eine Badewanne. Danach könnten wir zusammen frühstücken. Dabei könnten Sie mir erzählen, wie das alles hier läuft. Wie ist Ihr Name, Señorita?«
»Juanita – Juanita Alvarez. Haben Sie noch andere Wünsche?«
Er weiß, was sie mit ihrer letzten Frage meint und betrachtet sie noch einmal prüfend. Ja, sie ist mehr als nur hübsch.
Sie ist ein rassiges Weib von der Sorte, die man als Edelhuren bezeichnet und die das älteste Gewerbe der Menschheit mit besonderer Kunst ausüben können.
Doch ihm ist jetzt nicht danach. Er spürt plötzlich eine Menge Sorgen in sich aufsteigen. Sein Hirn beginnt zu arbeiten. Denn Sorgen muss er sich wohl machen.
Er hat Al Slyentio einfach zu viel abgewonnen. Und Al Slyentio ist einer von der Sorte, die nicht verlieren kann.
Gewiss, sie spielten schon da und dort einige Male gegeneinander, wenn sich ihre Wege kreuzten.
Doch noch niemals ging es um so viel. Al Slyentio erlitt eine totale Niederlage. Er wurde beim Poker so richtig plattgemacht, verlor alles, weil er nicht aufgeben wollte oder konnte.
Und so fragt Jack Sheridan sich, was Slyentio tun wird.
Juanita Alvarez erhebt sich und blickt auf ihn nieder.
Nun, da sie steht, kann er sie noch besser betrachten. Und alles, was er an ihr sieht, gefällt ihm immer mehr.
Er fragt sich, was die junge und schöne Frau hergeführt hat und warum sie in diesem Haus von einem Besitzer zum anderen überging wie ein Inventar.
Sie lächelt auf ihn nieder und spricht: »Der große Baderaum ist unten. Ich sage dem Hausneger Bescheid. Der wird Feuer unter dem Badewasserkessel machen und dann die Wanne füllen. Ich lasse Ihre Kleidung reinigen, Patron. Und ich könnte Sie auch richtig durchmassieren. Ich verstehe mich auf Massagen. Die lernte ich von einem Chinesen. Soll ich?«
Er blickt zu ihr hoch und erkennt in ihren Augen die völlige Bereitwilligkeit für alles.
Ja, sie ist eine mexikanische Puta, denkt er. Und sie will in diesem Haus bleiben. Dafür zahlt sie den einzigen Preis, den sie zahlen kann.
Sie fragt nun etwas spröde, so als wäre sie beleidigt, weil er sie offensichtlich jetzt nicht will: »Ich war hier in diesem Hause die Patrona. Bleibe ich das oder muss ich gehen?«
Es ist zuletzt eine klare Frage.
Und da grinst er. »Versuchen wir es miteinander, Juanita. Und massieren kannst du mich, wenn ich aus der Badewanne gestiegen bin. Das wird mir gut tun. Denn ich bin total verspannt und verkrampft. Ich saß zu lange beim Poker – drei Tage und drei Nächte. Ja, ich muss wieder locker werden.«
✰
Etwa eineinhalb Stunden später sitzen sie beim Frühstück im Wohnzimmer am runden Tisch am Fenster. Der Chinakoch aus der Küche bedient sie flink. Seine Schlitzaugen schätzen den neuen Boss ab.
Sheridan fragt: »Wie ist dein Name?«
»Man nennt mich hier nur Yellow, Mistel«, erwidert der Koch.
Aber Sheridan schüttelt den Kopf. »Das ist kein Name. Jeder Mann hat ein Recht darauf, mit Respekt und mit seinem Namen angeredet zu werden – es sei denn, er würde Respekt nicht verdienen. Also, wie ist dein Name?«
»Chang Sun, Sir.«
»Gut, Chang, dann sieh zu, dass ich dich stets respektieren kann.«
Der Koch starrt ihn staunend an. In seinen Schlitzaugen funkelt es. Er ist groß und schlank, bewegt sich leicht und geschmeidig. In seinem Gesicht sind einige Narben.
»Mistel, ich werde bemüht sein«, spricht er in einwandfreiem Englisch.
Dann geht er.
Juanita lächelt nachdenklich. »O ja, Sie verstehen es, mit Menschen umzugehen, Jack«, murmelt sie. »Dieser Chang Sun soll mal im Chinesischen Meer ein Pirat gewesen sein, Kapitän eines Piratenschiffs. Man weiß das, weil er mal krank war und im Fieber eine Menge geredet hat.«
Jack Sheridan hört es, indes er Eier mit Speck, frische Biskuits und Kaffee genießt.
Sein Hunger wurde zuletzt gewaltig, und er fühlt sich nun immer wohler. Juanitas Hände bewirkten Wunder.
Er sieht sie nun fest an und murmelt zwischen zwei Bissen: »Nun gut, wie läuft alles hier in El Dorado? Wer macht die Politik und gibt die Befehle? Auf wen muss ich achten? Wie viele Parteien oder Interessengruppen gibt es hier?«
Als er verstummt, da nickt sie und murmelt: »Señor Jack, ich denke, Sie kennen sich aus in solchen Städten. Nun gut, es gibt hier drei Interessengruppen. Eine wird von den Minenbesitzern gebildet, den Claiminhabern. Das sind mit den Minenarbeitern mehr als dreitausend Menschen im Umkreis von zehn Meilen. Für die ist El Dorado sozusagen der Nabel der Welt. Sie wollen hier nicht ausgeplündert werden und wollen eine faire Stadt. Die zweite Gruppe sind die Saloon- und Tingeltangelbesitzer. Al Slyentio war oder ist ihr Anführer. Sie verfügen über viele Handlanger, angefangen von den Barkeepern und Kartenausteilern, Hauspolizisten und Leibwächtern bis zu den Rauswerfern und Zuhältern. Es sind zusammen mehr als zweihundert Hartgesottene. Sie beherrschen die Stadt. Eigentlich ist Al Slyentio der mächtigste Mann von El Dorado.«
Jack Sheridan nickt kauend. Dann murmelt er: »Das dachte ich mir schon. Und ich habe ihm seine prächtige Residenz weggenommen mit Hilfe der Pokerkarten.«
Juanita nickt.
Durch das Fenster fällt das Sonnenlicht schräg in den Raum und lässt ihr schwarzes Haar glänzen. Sheridan fragt sich wieder einmal mehr in diesen letzten zwei Stunden, warum die schöne Frau eine Hure wurde, wenn auch eine der besonderen Sorte, der schon Kaiser und Könige hörig waren und von denen oft genug sogar die Weltgeschichte beeinflusst wurde.
Ja, er glaubt ernstlich, dass Juanita Alvarez zu dieser Sorte gehört.
Und warum ist sie hier?
Er wischt diese Frage in Gedanken zur Seite und murmelt: »Und die Redlichen, Guten und Reinen sind die dritte Gruppe in El Dorado, nicht wahr? Wer vertritt ihre Rechte?«
»Marshal Pug Hamilton«, erwidert Juanita ernst. »Und der ist ein einsamer Mann hier. Denn die Guten, Reinen und Redlichen sind feige, eben Bürger mit Familien, die nicht sterben und ihre Familien allein lassen möchten in dieser wilden Stadt.
Und so beschränkt sich Marshal Pug Hamilton darauf, El Dorado unter Kontrolle zu halten wie ein wildes Tier. Er musste schon mehrmals schießen und auch töten. Aber in der Politik dieser Stadt und dieses Landes spielt er keine Rolle. Es fehlt ihm die Bürgerwehr.«
Juanita macht eine kleine Pause und murmelt dann wie eine Seherin, die in die Zukunft blicken kann: »Aber irgendwann werden die Minenleute und Goldsucher kommen und einige Burschen an den Hälsen hochziehen. Vigliantenkomitees werden sich bilden.«
Sie verstummt hart.
Dann beugt sie sich vor und blickt Sheridan mit ihren schwarzen Augen funkelnd an.
Langsam spricht sie: »Señor Jack, wenn du hier überleben willst, dann musst du Al Slyentio töten. Sonst tötet er dich.«
Sie hat nun alles gesagt und erhebt sich.
Aber er sagt ruhig: »Setz dich wieder. Erzähle mir was von dir. Wer bist du wirklich? Wie kamst du hierher? Und warum willst du immer noch hier bleiben, nachdem Al Slyentio alles an mich verlor?«
Sie setzt sich wieder.
»Ach, meine Geschichte ist einfach«, murmelt sie dann. »Ich wurde von meinen Eltern an einen reichen und mächtigen Haziendero verkauft, der meine Eltern sonst von seinem Land gejagt hätte, auf dem sie nur Pächter waren. Ich war damals erst dreizehn, doch er machte mich in der ersten Nacht schon zur Frau. Aber er sorgte dafür, dass ich eine gute Schulbildung bekam. Das machte mich für ihn wertvoller, denn er konnte sich nun mit mir anders unterhalten. Er schmückte sich mit mir. Ich lebte in einiger Entfernung von ihm in einem schönen Haus mit einer Dienerin. Er kam mich regelmäßig besuchen. Ich war seine Mätresse. Er erklärte mir, dass dies der französische Ausdruck für Herrin und Geliebte wäre. Natürlich war er verheiratet und hatte drei Kinder. Sein ältester Sohn begann mir dann nachzustellen. Und eines Tages kam seine Frau mit zweien ihrer Diener und ließ mich auspeitschen. Als ich wieder einigermaßen gesund war, ergriff ich die Flucht. Es war ein langer Weg bis hierher, ein sehr langer Weg. Und ich hatte nichts außer meiner Schönheit. Ja, ich weiß, dass ich schön bin, schön und begehrenswert. Jeder Mann, der mich ansieht und dessen Selbstbewusstsein groß genug ist, um sich an eine schöne Frau heranzuwagen, will mich haben. Willst auch du mich haben, Jack Sheridan? Sag es mir. Denn wenn es nicht so ist, dann stimmt etwas nicht mit dir. Dann musst du krank oder ein Heiliger sein.«
Sie spricht die letzten Worte mit einem Beiklang von Spott und Herausforderung zugleich. Dies erkennt er auch in ihren Augen.
Und vorhin nach dem Bad, da massierten ihn ihre Hände, ließen ihn begreifen, was sie ihm geben könnte oder würde.
Er hatte schon lange keine Frau mehr von ihrer Schönheit und ihren Reizen.
Er lehnt sich zurück und trinkt einen Schluck Kaffee. Dann schließt er einen Moment die Augen und sieht wieder einmal mehr das Bild seiner verschollenen Frau Rubin vor Augen, die er schon zwei lange Jahre sucht.
Doch dieses Bild verschwindet wieder.
Und das Leben kann für ihn sehr kurz sein, weil er bleiben und vor Slyentio nicht davonlaufen will, es einfach nicht kann.
Er sieht Juanita Alvarez an und nickt. »Ja, ich will dich«, spricht er ruhig. »Aber wäre es klug von dir, dich mit mir einzulassen, obwohl du mich noch gar nicht kennst und Slyentio mich vielleicht bald töten wird? Ist es kein Glücksspiel für dich?«
»Doch«, erwidert sie, »aber ich glaube, du wirst Al Slyentio töten. Und dann kann ich weiter in diesem Palacio leben.«
Sie erhebt sich nach diesen Worten, geht zur Tür des Schlafzimmers und öffnet sie.
»Komm«, verlangt sie. »Sieh es mal so, Jack: Bevor die Gladiatoren damals in die Kampfarena zogen, um zu kämpfen um Leben und Tod, schenkten sich ihnen schöne Sklavinnen für die vielleicht letzte Freude ihres Lebens. Sieh es mal so. Komm!«
Er erhebt sich langsam und spricht: »Ja, so ist es wohl. Vielleicht wird diese Stadt eine Art Kampfarena für mich werden. He, kennst du die Geschichte von Homers Odyssee, wo Sirenen – also Meerjungfrauen – den Helden ins Verderben locken wollten?«
Sie lacht kehlig.
»Ich bin keine Jungfrau mehr«, spricht sie dann. »Und ob du ein zweiter Odysseus bist...«
Sie bricht lachend ab.
Und er geht lachend mit ihr hinein.
✰
Es ist später Nachmittag, fast schon Abend, als er den ersten Rundgang durch die Stadt macht, um sie zu erkunden.
Und zuvor hat er alle Angestellten des Palacio El Dorado versammelt und sich mit ihnen und ihren Aufgaben vertraut gemacht. Er kennt nun auch ihre Namen.
Es sind sechs Barkeeper, drei Revolvermänner und zwei schwergewichtige Rauswerfer. Dazu gehören einige Bedienungen, junge Mexikanerburschen, ein halbes Dutzend Tanzmädchen, eine Musikkapelle und weitere Helfer, zum Beispiel der Spucknapfreiniger und der zumeist betrunkene Alte, der die Fäkalienfässer leert.
Sie alle sehen ihn, hören ihn sprechen und verspüren seine Ausstrahlung, seine Härte. Oh, er weiß, dass sie diese Härte spüren müssen. Denn diese Sorte von Menschen hält Nachsicht, Vertrauen und Fairness für Dummheit.
Nun, er sprach dann einige Worte zu ihnen und schloss mit dem Satz: »Wer von euch nicht spurt oder mich gar betrügt, der wird das bedauern.«
Er wandert jetzt also durch die Stadt und sieht sich alles an, geht auch in einige Lokale und kauft sich im Store eine Zigarre.
Er spürt und erkennt immer wieder, dass man über ihn Bescheid weiß, ihn also schon kennt. Denn alles, was geschah, hat sich in Windeseile herumgesprochen.
Nun sehen sie ihn und schätzen ihn ab.
Die Stadt ist noch ziemlich leer. Die Leute aus dem Umland sind noch nicht da. Bei den Minen ist noch nicht Feierabend. Und auch die Claimbesitzer arbeiten noch. Vorerst sind nur einige Frachtfahrer, ein paar Cowboys und jene Burschen hier, von denen man nicht weiß, was sie hier wollen und von welchem Einkommen sie leben.
Aber sie alle warten darauf, dass der Betrieb bald losgeht und die Stadt zum wilden Leben erwacht.
Als Jack Sheridan den südlichen Ortsausgang erreicht, da hält er inne und blickt den Wagenweg entlang, der weiter nach Nogales führt.
Dorthin wollte er in der Overland Stage.